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Edition Rechtsextremismus

Herausgegeben vonF. Virchow, Düsseldorf, DeutschlandA. Häusler, Düsseldorf, Deutschland

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Herausgegeben vonFabian VirchowDüsseldorf, Deutschland

Alexander HäuslerDüsseldorf, Deutschland

Die „Edition Rechtsextremismus“ versammelt innovative und nachhaltige Beiträge zu Erscheinungsformen der extremen Rechten als politisches, soziales und kultu-relles Phänomen. Ziel der Edition ist die Konsolidierung und Weiterentwicklung sozial- und politikwissenschaft licher Forschungsansätze, die die extreme Rechte in historischen und aktuellen Erscheinungsformen sowie deren gesellschaft lichen Kontext zum Gegenstand haben. Ein besonderes Augenmerk gilt dabei transnatio-nalen Entwicklungen in Europa.

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Martin Langebach • Michael Sturm (Hrsg.)

Erinnerungsorte der extremen Rechten

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ISBN 978-3-658-00130-8 ISBN 978-3-658-00131-5 (eBook)DOI 10.1007/978-3-658-00131-5

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbi-bliogra e; detaillierte bibliogra sche Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Springer VS© Springer Fachmedien Wiesbaden 2015Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmungdes Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen,Mikrover lmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesemWerk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solcheNamen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachtenwären und daher von jedermann benutzt werden dürften.Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informa-tionen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind.Weder der Verlag noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oderimplizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen.

Lektorat: Dr. Jan Treibel, Monika Mülhausen

Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier

Springer Fachmedien Wiesbaden ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media(www.springer.com)

HerausgeberMartin LangebachDüsseldorf, Deutschland

Michael SturmMünster, Deutschland

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Inhalt

Erinnerungsorte der extremen Rechten. Zur Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7Martin Langebach und Michael Sturm

Schicksal – Heldentum – Opfergang. Der Gebrauch von Geschichte durch die extreme Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17Michael Sturm

Geahnte Ahnen. ›Germanische‹ Erinnerungsorte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61Karl Banghard

Die Wewelsburg und die »Schwarze Sonne«. Von der Entlastungslegende zum vitalen Mythos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79Dana Schlegelmilch und Jan Raabe

Die ›Konservative Revolution‹. Geistiger Erinnerungsort der ›Neuen Rechten‹ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101Volker Weiß

›Tag der nationalen Arbeit‹. Der 1. Mai als Erinnerungsort der extremen Rechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121Harriet Scharnberg

Der Annaberg. ›Ein Symbol des erwachten Deutschtums‹ . . . . . . . . . . . . . . . . 139Jörg Kronauer

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Die Waffen-SS. Deutungsmuster der »Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit« (HIAG) und andere Apologien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157Karsten Wilke

›Heldengedenken‹. Neonazistische Heldenehrung als Abwehrkampf gegen den Bolschewismus – das Beispiel Halbe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177Von Christoph Schulze

Luftkrieg. Akteure und Deutungen des Gedenkens seit 1945. . . . . . . . . . . . . . 197Martin Clemens Winter

8. Mai 1945 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213Martin Langebach

Alliierte Kriegsgefangenen- und Internierungslager. »Folterlager« in Bad Nenndorf und »Massenvernichtung« in Remagen: Neonazi-Propaganda gegen alliierte Besatzungspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245Barbara Manthe

Rudolf Heß. Kristallisationspunkt der extremen Rechten . . . . . . . . . . . . . . . 265Maica Vierkant

Konzentrationslager. Die Gedenkstätte Sachsenhausen – Ein Erinnerungsort der extremen Rechten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287Dagmar Lieske

Autorinnen- und Autorenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301

Inhalt

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Erinnerungsorte der extremen RechtenZur Einleitung

Martin Langebach und Michael Sturm

Mit Festakten unter Beteiligung vieler Staatsoberhäupter und anderer politischer Repräsentantinnen und Repräsentanten wurde zu Pfi ngsten 2014 der 70. Jahrestag der Landung alliierter Verbände in der Normandie am 6. Juni 1944 begangen. Der D-Day bildete ein Schlüsselereignis auf dem Weg zur Befreiung Europas und seiner Menschen vom Nationalsozialismus und Faschismus. Doch auch andere historische Ereignisse fi nden ihren Ausdruck in der gegenwärtigen Geschichtskultur. Überall in Europa wird in diesem Jahr im Rahmen zahlloser Ausstellungen, Tagungen und Publikationen an den Ausbruch des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren erinnert. Diese und andere Rückblicke auf historische Ereignisse von nicht selten weltpoli-tischer Bedeutung sind heute stark in der bundesrepublikanischen Öff entlichkeit präsent. Die Erinnerung ist oft mit dem politischen, pädagogischen oder morali-schen Imperativ verknüpft , ›aus der Geschichte zu lernen‹. Doch der Blick auf die Vergangenheit hängt stets ab von der betrachtenden Perspektive – eine Erkenntnis, die nicht nur Historikerinnen und Historiker teilen. Auch für die extreme Rechte stellt Geschichte einen ›Steinbruch‹ da, aus dem sie sich selektiv bedient. Werden an Omaha Beach Kränze den Wellen übergeben, um der gefallenen Soldaten der Alliierten zu gedenken, erinnern Protagonistinnen und Protagonisten der extre-men Rechten an die Tage des zum ›Panzerjäger‹ verklärten SS-Hauptsturmführers Michael Wittmann, der an den Kämpfen in der Normandie beteiligt war. Werden im Bendlerblock des Bundesverteidigungsministeriums in Berlin Reden gehalten, in denen die Courage der Attentäter vom 20. Juli 1944 beschworen wird, heben sie die Rolle Otto Ernst Remers bei der Zerschlagung des Widerstandskreises um Claus Schenk Graf von Stauff enberg hervor. Und wenn am 8. Mai 2015 der 70. Jahrestag des Kriegsendes gefeiert werden wird, ist absehbar, dass Teile der extre-

M. Langebach, M. Sturm (Hrsg.), Erinnerungsorte der extremen Rechten, Edition Rechtsextremismus,DOI 10.1007/978-3-658-00131-5_1, © Springer Fachmedien Wiesbaden 2015

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men Rechten die Kapitulation des nationalsozialistischen Deutschlands lautstark zum Ende einer kurzen ›Ära der Freiheit‹ stilisieren werden.

1 Hypothek und Ressource – Die Bedeutung von Geschichte für die extreme Rechte

Geschichte stellt für die extreme Rechte ein zentrales Politikfeld dar. Die Demonstra-tionen dieses Spektrums, die sich auf einen entsprechenden Hintergrund oder Anlass beziehen, haben sich in den vergangenen Jahren als besonders mobilisierungsfähig erwiesen (Virchow 2006, S. 80). Die Veröffentlichungen zu historischen Themen-stellungen – vor allem zum Zweiten Weltkrieg aus Perspektive der ›Erlebnisgene-ration‹ – sind kaum zu überblicken. Die damit verbundenen geschichtspolitischen Positionierungen erzielen heute indes nicht mehr allzu viel Zustimmung, wirken sie doch auf den ›Mainstream‹ zumeist irritierend, mitunter grotesk. Gleichwohl wird eine tiefere Auseinandersetzung mit den Mythen und Apologien der extremen Rechten nicht selten auch gescheut aus der Sorge, deren geschichtsrevisionistische Parolen möglicherweise unfreiwillig aufzuwerten. Diese vermeintlich naheliegende Haltung wird der zentralen Bedeutung, die dem Gebrauch von Geschichte in der extremen Rechten der Bundesrepublik zukommt, jedoch nicht gerecht. Im Hin-blick auf die nach außen getragene Propaganda kommt den ständig aufgerufenen historischen Argumentationsmustern und Referenzen die Funktion zu, die eigenen ideologischen Grundpositionen mit dem Nimbus ›absoluter Wahrheit‹ zu versehen. Geschichte avanciert hier zur ›Waffe‹ im Rahmen eines Politikverständnisses, das durchgängig von Kompromisslosigkeit und dichotomen Freund-Feind-Kategori-sierungen geprägt ist.

Die extreme Rechte inszeniert sich dabei als ›Gegenelite‹, die für sich in An-spruch nimmt, in der Kontinuität und gleichsam als Reinkarnation der gemeinsam beschworenen gefallenen ›Helden‹ den Kampf um Deutschland weiterzuführen. Freilich: Ihre historischen Deutungsmuster können, zumal wenn sie im Rahmen von Demonstrationen in zumeist aggressiver Diktion vorgetragen werden, gesell-schaftlich und politisch in der offiziellen Erinnerungskultur der Berliner Republik als nahezu vollständig marginalisiert gelten. Doch genau darin scheint offenkundig ihre gemeinschaftsstiftende Bedeutung für das extrem rechte Spektrum zu liegen. Sie sind Ausdruck einer spezifischen Form von ›Geschichtspolitik‹, die ›Identität‹ und ›Kollektivität‹ nicht zuletzt durch ›historisch-fiktionale Gegenerzählungen‹ herzustellen versucht, die an überprüfbaren historischen Erkenntnissen allenfalls instrumentelles Interesse zeigt und diese, »wie in einer Collage, mit Spekulatio-

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nen, Mutmaßungen, widerlegten Thesen und teilweise auch mit reinen Fantasien montiert« (Botsch 2014, S. 48). In ähnlicher Weise hat der Politikwissenschaftler Samuel Salzborn auch von »Phantasiegeschichte« gesprochen, die genutzt werde, »um eine Wirklichkeit zu interpretieren, die in den Augen ihrer Protagonisten so hätte gewesen sein sollen beziehungsweise müssen, um die eigenen Zukunftsvisionen und das Agieren in der Gegenwart legitimieren zu können« (Salzborn 2011, S. 21).

Für die unterschiedlichen Strömungen der extremen Rechten in der Bundesre-publik war und ist Geschichte demnach gleichermaßen Ressource wie Hypothek. Ressource – da es vor allem geschichtspolitische Themen waren, die sich über die Jahrzehnte hinweg als besonders mobilisierungsfähig erwiesen und dazu beitrugen, das notorisch zersplitterte und in Grabenkämpfe verstrickte Spektrum durch den Rekurs auf gemeinsam geteilte Mythen und »Phantasiegeschichten« zumindest anlassbezogen immer wieder zu einen.

Die Hypothek wiederum bilden bis heute die präzedenzlosen Verbrechen des Nationalsozialismus, zu denen die extreme Rechte sich gezwungenermaßen in irgendeiner Form verhalten muss. Der Umgang reichte und reicht von offener Verherrlichung des Regimes, seiner Protagonisten und Wegbereiter, über die os-tentative Leugnung oder Verharmlosung der nationalsozialistischen Verbrechen bis hin zum trotzigen Hinweis, dass »Adolf Hitler […] tot und die NSDAP aufgelöst« sei, man »nicht in der Vergangenheit, sondern in der Gegenwart« lebe und darüber hinaus, »die Menschen […] ganz andere Probleme [haben], als sich ständig mit einer Zeit zu beschäftigen, die schon eine Ewigkeit zurückliegt« (NPD 2012, S. 54). Doch Stimmen wie jene aus der NPD, die anmahnen, dass die Partei »mittlerweile rund sechs von zwölf Monaten mit Trauer-, Gedenk und Erinnerungskundge-bungen aus Anlass zeithistorischer Ereignisse beschäftigt« und dass das vor dem Hintergrund »einer Vielzahl ungleich wichtigerer Gegenwartsthemen und einer ungleich breiteren politischen Themenpalette […] für unseren politischen Kampf ausgesprochen kontraproduktiv« sei (Richter 2011), werden politisch abgestraft. Das »Vergangenheitsghetto« (Karl Richter) scheint für die extreme Rechte existenziell. Gleichwohl verweisen Apologien, Banalisierungsversuche und demonstratives Beschweigen trotz ihrer unterschiedlichen Argumentationsmuster im Detail auf ein in der extremen Rechten breit verankertes Geschichtsverständnis, das der His-toriker Martin Broszat pointiert als »Amok-Lauf gegen die Wirklichkeit« (zitiert in: Arndt 1976, S. 196) bezeichnet hat. Geschichtsrevisionismus, also der Versuch, der angeblich von den Siegermächten des Zweiten Weltkriegs und ihren deutschen Erfüllungsgehilfen in Politik, Medien und Wissenschaft dekretierten ›offiziellen Geschichtsschreibung‹ eine eigene ›Wahrheit‹ entgegenzustellen, bildet daher eine zentrale Komponente in den gängigen sozialwissenschaftlichen, aber auch behörd-

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lichen Rechtsextremismusdefinitionen (vgl. Stöss 2000, S. 44; Jaschke 2001, S. 53; Holzer 1994, S. 56f.; Fröchling 1996, S. 100ff., Bundesamt 2001, Landesamt 1994).

Die geschichtspolitischen Vorstöße der extremen Rechten fanden somit in den vergangenen Jahrzehnten durchaus kritische Beachtung im Bereich der geschichts- und sozialwissenschaftlichen Forschung wie auch im Feld der historisch-politischen Bildung. Ein großer Teil der Veröffentlichungen zielte darauf ab, revisionistische Mythen und Behauptungen in kompakter Form zu entkräften. Einen hohen Gebrauchswert erzielten beispielsweise Kompendien wie »Legenden, Lügen, Vor-urteile« (Benz 1990) oder »25 rechtsradikale Lügen und wie man sie widerlegt« (Tiedemann 1996), die sich vor allem an ein breites Publikum richteten. In den Fokus der wissenschaftlichen Beschäftigung rückte seit den späten 1970er Jahren auch die Auseinandersetzung mit der Leugnung der Schoah (Lipstadt 1996; Vir-chow 1996; Bailer-Galanda 1996; Pfahl-Traughber 1996), der bis etwa Mitte der 1990er Jahre zentrale strategische Bedeutung für den Geschichtsrevisionismus zukam. Erst die Ausdifferenzierung geschichtspolitischer Mobilisierungen etwa gegen die so genannten ›Wehrmachtsausstellungen‹ des Hamburger Instituts für Sozialforschung (1995-2004) oder anlässlich der ›Trauermärsche‹ zum Todestag von Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß (seit 1988) schärften allmählich den Blick für das weitaus größere Repertoire extrem rechter Mythen, Erzählungen und Re-ferenzfiguren. Verschiedene Studien widmeten sich nun etwa den gleichermaßen heroisierenden wie (selbst)viktimisierenden Darstellungen, die um den ›Friedens-flieger‹ Rudolf Heß, die Gefallenen der Kesselschlacht von Halbe oder die Opfer des zum ›Bombenholocaust‹ stilisierten Luftkriegs über deutschen Städten kreisen.

An diese Arbeiten möchte der vorliegende Sammelband anknüpfen, bisherige Befunde zusammenführen und zu neuen Perspektiven anregen, die extrem rechte Mythen gleichermaßen auf ihre real- und ideengeschichtlichen Bezüge hin unter-suchen, aber auch der Frage nachgehen, unter welchen Voraussetzungen sich diese Narrative als mobilisierungsfähig erweisen oder sogar die geschichtskulturellen Diskurse in der ›Mitte der Gesellschaft‹ beeinflussen können. Hierfür soll das ur-sprünglich auf den französischen Historiker Pierre Nora zurückgehende Konzept der ›Erinnerungsorte‹ (›Les Lieux de mémoire‹) als analytische Kategorie nutzbar gemacht werden.

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2 ›Erinnerungsorte‹ – Konzeptionelle und definitorische Überlegungen

Der Begriff ›Erinnerungsort‹ hat in den vergangenen Jahren ähnlich wie die ihm verwandten Termini ›Erinnerungskultur‹, ›Geschichtskultur‹ oder ›Geschichts-politik‹ eine bemerkenswerte Konjunktur erfahren (Cornelißen 2003). Die Zahl allein der deutschsprachigen Publikationen, die sich thematisch, epochal oder regional unterschiedlich gefassten Erinnerungsorten widmen, ist kaum noch zu überblicken. Den Anfang machten Etienne François und Hagen Schulze, mit ihrem im Jahr 2001 erschienen dreibändigen Werk »Deutsche Erinnerungsorte«. Es folgten ebenfalls umfangreiche Studien über »Erinnerungsorte der DDR« (Sabrow 2009), »Erinnerungsorte der Antike« (Stein-Hölkeskamp 2006, 2010), »Erinnerungsorte des Christentums« (Markschies 2010) oder »Erinnerungsorte der deutschen Kolonialgeschichte« (Zimmerer 2013). Auch in anderen Ländern wie etwa in Österreich, Italien und den Niederlanden wurde das Konzept aufge-griffen (Kończal 2011). Eine jüngst erschienene fünfbändige Edition widmet sich »deutsch-polnischen Erinnerungsorten« in transnationaler Perspektive (Hahn 2013). Nicht zu unrecht haben Kritikerinnen und Kritiker daher angemerkt, dass trotz oder gerade wegen seiner rasanten Karriere der Rekurs auf den Topos des ›Erinnerungsortes‹ zunehmend durch eine gewisse Beliebigkeit gekennzeichnet sei. Erst kürzlich hat etwa der langjährige Leiter der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau Dora Volkhard Knigge die »unmäßige« Ausweitung der »Rede von der Erinnerung« bemängelt, die dazu beigetragen habe, den Begriff auszuhöhlen (Knigge 2013, S. 3).

Gleichwohl soll hier das Konzept des ›Erinnerungsortes‹ in Anlehnung an die definitorischen Überlegungen von Etienne François und Hagen Schulze für die Analyse des Verständnisses und des Gebrauchs von ›Geschichte‹ und ›Erinnerung‹ durch die extreme Rechte herangezogen werden. Für die beiden Historiker ist der Terminus ›Erinnerungsort‹ nicht zwangsläufig an einen topografischen Ort geknüpft. Vielmehr firmiert der Begriff in ihrer Perspektive als ›Metapher‹ – als ein Bild also, das sich in unterschiedlichen Formen und Praktiken konkretisiert. ›Erinnerungsorte‹ können demnach »ebenso materieller wie immaterieller Na-tur sein, zu ihnen gehören etwa reale wie mystische Gestalten und Ereignisse, Gebäude und Denkmäler, Institutionen und Begriffe, Bücher und Kunstwerke«. Diese würden, resümieren François und Schulze, nicht wegen »ihrer materiellen Gegenständlichkeit« zu »Erinnerungsorten« avancieren, sondern aufgrund ihrer »symbolischen Funktion« (François 2001, S. 17f.). Die für ›Erinnerungsorte‹ kon-stitutive symbolische Aufladung resultiert wiederum aus kollektiven Mythen und Gedächtnisinhalten, die sich an sie knüpfen. ›Erinnerungsorte‹ entstehen somit

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nicht voraussetzungslos oder gleichsam im luftleeren Raum. Sie sind vielmehr Aus-druck eines sich in gesellschaftlichen Prozessen formierenden gruppengebundenen kollektiven Gedächtnisses, dessen Entstehungs- und Konstruktionsbedingungen der französische Soziologe Maurice Halbwachs (1877-1945) maßgeblich auf die aus dem jeweiligen »sozialen Milieu zufließenden Gedanken« zurückgeführt hat. (Historische) Ereignisse verdichten sich demnach nicht automatisch in »Erinnerung« beziehungsweise in »Erinnerungsorten«, sondern »sie werden dazu gemacht durch sozial vorgeformte Sinnbedürfnisse und Wahrnehmungsweisen« (Große-Kracht 1996, S. 23). Im Anschluss daran betonen auch François und Schulze den sozial- konstruktivistischen Charakter des kollektiven Gedächtnisses:

»Der Einzelne erinnert sich, aber bleibt damit nicht allein. Das Milieu, in dem er lebt, bildet einen Rahmen, der Form und Inhalt gemeinsamer Erinnerungen begrenzt und bedingt. […] Insbesondere Nationen produzieren derlei kollektive Erinnerungen, aber das gilt mehr oder weniger für Gruppenbildungen aller Art. Keine Gemeinschaft ohne Gedenkfeiern und Denkmäler, Mythen und Rituale, ohne die Identifizierung mit großen Persönlichkeiten, Gegenständen und Ereignissen der eigenen Geschichte« (François 2001, S. 13).

Obgleich also das Konzept der ›Erinnerungsorte‹ zunächst vor allem eine An-näherung an nationale Gemeinschaften ermöglichen sollte, der genaue Blick auf die tatsächliche Vielstimmigkeit und Heterogenität gesellschaftlicher Erinne-rungskulturen jedoch schnell auch die Grenzen des Ansatzes deutlich machte, blieben Untersuchungen zu kollektiven Gedächtnisbildungsprozessen und deren symbolischen Ausdrucksformen in spezifischen Milieus oder sozialen Gruppen bislang Ausnahmen. Obgleich die extreme Rechte in der Bundesrepublik nach 1945 keineswegs ein einheitliches Milieu repräsentierte, sondern sich in unterschiedliche Strömungen mit jeweils eigenen Agitationsmustern und (Selbst-)inszenierungs-praktiken ausdifferenzierte, verfügt das Spektrum, wie eingangs bereits erwähnt, bis heute über ein vergleichsweise homogenes und über die Jahrzehnte weitgehend unverändert gebliebenes, immer wieder abrufbares Repertoire an kollektiv geteilten Mythen und Narrativen. In kaum einer anderen politischen Strömung haben sich die weltanschaulichen Grundpositionen in ähnlicher Weise über historische Zäsu-ren hinweg derart nahtlos fortgeschrieben. Freilich gab es auch hier generationelle Umbrüche und damit einhergehend Traditionslinien und -bezüge, die auf Dauer oder zumindest zeitweise in den Hintergrund traten, während sich umgekehrt neue identitätsstiftende Erinnerungsorte entwickelten.

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Erinnerungsorte der extremen Rechten 13

3 Aufbau des Bandes

Zwölf dieser Erinnerungsorte sollen in dem vorliegenden Band exemplarisch vorgestellt werden. Wie in anderen Erinnerungsorte-Projekten auch, wird hier nicht der Anspruch auf gleichsam lexikalische Vollständigkeit erhoben. Scheinbar zentrale Begriffe, manifeste Orte oder prominente Namen, die gemeinhin mit der extremen Rechten verknüpft werden und denen im Einzelnen zurecht große historische Bedeutung zugeschrieben wird, fehlen in den folgenden Texten. In dem Band finden sich weder Beiträge über ›Adolf Hitler‹ noch über den ›Obersalzberg‹, die ›Hakenkreuzfahne‹ oder das ›Horst-Wessel-Lied‹ – zweifellos Aspekte, deren Untersuchung lohnend gewesen wäre. Das Erkenntnisinteresse richtet sich jedoch vielmehr auf die Vorstellungen und den Gebrauch von Geschichte und Erinnerung in der extremen Rechten an sich. Insofern geht es den Autorinnen und Autoren nicht in erster Linie darum, die vorgestellten Mythen und Narrative detailliert zu widerlegen – auch wenn dies in den meisten Aufsätzen gewissermaßen en passant geschieht. Vielmehr soll ausgehend von der Feststellung, dass ein Erinnerungsort »seine Bedeutung und seinen Sinn erst durch seine Bezüge und seine Stellung inmitten sich immer neu formierender Konstellationen und Beziehungen erhält« (François 2001, S. 18), nach den Voraussetzungen und Rahmenbedingungen für des-sen Entstehung und Tradierung im Kontext der extremen Rechten gefragt werden.

Der Auswahl der hier vorgestellten Erinnerungsorte lagen folgende Kriterien zugrunde. Zum einen sollten topografische, materielle wie immaterielle Erinne-rungsorte gleichermaßen repräsentiert sein. Zum anderen orientierte sich die Zusammenstellung an Erinnerungsorten, die in den letzten Jahren oder über einen längeren Zeitraum hinweg eine hohe Mobilisierungsfähigkeit innerhalb der extre-men Rechten erzielt haben oder in der Wahrnehmung dieses Spektrums permanent beziehungsweise wiederkehrend eine zentrale Rolle spielen. Hervor sticht aus der auf den ersten Blick wohl schlüssigen Auswahl einzig der Erinnerungsort ›Konzentrati-onslager‹, stellt es doch in der Erinnerungskultur der unterschiedlichen politischen Systeme Nachkriegsdeutschlands gleichermaßen einen zentralen Ort für eine im weitesten Sinne antifaschistische Erinnerung dar. Die Beobachtung, dass auch die extreme Rechte versucht, diese Orte mit eigenen Gedächtniskonstruktionen zu be-frachten, mag höchst irritierend erscheinen. Hingegen ist der Erklärungsgehalt der oftmals in diesem Zusammenhang vorgenommenen Einschätzung, deren Protago-nistinnen und Protagonisten seien ›Ewig-Gestrige‹, äußerst dürftig und mag somit kaum beruhigen. Der vorliegende Band und die darin enthaltenen exemplarischen Fallstudien verfolgen demnach nicht nur die Intention, das Geschichtsverständnis der extremen Rechten und deren geschichtspolitische Vorstöße einer kritischen

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Betrachtung zu unterziehen, sondern auf diese Weise auch zu einem reflektierten Geschichtsbewusstsein beizutragen.

Abschließend möchten die Herausgeber allen Kolleginnen und Kollegen danken, die sich dem Konzept des Bandes gegenüber aufgeschlossen zeigten und mit Elan und Verve in die Recherche und Arbeit begaben. Die gelungenen Beiträge sind Lohn dieser Mühen. Danken möchten die Herausgeber ferner Prof. Dr. Fabian Virchow, Leiter des Forschungsschwerpunkts Rechtsextremismus an der Fachhochschule Düsseldorf und Mitherausgeber der Reihe »Edition Rechtsextremismus«, sowie Dr. Jan Treibel, Cheflektor Politik des Verlags Springer VS, für das Interesse am Band, die kritische Durchsicht und die Aufnahme in das Verlagsprogramm.

Bonn, Münster, September 2014Martin Langebach und Michael Sturm

Quellen

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Bailer-Galanda, Brigitte/Benz, Wolfgang/Neugebauer, Wolfgang (Hrsg.) (1996): Die Aus-chwitzleugner. »Revisionistische« Geschichtslüge und historische Wahrheit. Berlin: Elefanten Press.

Benz, Wolfgang (1990): Legenden, Lügen, Vorurteile. Ein Lexikon zur Zeitgeschichte. München: Deutscher Taschenbuch Verlag.

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Erinnerungsorte der extremen Rechten 15

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Cornelißen, Christoph (2003): Was heißt Erinnerungskultur? Begriff – Methoden – Pers-pektiven. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 54, 548-563.

François, Etienne/Schulze, Hagen (Hrsg.) (2001): Deutsche Erinnerungsorte Band I. Mün-chen: C.H. Beck, 9-24.

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Schicksal – Heldentum – OpfergangDer Gebrauch von Geschichte durch die extreme Rechte

Michael Sturm

Am Nachmittag des 17. November 2013 versammelte sich vor dem in den Jahren 1933/1934 ursprünglich für die Gefallenen des Ersten Weltkriegs errichteten ›Eh-renmal‹ im Bochumer Stadtteil Wattenscheid eine Handvoll Aktivistinnen und Aktivisten der NPD. Die bizarre Veranstaltung wird seit einigen Jahren regelmäßig anlässlich des Volkstrauertags von den ›Nationaldemokraten‹ durchgeführt. Ob-gleich an der Kundgebung außer dem sehr überschaubaren Kreis der anwesenden Anhängerinnen und Anhänger keine weiteren Personen teilnahmen, waren die Organisatorinnen und Organisatoren um ein nach ihren Maßstäben ›würdevolles‹ Auft reten bemüht. Auf beiden Seiten der Gedenktafel, die nunmehr an die gefal-lenen Bochumer Soldaten beider Weltkriege erinnert, nahmen zwei mit Fackeln und schwarz-weiß-roten Fahnen ausstaffi erte Parteimitglieder Aufstellung. Claus Cremer, Landesvorsitzender der nordrhein-westfälischen NPD postierte sich einige Meter vor den sichtlich um militärischen Gestus bemühten Kameraden, um seine Ansprache zu verlesen. Darin beklagte er, dass sich die offi ziellen Gedenkveran-staltungen zum Volkstrauertag nicht mehr »dem Helden, der selbstlos seine Pfl icht erfüllt hat« widmen würden, sondern jenen, die »den treuen Soldaten an der Front in den Rücken« gefallen seien. Cremer wandte sich zudem polemisch gegen den Begriff der »Befreiung« im Kontext der bedingungslosen Kapitulation des NS-Re-gimes am 8. Mai 1945: »Das Einzige, wovon uns die alliierten Terrorbomber und roten Bestien aus dem Osten wirklich befreit haben, war von Leben, Gesundheit, Land und Gut« (NPD-NRW 2013). Am Ende der Kundgebung stimmten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer das im Jahr 1814 von Max von Schenkendorf komponierte Studentenlied »Wenn alle untreu werden, so bleiben wir doch treu« an, das in der Zeit des Nationalsozialismus als so genanntes ›Treuelied‹ zum festen Repertoire bei Veranstaltungen der SS gehört hatte.

Die Dramaturgie der Wattenscheider Rede von Claus Cremer folgte konsequent den für extrem rechte Geschichtsbilder charakteristischen Kernnarrativen, die in

M. Langebach, M. Sturm (Hrsg.), Erinnerungsorte der extremen Rechten, Edition Rechtsextremismus,DOI 10.1007/978-3-658-00131-5_2, © Springer Fachmedien Wiesbaden 2015

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schier endlosen Wiederholungen und immer wieder ähnlichen Variationen den angeblichen ebenso leidvollen wie heroischen Opfergang des deutschen Volkes angesichts scheinbar übermächtiger Gegner beschwören. Angereichert und kon-kretisiert wird diese Basiserzählung durch den Rekurs auf eine Reihe spezifischer, mythologisch aufgeladener Erinnerungsorte, die um das deutsche Soldatentum, den Luftkrieg, Flucht und Vertreibung der Deutschen aus dem ›Osten‹ sowie nicht zuletzt um den durch die bedingungslose Kapitulation besiegelten Zusammenbruch des Deutschen Reiches am 8. Mai 1945 kreisen. Auf weitere Erinnerungsorte der extremen Rechten verweisen ferner die schwarz-weiß-roten Fahnen, mit denen sich einige der Teilnehmer in Wattenscheid präsentierten oder das gemeinsam angestimmte ›Treuelied‹, mit seinen Bezügen sowohl zu den antinapoleonischen Befreiungskriegen des frühen 19. Jahrhunderts wie auch zu den Traditionsbeständen der SS. Selbst die Tatsache, dass nur wenige Aktivistinnen und Aktivisten am ›Eh-renmal‹ erschienen waren, ließ sich für die Inszenierung der mit historischem Pathos überladenen Veranstaltung nutzbar machen, fügte sie sich doch in die rhetorischen Bemühungen Cremers, die versammelten NPD-Anhängerinnen und -Anhänger gleichsam zu einer nationalen ›Elite‹ zu stilisieren, die den Deutungsmustern des erinnerungskulturellen ›Mainstreams‹ in der Bundesrepublik trotze. Diese Form der Selbstdarstellung kennzeichnet freilich nicht nur das Auftreten der NPD in Nordrhein-Westfalen, sondern kann als charakteristisch für die extreme Rechte insgesamt gelten. Der Gebrauch und die Aneignung von Geschichte dient somit der Konstruktion einer »realitätsresistenten Wertegemeinschaft« (Erb 2011, S. 287). Diese stützt sich auf eigene historische Mythen und Erzählungen, die regelmäßig, wie etwa in Wattenscheid, aufgerufen und aktualisiert werden.

Allein die Feststellung jedoch, dass die extreme Rechte Geschichte in instrumen-teller Weise nutzt, um nach ›innen‹ eine spezifische, weltanschauliche Gruppeni-dentität zu festigen und sich nach ›außen‹ von anderen gesellschaftlichen Spektren abzugrenzen, ist für sich genommen nicht außergewöhnlich. Allenthalben wurden und werden in unterschiedlichen Milieus und Szenen Traditionen gestiftet und Erinnerungsorte geschaffen, an denen sich die Vorstellungen von ›Gemeinschaft‹ symbolisieren und reproduzieren sollen. Ganz grundsätzlich stellt (kollektive) Erinnerung demnach immer eine Konstruktion dar, die sich nicht an einer tat-sächlichen, vermeintlich »objektiven« Bedeutung des erinnerten historischen Geschehens festmacht, sondern an den »Kriterien der Gegenwart« (Kohlstruck 2004a, S. 176) orientiert ist. Mit ›Geschichte‹ und ›Erinnerung‹ wird im wörtlichen Sinne ›Politik‹ gemacht.

In öffentlichen Debatten wie auch in der sozial- und geschichtswissenschaftlichen Forschung haben die Begriffe ›Erinnerungspolitik‹ und ›Geschichtspolitik‹ in den vergangenen Jahren verstärkte Beachtung gefunden (vgl. Troebst 2014; Cornelißen

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2003). Sie firmieren somit einerseits als oftmals wenig reflektierte und inflationär genutzte ›Kampfbegriffe‹ in politischen Kontroversen, in denen eigene Positionen bekräftigt und andere diskreditiert werden sollen, andererseits als analytische Kategorien, um eben diese Konfliktlinien beschreiben und einordnen zu können. Dementsprechend werden die Termini ›Erinnerungspolitik‹ und ›Geschichtspolitik‹ bisweilen sehr unterschiedlich definiert. Im vorliegenden Aufsatz soll indessen unter ›Geschichtspolitik‹ in Anlehnung an die Überlegungen des Historikers Edgar Wolfrum ein »Handlungs- und Politikfeld« verstanden werden, »auf dem verschie-dene Akteure Geschichte mit ihren spezifischen Interessen befrachten und politisch zu nutzen versuchen« um legitimierende, mobilisierende skandalisierende oder diffamierende Wirkungen zu erzielen (Wolfrum 1999, S. 25f.). In ähnlicher Weise hat Michael Kohlstruck aus politikwissenschaftlicher Perspektive den Begriff ›Erin-nerungspolitik‹ definiert, die »das strategische Operieren mit Geschichtsdeutungen zur Legitimierung politischer Projekte« (Kohlstruck 2004a, S. 176) bezeichnet. Die hier synonym gebrauchten Kategorien ›Geschichtspolitik‹ und ›Erinnerungspolitik‹ sind somit auf den Begriff ›Erinnerungsort‹ (vgl. François 2001; ebenso den Beitrag von Langebach/Sturm in diesem Band) bezogen, allerdings nicht deckungsgleich. ›Geschichtspolitik‹ fungiert demnach gewissermaßen als ›Werkzeug‹ beziehungs-weise als ›Baustein‹ im Konstruktionsprozess von ›Erinnerungsorten‹.

Im Folgenden soll es desweiteren darum gehen, die Spezifika extrem rechter Geschichtskonstruktionen sowie die daran geknüpften geschichtspolitischen Stra-tegien genauer zu beschreiben. Zunächst erscheint es notwendig, den hier bislang recht pauschal genutzten verallgemeinernden Arbeitsbegriff ›extreme Rechte‹ zu präzisieren und auszudifferenzieren. Welche unterschiedlichen Strömungen kennzeichnen dieses Spektrum? Lassen sich Unterschiede und Gemeinsamkei-ten im Hinblick auf deren jeweilige Deutungs- und Aneignungspraktiken von ›Geschichte‹ erkennen? In einem zweiten Schritt soll der Versuch unternommen werden, zentrale Bestandteile eines Geschichtsverständnisses herauszuarbeiten, das in mehr oder weniger ausgeprägter Form von allen Strömungen der extremen Rechten geteilt wird. Ausgangspunkt hierfür bildet die schon im Zusammenhang mit der eingangs zitierten Rede von Claus Cremer getroffene Feststellung, dass deren Kernnarrative über Jahrzehnte hinweg weitgehend unverändert geblieben sind. So prägen die bereits für das antidemokratische Denken der Zwischenkriegszeit cha-rakteristischen Kategorien und mythologisch aufgeladenen Schlüsselbegriffe wie ›Volk‹, ›Gemeinschaft‹, ›Nation‹, ›Organismus‹ und ›Entscheidung‹ (vgl. Sontheimer 1962, S. 307), ganz wesentlich die Wahrnehmungshorizonte und Deutungsmuster eines extrem rechten Kollektivgedächtnisses. Der dritte Abschnitt des Beitrags widmet sich den Themen und voneinander abgrenzbaren Konjunkturen sowie den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und Resonanzräumen extrem rechter

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Geschichtspolitik nach 1945. Denn obgleich sich deren Vorstöße und Narrative zu keinem Zeitpunkt in Politik, Gesellschaft und Wissenschaft als hegemoniale oder breit akzeptierte Deutungsmuster durchsetzen konnten, beeinflussten sie sehr wohl die Erinnerungskulturen der Bundesrepublik.

1 Zwischen Selbstvergewisserung und Mobilisierung – ›Geschichte‹ und ›Erinnerung‹ als Politikfelder der extremen Rechten

Die extreme Rechte in Deutschland lässt sich im Hinblick auf deren geschichts-politische Strategien und Argumentationsmuster idealtypisch in drei Strömungen ausdifferenzieren. Zum einen existiert ein unverhohlen neonazistisches Spekt-rum, dem sowohl die so genannten Freien Kameradschaften (beziehungsweise die Autonomen Nationalisten), als auch die NPD mit ihrer Jugendorganisation, Junge Nationaldemokraten, zugerechnet werden können. Obgleich sich die NPD in Sachsen oder Mecklenburg-Vorpommern als seriöse parlamentarische Kraft zu präsentieren versucht, ist der Neonazismus vor allem durch seinen vor- und außerparlamentarischen Aktivismus gekennzeichnet, der weltanschaulich in »fundamentaloppositionellen« geschichtspolitischen Positionen zum Ausdruck kommt (vgl. Kohlstruck 2004b). Zum neonazistischen Spektrum zählen des Wei-teren Splitterparteien wie Die Rechte oder Der Dritte Weg.

Eine weitere Strömung, die Geschichte in spezifischer Weise zu Legitimations-zwecken nutzt, bilden die vor allem theorieorientierten Netzwerke, die oftmals analytisch unpräzise als ›Neue Rechte‹ bezeichnet werden und sich im Umfeld von Zeitschriftenprojekten wie etwa der Jungen Freiheit, der Sezession oder der Blauen Narzisse, so genannten ›Denkfabriken‹ wie beispielsweise dem Institut für Staatspolitik, aber auch in Teilen des verbindungsstudentischen Milieus und am rechten Rand der Vertriebenenverbände herausgebildet haben.

Vergleichsweise weniger stark ausgeprägte historische Referenzen weisen hingegen die Argumentationsmuster rechtspopulistischer Organisationen und Parteien auf – zu nennen sind hier etwa die Bürgerbewegung pro NRW oder die Bürgerbewegung pro Deutschland, aber auch zahlreiche Islamfeindliche Blogs und Internetseiten, die in oftmals schriller Rhetorik die Wehrhaftigkeit des ›christlichen Abendlandes‹ gegenüber einer vermeintlich drohenden ›Islamisierung‹ beschwören. Unverkenn-bar hantiert jedoch auch dieses Spektrum der extremen Rechten mit historischen Bezügen, die im Neonazismus ebenso wie und unter den Protagonistinnen und Protagonisten der ›Neuen Rechten‹ gebräuchlich sind.

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Ohnehin ist festzustellen, dass die hier vorgenommenen und von den Vertrete-rinnen und Vertretern der einzelnen Strömungen oftmals selbst behaupteten Ab-grenzungen in der politischen Realität durch vielfältige personelle, organisatorische und strukturelle Überschneidungen relativiert werden. Zudem existieren zahlreiche, teilweise traditionsreiche extrem rechte Verlage, die sich nicht eindeutig einem der genannten Spektren zuordnen lassen und gleichsam als ›strömungsübergreifende‹ geschichtspolitisches Foren und Multiplikatorinnen und Multiplikatoren fungieren. Zu nennen sind hier exemplarisch der 1952 gegründete Druffel-Verlag oder der seit 1953 bestehende Tübinger Grabert Verlag ebenso wie die Gesellschaft für freie Publizistik, die sich selbst als Bindeglied im gesamten ›nationalen Lager‹ begreift (vgl. Renner 2010, S. 11). Diese Feststellung gilt auch für die sich in Deutschland seit 2012 mit ostentativem Aktivismus inszenierende Identitäre Bewegung mit ihrer überschaubaren Zahl an Anhängerinnen und Anhängern, die augenscheinlich re-lativ essentialistisch auf unterschiedliche weltanschauliche Argumentationsmuster, historische Topoi und dramaturgische Ausdrucksformen aus dem gesamten Fundus der extremen Rechten zurückgreifen.

1.1 Völkische Selbstvergewisserung – Der Gebrauch von ›Geschichte‹ im Neonazismus

Der neonazistische Gebrauch von ›Geschichte‹ ist stark durch den aktivistischen Gestus geprägt, der die politischen Inszenierungspraktiken der NPD, der Jungen Nationaldemokraten und vor allem der Freien Kameradschaften einschließlich der aus diesem Spektrum hervorgegangenen militanten Kleinstparteien Die Rechte und Der Dritte Weg kennzeichnet. Dazu zählen die kontinuierlichen nicht zuletzt geschichtspolitischen Provokationen der NPD in den Landtagen von Sachsen (2004-2014) und Mecklenburg-Vorpommern (seit 2007). Zentrale Bedeutung kommt aber besonders ›straßenpolitischen‹ Aktionen, wie Demonstrationen, Kundgebungen und Mahnwachen zu. Als außerordentlich mobilisierungsfähig erweisen sich demnach Aufmärsche, die inhaltlich historische Themen aufgreifen (vgl. Virchow 2006). Zwischen 1995 und 2004 waren es vor allem die Demonstrationen gegen die so genannten ›Wehrmachtsausstellungen‹ des Hamburger Instituts für Sozi-alforschung, die regelmäßig hunderte, in München im März 1997 5.000, in Berlin im Dezember 2001 mehr als 3.000 Aktivistinnen und Aktivisten der extremen Rechten auf die Straße brachten.

Seit Mitte der 1990er Jahre avancierten Aufmärsche anlässlich der Jahrestage der Bombardierungen deutscher Städte während des Zweiten Weltkriegs zu festen Terminen im Demonstrationskalender neonazistischer Gruppen (vgl. den Beitrag

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von Martin C. Winter in diesem Band). Die um den 13. Februar stattfindenden so genannten ›Trauermärsche‹ in Dresden entwickelten sich in den vergangenen Jahren zu den größten Neonazi-›Events‹ in Europa mit teilweise über 5.000 Teil-nehmerinnen und Teilnehmern. Die massiven Gegenproteste haben jedoch seit 2012 zu einem deutlichen Rückgang der Teilnehmendenzahl beziehungsweise sogar zur Absage der in der extremen Rechten europaweit beworbenen Veranstaltungen in der sächsischen Landeshauptstadt geführt. Das bedeutet jedoch nicht, dass der Luftkrieg als ›Erinnerungsort‹ der extremen Rechten an Bedeutung verloren hat. So marschierten am 17. Januar 2014 rund 700 Neonazis unter dem Motto »Ehren-haftes Gedenken statt Anpassung an den Zeitgeist« durch Magdeburg. Auch an anderen Orten, wie beispielsweise in Pforzheim, Augsburg und Würzburg führten Neonazis wiederholt, wenn auch in wesentlich kleineren Rahmen, ähnliche ›Trau-erveranstaltungen‹ durch.

Einen weiteren geschichtspolitischen Mobilisierungstermin der extremen Rechten bilden die seit 2006 jeweils Anfang August im niedersächsischen Bad Nenndorf stattfindenden Gedenkmärsche für die Opfer eines zwischen 1945 und 1947 bestehenden Verhörzentrums des britischen Militärgeheimdienstes (vgl. Anhalt/Holz 2011), in dem mutmaßliche oder tatsächliche Mittäter und Funk-tionseliten des NS-Regimes interniert und teilweise misshandelt worden waren. Ein ähnlicher Demonstrationsanlass bietet sich zudem gegen Ende des Jahres in Remagen (Rheinland-Pfalz). Dort finden seit 2009 meist im November regelmäßig Aufmärsche statt, mit denen der deutschen Opfer der in der Region am Ende des Zweiten Weltkriegs von den Alliierten errichteten Kriegsgefangenenlager, den so genannten ›Rheinwiesenlagern‹ gedacht werden soll (vgl. zu beiden ›Erinnerungs-orten‹ den Beitrag von Barbara Manthe in diesem Band).

Referenzpunkte für straßenpolitische Aktionen bilden ferner historische Figuren und Ereignisse, die einen direkten Bezug zur extremen Rechten in der Zwischen-kriegszeit oder zum Nationalsozialismus aufweisen. Über Jahre hinweg fanden etwa im oberfränkischen Wunsiedel regelmäßig im August »Gedenkmärsche« für den in der Kleinstadt beigesetzten, als »Friedensflieger« verklärten und 1988 im Spandauer Kriegsverbrechergefängnis verstorbenen Hitler-Stellvertreter Rudolf Hess statt, an denen sich bis zu 5.000 Aktivistinnen und Aktivisten beteiligten (vgl. Dörfler/Klärner 2004), die ähnlich wie in Dresden auch aus dem europäi-schen Ausland anreisten. Durch die Auflösung des Grabes im Juli 2011 sowie die seit 2005 erfolgreich erlassenen Demonstrationsverbote hat der Ort zwar seine Bedeutung im extrem rechten Demonstrationskalender verloren. Der Mythos um Rudolf Hess besteht jedoch gleichwohl fort (vgl. den Beitrag von Maica Vierkant in diesem Band). Seinen Ausdruck findet er beispielsweise in einem umfangreichen Angebot einschlägiger Devotionalien, apologetischer Literatur und verherrlichen-

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der Musikstücke aus dem Bereich des RechtsRock (vgl. Vierkant 2008; Kohlstruck 2003, S. 109; Flad 2002).

Daneben fanden und finden in verschiedenen Regionen Deutschlands häufig konspirativ und ausschließlich szeneintern beworbene Aufmärsche zum Gedenken an den als »Märtyrer« der SA verklärten im Februar 1929 ums Leben gekommenen Horst Wessel (vgl. Siemens 2009) und andere so genannte ›Blutzeugen der Bewe-gung‹ statt, wie etwa den im Mai 1923 durch die französische Armee hingerichteten Freikorpsaktivisten Albert Leo Schlageter (vgl. Zwicker 2006). Die im August 2012 verbotene Kameradschaft Hamm berichtete anlässlich einer klandestin durchge-führten Gedenkveranstaltung für Horst Wessel im Februar 2012:

»Der 23. Februar ist seit Jahrzehnten für das anständige Deutschland ein Tag des Gedenkens. An diesem Tag wird jenen Menschen gedacht, die ermordet wurden, weil sie anders waren. Es waren jene deutschen Menschen, die sich zu ihrem Deutschtum und zu ihrer nationalen Weltanschauung bekannten. Zunächst wurden an die Teil-nehmer der Veranstaltung Zettel ausgeteilt mit Namen und kurzen Lebensläufen von Blutzeugen der Bewegung aus Westfalen und dem Rheinland. Jeder der Teilnehmer las einen solchen Zettel vor« (Kameradschaft Hamm 2012).

Aus dem Bericht wird ersichtlich, mit welchen Motiven die Protagonistinnen und Protagonisten der aktionsorientierten extremen Rechten auf Geschichte zurückgrei-fen. Hier, wie auch bei den geschichtspolitischen Provokationen in den Parlamenten besteht die Intention der Akteurinnen und Akteure kaum darin, Außenstehende oder größere Teile der Bevölkerung von den eigenen historischen Sichtweisen und Deutungsmustern zu überzeugen. Vielmehr geht es darum, Geschichtspolitik in eigener Sache zu betreiben. Die Versuche, gemeinsame historische Referenzfiguren und -ereignisse zu konstruieren, dienen der Selbstvergewisserung und gleichsam als ›emotionaler‹ Kitt einer immer wieder zu erneuernden Gruppenidentität. Geschichte erscheint in diesem Kontext vorwiegend als Leidens- und Märtyrer-Geschichte, die die heutigen Angehörigen der extremen Rechten in die Pflicht nehmen soll. Sie prägt »eine militante Subkultur, die das Gefühl der Rache nährt, Ansprüche rechtfertigt und leidenschaftlich Vergeltung fordert« (Erb 2011, S. 289). Dieser Deutungsrahmen freilich ist keineswegs neu. Der Nationalsozialismus beispielsweise war von Beginn an bemüht, gegenüber seinen Anhängerinnen und Anhänger sowie Aktivistinnen und Aktivisten durch die Mythologisierung der »Blutzeugen« der Bewegung den Absolutheitsanspruch seiner Weltanschauung zu unterstreichen.

In geradezu klassischer Weise manifestiert sich dieser Anspruch im Hitlerju-gend-Lied »Ein junges Volk steht auf«, das bis heute zum Repertoire neonazistischer Gruppen gehört: »Vor uns marschieren mit sturmzerfetzten Fahnen/die toten Helden der jungen Nation/und über uns die Heldenahnen/Deutschland, Vaterland wir

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kommen schon!« (vgl. Reisinger 2007; Stoverock 2013, S. 559). Eine immer wieder genutzte Form des Selbststilisierung, die auch in der zitierten Passage des Liedes aufscheint, stellen die Bemühungen dar, nicht nur an die besungenen ›Helden‹ zu erinnern, sondern sich gleichsam als Wiedergänger beziehungsweise als ›Rein-karnation‹ jener derart verklärten Referenzfiguren zu inszenieren. Dies geschieht etwa, wenn der langjährige NPD-Aktivist Ralph Tegethoff in seiner Ansprache während des ›Trauermarsches‹ in Remagen im November 2013 eine historische Kontinuitätslinie zieht, die bei den 300 Spartanern beginnt, die 480 v. Chr. an den Termopylen »Europa und die Art unserer Menschen zu leben« vor der persischen Eroberung verteidigt hätten, über die pathetische Schilderung des Kampfes von 300 deutschen Marineartilleristen gegen die Invasionstruppen der Alliierten im Juni 1944 in der Normandie reicht und mit der selbstreferentiellen Huldigung der 300 »volkstreuen« Aufmarschteilnehmerinnen und -teilnehmer endet, denen er attestiert »für die Ehre unseres Volkes« und das »Andenken an unsere Soldaten« einzutreten (Video Trauermarsch in Remagen 2013).

1.2 Geschichtspolitik als ›Kulturkampf‹ – Die ›Neue Rechte‹

Einen anderen, weniger aktivistischen Ansatz verfolgen die Netzwerke der ›Neuen Rechten‹. Diese hinsichtlich ihrer Akteurinnen und Akteure und ideologischen Po-sitionen äußerst heterogene Strömung propagiert im Gegensatz zum Neonazismus nicht den ›Kampf um die Straße‹ und strebt auch nicht primär den Einzug in die Parlamente an. Den Vertreterinnen und Vertretern der ›Neuen Rechten‹ geht es vielmehr darum, ihre Positionen in gesellschaftlichen und politischen Diskursen zu verankern. Erringung der ›Kulturellen Hegemonie‹ lautet die strategische Ausrich-tung in selektiver Aneignung der Überlegungen des kommunistischen italienischen Theoretikers Antonio Gramsci (1891-1937). Der Gebrauch von Geschichte und ge-schichtspolitischen Argumentationsmustern bezweckt somit weniger, tagespolitisch ausgerichtete populistische Thesen zu formulieren, sondern meinungsbildend auf die intellektuellen und politischen Eliten der ›Mitte‹ zu wirken, gleichzeitig aber auch im Spektrum der extremen Rechten die Diskurse mitzuprägen. Maßgebliches Ziel ist die Konstruktion einer »identifikationsfähigen Nationalgeschichte« (Ruoff 2001, S. 88), die auf dem Mythos einer ethnisch und kulturell ›homogen‹ imaginier-ten Nation als historischer »Schicksalsgemeinschaft« basiert (Pechel 2007, S. 113).

Die ›Neue Rechte‹ fungiert demnach gewissermaßen als »Scharnier« und agiert in einem beweglichen Zwischenbereich zwischen Rechtskonservatismus und Rechtsextremismus (Gessenharter 1996, S. 559). Bei allen Differenzierungen

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ist dieses Spektrum durch ein Bündel jeweils ähnlicher Haltungen, historischer Grundannahmen und ideologischer Bezugspunkte gekennzeichnet.

Beobachten lässt sich beispielsweise eine weitgehende Distanzierung vom his-torischen Nationalsozialismus. Apologetische Aussagen zu einzelnen Aspekten des ›Dritten Reich‹ sind zwar in den Texten der ›Neuen Rechten‹ immer wieder festzustellen, insgesamt repräsentieren diese jedoch nicht deren zentrale geschichts-politische Intentionen. Ähnliches gilt für den Umgang mit den präzedenzlosen Verbrechen des Nationalsozialismus. Obgleich diese häufig durch historische Vergleiche oder das Aufrechnen mit den deutschen Opfern des Zweiten Weltkriegs relativiert werden, gehen die Vordenker der ›Neuen Rechten‹ in Deutschland größtenteils auf Distanz zu den Thesen unverhohlener Shoah-Leugnerinnen und -Leugner und ihrer Zitierkartelle.

Gleichwohl wird beispielsweise in der Jungen Freiheit regelmäßig gegen die straf-rechtliche Sanktionierung der Shoah-Leugnung in der Bundesrepublik polemisiert, in der ein »totalitäres Rechtsverständnis« zum Ausdruck komme, das die »politische Entmündigung« der Bürgerinnen und Bürger bezwecke, um ein »deutschfeindliches« Geschichtsbild zu etablieren (Klein-Hartlage 2012, S. 18). In dieser Argumentation des Junge Freiheit-Autors Manfred Kleine-Hartlage zeigt sich exemplarisch ein zentraler Wesenszug des Geschichtsverständnisses der ›Neuen Rechten‹. In ver-schwörungsideologischer Diktion wird die Existenz eines geschichtspolitischen Masterplans unterstellt, der darauf abziele »Geschichte als eine des Fortschritts hin zu einer One World zu schreiben«, um so auch »die Widerstände gegen muslimische Masseneinwanderung neutralisieren« (Klein-Hartlage 2012, S. 18) zu können. Dies geschehe durch den in Deutschland zelebrierten »Schuldkult«, den »Schuldstolz«, die »Schuldgefangenschaft« (Lehnert 2012, S. 13) sowie durch die Logik einer »masochistischen Selbsterniedrigung« (Klein-Hartlage 2012, S. 18). Als Urheber dieser Strategie werden wahlweise die »EU«, die »politisch-mediale Klasse« oder »linke Einflussnahme« (Weißmann 2012, S. 1) identifiziert. Obgleich die meisten Autorinnen und Autoren der ›Neuen Rechten‹ anders als die Protagonistinnen und Protagonisten der Shoah-Leugnung nicht die Verbrechen in Auschwitz selbst ins Zentrum ihrer Veröffentlichungen rücken, sondern vor allem den gegenwärtigen erinnerungskulturellen »Diskurs um Auschwitz« (Ruoff 2001, S. 148), der gleichsam als eine gegen die deutsche Nation gerichtete Machtstrategie erscheint, werden deren Wurzeln auf noch viel weiter zurückliegende Entwicklungen zurückgeführt.

Den Ausgangspunkt für den in ›neu-rechten‹ Verlautbarungen allenthalben beklagten Niedergang und die Zerstörung angeblich ursprünglicher, organisch gewachsener Gemeinschaften, bilden demnach die universalistischen menschen- und bürgerrechtlichen Postulate der Aufklärung, der Französischen und der Ame-rikanischen Revolution. Gegen das Fortschrittsdenken, die Zukunftsorientierung

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und den Rationalismus der Aufklärung, die, so wird unterstellt, zu Werteverfall und »Nihilismus« geführt haben, beschwören die Vordenker der ›Neuen Rechten‹ die Wirkmächtigkeit historischer Mythen. Erik Lehnert und Karlheinz Weißmann konstatieren ganz in diesem Sinne im Vorwort des jüngst erschienen vierten Ban-des des von ihnen herausgegebenen »Staatspolitischen Handbuchs« einen sich vollziehenden Prozess des »Heimatverlustes«. Damit einher gehe eine »Entortung des Menschen«, die nicht zuletzt durch die »Entfremdung« von der Geschichte der eigenen Gemeinschaft, die immer eine »historisch gewachsene Schicksalsgemein-schaft« darstelle, gekennzeichnet sei. Als Gegenentwurf postulieren Lehnert und Weißmann in geradezu paradigmatischer Weise die Rückbesinnung auf Erinne-rungsorte – freilich nicht in analytischer, sondern in affirmativ-identitätsstiftender Perspektive:

»Da heute die Bedrohung durch den Nihilismus so mächtig geworden ist, bedarf es einer politischen Wiederverwurzelung, einer Einpflanzung des geschichtlichen Sinnes in die Seelen. Dazu bietet sich der Mythos an, der ohne Ort aber im luftleeren Raum bleibt. Es muss daher um den mythischen Ort gehen, an dem die geschichtlichen Mythen konkret werden« (Lehnert 2014, S. 8).

Die diesem hochgradig kulturpessimistisch aufgeladene Geschichtsverständnis zugrundeliegenden Ideologeme und Wahrnehmungsmuster sind indessen keines-wegs neu. Sie rekurrieren auf die Ideenwelt der Deutschen Romantik, vor allem aber auf die Vertreter des ›Neuen Nationalismus‹ beziehungsweise der so genannten ›Konservativen Revolution‹ der Zwischenkriegszeit, die gegen das als »dekadent« denunzierte demokratische System sowie die zunehmend plurale Gesellschaft der Weimarer Republik mit nahezu identischen geschichtspolitischen Argumentations-mustern polemisierten (vgl. Sontheimer 1962, Breuer 1993) und die aufgrund ihrer zentralen Bedeutung, die sie als Referenzfiguren für die ›Neue Rechte‹ einnehmen, selbst als ›Erinnerungsort‹ bezeichnet werden können (vgl. den Beitrag von Volker Weiss in diesem Band). Autoren wie Arthur Moeller van den Bruck, Oswald Speng-ler, Ottmar Spann, Ernst Jünger oder Carl Schmitt propagierten in Abgrenzung zur bürgerlich-liberalen Weltanschauung durchweg autoritäre demokratieferne Staats- und Gemeinschaftsmodelle. In diese ideologiegeschichtliche Traditionslinie fügen sich nunmehr die Positionen der ›Neuen Rechten‹, die vielfach von einer Mythologisierung des Staates als gleichsam überhistorische Instanz ebenso geprägt sind, wie von einem ausgeprägten Freund-Feind-Denken sowie einem statischen Kulturverständnis, das als Schlüsselkategorie zur Konstruktion homogenisieren-der ›Wir‹- und ›Sie‹-Gruppen firmiert. In dieser verschleiernd-euphemistisch als Ethnopluralismus bezeichneten Sichtweise erscheinen ›Völker‹ vor allem durch vermeintlich spezifische ›Kulturen‹ geprägt, die es jeweils als eigenständige En-

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titäten zu erhalten und vor ›Überfremdung‹ zu schützen gelte (vgl. Speit 1999, Gessenharter 2004).

Diese Deutungsmuster werden mit dem Verweis auf ›Geschichte‹ begründet und wirken wiederum auf das Geschichtsverständnis der ›Neuen Rechten‹ zurück. Deren Vertreterinnen und Vertreter begreifen ihre geschichtspolitischen Vorstöße demnach als Teil eines auf verschiedenen Ebenen geführten ›Kulturkampfes‹ gegen den angeblich vor allem durch die 68er Bewegung und deren Nachfolgerinnen und Nachfolger geprägten ›Zeitgeist‹ der ›political correctness‹, der sich beispielsweise in den an vielen Orten aufflammenden Diskussionen um die Umbenennung von Straßen, die demokratiefernen Protagonistinnen und Protagonisten oder Weg-bereiterinnen und Wegbereitern des Nationalsozialismus gewidmet sind zeige. Die Junge Freiheit hob etwa auf dem Höhepunkt der Debatte um den vormaligen Hindenburgplatz in Münster im September 2012 das Konterfei des früheren Reichspräsidenten auf die Titelseite und sprach von einer »Großen Säuberung […] unserer Straßennamen«, die sie als »Geschichtsklitterung« charakterisierte (Junge Freiheit 2012, S. 1). Rolf Stolz stilisierte die Umbenennungsdiskussionen in der gleichen Zeitung sogar zu einer Gefährdung für das Überleben Deutschlands, werde hier doch durch »Blockwart-Spießer« und »Denunziationsbegeisterte« mit »wahrhaft faschistoider Demagogie gegen den Mehrheitswillen der Bürger« (Stolz 2012, S. 14) zu Felde gezogen.

1.3 »Kreuzzugsrhetorik« – historische Bezüge im Rechtspopulismus

In ähnlicher Weise inszenieren sich rechtspopulistische Gruppen und Parteien als vermeintliche ›Tabubrecher‹ im Kampf gegen eine mit negativen Assoziatio-nen aufgeladene ›political correctness‹, der in durchgängig abwertender Rhetorik gleichsam autoritäre und diktatorische Eigenschaften zugeschrieben werden (vgl. Auer 2002). In Anlehnung an Oliver Geden lässt sich Rechtspopulismus als ein Setting von Positionen definieren, die anders als der Neonazismus nicht von einem biologistisch geprägten Volksgemeinschafts- und ›Rassen‹begriff ausgehen, sondern ähnlich wie die ›Neue Rechte‹ vornehmlich mit einem kulturalisierten Rassismus argumentieren, der aktuell vor allem antimuslimisch und antiziganistisch konno-tiert ist. Rechtspopulistische Parteien und Gruppierungen streben nicht ostentativ die Beseitigung des demokratischen Systems an. Gleichwohl denunzieren sie die repräsentative Parteiendemokratie als notorisch durch die politischen und kul-turellen Eliten korrumpiert, wobei sie sich selbst zu vermeintlich authentischen

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Interessenvertreterinnen und -vertreter einer angenommenen »schweigenden Mehrheit« stilisieren (vgl. Geden 2007, S. 9).

In den Argumentationsmustern spielen historische Verweise auf den ersten Blick eher eine geringere Rolle. Rechtspopulistinnen und -populisten beziehen sich kaum auf historische Referenzfiguren, um ihre Positionen zu legitimieren. Zudem verzichten sie in der Regel darauf, die eigenen Politikentwürfe mit einer mythologischen Aura und dem Gestus historischer Schicksalhaftigkeit zu versehen. Ohnehin bilden geschichtspolitische Themen nicht die zentralen Agitationsfelder des Rechtspopulismus. Gleichwohl nutzen auch rechtspopulistische Strömungen explizit oder implizit historische Bezüge – indem etwa in ihren Verlautbarungen der Islam zu einem »neuen Faschismus« avanciert und zivilgesellschaftliche Akteurinnen und Akteure, die sich gegen Rechtsextremismus und Rassismus engagieren, als »rote SA« oder »rote Nazis« diffamiert werden (vgl. Wilke 2014, S. 79). Unverkennbar ist hier die Intention, den Nationalsozialismus und dessen präzedenzlose Verbrechen durch die Herstellung unangemessener Analogien zu relativeren. In einem Aufruf zu einer Demonstration am 9. November 2013 in Duisburg, die sich »Gegen Asyl-missbrauch und Armutseinwanderung« richtete, distanzierte sich pro NRW zwar in scheinbar kritischer Bezugnahme auf den 75. Jahrestag der Pogromnacht vom 9. November 1938 von »jede(r) Form der Verherrlichung von national-sozialistischem Gedankengut«. Der Nationalsozialismus mutierte hier jedoch ausschließlich zu einer Variante des Sozialismus, was etwa in dem Postulat zum Ausdruck kam, dass »nie wieder auf deutschem Boden eine Diktatur entstehen« dürfe, »ganz gleich ob durch die Sozialisten oder die Kommunisten« (pro NRW 2013).

Insgesamt ist die geschichtspolitische Rhetorik des Rechtspopulismus von einer für alle Strömungen der extremen Rechten charakteristischen Schlussstrichmenta-lität, offenkundigen Verharmlosungstendenzen und verschwörungsideologischen Annahmen geprägt, die regelmäßig den Topos von der angeblich aufgezwungenen Vergangenheitsbewältigung bemühen, die dazu diene Deutschland fortwährend zu schaden. Ganz im Sinne dieses Deutungsmusters hatte Judith Wolter, Man-datsträgerin der Bürgerbewegung pro Köln e. V. im Rat der Stadt Köln seit 2004 bereits im Jahr 2003 in der NPD-Parteizeitung Deutsche Stimme erklärt: »Wir müssen lernen, wieder aufrecht zu gehen, und dürfen uns nicht ständig für Dinge entschuldigen, die lange vor unserer Geburt passiert sind« (Deutsche Stimme 2003). Dementsprechend bezieht sich pro NRW immer wieder positiv auf vermeintliche ›Tabubrecher‹, die mit zugespitzten, teilweise antisemitisch konnotierten Polemiken gegen die angeblich ›einseitige‹ Erinnerungskultur in der Bundesrepublik zwei-felhafte Publizität erzielten. So stilisierte etwa pro NRW Generalsekretär Markus Wiener die früheren CDU-Bundestagsabgeordneten Martin Hohmann und Henry Nietzsche zu Opfern einer angeblichen »Vergangenheitsfixierung der Altparteien«

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(Pro NRW 2010). Nietzsche, nach seinem Parteiaustritt im Jahr 2006 Mitbegründer der rechtspopulistischen Bürgerbewegung pro Sachsen, soll unter anderem in der für die extreme Rechte charakteristischen Diktion vor einem »Schuldkult« beim Umgang mit der NS-Vergangenheit in Deutschland gewarnt haben (vgl. Burger 2006). Hohmann wiederum hatte in seiner Ansprache zum Tag der Deutschen Einheit am 3. Oktober 2003 die Frage aufgeworfen, ob die ›Juden‹ aufgrund ihrer angeblichen Rolle während der Oktoberrevolution 1917 und in der Zeit des Stali-nismus als »Tätervolk« bezeichnet werden könnten. Eine Auffassung, die von der Unionsspitze verurteilt wurde und schließlich zum Parteiausschluss des langjähri-gen Bundestagsabgeordneten aus Fulda führte (vgl. Benz 2004, S. 155ff.). pro NRW hingegen feierte die beiden als »Dissidenten« und »Querdenker«, die »weder bei der CDU noch bei der SPD erlaubt« seien (pro NRW 2010).

Gleichzeitig sind deren führende Funktionärinnen und Funktionäre bemüht, sich in der Öffentlichkeit vom »rechten Narrensaum« (so der pro NRW Vorsit-zende Markus Beisicht) zu distanzieren, um somit als Repräsentantinnen und Repräsentanten eines vermeintlich seriösen rechtskonservativen Lagers zu er-scheinen. In diesen Kontext ist die seit 2010 von pro NRW und pro Deutschland, aber auch von Vertreterinnen und Vertretern einer Reihe weiterer europäischer rechtspopulistischer Parteien zur Schau gestellte demonstrative Israel-Freund-schaft einzuordnen. Suggeriert werden soll hier die Abkehr von den antisemiti-schen Traditionen der ›alten‹ extremen Rechten. Doch auch in diesem Fall sind die eigentlichen Zielsetzungen schnell erkennbar. Demnach geht es weniger um eine kritische Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus in den politischen Kulturen in Deutschland und Europa als vielmehr um einen rein instrumentell motivierten (letztendlich vergeblichen) Versuch, Israel zu einem Bündnispartner gegen den Islam zu stilisieren. Der antimuslimische Rassismus bildet daher den weltanschaulichen ›Markenkern‹ des gegenwärtigen Rechtspopulismus, der durch vordergründige ›philosemitische‹ Argumentationsmuster weiter gefestigt werden soll. Dies geschieht nicht zuletzt durch den Gebrauch von Geschichte, wenn in zugespitzter Endzeit- und Kreuzzugsrhetorik (»Abendland in Christenhand«) der drohende Untergang des als homogene (ethnisch-kulturelle) Einheit gedachten christlichen Abendlandes angesichts einer vermeintlichen Islamisierung Europas beschworen wird (vgl. Klare 2012). Als historisches Schlüsselereignis taucht hier immer wieder die mythologisch verklärte Abwehr des osmanischen Heeres vor den Toren Wiens im Jahr 1683 auf – wovon etwa der Titel des islamfeindlichen Internetblogs Gates of Vienna kündet.