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L I E B L I N G S O R T E BERLIN BETTINA RUST Insel L I E B L I N G S O R T E BERLIN BETTINA RUST

E B L I N G S O G RT L I E Insel BERLIN · 2018-09-17 · Original unverpackt : Erster Su permarkt ohne Verpackungen 34 Prinzessinnengäretn B: un et, grüne und rote Beete 37 Modulor:

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L I E B L I N G S O R T E

B E R L I NB E T T I N A R U S T

InselL I E B L I N G S O R T E

B E R L I NB E T T I N A R U S T

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L I E B L I N G S O R T E

B E T T I N A R U S T

M I T F O T O G R A F I E N D E R A U T O R I N

B E R L I NInsel

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Mit großem Dank an Marcus und Lucas

Erste Auflage 2018insel taschenbuch 4664 Originalausgabe© Insel Verlag Berlin 2018Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung, des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.Vertrieb durch den Suhrkamp Taschenbuch VerlagUmschlaggestaltung und Layout : Marion Blomeyer, MünchenIllustrationen : Ryo Takemasa, TokioKarten : Peter Palm, BerlinSatz : Greiner & Reichel, KölnDruck : CPI – Ebner & Spiegel, UlmPrinted in GermanyISBN 978-3-458-36364-4

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M I T T EMonbijoubrücke : So schön ist diese Stadt 1 2Clärchens Ballhaus : Ü100 und dabei komplett alterslos 16Vom Einfachen das Gute : Delikatessen aus der Region 19Museum für Kommunikation : Zurück in die Zukunft 2 2Kulturforum : Das geliebte Durcheinander 2 5

K R E U Z B E R GViktoriapark : Flaneure zieht’s zum Wasserfall 3 0Original unverpackt : Erster Su permarkt ohne Verpackungen 3 4Prinzessinnengärten : Bunte, grüne und rote Beete 3 7

Modulor : Ein Tempel für Kreative und Künstler 4 0Café Eule im Park am Gleisdreieck 4 3

N E U KÖ L L NKindl : Zentrum für zeit genössische Kunst und mehr 4 8Hüttenpalast : Der ungewöhnliche Gegen-entwurf zur Schlafcouch 51Restlos glücklich : Weil es schmeckt und gut ist fürs Karma 5 4

T E M P E L H O F, S C H Ö N E B E R GTempelhofer Feld : Blumen, Skater und sehr viel Himmel 6 0Urban Nation : Street Art goes Museum 6 3

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A L T S V E R Z E I C HN

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Victoria Bar : Die besten Cocktails der Stadt 6 7Meyan : Mediterran- orientalische Spezialitäten mit Liebe gemacht 7 0Sissi : Charmantes öster-reichisches Restaurant 7 3Antiquariat Winterfeldt-straße : Eine Wunderkammer voller Trouvaillen 76Kirchengarten St. Matthias : Der grüne Daumen Gottes heißt Mike 7 9Atelier Culinário : Brasilien meets Berlin 8 3Friedhofscafé Finovo : Für Abschiede, Ankünfte und ruhige Momente 8 6

D A H L E M , WA N N S E E , Z E H L E N D O R FGrunewaldsee und Chalet Suisse : Wald & Vesper 9 2Botanischer Garten : Dieser Trip ist absolut organisch 9 5Mutter Fourage am Wannsee : Kunst, Kaffee und Kultur 9 8

C H A R L O T T E N B U R G , W I L M E R S D O R FSkyline : Öffentliche Kantine über den Dächern der Stadt 1 0 4The Hat Bar : Kleiner Jazz-Club mit großartigen Jam-Sessions 1 0 7Lietzensee : Grünblaues Refugium zwischen Häusern und Straßen 11 0

Giro Coffee Bar : Der wahr-scheinlich beste Kaffee der Stadt 114Literaturhaus : Schöne Villa mit Hang zum Feuilleton 117

W E D D I N GAnita Berber : Galerie-Bar mit Dancefloor 1 2 2Pianosalon Christophori : Einer der außer-gewöhnlichsten Plätze der Stadt 1 2 5Basalt Bar : Drinks im Inneren des Vulkans 1 2 8Tangoloft : Buenos Aires in der Hauptstadt 13 1Fischerpinte am Plötzensee : Bootsverleih für perfekte Sommertage 13 4

M O A B I TErgun’s Fischbude : Ein Restaurant, das Tarantino gefiele 14 0Freddy Leck : Ungewöhn-licher Waschsalon und Kiez-Treff 14 3Filmrauschpalast : Alternatives Kino wie vor 30 Jahren 14 6Kapitel 21 : Lesungen, Drinks und Kicker-Turniere 14 9Berlins älteste Konditorei : Buchwald Baumkuchen 15 2

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T I E R G A R T E NGroßer Tiergarten : Stadtpark zwischen Schöneberg und Mitte 15 6Teehaus im Englischen Garten : Ein Hauch von Sylt in Preußen 16 0Nordische Botschaften : Die meisten finnen es interessant dort 16 3Schwangere Auster : Eine Hymne auf die Architektur 16 6Café am Neuen See : Der älteste Geheimtipp im Westen der Stadt 16 9Café Einstein Stamm-haus : Ein Kind der Liebe zwischen Wien und Berlin 17 2Einer der schönsten Hutsalons Europas : Fiona Bennett 175

P R E N Z L A U E R B E R G , F R I E D R I C H S H A I NEiner der ungewöhnlichsten Friseursalons der Welt : Frank Schäfer 18 0Schuhe nach Maß : Anna Rakemann 18 3California Pops : Ice, Ice Baby (und so gesund) 18 6Pool & Cigars : Wann haben Sie das letzte Mal Billard gespielt ? 18 9Bösebrücke an der Born-holmer Straße : Hier fiel die Mauer zuerst 19 2

RAW-Gelände : Ein Patchwork teppich wilder Locations 19 6

M A R Z A H NHabermannsee : Unverhofftes Idyll unweit der Beton burgen 2 0 2Schloss Biesdorf : Kultur-zentrum mit Bildungsauftrag und leckerem Kuchen 2 0 5

O B E R S C H Ö N E W E I D EFunkhaus Nalepastraße : Konzerte, Märkte und DDR-Geschichte 2 1 0

L Ü B A R SPferde, Felder, frische Luft 2 16

Q U E R D U R C H D I E S T A D T Dr. Fisch : Der Forellen-flüsterer zieht von Markt zu Markt 2 2 2Flohmärkte : … denn Finden macht seliger als Suchen 2 2 5Schiffstour : Der sanfteste Weg, um durch die Stadt zu gleiten 2 2 8

R E G I S T E R 2 3 5

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Mitte

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1Z W I S C H E N D E N S - / U - B A H N H Ö F E N F R I E D R I C H S T R A S S E U N D H A C K E S C H E R M A R K T

So schön ist diese Stadt

Ständig verändert sich alles. Kaum groovt sich das Leben ein, passiert etwas, das eine Neujus-tierung erfordert. Man muss neu denken, neue Wege nehmen, neue Systeme anwenden. Global ist das bekanntermaßen so, aber eigent-lich reichen auch lokale Verände-rungen, um alles auf den Kopf zu stellen. Kleine Dinge, eine Bau-stelle beispielsweise, genau vorm Haus. Schon fühlt sich das Leben anders an. Für ein Jahr wird ge-hämmert, gebaggert, Staub wir-belt durch die Luft, Kräne wa-ckeln, halb gelöste Abdeckplanen flattern wütend durch windige Nächte, es gibt keine Parkplätze mehr, kein Vogelgezwitscher und keine offenen Sonnenfenster, da-für stehen zwei blöde Dixi-Klos

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auf dem Bürgersteig. Das sind die kleinen, die alltäglichen Verände-rungen, mit denen es sich leben lässt, zähneknirschend. Was aber, wenn durch einen blöden Um-stand, eine Schicksalsfügung, der Job wegkracht und um weiter-arbeiten zu können, müsste man beispielsweise nach Bad Godes-berg ziehen ? Ausgerechnet ! Oder was, wenn man sich haltlos in jemanden aus Papua-Neuguinea verliebt ? Natürlich ist das eine konstruierte Situation, aber ich habe mir überlegt, welche Grün-de es für mich geben würde, um meiner Stadt den Rücken zu keh-ren. Vielleicht wäre die Liebe das einzige Argument. Bad Go-desberg käme jedenfalls nicht in Frage. Und so wie man sich manchmal mit schwerem Ge-müt absichtlich Salz in die eige-ne Wunde streut und sehr, sehr traurige Songs hört, die das Schwere nur noch schwerer er-scheinen lassen, so würde ich mich zum Abschied auf den Weg machen zu einem Platz, an dem mir jedes Mal das Herz aufgeht, zu einem Ort, der mir zuverläs-sig sagt : Berlin, du liebenswerte Stadt, ich bin so froh, hier leben zu dürfen. Ich ginge zur Monbijoubrücke, die über die Spree und über den Kupfergraben führt. Wie ein starker Arm berührt sie die Spit-ze der Museumsinsel mit dem

Pergamon-Museum, der Alten Nationalgalerie, dem Neuen und dem Alten Museum und dem stolzen Berliner Dom, als müss-te sie dem ergriffenen Besucher Halt geben beim Betrachten des majestätischen Bode-Museums mit seiner großen Kuppel, links der Blick vorbei Richtung Ale-xanderplatz und noch weiter links dann das Monbijoutheater mit dem angrenzenden Park, wo im Sommer Berliner und Touris-ten grillen, in der Strandbar sit-zen, aufs Wasser schauen und in mancher Sommernacht unter bunten Lichterketten Tango tan-zen, rund um die Uhr dekoriert von wenigen Frachtschiffen, Bötchen und zahllosen Ausflugs-dampfern mit Namen wie »Froh-sinn« oder »Sanssouci«. Und wer sich dreht auf dieser Brücke, der schaut über die Ebertbrücke zur Friedrichstraße, Richtung Ber-liner Ensemble, Friedrichstadt-palast, Deutsches Theater. Es ist ein ästhetisches und lebendiges 360-Grad-Panorama, voller Ab-wechslung, Geschichte und einer ganz bestimmten Eleganz, die in Berlin tatsächlich nicht so häufig zu finden ist, ohne gleich wieder Abstriche machen zu müssen. Eigentlich würde ich mir keinen Gefallen tun damit, ich würde leiden wie ein Hund, aber hier nähme ich Abschied von Berlin, wenn ich müsste.

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2S - / U - B A H N H O F O R A N I E N B U R G E R S T R A S S E

Ü100 und dabei komplett alterslos

Wäre »Clärchens Ballhaus« eine Person, dann säße man im Zug gerne neben ihr, denn sie könnte sicherlich hinreißende Geschich-ten erzählen. Nicht nur für mich gehört dieser Ort zu den wenigen Plätzen, die dabei helfen, sich we-nigstens versuchsweise zurück-zuversetzen in ein Berlin, das mit der heutigen Stadt nichts mehr gemein hat. Wie einer der letz-ten Zeitzeugen, jemand, der zwei Jahrhundertwenden mitmachte, zwei Weltkriege und mehr als zwei Staatsformen überdauerte. Jetzt steht er immer noch da, er-haben, hübsch anzusehen in sei-nem alten Gewand, umgeben von Coffeeshops, schicken Läden und modernen Galerien. Wäre »Clär-chens Ballhaus« also eine Person :

C L Ä R C H E N S B A L L H A U SA U G U S T S T R A S S E 2 4

1 0 11 7 B E R L I N

T E L . 0 3 0 2 8 2 9 2 9 5T Ä G L I C H A B 11 , A N D E N W E B I S 4

W W W . B A L L H A U S . D E

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Sie würde sich wundern. Aber sie nähme es mit Humor.Das 1895 erbaute Haus wurde 1913 vom Ehepaar Fritz und Cla-ra als »Bühlers Ballhaus« eröff-net. Rund 900 Ballhäuser gab es zu Kaisers Zeiten in Berlin, die-ses war eins davon – und um das schon mal vorwegzunehmen : Es ist das Einzige, in dem auch heute noch fast täglich getanzt und gefeiert wird. Das Etablis-sement mit dem großen Tanz-saal im Erdgeschoss und einem 120 Quadratmeter großen impo-santen Spiegelsaal fand schnell sein Publikum. Der Maler Hein-rich Zille gehörte zu den Stamm-gästen, er saß oft zeichnend an der Theke. Oder sein Künstler-kollege Otto Dix, der das Ball-haus-Plakat entwarf, das immer noch Verwendung findet. Nach-dem Fritz Bühler 1929 das Zeit-liche segnete, übernahm seine unerschrockene Witwe Clara, die sich später noch zwei weitere Male verheiraten sollte, das Re-giment und führte das Ballhaus unter ihrem Namen weiter. Nach den Weltkriegen gab es einen deutlichen Frauen-Überschuss – Clärchen veranstaltete Witwen-bälle und es wurde weiterge-tanzt. Auch zu DDR-Zeiten. Das Ballhaus galt als Treffpunkt un-terschiedlichster Menschen aus Ost und West, was natürlich nicht unbeobachtet blieb. Weil

davon auszugehen war, dass ein harmloser Schwof durchaus zu einem höchst harmlosen Nach-spiel führen konnte, erhielt die-ser Ort von der Stasi angeblich den Beinamen »Tripperhöhle«. Über Generationen blieb das Ballhaus ein Familienbetrieb – bis Ende 2004. Der neue Betrei-ber erweiterte das Programm und holte den bis dato als Lager-raum genutzten Spiegelsaal im ersten Stock zurück ins Leben. Ein Juwel, das für Veranstaltun-gen wie die feierlichen Sonn-tagskonzerte mit klassischer Mu-sik genutzt wird. Ein Stockwerk tiefer frönt man sonntags von 15 bis 19 Uhr dem Tanztee. Über-haupt ist der Veranstaltungsplan prall gefüllt. So gibt es u. a. den Discodienstag (freier Eintritt), Swing-Abende, eine Tanzpart-ner / innen / vermittlung und un-ter der Woche diverse Kurse (z. B. Standard / Latein, West Coast Swing). Und sollten Sie mit dem Tanz so gar nichts am Hut ha-ben, bleiben Ihnen sowohl das Restaurant wie auch die schönen Biergärten vor und neben dem Ballhaus. Bestellen Sie sich eine Molle, schauen Sie an Lichterket-ten, Bäumen und Blumen vorbei auf die graue, charmante Fassade. Stellen Sie sich vor, wie es hier vor hundert Jahren war und fal-len Sie für einen Moment kom-plett aus der Zeit.

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3T R A M 1 2 / M 8 / M 1 0 O D E R B U S M 8 P A P P E L P L A T Z , U 8 R O S E N T H A L E R P L A T Z

Delikatessen aus der Region

Renate Künast lernte ich 2009 als Gast meiner Radiosendung kennen. Als wir uns Jahre spä-ter für Dreharbeiten verabreden, schlägt sie vor, sich in der Invali-denstraße 155 zu treffen. »Kom-men Sie hungrig.«Ich warte vor einem kleinen Ladenge schäft mit einem Tisch und Stühlen auf dem Bürgersteig. »Vom Einfachen das Gute« steht auf dem Schaufenster, das prall und ansehnlich gefüllt ist mit saf-tigen Broten, Wein, Käse, Schin-ken und getrockneten Würsten, die an einer Schnur hängen. Die malerisch drapierte Zutaten er-innern mich an Zeichnungen in alten Märchenbüchern, wenn in einem Schloss ein Festmahl stattfand.

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Da kommt sie mit dem Rad. Frau Künast geht hinein, hier kennt man sich. »Ach, hallo, nett, dass Sie mal wieder reinschauen.« »Ja, ich erwarte Besuch und möchte ein bisschen was einkaufen. Und ich habe jemanden mitgebracht.« Der Jemand bin ich, und das hier drinnen ist der Himmel. Der Mann hinterm Verkaufstresen lacht. »Womit wollen wir an-fangen ?« Frau Künast deutet auf einen hellen Käse. »Ah ja, Zie-ge, mild, mit Honig.« Wir dürfen probieren. Uns wird eine Wurst-scheibe gereicht, dann duften-des Brot. Und Schinken, der vor lauter Zartheit in meinem Mund zerfällt. »Alles bio«, sagt Frau Künast. Was in diesem Kontext niemand jemals anzweifeln wür-

de. »Probieren Sie mal. So eine Leberwurst gibt es eigentlich gar nicht mehr«, sagt sie.Genau das war offenbar auch Ansporn und Anspruch der Be-treiber, die den Laden 2013 er-öffneten. Die beiden wollten sie finden und weitergeben : die gu-ten Dinge, die unverfälschten, natürlichen, nach traditioneller Art zubereiteten Lebensmittel. 45 qm misst die Verkaufsfläche, viel Platz nimmt der Tresen ein, im hinteren Bereich steht noch ein großer Tisch mit Stühlen, in hohen Holzregalen stehen Öle, Weinflaschen und Gläser voller Köstlichkeiten. Mit gefüllten Tüten (aus Papier selbstverständlich) verlassen wir den Laden. »Die machen hier

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auch kulinarische Abende, mit Weinverkostung und allem Pi-papo. Das ist immer klasse.« Die Termine seien auf der Website zu finden. Wir gehen in den nahe gelegenen Weinbergspark und breiten auf der Wiese die Delika-tessen für unser spontanes Pick-nick aus. Der Rasen ist feucht, aber als wir das bemerken, sitzen wir bereits. Die ehemalige Bun-desministerin für Verbraucher-schutz und Landwirtschaft, der

artgerechte Tierhaltung, pes-tizidfreie Düngung und fairer Handel so sehr am Herzen liegen, schiebt sich zufrieden ein Stück Käse in den Mund. Frau Turbo, die Kämpferin und Überzeu-gungstäterin, sitzt in der Nach-mittagssonne und genießt. Und sofort ist da etwas ganz Wei-ches, Mädchenhaftes in diesem Gesicht mit den wachen Augen. Steht ihr gut. Mann, ist das le-cker.

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Zurück in die Zukunft

Eines der bestgehüteten Ge-heimnisse innerhalb der Kom-munikationsbranche lautet : Es hapert an der Kommunikation untereinander. Eigentlich ist das ja zum Umfallen komisch, wenn es nicht oft so ärgerlich und fol-genschwer wäre. Gerne werden professionelle und persönliche Inhalte fehlerhaft, missverständ-lich oder überhaupt gar nicht weitergegeben. Was am Ende da-bei herauskommt, ist nicht selten unvollständig und verzerrt. An dieser Stelle ein anerkennender Gruß an die Urheber des Spiels »Stille Post« : Ihr habt es immer schon gewusst. Aber letztlich treffen die meis-ten Kommunikationsprobleme auf alle Teile der Gesellschaft zu.

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Es ist nicht nur die Vielzahl der täglichen Botschaften, die uns unaufmerksam werden lässt, es ist auch die Vielzahl der Kom-munikationskanäle, auf denen uns diese Nachrichten erreichen und in denen wir uns verhed-dern. Apropos Verheddern : on top kommen ja noch die Klas-siker der missverständlichen Kommunikation, die auf dem Nährboden jeder x-beliebigen Partnerschaft gedeihen wie ein froher Pilz im feuchten Moos : »Aber vorhin meintest du doch noch …«, »Wieso sagst du nicht, was du …«, »Hatten wir nicht be-sprochen, dass …«.Vielleicht hilft es, zwischen-durch mal kurz zu landen. Nicht umsonst feiern Begriffe wie Au-

thentizität und Achtsamkeit ge-feierte Comebacks, bis sie als Wandtattoo-Schriftzug auch im letzten Drogeriemarkt zu kau-fen sind. Runterkommen könn-te helfen, wie man das auch an-stellen mag. Einfach mal aus-stöpseln den ganzen Kram, alles, für zwei volle Tage (macht nie-mand), Schweigekloster (die wenigsten), Benachrichtigun-gen und Klingeltöne deakti-vieren (sinnvoll, aber nicht für Feuerwehrleute, Polizisten, Heb-ammen, Mütter, Väter etc.). Oder man wählt die Konfrontations-therapie und begibt sich auf di-rektem Weg ins beeindruckende Museum für Kommunikation, das mit seinen Ausstellungsstü-cken, Erklärungen und Experi-menten als Ort der Aufklärung fungiert, aber auch als Spielwie-se gesehen werden kann. Wie lief es früher ab zwischen den Men-schen, wer nutzte wann welche Kanäle ? Postkutsche, Brieftau-be, Flaschenpost, die Ur-ur-Ah-nen der E-Mail. »Was ist das ?« – »Das, mein Kind, ist ein Anruf-beantworter, haha, sieht aus wie ein Kassettenrecorder.« – »Was ist ein Kassettenrecorder ?« – »Es gab kleine Häuschen, Mäus-chen, in denen dicke Bücher hin-gen und ein Apparat mit einem Hörer (»Was ist ein Hörer ?«), man musste Kleingeld in einen Schlitz werfen und konnte tele-

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fonieren. Nicht selten stand eine Schlange vor diesen gelben Käs-ten, die aussahen wie Dusch-kabinen, die Leute verdrehten die Augen und trampelten wü-tend mit den Füßen, wenn der Telefonierende Geld nachwarf.« Wie weit wir doch inzwischen davon entfernt sind. Oder zwei Dosen und ein gespanntes Band dazwischen – wer erinnert sich ? Telegramme. Sendeschluss : ein buntes Bild, ein fieser Ton und aus die Maus. Um die Vergan-genheit, die jeden Tag aufs Neue eben erst endete, kümmert sich

eine umfassende Dauerausstel-lung, die von der Entwicklung kündet, die über Jahrzehnte peu à peu und ab Mitte des letzten Jahrhunderts plötzlich holterdie-polter vonstattenging. Es gibt ak-tuelle Sonderausstellungen, Ver-anstaltungen und Aktionstage. Es macht Spaß und auch ein bisschen demütig, sich mit dem Großen und Ganzen der Kom-munikation zu beschäftigen. Und wer das alles nicht braucht, um seinen Kopf geradezurücken, der wird sich trotzdem unterhal-ten und informiert fühlen.