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Hans-Olaf Henkel DIE ETHIK DES ERFOLGS Spielregeln für die globalisierte Gesellschaft Econ

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Hans-Olaf Henkel

DIE ETHIK DES ERFOLGS

Spielregeln für die globalisierte Gesellschaft

Econ

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Der Econ Verlag ist ein Unternehmen der Econ Ullstein List Verlag GmbH C+ Co. KG, Miincherz

1 . Auflage 2002

ISBN 3-430-1 4286-5

0 2002 by Econ Ullstezn List Verlag GmbH & Co. KG, Munchen Gesetzt aus der Avantgarde und Sabon her

Franzzs prtnt & medza, Muncl~en Druck und Brndearherten: GGP Media, Poßneck

Prznted rn Germany Alle Rechte vorbehalte7z

Inhalt

Vorwort

1 Die Nation der Sonderwege

2 Die Folgen der nErbsünde((

3 Der selbstblockierte Staat T .

4 Die verteufelte Wirtschaft

5 Die Bildungskatastrophe

6 Die Chance der Globalisierung

7 Die Gegner der Globalisierung

8 Die Spielregeln der Globalisierung

9 Die Ethik des Erfolgs

Ausblick - Ein Konvent für Deutschland

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Vorwort

1s ich vor zwei Jahren meine Lebenserinnerungen ))Die Macht der Freiheit« schrieb, konnte ich nicht ahnen, wie

viele Diskussionen dieses Buch in Deutschland auslösen wür- de. Dass es unter den Sachbüchern auf Platz drei der Jahres- bestsellerliste 2001 landen würde, wäre r~llr ebenso undenkbar erschienen wie die Tatsache, dass tausende Leser in oft lei- denschaftlichen Zuschriften ihre Zustimmung signalisierten. Dabei hatte ich nur zu beschreiben versucht, wie ich den Auf- stieg unseres Landes miterlebt - und auch etwas mitgestaltet - habe und wie diese positive Entwicklung in ihr Gegenteil umgeschlagen ist.

Der wirtschaftliche Abstieg Deutschlands, dessen Ursachen ich in meinem Buch zu erklären versuchte, hat sich seitdem dramatisch beschleunigt. Nun weii-; alle Welt, dass wir, die einstigen Lehrmeister der Marktwirtschaft, unsere Leistungs- kraft eingebüßt haben. Wir scheinen sogar das Gefühl dafür verloren zu haben, was wir damit verloren haben. Was sich in Staatsdefizit, Arbeitslosigkeit oder Pleiterekorden traurig niederschlägt, gilt bereits ebenso für die Ausbildung der jün- geren Generation, die laut PISA-Studie den Wettbewerb mit den Nachwachsenden anderer Länder nicht mehr bestehen

Dass dies zu einem Zeitpunkt geschieht, in dem sich immer mehr Länder in den Wettbewerb um die besten Produkte, Dienstleistungen, wissenschaftlichen Entdeckungen begeben, gibt der Entwicklung eine geradezu fatale Wendung. Die Glo- balisierung, diese größte Chance, die sich der Weltgemeinschaft je geboten hat, deckt die fundamentalen Schwächen unseres

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Landes unnachsichtig auf. Deutschland, geradezu zwanghaft mit sich selbst beschäftigt, lässt die internationale Konkurrenz davonziehen. Wir befinden uns auf der Verliererstraße, und ein Bundeskanzler berühmte sich derweil seiner .ruhigen Hand<(.

Schon in meinem ersten Buch, „Jetzt oder nie. Bündnis für Nachhaltigkeit in der Politik<<, setzte ich mich 1998 für eine langfristige Zukunftsplanung unseres Landes ein. Der Be- griff der Nachhaltigkeit, den ich vom Umweltschutz auch auf andere Politikbereiche übertrug, ist seitdem zum festen Bestandteil jeder Politikerrede geworden - ohne dass man allerdings den Mut für die Konsequenzen aufbrächte, die ich damals gefordert habe. In )>Die Macht der Freiheit., das ich zwei Jahre später zur Zeit meiner BDI-Präsidentschaft schrieb, führte ich das synergetische Dreieck von Marktwirtschaft, Demokratie und Menschenrechten in die Diskussion ein. Seit- dem hat auch dieser Gedanke im öffentlichen Bewusstsein Wurzeln gefasst. Selbst Joschka Fischer folgte ihm in seiner Grundsatzrede auf dem programmatischen „Grünen«-Partei- tag im März 2002. Auch heute, als Präsident der Wissen- schaftsgemeinschaft Gottfried Wilhelm Leibniz, sehe ich in diesem ideellen Dreieck den eigentlichen Vorteil der Globali- sierung. Denn jeder der drei Begriffe zieht den anderen nach sich. In allen Ländern, die ich beruflich kennen lernte, mach- te ich die Erfahrung, dass die Einführung der Marktwirtschaft zugleich die von Demokratie und Menschenrechten mit sich brachte. Wo der freie Austausch von Waren und Informatio- nen stattfindet, haben Diktaturen - die auf der propagandis- tischen Verdummung ihrer Bevölkerung basieren - keine Chance.

Die drei Säulen erzeugen einen Synergieeffekt. Steigert sich die eine Seite, folgen die anderen unweigerlich. Je mehr demo- kratische Freiheit den Menschen gewährt wird, desto größer ihr Leistungswille. Nur Freiheit gibt Selbstvertrauen, aus dem durch Fleif3, Ausdauer und schöpferische Anstrengung das Selbstbewusstsein hervorgeht. Im internationalen Wettbewerb hat es Deutschland mit immer mehr und immer selbstbewuss- teren Konkurrenten zu tun. Dafür ersetzen wir, was uns an gesundem Selbstvertrauen fehlt, durch den großen Moralges-

tus. Als müssten wir der Welt beständig demonstrieren, dass für uns nicht nationales Eigeninteresse, sondern nur höchste moralische und ökologische Standards gelten. Unsere Neigung, gute Ratschläge zu erteilen, hat uns allerdings keine Sympa- thiepunkte eingebracht.

Eben dies ließ mich einen Schritt weiterdenken: Die Men- schenrechte, also die moralischen und ethischen Grundnor- men, werden in Deutschland meist im Gegensatz zur Wirt- schaftsentwicklung gesehen. Als würde der freie Warenverkehr automatisch Ausbeutung und politische Unfreiheit nach sich ziehen. Folgt man der deutschen Ideologie, die nach wie vor große Teile der Medien und Parteien beherrscht, so muss man die freie Wirtschaft durch ethische Normen sozusagen an die Kandare nehmen. Wer einfallsreich ist und Erfolge vorweisen kann, so glaubt man, handelt mit Sicherheit auf Kosten seines Nächsten. Indem er sich von den anderen abhebt, schadet er der angestrebten Gleichheit aller. Also legt man ihm Handfes- seln und Hemmschuhe an und glaubt, der Moral und Ethik damit genügt zu haben.

Das Gegenteil ist der Fall. In »Die Ethik des Erfolgs« möch- te ich zeigen, dass die Freiheit, die einzelnen Menschen wie ganzen Nationen wirtschaftlichen Erfolg bringt, auch die Grundlagen für eine praktische Ethik legt. Wie die Markt- wirtschaft und der freie Informationsfluss zugleich Demokra- tie und Menschenrechte verbreiten, so bietet sich mit der Glo- balisierung erstmals die Chance für eine weltweit gültige Ethik. Diese Ethik des Erfolgs - eines Erfolgs, an dem möglichst vie- le beteiligt sein sollen - wiederholt nicht, von oben herab, die alten Moralsätze aus vorindustriellen Zeiten. Sie doziert nicht mit erhobenem Zeigefinger, sondern leitet die Spielregeln des Zusammenlebens aus diesem selbst ab. Sie hemmt nicht, son- dern fördert die freie Entfaltung des Menschen.

Im Mittelpunkt der alten Ethik, auf der auch die deutsche Ideologie basiert, steht die Gleichheit aller - am besten welt- weit. Solange man diese als Chancengleichheit versteht, sich selbst zu entwickeln, nützt sie den Menschen. Betrachtet man sie selbst als Ziel, als wäre es wünschenswert, dass alle das- selbe tun und haben, führt sie zu Unterdrückung der Indivi-

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duen und zu allgemeiner Heuchelei. „Soziale Gerechtigkeit. wird dann mit individueller Ungerechtigkeit erkauft. Leider schlägt sich der politische Wunsch nach Gleichheit meist in Gleichmachung nieder, also einer Veränderung und Manipu- lation des Einzelnen nach vorgegebenem Bild. So wird auf Kos- ten der Pluralität und der persönlichen Entwicklung eine Uni- formität erzeugt, die auf Dauer jeden Impuls der Individualität erstickt. Da die Kreativität des Einzelnen aber der wirtschaft- lichen Entwicklung als Hauptquelle dient, zieht gesellschaftli- che Angleichung den ökonomischen Niedergang nach sich. Dann hat man zwar die ersehnte Sicherheit, aber keiner kann sie mehr bezahlen.

Der Kern der modernen Ethik muss die Freiheit sein: die Freiheit des Einzelnen, am globalen Spiel teilnehmen und sich aktiv verwirklichen zu können, und zwar nicht nur zum eige- nen, sondern zum Nutzen aller. Die Freiheit der Gesellschaft, durch Wettbewerb nach innen und außen das eigene Niveau anzuheben, den eigenen Wohlstand zu mehren. Dass dies tat- sächlich geschieht, wird durch die Globalisierung ermöglicht. Erst sie bietet jedem Teilnehmer die Freiheit der Information und die Möglichkeit, sich mit anderen zu messen, die eigene Leistung an jeder Stelle der Welt anzubieten - und im Gegen- zug Informationen und Leistungen anderer ungefiltert kennen zu lernen.

Erst diese Ethik der Freiheit schafft die Grundlage für den Erfolg. Nur diese kann die Spielregeln setzen, nach denen die Freiheit aller, sich produktiv zu verwirklichen, gewährleistet ist. Diese Ethik fragt nicht danach, wie viel einer besitzt, über welche Macht er verfügt, ob er arm oder reich, männlich oder weiblich, Erste-Welt- oder Dritte-Welt-Bürger ist. Sein und Haben sind für sie nicht die entscheidenden Kriterien. Für sie ist jeder Mensch, jede gute Idee, jedes nützliche und einfalls- reiche Produkt ein einzigartiges Wesen eigenen Rechts. Der Kern der Ethik ist die Freiheit, das tun und verwirklichen zu dürfen, was in einem steckt. Es ist die Ethik der Bildung, der Entwicklung, der unendlichen Möglichkeiten, der offenen Horizonte.

Wer den Einzelnen befähigt, am Weltspiel teilzunehmen, hat

mehr für ihn getan als alle bisherige Moral und Ethik, die nur genormte Wesen erschaffen wollte. Wer die Chancen der Glo- balisierung für sich selbst und sein Land erkennt, braucht kein Gutmenschentum mehr vor sich herzutragen. Er sieht die indi- viduelle Freiheit aller als größte Chance für alle. Ethik heißt demnach, diese Freiheit zu fördern und die Spielregeln zu defi- nieren, die jedem den Weg zum Erfolg in der globalisierten Gemeinschaft öffnen. Die gottgegebene Würde jedes Menschen kann nicht losgelöst werden von seiner Freiheit, sich durch Bil- dung und Leistung an der Weltgemeinschaft zu beteiligen.

An den Abschluss meines Buches .Die Macht der Freiheit« hatte ich ganz bewusst die Begegnung mit einem Vertreter der Gegenseite gestellt. Die Wende zum Jahr 2000 verbrachte ich mit Fidel Castro, der sich ebenfalls auf einen ideologischen Sonderweg eingelassen und damit, nüchtcrn.betrachtet, Schiff- bruch erlitten hatte. Danach kam es auf seine Bitte hin zu wei- teren aufschlussreichen Gesprächen. Wir diskutierten, wie konnte es anders sein, über Globalisierung. Fidel Castro, die letzte Ikone des Weltkommunismus, ist naturgemäß gegen die Globalisierung. Zwar hat sein Land jahrzehntelang unter der internationalen Isolierung gelitten, doch scheint er das Gegen- teil, die Offnung zur freien Welt, noch mehr zu fürchten. Des- halb bietet er sich den Globalisierungsgegnern, etwa durch Ein- berufung internationaler Kongresse nach Havanna, als einer ihrer Hauptsprecher an. Sein über vierzig Jahre dauernder Kampf gegen die Vereinigten Staaten, aber auch gegen die drei Säulen Menschenrechte, Marktwirtschaft und Demokratie - ein don-quichotesker Kampf, der sein Land ruinierte - scheint so eine nachträgliche Rechtfertigung zu erhalten.

Im Jahr darauf erhielt ich den Anruf des kubanischen Bot- schafters, der Sohn Fidel Castros sei mit Frau und Tochter in Berlin und würde mich gerne treffen. Zu Besuch in unserer Woh- nung wurde Fidel Castro junior dort durch ein grogformatiges Foto seines Vaters sichtlich in Verlegenheit gebracht. Das hatte er beim einstigen Chef des kapitalistischen BDI wohl kaum erwartet. Beim Essen stellte es sich heraus, dass er Experte in Sachen Atomkraft ist. Er hatte zehn Jahre an der Moskauer Lomonossow-Universität im Bereich Kernenergie studiert,

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dann für die Atombehörde in Genf gearbeitet. Über Deutsch- lands atompolitischen Sonderweg konnte er sich nicht genug wundern. Ihm schien völlig unverständlich, wie ein hochentwi- ckeltes Land einfach auf diese Technik verzichten kann. Neben- bei stellte sich heraus, dass seine Tochter in den USA studiert.

Den grimmigen Ausführungen seines Vaters zum Trotz schreitet die Globalisierung selbst in Kuba voran - vielleicht auch als Folge meiner langen Diskussionen mit dem .Co- mandante«, der sich gegen das Internet sträubte. Denn Castro junior überreichte mir am Ende eine Visitenkarte, auf der ich mit Uberraschung seine E-Mail-Adresse entdeck- te. Gute Ideen lassen sich eben nicht durch Grenzen auf- halten.

Auch in Deutschland sollten heute die Weichen auf Globa- lisierung gestellt werden. Denn allen muss mittlerweile klar geworden sein, dass der deutsche Sonderweg eine Sackgasse ist. Wir haben auf den meisten Feldern den Anschluss verpasst. Im blinden Eifer, alle einander anzugleichen, hat man die indi- viduellen Tugenden der Strebsamkeit und der Disziplin, des Fleißes und der Erfindungsgabe aus dem Auge verloren, schlim- mer noch: Man denunzierte sie. Zugleich konnte sich der schlimmste Feind der Chancengleichheit, die Korruption, in unserem Lande ausbreiten -, und zwar oft gerade durch jene, die sich Moral und Humanismus auf ihre Fahne geschrieben haben. Gerade jetzt, wo Deutschland, hinter der Maske der politischen Korrektheit zur »Spendengeldrepublik« zu ver- kommen scheint, möchte ich zu einem Umdenken im ethischen Bereich auffordern.

Alles, was Deutschland in vergangenen Jahrhunderten zu einem internationalen Vorbild werden ließ - Erfinder- und Ent- deckergeist, wissenschaftliche Gründlichkeit, technische Inno- vationsfreude und kulturelle Schöpferkraft - hat bei uns an Kurswert verloren. Wer etwas kann oder besitzt, was anderen mangelt, wird dafür moralisch in die Ecke gestellt. Eigene Interessen werden hinter allgemeiner Heuchelei versteckt. Die freiheitliche Ethik, die ich in diesem Buch entwickeln möch- te, fordert genau das Gegenteil: Wer etwas kann und schafft, was andere (noch) nicht können, muss gefördert werden -

damit alle ihm nacheifern, um es irgendwann ebenfalls zu können. Nicht Sein oder Haben ist die Alternative, sondern Sein und Können. Nur die Ungleichheit schafft den Anreiz, über sich hinauszuwachsen. Wer sich im Grau der Masse ver- steckt, kann auch seinem eigenen Leben keine Farbe verlei- hen.

Deutschlands einzige Chance besteht darin, die Globalisie- rung anzunehmen, den Mut aufzubringen, den Einzelnen aus der bedrohlichen Umarmung des Behördenstaates zu entlas- sen. Nicht das Diktat der politischen Korrektheit, des Partei- enproporzes und der immer neuen Bündnisse und runden Tische zählt dann mehr, sondern allein die Offnung zum freien Informations- und Warenfluss zwischen den Nationen. An die Stelle des Zwangs zur Gleichheit muss für jeden die Chance seiner individuellen Freiheit treten. Denn- Globalisierung heißt auch: Vormundschaft abbauen sowie Eigenverantwortung und -initiative fördern.

Im letzten Abschnitt dieses Buches möchte ich deshalb dafür werben, unsere 53 Jahre alte Verfassung endlich auf eine zeit- gemäße Basis zu stellen. Wie 1948 in Herrenchiemsee ein Grundgesetz für Deutschland erarbeitet wurde, das den natio- nalen Neuanfang ermöglichte, sollten wir heute unsere Ver- fassung den Bedürfnissen des neuen Jahrhunderts anpassen, um unsere so deutlich zu Tage tretenden Schwächen korrigie- ren zu können. Dazu habe ich Edmund Stoiber vorgeschlagen, einen Konvent von Sachverständigen und »Weisen« wie damals in Herrenchiemsee zusammenzurufen, der eben das, was Giscard d'Estaings Brüsseler Konvent für Europa leisten soll, den Deutschen anbietet: ein überarbeitetes Grundgesetz, das unserer Nation eine moderne, freiheitliche ~Arbeitsgrund- lage« schenkt. Damit wir zugleich globalisierungstaugliche Weltbürger werden - und stolz auf unser Vaterland sein kön- nen.

Aber gehört sich das eigentlich? Dürfen wir stolz sein auf unser Land? Präsident Rau meint, man könne nur stolz auf die eigene Leistung sein. Vielen schien dies, da quasi von der Kan- zel gepredigt, plausibel. Doch es ist falsch. Verblüfft stellte ich mir damals die Frage: Darf ich also nicht mehr stolz sein auf

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die Leistung meiner Mutter, die unsere zerstörte Firma nach dem Krieg im Alleingang wieder aufgebaut hat? Stolz sein auf meine Kinder, die ihre Talente entwickeln? Darf ich nicht mehr stolz sein auf mein Team in Beruf oder Sport, das besonders gute Leistungen gebracht hat? Auf mein Land, das sich in den vergangenen Jahrzehnten durch seine Leistungen Ansehen in der Welt verschafft hat?

Alle Nationen der Welt verhalten sich anders, als es der Bundespräsident von den Deutschen verlangt. Kein Land, das ich kenne, kommt ohne Patriotismus aus. In diesem Sinne verleiht er die Kraft, eigene Interessen hintanstellen zu können. Er motiviert zu Höchstleistungen auf allen Feldern. Und als nach den Terrorattacken vom 11. September 2001 die Stadt New York stolz auf ihre Feuerwehrleute und die USA stolz auf ihre New Yorker war - und viele Weltbürger mit ihnen -, mögen sich viele Deutsche verwundert die Augen gerieben haben: Ja, dürfen die denn das, so einfach stolz auf sich sein?

Auch wir Deutschen haben dieses Bedürfnis, was immer uns Medien und Politiker einreden wollen. Das heißt, wir dür- fen stolz sein auf unser Land, sobald wir wieder Grund da- zu haben. Sobald wir die globalisierte Welt nicht nur mit guten Ratschlägen, sondern auch mit unseren Produkten und Ideen, vor allem mit unserem schöpferischen Elan bereichern.

»Die Ethik des Erfolgs« möchte einen AnstoB dazu geben.

Hans-Olaf Henkel Berlin, im Sommer 2002

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Die Nation der Sonderwege

J ohn Kornblum, ehemaliger US-Botschafter in Deutschland, hat mit seiner Kenntnis unseres Landes immer großen Ein-

druck auf mich gemacht. Besonders im kleinen Kreis nahm er sich die Freiheit, uns Deutschen, übrigens in hervorragendem Deutsch, die Leviten zu lesen. Da er vog auBen kam, fiel es ihm leicht, unsere Tabus zu erkennen und sich unbefangen darüber zu äußern. Natürlich war es mir angenehm, dass sei- ne Urteile meine eigenen Beobachtungen, die fast immer der „öffentlichen Meinung« widersprachen, bestätigten.

Im Frühjahr 2002, als uns der »blaue Briefe der Europäi- schen Gemeinschaft ins Haus stand, traf ich ihn wieder. Kaum hatten wir in einem Restaurant am Gendarmenmarkt Platz genommen, als es förmlich aus ihm herausplatzte: Warum wir Deutschen immer einen Sonderweg gehen müssten! Das Wort, einst in der Geschichtsstunde gehört, machte mich stutzig. Irgendwie passte es tatsächlich auf unsere Gegenwart. Korn- blum stellte die interessante These auf, dass unsere neuerliche Neigung, aus der Rolle zu fallen, mit unserer Vergangenheit zusammenhing, genauer: mit unserer Unfähigkeit, diese Ver- gangenheit zu verarbeiten. Übrigens, eine Vergangenheit der Sonderwege. Da wir nach wie vor die Hypotheken des letz- ten Jahrhunderts mitschleppten, würden wir niemals ein ver- nünftiges Selbstvertrauen entwickeln. Und die Komplexe, die sich daraus ergaben, ließen uns immer neue Sonderwege einschlagen - politische, volkswirtschaftliche, ökologische, mit Vorliebe auch moralische. Deutschland glich einem Kran- ken, der, befangen vom Trauma der Vergangenheit, seine Gegenwart nicht meistern kann. In diesem Augenblick be-