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300 ANWENDUNGEN & PRODUKTE BIOspektrum | 03.12 | 18. Jahrgang FREDERIK HAMMES 1 , MATTHIAS STEINBERG 2 1 EIDGENÖSSISCHE ANSTALT FÜR WASSERVERSORGUNG, ABWASSERREINIGUNG UND GEWÄSSERSCHUTZ (EAWAG), DÜBENDORF, SCHWEIZ 2 PARTEC GMBH, MÜNSTER A century ago, Robert Koch described routine cultivation techniques to determine the microbiological status of drinking water by counting micro- bial colonies on agar plates. Since then these methods are used world- wide in drinking water quality control. Plating methods require time and effort and today we know that the total bacterial cell count often is significantly underestimated. Flow cytometry offers a fast, easy and accurate alternative with improved informative value on total cell counts and cell viability. DOI: 10.1007/s12268-012-0182-z © Springer-Verlag 2012 Bakterien im Trinkwasser ó Bakterien sind natürliche Bewohner der meisten aquatischen Ökosysteme. Als ein sol- ches mikrobielles Ökosystem kann auch unser Trinkwasser angesehen werden. Die Anzahl der im Wasser vorhandenen Bakterienzellen ist eine interessante und wichtige Messgröße in der Trinkwasseraufbereitung. Sie kann Auf- schluss über die korrekte Funktionsweise ein- zelner Aufbereitungsstufen innerhalb eines Wasserwerks geben und potenzielle Gefah- ren für den Konsumenten frühzeitig erken- nen lassen. Die heutige Routineanalytik in der Trinkwassermikrobiologie basiert welt- weit unter anderem auf der Zahl der aeroben mesophilen Keime (AMK). Diese Methode wurde schon vor 120 Jahren von dem bekann- ten Bakteriologen Robert Koch und seinen Kollegen begründet und beruht auf der Plat- tierung der Wasserprobe auf einem Nährbo- den und der anschließenden makroskopi- schen Zählung der sich entwickelnden Bak- terienkolonien. Sie wird auch heute noch als genereller Parameter für die mikrobielle Belastung eines Wassers angesehen. Mittler- weile weiß man allerdings, dass der AMK- Wert alles andere als ein idealer Messpara- meter für die Bewertung des mikrobiellen Zustands eines Wassers ist. Das größte Pro- blem liegt in der Tatsache, dass typischer- weise nur weniger als ein Prozent der Bakte- rien im Wasser durch die AMK-Methode erfasst werden können. Weitere große Nach- teile liegen in der Arbeitsintensität der Metho- de und dem langen Zeitraum, der benötigt wird, bis das Ergebnis vorliegt. Jede Probe muss zunächst einzeln plattiert werden. Die Bakterienzellen benötigen drei bis zehn Tage, um zu sichtbaren Kolonien heranzuwachsen. Erst dann kann die Anzahl der Kolonien bestimmt werden, sodass das Ergebnis der Untersuchung deutlich vom Zeitpunkt der Probenentnahme entkoppelt ist. In der Trink- wasseranalytik fehlen immer noch Techni- ken, die eine schnelle, quantitative und exak- te Bestimmung der bakteriellen Gesamtzell- zahl ermöglichen. Was kann die Durchflusszytometrie leisten? Durchflusszytometrie ist eine Technik, in der einzelne, in wässriger Lösung suspendierte Partikel oder Zellen in einer Flusskammer an einem Laserstrahl vorbeigeführt werden. Die Wechselwirkungen zwischen dem Laserstrahl und dem Partikel erzeugen gestreutes Licht und können Fluoreszenzfarbstoffe, mit denen die Partikel beladen sind, anregen. Diese Sig- nale werden über verschiedene Photodetek- toren für die einzelnen Zellen aufgenommen. Als Ergebnis liefert eine durchflusszytome- trische Messung quantitative Informationen über Fluoreszenz- und Streulichteigenschaf- ten der Zellen, die über diese Charakterisie- rung natürlich auch gezählt werden können (Abb. 1). Durchflusszytometrie wird in gro- ßem Umfang in der klinischen Diagnostik, z. B. bei der Charakterisierung der Zellen des Immunsystems, eingesetzt. In den vergange- nen 20 Jahren hat sich die Methode jedoch auch zu einem wichtigen Werkzeug in der aquatischen Mikrobiologie entwickelt. Diese Tendenz ist insbesondere der technischen Entwicklung geschuldet, die die vormals gro- ßen und komplexen Geräte hin zu kompak- ten und einfach zu bedienenden Laborgeräten weiter entwickelt hat. Hierdurch wird es auch möglich, Durchflusszytometrie für Analysen im Bereich der aquatischen Mikrobiologie einzusetzen, die einen hohen Probendurch- satz erfordern. Analysemethoden Durchflusszytometrie in der Trinkwasseranalytik Detektion Gesamtzellzahl SYBR Green I, SYBR Green II, DAPI Identifizierung spezifische Merkmale der Bakterien Antikörper markiert mit z. B. FITC Zellvitalität Membranintegrität Propidiumjodid, SYTOX Green Membranpotenzial DiBAC 4 (3), Rhodamine123 Membranfunktion (Pumpe) Ethidiumbromid Enzymaktivität cFDA, FDA, Calcein-AM Respiration CTC Tab. 1: Fluoreszenzfarbstoffe und deren Einsatz in der Durchflusszytometrie. Analyseziel Messparameter Fluoreszenzfarbstoffe

Durchflusszytometrie in der Trinkwasseranalytik

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300 ANWENDUNGEN & PRODUKTE

BIOspektrum | 03.12 | 18. Jahrgang

FREDERIK HAMMES1, MATTHIAS STEINBERG2

1EIDGENÖSSISCHE ANSTALT FÜR WASSERVERSORGUNG, ABWASSERREINIGUNG UND

GEWÄSSERSCHUTZ (EAWAG), DÜBENDORF, SCHWEIZ2PARTEC GMBH, MÜNSTER

A century ago, Robert Koch described routine cultivation techniques todetermine the microbiological status of drinking water by counting micro-bial colonies on agar plates. Since then these methods are used world-wide in drinking water quality control. Plating methods require time andeffort and today we know that the total bacterial cell count often is significantly underestimated. Flow cytometry offers a fast, easy and accurate alternative with improved informative value on total cell countsand cell viability.

DOI: 10.1007/s12268-012-0182-z© Springer-Verlag 2012

Bakterien im Trinkwasseró Bakterien sind natürliche Bewohner dermeisten aquatischen Ökosysteme. Als ein sol-ches mikrobielles Ökosystem kann auch unserTrinkwasser angesehen werden. Die Anzahlder im Wasser vorhandenen Bakterienzellenist eine interessante und wichtige Messgrößein der Trinkwasseraufbereitung. Sie kann Auf-schluss über die korrekte Funktionsweise ein-zelner Aufbereitungsstufen innerhalb einesWasserwerks geben und potenzielle Gefah-ren für den Konsumenten frühzeitig erken-nen lassen. Die heutige Routineanalytik inder Trinkwassermikrobiologie basiert welt-weit unter anderem auf der Zahl der aerobenmesophilen Keime (AMK). Diese Methodewurde schon vor 120 Jahren von dem bekann-

ten Bakteriologen Robert Koch und seinenKollegen begründet und beruht auf der Plat-tierung der Wasserprobe auf einem Nährbo-den und der anschließenden makroskopi-schen Zählung der sich entwickelnden Bak-terienkolonien. Sie wird auch heute noch alsgenereller Parameter für die mikrobielleBelastung eines Wassers angesehen. Mittler-weile weiß man allerdings, dass der AMK-Wert alles andere als ein idealer Messpara-meter für die Bewertung des mikrobiellenZustands eines Wassers ist. Das größte Pro-blem liegt in der Tatsache, dass typischer-weise nur weniger als ein Prozent der Bakte-rien im Wasser durch die AMK-Methodeerfasst werden können. Weitere große Nach-teile liegen in der Arbeitsintensität der Metho-

de und dem langen Zeitraum, der benötigtwird, bis das Ergebnis vorliegt. Jede Probemuss zunächst einzeln plattiert werden. DieBakterienzellen benötigen drei bis zehn Tage,um zu sichtbaren Kolonien heranzuwachsen.Erst dann kann die Anzahl der Kolonienbestimmt werden, sodass das Ergebnis derUntersuchung deutlich vom Zeitpunkt derProbenentnahme entkoppelt ist. In der Trink-wasseranalytik fehlen immer noch Techni-ken, die eine schnelle, quantitative und exak-te Bestimmung der bakteriellen Gesamtzell-zahl ermöglichen.

Was kann die Durchflusszytometrieleisten?Durchflusszytometrie ist eine Technik, in dereinzelne, in wässriger Lösung suspendiertePartikel oder Zellen in einer Flusskammer aneinem Laserstrahl vorbeigeführt werden. DieWechselwirkungen zwischen dem Laserstrahlund dem Partikel erzeugen gestreutes Lichtund können Fluoreszenzfarbstoffe, mit denendie Partikel beladen sind, anregen. Diese Sig-nale werden über verschiedene Photodetek-toren für die einzelnen Zellen aufgenommen.Als Ergebnis liefert eine durchflusszytome-trische Messung quantitative Informationenüber Fluoreszenz- und Streulichteigenschaf-ten der Zellen, die über diese Charakterisie-rung natürlich auch gezählt werden können(Abb. 1). Durchflusszytometrie wird in gro-ßem Umfang in der klinischen Diagnostik,z. B. bei der Charakterisierung der Zellen desImmunsystems, eingesetzt. In den vergange-nen 20 Jahren hat sich die Methode jedochauch zu einem wichtigen Werkzeug in deraquatischen Mikrobiologie entwickelt. DieseTendenz ist insbesondere der technischenEntwicklung geschuldet, die die vormals gro-ßen und komplexen Geräte hin zu kompak-ten und einfach zu bedienenden Laborgerätenweiter entwickelt hat. Hierdurch wird es auchmöglich, Durchflusszytometrie für Analysenim Bereich der aquatischen Mikrobiologieeinzusetzen, die einen hohen Probendurch-satz erfordern.

Analysemethoden

Durchflusszytometrie in derTrinkwasseranalytik

Detektion Gesamtzellzahl SYBR Green I, SYBR Green II, DAPI

Identifizierung spezifische Merkmale der Bakterien Antikörper markiert mit z. B. FITC

Zellvitalität Membranintegrität Propidiumjodid, SYTOX Green

Membranpotenzial DiBAC4(3), Rhodamine123

Membranfunktion (Pumpe) Ethidiumbromid

Enzymaktivität cFDA, FDA, Calcein-AM

Respiration CTC

Tab. 1: Fluoreszenzfarbstoffe und deren Einsatz in der Durchflusszytometrie.

Analyseziel Messparameter Fluoreszenzfarbstoffe

BIOspektrum | 03.12 | 18. Jahrgang

Fluoreszenzfärbungen beiBakterienBei der Trinkwasseranalyse werden spezi-fische Fluoreszenzfarbstoffe eingesetzt, umzwischen den kleinen Bakterienzellen(zumeist kleiner als ein Mikrometer) undeiner Vielzahl nicht-bakterieller organi-scher wie auch anorganischer Partikel zuunterscheiden. Fluoreszenzmarkierungenkönnen jedoch nicht nur die Bakterien vomHintergrund abgrenzen. Wenn sie richtigeingesetzt werden, können Fluoreszenz-markierungen eine Reihe weiterer wichti-ger Informationen über die Wasserprobegeben (Tab. 1). Die Wahl des zu verwen-denden Fluoreszenzfarbstoffes hängt inerster Linie vom Zweck der Untersuchung,

˚ Abb. 1: Funktionsprinzip des Durch-flusszytometers: (1) Markierung derMikroorganismen mittels verschiedenerFluoreszenzfarbstoffe (siehe auch Tab. 1);(2) Messung der Fluoreszenz signale nachAnregung durch Laserlicht; (3) Darstel-lung des Mess ergebnisses anhand derFluo res zenz in ten si tät bei unterschied-lichen Wellenlängen des Lichtes (jederPunkt entspricht einem gemessenen Bak-terium).

aber auch von den technischen Gegeben-heiten des Analysegeräts ab (z. B. die Aus-stattung mit optischen Filtern oder dieBestückung der Laser). In der Trinkwas-seranalytik kann Fluoreszenzmarkierungin drei Kategorien unterteilt werden: (1)die Detektion der Mikroorganismen, (2)ihre Identifizierung und (3) die Bestim-mung der Zellvitalität. Die direkte Detek-tion wird normalerweise durch eine Fluo-reszenzmarkierung mit DNA-bindendenFarbstoffen wie DAPI, Hoechst, SYBR Greenund SYTO9 durchgeführt. Als Messergeb-nis wird die Gesamtzellzahl unabhängigvon der Art und der Vitalität der Bakteriendargestellt (Abb. 1, Punkt 3). Eine geeig-nete Fluoreszenzfärbung kann jedoch aucheingesetzt werden, um bestimmte bakte-rielle Gruppen oder Stämme zu identifi-zieren. Phylogenetische Gruppen könnendurch Fluoreszenz in situ Hybridisierung(FISH) aufgetrennt werden, und eine Unter-scheidung verschiedener Bakterienartenwird über die Markierung der Bakterienmit fluo res zie ren den Antikörpern erreicht.Neben der Erfassung der Gesamtzellzahlund der spezifischen Bestimmung ist dieMessung der Vitalität der Mikroorganis-men ein wichtiger Parameter bei der Trink-wasseraufbereitung (Abb. 2). Weltweit wer-den in Wasserwerken verschiedene Des-infektionsmethoden (z. B. Ozonbehand-lung, Chlorierung oder UV-Bestrahlung)zur Behandlung des Trinkwassers wäh-rend dessen Aufbereitung eingesetzt. DieFluoreszenzmarkierung zur Erfassung derbakteriellen Vitalität basiert auf der Mes-sung verschiedener zellulärer Eigenschaf-ten wie der Membranintegrität, der Stoff-wechselaktivität, des Membranpotenzialsoder der Membranfunktion. Aus einerKombination verschiedener Farbstoffe istes möglich, Informationen über den Gradund den Ort einer Zellschädigung zu erhal-ten.

Der Einsatz derDurchflusszytometrie in derTrinkwasseranalytikDer Durchflusszytometrie bieten sich viel-fältige Anwendungsmöglichkeiten inner-halb der Trinkwasserindustrie. Zunächsteignet sich die Methode hervorragend zurÜberwachung des Prozesses der Wasser-aufbereitung im Wasserwerk und an ver-schiedenen Punkten innerhalb des Vertei-lernetzwerks (Abb. 3). Ein gutes Beispielist die Überwachung eines Desinfektions-

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BIOspektrum | 03.12 | 18. Jahrgang

chrittes (z. B. Chlorierung), bei dem ein Pro-blem sofort als Anstieg der Zellzahl vitalerMikroorganismen im Wasser registriert wür-de (Abb. 2). In der Schweiz haben große Was-

serversorgungsunternehmen, wie die Was-serversorgung Zürich, schon proaktiv Maß-nahmen eingeleitet, um durchflusszytome-trische Messungen in die Routineüberwa-

chung ihrer Anlagen zu integrieren. Des Wei-teren kann die Durchflusszytometrie im Rah-men der angewandten Forschung und Pro-zessoptimierung eingesetzt werden, um z. B.die optimale Dosierung von Desinfektions-mitteln zu bestimmen oder den Einfluss derDurchflussrate bei der biologischen Filtrationzu untersuchen. Letztendlich stellt die Durch-flusszytometrie natürlich auch innerhalb derGrundlagenforschung eine wertvolle Metho-de dar. So kann sie eingesetzt werden, ummehr über die Wirkungsmechanismen vonDesinfektionsprozessen (Bestimmung desOrtes, der Art und des Grades einer zellulärenSchädigung) zu erfahren oder um bakteriellesWachstum unter nährstoffarmen Bedingun-gen zu untersuchen. ó

Korrespondenzadressen:Dr. Frederik HammesEidgenössische Anstalt fürWasserversorgung, Abwasser-reinigung und Gewässerschutz(Eawag)UmweltmikrobiologieÜberlandstraße 133CH-8600 DübendorfTel.: +41-(0)58-765-5372Fax: +41-(0)[email protected]

Matthias SteinbergPARTEC GmbHOtto-Hahn-Straße 32D-48161 MünsterTel.: 02534-8008-0Fax: [email protected]

˚ Abb. 3: Die Entwicklung der Gesamtzahl von Mikroorganismen im Verlauf der Trinkwasserauf-bereitung (vom Rohwasser bis ins Verteilernetzwerk). Am Ende soll ein mikrobiologisch stabilesTrinkwasser stehen.

˚ Abb. 2: Desinfektionswirkung von Chlordioxid auf Bakterien. Die grünen Zellpopulationen entsprechen lebenden, intakten Zellen, die roten Zellpunkte stehen für geschädigte oder ab -gestorbene Zellen. Mit zunehmender Wirkungszeit des Desinfektionsmittels sterben die Mikro -organismen ab.