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Drei gegen Gousharan

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Nr. 1888

Drei gegen Gousharan

In der Burg Dscherro - Siganesenals Jäger und Gejagte

von Hubert Haensel

Nachdem die Nonggo - gegen den Willen der Menschheit - das Heliotische Boll-werk im Solsystem installiert haben, kommt es zum ersten offiziellen Kontakt zwi-schen Gorhoon, der Galaxis der Nonggo, und der Milchstraße. Der Oktober 1289Neuer Galaktischer Zeitrechnung, der dem Oktober 4876 alter Zeit entspricht, könnteeigentlich eine neue Epoche in der terranischen Geschichte markieren: weg vomStreit zwischen den galaktischen Großmächten, hin zu einer Zusammenarbeit ver-schiedener Galaxien unter dem Dach der Koalition Thoregon. Doch dann läuft allesschief. Das Heliotische Bollwerk spielt verrückt, zuletzt vergeht es in einer giganti-schen Explosion. Zwei sogenannte Faktorelemente bleiben auf der Erde zurück - imUmfeld von Kalkutta und von Terrania. Das heißt, daß die betroffenen Gebiete, aufdenen jetzt Faktorelemente stehen, in einer anderen Region des Universums»gestrandet« sind.

Kalkutta-Nord kommt im Teuller-System heraus, der Heimat der Nonggo. Dort wer-den die Terraner zuerst mit den Aktivitäten konfrontiert, die der Chaosmacher vonNorrowwon im System der Nonggo entfesselt. Im letzten Moment kann die Lagedurch Perry Rhodan bereinigt werden, die Kalkuttani sind nunmehr in Sicherheit.

Wo der verschwundene Teil Terranias »gelandet« ist, weiß bislang niemand; zumAusgleich verstecken sich im Faktorelement in der terranischen Hauptstadt die bar-barischen Dscherro. Es gelingt den Dscherro-Kriegern, Terrania zu erobern; für dieMenschen in der Megalopolis beginnt eine Zeit der Leiden.

Ein Einsatzkommando der Siganesen versucht, in die Burg der Dscherro einzudrin-gen. Es kommt zum Kampf: DREI GEGEN GOUSHARAN …

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Die Hautpersonen des Romans:Domino Ross - Der siganesische Draufgänger nimmt es mit einem Serofen auf.Arno Wosken und Rosa Borghan - Zwei kleine Menschen beim Vorstoß in die Dscherro-Burg.Loren Misky - Der gefangene Terraner will nur noch überleben.Tschoch - Der Serofe der Dscherro wird zum Spielball.Fellokk - Der Anführer der Dscherro-Krieger wittert Verrat.

1.

Seit wenigen Minuten riß der Kampflärmnicht mehr ab; anhaltender Dinner rolltedurch die Straßenschluchten und brach sichzwischen den Ruinen. Dazu kam das ner-venzermürbende Knattern der Fahrzeuge,mit denen die Gehörnten Menschen jagten.

Gehetzt blickte Loran Misky um sich; erwollte gar nicht wissen, was draußen gesch-ah. Nur weg von hier, fort aus Terrania City,das zur Stadt des Todes geworden war.

»Nun mach schon, Mike! Wann schaffstdu es endlich?«

Seine Stimme bebte vor Furcht. Er wardurchgeschwitzt, das Haar klebte in fettigenSträhnen in der Stirn, und immer fahrigerwischte er sich mit dem Unterarm denSchweiß aus den Augen. Er hatte einen Feh-ler gemacht, hatte einen Dscherro erschos-sen aber dafür büßen, nein, das wollte ernicht.

»Mike …! Beeil dich!«»Sei still, Misky, oder ich …«Loran Misky wuchtete seine zwei Zentner

Lebendgewicht herum - bei einer Größe voneinsfünfundsiebzig war er durchaus füllig zunennen - und richtete den erbeuteten Strahlerauf den Transmittertechniker. »Du willst,daß uns die Dscherro kriegen«, keuchte er.»Was haben sie dir dafür versprochen, hä?Aber mit mir machst du das nicht, Mike,nicht mit mir …«

Aus den Augenwinkeln heraus registrierteer eine Bewegung und wich gerade nochrechtzeitig aus. Dem jungen Burschen, derversucht hatte, ihm die Waffe wegzuneh-men, rammte er den Lauf in den Bauch.

»Bleibt mir vom Leib!« heulte er. »Ichkönnte euch alle erschießen, alle. Dann hät-

ten die Dscherro weniger Mühe.«Keine der acht Personen, die außer ihm in

dem Warenlager Zuflucht gesucht hatten, in-teressierte ihn. Nur der Transmitter war eineinfaches Modell, für Warentransporte ge-dacht und in der Kapazität nur für jeweilszwei Personen ausgelegt, doch im Augen-blick verhieß er die Rettung.

Ein halb transparenter Formenergieaus-schnitt in der Außenwand ermöglichte denBlick auf den Canopus Boulevard, bis vorkurzem eine der Prachtstraßen Terranias,jetzt ein Trümmerfeld, übersät mit denÜberresten der eingestürzten Hochstraßenund ausgeglühten Gleiterwracks. Leichenhatte Loren Misky auch gesehen - und genauin dieser Sekunde war etwas in ihm zerbro-chen.

Leben wollte er, nicht so elend verreckenwie die da draußen, wie … Die Schatten dergroßen kegelstumpfförmigen Fahrzeuge derDscherro senkten sich herab. Nachdem vonirgendwoher wieder Terraner aus ihren Ver-stecken gekrochen waren …

»Nein!« krächzte Misky, als eine Frausich anschickte, die Formenergiebarriere ab-zuschalten. »Die Menschen sollen ver-schwinden! Wir sind schon zu viele hierdrin.« Mit der Waffe in der Hand bestimmteer, herrschte er über Leben und Tod. Endlichspürte Loren die Macht, der er sein Lebenlang nachgejagt war. Immer war er nurzweite Wahl gewesen, hatte nie das Glückgehabt wie andere … »Weg von den Schal-tungen, verdammt! Sonst haben wir in einpaar Sekunden die Dscherro am Hals.«

Ein Energienetz senkte sich auf den Bou-levard herab, hüllte die Fliehenden ein undließ ihnen keine Chance.

»Die Justierung greift!«Endlich! Misky fragte nicht, zu welcher

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Gegenstation das Gerät geschaltet war, daswar ihm völlig egal. Nur fort aus der HölleTerrania.

Die Freigabekontrolle flammte auf. Einwirres Grinsen auf den Lippen, hielt Miskydie anderen in Schach. »Der Reihe nach!«bestimmte er. »Erst ich - dann ihr.«

Das Entstofflichungsfeld baute sich auf.Bevor Misky reagieren konnte, sprang derTransmittertechniker nach vorne.

»Du Ar …« Der Aufschrei gefror LorenMisky auf den Lippen. Schlieren verwirbel-ten das energetische Muster, eine dräuendeSchwärze, als wäre plötzlich die Ewigkeitsichtbar. Oder der Hyperraum?

Der Techniker entmaterialisierte nicht,um im Empfangsfeld Atom für Atom wiederzusammengesetzt zu werden, er wurde ein-fach durchscheinend, seine Haut, die Orga-ne, die Knochen, und je mehr die Schwärzeum sich griff, desto weiter drückte ihn eineunsichtbare Kraft zusammen. Der Mann ver-formte sich, war nach Sekunden nur nochein Zerrbild - und verschwand, als dasTransmitterfeld flackernd erlosch.

Loren Misky stand mit offenem Mund da,unfähig zu begreifen, was geschehen war. Erwußte nur, daß er den Dscherro nicht mehrentkommen konnte. Die entsetzlichsten Ge-rüchte kursierten über die Gehörnten; eshieß, daß sie ihre Gefangenen folterten undauffraßen.

Eine Explosion in nächster Nähe ließ denUntergrund beben, unmittelbar darauf wälz-te sich eine Rauchwolke über den CanopusBoulevard. Wie Giganten einer anderenWelt brachen die Dscherro aus dem Qualmhervor.

»Die Formenergie abschalten!« brüllteMisky mit sich überschlagender Stimme.»Macht doch! Schnell!«

Er unterstrich die Forderung mit einemThermoschub gegen den ohnehin nutzlos ge-wordenen Transmitter. Es war also wahr,daß die Gehörnten energetische Vorgängestören konnten. Er würgte, schaffte es nicht,das heiße Drängen in seinem Magen zuignorieren.

Der Schweiß brannte wie Feuer in denAugen. Speichel tropfte aus seinen Mund-winkeln. Misky war das egal. Nur noch Pa-nik beherrschte ihn.

»Raus mit euch!« Herrisch winkte er mitder Waffe. »Oder soll ich euch Beine ma-chen?«

Die Kinder weinten, die Frauen wolltenaufbegehren, doch sein Blick ließ sie sofortwieder verstummen.

Die Dscherro kamen näher, als Misky alsletzter den Lagerraum verließ. Achtlos warfer den Strahler weg und riß die Arme hochüber den Kopf.

»Ich habe euch Gefangene gebracht«,keuchte er. »Ich erzähle euch alles, was ihrwissen wollt, alles - aber laßt mich am Le-ben.«

»Jammerlappen!« Eine der Frauen spuck-te ihm ins Gesicht. Bevor ihre Fingernägelihm jedoch ein bleibendes Andenken ver-passen konnten, schnürte ein Fangnetz diekleine Gruppe Verzweifelter so eng zusam-men, daß keinem mehr Freiheit blieb, als erzum Atmen brauchte.

Aber doch nicht mich, schoß es LorenMisky durch den Sinn. Ich helfe euch doch,ihr könnt mich nicht so einfach mit demPack davonschleppen. Nicht mich …

*

Von einer Sekunde zur anderen fielen Ci-stolo Khan vor Erschöpfung die Augen zu.Szenen aus Terrania waren auf den Monito-ren zu sehen - schreckliche Bilder, die miter-leben ließen, wie die vor Tagen noch stolzeCity von den Dscherro überrannt wurde.Nichts konnte die Gehörnten aufhalten; dieterranischen Truppen standen auf verlore-nem Posten, ihre Rückzugsmeldungen häuf-ten sich.

»Uns bleiben nur noch Verhandlungen.«Der LFT-Kommissar schreckte auf, blin-

zelte und wischte sich mit einer Hand überdie Augen. Sein Blick heftete sich auf denMann, der von Verhandeln sprach.

»Wurden Forderungen gestellt?«

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»Das ist wohl nur noch eine Frage derZeit.«

Wenig war von Khans Elan und Charismageblieben. Die dunklen Bartschatten ließensein Gesicht kantig erscheinen, ausgemer-gelt beinahe, und das wirr auf die Schulternfallende Haar verstärkte den Eindruck noch.Niemand wäre auf die Idee gekommen, indiesem Zwei-Meter-Mann die derzeit wich-tigste Führungsperson der LFT zu sehen.

»Wir müssen sie aufhalten!« Das klangwie ein Schwur. Atlan sah, daß Khan dieFäuste verkrampfte, daß seine Wangenkno-chen kantig hervortraten und ein wildes Feu-er in seinen Augen loderte. »Wir werden dieStadtteile abriegeln, in denen die Dscherrohausen, die Raumer müssen Schirmfelderprojizieren und …«

Mehrere Schirme wurden dunkel. KeinKontakt mehr zu den Truppen nordwestlichdes Karakoto-Rings in der Aldebaran Area.Zweitausend Mann und ebenso vieleKampfroboter waren dort aufmarschiert, umden Fremden Widerstand zu leisten. Vergeb-lich, wie es schien.

Einsatz von Tokchern, erschien eine syn-tronische Einblendung.

Die Waffenarsenale der Dscherro mach-ten es den Verteidigern schwer, Widerstandzu organisieren. Zumal der Einsatz schwer-ster Waffen zumindest auf terranischer Seiteausgeschlossen blieb; das war schon einemoralische Verpflichtung der Bevölkerunggegenüber.

Tokcher wurden die dreißig Zentimeterdurchmessenden fliegenden Minen genannt,die elektrische und hyperfrequente Quellenanpeilten und bei ihrer Explosion den Be-trieb von Funkgeräten ebenso nachhaltigstörten wie Transmittersendungen undSchutzschirme.

»Vielleicht«, bemerkte Atlan leise,»sollten wir den Dscherro bald ein Verhand-lungsangebot unterbreiten.«

Khan wirbelte herum. Ungehalten blickteer den unsterblichen Arkoniden an; schiennicht glauben zu können, was er eben gehörthatte. Terrania aufgeben, vor Invasoren ku-

schen, die nichts weiter zu sein schienen alsbrutale Plünderer, denen frühere Erfolge zuKopf gestiegen waren - niemals!

»Ich meine es ernst«, bekräftigte Atlan.Khan biß sich die Unterlippe blutig. Be-

tretenes Schweigen herrschte im Hauptquar-tier der Verteidigung, ein Dutzend Augenund mehr hatten sich auf ihn gerichtet. DieAnspannung der Männer und Frauen wardeutlich zu spüren. Jeder hatte Freunde oderVerwandte in Terrania und wußte nicht, wasmit ihnen geschehen war, ob sie überhauptnoch lebten. Die Sicherheitsüberwachungder meisten Wohnungen durch die lunareSyntronik NATHAN hatte ein jähes Endegefunden.

Der LFT-Kommissar bebte, als er sichdem Arkoniden zuwandte. »Ich hoffe, duhast gewichtige Gründe für deinen Vor-schlag.« Seine Stimme klang kalt. »Wenndie Dscherro sehen, daß sie uns kriegen,werden ihre Forderungen in astronomischeHöhen emporschnellen. Ich will Terra nichtan diese Banditen verschachern, damit dasklar ist.«

»Ihre Forderungen werden horrend sein.«Atlan nickte. »Aber wir gewinnen dabeiZeit. Einen Tag, vielleicht sogar zwei oderdrei.«

»Natürlich - falls deine Siganesen erfolg-reich sind, hilft uns das weiter. Falls nicht…« Cistolo Khan hob die Schultern und ließsie langsam wieder sinken.

»Falls nicht, hat eine Atempause manchendas Leben gerettet oder ihnen eine Chancegegeben, sich in Sicherheit zu bringen. Soll-te es das nicht wert sein, eine vermeintlicheSchwäche zu zeigen?«

Khan blickte forschend in die Runde. Ersah müde Gesichter, nur in wenigen Augen-paaren schlummerte noch Hoffnung.

»Insgesamt fast neunzig Millionen Perso-nen haben ihre Wohnungen verlassen und inder Regel nur mitgenommen, was sie amLeib trugen«, faßte er zusammen. »Die Vor-orte sind geräumt, sind Geisterstädte, in de-nen Roboter patrouillieren, um Plünderun-gen zu verhindern. In Terrania selbst haben

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einige Millionen Menschen und Galaktikerdie Chance nicht mehr nutzen können, sichin Sicherheit zu bringen. Viele haben sichverbarrikadiert, andere führen Partisanen-kämpfe. Aber das sind Einzelfälle, und Mutund eine Handvoll Waffen ersetzen keineKampferfahrung. Unsere regulären Truppenhaben Befehl, jeden auszufliegen, den sieaufspüren.«

»Abgesehen davon halten die Dscherro inden Straßen und Ruinen immer noch rundeine Million Geiseln gefangen«, erinnerteAtlan mit Nachdruck.

Das gab den Ausschlag. Cistolo Khan be-gann zumindest zu überlegen, ob er ein Ver-handlungsangebot an die Invasoren formu-lieren sollte.

*

Ungefähr zur selben Zeit strahlte DominoRoss einen weiteren Kurzimpuls an die beider Faktordampf-Barriere zurückgebliebe-nen Siganesenroboter ab. Der gesamte Bild-speicherinhalt seines SERUNS wurde über-mittelt.

In schweißtreibender Justierarbeit hatteArno Wosken zwei weitere Schirmfeldag-gregate der Dscherro-Burg Gousharan mani-puliert. Es war schwierig genug gewesen,die Projektoren so zu verändern, daß sieStrukturlücken in Nanosekundenintervallenöffnen konnten, ohne daß dies an zentralerStelle als Ausfall registriert wurde. Die Kop-pelung an einen niederfrequenten Sender si-ganesischer Bauart gewährleistete die exaktezeitliche Abstimmung.

Der Schutzschirm um die Burg war daserste Hindernis, wenn es darum ging, Atlanund Cistolo Khan zu informieren. Ebensomußten später für die beiden Mini-Transmitter Strukturlücken geschaffen wer-den.

Das zweite Hindernis war die Barriere,die das Faktorelement als Nebelwand umgabund Energien so stark streute, daß weder Or-tungen noch Waffen wirkungsvoll eingesetztwerden konnten. Paul und Paula, die beiden

Siganesenroboter, hatten empfangene Sen-dungen durch die Barriere zu transportierenund von außerhalb weiterzuleiten. Eine um-ständliche Lösung, aber die einzig praktika-ble.

Lustlos kaute Arno Wosken auf einemKonzentratriegel. Er schaute erst Dominoan, dann Rosa Borghan, und schließlich glittsein Blick zurück.

»Nach der Anstrengung brauchte ich ei-gentlich was Vernünftiges zwischen dieZähne. Ein Oxtorne-Schnitzel wäre das rich-tige.«

Domino Ross zeigte ein spöttisches Grin-sen. »Ich glaube nicht, daß dir nach einerZweijahresration wohler wäre.«.

»Ist sowieso alles zum Kotzen!« schimpf-te Wosken. »Wie die Dscherro mit ihren Ge-fangenen umspringen, das schreit zum Him-mel.«

»Es liegt an uns, dem ein Ende zu berei-ten.«

Sie hatten sich auf die Ebene über denVerliesen zurückgezogen. Fünfhunderttau-send Gefangene, das war eine Zahl, dieangst machte. Hunger und Durst würden siebald ebenso zermürben wie die Folter mitNeuropeitschen oder anderen Instrumenten.Und die ersten Erkrankungen infolge man-gelhafter sanitärer Einrichtungen waren beiden hygienisch verwöhnten Terranern wohlnur eine Frage der Zeit.

Die Siganesen hatten entschieden, ihrenStützpunkt in der Nähe der Gefangenen ein-zurichten. Nicht zu nahe, um die Gefahr zuvermeiden, von Dscherro oder deren Robo-tern entdeckt zu werden, aber auch nicht zuweit entfernt. Khans Einsatztruppen würdenzu gegebener Zeit leistungsstärkere Trans-mitter mitbringen; keine Frage, daß versuchtwerden sollte, möglichst viele Geiseln überdiese Transmitter in Sicherheit zu bringen.Deshalb war die Ebene über den Verliesenideal. Auch hier das schon bekannte Laby-rinth verschlungener Gänge und großräumi-ger Gewölbe. Der äußere Eindruck einesstählernen Termitenhügels bestätigte sich imInnern der Burg Gousharan.

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Auch hier hatten die Siganesen wieder dasweitverzweigte Röhrensystem entdeckt. Vie-le der schmalen Schächte verliefen in denZwischendecken und in Hohlräumen zwi-schen den einzelnen Gewölben.

»Roboter!« warnte Domino.Die drei hatten Routine entwickelt, inner-

halb von Sekunden unterzutauchen. Ihre elfZentimeter Körpergröße kamen ihnen dabeizugute. Auf die Deflektorschirme verzichte-ten sie. Roboter würden vielleicht dieschwachen Emissionen der SERUNS orten.Das Risiko war zu groß.

Die Dscherro hatten ihr Heer bunt zusam-mengewürfelt. Obwohl nur dreißigKampfroboter diesen Gangabschnitt passier-ten, zählte Domino Ross sieben verschiede-ne Formen, angefangen vom Kegelstumpfmit einem halben Dutzend tentakelförmigerWaffenarme bis hin zu einem würfelförmi-gen Gebilde, dessen blinkenden Sehzellenetwas Anachronistisches anhaftete.

Zweifellos waren diese MaschinenKriegsbeute, den verschiedensten Völkernabgepreßt, und wenn sich nichts Grundle-gendes veränderte, würden bald auch terra-nische Kampfroboter … Domino Ross spür-te einen eisigen Schauder - eine der letztenMaschinen zeigte menschliche Körperfor-men. Zweieinhalb Meter groß, schätzungs-weise, mit rundem Schädel, Brustkorb undzylinderförmigem Hüftteil. Neben zwei Ge-lenkarmen ragten aus der Brustplatte kurzeWaffenarme hervor, an der Hüfte war zu-sätzlich eine altertümliche Handwaffe befe-stigt ein Nadel-Impulsstrahler ältester Bau-weise, kramte Domino Ross aus seinem Ge-dächtnis hervor. Glühende Augenzellendrehten unablässig von einer Seite des Kor-ridors zur anderen.

Domino Ross drängte sich enger in dieWandnische, in der er Zuflucht gefundenhatte. Rosa und Arno konnte er von seinemVersteck aus nicht sehen, wohl aber dieRückenbeschriftung des Kampfroboters:TKR-2400/III.

Das war Interkosmo. Vermutlich handeltees sich um ein uraltes Whistler-Modell. Sol-

che Maschinen waren längst verschrottet,einzelne Exemplare standen bestenfalls nochin Museen oder bei privaten Sammlern.Kein Zweifel, die Dscherro hatten denKampfroboter - als Beute mitgebracht - fürihre Zwecke umprogrammiert.

»Bald kämpfen unsere Truppen gegen dieeigenen Roboter«, murmelte Domino imSelbstgespräch.

»Du hast ihn also auch gesehen?« ArnoWosken hatte sein Versteck wieder verlas-sen, als die Roboter hinter einer Abzwei-gung verschwunden waren.

Domino nickte knapp. Suchend blickte erum sich. »Wo ist Rosa?«

»Sie kann nicht weit weg sein.«»Rosa!« Halblaut rief Domino Ross den

Korridor entlang.Da er keine Antwort erhielt, aktivierte er

den Helmfunk. Reichweite auf Minimum.Nichts.

»Keine Blutspuren«, sagte Arno Wosken.»Die Roboter haben sie jedenfalls nicht …«

»Noch ein Wort, und du verschluckst dei-ne Zähne.« Ross drohte mit der Faust. DaßArno hin und wieder das Gemüt einesSchlachtermeisters entwickelte, war allge-mein bekannt, aber im Moment denkbar fehlam Platz.

»Wo stand sie, als die Roboter kamen?«Das war knapp zwei Meter entfernt gewe-

sen, vor einer Wand, die keine Nischen bot,nichts, was Rosa Gelegenheit gegeben hätte,sich zu verbergen. Und so unvorsichtig, inGegenwart der Roboter ihr Flugaggregat zuaktivieren, wäre sie nie gewesen.

Unvermittelt legte Wosken den Kopfschräg, schien zu lauschen.

»Was ist?«»Ich weiß nicht. Ein Klopfgeräusch mög-

licherweise.«Sie waren umgeben von einem steten Ge-

räuschpegel, den sie schon weitgehend nichtmehr wahrnahmen; Boden und Wände über-trugen das Dröhnen von Energieerzeugernund anderen Maschinen. Selbst in terrani-schen Hochhäusern herrschte nie völligeStille, es sei denn, Dämpfungsfelder wie in

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Ruhe- und Erholungsräumen wurden akti-viert.

»Das kommt von unten«, behaupteteWosken.

Unter ihnen war fester Boden, grobpori-ger Belag wie überall. Aber … Ross fragtesich plötzlich, ob er nicht vor wenigen Mi-nuten eine andere Struktur gesehen hatte.

»Du bist im Zweifel?« Wosken ließ sichin die Hocke nieder und fuhr prüfend mitden Händen über den Belag. Einer Einge-bung folgend, zog er seinen Strahler undklopfte mit dem Kolben der Waffe auf dasrauhe Material. »Der Boden hat sich verän-dert«, behauptete er.

Domino Ross suchte nach einer Fuge, diewenigstens die Abgrenzung des verändertenTeilstücks verriet. Erfand einen kaum einenhalben Millimeter breiten Spalt.

»Erhöhte Energiewerte«, machte ihn derServo aufmerksam. »Unterhalb existierenHohlräume und eine freie Energieform.«

Rosa antwortete nicht über Funk. Aberdie Klopfzeichen schienen drängender zuwerden, oder war es nur, weil Domino undArno die Akustiksensoren auf höhere Emp-findlichkeit justierten?

Dscherro hasteten vorüber. Sie bemerktendie Siganesen nicht, die im Schutz ihrer De-flektorschirme weiterarbeiteten. Mittlerweilewaren Rosas Klopfzeichen verstummt. ZweiÜberbrückungsschaltungen, in den Trenn-spalt eingeführt, sorgten dafür, daß der Bo-den sich in einem Feld von zwanzig malzehn Zentimetern auflöste. Er bestand hiernur aus Formenergie.

Rosa stand einen halben Meter tiefer undblickte ihnen entgegen. »Der Raum hier un-ten ist weitgehend abgeschirmt«, sagte sie.»Ich weiß nicht, welchen Kontakt ich ausge-löst habe, daß ich hierhergelangt bin - aberseht euch das an! Alles wie für uns geschaf-fen.«

*

Um Rosas Mundwinkel zuckte es verhal-ten. Silbrig schimmerten die in ihrem Haar

verknüpften Howalgoniumfäden, die wieLocken vor ihrer Stirn hingen. Dahinter wardie Haut aufgeschürft und blutig, die Stirnbis zur rechten Augenbraue begann sichdunkel zu verfärben. Sie hatte ziemlich hef-tig »herausgefunden«, was sich unter demBoden verbarg.

Interessiert registrierte Domino, daß seit-lich zwei der dreißig Zentimeter durchmes-senden Röhren mündeten. Schächte der Kli-maanlage seien es, hatte er bislang geglaubt,aber das waren sie wohl doch nicht.

In dem Moment kippte Rosa um. Erstjetzt entdeckte Domino die blutverkrusteteBeule an ihrem Hinterkopf.

Alle Funktionen ihres Schutzanzugs wa-ren abgeschaltet, dem Servo war es deshalbnicht möglich gewesen, selbständig einzu-greifen. Domino reaktivierte die Schaltun-gen. »Analysiere den Gesundheitszustanddeiner Trägerin!« verlangte er.

Der Blutdruck war niedrig, die Atmungverlangsamt, aber beides gab noch nicht An-laß zur Sorge. Außerdem wurde ein schwa-ches Schädel-Hirn-Trauma diagnostiziert,das nur vom Schlag mit einem stumpfen Ge-genstand herrühren konnte; keine Fraktur.Der Servo injizierte über die Halsarterie einkreislaufstabilisierendes und schmerzlin-derndes Medikament.

»Wird sie wieder?« Arno Wosken ließsich langsam ebenfalls nach unten sinken.

Gleichzeitig schlug die Frau die Augenauf. »Küß mich«, hauchte sie, schien in ei-ner Traumwelt gefangen zu sein. Ihr Blickschweifte die düstere Röhre entlang undprompt begann sie zu schreien. Es war einSchrei, der Qual und Unverständnis aus-drückte, aber erstickt abbrach, als DominoRoss Rosas Mund mit seinen Lippen ver-schloß. Ihre Arme zuckten, sie versuchte,den Hünen abzuwehren, doch ebenso über-raschend schlang sie die Arme um seinenNacken und erwiderte den Kuß. Mit einerLeidenschaft, als wäre ihr eben das Lebenneu geschenkt worden. Ihre Finger kralltensich in Dominos schwarzes Haar, tastetennach vorne zu den Enden seines zu Zöpfen

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geflochtenen Bartes …»Dscherro!« rief Arno Wosken und grin-

ste breit, als Domino wie von der Tarantelgebissen Rosa von sich stieß. »Aus dem Ret-tungsversuch muß nicht gleich eine Orgiewerden«, fügte er spöttisch hinzu. »Ich be-komme übrigens deutlichere Meßergebnisseherein, in der Röhre arbeiten Fünf-D-Strahler.« Er verstummte, weil die Frauden Wiedergabemodus der SERUN-Speicherung aktivierte.

Wosken war zu sehen, wie er mit zweiweiten Sprüngen floh, dann erfaßte die Op-tik die anrückenden Kampfroboter. Gefähr-lich nahe waren sie schon. Rosa hatte keingeeignetes Versteck gefunden und den De-flektor aktiviert. Etwas Dunkles, Schlauch-förmiges zuckte heran, in der Wiedergabenicht zu erkennen, aber vermutlich der Ten-takelarm eines der Roboter. Rosa wurdeschwer getroffen und herumgewirbelt, in ei-ner Reflexbewegung schaltete sie alle Funk-tionen des SERUNS ab, nur noch beseelt vondem Gedanken, die scheinbar unvermeidli-che Energieortung zu verhindern. Die Auf-zeichnung ließ noch erkennen, daß sie in denBoden eindrang, dann war nichts mehr.

An Details konnte Rosa sich nicht erin-nern.

»Partielle Amnesie als Folge einesSchocks«, folgerte Arno Wosken. »Ich fragemich nur, ob sie mich ebenfalls so geküßt…« Dominos Blick zwang ihn, den Mund zuhalten.

Gerade mal fünf Meter von der Mündungentfernt stießen sie auf High-Tech, die indem schmalen Lüftungsschacht keiner er-wartet hätte. Eine Uberwachungs- und Auf-zeichnungsanlage; Bildschirme mit einerDiagonale von knapp drei Zentimetern; Sen-sorfelder, die bestenfalls von Siganesenhän-den bedient werden konnten. Dscherrokral-len hatten hier nichts verloren. Abgesehendavon stammte die nur zwanzig Zentimetermessende Anlage gewiß nicht von den Ge-hörnten, es mußte sich um Beutetechnikhandeln.

»Wie geschaffen für Siganesen.« Domino

Ross brauchte nicht lange, um einige Schal-tungen zu durchschauen. Die Anlage dienteder Überwachung eines Teils dieser Etage.Nacheinander holte er verschiedene Gangab-schnitte auf die Bildschirme. Sie sahenDscherro, die Gefangene vor sich her trieben- und unvermittelt waren sie mittendrin inden Verliesen, in denen Terraner unter un-würdigen Bedingungen zusammengepferchtwaren.

»Wozu die Überwachung?« fragte Wos-ken. »Sind die Dscherro untereinander un-eins?«

»Wäre nicht schlecht«, meinte Rosa.»Die Aufzeichnung erfolgt automatisch«,

stellte Ross fest. »Da die Dscherro bestimmtnicht in diesen Schächten herumkriechen,wird das Ergebnis wohl von der Zentrale ausabgerufen werden.« Er vollführte eine ab-wehrende Handbewegung, weil er den Ein-wand seiner Begleiter ahnte. »Ich bin schondabei, die Aufzeichnungen zurückzufahren.Aber falls wir hier erwischt wurden, kanndas an anderen Stellen ebenso geschehensein.«

Grimmig massierte Wosken sein Kinn.»Ein Mist ist das! Für uns heißt das, entwe-der die Deflektorschirme ständig benutzenund damit das Ortungsrisiko vergrößernoder über kurz oder lang von der optischenÜberwachung entdeckt werden.«

»Und welches von beiden Übeln ist daskleinere?« Rosa starrte auf den Drei-Zentimeter-Monitor, auf dem sie sekunden-lang zu sehen war. Zu einem Zeitpunkt, kurzbevor die Roboter erschienen waren.

»Okay«, sagte Domino. »Wir löschen's.«»Die Manipulation wird auffallen.«»Ein technischer Fehler, mehr nicht. Kein

Dscherro wird auf die Idee kommen, daß esSiganesen gibt.«

2.

Die Dscherro brachten neue Gefangeneund technische Beute. Unter normalen Um-ständen hätte Bousseor sich sofort ein inter-essantes Aggregat herausgesucht, und seine

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Haut wurde schon bei dem Gedanken daranschleimig wäßrig - doch diesmal unterdrück-te er seine Gier.

Eben erst hatte er einen zweiten Funkim-puls empfangen, ein Signal, das eindeutigaus der Burg stammte, ultrakurz und mithöchster Informationsdichte, aber von kei-nem Dscherro.

Bousseor benötigte geraume Zeit, um dasSignal zu dehnen. Dennoch schaffte er esnicht, Absender und Inhalt herauszufinden.Die Sendung war kompliziert verschlüsseltund gehackt.

Mit beiden oberen Armen wischte Bous-seor sich über die seitlichen Augen, die un-teren Arme führte er zum Mund knapp überdem Halsansatz - eine Geste des Nachden-kens und Nicht-gestört-werden-Wollens.Der Absender hatte es fertiggebracht, denSchutzschirm der Burg zu überwinden. Aberzweifellos nicht die Barriere, die Gousharanvom Planeten Thorrim aus in diesen unbe-kannten Bereich des Weltraums versetzt hat-te …

Flüchtig dachte Bousseor daran, daß der»Ungehörnte« versprochen hatte, das Helio-tische Bollwerk werde den Dscherro das Torzu allen Reichtümern des Universums öff-nen.

… falls der Terraner wußte, daß der Raf-ferimpuls die Nebelwand nicht durchdringenkonnte, bedeutete das zwangsläufig, daß einHelfer innerhalb der Barriere wartete, umdie Aufzeichnung von innen nach außen zutragen. So einfach war das.

Bousseors Pflicht wäre es gewesen, denzuständigen Serofen zu verständigen. Aberwas hatte er schon in der Hand? Nichts au-ßer Vermutungen und nur halb beweisbarenTatsachen.

Der Rafferimpuls war mit engem Vektorabgestrahlt worden. Das half, den Bereichdes vermeintlichen Empfängers einzugren-zen.

Bousseor war so stark erregt wie langenicht mehr. Erneut wischte er sich Schleimvon den Lidern und verteilte ihn übers ganzeGesicht, anschließend griff er nach einer

schweren Handfeuerwaffe und mehrerenselbststeuernden Minen und verließ denÜberwachungsraum.

Die Funkanlage seines Anzugs war aufdie fremde Frequenz justiert. Bousseor durf-te sicher sein, daß er weitere Rafferimpulsesofort registrieren würde.

*

Die Siganesen hatten den geeignetenRaum für ihren Stützpunkt gefunden: auf derEbene über den Verliesen der Terraner, ingreifbarer Nähe einer Schaltstation, die alsstarke Energiequelle Streustrahlung emittier-te. Allem Anschein nach wurden von hieraus hydroponische Gärten und ähnliche An-lagen überwacht, die eine vorübergehendeautarke Versorgung der Burg ermöglichensollten.

Die Wahl war auf ein Deckensegment undeinen Hohlraum von gut einem Quadratme-ter Grundfläche gefallen. Die Siganesen hat-ten in die Deckenverkleidung eine Öffnungvon zehn mal zehn Zentimetern geschnittenund das herausgetrennte Stück in ein leichtbewegliches Schott verwandelt. Für jeden,der nicht auf die Schnittstelle schaute, wardie Veränderung nicht wahrnehmbar.

Während Domino Ross die Feinarbeit er-ledigte, fiel es Rosa und Arno zu, die in denMaschinenräumen zurückgelassene Anti-gravscheibe mit den Transmitterbausteinenund der übrigen Ausrüstung herbeizuschaf-fen. Als die beiden nach mehr als zwei Stun-den noch immer verschwunden blieben, be-schlich Ross eine ungute Vorahnung. Was,wenn seine Begleiter von Dscherro entdecktund gestellt worden waren? Er dachte nichtdaran, stur wie ein Roboter zu reagierennicht, wenn Rosa Borghans Gesundheit aufdem Spiel stand. So schwer ihm das Einge-ständnis fiel, Rosa bedeutete mehr für ihnals nur eine flüchtige Affäre. Das war ihmendgültig bewußt geworden, als er sie ohn-mächtig in den Armen gehalten hatte; derGedanke, sie zu verlieren, besaß etwas Er-schreckendes.

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Ohne die fehlenden Ausrüstungsgegen-stände gab es für ihn wenig zu tun. Dominobegann eine unruhige Wanderung, dreißigSchritte hin und dreißig zurück. Zufrieden-stellend war das nicht. Sekundenlang hielt erinne, dann öffnete er die Klappe und ließsich vom Antigrav und im Schutz der Un-sichtbarkeit nach unten tragen.

Es war Wahnwitz, Rosa und Arno aufspü-ren zu wollen. Die beiden konnten jedendenkbaren Weg genommen haben.

Aber dreieinhalb Stunden inzwischen.Wie hatte Arno gesagt? »Wir kriegen dieDscherro am Arsch, das schwöre ich!« Hof-fentlich war es nicht umgekehrt.

Lärm brandete auf. Dscherro trieben eineGruppe Gefangener vorbei, Frauen, Kinderund einige Männer. Sie sprangen mit ihnenschlimmer um als mit einer Viehherde.

Ein kleiner Junge stolperte über die eige-nen Beine, stürzte und schlug sich das Ge-sicht blutig. Wimmernd rollte er sich zusam-men und reagierte nicht, als ihn einer derGehörnten in seiner bellenden Sprache an-brüllte. Der Dscherro riß den Jungen hochund stieß ihn wie einen Spielball von sich;der Kleine ruderte mit den Armen, pralltegegen die anderen Geiseln und riß drei odervier mit sich zu Boden.

»Schweine seid ihr - elende Bastarde!«Eine ältere Dame - Domino schätzte sie aufmindestens hundertvierzig, und ihre vor kur-zem noch elegante Kleidung war verdrecktund zerfetzt - verlor die Beherrschung. Mitbloßen Fäusten stürzte sie sich auf denDscherro. »Bedeutet Leben euch überhauptnichts?« schrie sie mit sich überschlagenderStimme.

Sie wollte dem Gehörnten die Waffe ent-reißen; doch der Dscherro stieß nur einenGrunzlaut aus, als er mit einer Pranke ihreHandgelenke umklammerte und sie ruckar-tig an sich zog.

»Bestien seid ihr, unmenschliche Tiere,möge die tiefste Hölle euch …«

Der Dscherro bewegte nur den Kopf, einkurzes, ruckartiges Nicken, aber sein Stirn-horn drang durch Fleisch und Sehnen. Aus

weit aufgerissenen Augen starrte die Frauihn an, unfähig zu verstehen, was mit ihr ge-schah. Sie war schon tot, als der Dscherrosie aus seinem Griff entließ.

Daß die Kinder sich kreischend aneinan-derdrängten, daß eines beim anderen Schutzsuchte, interessierte die Gehörnten nicht.Wer nicht schnell genug reagierte, bekamdie Schockpinsel zu spüren.

Domino, der im Schutz der Unsichtbarkeitdie entsetzliche Szene beobachtet hatte, beb-te vor Zorn. Seine Rechte verkrampfte sichum den Kolben seines Strahlers. Keinerdurfte ihm kommen und versuchen, die Ver-brechen der Dscherro mit deren fremdartigerMentalität zu erklären oder womöglich mitdem Schock, den die Versetzung ihrer Burgnach Terrania bei ihnen ausgelöst hatte. Sol-che Brutalität war mit nichts zu rechtferti-gen.

Achtlos stieß der Dscherro den Leichnamzur Seite - dann riß er die nächste Frau anden Schultern herum und begann sie zuschütteln, als wolle er ihr alle Knochen imLeib brechen.

Das war mehr, als Domino Ross verkraf-ten konnte. In dem Moment dachte er wederan die eigene Sicherheit noch daran, daß Ra-che niemals eine Bluttat ungeschehen ma-chen konnte. Er sah nur die kalkweißen Ge-sichter der Kinder, das Grauen in ihren Au-gen - und spürte plötzlich die Thermitgrana-te in seiner Hand.

»Ich krieg' dich, du Mistkerl!« Beinahehätte er den Satz laut hinausgeschrien. DieBeschleunigung des Gravo-Paks riß ihn vor-wärts.

Er landete auf der Schulter des Dscherro,der grunzend den Kopf drehte. Der Kerl sahnichts, spürte aber gleichwohl die Berührungund schlug mit der Linken zu, als wolle erein lästiges Insekt verscheuchen. Dominohatte da die Granate schon in das Ketten-hemd des Gehörnten fallen lassen undschwebte mit dem Antigrav in die Höhe.

Der Dscherro stieß ein urwüchsiges Brül-len aus, als sein Wams aufzuglühen begann.Innerhalb von zwei Sekunden entfaltete die

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Thermitladung ihre volle Energie. Der Ge-hörnte verbrannte in einer irrlichternden Er-scheinung. Für die anderen mußte es ausse-hen, als hätten sich die Energiemagazineentzündet, die er am Körper trug.

Domino erstarrte innerlich, als er sah, daßeiner der Dscherro die Waffe hob und aufeinen dicken Mann mit schweißtriefendemGesicht und klatschnaß im Nacken kleben-dem Haar zielte. Sonst reagierten die Frem-den nicht auf den ungewöhnlichen Vorgang.Sie waren den Tod gewohnt.

Das hatte er nicht gewollt. Domino rißden Strahler von der Magnethalterung undnahm die Waffe in beide Hände. Er konntenicht mehr zurück; er hatte getötet, um Le-ben zu retten, und er würde wieder tötenmüssen, sollte nicht alles noch schlimmerwerden. Ein Teufelskreis, den er losgetretenhatte.

»Nicht schießen!« Der Dicke sackte in dieKnie. »Nicht schießen, bitte nicht. Waswollt ihr von uns? Sagt es doch endlich, aber… bitte, laßt mich am Leben.« Schluchzendsank er vornüber, von Zuckungen geschüt-telt, und er schrie auf, als der Dscherro ihnmit dem Ende der Waffe berührte. »Tut mirnichts! Nein!«

Der Gehörnte stieß ihn unsanft vorwärts.Weiter ging es, einem ungewissen Schicksalentgegen.

Domino Ross atmete erleichtert auf. Erhätte sich selbst nicht mehr anschauen kön-nen, hätten die Terraner für seine unüberleg-te Tat leiden müssen. Damit, daß er denDscherro getötet hatte, wurde er hoffentlichbald fertig.

Er folgte den Dscherro, bis er sicher seinkonnte, daß sie ihre Gefangenen nicht fürden Zwischenfall zur Rechenschaft ziehenwürden, dann drehte er um. Ohne weiterenAufenthalt erreichte er die Maschinenhalle,in der die Antigravscheibe mit der Ausrü-stung zurückgeblieben war.

Nichts davon war noch da.Falls die Gehörnten das Versteck entdeckt

hatten, standen nicht nur miniaturisierteSpionagegeräte im Wert von einigen Millio-

nen Galax auf dem Spiel …Auf dem Absatz machte Domino kehrt.

*

»Du vergnügst dich in Gousharan, wäh-rend Arno und ich Blut und Wasser ge-schwitzt haben.« Rosas Gesichtsausdrucksprach Bände. »Und dann jagst du mir nocheinen Riesenschreck ein - ich fürchteteschon, die Dscherro hätten dich erwischt.«

Die Siganesin war ernsthaft wütend. Ab-schätzend wog sie ein Stück des zerlegtenTransmitterrahmens in der Hand; es sah aus,als wollte sie sich damit auf Ross stürzen.

»Fertig?« fragte er nur.Rosa schnappte nach Luft. »Ist das alles,

was du dazu zu sagen hast? Ich …«»Du hattest Angst um mich?«Ihre Miene verhärtete sich. »Quatsch!«

stieß sie hervor. »Ganz bestimmt nicht.Nicht um jemanden, der so von sich über-zeugt ist.«

»Dann reg dich nicht künstlich auf! Stach-lig wie ein Kaktus gefällst du mir nicht.«

Wortlos wandte Rosa sich wieder derAusrüstung zu. Gemeinsam mit Arno Wos-ken hatte sie begonnen, die wichtigsten An-lagen zusammenzubauen. Das Detektorsy-stem, das Energieflüsse in Gousharan auf-spüren, aufzeichnen und zu einem Über-sichtsplan zusammenfügen würde, warschon an die zentimetergroße Zerfallsbatte-rie angeschlossen.

Ein Dutzend positronisch gesteuerte»Milben« warteten auf ihren Einsatz. Nurdrei Millimeter groß, mit acht winzigenGliedmaßen versehen, waren sie für unter-schiedliche Einsatzzwecke programmierbar.Rosa würde einige von ihnen auf der Suchenach »maßgeblichen« Dscherro einsetzen.Der einzige Nachteil der »Milben« bestanddarin, daß ein direkter Funkkontakt nichtmöglich war. Sie erledigten ihre Aufgabevor Ort und kehrten danach an den Aus-gangspunkt zurück, um ihre Datenspeichervon einer größeren Syntronik »leeren« zulassen.

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»Wir schicken die Milben los und gehenselbst auf Erkundung«, bestimmte Ross.»Zum einen müssen wir über die Verhältnis-se innerhalb der Burg bestens Bescheid wis-sen, zum anderen brauchen wir Räumlich-keiten, in denen die Terraner ihre starkenTransmitter installieren können. Und das al-les muß dann in Minutenschnelle vor sichgehen, sonst …«

»Um auf den Kaktus zurückzukommen«,unterbrach Rosa. »Du hältst mich also fürstachlig?«

»Warum so gereizt?«»Ich bin nicht gereizt, ganz und gar nicht.

Mir gefällt es nur nicht, wie die Dscherromit ihren Geiseln umspringen und sich auf-führen, als seien sie die Herren über Lebenoder Tod. Auf dem Rückweg haben Arnound ich gesehen, wie Roboter zwei tote Ter-raner weggeschleppt haben. Die Dscherrohatten sie mit ihren Hörnern aufgeschlitztkein angenehmer Anblick, sag' ich dir.Wenn hier also jemand stachlig ist, dann mitSicherheit nicht ich, sondern diese blutrün-stigen Gehörnten.«

»Zur Versöhnung wird Domino dichgleich als seine Blüte bezeichnen«, warfWosken ein.

Sie redeten, um sich abzulenken. ZuvielTod und menschliches Leid hatten sie inTerrania gesehen, und solche Gedankenlähmten.

»… höchstens als Kaktusblüte«, sagteRoss. Er stutzte, grinste herausfordernd.»Wir nennen unseren Stützpunkt Kaktusblü-te. Kakteen sind wehrhaft und blühen oft imverborgenen. Einverstanden, Rosa?«

Die Siganesin zuckte mit den Achseln.»Warum fragst du mich, Domino? Dumachst ohnehin, was du willst.«

*

»Zufrieden, Cistolo?« wollte Atlan wis-sen.

»Das wäre ich, wenn die Dscherro in derkommenden Stunde Terra verlassen wür-den.« Der LFT-Kommissar fuhr sich mit ei-

ner kantigen Bewegung durchs Haar.»Allerdings muß ich eingestehen, deineAgenten leisten ansehnliche Arbeit.«

»Die Siganesen sind nicht nur meineAgenten. Warum wird noch immer dieLoyalität der Cameloter angezweifelt?«

Khan reagierte nicht auf die Frage. Ange-spannt beobachtete er die Aufzeichnung, dievor wenigen Minuten von den Siganesenübermittelt worden war. Mittlerweile war esdie sechste Übertragung, und allmählich er-gab sich ein recht gutes Bild von den Ver-hältnissen in der Dscherro-Burg.

Gousharan war ein Anachronismus. Mod-ernste Technik, die sogar Raumschiffen derNOVA-Klasse zu trotzen vermochte, paartesich mit den Gepflogenheiten von Kopfjä-gern und Fetischisten. Cistolo Khan war sichnicht nur der Tatsache vollauf bewußt, daßer verallgemeinerte und eine terranischeDenkweise zugrunde lege, aber die Gehörn-ten waren in seinen Augen Freibeuter undKrieger, nichts anderes.

Der LFT-Kommissar fragte sich, ob diegesamte Zivilisation der Fremden auf Mordund Plünderung aufgebaut war. Dann warsie nicht funktionsfähig, zumindest nicht indem Sinn, der allgemein unter Zivilisationverstanden wurde. Ein Versuch, die Mentali-tät der Fremden zu ergründen, erschien zu-mindest derzeit wenig erfolgversprechend.Wichtig? Was war schon wichtig außer denverzweifelten Bemühungen, Leben zu ret-ten?

Gousharan erschien als eine Welt der La-byrinthe und verschlungenen Korridore, unddie unterschiedlich großen Hallen und Ge-wölbe wirkten wie wahllos hineingestreut.Alles war groß dimensioniert, die Säle undHallen boten Platz für Hunderte, mituntersogar für Tausende Dscherro, und wie imAußenbereich wies die Burg auch innen einSammelsurium makaberster Trophäen auf.Skelette, eingeschrumpfte Schädel erlegterTiere (oder gar von Intelligenzwesen?),Schmuckstücke, undefinierbare Gerätschaf-ten, Felle, einzelne Knochen, abgeworfeneHörner der Dscherro …

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Gousharan war zudem ein Bollwerk hoch-wertiger Technik, und daß die Burg sogarterranischen Raumschiffen zu trotzen ver-mochte, diese bittere Erfahrung hatte CistoloKhan schon vor Tagen machen müssen.

»Wir sollten einfach einige hundert Meteraußerhalb der FaD-Barriere den Boden auf-schneiden und alles mit den Traktorstrahlernder Flotte herausreißen und ins All schlep-pen«, stieß er zerknirscht hervor. »Dannkönnen wir die Transformgeschütze einset-zen, um den Schutzschirm zu knacken.«

Technisch war ein solches Vorhabendurchführbar. Nur würden die Dscherrobeim ersten Anzeichen derartiger Aktivitä-ten Geiseln zu Tausenden töten. Für CistoloKhan bedeuteten solche Gedankenspieledemnach nur den Ausdruck seiner verzwei-felten Suche nach einem rettenden Stroh-halm. Er würde diese Überlegungen nichtwahr machen, weil sie auch bedeuteten, sichmit den Dscherro auf eine Stufe zu stellen.

Die Gehörnten waren Herdenwesen, dasging aus dem Bericht der Siganesen hervor;das einzig Individuelle waren Trophäen, mitdenen sie sich in den Gemeinschaftsräumenumgaben. Lediglich der Führungsschichtwaren eigene Ebenen vorbehalten und offen-sichtlich eine strenge Trennung zu den ge-meinen Kriegern.

Die gesamte Burg wurde von einem Netzwinziger Schächte durchzogen, keiner davonmehr als dreißig Zentimeter durchmessend.

»Falls es uns gelingt, in allen diesenSchächten gleichzeitig ein Betäubungsgasfreizusetzen«, überlegte Cistolo Khan,»könnten wir Gousharan mit geringsten Ver-lusten einnehmen. Und die Dscherro-Trup-pen, die in Terrania Geiseln gefangenhalten,erpressen wir mit ihren eigenen Leuten. Wirdrehen den Spieß um. Wenn das nicht dieSprache ist, die sie verstehen …«

*

Die kreuzförmig geschlitzten roten Pupil-len blickten eisig. Ein Eindruck, den das tie-fe Schwarz der runden Augen noch verstärk-

te.Vorübergehend erschien es Atlan, als fi-

xierten ihn diese Pupillen.Das Wesen ist tot, behauptete der Extra-

sinn spöttisch. Du läßt dich von der Kame-raführung zum Narren halten.

Obwohl die Augen immer noch die Wie-dergabe beherrschten, zeigte das Holo-gramm nun den ganzen fremdartigen Schä-del. Die eingeblendeten Maßangaben verrie-ten, daß er mehr als fünfzig Zentimeter langwar und die Augen den Durchmesser einermenschlichen Handfläche besaßen. DasSchuppenkleid ließ weder Mund noch Nase,noch Ohren erkennen.

Ein schlanker Körper folgte, besetzt miteiner Vielzahl von Gliedmaßen, von denenetliche in scharfen Hornklauen endeten, an-dere in trichterförmigen Vorstülpungen mitzwei Reihen nadelspitzer Zähne. MuskulöseSäulenbeine mit kräftigen Klauen vervoll-ständigten den Eindruck einer wehrhaftenKreatur.

Dieses Wesen stand in einem der großenGemeinschaftsräume. Höchst erregt und mitkurzen bellenden Lauten redeten mehrereDscherro aufeinander ein. Die Aufnahme-perspektive ließ erst jetzt erkennen daß dieOptik sich auf Bodenniveau befand - einwinziges sechsbeiniges Etwas, das sich ineiner der Metallschuppen spiegelte.

»Eine ›Milbe‹«, sagte Atlan keineswegsüberrascht.

»Bitte?«»Ein Minispion der Siganesen, nur drei

Millimeter groß und selbständig operie-rend.«

Sekundenlang erschien die Rückseite desWesens mit den roten Kreuzpupillen, einstählernes Gestell, auf das die Schuppenhautgespannt war. Hatte es sich um einen denDscherro ebenbürtigen Gegner gehandelt,dem sie die Ehre erwiesen, ihn in ihrer Un-terkunft zu plazieren?

Die Gehörnten kamen wieder ins Bild.Fünf, die sich gegenseitig angifteten undsichtlich gereizt waren.

Cistolo Khan hatte einen Translator zwi-

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schengeschaltet.»Du stehst allein mit deiner Meinung,

Fullodis. Keiner außer dir trauert Poulonesnach. Was war er denn schon? Ein Schwäch-ling, der nicht einmal seine Feinde riechenkonnte.«

»Taka Poulones hat uns in DaGlausch un-besiegbar gemacht. Jeder zitterte vor seinemNamen.«

»Ein Taka, der seine Fähigkeiten verliert,kann nicht länger Taka sein. Er war krank,hätte er sonst die Verständigung mit denTerranern gesucht?«

»Taka Poulones wurde schmählich verra-ten. Von denen, die eigentlich hinter ihmstehen sollten.«

»Das Wohl des Clans hat Vorrang, undTaka Fellokk wird uns zu noch größeremWohlstand und Ansehen führen.«

»Die Terraner sind stärker, als es den An-schein haben mag. Fellokks Macht steht aufweichen Füßen. Ich kenne etliche, die sodenken wie ich, die glauben, daß Poulonesdie Lage besser einschätzen konnte …«

»Deine Worte stinken erbärmlich nachVerrat, Fullodis. Taka Fellokk hat bewiesen,wie schnell wir die Stadt der Terraner er-obern können. Auch wenn er erst seit weni-gen Tagen Taka ist, Fellokk weiß, was ertut. Aber er ist kein Taka für Zauderer undFeiglinge.«

Mit einem Aufschrei warf Fullodis sichauf sein Gegenüber; er stieß mit dem Hornzu, verfehlte den anderen jedoch, weil dieserebenso blitzschnell zur Seite wich. ZweiFäuste krachten dumpf in Fullodis' Nackenund ließen ihn taumeln. Sein Brüllen warohrenbetäubend, gleichzeitig warf er sichherum und griff mit gesenktem Schädel an.

Die anderen wichen ihm aus, ließen ihnins Leere laufen. Ein Fußtritt traf seinenOberschenkel, der Fersensporn hinterließ ei-ne klaffende Wunde. Grünes Blut verspritztemit jedem Pulsschlag.

Fullodis revanchierte sich, indem er beideHände nach vorne schnellen ließ und seineKlauen das Gesicht des Gegners durchpflüg-ten.

»Tötet ihn!« brüllte einer. »Bringt diesenelenden Poulones-Anhänger zum Schwei-gen!«

Zwei Dscherro umklammerten Fullodistrotz seiner heftigen Gegenwehr und zerrtenihm die Arme auf den Rücken.

»Fellokk ist ein Großmaul«, keuchte er.»Seine Siege werden nicht von Dauer sein,wenn die Terraner erst erkannt haben, wie ervorgeht. Nur Verhandeln kann auf dieserWelt der richtige Weg sein.«

Der mit dem blutenden Gesicht senkteden Schädel und stürmte vor. Sein Horn trafFullodis in der Leibesmitte und durchbohrteihn mit gräßlichem Knirschen.

»Werft den Verräter den Terranern vordie Füße! Wie ihm wird es allen ergehen,die Taka Fellokk nicht anerkennen. Sobalder sich in der Stadt der Terraner eine Atem-pause erkämpft hat, wird der Taka seineletzten Gegner hinwegfegen.«

3.

Bis auf zwei »Milben« waren alle Mini-spione der Siganesen mit umfangreichemMaterial zum Stützpunkt Kaktusblüte zu-rückgekehrt. Während Rosa die winzigenRoboter heu programmierte, waren DominoRoss und Arno Wosken ausgiebig damit be-schäftigt, die Informationen zu sichten undfür die Weiterleitung an Atlan und CistoloKhan zusammenzustellen.

Am ergiebigsten erwiesen sich Gesprächeder Dscherro untereinander, die entwedervon ausgedehnten Beutezügen durch Terra-nia zurückkehrten oder erst im Begriff stan-den, das Faktorelement zu verlassen, um ih-re Hitze auszutoben. Bekanntes und Unbe-kanntes vermischten sich dabei, aber dasBild begann sich abzurunden.

Die Dscherro stammten demnach aus ei-ner Großgalaxis mit wahrhaft überbordenderLebensvielfalt ohne eine beherrschendeGroßmacht. Zweiundzwanzig Dscherro-Clans, jeder mit fünfzigtausend bis hundert-tausend Mitgliedern, gingen immer nachdem gleichen Schema vor: Sie überfielen ei-

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ne Welt, setzten sich an einem neuralgischenPunkt fest, nahmen Geiseln und preßten denBetroffenen wertvolle Technik und Reichtü-mer ab.

Der mächtigste Clan, obwohl ihm nursechzigtausend Dscherro angehörten, warder des alternden Taka Poulones gewesen.Zuletzt hatten sie ein wohlhabendes, aberauch feiges Volk überfallen, das sich viel zuleicht erpressen ließ und seine Reichtümerschier freiwillig ablieferte. Fast beschämendfür kampferprobte Dscherro.

Der »Ungehörnte« hatte Poulones aufThorrim das Erscheinen eines riesigen Bau-werks angekündigt und dem Taka mit Nach-druck untersagt, dieses »Heliotische Boll-werk« anzugreifen. So jedenfalls wurde hin-ter vorgehaltener Hand behauptet.

Offensichtlich hatte dieses BollwerkGousharan in die den Dscherro fremde Um-gebung der Stadt Terrania versetzt. Leiderohne ihre Raumschiffe. Nur Schourchten,Chreschen und die kleinen Waffenarsenalestanden zur Verfügung.

Einer der Minispione war in die Gemä-cher des Hofstaates vorgedrungen und hattesich an der Kleidung eines hochrangigenDscherro festgesetzt. Uninteressante Passa-gen der mehrere Stunden dauernden Auf-zeichnung übersprang Domino im Zeitraffer,stellte dabei aber fest, daß der Dscherro sichgebärdete, als sei er der Taka selbst - in sei-ner Nähe gab es kein Murren oder Zögern,wenn Befehle auszuführen waren.

Sehr schnell stellte sich heraus, daß derGehörnte namens Tschoch einer von sechsSerofen war - genauer der Serofe für dasKriegshandwerk. Eine überaus wichtige Per-son bei den Dscherro also.

Die Siganesen kannten den Namen be-reits, sie hatten sogar sein Bild gesehen, be-vor sie in den Einsatz gegangen waren.Tschoch war verantwortlich für die Ermor-dung von dreihundert Geiseln während desAngriffs der NOVARaumer auf die Burg.Von einer der Plattformen in dreitausendMetern Höhe hatte er die Menschen in dieTiefe stürzen lassen und damit Cistolo Khan

zum Abbruch des Angriffs gezwungen.Absoluter Befehlshaber der Dscherro war

der Taka, dem die Serofen zu Seite standen.Eine Stufe tiefer war der Hofstaat anzusie-deln, der rund zweihundert Mitglieder um-faßte. Eine wichtige Funktion kam dem Bar-rasch zu, der dem Hofstaat vorstand undgrößten Einfluß ausübte.

Als weiteres Mitglied der Führungs-schicht galt der Wischak, eine Art Schama-ne, der angeblich über magische Kräfte ver-fügte. Aber der Wischak war mehr Traditi-on, denn die Dscherro kannten keine Religi-on und glaubten ausschließlich an ihre eige-ne Kraft und Unbesiegbarkeit.

Es gab Unstimmigkeiten im Hofstaat.Nicht alle Mitglieder schienen mit dem Vor-gehen des neuen Taka Fellokk einverstandenzu sein, wenngleich Bedenken nur vorsichtigund zurückhaltend geäußert wurden. DerSerofe Tschoch stellte den Barrasch Guulordeshalb zur Rede und verriet damit, daß erbestens über alles informiert war, was imUmkreis des Hofstaats gemunkelt wurde.

»Sobald der Taka aus Terrania zurück-kehrt, werden Köpfe rollen!« herrschteTschoch den Barrasch an. »Jeden Wider-stand wird Taka Fellokk mit der Wurzel aus-reißen, deshalb rate ich dir gut, sei auf derHut, Guulor. Auch dein Kopf ist gefährdet,sollten die Intrigen um sich greifen.«

»Na also«, sagte Arno Wosken, als dieletzte Aufzeichnung endete. »Jetzt wissenwir wenigstens, wer die Überwachungsanla-ge in der Röhre installiert hat und vermut-lich auch an anderen neuralgischen Punkten.Tschoch oder der Taka selbst bespitzeln ihreUntergebenen. Meinetwegen können sie sichgegenseitig die Schädel einschlagen. Wenndu mich fragst, Domino: Nur ein toterDscherro kann Terrania nicht mehr gefähr-lich werden.«

Im ersten Aufwallen der Emotionen woll-te Ross gegen diese Redensart protestieren,schwieg dann aber. Weil es zwar inhumanwar und jeder Völkerverständigung ganzund gar abträglich, solche Gedanken zu he-gen, er selbst aber keine Spur anders gehan-

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delt hatte. Mit der Thermitladung hatte erden Dscherro kaltblütig getötet und ihmnicht die geringste Chance gelassen - aberhätte der Dscherro seinerseits den Terranernein Zögern zugestanden? Es war müßig, dar-über zu diskutieren, in so einem Fall standenfestgefahrene Ansichten einander gegen-über. Jeder Krieg und alles Töten warengrausam und intelligenter Wesen nicht wür-dig, aber darunter durfte das Recht derSelbstverteidigung nicht leiden. Nur: Hatteer sich verteidigt, oder hatte er lediglich aufeinen Vorwand gewartet, um Rache zuüben?

»Worüber denkst du nach, Domino?«fragte Rosa.

»Über das miese Handwerk des Tötens:«Ross schaute sie nicht einmal an. »Und dar-über, daß Kriege nie aufhören werden, so-lange das Universum Bestand hat und min-destens zwei Intelligenzen einander gegen-überstehen.«

*

»Das habe ich befürchtet!« stieß DominoRoss später hervor. »Der Rafferimpuls istraus, aber keine Bestätigung.«

»Vielleicht wurde das Empfangssignal zuspät gesendet.«

»Es hat vorher immer geklappt.«»Wir wollten anfangs nicht, daß die Ro-

boter eine Bestätigung senden«, erinnerteWosken.

»Wie teilen wir Atlan nun mit, wann dieTransmitter empfangsbereit sind?«

»Wir wußten von Anfang an, worauf wiruns eingelassen haben und daß es gefährlichwerden würde.« Arno Wosken untertrieb.Atlan hatte den Job als»Himmelfahrtskommando« bezeichnet. Ci-stolo Khan war in der Wahl seiner Wortekeineswegs weniger dramatisch gewesen.Aber gerade das hatte Domino, Rosa und ihnselbst gereizt.

Falls Paul oder Paula oder gar beide wirk-lich von den Dscherro zerstört worden wa-ren - ein einziger Fußtritt genügte, um die

nur siganesengroßen Roboter platt zu ma-chen, vorausgesetzt, ihre Schutzschirme wa-ren nicht aktiviert -, hatte sehr wahrschein-lich schon innerhalb der FaD-Barriere dieSuche nach weiteren Eindringlingen begon-nen. Eine Suche, die früher oder später zumErfolg führen mußte.

Die Siganesen waren noch nicht so weit,daß sie die Transmitter aktivieren konnten.

*

Bousseors Hartnäckigkeit hatte sich aus-gezahlt. Inzwischen wußte er, daß minde-stens zwei Schirmfeldprojektoren der Burgmit dem Sender der Unbekannten synchroni-siert waren. Daß die Terraner die Manipula-tion unter den Augen der Dscherro geschaffthatten, nötigte ihm Anerkennung ab. Undnoch etwas hatte er geortet: den Ausgangs-punkt eines ultrakurzen Signals, das offen-sichtlich den Empfang der Rafferimpulsebestätigte. Dieses Signal war jeweils von in-nerhalb der Barriere abgestrahlt worden,Bousseor hatte nichts anderes erwartet. Sei-ne anfängliche Peilung erwies sich als weit-gehend deckungsgleich mit dem Ausgangs-punkt der Rückmeldung: eine Position imNorden des Faktorelements, wenigeSchourchtlängen innerhalb der Barriere, ingeringer Tiefe unter der Oberfläche.

Was er nun vorhatte, war eigentlich ver-boten. Die Footen hatten laut Befehl derDscherro in der Burg zu bleiben. Aber Bous-seor wollte sich nicht daran halten. Entspre-chend vorsichtig ging er vor; immer wiederorientierte er sich, ob keine Dscherro oderRoboter in seiner Nähe waren.

Bousseor wählte einen Zugang ins unter-irdische Stollensystem von der Burg aus.Gousharan war von einem Netz von Schäch-ten und Gängen umgeben, die teilweise bisHunderte von Metern tief im Boden verlie-fen und mit dem Faktorelement nach Terra-nia transportiert worden waren. In Terraniawaren die ersten Krieger über die Kanalsy-steme und Untergrundbahnen ausge-schwärmt und hatten Beute gemacht, bevor

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überhaupt jemand von ihrer Anwesenheitwußte.

Bousseor trug seine schwarzgraue, ausKettengliedern zusammengesetzte Kombina-tion. Der Anzug war denen der Terranerebenbürtig, sein Schutzschirm war gegen5-D-Eiser ebenso gefeit wie gegen Tokcher,das Antigravaggregat in Verbindung mitdem Mikrotriebwerk erlaubte eine Beschleu-nigung bis zur halben Schallgeschwindig-keit.

Vierzehn Schächte führten in unterschied-licher Höhe nach Norden. Acht endeten ander FaD-Barriere, nur der Rest war nach derVersetzung erweitert worden und mündetein Versorgungsleitungen der Terraner. Indreißig Metern Tiefe passierte Bousseor dieNebelwand. Auf der anderen Seite beganngraugrün schimmerndes Gestein. Mit Desin-tegratorfräsen hatten die Dscherro den Tun-nel vorangetrieben.

Die Einmündung in eine zehn Meterdurchmessende Röhre kam unerwartet. Eshandelte sich um den Tunnel einer schnellenMagnetbahnverbindung zwischen benach-barten Stadtteilen.

Nach beiden Richtungen gab es kein Wei-terkommen. Rechter Hand war der Tunnelnach wenig mehr als fünfzig Metern zumEinsturz gebracht worden. Der Handscannerverriet, daß Millionen Tonnen Gestein dieRöhre verschüttet hatten. Zur Linken er-streckte sich die Bahnlinie noch einen halb-en Kilometer weit, bevor die Decke herab-gebrochen war. Wenn Dscherro zuschlugen,leisteten sie ganze Arbeit. AusgeglühteSchwebewagen bildeten eine bizarre Staffa-ge, Bousseor entdeckte die verkohlten Lei-chen zweier Terraner, und sein Scanner ver-riet ihm, daß sie präpariert worden waren.Sobald Terraner die Toten berührten, würdeein neuerlicher Feuersturm durch die Röhretoben.

Hier unten konnte niemand in die Barriereeingedrungen sein, also blieb nur der näch-ste Schacht, der mit zehn Metern Tiefe äu-ßerst dicht unter der Oberfläche verlief.Bousseor rekapitulierte, daß der Tunnel in

ein altes Kanalsystem mündete, das nachNorden in ein abgeriegeltes Gebiet führte.Die Terraner nannten die Region Zoo einGefangenenlager ähnlich den Verliesen inGousharan.

Den Rafferimpuls empfing Bousseor, alser gerade im Begriff war, den Schacht zuwechseln. Die Peilung war diesmal eindeu-tig.

Zehn Minuten benötigte der Foote, umans Ziel zu gelangen. Wie viele Terranermochten eingedrungen sein? Er hatte keineMöglichkeit, das festzustellen.

Der Tunnel war bis zur Barriere leer.Bousseor maß nicht den Hauch einer Streu-strahlung an, die ein gegnerisches Deflektor-feld verraten hätte. War ein Terraner auf deranderen Seite des Anstichs, im eigentlichenKanal, postiert?

Bousseors Greiffinger der beiden mittle-ren Gliedmaßen hielten den schweren Hand-strahler. Den glatten Kopf leicht zur Seitegeneigt, ließ er die Anzeige des Scanners,den er mit der rechten oberen Hand führte,nicht aus den Augen.

Jäh eine Bewegung vor ihm. Doch soschnell, wie sein Schleimausstoß begonnenhatte, endete er auch wieder. Kein Terranerkam ihm entgegen, sondern ein seltsamesgrünhäutiges Tier. Im ersten Augenblick ir-ritierten ihn die sechs Gliedmaßen.

Die Gedanken, die ihm spontan durch denKopf schossen, entbehrten jeder Grundlage.Diese Kreatur hatte mit dem Zusammenle-ben der Menschen nichts zu tun. Schon dieHornpanzerung hätte dem widersprochen.Das sechsbeinige Wesen mit dem kantigen,dreieckigen Schädel war vielleicht ein Aas-fresser, der von den Toten im Untergrundangelockt worden war.

Das Tier beachtete ihn nicht. Erst alsBousseor die Waffe sinken ließ, drehte derkantige Schädel sich in seine Richtung.

Die Energieortung verwirrte den Footen.Dennoch reagierte er blitzschnell. SeinSchutzschirm baute sich auf, als zwischenden Kiefern des Tieres ein Desintegrator-strahl hervorbrach.

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Die Aufprallenergie ließ Bousseor tau-meln. Gleichzeitig feuerte er seinen Impuls-strahler ab.

Eine Feuerlohe zeichnete die Umrisse desGegners nach, die hochschnellenden Ener-giewerte verrieten den Roboter. Bousseorwußte, daß die Terraner mit winzigen Son-den versucht hatten, in Gousharan einzudrin-gen, doch waren diese Bemühungen vereiteltworden. Wie viele solcher kleiner Roboterindes den Durchbruch geschafft hatten …Der Grüne spreizte die Fangarme ab. In-stinktiv ließ Bousseor sich fallen. Wo ereben noch gestanden hatte, detonierten zweiProjektile.

Sekunden später hatte der Foote einen derMiniatur-Tokcher von seinem Anzug gelöstund aktiviert. Die engbegrenzte hyperener-getische Stoßfront schwächte den Schutz-schirm des Gegners; Strukturrisse entstan-den und weiteten sich aus.

Dann verwehte das Schirmfeld. BousseorsImpulsschuß ließ den Brustpanzer des Robo-ters aufglühen und trennte zwei der vier Ar-me ab. Der nächste Strahl verwandelte denrunden Hinterleib in eine zähflüssige Metall-masse. Die Beine knickten ein, konnten dieLast des Körpers nicht mehr tragen. Zu-gleich erlosch nahezu jede Energieemission.

Lediglich im Bereich des unversehrt ge-bliebenen Schädels maß Bousseor nochKriechströme an, sehr schnell glühte dannaber der Überrest von innen heraus auf. Zu-rück blieb eine aufgerissene, halb geschmol-zene Metallhülle.

Ein neuer Rafferspruch traf ein. Diesmalgab es keinen bestätigenden Impuls und nie-manden, der die empfangenen Daten denTerranern übermittelte.

Mit einer geschmeidigen Bewegung rich-tete Bousseor sich zu voller Größe auf. Jederseiner Rückenwirbel war ein eigenes Ge-lenk, das dem Footen eine unglaubliche Ge-schmeidigkeit verlieh. Er bewegte sich eben-so schnell auf beiden Beinen wie auf allensechsen, und die Schleimabsonderungen derHaut halfen ihm, selbst engste Röhren zuüberwinden.

Die ausgefeilte Mikrotechnik der Terranerinteressierte ihn. Konstruktionen wie denzerstörten Roboter empfand Bousseor alsHerausforderung und Ansporn für neue Ent-wicklungen.

Ein Schatten jenseits der Barriere?Bousseor wich an die Wand zurück, als er

die weit gestreuten Lichtreflexe bemerkte.Etwas bewegte sich außerhalb des Nebels.Ein riesenhafter Schatten schien aus der Ne-belwand herauszuwachsen, doch schonklappte er zusammen und vervielfältigte sichdabei. Drei, vier, fünf unregelmäßig verzerr-te Schemen durchbrachen die Barriere; ihrAuf und Ab erinnerte an die hüpfendenSpringsamen von Thorrim, nur entferntensie sich nicht voneinander, sondern strebteninnerhalb eines einzigen Augenblicks auf-einander zu. Als sie auf der Innenseite derBarriere verschmolzen, entstand ein lebendi-ges Wesen. Vögel nannten die Terraner diegeflügelten Tiere ihrer Welt. Nein, kein Vo-gel, sondern ein Schmetterling, ein Blü-tensauger.

Bousseor feuerte, als die buschigen Fühlersich auf den ausgeglühten Roboter richteten.Der Impulsstrahl brach sich funkensprühendauf der Außenseite eines der mit winzigstenMetallplättchen übersäten Flügel und schnittgut die Hälfte heraus. Gleichzeitig war dieStreustrahlung eines schwachen Antigravsanzumessen, der das vermeintliche Tier trotzder Beschädigung in der Schwebe hielt.

Bousseor ging kein Risiko ein. Der zweiteMini-Tokcher setzte bei seiner Explosionhyperfrequente Felder frei, die den Roboterzu Boden zwangen. Vorübergehend klapp-ten die beschädigten Flügel zusammen,gleich darauf spreizten sie sich waagerechtab.

Bousseor maß nur noch minimale Energi-en an. Er handelte schnell und zielgerichtet,trennte mit einem Vibratormesser beide Flü-gel ab und kappte die Fühlerbüschel. Umsich Zugang zu den Erinnerungen des Robo-ters zu verschaffen, würde er die Speicher-segmente in Gousharan analysieren müssen.

Doch trotz der anhaltenden Wirkung des

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Tokchers wurden Energien freigesetzt.Bousseor verstand nicht, wieso. Eine Sicher-heitssperre, ein besonders abgeschirmtesAggregat? Jedenfalls wurden alle Daten ver-nichtet.

Ein Hologramm entstand für wenige Se-kunden, verzerrt und unruhig wie hinter ei-ner flirrenden Luftschicht. Es zeigte einenTerraner mit langem, zu zwei Strängen ge-flochtenem Haar.

Langsam hob der Mann seine Waffe undzielte auf Bousseor. Seine Haut schimmertegrün wie die der Dscherro, und das dreidi-mensionale Bild war nur unwesentlich grö-ßer als die beiden zerstörten Roboter. Bous-seor hatte keine logischen Argumente dafür,doch er ahnte, daß dieser Terraner in Wirk-lichkeit auch nur so groß war wie sein Holo-gramm.

Handelte es sich um den Eindringling, deraus der Burg geraffte Funksprüche abschick-te?

»Do … mi … no Rrrross wird … rächen«,krächzte eine ersterbende Lautsprecherstim-me. Ebenso wie die Wiedergabe endete sie,als der Roboter von einer Stichflamme zer-rissen wurde.

Bousseor zögerte immer noch, dem Chef-Footen Seassor Meldung zu erstatten. Weilihn die miniaturisierte Technik faszinierte,von der bisher niemand gewußt hatte, eben-so die Vorstellung, daß es kleinwüchsigeTerraner gab. Bestimmt kamen ihnen beson-dere Aufgaben zu. Allein schon ihre geringeGröße machte sie anderen überlegen -Bousseor kannte das.

*

Eine Klappe im Boden, darunter einSchacht, der in unergründliche Tiefe zu füh-ren schien. Loran Misky verrenkte sichschier den Hals, um mehr zu erkennen; mitbeiden Händen verkrallte er sich in derSchulter eines halbwüchsigen Jungen undzerrte ihn zur Seite.

»He, das ist mein Platz, du kannst …«Mit der unwiderstehlichen Gewalt seiner

zwei Zentner drängte Misky weiter nachvorne, rammte seinen Ellenbogen einer Frauin die Seite - und stand endlich vor der Fall-tür, die zwei Blues aufgewuchtet hatten. Erstarrte auf den Schacht, der vielleicht zu ei-nem Hangar führte und von dort in die Frei-heit. Aber die Treppe war viel zu schmal,gerade dreißig Zentimeter in der Breite.

Die anderen Gefangenen ringsum dräng-ten und schoben, eine stumme, schwitzendeMasse. Stumpfsinn regierte. Miskys gehetz-ter Blick fiel auf bleiche, verschwitzte Ge-sichter und matte Augen. Dreißig Meter ent-fernt standen zwei Dscherro - sie griffenwahllos Gefangene aus der Menge herausund zerrten sie zum Verhör.

Ich nicht! durchzuckte es Loran Misky.Mich machen sie nicht zurr psychischenWrack.

Einer der Tellerköpfe zwängte sich in denSchacht hinab. Und Misky steckte fest, ein-gekeilt zwischen zitternden Leibern. Gräßli-cher Gestank ringsum. Irgendwo hatten dieDscherro ein paar eigenwillige Toiletten in-stalliert, transparente Kammern, in denenman die Notdurft verrichtete.

»He, Dscherro!« Er riß die Arme hoch,wedelte mit den Händen über seinem Kopf,um die Gehörnten auf sich aufmerksam zumachen. »Dscherro, verdammt - kommtschon her!«

Schwitzende Hände zerrten an ihm, woll-ten ihn zu Boden reißen. Kräftige Fingerverkrallten sich in seinen Haaren, schlugenauf ihn ein. Misky wehrte sich, er stieß undtrat um sich, und es war ihm egal, wohin ertraf.

»Laß die Dscherro aus dem Spiel!«»Du Mistkerl bist doch der vom Canopus

Boulevard. Warte nur, bis die Gehörntendich auseinandernehmen!«

Jemand drosch ihm die Fäuste in die Ma-gengrube. Misky bekam keine Luft mehr,krümmte sich keuchend vornüber. Ein Ellen-bogen krachte in seinen Nacken und schick-te ihn zu Boden.

»Weißt du, was miesen Typen wie dir zu-steht?«

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Ein schmerzhafter Tritt zwischen die Rip-pen trieb ihm Tränen in die Augen. Vergeb-lich krümmte er sich, um dem nächsten Stoßzu entgehen.

»Hältst es mit den Dscherro, was? KriegstBlutgeld von ihnen?«

Weitere Fußtritte trafen Misky in den Ma-gen und ins Gesicht, schürften seine Armeauf und trugen ihm Prellungen ein - aberplötzlich waren da nur noch Schmerzens-schreie und befehlsgewohnte, bellende Lau-te.

Misky krümmte sich am Boden. Liegen-bleiben! schoß es ihm durch den Sinn. Nurjetzt nicht sofort aufstehen!

Ein Stiefel verfehlte sein Gesicht um we-nige Zentimeter. Die Ferse war offen, einKrallensporn ragte daraus hervor, kräftig ge-nug, einen Menschen zentimetertief aufzu-schlitzen. Mühsam unterdrückte Misky denDrang, gellend aufzuschreien; ein letzterRest von Verstand sagte ihm, daß derDscherro gerade dann zustoßen würde.

Eine Pranke zerrte ihn hoch; der Druckder drei Finger im Nacken jagte eisigeSchauer über seinen Rücken. Gleichzeitigregistrierte Loran Misky, wie sich seine Bla-se entleerte, eine warme Nässe rann seineBeine hinab.

Mühelos hielt der Dscherro ihn am ausge-streckten Arm. Misky wagte kaum zu atmen,aus Furcht, der Gehörnte könnte mit den ge-fletschten Hauern zubeißen. Wo die Bluesim Untergrund verschwunden waren, dräng-ten sich nun die Terraner.

»Sie hauen ab«, keuchte Misky.Der Dscherro knurrte verächtlich.»Du mußt mich freilassen. Dann helfe ich

euch … Ich …«Wütende Stimmen verlangten, ihm das

Maul zu stopfen. Der Dscherro holte aus undstreckte einige Terraner nieder. Misky hattedie Erdbewohner nie richtig leiden können,sie waren wie Maden im Speck, die sich inihrem unverdienten Reichtum wälzten. Erselbst hatte das halbe Leben auf einer kargenBergwerkswelt verbracht, von glühenderHitze und eisigen Temperaturen gebeutelt,

stets auf der Hut vor den giftigen Insekten,deren Stiche ein qualvolles Sterben brachtenund doch hatte er heute wie vor dreißig Jah-ren nur ein paar tausend Galax auf demKonto. Sand und Staub hatte er gefressen,auf getrocknetem Gras geschlafen … Aberauf Terra waren einige Firmen mit den ge-förderten Erzen reich geworden. Sie habensich nie um uns gekümmert, wir hättendraufgehen können, und kein Schwein hättedavon Notiz genommen …

Loran Misky wußte, daß er sich das nureinredete, daß die Wahrheit anders war, aberes tat gut, sich selbst als bedauernswertesOpfer zu sehen und auf die Weise das eigeneUnvermögen zu überspielen.

Der Dscherro zerrte ihn mit sich. AndereGehörnte stürmten heran und trieben dieGeiseln auseinander. Einen Mann, der ebenim Begriff gewesen war, im Schacht zu ver-schwinden, zerrten sie an den Armen wiederhoch, wenig später war er tot.

Seine Schuld, dachte Misky ohne Bedau-ern. Er hätte nicht fliehen sollen.

Der Dscherro schleppte ihn mit sich,schützte ihn sogar vor der Meute, die ihn lie-bend gerne massakriert hätte.

Ich bin raus aus dem Dreck. Jetzt wird esmir bessergehen, denn die Dscherro brau-chen mich einfach.

*

Seit Stunden wurden die Siganesen mitimmer neuem Leid konfrontiert. Sie hattengesehen, wie Dscherro Geiseln zum Verhörschleppten und andere gebrochen zurück-brachten. Die Bilder in den Verliesen gli-chen sich, viele Gefangene flüchteten inApathie, andere neigten zu Gewalttätigkeitund prügelten wegen eines Napfes Wasseraufeinander ein.

Aber es gab auch positive Beispiele, Män-ner und Frauen, die verhinderten, daß Kin-der von den Dscherro verhört wurden. Undunermüdliche Samariter, die sich jener an-nahmen, die in erbärmlichem Zustand zu-rückkehrten, von Wunden übersät und psy-

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chisch gebrochen.Die vorübergehende Hoffnung, die der

Angriff der NOVA-Raumer auf die Burg ge-bracht hatte, war längst neuer Depressiongewichen. Die Gefangenen glaubten nichtmehr an die Unbesiegbarkeit terranischerTechnik.

Mittlerweile schätzten die Siganesen dieSituation so ein, daß sogar eine Befreiungs-aktion Panik auslösen würde. Die Frage war,wie viele Transmitter von den LFT-Truppenaufgebaut werden konnten.

»Domino, du siehst aus, als hättest dunachgerechnet«, sagte Arno Wosken unver-mittelt. »Die Geiseln haben nur dann eineChance, wenn Cistolos Truppen im Hand-streich weite Teile der Burg einnehmen. Et-was anderes zu behaupten wäre Selbstbe-trug.«

Rosas Stimme vibrierte hörbar. »Wir soll-ten sie wissen lassen, daß sie nicht alleinsind. Stell dir vor, du wärst in einer Energie-zelle eingepfercht und würdest vor Todes-angst langsam den Verstand verlieren. Ein-fach nur zu wissen, daß die Rettung nahe ist…«

»Wir dürfen uns nicht zu erkennen geben.Niemandem.«

Rosas Blick ging unter die Haut. Sie hatteeine Art, ihren stummen Vorwurf auszu-drücken, die Schuldkomplexe produzierte.Natürlich spielte sie auf den Dscherro an,den Ross' Thermitladung getötet hatte, undnatürlich hatte sie damit recht. Domino hattein seiner Affekthandlung alles mißachtet,was er jemals während der Ausbildung ge-lernt hatte.

»Wenn ich vor einer ähnlichen Situationstehen würde, ich würde es wieder tun«,sagte er. »Ohne zu überlegen. Weil ich dasder Menschenwürde schuldig bin.«

»Die Dscherro werden daraus ihre Schlüs-se ziehen.«

»Mag sein … Aber auf die Wahrheitkommen sie bestimmt nicht. Ich für meinenTeil habe genug gesehen, also zurück zurKaktusblüte.«

Die Lüftungsschächte waren ideale Wege

von einer Seite der Burg zur anderen. Zweiweitere optische Überwachungssysteme hat-ten die Siganesen entdeckt, sich aber nichtan ihnen vergriffen, sondern sie im Schutzder Deflektorschirme passiert. Seit sie wuß-ten, worauf sie achten mußten, konnten siedie betreffenden Stellen rechtzeitig aufspü-ren.

Sie benutzten erneut ihre Gravo-Paks, umschnell voranzukommen. Als Einund Aus-stieg in das Röhrensystem diente ihnen einSchacht in der Nähe ihres Brückenkopfes.Sie hatten soeben die erste Abzweigung hin-ter sich gelassen, als Domino Ross jäh derUnsichtbarkeit entrissen wurde.

Ein engmaschiges energetisches Gitter-netz flammte in dem Moment auf, in demDomino es berührte.

Wie Nebel schälten sich seine Umrisseaus dem Nichts hervor.

Das Netz hielt ihn fest, und seine sponta-nen Versuche, sich zu befreien, führten nurdazu, daß er sich noch fester in den Maschenverstrickte.

Im Mittelpunkt der Röhre klebte er an denenergetischen Fäden wie ein Käfer im Netzeiner Spinne. Schon erwartete er, daß einerobotische Vorrichtung ihn nach draußen be-förderte, in die Pranken eines Dscherro.

Zum Glück hatten sich Rosa und Arno einStück hinter ihm befunden. Domino konntenur hoffen, daß ihre SERUNS keine Aus-fallserscheinungen zeigten; die Funktionenseines eigenen Anzugs wurden jedenfallslahmgelegt.

Ein Schemen entstand, fast zum Greifennahe vor ihm. In ungläubigem Erstaunen rißDomino Ross die Augen auf. Alles hatte ererwartet, das nicht.

Der Schemen verdichtete sich und nahmGestalt an …

4.

»… mein Vater war Terraner, die Mutterstammt von einer autonomen Welt in derNähe der Provcon-Faust, die sich vor Jahr-hunderten von der Erde losgesagt hat. Die

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Menschen bilden sich viel ein, aber … Wassoll das, was macht ihr mit mir? Nein,Freunde, so haben wir nicht gewettet - sonicht …«

Eine knappe Handbewegung des Dscherroließ Loran Misky qualvoll nach Luft japsen.Hilflos mußte er über sich ergehen lassen,daß die Gehörnten ihm eine Art Helm aufden Kopf stülpten.

»Ich sage euch doch, was ich weiß, alles… alles; ich bin keiner dieser verstocktenTerraner.«

Das Sitzgestell, auf dem sie ihn festge-bunden hatten, bewegte sich. Misky regi-strierte es mit Entsetzen. Die Aufwärtsbewe-gung war heftig, ebenso abrupt begann seinMagen zu rebellieren. Dann befand er sichbereits in der Drehung. Die Welt stand kopf,kippte zur Seite weg, ruckte von neuem anund huschte wie ein Schemen vorbei.

Immer schneller die ungleichmäßig rotie-rende Bewegung. Glühende Nadeln schie-nen sich in seinen Schädel zu bohren.

Sein Geist lag offen vor den Dscherro, siebrauchten nur darin zu suchen.

Offen, bis auf eines … Nicht daran den-ken!

Dort der Dscherro. Und hier der sterbendeSoldat, seine Waffe aufheben und in Panikabdrücken war eins.

Ich hab's nicht getan, ich nicht … Daswaren die Terraner … ich verwünsche sie …Ich …

Mein Name? Wie ist mein Name? Ichkann mich nicht erinnern. Aber ich lebedoch - oder ist alles ein Irrtum? Was binich? Ein Gedanke, ein Energiequant zwi-schen den Dimensionen?

»Verschont mich!«»Ich tue alles für euch, alles!«»Ich bin - Loran Misky, kein Terraner.

Macht mit ihnen, was ihr wollt, aber …«Bin ich tot? Alles ist erloschen. Jede

Wahrnehmung.Das ist nicht wahr. Ich schwebe.Ich bin -Schmerz. Purer Schmerz. Als

wäre mein Körper über das gesamte Univer-sum verstreut.

»Wir lassen dich am Leben.«Wer sagt das?»Ich bin Chlenakk, der Serofe für Recht-

sprechung.«Zögern. Und Warten darauf, daß die Ge-

hörnten die Befragung fortsetzten. Kurz be-vor Misky die Besinnung verlor, warSchluß. In der Ruhe fühlte er sich wie neu-geboren.

»Wir könnten dich töten«, bellteChlenakk.

»Ich, ich bin auf der Seite der Dscherro,ich helfe euch. Das sage ich doch die ganzeZeit.« Die Worte sprudelten über MiskysLippen.

»Du bist ein Verräter«, stellte der Serofeemotionslos fest. »Jeder Dscherro, der seinVolk verrät, würde unsere Verachtung erfah-ren.«

Die Fesseln fielen von ihm ab. Verständ-nislos starrte Misky den Gehörnten an. Abernur für Sekundenbruchteile, dann warf ersich herum und wollte fliehen -wohin, dar-über dachte er nicht nach, nur fort, weg vondieser verfluchten Burg, weg von Terra undaus dem Solsystem, vielleicht sogar aus derMilchstraße. Irgendein Seelenverkäufer wür-de ihm schon eine Heuer bieten.

Er redete sich das ein. Anders war der Zu-stand nicht zu ertragen. Höchstens mit einerRiesenflasche Vurguzz.

Eine Krallenhand umklammerte seinenArm.

»Du wirst für uns aufpassen, Loran Mis-ky. Was die Terraner reden, was sie tun -horche sie aus! Es gibt Dinge, die würdensie uns niemals verraten, weil sie lieber ster-ben. Das wirst du uns sagen. Alles. Hast duverstanden?«

Misky nickte eifrig. »Ja, natürlich, ich bindoch nicht dumm: Ihr laßt mich am Leben,wenn ich euch alles sage?«

»Schafft ihn mir aus den Augen!«herrschte Chlenakk zwei Dscherro an.»Solche Kreaturen widern mich an. Wenn erleben will, soll er das, bis seine eigenen Leu-te ihn töten.« Er lachte dumpf. »Taka Fel-lokk hat seine Rückkehr angekündigt. Er

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bringt eine Geisel, die mehr wert ist als hun-derttausend ungehörnte Schwächlinge.«

*

Verbissen starrte Cistolo Khan auf desHolowürfel, in dem das HQ-Hanse zu sehenwar - und mindestens tausend Dscherro, dieauf ihren Chreschen dunkle Qualmwolkenverbreiteten. Er mußte sich beherrschen,nicht den Feuerbefehl zu geben. Falls einhalbes Dutzend 800-Meter-Raumer gleich-zeitig losschlug, erwartete die Dscherro inden Straßenschluchten im Regierungsvierteldie Hölle. Aber wenn der Taka starb, starbmit ihm auch die Erste Terranerin PaolaDaschmagan.

»Zoom intensivieren!« Khans Stimmebebte. Demonstrativ langsam schwebte dievierzig Meter durchmessende Schourcht denSternenboulevard entlang nach Süden. Nurdrei Dscherro befanden sich an Bord - undihre Gefangene.

Sie führten Paola Daschmagan vor wiedas letzte Exemplar einer aussterbendenSpezies. Ein Fesselfeld hielt die Erste Terra-nerin im Zentrum des Transporters; breitbei-nig stand sie da, die Arme ebenfalls ausge-breitet und über den Kopf erhoben.

»Als hätten sie Paola ans Kreuz geschla-gen«, fauchte Khan. »Es genügt ihnen nicht,zu zerstören, sie verspotten uns außerdem.«

»Das ist ihre Art, jeden Widerstand zubrechen«, bestätigte Atlan. »Sie kosten ihreÜberlegenheit aus.«

Ein Triumphzug formierte sich: Kampfro-boter und die Schourcht, eingerahmt vonden knatternden, qualmenden Chreschen.Unmöglich, Paola Daschmagan inmittendieser Meute befreien zu wollen.

Khan ließ die Wiedergabe weiter vergrö-ßern. Er taxierte das Gesicht der Ersten Ter-ranerin, das jetzt den Holokubus ausfüllte.Paola Daschmagan bewegte in stummemSelbstgespräch die Lippen.

»Ich brauche den Wortlaut!«Die Szene wurde wiederholt. Dazu schal-

tete der Syntron die akustische Wiedergabe

mit einer Paolas Stimme nachempfundenenKlangfarbe.

»Die Dscherro bringen mich in ihre Burg,nachdem sie tagelang in meiner Gegenwartdas HQ-Hanse geplündert haben«, sagte dieErste Terranerin. »Ich weiß nicht, ob sieForderungen stellen werden, aber sie habenerreicht, was sie wollten. Nehmt auf michkeine Rücksicht. Wenn ich sterbe, wird je-mand anders an meine Stelle treten. Laßtnicht zu, daß diese Mordbrenner Terras Na-men in den Dreck ziehen.«

»Muß sie unbedingt die Heldin spielen?«fluchte Khan.

»Ich weiß, daß du mich beobachtest, Ci-stolo«, erklang die Syntronstimme von neu-em. »Die Sicherheit der anderen Geiseln hatVorrang.«

Bildausfall. Und damit nicht mehr dieMöglichkeit, von Paolas Lippen zu lesen.Zwar vergingen nur Sekunden, bis erneut ei-ne Wiedergabe stand, doch diesmal war dieErste Terranerin nur von der Seite erfaßt.

Aus den Ruinen einer Wohnanlage herauswurden Raketen abgefeuert. Ohne Schadenanzurichten, - detonierten sie zwischen denChreschen. Deutlich erkennbar das Schirm-feld, das sich über der Schourcht aufgebauthatte.

»Welche Idioten vermasseln uns dieChance, Taka Fellokk in unsere Gewalt zubringen? Wir hätten den Spieß umdrehenkönnen.«

»Das glaubst du nicht im Ernst, Cistolo.Die Dscherro wissen, daß wir Paola niemalsgefährden würden - für die Gehörnten ist siedie Symbolfigur unserer Niederlage.«

»Funkkontakt aufbauen! Ich muß mit Fel-lokk sprechen.«

Aber der Taka wollte nicht mit den Terra-nern reden. Jedenfalls konnte keine Verbin-dung geschaltet werden. Wenig später ver-schwanden die Dscherro mit ihren wertvol-len Gefangenen hinter der FaD-Barriere.

*

Es war wie damals in Fornax, als die toll-

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wütige Ratte ihn im Hansekontor angefallenhatte. Vergeblich hoffte Domino Ross dar-auf, daß seine Wahrnehmungen sich als irre-al herausstellten, als Alptraum nach einerdurchzechten Nacht.

Die Ratte war echt gewesen, und sie hätteihn zerfleischt, wäre es ihm nicht gelungen,eine Drahtscftlinge um ihren Hals zu wer-fen. Sie hatte ihn im Kreis herumgewirbeltund versucht, den Peiniger loszuwerden, under war über den Boden geschleift wordenund hatte nicht nur Mühe gehabt, sich amDraht festzuhalten, sondern hatte sich unterAufbietung aller Kräfte Hand um Hand vor-wärts gehangelt und schließlich auf demRücken des Tieres einen wilden Höllenrittabsolviert. Bis es ihm gelungen war, dieSchlinge enger zu ziehen und die Ratte zuerdrosseln.

Aber diesmal war er selbst der Gefange-ne. Das Energienetz ließ ihn nicht los. Ver-geblich versuchte Domino, das Gravo-Pakzu aktivieren, aber keine der vielfältigenFunktionen des SERUNS reagierte.

Endlich gab er seine vergeblichen Bemü-hungen auf, dieses Zappeln wie ein fetterKäfer im Netz einer Riesenspinne, undblickte forschend der Gestalt entgegen, diesich scheinbar aus dem Nichts heraus mani-festiert hatte. Phantasierte er, beeinflußt vonGiftstoffen in der Luft, immerhin hatte erden SERUN nicht geschlossen? Oder ver-fügten die Dscherro über Hypnoprojektoren?Daß sein Gegenüber nur wenig größer zusein schien als er selbst, konnte viele Ursa-chen haben. Vielleicht sah er sich einer Pro-jektion gegenüber. Oder er war, ohne es zubemerken, durch ein Transmitterfeld gegan-gen und nicht nur räumlich versetzt, sondernin der Atomstruktur vergrößert worden …

»Hallo«, sagte er.Sein Gegenüber legte den Kopf schräg,

schien ihn aus einem seiner hervorquellen-den Augen zu fixieren. Domino hatte nie zu-vor ein solches Geschöpf gesehen irgendwieein kleiner Wurm. Der Kopf ragte schlankund länglich empor, war so dick wie derHals, und der ging nahtlos in den Körper

über. Ein breiter, zugleich schmallippigerMund grenzte den Schädel vom Hals ab; dieHaut war glatt und haarlos, die Augen warenmit schweren Lidern versehen. Die naßglänzende rotbraune Haut erinnerte an einenRegenwurm. Nur beide Armpaare paßtennicht in dieses Bild und ebensowenig dieBeine, die ebenfalls in wurmfortsatzartigenGreiffingern endeten.

Die mattschwarz glänzende, bis zum Halsgeschlossene Kombination erinnerte Domi-no an eine Rüstung. Jedoch war der Anzuggeschmeidiger und paßte sich jeder Körper-bewegung an.

Dieses Wesen war mit schätzungsweiseneunzehn Zentimetern nicht einmal doppeltso groß wie der Siganese. Schlagartig kamihm die Erleuchtung, woher die Dscherroüber die ausgefeilte Mikrotechnik verfügten;die feingliedrigen Finger des Unbekanntenverrieten genug.

»Wer bist du?« stieß er hervor. Der Trans-lator übersetzte in die bellende Sprache derDscherro.

Er hatte erwartet, der Fremde würde ihmnicht antworten. Aber das war ein Irrtum,der Wurmartige fühlte sich völlig sicher.

»Ich bin Bousseor, kleiner Terraner.«»Mein Name ist Domino Ross.« Zeit ge-

winnen, das sechsgliedrige Geschöpf hinhal-ten, das sowenig mit den Dscherro gemein-sam hatte wie ein Swoon mit Menschen.War Bousseor vielleicht gar kein Gegner,sondern ebenso ein Eindringling in Gousha-ran wie die Siganesen? Hatten er und andereseines Volkes die Überwachungsanlage ein-gerichtet, um den Gehörnten eines Tages wi-derstehen zu können?

Solche Wunschgedanken waren lästig undlenkten ihn unnötig ab. Domino begann er-neut an den Fäden des Energienetzes zu zer-ren.

»Du kannst dich nicht befreien«, sagte dasRegenwurmwesen, »und du brauchst auchnicht auf Hilfe zu hoffen. Die Roboter, diedeine Funksprüche weitergeleitet haben,sind zerstört. Ihre Konstruktion war interes-sant - aber ich denke, du wirst mir ohnehin

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alle Einzelheiten verraten.«Deshalb also war das Bestätigungssignal

ausgeblieben.Bousseors Haltung versteifte sich, er

drehte den Kopf ein klein wenig, als blickeer den Schacht entlang. Hatte er Rosas oderArnos Anwesenheit bemerkt? Wußte erüberhaupt von ihnen?

»Du gehörst zu den Dscherro?«»Ich bin ein Foote!« kam die stolze Ant-

wort.Bousseor wußte nicht, wie viele Gegner

in die Burg eingedrungen waren, das wurdeaus seiner Haltung deutlich. Andernfalls hät-te er niemals die Mündung des Strahlers ge-senkt.

»Wir Footen sind die Partner der Dscher-ro, sie ernähren und beschützen uns, und wirverhelfen ihnen zur tieferen Erkenntnis allerBeutetechnik.«

»Leben viele Footen in Gousharan?«Bousseor öffnete den Mund, ohne zu re-

den. Domino Ross erkannte die Geste alsVerneinung; der Foote dachte nicht daran,ihm weitere Informationen zu liefern.

»Gibt es viele kleine Menschen in Terra-nia?« lautete die Gegenfrage.

Domino schürzte die Lippen und schwiegebenfalls.

»Ich habe Mittel, dich zum Reden zu brin-gen - kleiner Mensch«, stieß Bousseor nacheiner Weile verächtlich hervor. »Glaube janicht …«

Er stutzte, schien etwas bemerkt zu haben,was Domino nicht erkennen konnte, aber füreine abwehrende Reaktion war es schon zuspät. Eine unsichtbare Kraft stieß seine Hän-de mit dem Strahler zur Seite und entriß ihmdie Waffe. Gleichzeitig ging ein Ruck durchseinen Körper - für Domino sah es aus, alshätte der Foote nach rückwärts Übergewichtbekommen. Sein vorderes Armpaar zucktein die Höhe, haltsuchend und verteidigendzugleich, aber in der Bewegung erstarrte erund kippte zeitlupenhaft langsam gegen dieWand.

Gleichzeitig desaktivierten Rosa Borghanund Arno Wosken ihre Deflektorschirme.

Rosa stand neben dem Footen und schobsoeben ihren Kombistrahler in die Magnet-halterung zurück. Im Paralysemodus hattesie Bousseor betäubt. Auch wenn er nochwahrnehmen konnte, was um ihn herum ge-schah, die Muskeln versagten den Dienst.Wie lange sein Metabolismus benötigenwürde, die Lähmung zu überwinden, mußtesich indes erst herausstellen.

Wosken hing rittlings im Nacken desVierarmigen, die Arme unter der Mundöff-nung um den Leib des Gegners geschlungen.

»Ihr habt euch lange Zeit gelassen«, murr-te Ross.

Arno ließ die Beine baumeln undschwang sich wieder auf den Boden. Zö-gernd betrachtete er den Schleim, der an denHandschuhen haftete. »Kriech du dochdurch die engen Maschen des Netzes«, pro-testierte er. »Klebenbleiben ist keine beson-dere Kunst.«

»Dann hol mich hier runter!«Wosken hob die Schultern. Eigentlich

achtete er kaum auf Domino, sondern hattenur Augen für den Footen. Wenn er es rechtbedachte, waren seine Urahnen Bousseor anKörpergröße ebenbürtig gewesen. Alles hat-te er erwartet, nur nicht, in Gousharan einähnlich disponiertes Volk wie die Siganesenvorzufinden. Ein friedlicher Austausch hättebeiden Seiten nur Vorteile bringen können.

Rosa reichte dem Footen bis unter denAnsatz des oberen Armpaares. Sie bot eineigenwilliges Bild, als sie ihn Millimeter umMillimeter abtastete.

»Was machen wir mit ihm? Laufenlassenkönnen wir ihn schlecht, und solange wirnicht wissen, wie viele seines Schlages inden Schächten herumgeistern …«

»Wir müssen ihn mitnehmen«, sagte Do-mino. »Aber schaltet das Netz ab!«

In einer entschuldigenden Geste breiteteRosa die Arme aus. »Wenn du mir sagst, wodas Steuergerät ist.«

»Ich habe verdammt noch mal keine Lust,hier zu vertrocknen.« Ross war lauter ge-worden. Seine Augen weiteten sich, als Rosaeinen doppelt faustgroßen Gegenstand von

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Bousseors Kombination löste. »Mach end-lich!« seufzte er.

»Weißt du, was das ist?«»Der Schalter für das Netz.«»Das Ding sieht eher aus wie eine dieser

fliegenden Minen, die von den Dscherroverwendet werden.« Die Frau grinste schräg.»Wesentlich kleiner allerdings.«

»Ein Tokcher? Kannst du ihn aktivieren?«Rosa drehte das scheibenförmige Ding

hin und her. »Ich denke, ja«, sagte sieschließlich. Sie warf Arno einen auffordern-den und zugleich skeptischen Blick zu. »Nursollten wir unsere SERUNS vorher abschal-ten.«

Die Kontakte auf der Oberfläche des Tok-chers waren einfach. Rosa spürte sofort, daßdie Scheibe ein eigenes Schwerkraftfeld ent-wickelte; der Tokcher flutschte ihr aus denHänden und flog auf das Energienetz zu, dieeinzige hyperfrequente Quelle im Umkreis.

Eine kleine, grelle Explosion, als die Mi-ne einen der Stränge berührte. Rosa schloßgeblendet die Augen und riß die Arme hoch.Durch einen Tränenschleier hindurch regi-strierte sie, daß das Netz sich auflöste.

Domino war zu Boden gestürzt, rappeltesich aber schon wieder auf.

»Gut gemacht, Rosa! Den Footen nehmenwir mit. Aber durchsucht ihn vorher nachMikrospionen, und verbindet ihm die Au-gen.«

*

Niemand hatte während ihrer Abwesen-heit den Zugang zum Stützpunkt Kaktusblü-te entdeckt; erleichtert löste Domino Rossden winzigen Sensor aus dem Spalt desSchottes.

Bousseor war von Rosa und Arno Wos-ken in die Reichweite ihrer Deflektorfeldermit einbezogen worden.

»Dürfte ein wenig eng werden für ihn«,bemerkte Wosken. »Aber wenn er keineDummheiten macht, geht's.«

Die lichte Höhe des Stützpunktes betrugzwanzig Zentimeter, also nur geringfügig

mehr als -Bousseors Größe. Indes würde erohnehin keine Gelegenheit haben, sich auf-zurichten. Domino legte ihm energetischeFesseln an, danach erst nahm er die Augen-binde ab. Bousseor blinzelte hektisch, einezähe, gelbliche Flüssigkeit quoll unter sei-nen Lidern hervor.

»Tut mir leid, falls es für dich nicht son-derlich bequem war«, sagte Domino. »Aberdarauf können wir derzeit wenig Rücksichtnehmen.«

Da war es wieder, das Bild des verbren-nenden Dscherro. Und warum fühlte er sichBousseor näher als den massigen Gehörn-ten? Hatte es mit der Größe des Regen-wurmwesens zu tun? Oder war er unbewußtdavon ausgegangen, daß Bousseor im bruta-len Kampf um Terrania noch keinen Men-schen getötet hatte? Nein, die Footen, dashatte der Vierarmige eingestanden, warenfür die Technik der Dscherro zuständig -und damit indirekt auch für die Zehntausen-de von Toten, die von Granaten zerrissenoder unter einstürzenden Gebäuden begra-ben worden waren.

Vergeblich versuchte Bousseor, die Fes-seln abzustreifen, schließlich blieb er aufdem Rücken liegen und starrte zur Deckeempor.

»Wo sind wir?« Seine helle Fistelstimmeklang nicht mehr so fest und fordernd wie zuAnfang. Domino Ross glaubte, einen Hauchvon Unsicherheit herauszuhören.

»In Sicherheit«, sagte der Siganese.Bousseors Blick huschte über die von den

Siganesen aufgebauten High-Tech-Anlagen.Eine Reihe von Holowiedergaben zeigtenSzenen aus dem Inneren der Burg, aberplötzlich auch von außerhalb, aus Terrania.Wie diese Bilder durch die Faktordampf-Barrie-re kamen, war nicht ganz klar; die Dscherrohatten vielleicht Kabel verlegt, um solcheInformationen nach innen zu tragen.

»Das ist das HQ-Hanse!« stieß ArnoWosken hervor. »Sieht so aus, als würdendie meisten Dscherro das Feld räumen. Wasgeht da vor sich?«

Das Bild wechselte, zeigte eine

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Schourcht, in der sich neben nur drei Ge-hörnten eine Terranerin befand.

»Paola Daschmagan. Dann ist der fetteDscherro neben ihr Taka Fellokk.« Rosswandte sich an Bousseor: »Wenn du schonzusehen darfst, sag wenigstens, ob das Fel-lokk ist.«

»Er ist ein unbesiegbarer Krieger.«»Sieht so aus, als wollte er endlich seine

wertvollste Geisel in die Burg schaffen«,folgerte Rosa. »Vielleicht kommt es endlichzu Verhandlungen.«, Lachend riß Fellokkden Bogantöter hoch und jagte ein Magazinvon Sprengladungen in die Fassade einesnoch halbwegs unbeschädigt gebliebenenGebäudes. Mit einer Hand packte er danndie Erste Terranerin am Aufschlag ihrerKleidung und zerrte sie in die Höhe, hielt siedemonstrativ von sich.

»An den Taka müßte man herankommenund den Spieß umdrehen«, sinnierte Domi-no. »Was glaubst du, Bousseor: Würden dieDscherro ihren Taka auslösen, oder überlas-sen sie ihn kaltblütig seinem Schicksal?«

Der Foote murmelte etwas Unverständli-ches.

»Du darfst ruhig lauter reden«, forderteRoss ihn auf. Dennoch erhielt er keine Ant-wort mehr.

*

Zwei »Milben« waren zurückgekehrt.Bousseor reagierte verblüfft auf die sechs-beinigen Minispione, das war trotz allerFremdartigkeit seiner Physiognomie deut-lich zu sehen. Gebannt starrte er die Roboteran - und sein Körper sonderte eine Schleim-spur ab, als holographische Aufzeichnungenden Taka zeigten, der den Hofstaat um sichversammelte.

»Insgesamt bin ich zufrieden mit dem bis-her Erreichten«, bellte Fellok heiser. »Wirhaben den Terranern bewiesen, daß wir ih-nen überlegen -sind, und ihre Hauptstadt inein Ruinenfeld verwandelt. Obwohl sie dieWaffen dazu hätten, können sie nicht zu-rückschlagen, denn sie müssen auf ihre Art-

genossen Rücksicht nehmen.«»Was ist, falls sie ihre Sentimentalität

vergessen?« fragte Hokkun, der Serofe fürstrategische Belange.

Die Siganesen hatten genügend Informa-tionen aus den angezapften Datenleitungenherausgefiltert und kannten inzwischen alleSerofen. Hokkun war erst vom neuen Takain sein Amt eingesetzt worden, sein Stirn-horn war kurz und stumpf und ebenso un-verwechselbar wie die blutrote Schädeltäto-wierung.

»Ausgeschlossen!« wehrte Achysch ab,der Serofe für soziale Ordnung. »Kreaturenwie diese Ungehörnten gehen lieber sehen-den Auges in den Untergang, als ihrer Senti-mentalität untreu zu werden.«

Achysch war einer der Alten, er ging be-reits gekrümmt, und Fett hatte die Muskelnüberlagert. Schweiß perlte auf seinem Ge-sicht. Hörbar sog Fellokk den Atem ein, alser sich ihm zuwandte.

»Trotz allem sind wir noch nicht amZiel«, fuhr der Taka fort.

»Wir werden nicht ewig auf dieser Weltbleiben.« Barrasch Guulor war wohl der äl-teste von allen und wirkte ungewöhnlich ha-ger. Haut und Knochen spannten sich rissigüber seinem Schädel, an Stelle des Hornsbesaß er nur eine verhärtete Fleischwuche-rung. Die Tätowierung war verblaßt, zeigtelediglich noch Fragmente. Aber trotz dieserUnzulänglichkeiten verfügte er als Barraschüber Macht und Einfluß. »Wir müssen unsüberlegen, welchen Preis die Terraner fürdas Leben der Geiseln zu zahlen haben«,fuhr er stockend fort. »Wir können sehr vielvon ihnen fordern.«

»Mehr als sehr viel«, bekräftigte Fellokk.»Und die Terraner werden bezahlen.« Ermachte eine umfassende Geste. »Uns erwar-tet eine fremde Galaxis mit vielen Völkernund technischen Errungenschaften, von de-nen selbst die Footen nicht zu träumen ge-wagt hätten. - Sagt mir, ob unser Clan unterPoulones-Führung nur einen Bruchteil die-ses Erfolges erzielt hätte. Poulones wollteverhandeln!« Verächtlich spie er aus. »Er

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hätte unser Volk damit der Lächerlichkeitpreisgegeben. Ich verhandle nicht mitSchwächlingen, ich diktiere meinen Preis.«

»Wir hatten nie einen stärkeren Taka alsdich, Fellokk.«

»Du wirst uns lange von Sieg zu Sieg füh-ren.«

Auch ein Foote stimmte in das von allenSeiten kommende Lob ein. Zum erstenmalhatte ihn die Optik der »Milbe« erfaßt.

»Wer ist das?« wandte Domino Ross sichan den Gefangenen. Bousseor schwieg.

»Dann ist er unwichtig.« Domino winktegelassen ab. »Ob du mit uns redest odernicht, wir erfahren ohnehin, was wir wissenwollen.«

»Seassor«, stieß der Vierarmige hervor.»Sein Name ist Seassor. Er ist der Anführeraller Footen in Gousharan.«

Fellokk stieß ein dumpfes Grollen aus,zog die Schultern nach vorne und ballte dieHände. Es hatte den Anschein, als wolle ersich auf einen der Serofen stürzen. Oder aufden buckligen Wischak Gullokk, der spon-tan nach rückwärts auswich.

»Streichel meinen Buckel, Taka Fellokk«,stieß Gullokk hervor, »das bringt Glück.«

»Gullokk ist der einzige körperlich Ver-formte in der Burg«, erklärte Bousseor dies-mal ungefragt. »Wischak zu sein ist für ihndie Chance, am Leben zu bleiben. Wenn dieKrieger in den Kampf ziehen, begleiten sieseine Wünsche, und obwohl die Dscherro ei-gentlich nur an sich selbst glauben, machensie das Spiel mit.«

»… denn man kann ja nie wissen«, sagteRosa.

Bousseor zog den Mund in die Breite. »Soist es«, bestätigte er.

»Ich rieche Verrat!« donnerte Fellokk ur-plötzlich los. »Es stinkt förmlich. Ihr gebteuch loyal, aber nicht jeder ist es. Du, Zu-scherech, was hast du dazu zu sagen?«

»Ich bin dein Freund, Taka. Kein andereraußer dir könnte unser Herrscher sein.« De-mütig senkte der Serofe für die Versorgungsein nach oben gebogenes Horn. Er dienerte,ängstlich um die eigene Sicherheit besorgt.

Witternd blähte sich Fellokks Nase, einemSchweinerüssel nicht unähnlich. Die kräfti-gen Reißzähne entblößte er bis, zur Wurzel.»Was ist mit dir, Achysch? Dein Schweißstinkt, als hättest du vieles zu verbergen.«

»Ich bin dir loyal, Taka. Du weißt, daßich Poulones' Verhandlungsabsichten niegutgeheißen habe …«

»Schweig! Ich rieche, daß du verschlagenbist, Achysch.«

Trotz der ruppigen Aufforderung wagteder Serofe zu widersprechen. »Du hast recht,Taka Fellokk, ich mag verschlagen sein,aber ich bin auch loyal und kein Verräter.Oder rieche ich nach Verrat? Dann töte michauf der Stelle.«

»Achysch verbreitet immer einen stren-gen, unangenehmen Geruch«, erläuterteBousseor. »Schon Poulones war sich seinerNase nicht sicher.«

Fragend die Brauen zusammengekniffen;wandte Domino Ross sich dem Footen zu.Bousseor hatte den Versuch längst aufgege-ben, sich gegen die energetischen Fesseln zusträuben. Er wirkte ruhig. Oder versuchte er,sich anzubiedern?

Dominos Aufmerksamkeit wurde erneutvon den Aufzeichnungen beansprucht.

»Es wird ein furchtbares Strafgericht ge-ben«, dröhnte Taka Fellokk und unterstrichseine Worte mit einer unmißverständlichenGeste. »Alle, die hinter meinem Rücken in-trigieren und meine Abwesenheit nutzenwollten, um Zwietracht zu säen, werden sichbald wünschen, nie geboren worden zusein.«

Die Serofen versicherten bei Leib und Eh-re, daß sie voll und ganz hinter ihrem neuenTaka stünden.

»Verschwindet!« herrschte Fellokk sie an.»Ich erwarte, daß meine Gegner den Mut ha-ben, sich zum Kampf zu stellen.«

»Vielleicht kann er wirklich die Einstel-lung der anderen riechen«, überlegte Rosazögernd. »Ich denke, das ist kein leeres Ge-rede …«

»Jeder Taka hat diese Fähigkeit«, bestä-tigte Bousseor, »andernfalls wäre er nie Ta-

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ka geworden. Nur besondere Dscherro neh-men den Hormonausstoß der anderen wahr,riechen ihn. Poulones war nicht mehr in derLage dazu, er konnte zuletzt leicht getäuschtwerden.«

Forschend schaute Domino Ross den Foo-ten an. »Warum erzählst du uns das alles?«

Bousseors Mundwinkel glitten noch einwenig weiter auseinander. »Weil …« Erstockte, blinzelte offenbar verwirrt.»Vielleicht gibt es eine Möglichkeit derfriedlichen Verständigung zwischen uns.«

»Ich weiß nicht, ob wir dir trauen dür-fen.«

»Ich hätte euch längst an die Dscherroverraten können«, behauptete Bousseor.»Eure Manipulation am Mikro-Wachsystemder Footen ist mir nicht entgangen. Warumhabe ich meine Entdeckung wohl für michbehalten?«

»Du wolltest uns allein besiegen und alsHeld dastehen. Außerdem hast du nur mit ei-nem Eindringling gerechnet.«

»Ich gebe zu, das hat eine Rolle gespielt.Aber jetzt, da ich euch gesehen habe, bin ich…«

»Fasziniert?«»Gemeinsam könnten wir Meisterleistun-

gen in der Mikrotechnik erbringen; das istes, was mich interessiert.«

»Der Taka spürt also mittels seines Ge-ruchssinns Gegner in der Burg auf?« kamDomino aufs Thema zurück.

»Fellokk riecht die Stimmungen derDscherro«, bestätigte Bousseor.

Eine neue holographische Wiedergabeflammte auf. Der Taka war allein mit demSerofen für das Kriegshandwerk, alle ande-ren hatten den Raum verlassen. TschochsHorn war dick und stumpf und leicht nachlinks unten gebogen, doch die fehlende Im-posanz ersetzte er mit einer rubinroten Lack-schicht, die Horn und Schädel überzog.Noch auffälliger war der neonblaue Ring,von einem sechsfach gezackten Blitz durch-stoßen.

Auch Tschochs Kleidung entsprach nichtder Norm. Er trug eine geschlossene silberne

Kombination, die locker seine Leibesfülleüberdeckte und bis zu den Knöcheln undden Handgelenken reichte. An vielen Stellenbefanden sich große noppenartige Ver-dickungen - insgesamt zwanzig, erklärteBousseor. Es handelte sich um Multifunkti-onselemente und Kontaktstellen für dieBurgtechnik; Tschoch war in der Lage, sichüber diese Anschlußstellen drahtlos mitGousharans Funktionen zu verbinden.

»Ich konnte deutlich die Atmosphäre vonVerrat und Intrige riechen«, sagte Fellokk.»Meine Macht ist noch nicht so gefestigt,wie sie sein sollte.«

»Ich denke, das wird sich schnell ändern«,versetzte Tschoch. »Ich werde alles daran-setzen, den oder die Verräter zu überführenund deiner Bestrafung zu überstellen.«

»Wer nicht für mich ist, der steht gegenmich. Eine andere Wahl kann es nicht ge-ben.«

Speichel tropfte über Tschochs Lippen;mit einem scharfen, schlürfenden Geräuschsog er den Schaum wieder hoch. »Wir wer-den alle Gegner aufspüren und töten, ohneAusnahme.«

5.

Rosa Borghan ertappte sich dabei, daß sieden Footen neugierig musterte. Dabei hättesie selbst kaum zu sagen vermocht, was anihm sie wirklich faszinierte. War es seinschlanker, geschmeidiger Leib, der sichschlangengleich wand, seine Fremdartigkeitund zugleich das vertraut Anmutende anihm, das den Vergleich mit einem Regen-wurm herausforderte, oder war es einfachnur seine Größe von lediglich neunzehnZentimetern, die ihn den Siganesen allersonstigen Unterschiede zum Trotz ähnlichermachte, als sie es zunächst für möglich ge-halten hätte? Daß Bousseor ähnlich emp-fand, war unverkennbar.

Arno Wosken und Domino Ross hattendie letzten Aggregate aus der zerlegten Anti-gravscheibe ausgebaut und weitere An-schlüsse an das Kommunikationsnetz vorge-

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nommen. Die Informationskanäle verfügtennicht über Abhörsicherungen, was aber auchwenig verwunderte, denn die Burg war dasureigenste Refugium der Dscherro. Wie inTerrania nie jemand mit einem Angriff ausder eigenen Mitte gerechnet hatte, so hieltendie Dscherro fremde Spione in der Burgwohl für eine Unmöglichkeit.

»Wir Footen haben nie daran gedacht, ge-gen die Dscherro zu rebellieren«, sagteBousseor unvermittelt. Er hatte es sich eini-germaßen bequem gemacht und lehnte mitdem Rücken an einer Wand, doch seine bei-den Armpaare wurden immer noch vonenergetischen Fesseln zusammengehalten.

»Ich denke, ihr helft den Dscherro, indemihr Beutetechnik auswertet«, klagte Dominoan.

»Wir müssen ihnen helfen.«Der Siganese verzog das Gesicht. »Ich se-

he da keinen Unterschied.« Wieder wandteer sich zwei neu installierten Holowürfelnzu. Taka Fellokk war in einer der Wiederga-ben zu sehen. Nur der Ton fehlte noch, aberdas lag an der Frequenzmodulation. Schließ-lich wurde der Datenstrom in der Zwischen-decke nicht durch direkten Kontakt ange-zapft, sondern aus der Distanz mittelsSchwingungsanalyse, und die einzelnen Fre-quenzen zu trennen war nicht immer leicht.

»Wir Footen sind bessere Sklaven«, stießBousseor zerknirscht hervor. »Sicher, wirgenießen Vorteile, aber wirklich frei - nein,das sind wir nicht.«

»Wie weit ist eure Heimat entfernt?«wollte Rosa wissen.

»Ich habe keine Ahnung. Wir wurden le-gen unseren Willen hierher versetzt. Aberwer fragt schon danach, was wir wollen?Wir sind klein und unbedeutend, ein verlore-nes Häufchen in dieser fremden Galaxis.«

»Du kennst die Nonggo?« fragte Wosken.Bousseors Regenwurmgesicht blieb aus-

druckslos. »Nein«, sagte er.»Immerhin brachten die Nonggo das He-

liotische Bollwerk, das den Austausch derFaktorelemente erst ermöglichte.«

»Ich habe gehört, daß der Ungehörnte mit

Taka Poulones über ein Bollwerk sprach undden Dscherro striktes Berührungsverbot er-teilte.«

»Wer ist dieser Ungehörnte?«»Ich weiß nicht. Ich erfuhr von ihm erst

aus unserem Überwachungssystem.«»Leben viele Footen in Gousharan?«»Knapp achthundert:«Domino Ross schürzte die Lippen. Die

Zahl war gering, er hätte sie höher einge-schätzt.

»Und Dscherro …?«»Sechzigtausend. - Footen und Dscherro

haben schon vor langer Zeit zusammenge-funden und- sind so etwas wie Lebenspart-ner geworden …«

»Das klingt aber nicht nach Sklaverei,eher schon nach Symbiose.«

Bousseor ließ einen hellen, vibrierendenTon vernehmen, möglicherweise das Äqui-valent eines tiefen Seufzers. »Wir Footenmüssen die Dscherro mit Technik versorgenund adaptieren, was sie auf ihren Kriegszü-gen erbeuten, im Gegenzug beschützen undversorgen sie uns - aber das ist nicht das Le-ben, das wir gerne führen. Früher war unserVolk frei und konnte selbst bestimmen, da-mals zählten wir noch nach Tausenden. Inder Nähe der Dscherro haben wir die Fähig-keit verloren, uns zu vermehren. Einige vonuns vermuten, daß die Dscherro Enzymhem-mer ins Essen mischen.«

Domino nickte verstehend. Das klangplausibel. Rosas Vorbehalte gegen den Foo-ten, das hatte er an ihrem Gesicht ablesenkönnen, waren mit jeder Minute mehr ge-schwunden. Arno Wosken schüttelte ledig-lich abwägend den Kopf.

»Erzähle uns von deiner Heimat, Bousse-or!« forderte Ross.

Die übermäßige Sekretabsonderung desFooten war geringer geworden, vielleicht einZeichen, daß seine Erregung abgeklungenwar und er sich mit der Gefangenschaft ab-fand.

»Mir fehlen Vergleichswerte, ob unsereGalaxis größer ist als die Milchstraße derGalaktiker. Aber ich nehme es an. Die ge-

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naue Zahl der Zivilisationen kennt niemand,aber es müssen mehrere Millionen Völkersein, und gut achtzig Prozent beherrschendie Raumfahrt.«

»Du weißt, was du da sagst?« unterbrachWosken.

»Es ist so«, antwortete Bousseor. »Vielehaben erst ihr eigenes System erkundet oderzwei oder drei benachbarte Sonnen erreicht.Für die Dscherro ist das ein reich gedeckterTisch.« Bousseors seitlich liegende Augenschienen die Siganesen zu fixieren. Als keinEinwand kam, mit dem er offensichtlich ge-rechnet hatte, fuhr er mit seiner hellen Fi-stelstimme fort: »Unsere Heimat haben dieDscherro vor Hunderten von Jahren geplün-dert, aber weil sie unsere technischen Fä-hig= keiten erkannten, auch viele Footenverschleppt.« Bousseor machte eine Bewe-gung mit dem unteren Armpaar, als wolle ersich den Schleim vom Gesicht wischen.»Die Dscherro gehen grausam vor und hin-terlassen viele Tote. Dennoch können diebetroffenen Völker sicher sein, daß ihnennicht alles genommen wird, was sie zumWeiterleben brauchen, und deshalb zahlensie lieber die geforderten Werte, um denSchaden einigermaßen zu begrenzen.«

»Auch die Terraner werden also ihrenObolus bezahlen müssen«, vermutete Rosa.»Was glaubst du, Bousseor, wird Fellokkfordern?«

»Ich weiß es nicht. Alles kann dem neuenTaka wichtig sein: Waffen, eure Transmit-ter, vielleicht sogar Raumschiffe. Die ge-samte Flotte ist auf Thorrim zurückgeblie-ben.«

»Thorrim ist die Welt, die zuletzt überfal-len wurde?«

Bousseors Stimme klang entrüstet. »AufThorrim hat Gousharan seit Jahrzehnten sei-nen festen Standort, und von dort gehen dieRaumschiffe auf Beutezug. So lange, bis dieBurg aufgegeben und einige tausend Licht-jahre entfernt neu aufgebaut wird.«

»Wir könnten alle Footen aus Gousharanfortbringen«, sagte Rosa Borghan vor-schnell.

Domino Ross machte ein paar Schritte,blieb stehen, drehte auf dem Absatz um. DieArme vor der Brust verschränkt, wirkte ersehr nachdenklich.

»In der Tat«, pflichtete er bei, »es gibt ei-ne Welt, die euch gefallen könnte. Etwasmehr als zehntausend Lichtjahre entfernt,mit allem ausgerüstet, was für Wesen unse-rer Größe …« Er unterbrach sich, schüttelteden Kopf. »Nein, ich glaube, Siga ist dochnicht für euch geeignet.«

»Eure Heimatwelt?« fragte der Foote in-teressiert. »Das wäre …« Zwei Worte vollBegeisterung, aber schon dämpfte er eben-falls seine Euphorie. »Die Zukunft müßte er-weisen, ob wir miteinander auskommen.Wir Footen benötigen nicht viel Platz - gebtuns ein Stückchen Land oder nurein großesGebäude.« Er zögerte. »Wie groß sind eureStädte, wie viele von euch leben in den Bal-lungszentren?«

»Rosa«, sagte Ross, ohne auf die Frageeinzugehen, »nimm ihm die Fesseln ab.«

Achthundert Footen aus Gousharan zuevakuieren, das war eine Sache weniger Mi-nuten, sobald die Kleintransmitter aufgebautwaren. Domino Ross begann verhalten zugrinsen. Wenn das durchzuführen war, wür-den die Dscherro eine arge Schlappe ein-stecken müssen. Vielleicht ließ sich Erpres-sung gegen Erpressung arrangieren, undwenn die Footen dabei mitspielten, sogarhöchst effektiv.

Wie schnell doch aus vermeintlichenGegnern Freunde werden konnten.

»Ich biete dir an, zu uns überzulaufen«,sagte Domino. »Jeder kann ein freies und ei-genständiges Leben an der Seite von uns Si-ganesen führen.«

»Niemand macht ein solches Angebot,ohne eine Gegenleistung zu erwarten. Waserwartest du von uns?«

»Nichts.« Domino winkte ab. »Keine Be-dingungen.«

»Das bedeutet vielleicht, uns Footen voneiner Abhängigkeit in die andere zu führen.Ich kann die Entscheidung nicht allein tref-fen.«

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»Und du wirst verstehen, daß ich diesenStützpunkt nicht für mehr Footen öffnenkann. Auch ein Funkkontakt ist von hier ausnicht möglich, sonst könnte ich gleich nachden Dscherro rufen.«

Bousseor verzog die Mundwinkel. »Dumißtraust mir«, stellte er fest. »Sicher, ich andeiner Stelle würde kaum anders denken.Wenn du deshalb glaubst, Sicherheitsvor-kehrungen treffen zu müssen, triff sie; ichwerde dir nichts in den Weg legen.«

*

»Ich bin mir nicht schlüssig, was ich vonihm halten soll«, sagte Rosa Borghan.

Dominos Blick wanderte hinüber zu demFooten, der beide Armpaare über dem Leibverschränkt hatte und die Augen geschlos-sen hielt. Mitzuhören, was die Siganesen re-deten, war Bousseor unmöglich, denn ArnoWosken hatte ihn mit einem schallabsorbie-renden Energiefeld abgegrenzt.

»Wir müssen eine Entscheidung treffen.Wie sie auch ausfällt, sie wird unser weite-res Vorgehen in Gousharan entscheidend be-einflussen. Stellt euch vor, Blues oderMaahks oder ein anderes Volk hätten unsereVorfahren einst von Siga entführt, um sie inihre Dienste zu pressen … Zweifellos wärenwir heute nichts anderes gewohnt, aber wür-den wir uns wirklich frei fühlen?«

»… und würden wir nicht auch die erstesich bietende Gelegenheit nutzen, diesemungeliebten Zustand ein Ende zu bereiten?«fügte Rosa hinzu. »Immerhin hätte er unsvon Anfahg an verraten können.«

»Er hat Paul und Paula zerstört«, erinnerteArno Wosken.

»Da hielt er die Roboter noch für Erzeug-nisse der Terraner.«

»Ich glaube, für Bousseor ist unsere Grö-ße ausschlaggebend«, sagte Domino. »Dasschafft mehr Vertrauen als hundert Beteue-rungen, und seien sie noch so perfekt formu-liert.«

»Das heißt doch, Domino, deine Entschei-dung steht längst fest«, bemerkte Wosken.

»Worüber diskutieren wir eigentlich noch?«»Meine Meinung steht fest, nicht meine

Entscheidung.«»Wortklauberei!« Wosken lächelte schief.

»Ich mache darauf aufmerksam, daß ein un-kalkulierbares Restrisiko bestehenbleibt.«

»Ich für meine Person bin bereit, das Risi-ko einzugehen«, erklärte Rosa.

»Mit Domino seid ihr bereits zu zweit undniemand sollte versuchen, ein heimlichesLiebespaar auseinanderzudividieren«, sagteWosken. »Aber ich werde auf der Hut seinund die Hand an der Waffe behalten.«

»Vielleicht haben wir wirklich neueFreunde gefunden, das wäre zu wünschen -vor allem inmitten einer Welt, die nur nochaus Krieg und Leid zu bestehen scheint.«Domino Ross schaltete das Feld ab, hinterdem Bousseor kauerte.

Sofort schlug der Foote die Augen auf.»Trennen sich unsere Wege?« wollte er wis-sen.

»Das hängt allein von dir ab. Wir sind be-reit, den Footen in Gousharan zu helfen.«

Bousseors Haut nahm eine tiefdunkle Fär-bung an, gleichzeitig schimmerte sie naßwie mit einem transparenten Sekret überzo-gen. »Eure Entscheidung gibt mir die Hoff-nung zurück«, sagte der Foote. »Ihr seid auf-richtig zu mir, ich bin es euch gegenüber:Euer Energiefeld hätte mich nicht aufhaltenkönnen. Ich glaube, Siganesen und Footenwerden gemeinsam sehr viel bewegen kön-nen.«

Bevor Bousseor zu Ende gesprochen hat-te, hatte Arno Wosken bereits reagiert unddas begrenzte Energiefeld erneut entstehenlassen, diesmal jedoch ohne die Schallab-sorption.

»Ich lasse mich doch immer wieder gerneüberraschen«, bemerkte er. »Zeig uns, wasdu kannst.«

»Arno«, protestierte Rosa, »das ist nichtder beste Vertrauensbeweis …«

»Laß ihn!« fiel Domino ihr ins Wort.»Wir müssen wissen, ob er nur blufft.«

Bousseor manipulierte an seiner Ketten-gliedkombination. Innerhalb von Sekunden-

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bruchteilen begann der schwarzgraue Anzugein fahles grünes Licht abzustrahlen, als seider Foote plötzlich Mittelpunkt einer leuch-tenden Aura geworden. Dieser Schimmerweitete sich aus, umgab Bousseor mit einerfluoreszierenden Kugelhülle, und wo dasLeuchten auf die energetische Sperre traf,entstanden Überlappungsfronten, die imeinen Moment noch in allen Farben des Re-genbogens schimmerten, sich im nächstenaber schon deutlich sichtbar aufzulösen be-gannen. Bousseor schritt durch den ebennoch existenten Energieschirm hindurch, alsgäbe es ihn nicht mehr, erst hinter ihm ent-stand die Sperre erneut.

»Verdammt!« entfuhr es Arno Wosken,dessen Blick ungläubig zwischen dem Foo-ten und den syntronischen Kontrollen seinerProjektoren pendelte. »Ich habe nicht die ge-ringste Anzeige einer Abweichung. Wennihr mich fragt, der Schirm hat ununterbro-chen in ausreichender Stärke bestanden -Bousseor dürfte ihn überhaupt nicht durch-drungen haben.«

Der Foote verschränkte die Arme vor sei-nem Anzug, als könne er auf die Weise allenneugierigen Fragen Einhalt gebieten. »WirFooten wären dumm, wenn wir alle erbeute-te Technik nur für die Dscherro auswertenwürden; was uns brauchbar erscheint, wirdfür unsere Zwecke manipuliert. Die Gehörn-ten wissen nicht, daß wir ihre Schutzschirmedurchdringen können. Jeder Foote arbeitetauf den Tag hin, an dem wir Gousharan end-lich verlassen können.«

»Ihr werdet diese Chance erhalten«, ver-sprach Domino Ross nachdenklich. »EureFreiheit gegen Informationen, die uns hel-fen, die Dscherro zu vertreiben.«

»Terrania wird nur dann von ihnen befreitwerden, wenn ihr alle tötet«, stieß Bousseorhervor.

»Töten, immer nur töten«, ereiferte sichRosa. »Gibt es keinen anderen Weg, die Ge-hörnten loszuwerden?«

»Schicke sie zu einem Volk, das größereReichtümer zu bieten hat als die Menschen«,riet der Foote.

»Das ist keine Lösung. Aber dennoch, du…« Domino streckte ihm seine rechte Handentgegen, und Bousseor ergriff sie mit zweiseiner wurmfortsatzartigen Greiffinger. »Ichfreue mich, Verbündete gefunden zu ha-ben.«

»Nicht ganz«, sagte Bousseor zur Überra-schung der Siganesen. »Woher nehme ichdie Gewißheit, daß ich euch vertrauen darf?Das Bestreben der Terraner muß doch sein,alles, was mit den Dscherro auf ihre Weltkam, ein für allemal zu vernichten.«

»Die Menschen sind keine Mörder. Undwir Siganesen würden so ein Vorgehen nieunterstützen.«

»Dann erzähle mir von euch! Ich mußwissen, wem ich das Schicksal meines Vol-kes anvertraue.«

*

Die Geschichte der Siganesen mit weni-gen Worten zu umschreiben war so gut wieunmöglich. Domino Ross begann mit derBesiedlung des Planeten Siga und der Fest-stellung, daß besondere Strahlungskompo-nenten der Sonne Gladors Stern schuld dar-an hatten, daß die Größe der Siedler von Ge-neration zu Generation abnahm. Er sprachdavon, daß die Siganesen vor rund einhun-dertundfünfzig Jahren beinahe ausgerottetworden wären und daß zuletzt nur noch 327auf Siga gelebt hatten - zu wenige, um trotzSyntroniken und perfekter Mikrotechnikeinen ganzen Planeten funktionsfähig zuhalten.

»Du siehst also«, betonte er, als er Bous-seors Überraschung bemerkte, »die Footenund wir Siganesen sind einander ähnlicher,als es zunächst den Anschein hatte.«

»Jetzt verstehe ich deine Vorsicht«, sagteder Foote. »Ein Volk, das zahlenmäßig soklein geworden ist, muß sich schützen. - Ihrhabt eure Heimatwelt also freiwillig verlas-sen.«

»In der Hoffnung, eines Tages vielleichtzurückzukehren. Vieles ist nur stillgelegtund kann jederzeit wieder in Betrieb genom-

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men werden.«»Gibt es in dieser Galaxis keine Plünde-

rer, die eine verlassene Welt heimsuchen?«»Natürlich haben wir vorgesorgt. Wer im-

mer den Planeten als leichte Beute ansieht,wird sich die Zähne daran ausbeißen.«

Was Domino berichtete, war in sichschlüssig, aber eben doch nur die halbeWahrheit. Die Tatsache, daß die Siganesenauf Camelot eine neue Heimat gefunden hat-ten, verschwieg er geflissentlich, ebenso wieer »vergaß«, die Algustraner als »große Brü-der« zu erwähnen oder die Wachplattformder LFT im Orbit über Siga. Er setzte ein-fach voraus, daß auch Bousseor seinerseitslängst nicht alles erzählt hatte, was die Foo-ten anbetraf. Auf diese Weise hatte wohl je-der noch das eine oder andere kleine Ge-heimnis, und erst die Zeit würde zeigen, in-wieweit eine Grundlage gegenseitigen Ver-trauens und gemeinsamer Zusammenarbeitgeschaffen werden konnte.

»Seassor muß die endgültige Entschei-dung treffen«, sagte Bousseor. »Nur er kannfür alle Footen in Gousharan eine verbindli-che Zusage geben. Wenn ihr einverstandenseid, werde ich ihn herbitten.«

»Nein!« widersprach Domino Rossscharf.

Bousseor blinzelte verwirrt. »Sagtest dunicht, daß wir gemeinsam …?«

»Die Dscherro könnten auf Seassors un-gewöhnlichen Abstecher reagieren und un-seren Stützpunkt entdecken«, erläuterte derSiganese. »Was dann geschieht, brauche ichdir wohl nicht zu erklären.«

»Was schlägst du vor?«»Du führst uns zu Seassor.«»Warum nicht? Wir haben die Möglich-

keit, von den Dscherro unbemerkt zu ihm zugelangen. Ich werde ihn verständigen.«

»Nein!« sagte Domino zum zweitenmal.»Und da wäre noch eine Kleinigkeit. Natür-lich müssen wir dir wieder die Augen ver-binden. Ich bin sicher, daß du nichts dage-gen einzuwenden hast.«

»Du mißtraust mir doch?«»Sagen wir, ich habe Respekt vor den

Methoden der Dscherro. Unter Zwang könn-ten sie mehr aus dir herausquetschen, als dufreiwillig ausplaudern würdest. - Ach ja,noch etwas: Zieh bitte deine Kombinationaus.«

»Du willst sichergehen, daß ich keine op-tische Aufzeichnung anfertigen kann«, ver-mutete Bousseor. »Wieso kannst du sichersein, daß das nicht längst geschehen ist?«

»Ich bin nicht sicher«, sagte Domino.»Aber ich glaube, daß du gegen eine Lö-schung aller Datenspeicher nichts einzuwen-den hast.«

»Falls es dich beruhigt, Domino Ross.«Ohne Umschweife schlüpfte der Foote ausseiner Gliederkombination. Es sah ein kleinwenig aus, als häute sich eine Schlange, undder High-Tech-Anzug lag danach wirklichda wie eine vertrocknete alte Haut. Nackt er-innerte Bousseor noch mehr an einen mitGliedmaßen versehenen Regenwurm, seineHaut war am ganzen Körper rotbraun undnaß glänzend.

Arno Wosken hantierte einige Minuten andem Anzug, und seine Begleiter sahen ihman, daß er liebend gerne alle Speicherinhalteauf einen Syntron überspielt hätte, aberletztlich beschränkte er sich darauf, nur alleSegmente zu löschen. Zusammengerollt er-gab der Anzug ein nicht gerade üppigesBündel; Wosken warf ihn sich einfach überdie Schulter.

Rosa hatte dem Footen inzwischen dieAugen verbunden. Mit einem Material, dassich hermetisch jeder Hautfalte anpaßte undihn wirklich völlig blind machte.

Im Schutz der Deflektorschirme verließensie den Stützpunkt und drangen in das Röh-rensystem der Footen ein. Mittlerweilekannten die Siganesen sich in der Umge-bung so gut aus, daß sie Bousseor in die Irreführen konnten. Es würde ihm unmöglichsein, Rückschlüsse auf den Weg zu ziehen,den sie genommen hatten.

Als sie Bousseor die Augenbinde abnah-men, befanden sie sich in einem geradlinigverlaufenden Röhrensegment, mehr als drei-hundert Meter von einem der Überwa-

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chungsknotenpunkte entfernt, den sie imSchutz der Deflektoren passiert hatten.

Bousseors Bewegung sah aus, als verbeu-ge er sich vor seinen Begleitern. »Seid ihrzufrieden?« wandte er sich an die Siganesen.

Im ersten Moment wußte Domino nicht,was der Foote meinte, dann gab er Woskeneinen flüchtigen Wink. »Gib ihm seinen An-zug zurück!«

Mehrmals schon hatte er sich gefragt, obihr Begleiter als männlich oder weiblich ein-zustufen sei oder womöglich als Zwitter.Sichtbare Geschlechtsmerkmale hatte er je-denfalls nicht entdeckt, auch keine Hautfal-ten, in denen sich entsprechende Organe hät-ten verbergen können.

»Wo finden wir Seassor?« wollte Rosawissen. »Nach unseren bisherigen Erkennt-nissen hatte ich den Eindruck, daß er zumHofstaat gehört.«

»Das ist gar nicht so falsch«, antworteteBousseor. »Er bewohnt eine eigene Unter-kunft, die wir über das Tunnelsystem errei-chen können. Die Dscherro wissen zwarvom Vorhandensein der Schächte und Röh-ren, kennen aber längst nicht alle Wege, diewir im Laufe vieler Jahre ausgebaut haben.Ihre Größe erweist sich für sie als hinder-lich, ebenso die Tatsache, daß sie ihre Mi-krotechnik nur von uns beziehen können.«

Bousseor lachte hell, als die Siganesenvor der nächsten Überwachungsstelle wiederihre Deflektorschirme aktivierten. »Das istunnötig«, behauptete er. »Vor den Dscherroseid ihr hier sicher, als würdet ihr euch aufeiner anderen Welt befinden.«

Vor den Dscherro waren sie tatsächlich si-cher …

… aber nicht vor den Footen. Urplötzlichwaren sie da, eine Phalanx rotbrauner, inSchutzanzüge gekleideter Wesen.

*

Auf dem Absatz wirbelte Domino herum.Auch hinter ihnen waren Footen erschie-

nen, mindestens zwanzig, und sie trugenlangläufige Waffen. Der Umstand, daß sie

die flirrenden Mündungen noch gesenkthielten, nahm der Situation wenig an Bri-sanz.

»Sag ihnen, wer wir sind!« forderte Do-mino Bousseor auf.

»Sie wissen es.«In unmißverständlicher Schärfe wurde

diese Feststellung hervorgestoßen. DominoRoss wurde schlagartig klar, daß es ein Feh-ler gewesen war, alles Mißtrauen einergroßen Hoffnung wegen hintanzustellen. Zuverlockend hatten die Aussagen des Footengeklungen, zu verheißungsvoll war die Aus-sicht gewesen, die Dscherro überraschendihrer technischen Helfer zu berauben. Aberwer bereit war, ein großes Risiko einzuge-hen, der mußte auch mit einem tiefen Fallrechnen.

Die Röhre gabelte sich, lediglich in demabzweigenden Gang waren noch keine Foo-ten erschienen, doch das konnte ebensoguteine Falle sein.

»Du hast uns verraten!« stieß Arno Wos-ken ungläubig hervor. »Ich könnte mich ohr-feigen, daß ich dir vertraut habe, du kleinesMiststück.«

»Wir bringen euch zu Taka Fellok«, kün-digte Bousseor an. »Und nun legt eure An-züge ab.« Seine Mundwinkel verzogen sichzu einem kopierten Grinsen. »Für den Hin-weis bin ich dir sogar dankbar, DominoRoss. Wer weiß, vielleicht hätte ich euchsonst die SERUNS gelassen. - Ganz vorsich-tig!« zischte er warnend, als Rosa sich fürseinen Geschmack ein wenig zu hastig be-wegte. »Du willst doch nicht sterben, bevorder Taka dich gesehen hat, oder?«

»Was geschieht mit uns?«»Später!« antwortete Bousseor auswei-

chend. Auffordernd streckte er drei Armeaus. »Eure SERUNS!« verlangte er erneut.

Dominos Armbanddisplay zeigte zweiEnergiefelder unterschiedlicher Stärke in derAbzweigung. Wahrscheinlich handelte essich um Netzkonstruktionen ähnlich der, inder er sich bereits einmal gefangen hatte.

Ein flüchtiger Blickkontakt zu Arno, einkaum wahrnehmbares Nicken. Ihnen blieb

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keine andere Wahl, als die Flucht nach vor-ne anzutreten.

»Schade«, sagte Domino. »Wir hättenFreunde werden können, Bousseor, dochwenn du es vorziehst, den Dscherro dieTreue zu halten …«

Sein Angriff kam für den Footen überra-schend, zumal er wohl alles erwartet hatte,nicht jedoch, daß der körperlich nur wenigmehr als halb so große Siganese ihn mit blo-ßen Fäusten attackieren würde. DominosRechte schmetterte unmittelbar unterhalbdes Mundes gegen den kaum wahrnehmba-ren Halsansatz, die Linke traf die Schädel-mitte ungefähr zwischen den beiden Augen.

Bousseor stieß einen dumpfen, gurgeln-den Laut aus, seine Arme zuckten unkon-trolliert nach vorne. Domino hatte da bereitsden Antigrav aktiviert, schwebte in Kopfhö-he vor dem Footen und trat blitzschnell mitbeiden Beinen zu.

Bousseor schrie auf, als der Tritt seineHaut aufplatzen ließ und Blut sich mitschleimiger Absonderung vermischte.Gleichzeitig überschlug sich Domino fastschwerelos in der Luft, und die Schüsse deranderen Footen verfehlten ihn um Dutzendevon Zentimetern.

»Schutzschirm und Deflektor!« befahlDomino. Der Pikosyn aktivierte die Defen-sivvorrichtungen.

Wosken war ins Kreuzfeuer mehrererFooten geraten. Eine flackernde Aura um-floß ihn, als der sich selbsttätig aufbauendeSchutzschirm die auftreffenden Energien ab-sorbierte.

Noch verwendeten die Footen lediglichLähmstrahlen, aber schon lag die Schirm-feldbelastung bei über vierzig Prozent. Dieersten Schüsse vereinigten sich zu Punktbe-schuß.

Rosa wollte den am Boden liegendenBousseor fesseln, doch inzwischen hatte sichum ihn herum ein Schirmfehl aufgebaut; siewurde von den Energien zurückgeschleu-dert. Also riß sie ihrerseits den Strahler hochund begann, das Feuer der Footen zu erwi-dern.

»Kein Gefecht!« befahl Domino. »Wirmüssen verschwinden.«

Fünfzehn Meter entfernt waren weitereFooten erschienen. Sie trugen kastenförmigeAggregate mit sich, wollten zweifellos dieRöhre abriegeln.

Die volle Beschleunigung ihres Gravo-Paks riß Rosa vorwärts, zwei Footen, diesich ihr entgegenstellten, wurden zur Seitegeschleudert, dann war sie hindurch, rastehinter Arno und noch vor Domino denSchacht entlang. Scharf gebündelte Impuls-strahlen schlugen in ihren Schutzschirm ein.Die Temperatur innerhalb der Röhre stiegsprunghaft an.

Anschwellende Energiewerte voraus. DieAggregate der Footen emittierten ein Strah-lengeflecht.

»Schießt!« brüllte Domino. Seine Schüssevereinten sich mit denen von Rosa und Arnound durchschlugen einen schwachen Schutz-schirm. Im selben Augenblick, in dem dieFooten sich zu Boden warfen, explodiertedas Gerät in einem Feuerball; glutflüssigeRänder weiteten sich aus, ungefähr so, alswürde Folie von einer zentralen Hitzequellezerstört. Ein Loch entstand in der Röhre,fünfzehn, zwanzig Zentimeter durchmes-send, bevor der Energiefraß langsamer wur-de.

Das zweite Aggregat war nicht mehr an-greifbar, die Schüsse wurden von dem stabi-lisierten Schirmfeld abgewehrt. Außerdemeröffneten nun auch hier die Footen das Feu-er.

Düsternis lag jenseits der Röhre, vielmehr war nicht zu erkennen. »Raus!« kom-mandierte Domino Ross, und ihm war herz-lich egal, was sie auf der anderen Seite er-wartete; schlimmer als die Konfrontationmit den Footen konnte es kaum werden.

Irgendein Lagerraum. Er wirkte riesig, ei-ne Vielzahl ineinander übergehender Gewöl-be, zwischen undefinierbaren GerätschaftenSkelette, Rüstungen, all die bizarren Trophä-en, an denen die Dscherro offenbar ihr Herzhängten, falls sie so etwas wie ein Herz immenschlichen Sinne überhaupt besaßen.

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Sekunden später verließen die drei Siga-nesen im Schutz ihrer Deflektorfelder dasHöhlensystem. Sie waren nahe dem kugel-förmigen Zentrumsbereich der Burg heraus-gekommen, inmitten einer hochtechnisier-ten, schier unüberschaubaren Landschaft,die sie längst von den Aufnahmen der»Milben« kannten. Hier ein Versteck zu fin-den, in dem sie vorübergehend vor Footenund Dscherro sicher sein würden, schienkein Problem zu sein. Gravitationsfelder,Energieleitungen und sogar ein eigenesSchutzschirmsystem überlagerten die Emis-sionen der SERUNS.

6.

Die Krieger hatten ihre Unterkunft verlas-sen, um noch einmal mit den Chreschendurch die verwüsteten Straßen der Stadt zudonnern und neue Beute zu machen. Es gabviel da draußen, was das Herz eines Dscher-ro höher schlagen ließ. Wären die Terranernicht so schwach gewesen, sie hätten TakaFellokk ernsthaft Widerstand entgegenset-zen können.

Bei dem Gedanken an den neuen Takaballte Kurron die Hände. Er haßte diesenEmporkömmling, der blind vor Gier einemkurzfristigen Erfolg nachjagte und dabeinicht zurückschreckte, Gousharan aufs Spielzu setzen. Sonst hätte er erkennen müssen,was Taka Poulones längst gewußt hatte: daßes nicht gut war, in der fremden Galaxis nurdie Muskeln spielen zu lassen.

Tief sog Kurron die Atmosphäre der Un-terkunft ein, die eine Vielzahl erregenderEmpfindungen in ihm auslöste. Es roch nachungezähmter Kraft und Kampflust, die Hitzeder Dscherro hing noch in der Luft wie einezeitlos eingefrorene Identität, aber darinmischten sich leichte Untertöne von Unzu-friedenheit ebenso wie die Ausdünstung vonWiderstand.

Nie zuvor hatte Kurron solche Gerüchewahrgenommen, erst seit Gousharan auf die-ser fremden und reichen Welt erschienenwar, hatte er begonnen, die Veränderungen

an sich wahrzunehmen, die ihn befähigten,die Stimmungen der anderen Dscherro aus-zuloten, ganz schwach am Anfang nur, dochin den vergangenen Tagen immer deutlicher.Zuerst hatte er mit Erschrecken reagiert, mitVerwirrung und beinahe Ablehnung, dennzu »riechen«, was andere Dscherro empfan-den, war dem Taka vorbehalten, und dieseFähigkeit an sich selbst festzustellen warKurron wie ein Sakrileg erschienen. Aller-dings hatte er auch sehr schnell begriffen.Taka Poulones lebte nicht mehr, war vonFellokk im Zweikampf getötet worden, aberFellokk war der falsche Führer für den Clan.

Der Geruch von Aggression und Zornwurde schlagartig intensiver. Kurron, soebenim Begriff, seine wenigen persönlichen Hab-seligkeiten aus der Nische zu nehmen, fuhrherum, sein an der Spitze gespaltenes Horn,das zu zwei Enden auseinanderwuchs, dro-hend nach vorne gereckt und bereit, einenWidersacher zu durchbohren.

Somak hob erschreckt und abwehrend dieArme. »Wen hast du erwartet, Fellokk per-sönlich?« stieß er halblaut zwischen denkräftigen Reißzähnen hervor.

»Alles ist möglich«, knurrte Kurron.»Solange ich mir nicht ausreichender Unter-stützung sicher bin, lasse ich Vorsicht wal-ten.«

»Wo hast du sie?«Somak und Kurron waren Kampfgefähr-

ten, die einander bedingungslos vertrauenkonnten. Sie entstammten zudem demselbenFortpflanzungsakt.

Kurron zog einen bleichen Totenschädelaus dem Regal. Die Knochen stammten voneiner echsenartigen Intelligenz auf einer derungezählten Welten, die der Poulones-Clanheimgesucht hatte; Kurron hatte die überauswehrhafte Kreatur mit bloßen Händen getö-tet - die tiefen Narben in seinem Leib hieltenauch heute noch die Schmerzen in ihmwach, die ihm dieser Gegner zugefügt hatte -, hatte ihm die Finger durch die Augenhöh-len ins Gehirn gestoßen und einen unbe-schreiblichen Sieg errungen.

Er zog eine metallisch glänzende Röhre

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aus der Schädelhöhlung hervor. Sie hatteden Durchmesser eines Dscherrofingers, waraber deutlich länger. Mehrere Tasten am un-teren Ende wiesen terranische Schriftzeichenauf.

»Damit willst du Fellok besiegen?« So-mak schüttelte heftig den Kopf. »Entwederdas ist ein Sprengkörper von ungeheurerBrisanz, oder …«

»Die Terraner sind uns in vielerlei Hin-sicht überlegen - das ist eine einfache Waffe,die bei ihnen anscheinend aus lächerlichenmoralischen Begründungen nicht eingesetztwird. Ich sage dir, Somak, wenn sie wirklichlosschlagen würden und sich nicht von einpaar lächerlichen Geiseln davon abhaltenließen, es gäbe unseren Clan längst nichtmehr.«

»Du scheinst ihnen Wunderdinge zuzu-trauen.«

»Nicht unbedingt, aber …« Kurron ent-blößte seine Reißzähne mit einem breitenGrinsen und stieß ein heiseres Bellen aus.Von Somak unbemerkt, hatte er zwei der fürseine Krallenfinger unhandlichen Tasten ge-drückt und das andere Ende des Stabes aufSomak gerichtet. »Du weißt, daß ich deinGebieter bin!« stieß er keuchend hervor.»Wirf dich vor mir auf den Bauch!«

Etwas Ungeheuerliches geschah: Derkräftige Somak leistete leinen Widerstand.Nicht einmal einzorniges Aufblitzen leuch-tete in seinen Augen. In einer Demutsgesteohnegleichen ließ er sich zu Boden sinkenund breitete die Arme aus.

Kurron war selbst erschrocken. Falls zu-fällig andere Dscherro kamen, hätte er nichtgewußt, wie er diesen Vorfall erklären soll-te, er …

»Steh auf! Schnell!«Keine Reaktion. Somak blieb auf seinem

fetten Wanst liegen, als habe er nicht gehört.In dem Moment entsann sich Kurron wieder,daß er die Tasten drücken mußte …

Eine phantastische Waffe. Wenn er siegegen Fellokk und die Serofen einsetzte,konnte er alles haben, wonach sein Herz be-gehrte. Die Terraner mußten verrückt sein,

sich wegen ein paar hunderttausend der Ih-ren erpressen zu lassen. Mit solchen Waffenausgerüstet, brauchten sie keinen Gegner zufürchten.

»Der Terraner, dem du diese Waffe abge-nommen hast …« Somak starrte ihn aus weitaufgerissenen Augen ungläubig an.

Kurrons Geste war unmißverständlich, erhatte dem Menschen die Kehle aufgeschlitzt,als dieser ihm nichts anderes mehr bietenkonnte. »Er nannte den Stab einen Psycho-strahler, erzählte auch etwas von Nebenwir-kungen. Er wollte mich davon abhalten, ihnzu erledigen, und mich gegen die anderenhetzen, aber ich war schneller als er.«

Regungslos schaute Somak zu, wie seinKampfgefährte die Waffe wieder in demEchsenschädel verstaute. Wenn es einen si-cheren Platz für den Psychostrahler gab,dann war es diese Jagdtrophäe. KeinDscherro würde einem anderen die Trophäestreitig machen oder wegnehmen.

*

Gemeinsam verließen sie die Unterkunftund folgten den Kriegern durch ein Laby-rinth von Gängen zu den Hangars in halberHöhe der Burg. Dscherro, die vom Kampfzurückkehrten, fluteten ihnen entgegen; sieredeten davon, daß die Terraner längst ge-schlagen seien und die Gefechte mit ihnennicht mehr die nötige Abkühlung brachten.Es würde bald an der Zeit sein, weiterzuzie-hen und ein neues Ziel zu suchen. DreiDscherro traten ihnen in den Weg, als sieden Hangar erreichten. Einer von ihnen warnoch jung, etwa dreißig Jahre, und sein ge-drehtes Horn galt bei Fellokks Gegnern alsSymbol seiner Wendigkeit. Chlenakk wardem Taka absolut ergebe.

Genau das witterte Kurron auch, als derSerofe vor ihm stand. Eine Wolke von Zornund Grausamkeit breitete sich aus.

»Du bist spät dran, Kurron. Alle anderenaus deiner Unterkunft haben die Barriere be-reits verlassen.«

Was wollte Chlenakk? Seine Ausdün-

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stung war so vielschichtig, daß Kurron nichtzu sagen vermochte, ob mehr hinter dieserBegegnung steckte als nur Zufall. Auch derSerofe für Rechtsprechung mußte einem An-schlag zum Opfer fallenanders würde derClan nie wieder die Bedeutung erlangen, dieer unter Taka Poulones innegehabt hatte.

»Dein Name wurde mir genannt, Kurron.Deshalb habe ich hier auf dich gewartet. DieTerraner verfügen über beachtliche Schätze,die wir ihnen abnehmen werden.«

»Sie sind uns in vielem überlegen«, sagteKurron verwirrt. Sollte das ein Verhör wer-den? Chlenakk war für seine »besonderen«Methoden berühmt, ein Gespräch wie dieseslag weit unter seiner Würde. »Dennoch ha-ben sie jetzt schon den Kampf verloren.«

Kurron bereute in dem Moment, daß erden Stab nicht eingesteckt hatte, einfachweil er diese kleine und wertvolle Waffe au-ßerhalb der Burg nicht gefährden wollte. Erhätte Chlenakk und seine Begleiter auf dieSeite der Verschwörer ziehen können odersie selbst zu Attentätern machen können.Fellokk hätte dann wohl jede Kontrolle dar-über verloren, wem er wirklich noch ver-trauen durfte.

»Du kennst die Strafe für Krieger, dieBeutestücke nicht ordnungsgemäß ablie-fern?« fragte Chlenakk scharf.

Ein halbes Dutzend Dscherro wußten vondem Psychostrahler, mehr nicht.

»Warum fragst du ausgerechnet mich?«»Weil davon geredet wird, daß du eine

Waffe der Terraner unterschlagen hast, Kur-ron.«

Er schüttelte den Kopf - und erstarrte inder Bewegung. Vor ihm schälten sich dieUmrisse eines weiteren Dscherro aus demNichts heraus.

Obwohl die Gestalt nur langsam sichtbarwurde, erkannte Kurron sofort den Taka.Mühsam versuchte er, seine Erregung imZaum zu halten, denn das war kein Zufallmehr. Jemand hatte ihn verraten.

Der Taka trug zwar nicht den Bajonettauf-satz auf dem Horn, wohl aber das Spionge-stell, das ihm ermöglichte, durch Wände zu

blicken und Wärmequellen aufzuspüren.Hatte er ihn in der Unterkunft beobachtet?Kurrons Blut begann unter neuer Hitze zuwallen. Die Gruppe war noch nicht reif fürden offenen Widerstand, in einem oder zweiTagen vielleicht … Er mußte seinen Hormo-nausstoß unter Kontrolle bringen, diesenDrang zu kämpfen …

»Wir haben die Terraner besiegt.« Fel-lokks mächtige Hauer schienen sein Gesichtzur Fratze zu verzerren. »Bald fallen uns ihrWissen und ihre Technik wie eine reifeFrucht in die Hände - aber dennoch wolleneinige von uns die Menschen schonen, ausGründen, die ich nicht einmal wissen will,denn ein solches Verhalten ist schlicht undeinfach Verrat an unserem Clan. Du bist ei-ner der Verräter, Kurron!«

Jeder andere hätte mit Panik reagiert, hät-te entweder versucht, wortreich zu leugnenoder den Taka und seine Begleiter anzugrei-fen. Kurron verzog die Mundwinkel nur zueinem verächtlichen Grinsen.

»Wer behauptet das, Taka Fellokk? Nennmir den Namen, und ich werde ihn im Zwei-kampf besiegen.«

Hinter ihm stank Somak immer deutlichernach Furcht.

»Ich habe untrügliche Beweise«, donnerteFellokk.

»Dann sind diese Beweise gefälscht.«Kurron entblößte seine muskulöse Brust undbot sie dem Anführer der Dscherro zumStoß dar. »Töte mich, Taka, wenn duglaubst, daß ich dich verraten habe. Ich sehedeine Erfolge in Terrania und glaube, daß duuns zu großen Siegen führen wirst.«

»Du lügst!« Fauchend sog Fellokk dieLuft ein, er war ihm so nahe, daß Kurronseine Hitze wahrzunehmen glaubte.

Nein, er roch nicht nach Verrat; in demFall hätte Fellokk nicht gezögert, ihn auf derStelle zu töten. Er verstand es, die Ausdün-stungen seines Körpers zu beherrschen. Unddas war eine Fähigkeit, die er als kommen-der Taka brauchte, wollte er länger bestehenals Fellokk.

»Ich werde Gousharan von allen Verrä-

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tern säubern!« brüllte Fellokk wutentbrannt.»Der Gestank von Verrat hat sich in denMauern ausgebreitet, aber ich bin rechtzeitigaus dem Hauptquartier der Terraner zurück-gekehrt. Wie viele seid ihr, Kurron, fünfzigoder gar hundert? Sei gewiß, keiner, der denWiderstand plant, wird den kommenden Tagnoch erleben.«

Somaks Hitze hatte den Siedepunkt er-reicht. Kurron roch es, dennoch kam die Re-aktion des Gefährten für ihn überraschend.Einen gellenden Aufschrei auf den Lippen,griff Somak an, doch der Taka wich mit ei-ner knappen Drehung zur Seite aus und rißdie Fäuste hoch. Somaks Horn brach mit ei-nem gräßlich knirschenden Geräusch, alsFellokk zupackte und die Bewegung des An-greifers ausnutzte.

Somaks Kampfschrei wurde zum gequäl-ten Gurgeln, als der Taka ihm ein Knie inden Unterleib rammte. Trotzdem packte erzu, eine andere Alternative gab es nichtmehr. Sein Geruch machte deutlich, daß erums Überleben kämpfte.

Seine Pranken verkrallten sich in FellokksLeibgürtel, zerrten den Taka ruckartig zusich heran, und Fellokk gab dem Zug tat-sächlich nach, schien selbst nicht glauben zukönnen, daß sein Gegner sich erbittert wehr-te.

Sieben Wurfmesser mit schmaler Vibra-torklinge steckten in Fellokks mittleremGürtel, eines davon hielt Somak plötzlich inHänden und holte zum tödlichen Stich aus.Ein gellender Aufschrei hallte durch denHangar, als Fellokk ihm mit einem blitz-schnellen Griff den linken Arm brach.Gleichzeitig glitt das Vibratormesser an ei-ner der Werkzeugtaschen über Fellokks fei-stem Wanst ab.

Der eigene Schwung ließ Somak taumeln,doch sofort holte er mit der Klinge in einergegenläufigen Bewegung aus. Das Messerhatte sich auf mehr als die dreifache Breitevergrößert und die Form eines doppelspitzi-gen Hakens angenommen.

Taka Fellokk bekam den Waffenarm zufassen und drückte ihn mit unwiderstehli-

cher Kraft zur Seite. Während in SomaksGesicht die Adern anschwollen und seineHaut die tiefgrüne Färbung einer giftigenXyolak von Thorrim annahm, zeigte Fellokknoch kaum Anzeichen einer Anstrengung.

Somaks Ausdünstungen nach Verrat wa-ren inzwischen unverkennbar. Blut floß vonseiner Stirnwunde über sein Gesicht.

Fellokk bewegte sich blitzschnell, einkräftiges Zustoßen seiner Rechten, ein flüch-tiges Aufblitzen in seiner Hand … Die Klin-ge entglitt Somaks Fingern und klirrte zuBoden, dann verkrampfte seine Rechte sichum das eigene Horn, das tief in seinem Leibsteckte, von Fellokk als tödliche Waffe ge-nutzt. Somak schwankte. Aber noch im Fal-len gelang es ihm, mit der Rechten nach Fel-lokks Beinen zu greifen.

Verächtlich trat der Taka zu, stampfte aufSomaks Hand. Somak starrte ihn nur nochaus schreckgeweiteten Augen an. Der Ge-ruch des Todes quoll aus jeder seiner Poren.

»Poulones … ist unser … Taka …«Somak wußte, daß erstarb und niemand

ihm helfen würde. Der Blick seiner brechen-den Augen wanderte zu Kurrom der re-gungslos neben Chlenakk stand und nichtdaran dachte, einzugreifen. Kurron durftesich keine Blöße geben, es war gut so, daßer sich zurückhielt …

»Dein Gestank bereitet mir Übelkeit!«Fellokk setzte einen Fuß auf den Oberkörperdes vor ihm Liegenden, und dann, ruckartig,stieß er mit dem Fersendorn zu.

»Werft den Kadaver in einen Konverter!«herrschte er die Dscherro neben Chlenakkan. »Wenigstens zu etwas soll er nutze ge-wesen sein.«

Sein Blick wanderte weiter, fraß sich dro-hend an Kurron fest.

»Ich verstehe das nicht«, log Kurron.»Wenn ich es nicht mit eigenen Augen gese-hen hätte …«

»Er gehört dir, Chlenakk!« sagte der Ta-ka. »Du hast freie Hand.«

Kurron hatte Mühe, seine Emotionen un-ter Kontrolle zu halten und sich nicht durcheinen heftigen Hormonausstoß zu verraten.

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»Ich bin dir treu ergeben, Taka Fellokk«,keuchte er. »Du wirst an mir niemals auchnur die Spur von Verrat riechen, du …«

»Das Verhör wird erweisen, ob du un-schuldig bist.«

*

Im Umfeld des Hofstaates von Gousharangalt Chlenakk als grausam, und diese Grau-samkeit ließ er auch die eigenen Leute spü-ren. In seinem Amt als Serofe für Rechtspre-chung war er für die Verhöre von Gefange-nen zuständig, aber für seine sadistischeAder waren die Terraner zuwenig wider-standsfähig, sie brachen zusammen, bevor ersein Repertoire an ihnen auskosten konnte.Chlenakk fühlte sich als Großinquisitor, undKurrons Verhör hatte er höchstpersönlich indie Hände genommen.

Tatsächlich sah es so aus, als wolle derVerräter sich lieber die Zunge abbeißen, alszu gestehen. Auch nach längerer Befragungmit Hilfe allerlei Gerätschaften hatte Kurronnichts zugegeben.

»Ich habe … nichts zu gestehen!« stießKurron wütend und gequält zugleich hervor.

Der Serofe spritzte ihm ein Wahrheitsse-rum. Das hätte er von Anfang an tun kön-nen, doch auf solch banale Mittel griff ererst zurück, wenn sich alles andere als wir-kungslos erwies.

Kurron würde der vierte Dscherro sein,den er seit Taka Fellokks Rückkehr aus derStadt der Terraner der Verschwörung über-führte. Daran hatte er nicht den geringstenZweifel.

Das übliche Fragespiel begann, dasChlenakk viel zu langatmig erschien, doches stellte die Wirkung der Droge unter Be-weis.

»Du hast Beutegut aus der Stadt zurück-behalten?«

Schweigen. Kurron mobilisierte die letz-ten I-raftreserven, doch lange würde er dieAnstrengung nicht durchhalten können.

»Wir finden das Beweisstück!« bellte derSerofe. »Zum letztenmal: Hast du Beutegut

zurückbehalten?«»Nein«, brachte Kurron kaum verständ-

lich hervor. »Ich habe nichts getan, was Ta-ka Fellokks Zorn nach sich ziehen würde.Wer etwas anderes behauptet, der lügt.«

Es kostete Chlenakk einen Knopfdruck,die Schmerzen zu erhöhen. Kurron rolltewild mit den Augen, Ausdruck der Qualen,die er empfand. Bald würde ihm derSchmerz die Besinnung rauben. So weitdurfte es nicht kommen, nicht, weilChlenakk plötzlich Mitleid empfunden hätte,sondern weil eine solche Ohnmacht tieferge-hend war und unnötig Zeit kostete.Chlenakk hatte das untrügliche Gefühl, daßer in den kommenden Tagen sehr viel Arbeitbekommen würde.

Chlenakk befestigte mehrere Kontakte anKurrons Horn. Die Behandlung mit Stromim Hirnbereich war eine der effektivstenMethoden, einem Dscherro Geheimnisse zuentreißen. Sie brachte aber nur in knappvierzig Prozent aller Fälle Ergebnisse, weildie Mehrzahl eine solche Behandlung nichtüberlebte.

Kurrons Schädel schien zu explodieren,seine Augen quollen noch weiter unter dendicken Wülsten hervor und färbten sichgrün, die Reißzähne zuckten und konntennicht einmal mehr den weit aufgerissenenRachen ausfüllen. Kurron röchelte, Schweißperlte auf seiner Haut, brach in Strömen ausden Poren hervor und vereinte sich zu glän-zenden Rinnsalen. Jeden Moment konnte ersterben, ohne gestanden zu haben. Mit einerVerwünschung auf den Lippen schalteteChlenakk die Stromzufuhr ab.

Taka Fellokk erschien, streifte Kurron miteinem verächtlichen Blick und wandte sichan Chlenakk: »Er ist schuldig!« stieß er her-vor. »Zum erstenmal rieche ich eine Spurvon Verrat an ihm. Ich will, daß er mit denanderen Verrätern hingerichtet wird. DasSchauspiel soll an alle Stationen in Gousha-ran übertragen werden.«

*

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Kurron war tot, und mit ihm hatteChlenakk fünf weitere des Verrats bezichtig-te Dscherro hingerichtet. Ihr unrühmliches,ja klägliches Ende sollte eine unmißver-ständliche Warnung sein.

Niemand intrigiert gegen den großen Ta-ka Fellokk, der den Clan von Gousharan inden Besitz perfekter Techniken bringen wird.

Der Kopf des Putsches war zertreten,Kurroh hatte die seltene Gabe besessen,Empfindungen zu riechen, und war deshalbeine bedrohliche Konkurrenz für das Amtdes Taka gewesen. Chlenakk hatte das nichtwahrnehmen können, doch Fellokk hatte esgerochen, und schon das war für ihn Grundgenug gewesen, das Todesurteil zu voll-strecken.

Die anderen hatten ausgesagt, daß Kurronschon etliche Dscherro in seinen geplantenPutsch mit einbezogen hatte, sie hatten Na-men, genannt, und mit diesen Kriegern be-faßte sich Chlenakk bereits auf bewährteWeise. Die Zahl von über hundert Dscherrostand im Raum, aber nur die Hälfte war in-zwischen namentlich bekannt. Jene, dienoch in den Straßen von Terrania weilten,würden nach ihrer Rückkehr eine Überra-schung erleben.

Kurrons Absichten hatte er nicht riechenkönnen, bei den anderen würde es ihm leich-ter fallen - deshalb folgte Taka Fellokk sei-nem Geruchssinn quer durch Gousharan.

Der Hinterhalt kam dennoch für ihn über-raschend, und während seine drei Begleiterim sonnenhellen Feuer prasselnder Hoch-spannung verkohlten, rettete ihn der Schutz-schirm, dessen Projektor in einer seiner Gür-telschnallen untergebracht war.

Ausgerechnet im Bereich der Energieer-zeuger hatte Fellokk nicht mit einem Angriffgerechnet, zumal er nicht gekommen war,um die Aggregate zu inspizieren, sondern le-diglich den kürzeren Weg in die unteren Re-gionen der Burg gewählt hatte.

Zehn Meter hoch trug ihn der Antigrav in-mitten der unüberschaubaren Phalanx mäch-tiger Aggregate, bevor eines der fest veran-kerten Laufgitter seinen weiteren Flug

stoppte. Hier oben, zwischen mannsdickenEnergieleitern und Kühlschlangen, hätte sicheine Hundertschaft verbergen können. Dieherrschende Hitze stärkte die Kampfkraft;der Taka spürte, wie sein Blut heißer wurdeund in Wallung geriet.

Demonstrativ hob er den Bogantöter, dieWaffe, die er höchst selten ablegte, doch indieser Umgebung würde sie ihm nur alsHieb- oder Stichwaffe nützlich sein, wederDesintegratorstrahlen noch die verheerendwirkenden Sprenggranaten, die in terrani-sche Hochhäuser bis zu zehn Meter großeLöcher rissen, durfte er in der Energiezen-trale zum Einsatz bringen. Aber auch seineGegner unterlagen diesem Handikap, woll-ten sie nicht weite Teile der Burg zerstören.Doch so dumm konnten sie nicht sein, sichauf diese Weise den Terranern auszuliefern.

»Zeigt euch!« brüllte Fellokk. »Kämpftwie Dscherro!«

Nach allen Seiten sichernd, ließ er sichwieder nach unten sinken. Hatten die Atten-täter Furcht vor ihrem eigenen Mut bekom-men und sich zurückgezogen? Dann würdeer sie jagen lassen, und er würde sie finden,ganz egal wo sie sich zu verbergen suchten.Und wenn er Hunderte von Unschuldigenerwischte, diese Brut mußte ausgerottet wer-den, sonst würde er nie wirklich sicher seinals Taka …

Die Hitze machte ihn verrückt. Er mußtesich abreagieren, mußte sein in Wallung ge-ratenes Blut befriedigen, oder er konnte fürnichts mehr garantieren.

»Wo seid ihr?« dröhnte er. »Ist das euerganzer Mut, der euch zwingt, euch wie Aus-sätzige zu verkriechen?«

Ein Schatten, links von ihm, fünf Schritteentfernt im Zwischenraum zwischen zweiUmwandlern. Der Krieger war ungewöhn-lich massig, abgesehen von seinem gerademal zwei Finger messenden Horn, das keinegroße Ausdauer erwarten ließ. Er hielt eben-falls einen Bogantöter in Händen, die Vibra-torklinge zielte unmißverständlich auf Fel-lokk.

Sekundenlang hatte der Taka sich ablen-

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ken lassen. In dieser Zeit erschienen dreiweitere gut gerüstete Krieger zwischen denAggregaten. Sie waren nicht weniger heißals er selbst. Und sie schienen sich ihrer Sa-che sicher zu sein. Vier gegen einen; fallssie sich auf ihre Überlegenheit etwas einbil-deten, würden sie rasch erkennen, wie sehrsie sich irrten …

Brüllend rannte Fellokk los, als der mitdem mickrigen Horn bis auf fünf Meter her-an war, sein Bogantöter zuckte hoch undhätte den Gegner zerschmettert, doch dieDornen schnitten nur durch ihn hindurch,und der eigene Schwung ließ den Taka halt-los taumeln. Er war viel zu überrascht, umsofort begreifen zu können, aber er wirbelteinstinktiv herum und hielt den Bogantötermit beiden Armen gestreckt vor sich.

Er war auf ein Hologramm hereingefallen.Wie viele Gegner standen ihm wirklich ge-genüber? Wenn sie wollten, konnten sie eineHundertschaft mobilisieren und ihn in denWahnsinn treiben. War das alles noch Kur-rons Werk? Er zweifelte daran. NormaleDscherro hatten keinen Zugang zu den hoch-wertigen Holoprojektoren, auch Kurronnicht, es sei denn, er hatte Verbündete in denhöchsten Ämtern besessen.

Fellokk blieb keine Zeit darüber nachzu-denken. Er wurde von drei Seiten her ange-griffen. Was machte die Gegner so sicher,daß sie ihn hinter dem Individualschutz-schirm besiegen konnten?

Er wehrte zwei kraftvolle Hiebe ab, diedennoch nicht das Schirmfeld durchdrungenhätten, dann ging er selbst zum Angriff über,wirbelte seine Waffe mit einer Hand undließ das dicke Ende auf einen der Angreiferherabsausen. Erneut ein Trugbild, doch seinBogantöter durchbrach ein dünnes Geflechtaus Drähten, das er vorher nicht bemerkthatte, und sofort liefen knisternde Entladun-gen die Waffe entlang und breiteten sichüber seinen Schutzschirm aus.

Fellokks Adern schwollen zum Zerplat-zen. Selbst unter Aufwendung aller Kräftekonnte er die Waffe nicht mehr heben, eben-sowenig gelang es ihm, die Hände von dem

Metall zu lösen, die abfließenden Energienmachten es ihm unmöglich. Sein Schutz-schirm begann zu flackern, verdüsterte sichfür einen Augenblick, dann zeigten sich dieersten Strukturrisse. Irgend etwas saugtemehr Energie ab, als der Projektor liefernkonnte. Seine Gürtelschnalle begann aufzu-glühen, und Fellokk spürte die sengendeHitze auf den Leib durchschlagen. Es stankplötzlich nach verbranntem Fleisch und …Das Schirmfeld bestand nicht mehr, war vonKräften eliminiert worden, zu denen inGousharan nur wenige Zugriff hatten.

Taka Fellokk warf sich herum. Noch ein-mal spaltete der Bogantöter lediglich einemHologramm den Schädel, bevor er endlichauf Widerstand traf. Sein Gegner hatte denHieb abgeblockt und hielt den Bogantöterso, daß die lange Vibratorklinge auf Fel-lokks Gesicht zeigte, und er verfügte überungezähmte Kraft, drückte seine Arme ge-gen den Widerstand des Taka langsam nachvorne. Nur noch eine Handbreit trennte Fel-lokks linkes Auge von der tödlichen Schär-fe, und da waren die nächsten beiden Gegner- real oder wieder nur ein Trugbild? -, dieihm von der Seite her den Schädel spaltenwollten.

Fellokk wich abrupt zurück, die Vibrator-klinge des Gegners zuckte wenige Zentime-ter an seinem Schädel vorbei, zugleich riß erdie eigene dornengespickte Keule wiederhoch und schmetterte sie von unten gegendas Kinn des Angreifers.

Der Gegner fiel mit halb zerschmettertemSchädel, aber er hatte es wohl instinktiv ge-schafft, dem Taka den Bogantöter aus derHand zu reißen.

Fellokk blieben noch seine Wurfmesser,ebenfalls Vibratorklingen, die er geschicktzu handhaben wußte. Mit jeder Hand zog erein Messer aus dem Gürtel, während er ineiner geschmeidigen Bewegung wieder aufdie Beine kam, doch ein Ausruf hinter ihmließ ihn herumfahren.

»Laß das, Fellokk, oder schon mein erstesGeschoß reißt dich in Stücke!«

Ein weiterer Gegner. Zweifellos. Fellokk

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brauchte den Kopf nur halb zu wenden, umeinen hageren Dscherro zu sehen, den er imKampf Mann gegen Mann niemals für vollgenommen hätte. Doch die langläufige Pro-jektilwaffe in seinen Händen redete eine un-mißverständliche Sprache.

»Laß die Messer fallen, Fellokk!«Seine Gedanken überschlugen sich. Die

Sprengladungen waren schwächer als die ei-nes Bogantöters, auf die geringe Distanz be-stand auch nicht die Gefahr, daß der Kerlihn verfehlen würde.

»Was wollt ihr von mir?«»Du verkennst deine Situation, Fellokk.«

Verächtlich die Worte, von schneidenderSchärfe. »Tot bist du uns fast noch mehrwert als lebend, aber lebend kannst du selbstdeine Abdankung verkünden.«

Zeit schinden. Wenn er die Dolche warfund … Er konnte nicht schnell genug sein,unmöglich.

»Kurron ist tot«, sagte er. »Wer soll derneue Taka werden, niemand ist geeignet,dieses …«

»Kurron war nur eine Marionette, ohnesich dessen bewußt zu sein. Sein Verlust istschmerzlich, aber …«

»Warum redest du nicht weiter?«»Weil es für dich uninteressant ist, Fel-

lokk. Laß die Messer fallen!«Die Verräter brauchten ihn noch, das wur-

de ihm in dem Moment bewußt. Was sonsthätte sie davon abgehalten, ihn auf der Stellezu töten?

Ein Messer klirrte zu Boden.»Das andere auch. Und dann heb die Ar-

me über den Kopf.«Wieder registrierte Fellokk eine Bewe-

gung, hinter den Dscherro und in halber Hö-he der Halle. Ein winziger dunkler Reflex.

Bevor er sich darüber klarwerden konnte,ob die eigenen Sinne ihn narrten, erklangdas Fauchen eines Strahlschusses. Fastgleichzeitig ein zweiter Schuß.

Einer der Attentäter schwankte plötzlich.In seiner Schläfe klaffte eine winzige, ver-brannt wirkende Wunde, aus der kein Blutaustrat.

Die Waffe des vierten Dscherro poltertezu Boden, gefolgt vom dumpfen Aufprallseines Körpers. Das war der Moment, indem Taka Fellokk sein Messer schleuderte,sofort nachfaßte und zwei weitere Klingenwarf.

Der dunkle Schatten, den er entdeckt hat-te, näherte sich ihm. Und ein halbes Dutzendweitere schwebten von allen Seiten heran.

Footen.Fellokk blickte ihnen aufmerksam entge-

gen. Erst als er Seassor erkannte, zeigte er soetwas wie eine verblüffte Regung.

»Es freut mich, dich unversehrt zu sehen,Taka«, sagte das Oberhaupt der Footen, undseine helle Stimme wurde von den Lautspre-chern seines Anzugs verstärkt. »Die Verräterhaben ihre Strafe erhalten. - Nein, es, warkein Zufall«, fügte er hinzu, als er FellokksZögern bemerkte. »Wir haben unsere Uber-wachung in Gousharan verstärkt.«

Fellokk hatte eine heftige Erwiderung aufden Lippen, unterbrach sich aber selbst.»Egal«, knurrte er nur, »ich weiß jetzt we-nigstens, daß ich mich auf die Footen verlas-sen kann. Seassor, ich bin dir zu Dank ver-pflichtet wenn du einen Wunsch hast …«

Das kleine, sechsgliedrige Wesen zögertenur kurz. Noch näher flog es mit seinem An-tigrav heran.

»Du wirst es nicht gerne hören, Taka,aber Fremde sind in die Burg eingedrungen,Spione der Terraner. Sie sind noch kleinerals wir, und wir haben sie schon vor Stundenentdeckt und jagen sie, und ich bin sicher,wir können sie bald gefangennehmen. Ichwill die drei lebendig, weil ihr Wissen viel-leicht mehr wert ist als alles, was wir denTerranern abpressen können.«

»Drei kleine Menschen …« Fellokk ent-blößte die Reißzähne zu einer Grimasse derZustimmung. »Ich gebe die Anweisung, sieauf keinen Fall zu töten. Wenn ihr sie habt,Seassor, bringt sie mir.«

7.

Es war sein Fehler gewesen, dem Footen

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zu vertrauen. Nun wußten die Dscherro, daßsich Spione der Terraner eingeschlichen hat-ten, und damit hatte die Jagd begonnen.Wenn Rosa oder Arno ihm bittere Vorwürfegemacht hätten, hätte Domino Ross das so-gar verstanden, doch beide schwiegen, under wußte nicht, woran er mit ihnen war.

Fürs erste hatten sie in den Hallen mitBeutegut einen vorübergehenden Unter-schlupf gefunden. Doch das konnte nichtvon Dauer sein. Da Dscherro und Footen mitOrtungsgeräten ihre Spur aufgenommen hat-ten, verbot es sich, momentan den Stütz-punkt aufzusuchen. Domino verspürte zu-mindest Erleichterung darüber, daß Bousse-or keine Ahnung von der Lage des Stütz-punktes hatte.

Einen Ort gab es, an dem die Dscherrokaum nach ihnen suchen würden, das warendie Verliese der Gefangenen. Die Situationhatte sich verändert. Waren die Siganesenzuvor darauf bedacht gewesen, ihre Anwe-senheit auch vor den Terranern zu verheim-lichen, so konnten sie sich inzwischen ge-nausogut zu erkennen geben.

Nach wie vor benutzten sie die Tunnel derFooten, wenn auch nicht mehr mit der an-fänglichen Sorglosigkeit. Achthundert Foo-ten konnten nicht überall zugleich sein. Do-mino atmete erleichtert auf, als sie unge-schoren die Verliese erreichten.

Die Masse der Gefangenen wirkte apathi-scher als vor Tagen; die meisten vegetiertennur noch dahin, es war ein Bild, wie esschrecklicher kaum sein konnte. Dazu derGestank, den die Luftumwälzung nicht be-seitigen konnte, der mittlerweile allem an-haftete wie eine besondere Aura. Es stanknach Schweiß und Exkrementen, nach Blut,vor allem aber nach Desinfektionsmitteln,die die Dscherro wohl großflächig versprühthatten, insgesamt eine Mischung, die den Si-ganesen schier den Magen umdrehte.

Irgendwo beteten Menschen. Ihre Stim-men klangen heiser und stockten immer wie-der; was sie murmelten, klang routinehaft,das Alibi einer Hoffnung, die sich dochnicht erfüllte. Die Menschen kaschierten ih-

re Verzweiflung, die unter der dünnen Tün-che der Zivilisation aufplatzte wie ein Ge-schwür.

Die Verzweiflung, das erkannte Dominnentsetzt, würde die Gefangenen umbringen.

Hemmungsloses Schluchzen ließ ihn auf-merken. Eine junge Frau, vierzig vielleicht,kaum älter, hielt ein kleines Kind in den Ar-men. Das Gesicht des Kindes war blau ver-färbt, Pusteln hatten sich gebildet und warenblutig aufgeplatzt. Wenn keine vernünftigemedizinische Versorgung erfolgte, würdenKrankheiten bald um sich greifen. Die ge-schwächten Menschen hatten ihnen wenigan Kraft entgegenzusetzen.

»Mein Kind stirbt!« Alle Verzweiflungdieser Welt schwang in dem Aufschrei mit.Vergeblich versuchte die Frau, sich durchdie Menge zu kämpfen, irgendwohin, wo sievielleicht Hilfe erwartete. Doch sie kamnicht weit, blieb in der stummen Masse aus-gemergelter Leiber hängen, stolperte überam Boden Liegende.

»Helft mir. Holt die Dscherro - sie sollenmich töten, aber meine Tochter am Lebenlassen …«

Die Frau knickte ein, das Kind fest an ihreBrust gedrückt, sie krächzte, schrie und rap-pelte sich wieder auf, schlug die Hände zu-rück, die sich ihr entgegenstreckten, kämpftesich verbissen weiter. Andere Geiseln be-gannen ebenfalls zu rufen, ein schrillerChor, getragen von Verzweiflung, Haß undWut.

Domino hatte bereits das Medoset seinesSERUNS geöffnet und ein Breitbandantibio-tikum, eine wohl viel zu geringe Menge,hervorgeholt, als Rosa ihm die Hand auf denArm legte.

»Dscherro kommen«, warnte sie.Zwei der Gehörnten stapften heran, bahn-

ten sich rücksichtslos einen Weg durch dieGefangenen. Schon im nächsten Momententriß einer der verzweifelten Mutter ihrKind. Es bewegte sich nicht mehr, war viel-leicht tot, aber für die junge Frau war esdennoch ihr Kind, und mit einem Aufschreiwehrte sie die Gehörnten ab. Ein Faust-

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schlag riß ihr drei Wunden quer übers Ge-sicht, sie taumelte, verlor die Besinnung.Der andere Dscherro warf sie sich wie einlebloses Stück Ware über die Schulter undtrat gleichzeitig nach zwei Männern, die sichanschickten, ihn von der Seite her anzu-springen.

»Ich bringe sie um, diese Bestien«, keuch-te Domino Ross. Nach wie vor schwebte erwenig mehr als zehn Meter von dem Ge-schehen entfernt im Schutz des Deflektorfel-des dicht unter der Decke. Schon hielt er denKombistrahler in der Hand, doch er feuertenicht. Ein Rest von Vernunft sagte ihm, daßer nur Panik unter den Gefangenen hervorru-fen würde und die Dscherro vor einer Ver-geltungsaktion nicht zurückschreckten. Eswar besser, die Zähne zusammenzubeißenund darauf zu vertrauen, daß all das baldvorüber sein würde.

Starre Blicke; Menschen, die dumpf vorsich hin brütend ihr Schicksal verfluchten,aber längst zu schwach waren, es selbst indie Hand zu nehmen. Sie waren nie Soldatengewesen, hatten nie zu kämpfen gelernt undihr Leben lang in Frieden gelebt, zumindestwaren sie nie unmittelbarer Bedrohung aus-gesetzt gewesen, von dem Philosophen aufTerra einmal abgesehen. Nun erlebten sie,was es bedeutete, wehrlos einem brutalenGegner ausgeliefert zu sein. Blut, Tränenund Verzweiflung, alles Dinge, die sie nuraus einschlägigen Trivid-Filmen kannten,waren für sie jäh zum erschreckendenSelbstverständnis geworden; viele würdensich wohl ihr Leben lang nicht mehr davonerholen.

Die Dscherro waren fort, Domino Rossschaltete sein Deflektorfeld ab. Und nachihm gaben auch Rosa und Arno den Befehlan den Pikosyn ihrer SERUNS.

Meterhoch über den Köpfen der Gefange-nen schwebten sie, drei kleine Menschen,nicht größer als eine Handspanne, mit grü-ner Haut zwar, aber doch mit allem, waseinen Menschen auszeichnete, und niemandnahm sie wahr. Keiner der Verzweifeltenrichtete den Blick in die Höhe, ihr Dasein

war Stumpfsinn geworden, reduziert auf dienackte Erfordernis, die nächsten Stundenund Tage zu überleben …

Domino sank tiefer.Erschrecken in den Augen eines alten

Mannes. Aber auch jäh aufflammende neueHoffnung, die in Sekundenschnelle zum lo-dernden Feuer wurde.

Warnend legte Domino einen Finger andie Lippen, und der alte Mann verstand. EinLächeln stahl sich auf seine ausgemergeltenZüge, er nickte hastig. Andere neben ihmwurden aufmerksam, starrten den Siganesenan wie ein Phantom, ungläubig und ver-ständnislos. Sie schlossen die Augen, dochals sie die Lider wieder aufschlugen, war derkleine grünhäutige Mann in dem SERUNimmer noch da, und zwei weitere geselltensich soeben zu ihm.

Die Gefangenen kannten Siganesen,wenngleich sie wahrscheinlich nie einenwirklich gesehen hatten, doch die Geschich-te der kleinen Leute von Siga gehörte zurAllgemeinbildung. Nun waren wenigstensdrei der sagenumwobenen kleinen Men-schen wiederaufgetaucht; es sah ganz so aus,als seien sie das Vorauskommando einer Be-freiungsaktion. Den drei Siganesen würdenweitere folgen, kampferprobte Truppen undRoboter, vielleicht befanden sie sich schonin der Burg der Dscherro, dann hatte derAlptraum bald ein Ende.

»Es ist wirklich wahr«, hauchte eine Frauergriffen. Ungläubig fuhr sie sich über dieAugen. »Meine Gebete wurden erhört. DieTruppen sind da, sie holen uns hier heraus…«

Zitternde Hände griffen nach den Sigane-sen, Finger, die testen sollten, ob die kleinenLeute vielleicht doch ein Trugbild waren …Deutlich wurde die Hoffnung, die die Anwe-senheit der Siganesen in den Geiseln wiedergeweckt hatte. Matte Augen leuchtetenplötzlich wieder, Menschen weinten undlachten gleichzeitig, und die Nachricht vonder überraschenden Hilfe pflanzte sich fortwie ein Buschfeuer in trockener Savanne.

Eine kleine Gruppe von Frauen und Män-

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nern schirmte die drei ab. Vielleicht war esauch nur Eigennutz, der sie so handeln ließ,weil sie den Strohhalm, der Rettung verhieß,nicht wieder hergeben wollten. Niemals wie-der.

»Sie machen mir angst«, flüsterte RosaBorghan. »Diese Menschen haben sich ver-ändert, sie vereinnahmen uns, und wenn sichihre Hoffnungen nicht erfüllen, wenn sie nurzu lange darauf warten müssen …«

»… werden wir ihre Enttäuschung zu spü-ren bekommen, und das wird schlimmersein, als wären wir den Dscherro in die Hän-de gefallen«, vollendete Domino Ross denSatz. »Wir können uns ohnehin ausrechnen,wann die Nachricht von unserer Anwesen-heit die Gehörnten erreichen wird.«

»Das heißt«, sagte Arno Wosken, jedochohne jede Spur von Bitternis in der Stimme,»wir sind vom Regen in die Traufe gekom-men.«

»Ich mache Fehler, die ich niemals bege-hen dürfte«, gestand Domino zerknirscht.»Aber das Umfeld macht mich krank. Ichfrage mich unaufhörlich, was die Dscherroeigentlich für Wesen sind. Sie schätzen Le-ben wohl nicht höher ein als unsereins einensyntronischen Filmhelden.«

*

»Vielleicht hätte Cistolo Khan besser dar-an getan, sofort mit allen zur Verfügung ste-henden Mitteln zurückzuschlagen und keineRücksicht zu neh …«

»Rosa!« unterbrach Domino scharf.Sie zuckte nur mit den Achseln. »Ist es

nicht so? Ich fürchte, daß wir Menschennoch unser blaues Wunder erleben werden.Einem solchen Gegner sind wir nicht ge-wachsen, technisch schon, aber unsere Mo-ral kommt da nicht mit.«

»He«, sagte unvermittelt eine rauhe Stim-me. »Es ist also doch wahr, verdammt, es istwahr, aber viele glauben einfach, es sei irresGeschwätz …«

Die Siganesen hatten sich hinter einigenSanitärzellen niedergelassen, die diesen Na-

men jedoch kaum verdienten. Es stank er-bärmlich in diesem Bereich, schmutzigeRinnsale flossen unter den Kunststoffkam-mern hervor, versickerten aber schon nachkurzer Strecke über ein Gitter im Boden.Nur ein paar Kranke lagen hier, Menschen,die in sich zusammengekrümmt ihremSchicksal entgegendämmerten. Sie warengebrochen, aber in ihrer Nähe war nicht zubefürchten, daß die Gehörnten wieder er-scheinen würden. Lediglich ein verschwitz-tes Gesicht drängte sich jetzt heran, ein un-tersetzter, nervös blinzelnder Mann, derfurchtsam um sich blickte, als erwarte er je-den Augenblick, von den Gehörnten geholtzu werden.

»Nur drei?« ächzte er. »Mein Gott, nurdrei von euch, und ich hatte gehofft, eineHeerschar anzutreffen. Wo sind die Trup-pen, wo die Roboter?« Zögernd ließ er sichauf die Knie sinken, stieß ein heiseres, kaumhörbares Kichern aus. »Drei Siganesen - al-lein gegen alle Dscherro dieser verfluchtenBurg. Das ist ein Witz, hört ihr, Leute, einWitz, ein verdammter, lächerlicher …« Gur-gelnd verstummte er. Furcht stand in seinenweit aufgerissenen Augen zu lesen.

»Ganz so ist es doch nicht«, entgegneteWosken. Obwohl sein Gegenüber einen hal-ben Meter vor ihm kniete, mußte er zu ihmaufsehen wie zu einem hohen Berg. »Wirwerden dafür sorgen, daß ihr hier herausge-holt werdet.«

»Wann?« keuchte der dicke Terraner.»Schon bald«, antwortete Domino Ross

ausweichend.»Bald …« wiederholte der Dicke sinnend.

Mit Nachdruck schaffte er ein wenig mehrPlatz und ließ sich ebenfalls nieder. Er lach-te heiser. »Haben die Gehörnten wegen euchdie neuen Geräte angebracht? Ortungsgerä-te, was? Wenn ihr die SERUNS aktiviert,haben sie euch am Arsch, ist es nicht so?«Er verfiel in einen verschwörerischen Flü-sterton: »Keine Angst, ich sag's den anderennicht, aber ihr sitzt selbst in der Falle undkommt ohne Hilfe nicht mehr da raus, ist esnicht so?«

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Rosa bedachte ihn mit einem Kopfschüt-teln. »Wir arbeiten daran.«

»Und nach euch kommen dann endlichdie Roboter, he?«

»Kann sein«, sagte Domino ausweichend.»Sei ehrlich zu mir, Kleiner, ich vertrag'

'ne ganze Menge, und ich sag's auch nichtweiter.« Spontan streckte er seine Hand ausund hätte Domino Ross beinahe zur Seitegefegt, hätte der sich nicht ebenso abruptflach auf den Boden geworfen. »Na ja«,murmelte er und spreizte lediglich den klei-nen Finger ab, »wer ist den Umgang mit Si-ganesen schon gewohnt? Ich bin Loran Mis-ky.«

Domino nickte knapp, verzichtete aberdarauf, den ihm zur Begrüßung hingehalte-nen kleinen Finger mit einer Hand zu ergrei-fen. Misky gab sich aufdringlich, das behag-te ihm nicht, andererseits schien der Dickeein guter Beobachter zu sein, denn die we-nigsten hatten bemerkt, daß die DscherroOrtungsgeräte installiert hatten. Nur deshalbhielten sie sich immer noch in den Verliesenauf.

»Ihr wollt nach draußen?« fragte LoranMisky. »Ich bringe euch raus.«

»Nett von dir.« Arno Wosken strecktesich zwischen zwei Pfützen aus. In den ver-gangenen Stunden hatten sie viele großspu-rige Reden gehört, Phantasien, in die Gefan-gene sich aus der Not heraus geflüchtet hat-ten, um nicht vollends in die Depression ab-zugleiten.

»Ich kann es wirklich«, beharrte Misky.»Verdammt noch mal, mir dreht sich derMagen um, wenn ich daran denke, daß ichmich den Dscherro angebiedert habe. Trotz-dem soll das alles umsonst gewesen sein?«Er hustete, spuckte aus und traf eine der Hy-gienezellen. »Ich bringe euch raus, kapiert?Weil die Wilden mich inzwischen kennen.Ich habe ihnen Dinge erzählt, daß sich dieBalken biegen, aber wenn sie die Wahrheitherauskriegen, ist mein Leben nichts mehrwert. Deshalb brauche ich euch, ihr seidmeine einzige Chance, den Mist hier zuüberleben. Und umgekehrt.« Miskys Stimme

bebte vor mühsam verhaltener Erregung,seine Augen huschten hin und her.

»Du kannst dich frei bewegen?« fragteRoss ungläubig.

»Na ja, auf dieser Ebene -und auf der dar-unter. Da gibt es keine Geheimnisse, die ichausspionieren könnte, aber irgendwie schei-nen die Dscherro zu glauben, daß ich neuankommende Geiseln aushorchen könnte.«Er schluckte schwer. »Sie schleppen immernoch Menschen herein. Wann wird derWahnsinn endlich ein Ende haben?«

Die tieferen Etagen … Dort brachten dieKraftwerksanlagen genügend Streustrah-lung, daß sie sich leichter bewegen konnten.Domino brauchte Arno und Rosa nur anzu-sehen, um zu wissen, daß sie ebenfalls bereitwaren, das Risiko einzugehen.

Er nickte knapp, eine Geste, die LoranMisky offensichtlich gar nicht registrierte.Der Terraner schien durch ihn hindurchzu-blicken, war mit seinen Gedanken schonsehr viel weiter.

»Wie willst du uns hier rausbringen?«»Ich stecke euch in die Tasche.« Loran

Misky grinste breit. »Ihr müßt euch nur ru-hig verhalten.«

Minuten später hielten sich Domino Rossund Rosa Borghan in einer Hosentasche desDicken aneinander fest und wurden bei je-dem Schritt durchgeschüttelt. Arno Woskensteckte in der anderen Hosentasche.

*

Er war heiß.Und er schäumte vor Wut.Mehr als etwa fünfzig Dscherro hatte

Chlenakk zu Geständnissen gezwungen undanschließend hingerichtet. Aber nur bei ei-nem Teil von ihnen hatte Taka Fellokk dentypischen Geruch von Verrat registriert. Alleanderen hatten bis zuletzt versucht zu leug-nen. Doch ihre Geständnisse waren Beweisgenug gewesen.

Die Verschwörung gegen den Taka warpraktisch zerschlagen, und anfangs hatte esauch so ausgesehen, als wäre mit Kurron die

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treibende Kraft erledigt worden. Doch mitt-lerweile war das anders. Fellokk wußte nunmit Sicherheit, daß es noch nicht gelungenwar, die Hintermänner zu entlarven. DerSerofe für das Kriegshandwerk, Tschoch,hatte ihm bei den Aufräumarbeiten besteDienste geleistet, aber auch er hatte den Un-bekannten im Hintergrund bislang nicht ent-larven können.

Und daß Fellokk selbst nicht in der Lagewar, das Oberhaupt der Verschwörer zu rie-chen, ließ ihn vor Wut schäumen. Entspre-chend hitzig raste er durch die Räume imMittelpunkt der Burg. Er hatte keine Erklä-rung dafür, weshalb sein sonst untrüglicherGeruchssinn ihn ausgerechnet in dieserwichtigen Situation im Stich ließ, und dasmachte ihn rasender als je zuvor undpeitschte sein Blut brodelnd durch dieAdern.

Zwei Krieger, denen der Hauch einesfalschen Geruchs anhaftete - vielleicht wares auch nur Furcht angesichts des überhitz-ten Taka, aber das spielte hinterher keineRolle mehr -, tötete er in einem Anfall vonRaserei. Danach fühlte er sich wohler, dochkeineswegs zufrieden.

In dieser Situation erreichte ihn Tschoch.Er hatte, während Fellokk selbst mit demgroßen Aufräumen beschäftigt gewesen war,im Hintergrund seine Beziehungen spielenlassen. Er erklärte, daß es ihm gemeinsammit dem für die Footen zuständigen SerofenSchkonk gelungen war, endlich ausreichen-des Beweismaterial zu sammeln.

»Es gibt keinen Zweifel«, sagte er, »auchwenn die Wahrheit dir nicht gefallen wird.«

»Wer?« stieß Taka Fellokk unwirsch her-vor. »Ich will den Namen wissen!« SeineForderung wurde zum unbeherrschten Auf-schrei, den Tschoch den noch mit Gelassen-heit quittierte. Künftig, das wußte er, würdeer sich im Wohlwollen des Taka suhlen kön-nen.

»Dein Gegner ist Achysch«, sagte er ru-hig.

Der Serofe für soziale Ordnung. Über sie-bzig Jahre zählte er schon und hatte sein

Amt bereits unter Poulones ausgeübt. Achy-sch, der unglaublich fette Dscherro, der im-mer schwitzte und dessen strenger und unan-genehmer Geruch jede seiner Regungenüberdeckte. Achysch, der nach außen zwargutmütig wirkte, in Wahrheit jedoch falschund verschlagen war. Er stand also immernoch hinter dem toten Poulones, obwohl ernicht müde wurde, seine Loyalität zu beteu-ern.

Zweifel? Fellokk hatte ein Opfer gesuchtund es gefunden, mehr wollte er nicht. Zu-dem waren die von den Footen stammendenBeweise erdrückend. Ihr Überwachungssy-stem hatte Achysch bei mehreren Treffenmit bereits hingerichteten Verschwörern auf-genommen, unter anderem mit Kurron, undjeweils an versteckten Orten. Das Materialwar eindeutig.

Taka Fellokk stellte den fetten Serofen indessen Gemach zur Rede. Aber immer nochkonnte er an Achysch keinen Verrat riechen,nur dessen beißenden Körpergeruch, der je-den Hormonausstoß überdeckte. Achyschstank schlimmer als je zuvor, und fast er-schien es dem Taka, als hätte sein Gegen-über aus gutem Grund diese Schweißausbrü-che hervorgerufen.

Achysch leugnete. Er spielte sein altesSpiel des loyalen Serofen, den allein schonsein Alter zwang, Ambitionen wie Verratund Machtansprüche zu ignorieren. Als Fel-lokk ihn mit den Aufzeichnungen der Footenkonfrontierte, fiel er schier in sich zusam-men. Sein ohnehin stets nach vorne ge-krümmter Leib neigte sich weiter, fast sah esaus wie eine Verbeugung vor dem Taka.

»Der Schein spricht gegen mich«, mur-melte er ergeben. »Aber ich habe nie nachdem Amt des Taka gestrebt. Im Gegenteil.Ich mußte mir das Vertrauen der wirklichenVerräter erkämpfen, deshalb habe ich michmit ihnen getroffen und zum Schein intri-giert …«

Grollend entblößte Fellokk seine Reißzäh-ne, sog witternd die Luft ein, die ihm in die-sem Augenblick einen ersten Hauch vonFurcht zutrug.

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Und den Geruch von Ergebenheit, so in-tensiv, daß er sogar den ewigen Gestankübertönte.

Achyschs Hormonausstoß war falsch. Sofalsch wie er selbst, und beinahe hätten denTaka die Sekundenbruchteile seines Zögernsdas Leben gekostet. Ein Dolch in AchyschsRechter zuckte auf Fellokk zu, aber statt sichtief in sein Herz zu bohren, durchtrennte dievibrierende Klinge lediglich die oberenWaffengürtel. Fellokk hatte sich im letztenMoment zur Seite geworfen, seine ver-schränkten Fäuste krachten in AchyschsNacken und trieben den Alten gegen dieWand. Der Serofe quittierte den Aufprallmit einem Fluch, den Dolch immer noch inder Rechten fuhr er für seine fette Körper-fülle erstaunlich schnell herum, aber dapackte Fellokk bereits zu und riß ihm denWaffenarm nach hinten.

Achysch schrie auf. Vergeblich stieß ermit den Klauen der Linken nach hinten,wollte die Finger in Fellokks Augen bohren,aber er traf nur ins Leere, dafür fegte einzweiter, noch kräftigerer Hieb des Taka ihnabermals zur Seite.

Zwei Kriegsmasken eines unbedeutendenVolkes fielen von ihren Halterungen an derWand, als Achysch aufprallte. Und sofortwar Fellokk neben ihm und packte den nochunverletzten Arm. Zugleich umklammerte ermit dem rechten Unterarm den Hals des Ser-ofen und zog seinen Schädel weit nach hin-ten. Achysch gurgelte nur noch.

»Du bist der Verräter, Achysch«, preßteder Taka zwischen den Zähnen hervor.»Warum?«

Das Gurgeln erstickte.»Warum?« wiederholte Fellokk. »Sag's

mir, bevor ich dich töte!«Daß er den Griff lockerte, nutzte Achy-

sch, um sich mit einer blitzschnellen Dre-hung aus dem Griff zu befreien. Sein Hornstieß nach vorne, aber ein klein wenigschneller packte der Taka zu und riß denSchädel herum.

Es knackte laut und vernehmlich. Ein Zit-tern durchlief den fetten Leib, dann sackte er

haltlos und schlaff in sich zusammen, derSchädel saß verdreht auf den breiten Schul-tern, die Augen weit aufgerissen, ungläubigblickend, aber inzwischen leblos.

Mit dem Tod des Verräters würde es einleichtes sein, wieder Ruhe und Ordnung inGousharan herzustellen, aber das war nichtFellokks Aufgabe. Er würde endlich daran-gehen, seine Lösegeldforderungen für dieTerraner zu formulieren.

Außerdem war da noch eine Sache, die eszu klären galt: der lästige, aber wohl eherunbedeutende Zwischenfall mit den kleinenMenschen, die es geschafft hatten, in Gous-haran einzudringen.

*

Sie werden mich freilassen, dachte LoranMisky, während er sich mühsam seinen Wegdurch die Menge bahnte. Sie müssen micheinfach freilassen. Und dann werde ich Ter-ra verlassen. Ob sie mich bezahlen? Natür-lich. Umsonst ist der Tod. Ich werde die Si-ganesen nur Chlenakk übergeben, oder bes-ser noch, nur dem Taka. Was tut es ihm weh,wenn er mir ein paar hunderttausend Galaxbezahlt? Schließlich erweise ich ihm einengroßen Dienst.

Mit den Ellenbogen stieß er um sich.»Laßt mich durch, verdammt. Geht endlichaus dem Weg.«

In seinen Hosentaschen spürte er die selt-same Fracht. Er hätte nie geglaubt, daß Siga-nesen überhaupt noch existierten. Offiziellgalten sie als verschollen, aber das war eineLüge.

Für einen Augenblick fühlte Misky diestärker werdende Versuchung, mit beidenFäusten auf seine Taschen zu schlagen. Wa-rum nicht? Das dumme Gesicht von CistoloKhan hätte er gerne gesehen, wenn der LFT-Kommissar erfuhr, was mit seinen Agentengeschehen war. Und die Dscherro waren be-stimmt auch zufrieden, wenn er ihnen dieKleinen tot übergab.

Unsinn! Tot waren sie nicht soviel wertwie lebendig. Hunderttausend Galax für je-

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den von ihnen. Nein, zweihunderttausendGalax waren angemessen. Und die Zusiche-rung des freien Abzugs.

»Wir schaffen es, wir sind bald raus.« Erredete mit sich selbst, aber Domino Ross,der Anführer der Kleinen, hatte ihm versi-chert, daß sie jedes Wort verstehen würden,obwohl sie alle Funktionen ihrer SERUNSabgeschaltet hatten.

Dscherro holten gerade mehrere Gefange-ne zum Verhör. Misky schloß sich den wi-derstrebenden Gestalten an. Ein Mensch, derfreiwillig mit ihnen ging … Doch dieDscherro kannten ihn und wußten, daß er siemit Informationen versorgte. Immerhin gabes nur drei oder vier Wächter, und mittler-weile hatte er gelernt, die Fremden vonein-ander zu unterscheiden. Es war gar nicht soschwierig, er mußte nur auf die Stirnhörnerachten. Die Gefangenen paßten nicht auf,von denen war jeder froh, daß die Dscherroihn nicht abholten. Wenn es ihnen möglichgewesen wäre, hätten sie sich in einSchneckenhaus verkrochen Nur flüchtigdachte Misky daran, daß es ihm bis vor kur-zem ganz genauso ergangen war. Nun war erobenauf, schwamm als Fett auf der Brühe;die Dscherro griffen auf seine Dienste zu-rück, und sie hatten keine Ahnung, daß erdraußen, am Canopus Boulevard, einen derIhren erschossen hatte. Wenn sie es jetztnoch nicht wußten, würden sie es nie erfah-ren.

Einer der Dscherro starrte ihn durchdrin-gend an. Misky deutete auf seine Hosenta-schen, aber das begriff der Gehörnte nicht.Der Blick wurde fragender, der Kerl fletsch-te die Zähne, eine Geste der Drohung. Mis-ky zeigte ihm die leeren Handflächen zurVersöhnung. Sagen durfte er jetzt nichts, dieSiganesen würden sofort Verdacht schöpfen,und sie entkommen zu lassen, das wäre dasletzte gewesen, was er wollte.

Der Dscherro stieß ihn vorwärts - mit demStiel seiner Neuropeitsche.

»Ein paar Minuten noch«, raunte Misky.»Wir stecken mittendrin in einem TruppTerraner, die von zwei Dscherro weggetrie-

ben werden. Aber keine Sorge, ich weiß, woich mich in die Büsche schlagen kann.«

»Vorwärts!« brüllten die Dscherro.»Bewegt euch schneller!«

Vor ihnen lag der Antigravschacht, dendie Gefangenen immer benutzen mußten.Zwei Decks höher warteten weitere Dscher-ro, die sie zu Chlenakk bringen würden.Misky hatte das mehrmals erlebt, und stetswar es die gleiche Prozedur gewesen.

Chlenakk muß mich belohnen. Er wirdAugen machen.

*

Miskys Hosentasche war klamm, beinahenaß, der Terraner schien schweißgebadet zusein. Kein Wunder, er ging ein ziemlichesRisiko ein, das ihn ebenso wie die Siganesenden Kopf kosten konnte.

Die Stimmen der Dscherro waren deutlichzu verstehen. Zu gerne hätte Domino einenBlick nach draußen erhascht, um zu sehen,wie Loran den Gehörnten entschlüpfte. Erwagte es nicht, mußte einfach darauf ver-trauen, daß der Terraner wußte, was er ris-kieren konnte. Wichtig war einzig und al-lein, daß Atlan und Cistolo Khan bald erfuh-ren, was in Gousharan geschehen war. Undirgendwie mußte es gelingen, die beiden Mi-nitransmitter aus dem Stützpunkt zu holenund zu aktivieren.

Für einen Moment dachte Domino daran,wie schweißtreibend es gewesen war, dasGestänge in den nur zwanzig Zentimeter ho-hen Raum zu bringen. Sie hatten einigesauseinandernehmen müssen - der Abtrans-port und anschließende Zusammenbau wür-den entsprechende Mühe kosten. Vor allemfragte er sich, wo der Aufbau erfolgen konn-te, nachdem Dscherro und Footen von denFremden in Gousharan wußten. Aber siehatte keine Ahnung von den Transmittern …

Immer noch die Stimmen der Dscherro.Wann wollte Loran sich absetzen? Oder hat-te er den Zeitpunkt schon verpaßt?

»Da läuft was schief«, murmelte Rosa.Den Eindruck hatte Domino ebenfalls. Sie

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befanden sich in einem Antigravschacht,schwebten in die Höhe. Vorsichtig griff ernach dem Rand der Hosentasche, zog denschmutzabweisenden Stoff ein paar Zenti-meter weit zur Seite.

Prompt hielt Loran die Hand über die Öff-nung, stieß ihn unsanft zurück.

»Es klappt nicht«, keuchte Ross. »Dadraußen stehen mehr Dscherro als befürch-tet. Wir haben schlichtweg zuviel riskiert.«

Loran preßte seine Hand jetzt fest auf dieTasche, Domino fühlte sich eingeengt wieeine Sardine in der Dose.

Dumpf, wie aus weiter Ferne, kaum ver-ständlich, drang Miskys Stimme heran. Do-mino verstand den Namen Chlenakk, unddann, als er schon glaubte, sich verhört zuhaben, fügte Misky hinzu: »Ihr sucht diekleinen Menschen. Ich habe sie.«

In der Dunkelheit und der klammenFeuchte konnte Domino Rosas Augen auf-blitzen sehen. Sie sagte nur ein einzigesWort: »Raus!«

Misky hatte sie verraten. Vielleicht hatteer auch schon Geiseln ans Messer geliefertund versprach sich Vorteile bei den Dscher-ro.

»Ruf Arno über Funk, wir müssen abhau-en.« Mit einem knappen Befehl an den Piko-syn aktivierte Domino seinen SERUN,gleichzeitig zog er den Kombi= strahler,schaltete ihn auf Desintegration und feuerte.

In Miskys Hosentasche klaffte plötzlichein Riß, lang genug, um Domino hindurch-zulassen. Er fiel förmlich ins Freie, dichtaufgefolgt von Rosa.

Der dicke Terraner stieß einen heiserenAufschrei aus, griff mit beiden Händen anseinen Oberschenkel, doch er reagierte zuspät. Dann entsann er sich, daß noch eindritter der kleinen Leute da war. Bevor erseinen Fehler korrigieren konnte, schoß Ar-no mit voller Beschleunigung seines Gravo-Paks aus der anderen Tasche empor und sodicht an seinem Kopf vorbei, daß Misky sichzur Seite warf. Ungewollt behinderte er zweiDscherro.

Nach drei Richtungen schossen die Siga-

nesen auseinander. Mit ihren Pranken wisch-ten die Dscherro durch die Luft, um die ter-ranischen Agenten zu erhaschen, doch bisder erste sich seiner Waffe besann, warendie Siganesen verschwunden.

*

Konfusion herrschte. Die Dscherro trie-ben die Geiseln weg, nur Loran Misky hiel-ten sie unsanft zurück. Es dauerte, bis end-lich einer der Gehörnten einen Translätorbrachte.

»Ich kann nichts dafür«, stammelte Mis-ky. »Ich habe die Siganesen geschnappt undwollte sie euch ausliefern. Verdammt, gehtdas denn nicht in eure Schädel rein? Warumhabt ihr so lange gezögert? Zu Chlenakk, ha-be ich gesagt. Und Taka Fellokk.«

Seine Augen weiteten sich in ungläubi-gem Erstaunen, als zwei kleine Gestalten nä-her kamen. In der ersten Überraschungglaubte er, die Siganesen seien zurückge-kehrt, dann erkannte er, daß diese beide We-sen gut zwanzig Zentimeter groß waren undüber zwei Armpaare verfügten. Außerdemschimmerte ihre Haut rotbraun.

»Wer sind die?« stieß er tonlos hervor.»Ich bin Bousseor«, sagte einer der Klei-

nen, während er - von einem Antigravfeld inder Schwebe gehalten - dicht vor MiskysKopf hing. »Du hast die Siganesen laufen-lassen.«

»Ich habe sie eingefangen«, protestierteLoran. »Weil ich mir dachte, daß sie euchwichtig sind.«

»Das sind sie«, bestätigte Bousseor. »Duweißt, wohin sie geflohen sind?«

»Nein.« Loran Misky schüttelte den Kopf.»Nein, nein, das ist es eben, ich habe keineAhnung. Sie wollten raus aus der Burg. -Aber wenn ihr mehr über die Siganesen wis-sen wollt, da bin ich der richtige Mann füreuch, ich sage euch alles. Es gibt nicht mehrviele von ihnen, sie haben ihre Heimatweltvor langer Zeit verlassen, aber ihre Technikblieb auf Siga zurück. Ihr habt von Sigaschon gehört? Alles ist unversehrt, weil die

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Terraner den Planeten bewachen. Ich sageeuch, das ist ein technischer Schatz, nachdem wird der Taka sich alle Finger ab-lecken, er …«

Bousseor vollführte eine entschieden ab-lehnende Bewegung mit allen vier Armengleichzeitig. »Wir wissen das«, herrschte erMisky an. Dann winkte er den Dscherro.»Schafft ihn zu Chlenakk, er soll alle Infor-mationen aus diesem Verräter herausholen.«

Loran Misky wurde blaß. Er zitterte plötz-lich.

»Das könnt ihr nicht tun!« kreischte erauf. »Nicht mit mir. Ich bin doch euerFreund.« Seine Stimme überschlug sich undbrach krächzend ab, als ein Dscherro ihn un-sanft unter den Armen faßte und mit sichschleppte.

8.

Nun hatte die Jagd auf sie erst richtig be-gonnen. Zweifellos überwachten die Dscher-ro bereits die Peripherie der Burg so lücken-los, daß nicht einmal eine Ameise mehr un-bemerkt hindurchschlüpfen konnte.

Der Reinfall mit Loran Misky war einSchock gewesen. Dabei hatten die Siganesennoch Glück gehabt, schlicht und einfach.

»Was nun?« fragte Rosa.Zu den Maschinenräumen konnten sie

nicht, weil Misky davon wußte und ihnendort wohl schon die Dscherro auflauerten.Blieb nur der Weg ins Zentrum der Burg,dorthin, wo sich die Macht des Taka und derSerofen konzentrierte.

»Wir schlagen die Dscherro mit ihren ei-genen Waffen«, antwortete Domino Ross.»Wir tun das, was sie am wenigsten von unserwarten.«

»Wir nehmen eine Geisel?« Rosa starrteihn entgeistert an. »Fellokk?«

»An den kommen wir wohl nicht heran.Einer der Serofen muß genügen.«

»Wenn wir damit durchkommen …« Ar-no Wosken hob die Schultern und ließ sievielsagend wieder sinken. »Ich fürchte, dienehmen auf ihre eigenen Leute wenig Rück-

sicht. Um uns zu erwischen, werden sienicht zögern, einen der Ihren zu töten.«

»Trotzdem müssen wir es versuchen«, be-harrte Domino. »Weil wir keine andereWahl haben. Wir halten uns an den Zweit-wichtigsten in der Hierarchie.«

»Tschoch?«Endlich erwiesen sich die in den SE-

RUNS gespeicherten Daten der »Milben«als wertvoll. Die Siganesen benötigten we-nig mehr als zwei Stunden, um die Gemä-cher des Serofen zu erreichen, die Sicher-heitseinrichtungen auszuschalten und sicheinzunisten.

Tschoch war nicht da, aber er würde kom-men, das war sicher.

*

Weitere zwei Stunden später verrieten dieGeräusche einen näher kommenden Dscher-ro. Die Siganesen hatten Zeit gehabt, ihrweiteres Vorgehen ausführlich zu bespre-chen. Sie waren sich einig, daß sie improvi-sieren mußten.

Tschoch kam allein. Er trug die geschlos-sene silberne Kombination, die locker überseine Leibesfülle fiel und bis zu Knöchelnund Handgelenken reichte. In der Tür blieber stehen, blickte mißtrauisch um sich undsog mit einem schlürfenden Geräusch denSpeichel hoch, der über seine Unterlippetropfte. Dann stapfte er Weiter, murmelte et-was, das nicht zu verstehen war, und warfsich ächzend in einen der klobigen Sessel inder Raummitte. Die Beleuchtung war beiseinem Eintreten automatisch aufgeflammt,nun aktivierte er durch Zuruf einen Holo-schirm.

»Der Taka darf nicht gestört werden«, er-klang eine mechanische Stimme.»Hinterlasse deine Nachricht.«

Tschoch schlürfte schon wieder.»Dein ergebener Serofe Tschoch, großer

Taka Fellokk, hat soeben die letzten nament-lich bekannten Mitwisser der Verschwöreran Chlenakk übergeben. Wir können mitdem Erreichten zufrieden sein und uns wie-

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der den Terranern widmen. Ich werde dafürsorgen, daß auch die Jagd nach den dreikleinen Menschen in Kürze beendet seinwird.«

Domino Ross grinste schräg. Er saß ander Stirnwand des Raumes, hinter den Au-genhöhlen eines mächtigen Skeletts, ganzedrei Meter hinter dem Dscherro. Von seinemPlatz aus konnte er Arno und Rosa sehen.

Lautlos löste er sich aus dem Versteckund schwebte mit einem kurzen Schub desGravo-Paks bis hinter den Serofen. AuchArno stieß sich ab, glitt langsam näher, inden Bereich, in dem Tschoch ihn zwangs-läufig sehen mußte.

Der Dscherro schaltete die Kommunikati-on ab, hob den Kopf und stieß einen unwilli-gen Grunzlaut aus. Ungläubig blinzelte er.

Das war der Moment, in dem Dominonach vorne flog und den Kombistrahler aufden Serofen richtete.

»Du hast völlig recht, Tschoch.« Die Au-ßenlautsprecher des SERUNS verliehen derSiganesenstimme ein bedrohliches Volu-men. »Die Jagd nach den kleinen Menschenist beendet. Ab sofort bist du unsere Geiselund wirst dich unseren Befehlen fügen.«

Wahrscheinlich war der eineinhalb Zenti-meter messende Strahler keine sehr ein-drucksvolle Warnung. Tschoch riß beideHände hoch und schlug sie zusammen. Ge-nau da, wo der Siganesen eben nochschwebte. Es dröhnte fast wie ein Kanonen-schuß.

Doch Domino hatte sich ebenso schnellaus der Gefahrenzone gebracht, hing nununter der Zimmerdecke und feuerte zwei Pa-ralyseschüsse auf den Dscherro ab. BeideSchüsse trafen Tschochs Körper, schienenden silbernen Anzug aber nicht zu durch-dringen, jedenfalls sprang der Serofe mit derGeschmeidigkeit einer mittleren Dampfwal-ze auf und schlug nach Wosken.

»Geisel?« Tschoch lachte dröhnend.»Wenigstens spare ich mir die Suche nacheuch. Wo ist der dritte?«

»Hier bin ich!« Rosa Borghan landete aufder knochigen Schädelplatte, die Tschoch

mit einer rubinroten Lackschicht überzogenhatte, und verpaßte ihm einen Tritt gegendas wie ein Schneckengehäuse gewundenerechte Ohr. Tschochs Faust zuckte hoch unddonnerte gegen seinen Schädel, nur war Ro-sa da schon wieder einen halben Meter ent-fernt.

Grollend und sabbernd stand der Dscherroinmitten seines Zimmers, drehte den Kopfund den Oberkörper, um die wie dicke In-sekten herumschwirrenden Siganesen in Au-genschein zu nehmen.

Mehrmals zuckten seine Pranken hoch,versuchte er, die Gegner aus der Luft zu fi-schen, aber er war zu langsam für die wendi-gen Gravo-Paks.

»Computer!« stieß er dumpf hervor.»Funkverbindung zu Chlenakk!«

Der Holowürfel, der sich vorhin gebildethatte, entstand diesmal nicht, weil Dominomehrere Impulsschüsse auf die Schalteinheitabfeuerte. Dafür stank es plötzlich nachschmorenden Isolationen.

Tschoch riß ein Regal von der Wand undschwang das gebogene Kunststoffbrett wieeine Fliegenklatsche. Seine wütenden Hiebeverfehlten Domino und Arno mehrmals nurknapp, schließlich drosch er das Brett sokräftig gegen die Wand, daß es in eine Viel-zahl handflächengroßer Stücke zersplitterte.Rosa, auf die er es abgesehen hatte, konntesich gerade noch zwischen eine Sammlungabgeworfener Hörner flüchten.

Tschoch brüllte auf. Speichel tropfte ihmauf die Kombination und hinterließ unschö-ne Flecken.

Ein weiterer vergeblicher Versuch folgte,die lästigen Siganesen aus der Luft zu fi-schen, wenigstens einen von ihnen zwischenden Fingern zu zerquetschen, danachstampfte Tschoch zum Schott. Domino warschneller. Der Öffnungsmechanismusschmolz unter einer mittels Funkimpuls ge-zündeten Haftladung.

Schnaubend fuhr der Serofe herum, starrteentgeistert die drei kleinen Menschen an, diein ihren SERUNS unaufhörlich neue Flug-manöver flogen. Sie waren schnell und

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schienen ihn verwirren zu wollen.»Ihr glaubt wirklich, mich besiegen zu

können?« dröhnte Tschoch ungläubig.»Zermalmen werde ich euch zwischen mei-nen Händen, und das gleich.«

Er stürmte nach vorne, bewegte die Armewie Windmühlenflügel, streifte dabei ArnoWosken, der haltlos herumgewirbelt wurdeund auf dem Boden aufschlug. Bevor derSerofe allerdings zutreten konnte, raste Rosaim Tiefflug heran, ergriff Arno unter denSchultern und stieg mit ihm auf. TschochsFersensporn krachte ins Leere.

Domino feuerte mit dem Paralysator aufTschochs rechte Hand. Der Dscherro starrteseine Finger an, die sich plötzlich nicht mehrbewegen ließen.

»Ich bringe euch um!« keuchte er. »Dafürwerde ich euch töten.«

»Worauf wartest du noch, Dicker?« Esbereitete Domino Vergnügen, den Dscherrozu reizen. Dabei wußte er, daß er mit demFeuer spielte, doch einen anderen Weg,Tschoch zu besiegen, gab es nicht. BlinderZorn machte unvorsichtig.

.Andererseits war ihm nicht damit ge-dient, den Serofen völlig zu paralysieren.Ein gelähmter Tschoch nutzte ihm wenig.

Der Serofe belauerte sie jetzt, in seltsamvornübergebeugter Haltung verharrte er,scheinbar sprungbereit, doch das konntekaum seine Absicht sein.

»Ich messe. Energieflüsse an!« rief RosaBorghan. »Tschoch nimmt Verbindung mitder Kommunikation der Burg auf!«

Der Dscherro stürmte wieder vorwärts,fest entschlossen, sich von den Siganesennicht länger hinhalten zu lassen.

Die Impulse gehen tatsächlich von seinemAnzug aus!

Domino hatte die gleiche Peilung. Zweider zwanzig Verdickungen am Silberanzugwaren energetisch aktiv geworden, und nie-mand wußte, welchen Zwecken die anderennoch dienten. Domino tauchte unter den zu-schlagenden Pranken des Serofen hindurchund feuerte im Vorbeifliegen auf die Ver-dickung, von der die Kommunikationsim-

pulse ausgingen.Er war zu schnell, traf nicht, zumal

Tschoch schon wieder nach ihm schlug under einen Looping schlagen mußte, um zuentkommen. Der Anzug des Dscherro absor-bierte die auftreffende Energie. Aber plötz-lich war Rosa neben ihm, raste vorbei undfeuerte eine ganze Salve aus ihrem Strahlerab. Drei, vier Schüsse trafen das Ziel, dasfunkensprühend aufbrach, aber da hatte Ro-sa sich schon absinken lassen, raste zwi-schen den Säulenbeinen des Gehörnten hin-durch und stieg unmittelbar hinter ihm wie-der in die Höhe. Zwei weitere der scheiben-förmigen Kontaktstellen schaltete sie mit ge-zielten Feuerstößen aus.

»Wie gefällt dir das, Tschoch?« Flüchtiglandete sie auf seiner Schulter und stieß sichab, als er mit der Linken nach ihr schlug.

Tschochs Krallen rissen sich selbst vierblutige Wunden quer über die Schulter.

Ein im Aufbau begriffener Schutzschirmwurde zum flackernden Dunstschleier undbrach sofort wieder zusammen. WährendRosa die Aufmerksamkeit des Gehörntenauf sich gezogen hatte, war es Domino undArno Wosken gelungen, zwei weitere Kon-taktstellen zu zerstören, darunter den Im-pulsgeber für das Schirmfeld.

Tschoch ächzte wie ein weidwundes Tier.Allmählich schien ihm zu dämmern, daß erdie kleinen Menschen unterschätzt hatte.

Die Siganesen konzentrierten sich darauf,Tschochs mögliche Kontakte zur Burg unddamit zu anderen Dscherro zu unterbindenund ihn seiner technischen Hilfsmittel zu be-rauben. Wie Mücken umschwirrten sie denGehörnten, nur waren ihren »Stiche« umvieles effektiver, während die immer unkon-trollierter werdenden Schläge des Kolossesnur ins Leere gingen.

Tschoch verausgabte sich, das mußte ersogar einsehen, doch er konnte nicht anders.Er tobte, schnaubte vor Wut und wurde im-mer hitziger. Das Band an seinem Handge-lenk zeigte seine Körpertemperatur an.

Wie lange kämpften sie inzwischen die-sen Kampf David gegen Goliath? Fünfzehn

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Minuten, zwanzig sogar …? Wenn es nichtrasch gelang, Tschoch unter Kontrolle zubekommen, war alles umsonst. Sobald erHilfe von außen erhielt … Rosa Borghanbrachte den Gedanken nicht zu Ende.

Wie ein Berserker raste Tschoch durchsein Gemach, riß persönliche Gegenständevon den Wänden und schleuderte sie nachden Siganesen, ohne jedoch zu treffen. Erschien völlig von Sinnen, tobte und schrie,offenbarte damit das volle Ausmaß seinerHilflosigkeit.

Noch vier Kontaktstellen an seinem Silbe-ranzug waren unbeschädigt. Allerdings hatteTschoch es aufgegeben, sich ihrer zu bedie-nen. In Domino keimte der Verdacht, daßder Dscherro sie nur in Sicherheit wiegenwollte.

»Paßt auf!« rief er Arno und Rosa zu.Was er vorhatte, war gefährlich. FallsTschoch sich einfach fallen ließ und überden Boden wälzte, bedeutete das möglicher-weise, daß selbst der Individualschutzschirmdes SERUNS ihn nicht schützen konnte.Dennoch hielt Domino zielstrebig auf einender Anschlüsse auf der Rückenseite des An-zugs zu, zwischen den Schulterblättern destobenden Riesen.

Ein schwaches Kraftfeld verankerte ihnan der Scheibe, die rund sechs Zentimeterdurchmaß und etwa eineinhalb dick war.Aus unmittelbarer Nähe fiel es leicht, dieunterschiedlichen Energieflüsse innerhalbder Verdickung und des Anzugs auszumes-sen. Zudem waren feine Anschlüsse vorhan-den, die offensichtlich dazu dienten, denTräger mit verschiedenen Aggregaten derBurg zu verbinden.

Mit fliegenden Fingern öffnete Dominodie externen Anschlüsse seines SERUNSund verkabelte sich mit den Anschlüssen inTschochs Anzugs. Alles Weitere war die Ar-beit des Pikosyns, der mit syntronischerSchnelligkeit Wichtiges von Unwichtigemtrennte, Schaltkreise testete und die ver-wundbaren Stellen herausfand. Über Stimm-ausgabe ebenso wie im Helmdisplay wurdenDomino die Ergebnisse mitgeteilt.

»Bingo!« rief Domino Ross über Helm-funk. »Das ist ein Volltreffer. Der Anzugdient nicht nur der Kommunikation mit allenEinrichtungen Gousharans, sondern ist au-ßerdem so etwas wie eine selbständige Ein-heit, die auch dann agieren kann, wenn ihrTräger ohne Besinnung ist.«

Wie um zu beweisen, daß seine Aussageins Schwarze traf, versuchte der Siganeseden Dscherro zu beeinflussen. Tschoch hatteeben eine Trophäe hochgewirbelt und wollteRosa damit aus der Luft holen, als sein Armzu zittern begann.

»Ich hab' ihn!« triumphierte Domino.»Das ist es. Ich kann ihn steuern wie eineMarionette.«

Tschoch schnaubte wie ein Stier. Ruckar-tig drückte er den Arm nach unten; erschaffte es, aber es kostete ihn größte An-strengung. Wie Kabelstränge traten die Mus-keln unter seiner Haut hervor.

»Und jetzt die Beine.«Bebend hob Tschoch den rechten Fuß. Se-

kundenlang sah es so aus, als würde der Ko-loß stürzen, dann krachte der Fuß auf denBoden.

Ein Schritt, ein kurzer Schritt nur, aberTschoch hatte sich dem Willen des Sigane-sen beugen müssen. Und schon hob der Ser-ofe das linke Bein. Wie ein Roboter.

»Klinkt euch in die anderen Anschlüsseein!« rief Domino seinen Begleitern zu.»Gemeinsam kriegen wir ihn, und dann ver-schwinden wir von hier.«

Sie schafften es, koordinierten über diePikosyns ihrer SERUNS die Aktionen.Tschoch raste vor Wut, mußte aber einse-hen, daß er sich nicht länger sträuben konn-te. Der Serofe wurde zur hilflosen Statue de-gradiert, mußte es sich gefallen lassen, daßdie kleinen Menschen ihn nach ihrem Willendirigierten. Er hatte sie unterschätzt.

Dann stand Domino Ross auf seinerSchulter und hielt sich an seinem Ohr fest.Er verzichtete darauf, seine Stimme überLautsprecher zu verstärken, sprach einfach,doch er konnte sich der Aufmerksamkeit desSerofen sicher sein.

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»Gib dich geschlagen, Tschoch, du kannstuns nicht mehr entkommen. Aber du kannstdein Leben behalten. Alles, was du dafür tunmußt, ist, uns sicher aus der Burg zu brin-gen.«

Es war eine Schande, von solchen Winz-lingen bezwungen zu werden. Doch Tschochwar klug genug, die Lage richtig einzuschät-zen und ihren Ernst zu erkennen. Ihm bliebkeine Wahl, er mußte sich den kleinen Men-schen ergeben - oder mit ihnen gemeinsamden Tod suchen. Doch zum Sterben war esviel zu früh. Bis vor kurzem hätte er beden-kenlos sein Leben geopfert, um einen sol-chen Feind doch zu besiegen, heute war dieLage anders. Schon Terrania City hatte ge-zeigt, welche Wunder in dieser fremden Ga-laxis auf die Dscherro warteten, und Terrawar nur eine Welt von vielen. Tschoch wäreverrückt gewesen, darauf zu verzichten. Inseiner Position war er unentbehrlich.

»Ich werde tun, was ihr von mir ver-langt«, stieß er abgehackt hervor.

Für einen Augenblick war Domino Rossnach Triumph zumute. Aber es war zu früh.Zu viele Überraschungen konnten noch lau-ern.

*

Domino Ross hatte bereits damit gerech-net: Auch zu Tschochs Quartier gab es einenGeheimgang der Footen. Doch als die Helferder Dscherro wie aus dem Nichts erschie-nen, hatte Tschoch bereits kapituliert. Zu-gleich war das so etwas wie eine Feuerpro-be. Falls die Footen sich nicht abschreckenließen, würden es die Dscherro ebenfallsnicht zulassen, und dann war der Serofe alsGeisel so wertlos wie eines seiner abgewor-fenen Hörner.

Arno Wosken hatte sich an einer der Kon-taktplatten fest verankert, Rosa saß rittlingsauf dem rot gefärbten, leicht nach links ge-krümmten Horn des Dscherro, und DominoRoss hatte Position auf seiner rechten Schul-ter bezogen. Über den SERUN-Lautsprecherempfing Domino die Footen. Er ignorierte

die auf ihn gerichteten Waffen.»Tschoch stirbt, sobald ein Schuß fällt.

Und glaubt nicht, daß ich einen Grund hättezu zögern - was das Töten anbelangt, habenwir von den Dscherro gelernt.«

»Was verlangst du, Domino?«Bousseor? Natürlich. Domino hatte den

Footen nicht auf Anhieb erkannt, doch derPikosyn lieferte eine detaillierte Personen-analyse auf das Head-up-Display.

»Wir wollen nichts weiter als freien Ab-zug.«

»Dann verschwindet! Ich gestehe euchfünf Minuten eurer Zeitrechnung als Vor-sprung zu.«

»Für wie verrückt hältst du uns?« Dominolachte leise. »Wir wissen, daß wir nur danneine Chance haben, Gousharan lebend zuverlassen, wenn Tschoch bei uns ist.«

Immerhin hatte Bousseor angefangen zuverhandeln. Das bedeutete, daß zumindestdie Footen nicht sofort schießen würden.Der Serofe war ihnen also wichtig genug.

»Was geschieht mit Tschoch?«»Er ist unsere Geisel.«»Und dann?«»Was geschieht mit den terranischen Gei-

seln in der Burg und mit den gefangenenGalaktikern?«

»Darüber entscheidet der Taka.«»Über Tschoch entscheidet unser Taka.

So einfach ist das.« Dominos Stimme bekameinen unversöhnlichen Klang, wurde unge-duldig. Er richtete den Strahler auf TschochsSchläfe. »Weg mit euren Waffen! Es gefälltmir nicht, wenn ihr uns bedroht.«

»Wir denken nicht daran …«Domino feuerte einen Schuß ab. Wahllos

in die Decke, doch die Demonstration ge-nügte. Sofort zielte er wieder auf den Rie-sen, auf dessen Schulter er saß.

»Ich habe nichts zu verlieren. Meine Be-gleiter auch nicht. Das solltest du wissen,Bousseor. Also …«

Die Footen ließen ihre Waffen sinken.Zweifellos kapitulierten sie nur für den Mo-ment und würden versuchen, an andererStelle zuzuschlagen. Damit mußte Domino

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rechnen, das hatte er von Anfang an kalku-liert. Aber zumindest für den Moment wares sein zweiter Sieg.

»Schade, Bousseor, daß wir unter diesenUmständen auseinandergehen müssen«, sag-te er. »Ich bedauere es außerordentlich.«

»Du kannst dich uns immer noch an-schließen, Domino Ross.«

»Nein.«»Das ist bedauerlich. Leider bist du der-

zeit in der besseren Position.«»Ich gedenke nicht, darauf zu verzichten.

- Vorwärts, Tschoch, wir gehen!«Zähnefletschend wandte der Dscherro den

Kopf, schien den auf seiner Schulter sitzen-den Siganesen mit einem einzigen Biß weg-putzen zu wollen. Aber schon im nächstenMoment verzog sich sein Gesicht zurschmerzvollen Grimasse. Arno Wosken hat-te schnell reagiert und über die Verbindungseines SERUNS mit den Noppen des Silber-anzugs einen Stromstoß durch den Körperdes Serofen gejagt, nicht sonderlich intensiv,aber doch so, daß Tschoch nicht vergaß, werdie Befehle erteilte.

Rosa ließ sich von ihrem erhöhten Sitzplatz herabgleiten, schwebte sekundenlangdicht vor Tschochs Augen und glitt zu demSchott hinüber. Sie koppelte die Syntronikihres Anzugs mit dem zerstörten Türöffner,kurz darauf stand der Weg in die Freiheit of-fen.

»Vorwärts!« raunte Domino Ross demDscherro ins Ohr. »Und gib dich keinenfalschen Hoffnungen hin. Wir passen auf.«

.Rosa kauerte wieder auf dem rot gefärb-ten Horn, ganz weit vorne, mit beiden Hän-den stützte sie sich ab und ließ ihren Blickschweifen.

Ein breiter, gewundener Korridor nahmsie auf. Niemand war hier zu sehen, dochdas konnte sich schlagartig ändern. Die Foo-ten folgten dem ungleichen Quartett mit ei-nigen Metern Abstand.

Domino versuchte die Nähe der Regen-wurmwesen zu ignorieren, nur wollte ihmdas nicht recht gelingen.

»Anhalten!« befahl der Siganese Tschoch.

»Sag den Footen, sie sollen verschwinden!Aber keine hastige Bewegung.«

Tschoch hielt sich daran. Der Goliath warvorsichtig geworden. Jedenfalls zogen Bous-seor und seine Truppe sich außer Sichtweitezurück.

Tschoch kochte vor Wut.»Seine Temperatur steigt weiter an«, mel-

dete Wosken. »Wenn es so weitergeht, zer-platzt er bald wie eine überhitzte Dampfma-schine.«

Zwei Dscherro kreuzten ihren Weg. Erstschienen sie gar nicht zu begreifen, welchesSchauspiel sich ihnen da bot, dann rissen siegleichzeitig ihre Waffen hoch. Tschochsdonnernder Befehl zwang sie zurückzuwei-chen.

»Gut gemacht.« Mit der flachen Handschlug Domino auf den speckwulstigenNacken des Serofen. »Wenn das weiterhinso klappt, hast du nichts zu befürchten undbist uns bald wieder los.«

»Ihr kommt nicht weit«, grollte Tschoch.»Das laß unsere Sorge sein. Aber vergiß

nicht, unser Schicksal wird auch deinSchicksal sein.«

Sie näherten sich der Peripherie des ku-gelförmigen Bereichs im Zentrum der Burg,der dem Taka und seinem Gefolge vorbehal-ten war. Der Aufbau erinnerte Domino an ir-gend etwas, nur vermochte er im Momentnicht zu sagen, woran; es gab Wichtigeres,über das er sich den Kopf zerbrechen mußte.Zweifellos war ganz Gousharan in Alarmversetzt. Daß bislang alles ruhig gebliebenwar, konnte nur bedeuten, daß die Dscherroanderswo überraschend zuschlagen würden.Irgendwann mußte die Konfrontation kom-men, sie ließ sich nicht vermeiden, Dominokonnte nur hoffen, sie lange genug hinaus-zögern zu können.

Ein Antigravschacht. Ross dirigierte denSerofen hinein, ließ ihn nach unten sinken.Bewaffnete Dscherro erwarteten sie, dochkeiner von ihnen eröffnete das Feuer oderversuchte, dem Serofen zu nahe zu kommen.

»Sie haben tatsächlich begriffen.« La-chend hob Rosa eine Hand, winkte den Be-

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waffneten zu. In dem Moment fühlte sie sichwie einer der Männer in den fast schon anti-ken Filmen, die ohne Sattel und Zaumzeugversuchten, Wildpferde zuzureiten. Beinahewar sie versucht, ein geilendes »Hü« auszu-stoßen. Drei Siganesen ritten den zweitwich-tigsten Dscherro, das hätte sich selbst das le-gendäre Thunderbolt-Team nicht träumenlassen.

»Wir können doch nicht mit fast leerenHänden zurückkehren«, sagte Domino Rossunvermittelt, bevor sie das Zentrum derBurg verließen.

Rosa wandte sich überrascht um, dannschwang sie sich herum, saß nun rittlings aufdem Stirnhorn des Dscherro und blickte zuDomino hinunter. »Was hast du vor?«

Als Tschoch hörte, daß er die Datenspei-cher der Burg abrufen und alle Daten auf diePikosyns der Siganesen überspielen sollte,weigerte er sich. Doch zwei stärkere Strom-stöße machten ihn gefügig, wobei der zweiteihn so heftig durchschüttelte, daß Rosa denHalt verlor und abstürzte. Sie flog lediglicheinen Looping und nahm wieder auf demHorn Platz.

Eine gigantische Datenmenge floß. DieSiganesen hatten keine Möglichkeit, etwaszu sichten, mußten blind speichern, ohneüberhaupt den Inhalt prüfen zu können. Sierechneten damit, daß wenigstens Teile dieserDaten verfälscht wurden oder später nichtmehr zu entschlüsseln sein würden.

Was folgte, war eine halbe Stunde Spieß-rutenlauf durch Gousharan. Immer wiederkamen bewaffnete Dscherro, aber auch Foo-ten bis auf wenige Meter heran, doch mehrals Drohgebärden waren das nicht. Nichteinmal der Taka selbst schien einen Ret-tungsversuch zu wagen. Fürchtete er tatsäch-lich, daß die Siganesen Tschoch töten wür-den, so, wie er seinerseits nicht gezögert hat-te, terranische Geiseln umbringen zu lassen?Wahrscheinlich erschien ihm jeder andereGedanke als zu phantastisch.

Domino steuerte den Serofen zurück zueinem Hangar, nachdem sie den entspre-chenden Zugang passiert hatten. Kein

Dscherro sollte die Chance erhalten, ihnennoch ein Kuckucksei ins Nest zu legen.

Sie bestiegen eine der kleineren, nur fünf-undzwanzig Meter durchmessendenSchourchten.

»Losfliegen, Tschoch! Und nach wie vorkeine Tricks.«

Der Serofe schwieg verbissen. Dominostand der Sinn ebensowenig nach Unterhal-tung. Wichtig war, daß Tschoch seine Be-fehle befolgte. Das Hangarschott öffnetesich, gab den Blick frei auf zwei Plattfor-men, auf denen sich terranische Geiselndrängten. Rosa Borghan erschrak zutiefst,aber Domino wehrte entschieden ab.

»Der Taka wird es nicht wagen, jetzt nochMenschen in die Tiefe zu stürzen. Dann ma-chen wir dasselbe mit Tschoch.«

Der Siganese würde es nicht fertigbrin-gen. Oder doch? Fragend schaute Rosa zu-rück, aber sie wurde aus Dominos lächeln-dem Gesichtsausdruck nicht schlau. Zumin-dest hatte Tschoch jedes Wort mitgehört undwußte genau, woran er war.

Die Schourcht startete, drehte langsamund glitt Richtung Schott.

»Den Energieschirm abschalten!«»Ich kann es nicht.«Domino biß sich auf die Lippen. Für Ma-

nipulationen an den Projektoren blieb keineZeit. Er mußte das Risiko eingehen, imSchirm zu verglühen, konnte mit einemRückzug nicht das ganze Vorhaben aufsSpiel setzen.

Noch dreißig Meter …Fünfzehn …»Das geht schief«, ächzte Rosa.In letzter Sekunde öffnete sich eine Struk-

turlücke, offensichtlich von zentraler Stelleaus geschaltet. Damit war endgültig klar,daß die Dscherro ihren Serofen für dasKriegshandwerk nicht gefährden wollten.

Schneller werdend glitt die Schourchtdem noch fernen Nebel der Faktordampf-Barrie-re entgegen. Dann war es geschafft.

Terrania City lag vor ihnen. Oder viel-mehr das, was von der ehedem Stolzen Stadtnoch übrig war.

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*

Während die Schourcht in eine weitge-hend ausgebrannte Geschäftsstraße einbog,hatte Domino Ross endlich wieder Funkkon-takt mit Atlan, zum erstenmal seit Tagen.

»Wir fliegen zum Flottenraumhafen«,meldete er. »Und wir bringen eine Geiselmit, die fast so wertvoll ist wie der Takaselbst …«

Mitten im Satz brach er ab, seine Augenweiteten sich in ungläubigem Erstaunen.Und das zu einem Zeitpunkt, an dem erglaubte, alle Gefahrenpunkte überwunden zuhaben.

Aus einer Vielzahl von Verstecken amRand der Schourcht quollen Footen hervor.Zwanzig oder mehr, so genau konnte er dasnicht erkennen, denn sie eröffneten sofortdas Feuer aus ihren Thermowaffen. Siemußten sich innerhalb weniger Augenblickean Bord geschlichen haben, in dem Moment,in dem er sich entschlossen hatte, einen be-stimmten Hangar zu betreten.

Eine Feuerlohe hüllte Domino ein, undnur dem syntrongesteuerten Paratronschirmverdankte er sein Leben. Die kinetischeEnergie der auftreffenden Strahlen fegte ihndennoch von Tschochs Schulter, bevor erüberhaupt in der Lage war, das zu verhin-dern. Rosa und Arno erging es keinen Deutanders.

»Ich hab' ihn!« hörte Domino Arno Wos-ken rufen. »Ich hab' die letzten Kontakte anseinem Anzug zerstört und ihm noch einpaar Schläge verpaßt …«

Aber ernsthaften Schaden zugefügt hatteer Tschoch nicht. Domino bekam endlichseinen Sturz unter Kontrolle und landetehinter einem kantigen Maschinenblock. Ro-sa lag bereits in Deckung und erwiderte dasFeuer der Footen.

»Wo ist Arno?«»Macht euch um mich keine Sorgen.«Wosken steckte am anderen Ende der

Schourcht. Auch er hatte sich verschanzt

und nahm die Footen aufs Korn. Tschochwar unangreifbar geworden. Ihn hatten dieFooten mit einem Energieschirm umgeben;er saß regungslos hinter den Steuerkontrol-len, als ginge ihn alles nichts mehr an.

Weiterhin raste die Schourcht durch eineRuinenschlucht - aber nicht mehr der Sonneentgegen, sondern … Domino stieß eineVerwünschung aus. Das Fahrzeug derDscherro hatte gewendet, näherte sich wie-der der Barriere, der man sich eben nochglücklich entkommen geglaubt hatte. CistoloKhan konnte, selbst wenn es ihm möglichgewesen wäre, keine Waffen einsetzen,wollte er das Leben der Siganesen nicht ge-fährden.

»Raus hier! Sofort!«Das Feuer der Footen wurde heftiger, die

Belastung des Individualschirms schnellteabrupt in die Höhe. Domino Ross beschleu-nigte mit Maximalwerten und schoß steil inden Himmel über Terrania empor.

»Ich bin dicht hinter dir«, meldete Rosa.»Hab's auch geschafft!« rief Arno.Während sie sich hoch über der verbrann-

ten City zusammenfanden, sahen sie, wie dieSchourcht mit Tschoch an Bord wieder inder Barriere verschwand.

Sie hatten versagt - ihr Kommandounter-nehmen war gescheitert. Ein großangelegterKonterschlag gegen die Dscherro und eineRettungsaktion für die halbe Million Gefan-gene in Gousharan würde es nicht geben.

Domino Ross war mit sich selbst und demGeschehen auf ganzer Linie unzufrieden.Einziges Trostpflaster waren die erbeutetenDatenmengen und das Wissen über die Foo-ten, offensichtlich eine Art von Symbiontender Dscherro.

Ob der 26. Oktober 1289 NGZ vielleichtdoch in die Annalen der Geschichte einge-hen würde, mußte die Auswertung des Ma-terials ergeben.

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Immerhin haben die drei Siganesen ihr Himmelfahrtskommando überlebt; zudem konntenDaten aus dem Inneren der Burg Gousharan nach »außen« geschafft werden. Doch nach wievor sitzen die Dscherro im Faktorelement, haben sie Hunderttausende von Terranern in ihrerGewalt.

Wie es in Terrania City weitergeht, das beschreibt H. G. Francis im PERRY RHODAN-Band der nächsten Woche. Sein Roman erscheint unter dem Titel:

GEFANGEN IN TERRANIA

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