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Herausgegeben von S. Hußmann, M. Nührenbörger, S. Prediger, C. Selter, Dortmund, Deutschland Dortmunder Beiträge zur Entwicklung und Erforschung des Mathematik- unterrichts Band 32

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Herausgegeben vonS. Hußmann,M. Nührenbörger,S. Prediger,C. Selter, Dortmund, Deutschland

Dortmunder Beiträge zur Entwicklung und Erforschung des Mathematik­unterrichts

Band 32

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Eines der zentralen Anliegen der Entwicklung und Erforschung des Mathematik­unterrichts stellt die Verbindung von konstruktiven Entwicklungsarbeiten und rekonstruktiven empirischen Analysen der Besonderheiten, Voraussetzungen und Strukturen von Lehr­ und Lernprozessen dar. Dieses Wechselspiel findet Ausdruck in der sorgsamen Konzeption von mathematischen Aufgabenformaten und Unter­ richtsszenarien und der genauen Analyse dadurch initiierter Lernprozesse.

Die Reihe „Dortmunder Beiträge zur Entwicklung und Erforschung des Mathe­matikunterrichts“ trägt dazu bei, ausgewählte Themen und Charakteristika des Lehrens und Lernens von Mathematik – von der Kita bis zur Hochschule – unter theoretisch vielfältigen Perspektiven besser zu verstehen.

Herausgegeben vonProf. Dr. Stephan Hußmann,Prof. Dr. Marcus Nührenbörger,Prof. Dr. Susanne Prediger,Prof. Dr. Christoph Selter,Technische Universität Dortmund, Deutschland

Weitere Bände in der Reihe http://www.springer.com/series/12458

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Lara Sprenger

Zum Begriff des DezimalbruchsEine empirische Studie zum Dezimalbruchverständnis aus inferentialistischer Perspektive

Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. Stephan Hußmann

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Lara Sprenger Technische Universität Dortmund Fakultät für Mathematik, IEEM Deutschland

Dortmunder Beiträge zur Entwicklung und Erforschung des Mathematikunterrichts ISBN 978­3­658­19159­7 ISBN 978­3­658­19160­3 (eBook)DOI 10.1007/978­3­658­19160­3

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National­bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d­nb.de abrufbar.

Springer Spektrum © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2018Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen­ und Markenschutz­Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften.Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informa­tionen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral.

Dissertation Technische Universität Dortmund, 2017

Tag der Disputation: 25.04.2017Erstgutachter: Prof. Dr. Stephan HußmannZweitgutachter: Prof. Dr. Marcus Nührenbörger

Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier

Springer Spektrum ist Teil von Springer Nature Die eingetragene Gesellschaft ist Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham­Lincoln­Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany

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Geleitwort

Die vorliegende Dissertation widmet sich der theoretischen und empirischen Analyse von Lernprozessen zur Vorstellungsentwicklung zum Dezimalbruchbe-griff, und zwar einige Zeit nach der schulischen Erstbegegnung mit dem Dezi-malbruchbegriff. Dazu beschreibt und analysiert Frau Sprenger Lernprozesse innerhalb von verschiedenen Designs, die u. a. in dem Projekt ,Mathe sicher können’ entwickelt wurden und die als ein Kernelement den Vergleich zwischen Dezimalbrüchen mit Verwendung von verschiedenen Darstellungsmitteln ent-halten. Zentral für ihre Studie ist die Frage, inwieweit vorhandene Begriffsver-ständnisse aus dem Bereich der natürlichen Zahlen und der Brüche genutzt werden, um Dezimalbrüche fachlich adäquat zu verstehen. Damit erweitert Frau Sprenger vorhandene Befunde zu den Dezimalbrüchen, die sich bislang vorran-gig aus überwiegend quantitativ ausgerichteten Studien speisen und auf Lern-stände beziehen.

Zur Beschreibung und Analyse der Begriffsbildungsprozesse wurde das Mo-dell der Epistemologie der inferentiell gegliederten Begründungsnetze genutzt, mit dem insbesondere Argumentationsanalysen durchgeführt und damit auch situative und formale Argumentationsbasen offengelegt werden können.

Frau Sprenger stellt in ihrer Arbeit den aktuellen Forschungsstand zum De-zimalbruchverständnis unter Hinzuziehung der relevanten nationalen wie inter-nationalen Literatur dar. Dabei wurden einerseits der Kern der Lernprozesse und ihre zentralen Gelenkstellen herausgearbeitet, und andererseits die Aspekte lokaler mathematikdidaktischer Theorien weiterentwickelt sowie grundlegende Erkenntnisse zu Designprinzipien zur Entwicklung von für das Begriffsver-ständnis förderlichen Aufgaben beschrieben. Entstanden ist ein tiefgehendes Verständnis von den stattfindenden Lernprozessen und deren inhaltlicher Struk-turierung wie auch ein klares Bild, das den Zusammenhang vom Stellenwertver-ständnis bei natürlichen Zahlen, dem Bruchzahlverständnis und dem Dezimal-bruchverständnis beschreibt, indem es zeigt, welche potentiellen Hürden beste-hen, welche Prozesse hinderlich sind, welche förderlich sein können und wie die jeweiligen Hürden identifiziert und überwunden werden können.

Aufbauend darauf erfasst Frau Sprenger in der Analyse und Auswertung zu-nächst typische Lernprozesse in einer sehr detaillierten und aussagekräftigen Analyse mit zwei Fallstudien. Diese ordnet sie in einem zweiten Schritt in einer phänomenologischen Analyse in einen Rahmen von typischen Phänomenen bei insgesamt 14 Schülerinnen und Schülern ein. Dabei gelingt es ihr, aktuelle Be-funde zu bestätigen, gleichzeitig aber auch ihren Gültigkeitsbereich hinsichtlich der beobachteten Lernprozesse zu relativieren. Insbesondere die Darlegung der Komplexität hinsichtlich der Verknüpfung der drei Zahlbereiche zum Aufbau eines tragfähigen Dezimalbruchverständnisses ist hier besonders zu nennen. Zeigen aktuelle Forschungsbefunde einzelne problematische Stellen hinsichtlich

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VI Geleitwort

von Lernständen auf, so gelingt es Frau Sprenger in ihrer Arbeit das Bezie-hungsgefüge von einzelnen Lernständen und der Dynamik von Lernprozessen in der notwendigen Tiefe und Breite darzulegen.

Mit dieser Arbeit hat Lara Sprenger einen mathematikdidaktischen Inhalts-bereich weiterentwickelt und neue spannende Befunde dargelegt. Dabei ist die Arbeit besonders lesenswert aufgrund der komplexen theoretischen Aufarbei-tung des Stellenwertverständnisses und der stringenten und systematischen Analysen. Stephan Hußmann

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Danksagung

Das Fertigstellen dieser Arbeit lässt mich zurückblicken auf die vergangenen Jahre, die geprägt waren von intensiver Arbeit, Disziplin und Durchhaltevermö-gen, die vor allen Dingen aber auch einen unglaublichen Lernzuwachs bedeutet haben. Dabei hat mich sowohl mein privates als auch mein berufliches Umfeld stets unterstützt, ermutigt und mir die Kraft gegeben, dieses Projekt zu vollen-den.

Mein besonderer Dank gilt Prof. Dr. Stephan Hußmann, der mich auf dem Weg zur Promotion elementar begleitet, mich beraten und unterstützt hat. Ich danke ihm für die vielen anregenden und produktiven Gespräche sowie zahlrei-che Denkanstöße, die zu einer Verbesserung meiner Arbeit beigetragen haben.

Prof. Dr. Marcus Nührenbörger danke ich für die Übernahme des Zweitgut-achtens sowie für die konstruktiven Rückmeldungen, wichtigen Impulse und den Blick aus der Grundschuldidaktik, die meine Arbeit durch ihn erfahren hat.

Darüber hinaus möchte ich mich beim gesamten ,Mathe sicher können’-Projektteam bedanken. In den vielen anregenden Diskussionen konnte ich un-glaublich viel lernen und die vielfältigen Projekterfahrungen haben meine Ar-beit getragen und bereichert. Danke, dass ihr mich als „Wissenschaftsneuling“ zu Beginn so herzlich aufgenommen habt.

An dieser Stelle möchte ich mich zudem bei allen (zum Teil auch ehemali-gen) Kolleginnen und Kollegen des IEEM und vor allen Dingen bei der AG Hußmann/Prediger bedanken: Für die zahlreichen Diskussionen und produkti-ven Gespräche sowie die wichtigen Impulse und guten Fragen, die meine Arbeit begleitet und sie weiterentwickelt haben. Danke für die konstruktive und über-aus fruchtbare Arbeitsatmosphäre, in der ich mich stets sehr wohl gefühlt habe.

Insbesondere möchte ich mich bei Dr. Sabrina Heiderich, Dr. Maike Schindler, Corinna Mosandl und Birte Pöhler bedanken. Die vielen fachlichen Gespräche mit euch, eure Fragen an der richtigen Stelle, euer offenes Ohr, eure Hilfe und eure inhaltliche aber besonders auch freundschaftliche Unterstützung weiß ich sehr zu schätzen. Das alles hat mir den Weg zur Fertigstellung der Arbeit immens erleichtert. Dafür mein allerherzlichstes Dankeschön.

Zudem möchte ich mich bei Annica Baiker und Karolin Tiemann bedanken, die mich als studentische Hilfskräfte gerade in den letzten zwei Jahren tatkräftig und sehr gewissenhaft unterstützt haben. Eure Hilfe war unglaublich viel Wert.

Mein Dank gilt außerdem allen Schülerinnen und Schülern sowie Lehrerin-nen und Lehrern, die an meiner empirischen Studie beteiligt waren und maßgeb-lich dazu beigetragen haben, dass mein Projekt gelingen konnte.

Meinen lieben Freundinnen und Freunden möchte ich danken für die Kraft und die Unterstützung, für eure Ermutigungen und euer Interesse, aber vor al-lem auch für eure Ablenkung und die unzähligen schönen Stunden, die wir bis-her zusammen verbracht haben. Es ist schön, Freunde wie euch zu haben.

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VIII Danksagung

Schließlich möchte ich mich bei meiner Familie bedanken, die nicht nur in der Zeit der Promotion immer hinter mir steht, mich aufmuntert und ermutigt, mir den Rücken stärkt und immer für mich da ist. Ich kann nicht in Worte fassen, wie viel mir dieser Rückhalt bedeutet. Danke, dass es euch gibt. Ich liebe euch von ganzem Herzen!

Lara Sprenger

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Inhaltsverzeichnis

Einleitung ............................................................................................................ 1 1 Rahmentheorien ........................................................................................ 5

1.1 Lerntheoretische Einordnung ................................................................. 51.2 Begriffsbildungsprozesse aus einer inferentialistischen Perspektive ..... 6

1.2.1 Begriffe und ihr Gebrauch in der Epistemologie der inferentiell gegliederten Begründungsnetze ........ 8

1.2.2 Die Bedeutung der sozialen Welt für inferentiell gegliederte Begriffsbildungsprozesse ........................... 12

1.2.3 Individuelle Zugänge zu Situationen ............................................... 161.2.4 Fazit ................................................................................................. 18

2 Zum Begriff des Dezimalbruchs ............................................................ 19

2.1 Zur Problemlage der Dezimalbrüche ................................................... 192.2 Der Gegenstandsbereich der Dezimalbrüche ....................................... 22

2.2.1 Das dezimale Stellenwertsystem bei den natürlichen Zahlen ......... 222.2.2 Gemeinsamkeiten und Umbrüche zwischen

natürlichen Zahlen und Dezimalbrüchen ......................................... 312.2.3 Gemeinsamkeiten und Umbrüche zwischen

gemeinen Brüchen und Dezimalbrüchen ......................................... 382.2.4 Fazit ................................................................................................. 45

2.3 Zentrale Darstellungen von Dezimalbrüchen ....................................... 492.3.1 Die formal-symbolische Zahldarstellung ........................................ 512.3.2 Die Darstellung in der Stellenwerttafel ........................................... 512.3.3 Die Darstellung an der Zahlengeraden ............................................ 532.3.4 Fazit ................................................................................................. 57

2.4 Zum Erwerb des Dezimalbruchverständnisses .................................... 592.4.1 Modelle zum Erwerb des Stellenwertverständnisses ...................... 592.4.2 Zugänge zur Dezimalbruchrechnung .............................................. 652.4.3 Fazit ................................................................................................. 70

3 Forschungsinteresse und Forschungsfragen ......................................... 77

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X Inhaltsverzeichnis

4 Methodik der Datenerhebung und Auswertung ................................... 794.1 Forschungsdesign ................................................................................. 79

4.1.1 Forschungskontext ........................................................................... 804.1.2 Methodik der Datenerhebung .......................................................... 814.1.3 Planung der Untersuchung .............................................................. 84

4.2 Methodik der Auswertung .................................................................... 934.2.1 Feinanalyse ...................................................................................... 934.2.2 Phänomenologische Analyse ......................................................... 103

5 Empirische Befunde und Interpretationen ......................................... 1075.1 Feinanalyse – Die Fallbeispiele Jonas und Marie .............................. 107

5.1.1 Erste Interviewsequenz: 1,12 und 1,3 vergleichen ........................ 1085.1.2 Zweite Interviewsequenz: 1,4 und 1,46 vergleichen und die

vorherigen Urteile zum Vergleich von 1,3 und 1,12 überprüfen .. 1215.1.3 Dritte Interviewsequenz: Allgemeiner Vergleich von

Dezimalbrüchen mit zwei bzw. drei Nachkommastellen .............. 1385.1.4 Vierte Interviewsequenz:

Sprechweise von Dezimalbrüchen reflektieren ........................... 1465.1.5 Fünfte Interviewsequenz: Bewerten der Festlegung

„Eins Komma Zwölf ist größer als Eins Komma Drei“ ............... 1505.1.6 Zusammenfassung der Ergebnisse ................................................ 1595.1.7 Fazit der Feinanalyse ..................................................................... 165

5.2 Phänomenologische Analyse .............................................................. 1675.2.1 Beobachtete Phänomene auf

der Ebene der Kommunikations- und Interaktionsstrukturen ....... 169 5.2.2 Beobachtete Phänomene auf

der Ebene des Dezimalbruchverständnisses ................................. 175 5.2.3 Fazit der phänomenologischen Analyse ........................................ 223

5.3 Zentrale Designprinzipien .................................................................. 2255.4 Zusammenfassung .............................................................................. 228

6 Zusammenfassung und Perspektiven .................................................. 231

Literatur .......................................................................................................... 249

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Einleitung

Abb 0.1 Schriftliche Äußerung von Marie, 8. Klasse, zum Dezimalbruchvergleich von 1,3 und 1,12

Dieses Eingangsbeispiel von Marie, Schülerin der 8. Klasse einer Realschule in NRW, zeigt eine von vielen typischen Vorgehensweisen beim Vergleich zweier Dezimalbrüche. Das Ergebnis des Vergleichs ist durchaus richtig, die Begrün-dung weist allerdings darauf hin, dass diese nicht vor dem Hintergrund eines mathematisch tragfähigen Dezimalbruchverständnisses, sondern vermutlich rein verfahrensorientiert ohne Anknüpfung an ein inhaltliches Verständnis von De-zimalbrüchen eingegangen wird. Für Marie, die hier beispielhaft für viele Ler-nende steht, ist lediglich die Anzahl der Nachkommastellen entscheidend dafür, welcher Dezimalbruch größer ist. Die Begründung über die Anzahl der Nach-kommastellen könnte sich auf der Erfahrung im Bereich der natürlichen Zahlen gründen, dass die Anzahl der Stellen Rückschlüsse auf die Größe einer Zahl zulässt. Damit wären die Dezimalbrüche von den natürlichen Zahlen dahinge-hend unterschieden, dass jede zusätzliche Stelle eine natürliche Zahl immer größer, jede zusätzliche Stelle bei den Nachkommastellen eines Dezimalbruchs diesen hingegen immer kleiner werden lässt (vgl. Kap. 5.1). Ein solches verfah-rensbasiertes Vorgehen muss inhaltlich gestützt werden. Dazu „muss zunächst eine fundierte Einsicht in den Aufbau von Dezimalbrüchen vermittelt werden“ (Heckmann 2007, S. 48), denn ein tragfähiges Begriffsverständnis befähigt in höherem Maße zu einem adäquaten Operieren als ein rein prozedurales Ver-ständnis (vgl. Roche/Clarke 2004).

Das Beispiel von Marie zeigt jedoch auch, dass ein rein verfahrensbasiertes Vorgehen ohne inhaltliches Verständnis beim Umgang mit Dezimalbrüchen durchaus in einigen Situationen funktioniert, in anderen jedoch nicht, wie z. B. beim Vergleich von 1,4 und 1,46. Eine Reflektion der Gründe für die Anwend-barkeit in unterschiedlichen Situationen ist unabdingbar für den Aufbau eines inhaltlich fundierten Zahlverständnisses, welches wiederum unentbehrlich ist für den kompetenten Umgang mit Größen in lebensweltlichen Situationen.

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2 Einleitung

Typische Fehlerphänomene wie das von Marie konnten in zahlreichen Studien mit überwiegend quantitativ ausgerichteten Untersuchungsdesigns beobachtet werden (vgl. u. a. Brekke 1996; Günther 1987; Heckmann 2006; MacDonald 2008; Padberg 2009; Resnick et al. 1989; Roche/Clarke 2004; Steinle/Stacey 1998b). Die genauen Ursachen in Gestalt von Begründungszusammenhängen – also warum Schülerinnen und Schüler bestimmte nicht tragfähige Aussagen eingehen – lagen nicht im Fokus der genannten Studien. Die vorliegende Arbeit greift dieses Forschungsdesiderat auf.

Ein Verständnis der zugrunde liegenden individuellen Begründungsstruktu-ren ist bei dem Begriff des Dezimalbruchs deswegen besonders interessant, da bei der Zahlbereichserweiterung von den natürlichen Zahlen zu den positiv rationalen Zahlen in Dezimalschreibweise die dezimalen Strukturen des Stel-lenwertverständnisses im Bereich der natürlichen Zahlen mit den elementaren Bruchvorstellungen verknüpft werden müssen, um ein tragfähiges Dezimal-bruchverständnis zu erlangen. Dabei kann auf bestehendes Wissen aus dem Bereich der natürlichen Zahlen sowie aus dem Bereich der gemeinen Brüche zurückgegriffen werden. Nichtsdestotrotz muss dieses Wissen gleichwohl in einigen Aspekten angepasst und neu strukturiert werden (vgl. u. a. Heckmann 2006; Resnick et al. 1989; Padberg 2009). „Bei der Erweiterung des dezimalen Stellenwertsystems empfiehlt es sich nicht, [lediglich] die bestehenden Analogien zu den natürlichen Zahlen zu betonen [...] Vielmehr müssen gerade die Unterschiede zu den natürlichen Zahlen deutlich herausgestellt werden.“ (Padberg 2009, S. 167, Hervor. i. O., Einf. L. S.)

Es stellt sich demnach die Frage, welche Aspekte für ein mathematisch tragfähi-ges Dezimalbruchverständnis zentral sind und wie diese zusammenhängen. Für die qualitative Betrachtung der Begründungsstrukturen beim Umgang mit De-zimalbrüchen ist eine stoffdidaktische Auseinandersetzung mit dem Dezimal-bruchbegriff notwendig.

Die Zielperspektive der Arbeit liegt somit zum einen in der Betrachtung des Lerngegenstandes, in Form seiner Spezifizierung und Strukturierung, und zum anderen vor allem darin, einen Beitrag zur Optimierung von Lehr-/Lern-prozessen zu leisten. Dazu ist es erforderlich die Denk- und Handlungsweisen von Schülerinnen und Schülern sowie die Gründe und Zusammenhänge der typischen Fehlerphänomene und Interpretationen von Dezimalbrüchen zu ken-nen und für die Entwicklung von Lerngelegenheiten zu nutzen.

Ein Verständnis der Begründungsstrukturen bedeutet einerseits die individu-ellen Denk- und Handlungsweisen von Lernenden im Detail zu betrachten und zu analysieren. Andererseits können daraus Schlüsse für eine Strukturierung der vielfältigen Interpretationen und beobachteten Phänomene beim Umgang mit Dezimalbrüchen gezogen werden, um deren Zusammenhänge und so den Kern des jeweiligen mathematisch nicht tragfähigen Begriffsgebrauchs aufdecken zu können. Dies ermöglicht wiederum schon beim Aufbau des Dezimalbruchver-

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Einleitung 3

ständnisses verschiedenen mathematisch nicht tragfähigen Interpretationen des Dezimalbruchs entgegenzuwirken. Weiterhin kann in einer möglichen Förde-rung konkret auf den Kern der Verständnisschwierigkeit eingegangen werden, anstatt nur die Symptome eines mathematisch nicht tragfähigen Dezimalbruch-verständnisses zu bearbeiten. Dazu wird im theoretischen Teil dieser Arbeit das Begriffsverständnis des Dezimalbruchs aus normativer Sicht spezifiziert und strukturiert, um anschließend im empirischen Teil das individuelle Begriffsver-ständnis einzelner Schülerinnen und Schüler auf dieser Folie der theoretischen Spezifizierung und Strukturierung einzuordnen und zu beurteilen.

Das individuelle Begriffsverständnis von Lernenden steht im Fokus dieser Arbeit, da das begriffliche Denken einen zentralen Teil des Mathematiklernens (vgl. Wittenberg 1963) ausmacht: „Mathematik ist ein Denken in und ein Han-deln mit Begriffen“ (Hußmann 2002, S. 62). Ein Zugriff auf dieses individuelle Begriffsverständnis gelingt systematisch über einen qualitativen Blick auf die Begründungen einzelner Lernender. Auch hier zeigt das Eingangsbeispiel von Marie die Bedeutung von Begründungen in Form von propositional gehaltvol-len, miteinander verknüpften Aussagen für die Analyse eines individuellen Be-griffsverständnisses. Ohne die Begründung der Schülerin wäre ihre mathema-tisch nicht tragfähige Vorgehensweise beim Vergleich zweier Dezimalbrüche in der konkreten Situation des Vergleichs von 1,3 und 1,12 nicht aufgefallen.

Zudem wird die Explikation dieser Aussagen in der diskursiven Praxis näher untersucht, denn erst durch die aktive Beteiligung am Diskurs wird das Denken und Handeln von Individuen zugänglich und kann entsprechend analysiert wer-den. Das Individuum bezieht durch die explizite Äußerung im sozialen Diskurs eine Position, für die es verantwortlich ist und sich durch das Hervorbringen von Begründungen rechtfertigen muss (vgl. Schacht 2012; Schindler 2014; Schindler/Hußmann/Nilsson/Bakker 2017).

Aufbau der Arbeit Kapitel 1 hat die Funktion, eine theoretische Rahmung für die vorliegende Ar-beit zu liefern, die als Grundlage der empirischen Untersuchung mit den oben beschriebenen Forschungsinteressen dient. Dazu erfolgt eine Beschreibung der lerntheoretischen Grundhaltung und weiterführend eine Erläuterung der Episte-mologie der inferentiell gegliederten Begründungsnetze, auf deren Basis sowohl individuelle Begründungsstrukturen beim Umgang mit Dezimalbrüchen be-trachtet als auch der Lerngegenstand als solcher beschrieben werden können. Dabei wird eine Beschreibungssprache zur Analyse individueller Denk- und Handlungsmuster hinsichtlich des Dezimalbruchverständnisses dargelegt.

In Kapitel 2 folgt die Spezifizierung und Strukturierung des Gegenstandsbe-reichs der Dezimalbrüche. Dabei werden u. a. die fachlichen und fachdidakti-schen Hintergründe sowie die Zahlbereichserweiterung auf der Grundlage des

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4 Einleitung

aktuellen Forschungsstandes beleuchtet, um die Basis für eine empirische Un-tersuchung zu schaffen.

In Kapitel 3 erfolgt die Darlegung und Erläuterung der zentralen For-schungsfragen für die vorliegende Arbeit, die sich aus den Erkenntnissen der ersten beiden Kapitel ableiten und somit maßgeblich durch die Rahmentheorie der Epistemologie der inferentiell gegliederten Begründungsnetze sowie die zentralen Aspekte des Lerngegenstandes getragen werden.

In Kapitel 4 wird das Design der empirischen Untersuchung vorgestellt, das die theoretischen Überlegungen sowie die Forschungsfragen aufgreift. Zudem wird die qualitative Auswertungsmethodik der vorliegenden Arbeit erörtert.

Kapitel 5 umfasst zunächst zwei Analyseteile in Form einer feinanalytischen Betrachtung zweier Fallbeispiele sowie einer phänomenologischen Betrachtung und Strukturierung individueller Interpretationen und typischer Phänomene beim Umgang mit Dezimalbrüchen. Dabei werden in einem Fazit jeweils die zentralen Ergebnisse zusammengefasst. Weiterhin werden in diesem Kapitel, auf der Grundlage der empirischen und theoretischen Erkenntnisse, Designprinzi-pien dargelegt, die zur Gestaltung eines Lehr-/Lernarrangements zum Aufbau bzw. zur Förderung des Dezimalbruchverständnisses relevant sind.

In Kapitel 6 erfolgt abschließend eine Zusammenfassung der vorliegenden Arbeit mit der Bündelung der zentralen Ergebnisse. In einem Ausblick werden weiterführend zunächst die Konsequenzen dieser theoretischen und empirischen Erkenntnisse reflektiert und letztlich mögliche Anschlussfragen skizziert.