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Ducati Multistrada 1200 S Fahrbericht aus MOTORRAD 06/2015 Als wahres Multitalent will sich die Ducati Multistrada 1200 präsentieren: eine Maschine zum sportlichen Heizen wie für touristische Kreuzfahrten, zur Not auch mal quer durch die Pampa. Nun gibt es mit der Ducati Multistrada 1200 S eine Neuauflage mit frischem Design, neuem Fahrwerk, kultiviertem Motor dank variabler Ventilsteuerung sowie komplett neuer Bordelektronik. Wer hat’s erfunden? Ducati? Nein, eigentlich nicht, eher Yamaha: TDR 250 und TDM 850 waren die ersten Bikes, die Elemente aus Sport, Touring und Offroad zu einem neuartigen Konzept verknüpften. Heute nennt man das Konzept, nach dem auch die neue Ducati Multistrada 1200 S konzipiert wurde, neudeutsch Crossover. Dabei waren die Yamahas moderate Maschinen, die in erster Linie mal Allrounder mit breit gefächertem Einsatzgebiet und erhöhtem Spaßfaktor sein wollten. Das war Ende der Achtziger, Anfang der Neunziger. Lang ist’s her. 2003 sprang Ducati auf diesen Zug, der zwischenzeitlich auf dem Abstellgleis zu enden drohte. Und zwar mit der Multistrada 1000, quasi die italienische Interpretation einer TDM. Pierre Terblanche hatte das Touren-Funbike gestylt, das mit drehendem Verkleidungsoberteil und weit herausragenden Heckschalldämpfern allerdings nicht jedermanns Geschmack traf. Und dann waren da noch diese eigenwilligen Fahreigenschaften. Zwangsläufig hielt sich der Markterfolg bis zum Ende der Produktion 2009 sehr in Grenzen. Das Aus für dieses Konzept? Keineswegs, denn 2010 brachten die Italiener den Nachfolger, die Ducati Multistrada 1200 und die spielte in einer ganz anderen Liga. Erstmals transplantierten die Italiener einen beinahe ungezügelten Superbike-Antrieb in solch ein Crossover-Bike. Mutig, mutig. Ein wildes, zunächst etwas verrückt erscheinendes Konzept. Nie zuvor gab es ähnliche Gerätschaften mit dermaßen viel Qualm, solcher Dynamik, so sportlicher Attitüde. Wer wagt, gewinnt: Im zweiten Anlauf wurde die Multistrada endlich ein Erfolg. Nun kommt eine gründlich überarbeitete Neuauflage. Kein neues Konzept, keine stilistische Revolution, trotzdem eine technisch von Grund auf neue Maschine mit pfiffiger Ventilsteuerung, modernster Bordelektronik sowie aktualisiertem Design. MOTORRAD präsentierte die neue Ducati Multistrada 1200 S bereits ausgiebig. Umso größer die Spannung, wie dieses Hightech-Multitalent denn wohl fährt. Gehen wir also gleich in medias res, denn auf der sonnigen Kanareninsel Lanzarote konnte MOTORRAD mit der S-Version nun endlich erste Fahreindrücke sammeln. Was schon beim ersten Kontakt auffällt: Die neue Ducati Multistrada 1200 S ist konsequent durchgestylt, bis ins letzte Detail elegant und gediegen verarbeitet. Da gibt es kaum Ecken und Kanten, Schraubverbindungen sind verdeckt, unansehnliche Kabelstränge, Stecker oder Halter bleiben unsichtbar. Zudem hat Ducati den Anteil an lackierter Oberfläche vergrößert. Eine Maschine wie aus einem Guss, Perfektionisten können sich am Detail erfreuen. Ergonomisch hat sich nur wenig verändert. Warum auch, es passte schon bisher alles hervorragend. Der um einen Tick verlängerte Fahrersitz ist vorn schmaler und reduziert damit die Schrittbogenlänge, er lässt sich außerdem nun in zwei Sitzhöhen (825/845 Millimeter) variieren. Mit Tauschsitz geht es sogar auf 800 Millimeter runter. Für kurzbeinige Chauffeure sicher schlagkräftige Argumente. Auch der Sozius der Ducati Multistrada 1200 S sitzt ein wenig tiefer.

Ducati Multistrada 1200 S - adac.de Multistrada 1200 S_253144.pdf · Aber nicht in jeder Hinsicht sind Fortschritte zu vermelden. Denn leichter wurde die neue Ducati Multistrada 1200

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Ducati Multistrada 1200 S

– Fahrbericht aus MOTORRAD 06/2015 –

Als wahres Multitalent will sich die Ducati Multistrada 1200 präsentieren: eine Maschine zum

sportlichen Heizen wie für touristische Kreuzfahrten, zur Not auch mal quer durch die

Pampa. Nun gibt es mit der Ducati Multistrada 1200 S eine Neuauflage mit frischem Design,

neuem Fahrwerk, kultiviertem Motor dank variabler Ventilsteuerung sowie komplett neuer

Bordelektronik.

Wer hat’s erfunden? Ducati? Nein, eigentlich nicht, eher Yamaha: TDR 250 und TDM 850

waren die ersten Bikes, die Elemente aus Sport, Touring und Offroad zu einem neuartigen

Konzept verknüpften. Heute nennt man das Konzept, nach dem auch die neue Ducati

Multistrada 1200 S konzipiert wurde, neudeutsch Crossover. Dabei waren die Yamahas

moderate Maschinen, die in erster Linie mal Allrounder mit breit gefächertem Einsatzgebiet

und erhöhtem Spaßfaktor sein wollten. Das war Ende der Achtziger, Anfang der Neunziger.

Lang ist’s her.

2003 sprang Ducati auf diesen Zug, der zwischenzeitlich auf dem Abstellgleis zu enden

drohte. Und zwar mit der Multistrada 1000, quasi die italienische Interpretation einer TDM.

Pierre Terblanche hatte das Touren-Funbike gestylt, das mit drehendem

Verkleidungsoberteil und weit herausragenden Heckschalldämpfern allerdings nicht

jedermanns Geschmack traf. Und dann waren da noch diese eigenwilligen

Fahreigenschaften. Zwangsläufig hielt sich der Markterfolg bis zum Ende der Produktion

2009 sehr in Grenzen. Das Aus für dieses Konzept?

Keineswegs, denn 2010 brachten die Italiener den Nachfolger, die Ducati Multistrada 1200 –

und die spielte in einer ganz anderen Liga. Erstmals transplantierten die Italiener einen

beinahe ungezügelten Superbike-Antrieb in solch ein Crossover-Bike. Mutig, mutig. Ein

wildes, zunächst etwas verrückt erscheinendes Konzept. Nie zuvor gab es ähnliche

Gerätschaften mit dermaßen viel Qualm, solcher Dynamik, so sportlicher Attitüde. Wer wagt,

gewinnt: Im zweiten Anlauf wurde die Multistrada endlich ein Erfolg.

Nun kommt eine gründlich überarbeitete Neuauflage. Kein neues Konzept, keine stilistische

Revolution, trotzdem eine technisch von Grund auf neue Maschine mit pfiffiger

Ventilsteuerung, modernster Bordelektronik sowie aktualisiertem Design. MOTORRAD

präsentierte die neue Ducati Multistrada 1200 S bereits ausgiebig. Umso größer die

Spannung, wie dieses Hightech-Multitalent denn wohl fährt. Gehen wir also gleich in medias

res, denn auf der sonnigen Kanareninsel Lanzarote konnte MOTORRAD mit der S-Version

nun endlich erste Fahreindrücke sammeln.

Was schon beim ersten Kontakt auffällt: Die neue Ducati Multistrada 1200 S ist konsequent

durchgestylt, bis ins letzte Detail elegant und gediegen verarbeitet. Da gibt es kaum Ecken

und Kanten, Schraubverbindungen sind verdeckt, unansehnliche Kabelstränge, Stecker oder

Halter bleiben unsichtbar. Zudem hat Ducati den Anteil an lackierter Oberfläche vergrößert.

Eine Maschine wie aus einem Guss, Perfektionisten können sich am Detail erfreuen.

Ergonomisch hat sich nur wenig verändert. Warum auch, es passte schon bisher alles

hervorragend. Der um einen Tick verlängerte Fahrersitz ist vorn schmaler und reduziert

damit die Schrittbogenlänge, er lässt sich außerdem nun in zwei Sitzhöhen (825/845

Millimeter) variieren. Mit Tauschsitz geht es sogar auf 800 Millimeter runter. Für kurzbeinige

Chauffeure sicher schlagkräftige Argumente. Auch der Sozius der Ducati Multistrada 1200 S

sitzt ein wenig tiefer.

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Wie bisher kann die Verkleidungsscheibe mit einer Hand um sechs Zentimeter verschoben

werden. Praktische Sache, warum hat das noch keiner nachgemacht? Starten wir endlich

den Desmo-L-Twin der Ducati Multistrada 1200 S. Wie gewohnt dreht der Anlasser zäh, aber

erfahrungsgemäß springt eine Duc selbst unter widrigsten Bedingungen zuverlässig an. Der

Auspuff verfügt nach wie vor über eine Klappensteuerung. Wie einige andere aktuelle

Neumaschinen erfüllt die Multistrada bereits die künftige Euro 4-Norm. Was ganz

offenkundig den Sound überhaupt nicht beeinträchtigt hat, dieses dumpf-sonore V2-Ballern

hat irgendwie die höher gelegte Normhürde übersprungen.

Doch was bringt nun die variable Ventilsteuerung der Ducati Multistrada 1200 S?

Geschmeidiger läuft der DVT-Testastretta auf jeden Fall. Schon im Stand hämmert er nicht

mehr so hart, rotiert runder. Und er legt knapp über Standgas auch nicht so deftig los. Diese

wohl beeindruckende, aber unkultivierte initiale Drehmomentwelle knapp über Standgas ist

nun eingeebnet. Was laut Ducati auch für die bisher darauf folgenden Wellentäler gilt.

Gleichmäßigkeit, Fahrbarkeit waren das Ziel. Gleichmäßiger heißt allerdings auch

unspektakulärer. Doch das Spektakel kommt, nur später. Oberhalb von 5000 Umdrehungen

nimmt der Druck explosionsartig zu. Was dann folgt, ist schiere Gewalt, der bis in höchste

Drehzahlen nicht enden wollende Schub katapultiert dich in die Umlaufbahn. Ducati

proklamiert mit nominell 136 Nm und 160 PS Werte, die jene der alten Multistrada klar

übertreffen.

Also Entwarnung, sämtliche Zähne hat man der Multi sicher nicht gezogen. Die Vorzüge des

sanfteren Charakters sind unstrittig, gerade unter schwierigen Bedingungen und unter

weniger versierten Piloten zeigt sich der DVT-V2 umgänglicher, filigraner kontrollierbar. Ob

DVT dafür die allein selig machende Technik ist, bleibt offen. Bei gemäßigter Gangart

unauffällig, lässt die komplexe Elektronik das Ansprechverhalten beim engagierten Räubern

hin und wieder etwas synthetisch wirken. Doch liefern variable Steuerzeiten weitere Vorteile:

Der Motor der Ducati Multistrada 1200 S produziert weniger Emissionen, soll auch rund acht

Prozent weniger Sprit konsumieren.

Der Antrieb ist eine Seite der neuen Ducati Multistrada 1200 S, die andere Seite ist ein

komplett neues Chassis sowie die überarbeitete Bordelektronik, die nun auf Bosch-

Technologie basiert. Im Zentrum steht die sogenannte Bosch IMU (Inertial Measurement

Unit), eine Art Messbox für Massenkräfte, von der aus Federung, Bremsen, Traktions- und

Wheeliekontrolle sowie das LED-Kurvenfahrlicht kontrolliert werden. Für den Fahrer ist der

Unterschied zunächst gar nicht erkennbar, denn die Bedienungsoberfläche blieb im

Grundsatz unverändert. Er findet nach wie vor neben dem Beladungsmenü seine vier

Fahrmodi vor: Sport, Touring, Urban und Enduro. Neu sind hübsche, ergonomisch

durchdachte und nachts beleuchtete Lenkerarmaturen sowie – allerdings nur bei der S – das

wertige TFT-Display mit variabler Infovielfalt.

Neu ist auch, dass die semiaktive Sachs-Federung der Ducati Multistrada 1200 S in

Abhängigkeit von der Schräglage gesteuert wird. Zudem hat Sachs fleißig entwickelt, um das

Ansprechverhalten der Gabel zu optimieren. Zusätzliche Beschleunigungssensoren sollen

die Funktion verbessern. Ausgesprochen komplex das Ganze, da tut man sich mit einer

Beurteilung nach einer überschaubaren Testrunde schwer. Deutlich wird auf jeden Fall, dass

die Federung sehr wirksam die Nickbewegung vorn beim Bremsen und das Einknicken

hinten beim Beschleunigen reduziert. Die S-Version bleibt stabiler, bietet dank der

semiaktiven Funktion zudem in Grenzsituationen mehr Reserven. Und die Testmaschine

spricht auf kleine Unebenheiten ordentlich an.

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Aber nicht in jeder Hinsicht sind Fortschritte zu vermelden. Denn leichter wurde die neue

Ducati Multistrada 1200 S wegen der DVT-Ventilsteuerung, die etwa fünf zusätzliche

Kilogramm mit sich bringt, nicht. Im Gegenteil kamen nicht zuletzt durch die aufwendigere

Ausstattung noch einmal weitere drei Kilogramm hinzu, macht also acht Kilo Mehrgewicht.

Als Ausgleich wurde das zulässige Gesamtgewicht um satte 20 Kilogramm angehoben,

sodass die Zuladung um zwölf Kilogramm stieg. Trotzdem ein bisschen schade, Gewicht ist

immer ein Thema.

Auch wenn die paar Kilo auf das Handling keinen entscheidenden Einfluss haben. Wichtiger

ist im Kurvenrevier ein neutrales Lenkverhalten. Und das bietet die Ducati Multistrada 1200 S

neben feinem Feedback – und sicher auch wegen der neuen Pirelli Scorpion Trail 2. Diese

wurden nach Kritik am Stehvermögen nun mehr auf Kilometerleistung getrimmt.

Ein weiteres Novum bei der neuen Ducati Multistrada 1200 S ist das aktuelle Bosch-ABS 9.1

ME, das auch das einzigartige „Kurven-ABS“ beinhaltet. Damit kann man in Notsituationen

bedenkenlos ankern, ohne dass die Maschine einen augenblicklich aus der Bahn wirft. Eine

gut funktionierende Abhebeerkennung hält das Hinterrad außerdem zuverlässig am Boden,

sofern man nicht den Sport-Modus aktiviert hat. Dass die Bremsanlage mit 330er-Scheiben

und Brembo M50-Zangen über jeden Zweifel erhaben ist, sei der Vollständigkeit halber noch

ergänzt.

Fortschritt an allen Ecken und Enden also. Der auch nötig war, denn bekanntlich schläft ja

die Konkurrenz nicht, vor allem nicht die in München und Mattighofen. Sportlich hat die

Ducati Multistrada 1200 S einen kleinen Schritt nach vorn gemacht, touristisch gesehen aber

sicher den größeren.

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Technische Daten Ducati Multistrada 1200 S

Motor

Wassergekühlter Zweizylinder-Viertakt-90-Grad-V-Motor, je zwei obenliegende, zahnriemengetriebene Nockenwellen, vier Ventile pro Zylinder, Schlepp- und Kipphebel, desmodromisch betätigt, Nasssumpfschmierung, Einspritzung, 2 x Ø 56 mm, geregelter Katalysator, hydraulisch betätigte Mehrscheiben-Ölbadkupplung (Anti-Hopping), Sechsganggetriebe, X-Ring-Kette, Sekundärübersetzung 40:15.

Bohrung x Hub: 106,0 x 67,9 mm Hubraum: 1198 cm³ Verdichtungsverhältnis: 12,5:1 Nennleistung: 117,7 kW (160 PS) bei 9500/min Max. Drehmoment: 136 Nm bei 7500/min

Fahrwerk

Gitterrohrrahmen aus Stahl mit verschraubten Alu-Gussteilen, Motor mittragend, Upside-down-Gabel, Ø 48 mm, verstellbare Federbasis, (elektronisch verstellbare) Zug- und Druckstufendämpfung, Einarmschwinge aus Aluminium, Zentralfederbein mit Hebelsystem, (elektronisch) verstellbare Federbasis, Zug- und Druckstufendämpfung, Doppelscheibenbremse vorn, Ø 320 (330) mm, Vierkolben-Festsättel, Scheibenbremse hinten, Ø 265 mm, Doppelkolben-Schwimmsattel, Traktionskontrolle, ABS.

Alu-Gussräder: 3.50 x 17; 6.00 x 17 Reifen: 120/70 ZR 17; 190/55 ZR 17

Maße und Gewichte

Radstand 1529 mm, Lenkkopfwinkel 66,0 Grad, Nachlauf 109 mm, Federweg v./h. 170/170 mm, Sitzhöhe 825–845 mm, Leergewicht 232 (235) kg, Trockengewicht 209 (212) kg, zulässiges Gesamtgewicht k.A., Tankinhalt 20,0 Liter.

Garantie und Preis

Garantie: zwei Jahre Farben: Rot (Rot, Weiß) Preis: 16.490 Euro (18.490 Euro) Nebenkosten: 345 Euro

Copyright: MOTORRAD, Motor Presse Stuttgart GmbH & Co. KG