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EDITORIAL - dgop.org · Onkologische Pharmazie | 13. Jahrgang | Nr. 1/2011 | 3 Inhalt/Editorial Die Diagnose Krebs stellt auch heute noch eine Schock- und Ausnahme-situation für

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Onkologische Pharmazie | 13. Jahrgang | Nr. 1/2011 | 3

Inhalt/Editorial

Die Diagnose Krebs stellt auch heute

noch eine Schock- und Ausnahme-

situation für Betroffene dar. Ängste,

Unsicherheit und Ratlosigkeit zeich-

nen ihre Situation. Durch Presse,

Internet und Informationen aus dem Bekanntenkreis werden

Informationen gesammelt, leider nicht immer seriöse, nicht

immer wertfreie, nicht immer realistische Therapieempfehlun-

gen. Alternativmedizinische Verfahren wie die Homöopathie

werden oft als „natürlich“ und „sanft“ beschrieben. Doch die

Therapien können schwere Nebenwirkungen nach sich zie-

hen. Australische Kinderärzte meldeten hier sogar mehrere

Todesfälle [Arch Dis Child doi:10.1136/adc.2010.183152].

Symptome besser kontrollieren, Beschwerden lindern und

Lebensqualität verbessern, sind die erklärten Ziele der Kom-

plementärmedizin. Viele dieser Behandlungen sind jedoch ge-

genwärtig noch durch eine nicht ausreichend belegte klinische

Wirksamkeit und eine vielfach nicht geprüfte Sicherheit gekenn-

zeichnet. Um den großen Bedarf nach verlässlichen Informati-

onen zu Wirksamkeit und Sicherheit von KAM (Komplementäre

und alternative Therapie) für Fachkreise und Betroffenen zu

decken, gibt es bundesweit bislang drei Lehrstühle für Natur-

heilkunde (Rostock, Duisburg-Essen, Berlin), eine Professur für

Homöopathie (Charité Berlin), eine Gastprofessur für Ayurve-

da (Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder)) und das

Universitäts-Klinikum Frankfurt baut als erstes onkologisches

Spitzenzentrum den Bereich Komplementäre Onkologie aus.

Wenn bis über 90% der Patienten mit Tumorerkrankungen

neben der konventionellen Therapie noch KAM-Methoden,

also pharmakologische Substanzen mit potenziell hohem

Interaktionspotential, anwenden, ist eine intensive Beschäf-

tigung mit dieser Thematik auch für den Apotheker vor Ort

dringend erforderlich.

Sie, liebe Leser, finden deshalb in der heutigen Ausgabe der

„Onkologischen Pharmazie“ neben aktuellen Kongressberich-

ten viel Interessantes zur Thematik „Komplementäre Pharma-

zie“. Die Typisierung von Krebspatienten und Rezensionen

relevanter Bücher verleiten sicher auch Sie zu einer Vertiefung

der Thematik und einer Intensivierung Ihrer pharmazeutischen

Betreuung. Und achten Sie in den nächsten Wochen auf unsere

bundesweit erscheinende Sonderausgabe zur DGOP-Initiative

„Orale Zytostatika – sicher und effektiv“.

Ihre Karla Domagk

13. Jahrgang · Nr. 1/2011

Ständige Rubriken

Testiertes interaktives Selbststudium 7

Impressum 28

Who is who 29

Die besten Websites 59

ED

ITO

RIA

L

Inhalt

Interaktionen mit small molecules – worauf ist zu achten? 4

Essentielle Spurenelemente in der Betreuung von Tumorpatienten 8

„Es fehlt der politische Wille, Quacksalberei zu unterbinden“ 13

Alternativmedizin: Etliche gute Ansätze und viel Fragwürdiges 16

Danke ARTE! 18

Musiktherapie in der Onkologie 22

Amerikanischer Hämatologiekongress (ASH) 2010 30

Moderne Verfahren der Mammarekonstruktion 34

Wie lassen sich Krebspatienten motivieren? Versuch einer Typologie 42

Immunthrombozytopenie (ITP): Romiplostim ist effektiver als bisherige Standardtherapien 48

Supportivtherapie in der Onkologie: Was gibt es Neues? 50

Diagnose Krebs – pflegen, umhüllen, schützen: Pflege in der Onkologie 54

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Interaktionen mit small molecules

4 | Onkologische Pharmazie | 13. Jahrgang | Nr. 1/2011

1. Einführung

Die Frage nach dem Einsatz von Nahrungs-ergänzungsmitteln während einer Chemo- oder Strahlentherapie wird von Patienten häufig gestellt. Die Bedenken gegen den Gebrauch von Phytotherapeutika und Nah-rungsergänzungsmitteln beziehen sich zum einen auf eine direkte Wirkungsabschwä-chung durch die antioxidative Wirkung, die damit potentiell einen Schutz der Tumor-zelle vor der Einwirkung des Zytostatikums bedeutet. Zum anderen gibt es Hinweise auf einen direkten Schutz vor der Apoptose zum Beispiel durch Vitamin C. Spätestens seit der Veröffentlichung über die Interak-tionen von Johanniskraut und Irinotecan wissen wir, dass die parallele Anwendung von Phytotherapeutika und anderen Sub-stanzen über Interaktionen zu Problemen führen kann. Der Metabolismus über das Cytochrom P450- System ist nur ein Beispiel (Tab. 1), das wir allerdings auch in der kon-ventionellen (supportiven) Therapie beachten sollten (Tab. 2).

Bei den small molecules ist die Datenlage noch sehr eingeschränkt. Hier sind zahl-reiche Interaktionen denkbar, die nicht nur auf den Cytochrommechanismus beschränkt

Interaktionen mit small molecules – worauf ist zu achten?

Von Jutta Hübner, Frankfurt/Main

Nach Befragungen von Patienten mit Tumorerkrankungen wenden 20 bis über 90% neben der konventionellen Therapie noch Methoden der sogenannten komplemen-

tären und alternativen Therapierichtungen (KAM = Komplementäre und alternative Therapie) an. Wie es sich genau bei Patienten verhält, die eine Therapie mit einem Me-dikament aus der Gruppe der small molecules erhalten, wissen wir nicht. Seit der Entdeckung der Wechselwirkungen von Johanniskraut mit Irinotecan rückt die Sorge vor Interaktionen in den Fokus. Woher stammt unser Wissen über diese Interak-tionen und wie können wir dieses Wissen fundiert im klinischen Alltag nutzen?Eine aktuelle US-amerikanischen Untersuchung zeigt, dass 82% der Patienten in Phase-I-Studien parallel pharmakologische Substanzen aus der Komplementärmedizin nutzen, meistens Nahrungssupplemente und Phytotherapeutika, also Substanzen mit einem ho-hen Interaktionspotential. Die Frage nach der Beeinflussung von Studienergebnissen ist offen und auch eine Phase-III-Studie mit 2 balancierten Armen kann vor einem Einfluss nicht schützen, da es denkbar ist, dass nur die Medikation in einem Arm beeinflusst wird.

sind (Kasten). Die eigentlichen Vorteile der small molecules, wie lange Einnahmezeit, selbständig durchführbare Medikamenten-einnahme, seltenere Arztkontakte können in diesem Kontext durchaus zum Nachteil werden. Durch die langen Therapiezeiten dürfte das Bedürfnis des Patienten nach einer parallelen komplementären Therapie eher zunehmen. Gegen einige der neuen Nebenwirkungen der small molecules hat auch die konventionelle supportive Therapie bisher kein befriedigendes Therapieangebot (Bsp.: Fatigue). Auch dies ist ein Faktor, der gerade bei langfristig erfolgreicher Therapie dazu beitragen wird, dass die Anwenderrate für KAM steigt.

2. Präklinische Daten

Im Folgenden werden die heute bekannten Interaktionen von Komplementären Subs-tanzen und small molecules in einer Über-sicht zusammengefasst.

ErlotinibCatechine aus Grünem Tee, insbesonde-re das EGCG (Epigallocatechin-3-gallat) wirken stark antioxidativ. Zu EGCG und grünem Tee gibt es eine Reihe von präkli-

nischen und klinischen Untersuchungen, die die Wirkung in der Prävention und auch therapeutische Ansätze beschreiben. EGCG und Erlotinib wirken synergistisch bezüglich der Inhibition am EGFR (1-3).

In vitro-Experimente zeigen, dass Geni-stein zu einer signifikanten Verstärkung des wachstumshemmenden Effektes von Erloti-nib auf Pankreaskarzinomzellen führt. Die Herabregulation von Akt, NFkappaB und

Bexaroten, Bortezomib, Busulfan, Ciclosporin, Cisplatin, Cyclophospha-mid, Cytarabin, Dasatinib, Doceta-xel, Doxorubicin, Erlotinib, Etoposid, Exemestan, Fulvestrant, Gefitinib, Ifosfamid, Imatinib, Irinotecan , Me-droxy-Progesteronacetat, Paclitaxel, Sorafenib, Sunitinib, Tacrolimus, Tam-oxifen, Tagretin, Tenoposid, Tipifanib, Topotecan, Vinblastin, Vincristin, Vindesin, Vincaalkaloide, Vinorelbin, 9-cis-Retinolsäure.

• Inhibition: Allicin, Baldrian, Berbe-rin (Gelbwurzel), Boswelllia , Capsai-cin, Curcumin, EGCG, Echinacin, Flavonoide, Flor essence, Gammali-nolensäure, Genistein, Gingko, Gin-seng, Grapefruitsaft, Kamille, Kava Kava, Silymarin, Naringin, PC-SPES, Quercetin (kurzfristig), Tangeritin, Traubenkernöl, Uncaria tormentosa,

• Induktion: Carotin, Echinacin, Gly-cyrrhiza glabra, Gingko, Ginseng, Grapefruitsaft, Ingwer, Johannis-kraut, Kava Kava, Knoblauch, Lak-ritz, Quercetin (langfristig), Retinol, Rutin, Vitamin C (Männer), Vitamin E,

Tab. 1: Interaktionen von komplementären Substanzen an CYP 450 3A4

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Interaktionen mit small molecules

Onkologische Pharmazie | 13. Jahrgang | Nr. 1/2011 | 5

Survivin wurde deutlich verstärkt. Dies gilt jedoch nicht für alle Tumorzelllinien (4).

ThalidomidCurcumin potenziert den apoptotischen Ef-fekt von Thalidomid und Bortezomib durch Herabregulierung von NFkappaB und Akt sowie VEGF (5).

BortezomibDiätetische Flavonoide (EGCG, Querce-tin und Myricetin) aber auch andere Anti-oxidantien wie Vitamin C inhibieren in vitro die Wirkung von Bortezomib auf CLL- und Myelomzellen durch eine direkte chemische Reaktion mit der Borgruppe in Bortezomib (6 - 8).

Obwohl Resveratrol auch ein Antioxidans ist, wurden synergistische zytotoxische Effekte mit der Kombination von Dexa-

methason, Fludarabin und Bortezomib bei Zellen des Morbus Waldenström gefunden (9). Auch für EGCG gibt es erste Hinweise, dass auch synergistische Wirkungen mög-lich sind.

RapamycinBei Zellen einer B-CLL wirkt die Kombi-nation von Rapamycin und Curcumin syner-gistisch in der Auslösung der Apoptose (10).

HistondeacetylaseinhbitorenEine Reihe von sekundären Pflanzenstoffen hemmen die Histondeacetylase. Hierzu ge-hören Curcumin und Isothiocyanate. Bisher liegen keine Publikationen zu Synergien oder Antagonsimen vor.

3. Klinische Daten

Bisher gibt es keine klinischen Daten, die uns zuverlässige Aussagen zu Interaktionen erlauben. Viele Patienten nehmen Phytothe-rapeutika und andere sekundäre Pflanzen-stoffe in der Hoffnung auf einen verbesserten Heilungserfolg ein. Medienberichte über die antitumorale Wirkung dieser pflanzlichen Stoffe fördern dieses Verhalten. Auch erste Daten zu einer Verminderung von Neben-wirkungen sind wenig hilfreich, solange wir keine Ergebnisse zum Einfluss auf den The-rapieerfolg, also zu den Endpunkten disease free und overall survival haben. Umgekehrt können wir davon ausgehen, dass eine den Patienten unterstützende Therapie, die dazu beiträgt, Nebenwirkungen zu kontrollieren und Eigenverantwortung zu ermöglichen, die Compliance verbessert und damit auch zum langfristigen Therapieerfolg beiträgt.Wie wichtig es ist, neben der unmittel-baren supportiven Wirkung auch auf den Endpunkt Überleben zu achten, zeigt das Beispiel Glutamin. In zahlreichen Untersu-chungen konnte gezeigt werden, dass Glu-tamin unterschiedliche Nebenwirkungen von Chemo- und Strahlentherapie verbes-sert. Bedenken bestehen, da Glutamin in vitro zu einem verstärkten Wachstum der Tumorzellen führen kann. In einer rando-misiert doppelblind kontrollierten Studie erhielten Patienten mit autologer Stamm-zelltransplantation prophylaktisch parenteral Glutamin (0,5 g/kg) oder eine standardi-sierte parenterale Ernährung. Das disease

free survival war schlechter (p = 0,04) (11). In einer Metaanalyse zum Einsatz in der Stammzelltransplantation schlussfolgern Crowther et al., dass vielleicht ein Trend zu weniger Nebenwirkungen besteht und dass das Risiko für eine graft versus host disease reduziert wird (RR=0,42, 95% CI 0,21-0,85), dass aber das Risiko für einen Rückfall ansteigt (RR=2,91, 95% CI 1,34-6,29) (12).

Die ersten Publikationen zu EGCG und Bortezomib haben dazu geführt, dass Pati-enten vom Konsum von grünem Tee abge-raten wurde. Bedenkt man, dass auch andere Tees Flavonoide und die meisten Säfte An-tioxidantien in Form von natürlichen und zugesetzten Vitaminen enthalten, so wird deutlich, wie diffizil eine vernünftige auch an Realitäten und der Lebensqualität des Patienten orientierte Entscheidung und Be-ratung des Patienten ist. Allein auf präklini-schen Daten lassen sich keine zuverlässigen Empfehlungen aufbauen.

4. Empfehlungen für die Beratung in der Praxis

In der Praxis ist eine offene Aussprache mit dem Patienten zum Thema komplementäre Therapie hilfreich. Weder die alles verbie-tende Haltung noch ein liberaler laissez-faire Ansatz werden beim Patienten das Vertrauen wecken, sich mit seinen Fragen an den Arzt zu wenden. Da viele Patienten während einer oralen Therapie nur in größeren Abständen vom Arzt gesehen werden, ist es sinnvoll, die Arzthelferinnen in den onkologischen Schwerpunktpraxen und Ambulanzen für das Thema zu sensibilisieren.

Die Kooperation zwischen Arzt und Phar-mazeut sollte auf diesem schwierigen Ge-biet enger werden. Auch hierzu gibt es neue Modelle, wie zum Beispiel die gemeinsame Visite oder die pharmazeutische Beratung des Patienten in der Apotheke.

Im Zweifelsfall gilt bei einer für den Pati-enten lebenswichtigen Therapie, dass die Sicherheit vorgeht und dass eher eine kom-plementäre Substanz weggelassen werden sollte. Die meisten Patienten werden bei

• Amiodaron, Amprenavir, Aprepitant,

• Ciclosporin, Cimetidin, Ciprofloxa-cin, Clarithromycin,

• Delaviridin, Desogestrel, Dihydraba-zin, Diltiazem, Doxycyclin,

• Efavirenz., Ethinylestradiol, Erythro-mycin,

• Fluconazol, Fluoxetin, Fluvoxamin,

• HIV-Protease-Inhibitoren,

• Indinavir, Isoniazid, Itraconazol,

• Ketoconazol,

• Lopinavir,

• Makrolide (außer Azithromycin), Methylprednisolon, Micanazol,

• Nefazodon, Nelfinavir, Nifedipin, Nitrendipin,

• Paroxetin, Posaconazol,

• Quetiapin, Quinepristin/Dalfopris-tin,

• Reboxetin, Reglisse (Süßholz), Ri-tonavir, Roxitromycin,

• Saquinavir, Sertralin,

• Triazolantimykotika,

• Valproinsäure, Venlafaxin, Verapa-mil, Vigabantrin, Voriconazol

Tab. 2: Mögliche interagierende konventioneller Therapeutika (Inhibition)

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Interaktionen mit small molecules

6 | Onkologische Pharmazie | 13. Jahrgang | Nr. 1/2011

einer guten Erklärung der Zusammenhänge eine hohe Compliance zeigen.

Es ist zu überlegen, ob bei Patienten mit einem unerwartet ungenügenden Anspre-chen oder Verlust einer Remission beson-ders intensiv nach einer komplementären Therapie gefragt werden sollte, insbesondere dann, wenn zum Beispiel ein zu niedriger Medikamentenspiegel trotz berichteter guter Compliance vorliegt.

5. Empfehlungen für Studien

In Studien, insbesondere in Zulassungs-studien, müssen Interaktionen mit hoher Sicherheit vermieden werden. Auf der an-deren Seite darf das Studiensetting von der späteren Behandlungsrealität durch zuneh-mende Einschränkungen der Ernährung und weitere Faktoren des Lebensstils auch nicht zu weit abweichen, da wir sonst keine für die reale Therapiesituation relevanten Studienaussagen erhalten. Mögen erhebli-che Einschränkungen noch in einem auch zeitlich enger begrenzten Studiensetting bei einem ausgewählten Kollektiv möglich sein, so ist dies bei der späteren breiten Anwen-dung nicht durchführbar. Aus diesem Grund müssen die notwendigen Beschränkungen auch in der Studie auf ihre Sinnhaftigkeit überprüft werden. Statt kurzfristig auf Ein-zelpublikationen zu reagieren, sollte ein Gesamtkonzept und damit ein Verständnis der zugrundeliegenden Mechanismen die Erstellung der Prüfarzt- und Patientenin-formation leiten.

Sinnvoll könnte es sein, in Studien Patienten regelmäßig zum parallelen Gebrauch von komplementären Substanzen zu befragen und gleichzeitig eine zentrale Auswertung zu ermöglichen. Damit könnte es gelingen, relevante Interaktionen zu erfassen insbe-sondere, wenn in der Studie pharmakoki-netische Daten erfasst werden.

6. Fazit

Das Wissen um mögliche Interaktionen steigt ständig. Welche relevant sind und

welche nicht, muss in der Zukunft schnel-ler bestimmt werden. Hierfür bedarf es der Entwicklung neuer Studienkonzepte.

Ein rationaler Umgang mit der Thematik, der die Sicherheit und Lebensqualität unse-rer Tumorpatienten gleichermaßen im Auge hat, scheint dringend erforderlich.

Patienten sollten möglichst umfassend zu ihrem Nutzerverhalten befragt und ggf. be-raten werden.

Die Sicherheit der Patienten geht vor. Dies bedeutet, dass bei Vorliegen von experi-mentellen Daten zu Interaktionen Vorsicht oberstes Gebot ist. Eine realisierbare Mög-lichkeit wäre ein Verbot der Substanz als (hochdosiertes) Präparat und die Genehmi-gung von moderatem Verzehr in Form des Lebensmittels. Dies wäre auch eine Option für Studienprotokolle.

Ggf. ist es hilfreich, sich für die eigene Pra-xis eine Liste an komplementären Metho-den (evtl. aus dem nicht pharmakologischen Bereich) zu erarbeiten, die aktiv empfoh-len werden und damit das Bedürfnis des Patienten nach einer eigenverantwortlich durchführbaren natürlichen Therapie aktiv zu unterstützen.

Literatur

1. Zhang X et al.: Synergistic inhibition of head and neck tumor growth by green tea (-)-epi-gallocatechin-3-gallate and EGFR tyrosine kinase inhibitor. Int J Cancer, 2008; 123(5): 1005-14

Mögliche Interaktionen von KAM-Substanzen und small molecules:

• Resorption

• Chemische Interaktion

• Interaktionen am target oder downstream

• Direkte Inhibition der Apoptose

• Metabolismus

· Cytochrom P 450 ...

2. Amin AR et al.: Synergistic growth inhibition of squamous cell carcinoma of the head and neck by erlotinib and epigallocatechin-3-gallate: the role of p53-dependent inhibition of nuclear factor-kappaB. Cancer Prev. Res.(Phila Pa) 2.6 (2009): 538-45.

3. Milligan SA et al.: The green tea polyphenol EGCG potentiates the antiproliferative activity of c-Met and epidermal growth factor receptor inhibitors in non-small cell lung cancer cells. Clin.Cancer Res. 15.15 (2009): 4885-94.

4. El-Rayes BF et al.: Potentiation of the effect of erlotinib by genistein in pancreatic cancer. Cancer Res. 2006 Nov 1, 66(21): 10553-9

5. Sung B. et al.: Curcumin circumvents chemo-resistance in vitro and potentiates the effect of thalidomide and bortezomib against hu-man multiple myeloma in nude mice model. Mol. Cancer Ther. 8.4 (2009): 959-70.

6. Liu FT et al.: Dietary flavonoids inhibit the an-ti-cancer effects of the proteasome inhibitor Bortezomib. Blood, 2008 Nov 1;112(9):3540-1 Jul 16

7. Llobet D et al.: Antioxidants block proteaso-me inhibitor function in endometrial carcino-ma cells. Anticancer Drugs, 2008 Feb;19(2): 115-24

8. Perrone G et al.: Ascorbic acid inhibits antitu-mor activity of bortezomib in vivo. Leukemia 23.9 (2009): 1679-86.

9. Roccaro AM et al.: Resveratrol exerts antip-roliferative activity and induces apoptosis in Waldenström’s macroglobulinemia. Clin Cancer Res. 2008 Mar 15;14(6): 1849-58

10. Hayun R et al.: Rapamycin and curcumin in-duce apoptosis in primary resting B chronic lymphocytic leukemia cells. Leuk.Lymphoma 50.4 (2009): 625-32.

11. Sykorova A et al.: A randomized, double blind comparative study of prophylactic parenteral nutritional support with or without glutamine in autologous stem cell transplantation for hematological malignancies -- three years’ follow-up. Neoplasma 52.6 (2005): 476-82.

12. Crowther M, Avenell A and Culligan DJ: Syste-matic review and meta-analyses of studies of glutamine supplementation in haematopoi-etic stem cell transplantation. Bone Marrow Transplant. 44.7 (2009): 413-25.

Autorin:

Dr. Jutta HübnerLeiterin Palliativmedizin am UCT desUniversitätsklinikums Frankfurt/Main

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Interaktionen mit small molecules

Onkologische Pharmazie | 13. Jahrgang | Nr. 1/2011 | 7

Fragen für das testierte interaktive Selbststudium DGOP I/2011

Interaktionen mit small molecules – worauf ist zu achten?

Nach der Beantwortung der Fragen zu vorangegangenem Artikel in der „Onkologischen Pharmazie“ und der Ergänzung der erforder lichen Angaben können Sie den gekennzeichneten Bereich der Zeitung ausschneiden oder kopieren und an nachfolgende Fax-Nummer der DGOP faxen. Auch mehrere Antworten können richtig sein. Beim Selbststudium wünschen wir viel Erfolg!Per Fax: +49-40-79 14 03 02

Ich versichere hiermit, dass ich den o.g. Artikel gelesen und die Fragen persönlich beantwortet habe. Zum Zweck der Erreichung von Fortbildungspunkten für „Testiertes interaktives Selbststudium DGOP“ bitte ich um die Registrierung meiner Zusendung bei der DGOP und die Übermittlung der erreichten Punktzahl.

Unterschrift:Datum:

Name:

Einrichtung:

Straße:

PLZ/Ort:

Vorname:

Testiertes interaktives Selbststudium – DGOP 2011

Interaktionen mit small molecules – worauf ist zu achten?(Onkologische Pharmazie Nr. 1/2011)

Meine Antwort (X) lautet bei:

Frage 1: A B C D

Frage 2: A B C D

Frage 3: A B C D

Frage 4: A B C D

Richtige Antworten zum Beitrag: „Persönliche Schutzausrüstung – Eine elementare Barriere zum Schutz der Gesundheit beim Umgang mit CMR-Arzneimitteln“in “Onkologische Pharmazie” Heft III/10

Frage 1: B; Frage 2: C; Frage 3: D; Frage 4: A

1. Welche Aussage zum Einsatz von komplementären Mit-teln in der Onkologie ist korrekt?

A. Komplementäre Mittel unterstützen durch antioxidative Wir-kungen den Effekt der Chemotherapie an der Tumorzelle.

B. Vitamin C kann Zellen vor der Apoptose schützen.

C. Johanniskraut gehört zu den pflanzlichen Mitteln mit einem geringen Interaktionspotential.

D. Interaktionen sind nur in der komplementären jedoch nicht in der konventionellen supportiven Therapie möglich.

2. Welche Aussage bzgl. möglicher Interaktionen von Bor-tezomib ist korrekt?

A. Bei Bortezomib kann es am Borsäureanteil des Moleküls zu direkten chemischen Wechselwirkungen kommen.

B. Resveratrol wirkt in vitro antagonistisch mit Bortezomib-haltigen Therapieschemata.

C. Für EGCG wurden klinische Beweise für die synergisti-sche Wirkung gefunden.

D. Vitamin D antagonisiert die Wirkung von Bortezomib.

3. Welche Aussage zum Einsatz von Glutamin ist richtig?

A. Glutamin ist ein empfehlenswertes supportives Thera-peutikum.

B. Glutamin führt nach klinischen Daten zu einem erhöhten Rückfallrisiko nach Stammzelltransplantation.

C. Bei einer klinischen Studie zur supportiven Therapie ist der Nachweis der Verminderung von Nebenwirkungen der antitumoralen Therapie ausreichend, um das Mittel zu empfehlen.

D. Es gibt keine Möglichkeiten, in klinischen Studien die Frage möglicher Interaktionen anhand klinischer Parame-ter zu klären.

4. Welche Aussage zu potentiellen Interaktionen in der Onkologie ist richtig?

A. Die Resorption spielt bei den Interaktionen keine Rolle.

B. Eine direkte Apoptosehemmung wurde bisher noch nicht nachgewiesen.

C. Das wesentliche Enzym für Interaktionen beim Metabo-lismus von Arzneistoffen ist CYP 450 2D6.

D. Das wesentliche Enzym für Interaktionen beim Metabo-lismus von Arzneistoffen ist CYP 450 3A4.

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8 | Onkologische Pharmazie | 13. Jahrgang | Nr. 1/2011

Essentielle Spurenelemente in der Betreuung von Tumorpatienten

Spurenelemente

Die gebräuchlichste der heutigen Defini-tionen zum Terminus Spurenelemente be-sagt, dass hierunter all jene Elemente erfasst werden, die einen Anteil von weniger als 0,01% an der Körpermasse haben. Diese Definition bezieht sich eindeutig auf das System Lebewesen.

Spurenelemente sind abzugrenzen von den Mengenelementen und den Ultraspurenele-menten. Der Begriff der Essentialität ist im Zusammenhang mit den Spurenelementen von besonderer Bedeutung und orientiert sich an folgenden Kriterien: Das Spurenelement ist in allen gesunden

Geweben regelmäßig nachzuweisen, wo-bei die Gewebskonzentrationen zwischen verschiedenen Spezies in derselben Grö-ßenordnung liegen sollen.

Der Entzug des Elementes ruft Mangel-erscheinungen hervor.

Diese können durch Zugabe des Elemen-tes geheilt werden.

Die Mangelerscheinungen sollen auf mo-lekularer Ebene bestimmten biochemi-schen Veränderungen zuzuordnen sein.

Das Spurenelement muss in physiolo-gischen Mengen in normaler Nahrung vorhanden sein.

Tab. 1 fasst die heute anerkannten essenti-ellen Spurenelemente zusammen.

Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung hat in ihren Statements zur täglich notwen-digen Aufnahme der einzelnen Spurenele-mente Stellung genommen, die die prin-

Essentielle Spurenelemente in der Betreuung von Tumorpatienten

Von Jens Büntzel, Ralph Mücke, Klaus Kisters und Oliver Micke

Im Folgenden soll auf die Bedeutung der einzelnen essentiellen Spurenelemente für onkologische Patienten eingegangen werden. Im Vordergrund der Betrachtung stehen

dabei die mögliche Bedeutung der einzelnen Stoffe für die Therapie von Tumorpatienten, nur stichpunktartig wird auf pathophysiologische Aspekte eingegangen.

zipielle Grundlage für jede enterale oder parenterale Substitution darstellt (Tab. 2).

Selen

Selen kann zur Radioprotektion bei Patien-tinnen mit gynäkologischen Tumoren ein-gesetzt werden, die sich einer Bestrahlung des Abdomens aussetzen müssen. In Dosen von 1.000 µg peroralem Natriumselenit pro Bestrahlungstag wurde eine signifikante Senkung der Diarrhoen in einer kontrol-lierten Untersuchung gesehen.

Ebenfalls einen, wenn auch begrenzten, radioprotektiven Effekt konnte eine klei-nere kontrollierte Untersuchung für Kopf-Hals-Tumorpatienten unter Bestrahlung nachweisen. In der Selenitgruppe war

ein quantitativ und qualitativ geringerer Schaden an der Schmeckwahrnehmung zu beobachten, andererseits war die Dys-phagie als komplexe Nebenwirkung der Bestrahlung im Kopf-Hals-Bereich bei den Patienten der Radioprotektionsgruppe im Trend vermindert.

Umstritten ist derzeit der Einsatz von Se-lenpräparaten zur Chemoprävention, d.h. der Vermeidung von Zweittumoren. Zwar hat es in den 90iger Jahren entsprechende Mitteilungen gegeben, dass die Einnahme von etwa 200 µg Selen pro Tag einen gewis-sen Schutz gegenüber der Entwicklung von Malignomen bedeuten soll. Jedoch wurde in den vergangenen Monaten die größte ame-rikanische Untersuchung zur Chemoprä-vention abgebrochen, da sich in der Selen-gruppe eine höhere Mortalität auf Grund von neu aufgetretenen Nebenerkrankun-gen (Diabetes mellitus) ergeben hatte. Nach kritischer Analyse der SELECT-II-Daten und weiterer epidemiologischer Chemo-

Tab. 1: Übersicht über die wichtigsten Spurenelemente

Essentielle Spurenelemente

Möglicherweise essentielle Spurenelemente

Physiologisch unbedeutende Spurenelemente

Akzidentelle, toxische Spurenelemente

Chrom (Cr)

Eisen (Fe)

Jod (J)

Kobalt (Co)

Kupfer (Cu)

Mangan (Mn)

Molybdän (Mo)

Selen (Se)

Zink (Zn)

Aluminium (Al)

Beryllium (Be)

Fluor (F)

Lithium (Li)

Nickel (Ni)

Silizium (Si)

Vanadium (Va)

Barium (Ba)

Bor (B)

Gold (Au)

Platin (Pt)

Rubidium (Rb)

Silver (Ag)

Strontium (Sr)

Titan (Ti)

Wismut (Bi)

Yttrium (Y)

Zinn (Sn)

Arsen (As)

Blei (Pb)

Cadmium (Cd)

Quecksilber (Hg)

Thallium (Tl)

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Achtung: Zostex® nicht bei Patienten unter Zytostatika-Therapie anwenden! Kontraindikation für 5-Fluorouracil und dessen Derivate ( z. B. Capecitabin )

W A R N H I N W E I S E U N D V O R S I C H T S M A S S N A H M E N F Ü R D I E A N W E N D U N G

Zostex® und 5-Fluorouracil, einschließlich topisch anzuwendender 5-FU-Zubereitungen, oder 5-FU-Prodrugs (z. B. Capecitabin, Floxuridin, Tegafur) oder Kombinationsarzneimittel mit diesen Wirkstoffen oder andere 5-Fluoropyrimidine (z.B. Flucytosin) dürfen nicht zusammen verabreicht werden. Weiterhin muss zwischen einer Behandlung mit Zostex® und dem

Beginn einer Therapie mit 5-Fluoropyrimidin-haltigen Arzneimitteln ein zeitlicher Abstand von mindestens 4 Wochen eingehalten werden. Als eine zusätzliche Vorsichtsmaßnahme sollte bei Patienten, die vor kurzem Zostex® erhalten haben, die DPD-Enzymaktivität ermittelt werden, bevor die Behandlung mit einem 5-Fluoropyrimidin-haltigen Arzneimittel begonnen wird.

Zostex®. Wirkstoff: Brivudin. Zusammensetzung: 1 Tablette enthält: Brivudin 125 mg; sonstige Bestandteile: Mikrokristalline Cellulose, Lacto-se-Monohydrat, Povidon K 24-27, Magnesiumstearat (Ph. Eur.) [pfl anzlich]. Anwendungsgebiete: Frühzeitige Behandlung des akuten Herpes zoster bei immunkompetenten Erwachsenen. Gegenanzeigen: Überempfi ndlich-keit gegen Brivudin oder einen der sonstigen Bestandteile. Patienten unter Krebs-Chemotherapie, insbes. mit 5-Fluorouracil (5-FU), einschl. topisch anzu-wendender 5-FU-Zubereitungen, 5-FU-Prodrugs (z. B. Capecitabin, Floxuridin, Tegafur), Kombinationsarzneimitteln mit diesen Wirkstoff en oder anderen 5-Fluoropyrimidinen. Immunsupprimierte Patienten (z. B. Krebspatienten un-ter Chemotherapie, Patienten unter immunsuppressiver Therapie, Patienten mit schwerer systemischer Mykose unter Flucytosin-Therapie). Patienten un-ter 18 Jahren (nicht ausreichende Erfahrungen), Schwangere und Stillende. Nebenwirkungen: Häufi g Übelkeit. Gelegentlich Granulozytopenie, Eosino-

philie, Anämie, Lymphozytose, Monozytose, allergische Reaktionen (periphere Ödeme u. Ödeme der Zunge, Lippen, Augenlider, des Kehlkopfes und Ge-sichts, Pruritus, Hautausschlag, verstärktes Schwitzen, Husten, Dyspnoe, Bron-chokonstriktion), Appetitlosigkeit, Insomnie, Angststörung, Kopfschmerzen, Schwindel, Drehschwindel, Somnolenz, Parästhesie, Hypertonie, Erbrechen, Diarrhö, Dyspepsie, Bauchschmerzen, Flatulenz, Verstopfung, Fettleber, Erhö-hung der Leberenzyme, Asthenie, Müdigkeit, grippeähnliche Erkrankung (Un-wohlsein, Fieber, Schmerz, Schüttelfrost). Selten Thrombozytopenie, Halluzi-nationen, Verwirrtheitszustand, Geschmacksstörung, Tremor, Ohrschmerzen, Hypotonie, Hepatitis, Bilirubin im Blut erhöht, Knochenschmerzen. Häufi gkeit nicht bekannt Gleichgewichtsstörung, Vaskulitis, akutes Leberversagen, fi xes Exanthem, exfoliative Dermatitis, Erythema multiforme, Stevens-Johnson-Syn-drom. Warnhinweis: Zostex® und 5-Fluorouracil (5-FU), einschließlich topisch anzuwendender 5-FU-Zubereitungen, oder 5-FU-Prodrugs (z. B. Capecitabin,

Floxuridin, Tegafur) oder Kombinationsarzneimittel mit diesen Wirkstoff en oder andere 5-Fluoropyrimidine (z. B. Flucytosin) dürfen nicht zusammen verabreicht werden, da eine Akkumulation und erhöhte Toxizität von 5-FU oder anderen 5-Fluoropyrimidinen, inkl. tödlicher Fälle nach Markteinführung berichtet wurden. Weiterhin muss zwischen einer Behandlung mit Zostex® und dem Beginn einer Therapie mit 5-Fluoropyrimidin-haltigen Arzneimit-teln ein zeitlicher Abstand von mindestens 4 Wochen ein gehalten wer-den. Als eine zusätzliche Vorsichtsmaßnahme sollte bei Patienten, die vor Kurzem Zostex® erhalten haben, die DPD-Enzymaktivität ermittelt werden, bevor die Behandlung mit einem 5-Fluoropyrimidin-haltigen Arzneimittel begonnen wird. Enthält Lactose. Verschreibungsp� ichtig. Weitere Einzel-heiten enthalten die Fach- und Gebrauchsinformation, deren aufmerksame Durchsicht empfohlen wird. BERLIN-CHEMIE AG, 12489 Berlin (Stand: 09.10)

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Essentielle Spurenelemente in der Betreuung von Tumorpatienten

präventionsstudien muss man gegenwärtig empfehlen, dass derartige prophylaktische Einnahmen von Selen nur zur Korrektur des Selen-Vollblutspiegels durchgeführt werden sollten, der bei Werten zwischen 100 µg/dl und 140 µg/dl optimale Korrelationen zur verminderten Tumorwahrscheinlichkeit und einem hohen Überleben der Patienten zeigt. Ein Labormonitoring scheint für Patienten mit Langzeiteinnahmen von Selenpräpara-ten aus heutiger Sicht unabdingbar.

Zink

Es wird in letzter Zeit vermehrt darüber berichtet, dass Zink einen protektiven Effekt gegenüber viralen Infekten habe. Dieser aus der Naturheilkunde kommende Behand-lungsansatz findet immer häufiger Eingang auch in die Behandlung von Tumorpatien-ten, die durch ihr geschwächtes Immunsys-tem natürlich besonders empfänglich für Infektionen jeder Art sind.

Bekannt sind die positiven Effekte von Zink auf die Wundheilung. Auch wenn der phar-

makologische Ansatz bis heute unklar ist, so soll und darf er sowohl in der Behandlung oberflächlicher Wunden als auch eingeris-sener Mundwinkel oder langsam heilender Wunden nicht vergessen werden. Während in der Behandlung der offenen Wunde un-verändert die externe Anwendung von Zink-oxid-Salbe angezeigt ist, kann die Substi-tution von 25 bis 50 mg Zink peroral eine Wundheilung beschleunigen bzw. Rhagaden zur Abheilung bringen.

Im Rahmen der Strahlentherapie von Kopf-Hals-Tumorpatienten beobachtete man in den vergangenen Monaten wiederholt, dass die Substitution von Zink (25-50 mg/die) zu einer schnelleren Erholung des Schmeck-vermögens führte. Diese aus der Gustologie stammende Behandlungsoption muss über einen Zeitraum von mindestens etwa sechs Wochen durchgeführt werden, bevor man eine Aussage über ihrer Erfolgsaussichten treffen kann.

Gerade im Zusammenhang mit HNO-Tu-morpatienten sei aber auch an jene Arbeiten

aus den frühen 80iger Jahren erinnert, die unter einer Langzeiteinnahme von Zink bei Versuchstieren ein erhöhtes Risiko zu oralen Leukoplakien als Vorstufen des Mundhöhlenkarzinoms gesehen hatten. Aus diesem Grunde muss eine Langzeit-einnahme nur unter sehr strengen Kont-rollen erfolgen.

Eisen

Die Substitution von Eisen ist verbreitet, meist in der Absicht, eine bestehende An-ämie zu korrigieren. Vor jeder Überlegung zur Substitution sollte eine entsprechende Diagnostik des Eisenstatus des Patienten stehen, die als Hauptparameter das Ferritin, das Transferrin und ergänzend das Serum-Eisen enthalten sollte. Nur eine Situation der leeren Eisenspeicher rechtfertigt die Substitutionstherapie.

In der Diskussion ist die Form der Substitu-tion. Während von Patienten und einzelnen Therapeuten die orale Einnahme bevorzugt zu werden scheint, muss man ganz klar auch auf ihre Limitationen hinweisen. Zum ei-nen hat die enterale Resorption von Eisen eine begrenzte Kapazität, zum anderen sind heftige Nebenwirkungen mit Diarrhoen, Krampfbeschwerden und Phasen der Ob-stipation bekannt, die man insbesondere geschwächten Patienten ersparen kann. Die intravenöse Gabe von Eisen ist heute unter entsprechenden Vorsichtsmaßnahmen effek-tiv, sicher und länger andauernd.

Eine zunehmende Bedeutung kommt der Eisensubstitution in Zusammenhang mit der Gabe von Erythropoetin zu. Die aus-reichende Versorgung des Patienten mit Eisen ist Voraussetzung für eine optimale Wirksamkeit des Hormons, so dass vor je-der Dosissteigerung von Erythropoetin eine Optimierung des endogenen Eisenhaushal-tes vorgenommen worden sein sollte.

Tab. 2: Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) zur täglichen Aufnahme von Spurenelementen

Spurenelement Empfehlung für Kinder

(1.-4. Lebensjahr)

Empfehlung für Erwachsene

Selen 10-40 µg 30-70 µg

Zink 3 mg 7 mg / 10 mg (w/m)

Eisen 8 mg 15 mg / 10 mg (w/m)

Chrom 20-60 µg 30-100 µg

Kupfer 0,5-1,0 mg 1,0-1,5 mg

Molybdän 25-50 µg 50-100 µg

Mangan 1,0-1,5 mg 2,0-5,0 mg

Jod 100 µg 200 µg

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Onkologische Pharmazie | 13. Jahrgang | Nr. 1/2011 | 11

Essentielle Spurenelemente in der Betreuung von Tumorpatienten

Mangan

Mangan ist ein essentielles Spurenelement, dessen Bedeutung in der Onkologie eher an das Enzym der Mangan-Superoxid-Dismu-tase geknüpft zu sein scheint. Eine unzurei-chende Funktion dieses Enzyms ist z.B. für Patienten beschrieben, die eine ausgeprägte Neigung zur Ösophagitis unter Bestrahlung des Thorax neigen. Die Superoxid-Dismuta-se ist Bestandteil des körpereigenen Systems verschiedener Enzyme zum Abbau freier Radikale.

Eine therapeutische Wirkung von Mangan ist bisher für onkologische Patienten nicht beschrieben worden. Einzige Berichte gibt es bisher zur positiven Beeinflussung der Eo-sinophilie bei Patienten mit einem Asthma bronchiale und/oder einer vasomotorischen Rhinitis.

Kupfer

Es gibt keine therapeutischen Einsatzgebiete von Kupfer für Tumorpatienten. Jedoch ist die Messung und Beurteilung des Serum-Kupferwertes für Malignompatienten als Monitoring ihrer Tumorerkrankung von erheblicher Bedeutung. Die Zink/Kupfer Ratio gilt einigen Autoren als sehr sensib-les Instrument zur Verlaufbeobachtung maligner Erkrankungen. Am Beispiel von Kopf-Hals-Tumorpatienten konnten wir z.B. nachweisen, dass bis zu einem Zeit-punkt wenige Wochen vor dem Tod es eine Homöostase dieses Koeffizienten für den individuellen Patienten gab. Bricht diese Homöostase zusammen, so ist die palliative Situation des Patienten definitiv und kann durch keine Form der Substitution mehr sinnvoll beeinflusst werden.

Jod

Jodmangel und Jodexzess werden als Tumor-promotoren und Karzinogene der Schilddrü-se betrachtet. Tierexperimentelle Studien zeigen eine erhöhte Rate von Schilddrüsen-malignomen bei protrahiertem Jodmangel. Diese Daten lassen sich durch epidemiologi-sche Untersuchungen nicht durchweg stüt-zen. Insgesamt lässt sich jedoch festhalten,

dass eine ausreichende Jodversorgung zu einer Verschiebung in der relativen Häu-figkeit von Schilddrüsenkarzinomen (mit besserer Prognose!) und zu einer geringeren Strahlenbelastung der Schilddrüse im Falle eines radioaktiven Fallouts führt.

Einen chemopräventiven Effekt jodhaltiger Ernährung (Plankton) ist von japanischen Arbeitsgruppen im Hinblick auf die nied-rige Inzidenz von Mammakarzinomen in Fernost beschrieben worden. Diese These wird von tierexperimentellen Untersuchun-

In memoriam Prof. Dr. Manfred Anke

Unser Freund und Förderer Professor Manfred Anke ist tot. Ein Leben für die in-terdisziplinäre Forschung zu Spurenele-menten ist am Montag, den 27.12.2010 nach langer schwerer Krankheit zu Ende gegangen.

Manfred Anke wurde 1931 in Altenhain geboren, studierte Landwirtschaft an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Hier wurde er 1959 promoviert; er ha-bilitierte sich 1965 in Jena – jeweils zu Themen der Spurenelementanalyse.

Nach seiner Berufung zum außerordent-lichen Professor an der Universität Leip-zig organisierte er zwischen 1981 und 2006 den „Macro and Trace Element Workshop“, der in seinen frühen Jahren eine der wenigen internationalen Tagun-gen auf dem Boden der DDR darstellte.

Eine Vielzahl von Originalarbeiten, Über-sichten, Handbüchern und Monografien stammen aus der Feder von Manfred Anke. Er erhielt Preise und Ehrendok-torwürden mehrerer Universitäten und blieb dennoch ein Förderer junger Wis-senschaftler.

Manfred Anke bereicherte die Mee-tings unseres Arbeitskreises „Trace Elements & Electrolytes in Oncology“ (AKTE) durch kluge und temperament-volle Vorträge. Ein letztes Mal sah ich ihn wenige Tage vor dem Beginn seines langen Krankenlagers – es war zu meiner Antrittsvorlesung in Jena.

PD Dr. Jens Büntzel, Nordhausen

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12 | Onkologische Pharmazie | 13. Jahrgang | Nr. 1/2011

Essentielle Spurenelemente in der Betreuung von Tumorpatienten

gen gestützt, die bei Ratten mit Jodmangel eine Atrophie und Nekrose der Brustdrü-se und Zonen mit Dysplasie und Atypie zeigten.

Frühe statistische Arbeiten zeigten einen Zusammenhang zwischen Jodmangel und Magenkrebs. Epidemiologische Untersu-chungen aus Italien belegen eine Korrelati-on zwischen dem Auftreten von Strumen, Schilddrüsen- und Magenkrebs. Sowohl im Nord-Südvergleich als auch auf der Basis ernährungsmedizinischer Analysen wurde die Hypothese aufgestellt, dass Jodmangel ein Risikofaktor für Magenkrebs ist. Die Wirkung von Jod könnte auf seiner antioxi-dativen Wirkung beruhen und auf seinem Antagonismus gegen Jodinhibitoren, die als Risikofaktoren für Magenkrebs bekannt sind, wie Nitrate, Thiozyanate und Salz.

Chrom

Die Essentialität von Chrom (III) ist vor allem durch seine zentrale Stellung im Glu-kosetoleranzfaktor (GTF) gegeben, einem aminosäurehaltigen Chromkomplex, wel-cher als Kofaktor die Wirkung von Insulin verbessert. Ein Chrommangel kann über eine reversible Insulinresistenz zu einer ge-störten Kohlenhydrattoleranz bis zu einem schlecht einstellbaren (insulinpflichtigen) Diabetes mellitus führen.

Spezifisch onkologische Wirkungen sind bisher dem Spurenelement Chrom nur we-nige zugeschrieben worden. Es gibt erste Hinweise auf eine Hemmung proinflamm-atorischer Zytokine (TNF-alpha) durch erhöhte Chrom-III-Spiegel sowie auf eine Inhibition der Superoxiddismustase. Welche Bedeutung die positive Korrelation zwischen Serum-Chrom und Serum-Kupfer hat, ist bisher ebenfalls nicht geklärt.

Molybdän

Molybdän kommt in der Natur 2-, 3- und 6-wertig vor. Die Essentialität der hexa-valenten Form ist gekennzeichnet durch seine Präsenz im katalytischen Zentrum der f lavin- und eisenhaltigen Enzyme Xanthinoxidase/-dehydrogenase, Sulfit-oxidase und Aldehydoxidase. Zusätzlich scheint Molybdän eine Rolle in der Fluor-speicherung des menschlichen Körpers zu spielen. Molybdänmangelerscheinungen treten beim Menschen nur nach parenteraler Langzeiternährung oder bei genetisch be-dingtem Mangel an Molybdän-Kofaktor auf. Ein Molybdänmangel kann durch Blocka-de der o.g. Enzyme eine Unverträglichkeit gegenüber Alkohol und schwefelhaltigen Aminosäuren wie Cystein und Methionin bewirken. Ferner führt eine starke Hem-mung der alkalischen Phosphatase zu einer Osteoporose.

Kobalt

Die Essentialität des Elementes ergibt sich aus seiner zentralen Stellung im Vitamin B12 einerseits, andererseits ist es Kofaktor bei einigen wichtigen Enzymen (Zytochrom-oxidase, Urikase, Glukoquinase). Trotz seiner verschiedenen Ansatzpunkte gibt es bisher keine charakteristischen Beschrei-bungen für einen Kobaltmangel. Kobalt-ionen gelten als schwaches Mutagen, nicht jedoch als Karzinogen. Empfehlungen für eine chemopräventive Einnahme von Kobalt können nach der gegenwärtigen Datenlage nicht abgegeben werden.

Fazit für die Praxis

Nach gegenwärtigem Wissen scheinen Se-len, Zink, Eisen und Jod die essentiellen

Spurenelemente zu sein, die eine besondere Bedeutung in der Betreuung und Behand-lung onkologischer Patienten besitzen. Nicht ihre unkontrollierte Substitution, sondern der gezielte therapeutische Einsatz muss das Ziel aller an der Tumorbehandlung betei-ligten Disziplinen sein. Grundlage der Er-nährungsberatung sollten die Referenzwerte der Deutschen Gesellschaft für Ernährung sein. Abweichungen hiervon bedürfen einer abgesicherten Indikation mit entsprechender Verordnung.

Literatur: beim Verfasser

Autoren:

PD Dr. med. Jens Büntzel, Klinik für HNO-Erkrankungen, Südharz-Krankenhaus Nordhausen gGmbH;

Dr. med. Ralph Mücke, Klinik für Strahlentherapie, Klinikum Lemgo-Lippe;

Prof. Dr. med. Klaus Kisters, Klinik für Innere Medizin II, St Anna Hospital Herne;

PD Dr. med. Oliver Micke, Klinik für Strahlentherapie, Franziskus-Hospital Bielefeld, für den Arbeitskreis „Trace Elements and Electrolytes in Oncology“ (AKTE)

Kontaktadresse:

Priv.-Doz. Dr. med. Jens BüntzelSüdharz-Krankenhaus Nordhausen gGmbHDr.-Robert-Koch-Straße 3999734 Nordhausen/Thür.

E-Mail: [email protected]

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Interview

Onkologische Pharmazie | 13. Jahrgang | Nr. 1/2011 | 13

Onkologische Pharmazie: Sie gehören zu den Pionieren komplementärmedi-zinischer Patientenberatung. Wieso liegt Ihnen dieses Thema am Herzen?Prof. Karsten Münstedt: Es gibt ein enormes Defizit an seriöser Informa-tion zu diesem Thema. Es ist ja schon schlimm genug, dass halbgebildete „Heiler“ verzweifelte Patienten ausneh-men und möglicherweise sogar schädi-gen. Aber genauso skandalös finde ich es, dass die Krankenkassen immer häu-figer unsinnige Therapien bezahlen und dass die Politik diesem Treiben keinen Einhalt gebietet.

Das liegt vielleicht daran, dass man bei vielen Therapien ja nicht mit Si-cherheit sagen kann, dass sie nicht wirken.Es kann nicht sein, dass Experten mü-hevoll nachweisen müssen, dass etwas nicht wirkt. Es ist doch eine Selbstver-ständlichkeit, dass derjenige, der etwas behauptet, eine gewisse Evidenz da-für vorlegen muss. Hier gibt es haar-sträubende Beispiele, wie lange man irgendwelche Pseudomediziner gewäh-ren lässt.

An welche Beispiele denken Sie da?Ich denke da zum Beispiel an die Neue Germanische Medizin oder an die

„Es fehlt der politische Wille, Quacksalberei zu unterbinden“

Professor Karsten Münstedt ist Leiter der Komple-mentärmedizinischen Beratungsstelle der Uni-

versitäts-Frauenklinik Gießen. Im Gespräch macht er deutlich, dass im Bereich „Alternativer Therapien“ noch vieles im Argen liegt.

Geistheilung. Da werden in Deutsch-land jährlich wohl 120 Millionen Geist-heilungen durchgeführt, ohne dass dies irgendjemand kümmert. In einem Land, in dem man für fast alles einen Quali-fikationsnachweis führen muss, dürfen Pseudoheiler an kranken Menschen quasi herumexperimentieren, ohne dass sich jemand daran stört. Welche Kriterien muss denn eine komplementärmedizinische Metho-de erfüllen, die Sie empfehlen?Neben in vitro Daten müssen Studien an Menschen zumindest ernst zu neh-mende Hinweise ergeben haben, dass die Therapie wirkt. Ich empfehle zum Beispiel immer gerne Grünen Tee. Hier gibt es eine Fülle von in vitro Untersu-chungen, Daten zur Primär-, Sekundär- und Tertiärprophylaxe und außerdem klinische Studien, die eine Minderung des Rezidivrisikos beim Mamma- und Ovarialkarzinom wahrscheinlich ma-chen. Außerdem sind schädliche Wir-kungen nicht bekannt und niemand muss sich finanziell ruinieren, wenn er Tee kauft.

Und was halten Sie von Vitaminsup-plementen?Da bin ich skeptisch, denn bisher gibt es eigentlich noch gar keine Bedarfsanaly-

sen für Krebskranke, nur für Gesunde. Man sollte auch daran denken, dass es hier oft U-förmige Dosis-Wirkungs-Beziehungen gibt. Das macht eine Sub-stitutionsbehandlung in hohen Dosie-rungen fragwürdig.

Mit welchen Anliegen kommen denn Patientinnen in erster Linie in die komplementärmedizinische Beratung in Ihrer Frauenklinik?Erstaunlicherweise möchten viele in erster Linie eine genaue Aufklärung über ihre Krankheit und über die schul-medizinische Behandlung, die ihnen empfohlen wurde. Etliche Patienten suchen aber auch komplementärmedi-zinische Hilfe, um Nebenwirkungen der Chemo- oder Strahlentherapie besser zu bewältigen oder sie möchten eine zweite Meinung einholen, weil beispielsweise der Hausarzt Alternativtherapien wie Mistel propagiert. Wenn man dann aus-führlich mit den Patientinnen spricht, sehen sie die Schulmedizin oft gar nicht mehr so negativ. Hier können Schulme-diziner viel von der Komplementärme-dizin lernen. Wenn man Patienten mit Fürsorge auf der emotionalen Ebene anspricht, kann man die Notwendigkeit von Therapien viel besser vermitteln.

Das Gespräch mit Prof. Münstedt führ-te unser Redaktionsmitglied Dr. Sabine Thor-Wiedemann.

I N T E R V I E W

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14 | Onkologische Pharmazie | 13. Jahrgang | Nr. 1/2011

Buchbesprechung

KrebsAlternative Therapien medizinisch bewertet

Patientenratgeber

Prof. Dr. med. Karsten Münstedt | Petra Thienel

KrebsPatientenratgeber

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Prof. Dr. med. Karsten Münstedt | Petra Thienel

Die Zahl der Therapien, die Krebspatienten eine Heilung ohne

Operation, Chemotherapie oder Strahlenbehandlung versprechen,

hat in den letzten Jahren rapide zugenommen. Für den Laien ist

es unmöglich, die Spreu vom Weizen zu trennen – vor allem unter

dem Druck, dass er eine Fehlentscheidung eventuell nicht mehr

korrigieren kann.

In diesem Standardwerk liefern die Autoren eine Übersicht der

wichtigsten unkonventionellen Heilmethoden. Sie beschreiben

die zugrundeliegende Theorie, nennen Anwendungsbereiche,

Gegenanzeigen und Risiken und bewerten die therapeutische

Wirksamkeit – auf der Grundlage wissenschaftlicher Studien. Der

Leser bekommt damit ein Nachschlagewerk an die Hand, mit dem

er alternative Heilmethoden überprüfen und einschätzen kann.

200 alternative Heilmethoden: medizinisch bewertet

und übersichtlich aufgeführt

Die Grundregeln: Was ist bei alternativen Heilverfahren

zu beachten?

Sinnvolle Kombinationen: Welche alternativen

Heilmethoden können schulmedizinische Therapien

unterstützen?

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Was ist seriös in der komplementären The-rapie? Was hilft, was ist wirkungslos und was schadet sogar? Wer das beurteilen möchte, braucht Fachkompetenz – und Fleiß. Über beides verfügt das Autoren-team dieses Laienratgebers, der Mediziner Prof. Karsten Münstedt und die Apothekerin Petra Thienel. Zu fast 200 komplementär-medizinischen Verfahren von Akupunktur bis Zitronensäure haben die Autoren die wissenschaftliche Literatur ausgewertet bzw. das Fehlen entsprechender Studien registriert.

Nach einer kurzen Einführung, in der die grundsätzliche Problematik alternativer Verfahren (zum Beispiel die oft fehlende Evidenz) laienverständlich dargestellt wird, werden die verschiedenen Therapeutika und Methoden in die Kategorien „Therapien mit positiver Wirkung“, „Therapien mit nicht gesicherter Wirkung“ und „Therapien ohne Wirkung“ alphabetisch untergliedert. Jede Substanz und jedes Verfahren wird nach einer kurzen Einführung in das zugrunde liegende Konzept auf behauptete Indika-tionen, Gegenanzeigen und Risiken abge-klopft und am Ende bewertet. Die Autoren

Buchbesprechung

Von Sabine Thor-Wiedemann, Weingarten

nennen Ross und Reiter, das heißt, sie schrecken auch vor der Beurtei-lung von Handelsprodukten wie Es-beritox® oder Gelum® nicht zurück. Sie legen sich eindeutig fest – das gibt Patienten, aber auch Apothe-kern und Ärzten Orientierung.

Ein abschließendes Kapitel beschäf-tigt sich mit sinnvollen Kombinatio-nen komplementärer und schulme-dizinischer Methoden. Hier geht es um pragmatische Empfehlungen für Maßnahmen, die begleitend zur Che-mo-, Strahlen- oder Hormontherapie durchgeführt werden können und um Diätempfehlungen zur Prävention von Sekundärtumoren.

Da es sich um einen Laienratgeber handelt, ist das Fehlen eines Litera-turverzeichnisses vielleicht verzeih-lich. Leser mit entsprechendem fachlichem Hintergrund werden es aber vermissen, zumal sich die Suche nach Literatur über komplementärmedizinische Verfahren oft mühsam gestaltet.

Fazit: eine übersichtliche Bewertung von fast 200 komplementärmedizinischen Sub-stanzen und Methoden, die eine schnelle und fundierte Orientierung für Laien, Apo-theker und Ärzte ermöglicht.

Patientenratgeber Krebs

Alternative Therapien medizinisch bewertet

Karsten Münstedt/Petra Thienel

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16 | Onkologische Pharmazie | 13. Jahrgang | Nr. 1/2011

Wer sich in alternativmedizinische Laien-ratgeber oder in einschlägige Websites ver-tieft, kann es manchmal nicht fassen. Hier werden Behauptungen aufgestellt und Heils-versprechen gegeben, die keinerlei Überprü-fung standhalten. Sie sind teilweise völlig

Alternativmedizin: Etliche gute Ansätze und viel Fragwürdiges

Von Sabine Thor-Wiedemann

Unseriöse Anbieter bringen komplementäre Therapiemethoden in der Onkologie generell in Verruf. Hier hilft nur die Bewertung auch der komplementären Be-

handlungsansätze nach den Kriterien der evidenzbasierten Medizin.

frei erfunden, in anderen Fällen wird auf „Studien“ verwiesen, die die Wirksamkeit einer bestimmten Methode belegen sollen. Versucht man diese Behauptungen zu über-prüfen, lassen sich trotz großer Mühe keine Studien finden oder man trifft bei der Re-

cherche auf einzelne Erfahrungsberichte von Betroffenen oder Therapeuten bzw. auf „Studien“ an einer Handvoll Patienten, die keinem Kriterium evidenzbasierter Therapie entsprechen.

Zweifellos haben Patienten das Bedürfnis und das Recht, etwas zusätzlich zu ihrer schulmedizinischen Behandlung für ihr Wohlbefinden oder sogar für die Verbesse-

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Alternativmedizin: Etliche gute Ansätze und viel Fragwürdiges

Onkologische Pharmazie | 13. Jahrgang | Nr. 1/2011 | 17

Therapien mit positiver Wirkung Therapien mit nicht gesicherter Wirkung

Therapien ohne Wirkung

Akupunktur (z.B. bei Schmerzen) Hyperbare Oxyge-nation

Aktiv-spezifische Im-muntherapie (ASI)

Enzymtherapie (Nebenwirkungsma-nagement von Chemo- und Strahlen-therapie)

Coenzym Q 10 Amrit Kalash

Grüner Tee (als „Adjuvans“ bei Brust- und Eierstockkrebs)

Homöopathie Chelattherapie

Vitamin D („Nachbehandlung“ bei Dickdarm-, Prostata- und Brustkrebs)

Nonifrüchte Frischzellenbehand-lung

Chinesische Tragantwurzel (Stärkung der Immunabwehr)

Pollen-Apitherapie Ozontherapie

BCG-aktive Immunotherapie (bei ober-flächlichem Harnblasenkarzinom)

Mistel Pestwurz

Tabelle 1 Quelle: K.Münstedt, P.Thienel: Patientenratgeber Krebs, 2008

rung ihrer Heilungschancen zu tun. Es ist daher ein Skandal, dass sie mit nicht evi-denzbasierten Methoden getäuscht, finanzi-ell ausgenommen und schlimmstenfalls so-gar gesundheitlich gefährdet werden. Denn nicht selten raten selbsternannte Experten zum Absetzen wirksamer Therapien. Und auch die vermeintlich „sanften“ alternativen Methoden können gravierende Nebenwir-kungen haben. Hinzu kommen weitgehend unerforschte Wechselwirkungen von Natur-heilmitteln mit Medikamenten sowie das Problem von Verunreinigungen. So stellte

die Stiftung Warentest vor einigen Jahren in 20 Prozent der überprüften ayurvedischen Präparate zu hohe Werte an Schwermetal-len (wie Blei, Quecksilber oder Arsen) fest.

Ebenso skandalös ist der Umgang man-cher Alternativheiler mit offensichtlichen Misserfolgen der Behandlung. Gerne wird dann behauptet, die „sanfte“ Medizin habe eben die Schäden der vorausgegangenen Schulmedizin nicht mehr kompensieren können. Oder der Patient habe sich nicht

streng genug an die Therapieanweisungen gehalten oder nicht fest genug an den Heil-erfolg geglaubt und so mit seiner negativen Energie die Heilung selbst verhindert. Zum Therapieversagen kommen für den Patienten dann auch noch Schuldgefühle.

Einige komplementärmedizinische Thera-pierichtungen gehören auch zum Repertoire seriöser Therapeuten. Dazu gehören die Ho-möopathie, Chinesische Medizin (TCM), Ayurveda oder Phytotherapie. Obwohl auch hier häufig keine über die Placebowirkung

hinaus gehende Wirkung belegbar ist, stellen diese Methoden in der Hand von Ärzten, die auch das Feld der schulmedizinischen Behandlung beherrschen, zweifellos eine Bereicherung aus der Sicht des Patienten dar. Er fühlt sich ernst genommen in seinem Bedürfnis, etwas zusätzlich für sich zu tun. Der Placeboeffekt, der hier zu erzielen ist, sollte sicher nicht unterschätzt werden. Das ist möglicherweise einer der Hauptgründe, warum eine Erstattung von Leistungen im Rahmen der „besonderen Therapierichtun-

gen“ erlaubt ist, obwohl ihre Wirksamkeit nicht nach den sonst geltenden Kriterien der Arzneimittelprüfung nachgewiesen wurde.

Es gibt aber auch Außenseitermethoden, die für jeden naturwissenschaftlich denkenden Apotheker oder Mediziner von vornher-ein indiskutabel sind. Hier erstaunt immer wieder, dass Patienten bereit sind, selbst abstruseste Erklärungen für die angebliche Wirksamkeit einer Methode zu akzeptieren.

Die Spreu vom Weizen trennen

Mangels ausreichend fundierter wissen-schaftlicher Studien ist es oft außerordent-lich schwierig, die Unwirksamkeit und Schädlichkeit einer Methode tatsächlich zu belegen. Deshalb sollte es eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein, dass nur Me-thoden zum Einsatz kommen dürfen, de-ren Wirksamkeit nachgewiesen wurde und deren Nutzen-Risiko-Relation abschätzbar ist. Für Patienten, aber auch für Apotheker und Ärzte, ist es oft sehr schwer, die ver-schiedenen Therapien diesbezüglich einzu-schätzen. Die Bewertung komplementärer Methoden ist eine Herausforderung, der sich beispielsweise die Arbeitsgemeinschaft Prävention und integrative Medizin in der Onkologie (PRiO) in der Deutschen Krebs-gesellschaft widmet. Einige wenige kom-plementärmedizinische Beratungsstellen an den Universitätskliniken und der Krebs-informationsdienst (KID) des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) versu-chen ebenfalls, Patienten seriös zu beraten. Die Tabelle zeigt die Bewertung einiger Methoden, die der Leiter der Komplemen-tärmedizinischen Beratungsstelle der Uni-versitätsfrauenklinik Gießen, Prof. Karsten Münstedt, im „Patientenratgeber Krebs – Alternative Therapien medizinisch bewertet“ vorgenommen hat (siehe Buchbesprechung auf Seite 14 und Interview auf Seite 13). Be-zeichnenderweise bewertet dieser Ratgeber lediglich 21 Therapien positiv, während 80 Methoden als fraglich und 90 als negativ eingeschätzt werden.

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Lebender Kolumnentitel

18 | Onkologische Pharmazie | 13. Jahrgang | Nr. 1/2011

Wann ist endlich wieder Samstag? Ich scharre schon mit den Hufen: Warten auf „Breaking Bad“, eine der erfolgreichsten Fernsehserien der letzten Jahre. Eine Serie, deren Hauptdarsteller, kurz „Walt“ genannt, an Krebs erkrankt ist: Bronchialkarzinom; keine Diagnose, die man haben will oder brauchen kann.

Was aus diesem Stoff zur Serie verarbeitet wurde, ist nicht die übliche, kaum noch er-trägliche Herz/Schmerz/Tapferkeits-Kleb-rigkeit. Nein, hier geht nicht mal wieder Christiane Hörbiger tapfer und in erstaun-lich attraktiver körperlicher Verfassung in die Vorbereitung auf das Ende. Hier ist der Krebskranke verdammt (ein anderer Begriff wäre der Serie nicht angemessen!) munter. Nicht nur das; er wird auch noch kriminell.

Nachdem „Walt“ seinen Schwager, einen Drogenfahnder, bei seiner Arbeit begleitet hat und dabei Zeuge wurde, wie Drogengeld in Säcken abtransportiert wurde, hat er eine Superidee: Da er davon ausgeht, nicht mehr lange zu leben, will er seiner hochschwan-geren Frau und seinem körperbehinderten Sohn noch ein gutes finanzielles Polster hinterlassen. Er ist ein unterbezahlter Che-mielehrer und das Kochen von Drogen ist ein Leichtes für ihn. Ein ehemaliger Schüler ist im Drogengeschäft und schon kann es losgehen. Theoretisch!, denn die beiden sind keine wirklichen Profis und stellen sich nicht gerade geschickt an. Schnell haben sie eine Leiche und einen zu Ermordenden (keine Bange, er wollte vorher den beiden an den Kragen!), die sie vor große Aufgaben stellen.

Es gibt eine Arbeitsteilung und „Walt“ tut sich schwer mit seiner Aufgabe. Der Dro-gendealer mit Mordabsichten soll von ihm beseitigt werden. „Walt“ geht seine Aufga-be an, in dem er ihm erst mal Essen, Was-

Danke ARTE!

Von Sigrid Rosen-Marks, Hamburg

ser, einen Toiletteneimer, Feuchttücher ... bringt. Es ist nicht immer leicht, ein Böser zu werden!

Es gehört zu den Highlights der Serie, wie der ehemalige Schüler von „Walt“, heute Drogendealer, in einem Baumarkt in einer Plastikwanne Probe sitzt. Der Chemielehrer hatte die Idee, die Leiche in Säure aufzu-lösen. Eine Hommage an Romy Schnei-der und das französische Kino? Wer weiß! Leider entscheidet er sich dazu, die Leiche in seiner Badewanne aufzulösen. Falsche Entscheidung („... hättest Du nur in meinem Unterricht besser aufgepasst!!!“): Die Säure frisst sich durch die Wanne und den Bade-zimmerboden ... über den Rest breiten wir hier den Mantel des Schweigens.

Wer denkt, hier an eine Billighorror-Serie geraten zu sein, irrt gewaltig. Der Krebspa-tient steht hier mitten im Leben. Er zeigt das, was Krebs wirklich ist, eine Krankheit mitten im Leben, mitten in der ganz nor-malen Gesellschaft. Jeder bekommt hier sein Fett weg. Der Krebspatient wird zur absoluten Normalität. Alle, wirklich alle, die hier vorgestellt werden, haben mindestens zwei Seiten. Selbst die ganz Guten zeigen irgendwann böse Seiten. Jedem wird der Spiegel vorgehalten und trotz der Brutalität - ohne geht es wohl im Drogenmilieu nicht - empfinde ich die Serie fast als liebevoll: Selbst der absolute Macho-Drogenfahn-der-Schwager von „Walt“ bekommt nach einem erfolgreichen Einsatz Panikattacken im Aufzug. Oder noch schöner: Der ehema-lige Schüler und Drogenkumpel von „Walt“ kümmert sich liebevoll um ein vernachläs-sigtes Kind, dessen Drogeneltern er eigent-lich bestrafen will.

Hier leben alle Protagonisten jede Facette menschlicher Glanzseiten und Abgründe

aus. Dabei entsteht oft eine liebenswerte Komik. Etwa, als „Walt“ und sein Kumpel in der knochentrockenen Steppe in ihrem Campingbus Crystal Meth kochen, die Au-tobatterie den Geist aufgibt, bei Reparatur-versuchen Feuer fängt und der Kumpel die letzten Tropfen Trinkwasser auf das Feu-er gießt. Bleibt noch anzumerken, dass im Campingbus ein Feuerlöscher ist und die Handys leer sind!

In all dem Chaos wird „Walt“ immer leben-diger. Sehr sogar. Was bleibt ihm auch üb-rig? Seine amerikanische Krankenversiche-rung zahlt nicht für eine Krebsbehandlung. Also muss Geld her; viel Geld. Arztkosten und eine ordentliche Hinterlassenschaft für die Familie haben ihren Preis. Je mehr „Walt“ seine schwarzen Seiten lebt, desto besser fühlt er sich. Der stille Chemielehrer, von seinem Macho-Schwager zu Beginn oft belächelt, entdeckt seine Schattenseiten und findet durchaus Gefallen daran. Der Krebs-kranke darf hier böse sein. Dabei fällt er kaum auf zwischen all denen, denen auch der Spiegel vorgehalten wird. Wenn auch sehr dick aufgetragen wird, d a s ist das Leben.

Krank/gesund, böse/gut, hier sind sie zu-sammen. Ein Mosaik dessen, was Leben ausmacht. Übersteigert zwar, aber wun-derbar vollständig. Die Übersteigerung ist hier notwendig. Spannung und Humor im Fernsehen leben selten von klein, klein. Hier wird geklotzt. Aber es macht verdammten (sorry) Spaß, dabei zuzusehen.

Danke ARTE!

Hinweis der Redaktion: Breaking Bad lief von Oktober bis Dezember 2010 auf ARTE am Samstagabend; ab April 2011 zeigt ARTE die 3. Staffel. Die Serie ist auch auf DVD erhältlich.

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Lebender Kolumnentitel

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20 | Onkologische Pharmazie | 13. Jahrgang | Nr. 1/2011

Buchbesprechung

Ullstein Verlag, Berlin 2009235 Seiten, 8,95 EuroISBN 978-3-548-37267-9

Im Umfeld von Krebspatienten werden vie-le Menschen zu Experten der Onkologie oder Psychoonkologie, zumindest scheint es so zu sein. Familienmitglieder, Freunde, Nachbarn, Kollegen und andere haben ger-ne immer einen Rat(schlag) und dennoch brauchen und wollen viele Patienten die ei-gene Information. Mit dem Buch „Dem Krebs davonleben“ hat Anette Rexrodt von Fircks ein Buch geschrieben, das Hoffnung macht.

Annette Rexrodt von Fircks war 35 und Mut-ter von drei kleinen Kindern, als sie die Diagnose Brustkrebs erhielt. Sie schrieb nach ihrer Therapie mehrere Bücher und ließ die Leser an ihrem persönlichen Weg teilhaben. Trotz der damals niederschmet-ternden Diagnose geht es ihr heute gut. Sie beschreibt, wie sie sich nach der Therapie eine neue Basis für Lebensfreude und Ge-sundheit geschaffen hat. Stärkung des Im-munsystems, Entspannung und Sport alles in einem vernünftigen Maß, sind nur einige der Aktivitäten, mit denen sie die Krankheit dauerhaft aus ihrem Leben fernhält.

Die Verwundbarkeit und das Nicht-Verstan-den-werden, das die Autorin durch Zeitman-gel der Ärzte selbst erfahren hat, werden beeindruckend und glaubwürdig vermittelt.

Das Buch ist ein Erfahrungsbericht von Anette Rexrodt von Fircks in ihrer Situa-tion 10 Jahre nach der Diagnosestellung und beschreibt Verhaltensweisen, die die Autorin durchlebt hat. Dabei ist sie immer

Buchbesprechung

Von Gisela Sproßmann-Günther, Berlin

Dem Krebs davonleben – Wir haben die Chance

Von Annette Rexrodt von Fircks

wieder auf Erfahrungen und Beratungen von Fachleuten gestoßen, die vor allem dem kommerziellen Aspekt die-nen.

Durch ihre Erfahrungen ist dieses Buch nicht nur lesens-wert für Betroffene, Interes-sierte Nicht-Betroffene und Profis, sondern gleichzeitig ein Leitfaden für Patienten sich in dem Dschungel der Möglich-keiten an den Erfahrungen der Autorin zu orientieren.

Zusätzlich gibt es viele Beiträ-ge ausgewiesener Experten zu Themen wie Komplementärme-dizin und Ernährung, so dass das Buch durchaus als Ratgeber für die Praxis gelten kann. Dabei muss es jedoch selbstverständ-lich sein, dass das Buch in keinem Einzelfall kompetenten medizini-schen Rat ersetzt und auch nicht ersetzen will.

Die Autorin sagt selbst, dass es ihr darum geht, Impulse zu setzen, Wissen zu vermit-teln, damit das Leben selbst und nicht die Erkrankung in den Mittelpunkt rückt.

Neben konkreten und praktisch umsetzba-ren Informationen zu Ernährung und Bewe-gung, die alle fundiert sind (ein Literaturver-zeichnis findet sich am Ende des Buches), spielt die Achtsamkeit und Aufmerksamkeit sich selbst gegenüber eine große Rolle.

Ein sehr lesenswertes Buch. Alle diejenigen, die auch die anderen Bücher der Autorin kennen und lieben, werden vielleicht an der einen oder anderen Stelle die persönlichen Situationen, die Geschichten aus dem ganz normalen Alltag etwas vermissen. Doch vielleicht folgt das, in einem weiteren Buch. Es wäre wünschenswert.

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Kommentar des Herausgebers

Kommentar des Herausgebers

Was wäre wenn …

Als Friedrich der zweite, im-merhin Kaiser seines Zei-chens, vor über 700 Jahren

den Berufsstand der Apotheker schuf, um des Kaisers Abhängig-keit von Ärzten zu beenden, war er sich sicherlich nicht bewusst, welch diversifizierte Strukturen heutzuta-ge im Gesundheitswesen zu finden sein werden.

Die Berufsgruppen der Ärzte und Apotheker, gemeinhin auch klas-sifiziert als Freie Berufe, haben es schwer, die Freiheit in ihrem Berufs-bild nachzuzeichnen.

Angehörige Freier Berufe erbringen auf Grund besonderer beruflicher Qualifikation persönlich, eigenver-antwortlich und fachlich unabhän-gig geistig-ideelle Leistungen im Interesse ihrer Auftraggeber und der Allgemeinheit, schreibt der Bundesverband der Freien Berufe.

Freiberufliche Dienstleistung trägt den Stempel der eigenen Persön-lichkeit des Berufsträgers, bekräf-tigt auch das Mitteilungsblatt der Apothekerkammer Niedersach-sen 12/2010 diesen Zustand und kommt nicht umhin, die Freiheit in

Klaus Meier

innere, also die Freiheit der fachli-chen Entscheidung von der äuße-ren, bedingt durch die Gebühren- bzw. Arzneimittelpreisverordnung zu unterscheiden.

Den Zwiespalt zwischen dem Han-deln nach Rabattverträgen und dem, was für die Betreuung des Patienten das Beste ist, kann ein Apotheker als Freiberufler eigent-lich nicht lösen.

Gelten im ärztlichen Bereich die Taten und damit auch die onkolo-gische Behandlungen, die das Le-ben verlängern, als herausragend und preiswürdig, wird der onkolo-gisch tätige Apotheker von seiner eigenen Klientel eher mit Argwohn betrachtet. Hier wird nur noch der Kaufmann erkannt, den der Apo-theker Janusgleich in sich trägt. Der Kaufmann, der dem Eigennutz des Apothekers scheinbar besser zu dienen weiß, als die eigenverant-wortliche Berufsausübung, die dem Gemeinnutz dienen soll. Natürlich hat nicht nur die Lokalpresse, son-dern auch die Zeit (25.11.2010, S.37) den „gesunden Reibach“ von 70 Apotheken als Auswuchs herausgestellt, der als Begründung

der AOK für Ausschreibungen in der Versorgung onkologischer Patien-ten mit Zytostatika herhalten muss. Ob hier „gesund“ vor „Reibach“ die richtige Wortwahl ist, bleibt dahin-gestellt.

Aber was wäre, wenn der allgemei-ne Grundsatz menschlichen Han-delns, „Menschen streben im Sozi-alen nach Anerkennung und sind in der Lage, sich selbst Gutes zu tun, indem sie anderen Gutes tun“ zur Maxime allgemeinen gesellschaft-lichen Handelns aufsteigen würde?

Was wäre, wenn nicht mehr Kon-kurrenz-, sondern „Konkordanzver-halten“ (Richard David Precht: Die Kunst, kein Egoist zu sein), also das gemeinsame Suchen nach Lö-sungen zur verpflichtenden Hand-lungsweise erklärt würde?

Was wäre, wenn die Betreuung von onkologischen Patienten in allen Apotheken nicht nur sach- und fachgerecht, sondern auch mensch-lich zugewandt stattfände und die Pharmazie Anstöße gäbe für Neues und Unerhörtes?

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Musiktherapie in der Onkologie

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Das Ohr: Tor zur Welt

Sowohl in der Phylogenese als auch in der Ontogenese spielt das Gehör eine heraus-ragende Rolle. Der Mensch ist von seiner Anatomie und Physiologie her zu allererst ein Hörender.

Musiktherapie in der Onkologie

Von Andrea Schult und Judith Krüger, Greifswald *

Die meisten Gehirnzentren, die Wahrneh-mungen verarbeiten, haben sich im Laufe der Evolution in den Bereich der sich ent-wickelnden Großhirnrinde verschoben, etwa der Seh-, Geruchs- und Tastsinn. Das Hö-ren (nicht aber die Sprache und das Sprach-verständnis) hat diesen Umbau nicht mit vollzogen. Sein Zentrum ist in den älteren,

tieferen Schichten des Gehirns geblieben. Einen Menschen, der schwer verletzt nach einem Unfall im Koma liegt, dessen Groß-hirn also nicht mehr arbeitet, können akusti-sche Informationen deshalb noch erreichen. Gleichzeitig ist das Innenohr das Organ des Menschen, das die größte Konzentration von Nervenendungen besitzt, also die größte Differenzierungsfülle ermöglicht [1].

Hören ist ein hochdifferenzierter Vorgang: die auf das Trommelfell treffenden Schall-wellen bringen die Gehörknöchelchen in Schwingungen und leiten 60 Prozent der Schallenergie weiter auf die Membran des ovalen Fensters. Von hier aus laufen die Schallwellen weiter entlang den Windun-gen der Schnecke, in der die Hörsinneszellen sitzen. Diese nehmen die Schwingungen auf, wandeln sie in bioelektrische Impulse um und führen über 30.000 Nervenfasern zum Hörnerv, der die akustischen Reize ans Gehirn weiterleitet, das 1.500 Tonhöhen-unterschiede und über 300 Stärkenstufen unterscheiden kann.

Das linke Ohr hört „ganzheitlicher“, aber langsamer und das rechte Ohr nimmt „ana-lytischer“ und neurologisch rascher wahr, was mit der Asymmetrie des menschlichen Nervensystems zusammenhängt [2].

Musiktherapiegeschichte

Ein Leben ohne Musik kann sich kaum je-mand vorstellen. Denn Musik begleitet den Menschen von der vorgeburtlichen Zeit bis hin zum Sterbebett. Kulturen ohne Musik hat es nie gegeben.

Funde aus der Vor- und Frühgeschichte wie Rasseln, Trommeln oder Flöten belegen, dass bereits damals Musik gemacht wurde,

Das Auge führt den Menschen in die Welt, das Ohr führt die Welt in den Menschen ein.

Lorenz Oken (1779 - 1851)

An Krebs zu erkranken, ist immer ein schwerer Schock für den Betroffenen und seine Angehörigen. Sehr oft bleibt wenig oder gar keine Zeit zwischen der Ausei-

nandersetzung mit der Diagnose bis zur ersten Therapie. Auf der Basis einer Literatur- und Internetrecherche wollten wir herausfinden, ob die Musiktherapie Einfluss auf das Wohlbefinden von onkologischen Patienten während der Therapien hat und somit die Lebensqualität verbessert werden kann. Weiterhin beschäftigte uns die Frage, ob die Musiktherapie Nebenwirkungen reduzieren und die Krankheitsbewältigung positiv beeinflussen kann.

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sicherlich auch zu Heilzwecken. Für Hei-lungszeremonien hat der Kranke oder Ver-letzte sich auf ein miterlebendes Zuhören eingelassen – er wurde vom Heiler besungen und erhielt von der Volksgemeinschaft eine ritualisierte musikalische Aufführung.

Im Mittelalter stellte die Musik einen wichtigen Bestandteil innerhalb der me-dizinischen Behandlung dar. Ein Mensch wurde als krank bezeichnet, wenn sein Puls in Tempo und Intensität von der Norm ab-wich. Die Komponisten Bach, Liszt, Te-lemann komponierten eigens für Kurgäste der Kurorte um 1800 Lieder, die für eine bessere Verdauung, sexuelle Stimulierung und den Ausgleich der Säfte sorgen sollte [3]. Obwohl bis 1550 die Musik zum Fä-cherkanon eines Medizinstudiums gehörte und Wissenschaftler sich in der Renaissance mit den Zusammenhängen von Musik mit menschlichen Affekten, vor allem der Me-lancholie, beschäftigten, verschwand die

Belege aus der Antike, in denen Beispiele der magisch-mythischen Wirkung von Musik aufgeführt sind [nach 3]:• Im 19. Kapitel der Odyssee von

Homer sollen gesungene Beschwö-rungsformeln eine starke Blutung gestillt haben.

• Das Alte Testament beschreibt die „Behandlung“ des depressiven Sauls durch den Harfe spielenden David.

• Encheduanna, Tochter des Kö-nigs Sargon von Akkad in der sumerisch-akkadischen Zeit (vor ca. 4200 Jahren), komponierte und dichtete 42 Tempelhymnen, mit denen sie Kranke heilen konnte.

• In der klassischen Antike war man der Ansicht, dass Musik eine erzieherische Macht besitzt und formend in das Innere der Seele eindringt. Deshalb wurde sie bei den Phytagoräern als äußerst wich-tiges Mittel zur Persönlichkeitser-ziehung angesehen.

Musiktherapie im 19. Jahrhundert aus dem Sichtfeld der Ärzte, da sie den Bezug zum klassischen medizinischen Bereich der kör-perlichen Erkrankungen verlor [4].

“Eine wunderbare Quelle der Erneue-rung haben Sie ja noch in der Musik! Wer Musik liebt und innig versteht, für den hat die Welt eine Dimension mehr. – Es braucht nicht Beethoven oder Bach zu sein: daß überhaupt Musik in der Welt ist, daß ein Mensch zuzeiten bis ins Herz von Tönen be-wegt und von Harmonien durchflutet werden kann, das hat für mich immer einen tiefen Trost und eine Rechtferti-gung allen Lebens bedeutet.”

Hermann Hesse (Brief 1922 und in „Gertrud“)

Nach dem zweiten Weltkrieg setzte eine rasante Entwicklung auf dem Gebiet der Musiktherapie ein: In den USA und in Eu-ropa wurden Berufsverbände gegründet. Seit

1944 gibt es bereits eine Ausbildung zum Musiktherapeuten.

1982 wurde die Internationale Gesellschaft für Musik in der Medizin e.V. gegründet. Vertreter aller musiktherapeutischen Ver-bände Deutschlands fanden 1994 einen schu-lenübergreifenden Konsens [5]. Die „Kasse-ler Thesen zur Musiktherapie“, 1998 von der „Kasseler Konferenz Musiktherapeutischer Vereinigungen in Deutschland“ herausge-geben, stellen den Versuch einer richtungs- und schulenübergreifenden Definition und Beschreibung von Musiktherapie dar [5].

Methoden und Anwendungsgebiete der Musiktherapie

MusikMedizin Die MusikMedizin unterstützt die klini-sche, medikamentöse Behandlung. Grund-lage diese Einsatzes von Musik ist deren me-dizinisch nutzbare Wirkung, wie z.B. bei der Senkung des Stresshormonspiegels und des

1. Musiktherapie ist eine praxisorien-tierte Wissenschaftsdisziplin, die in engen Wechselbeziehungen zu ver-schiedenen Wissenschaftsbereichen steht, insbesondere der Medizin, den Gesellschaftswissenschaften, der Psy-chologie, der Musikwissenschaft und der Pädagogik.

2. Der Begriff „Musiktherapie“ ist eine summarische Bezeichnung für unter-schiedliche musiktherapeutische Kon-zeptionen, die ihrem Wesen nach als psychotherapeutische zu charakterisie-ren sind, in Abgrenzung zu pharmakolo-gischer und physikalischer Therapie.

3. In der Musiktherapie ist Musik Gegenstand und damit Bezugspunkt für Patient und Therapeut in der materialen Welt. An ihm können sich

Wahrnehmungs-, Erlebnis-, Symboli-sierungs- und Beziehungsfähigkeit des Individuums entwickeln. Rezeption, Produktion und Reproduktion von Musik setzen intrapsychische und interperso-nelle Prozesse in Gang und haben dabei sowohl diagnostische als auch thera-peutische Funktion. Das musikalische Material eignet sich, Ressourcen zu aktivieren und individuell bedeutsame Erlebniszusammenhänge zu konkre-tisieren, was zum Ausgangspunkt für weitere Bearbeitung genommen wird.

4. Musiktherapeutische Methoden folgen tiefenpsychologischen, verhal-tenstherapeutisch-lerntheoretischen, systemischen, anthroposophischen und ganzheitlich-humanistischen Ansätzen.

Auszüge aus den Kasseler Thesen der Musiktherapie [5]

Musiktherapie in der Onkologie

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Musiktherapie in der Onkologie

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Sauerstoffverbrauchs, der Harmonisierung des Atemrhythmus oder der Senkung von Stoffwechsel, Herzfrequenz und Blutdruck, der Reduzierung des Schmerzempfindens oder der Angst. Diese therapeutischen Er-gebnisse sind wissenschaftlich erwiesen, entsprechend den Standards zur klinischen Prüfung von Arzneimitteln.

Viele Kliniken nutzen Musik in der Anaest-hesie und bei der Behandlung von Schmerz- und Krebspatienten, um gezielt Narkose- und Schmerzmittel zu reduzieren oder Patienten in Angstzuständen zu entkrampfen.

Die entspannend, anregend, aktivierend oder beruhigend wirkende Musik wird ange-stellt und nach der vorgesehenen Zeit wieder abgestellt, d.h. eine psychotherapeutische Begleitung, etwa in Form eines anschlie-ßenden Gespräches gibt es nicht.

Funktionelle Musik Die funktionelle Musik lässt sich in ei-nigen Bereichen von der MusikMedizin abgrenzen, wenngleich es weitgehende Überschneidungen gibt. So hängen hier zum einen Behandlungsziel und Musik eng zusammen, zum anderen wird jedoch

die Kommunikation mit dem Therapeuten wichtig.

Zur funktionellen Musiktherapie zählen die Bereiche, in denen sich kommunikationsthe-rapeutische Arbeitsweisen mit dem funkti-onalen Einsatz von Musik mischen, etwa das gemeinsame Singen und Musizieren in der Psychosomatik, in Rehabilitations- und Kurkliniken, der Langzeitpsychiatrie und der Geriatrie.

In der Rehabilitation wird Herz- und Kreis-laufpatienten ein unter medizinisch-psycho-

Tab. 1: Methoden der rezeptiven Musiktherapie

Methode Patient Inhalt Ziel Anwendungsbereich

Regulative Musikthera-pie (RMT)

nach Christoph Schwabe

• lernt seine Gedanken, Gefühle, seinen Kör-per und gleichzeitig die Musik möglichst genau wahrzuneh-men und zu beschrei-ben.

Ermöglicht zunehmen-de Differenzierung von zu „akzeptierenden und nicht zu akzeptierenden Wahrnehmungsinhal-ten“

Das Symptom wird über die Wahrnehmung beeinflusst, d.h. der Patient wird an das Erle-ben des Schmerzes un-mittelbar herangeführt, damit er den Schmerz und die damit verbun-denen physischen und psychischen „Fehl-spannungen“ bewusst spüren und beeinflus-sen lernt.

Syndrom-orientierte Indikation: vegetative Dysregulation; Einen-gung und Reduzierung der Erlebnis- und Wahr-nehmungsfähigkeit

Kontraindiziert bei schweren autoaggressi-ven bzw. suizidalen so-wie bei akuten depressi-ven oder psychotischen Zuständen und schwe-rer Beziehungs- und Konfliktproblematik

Katathymes Bildererle-ben mit Musik

nach Hanscarl Leuner

• findet durch seine Bilder Zugang zu un-bewusstem Erleben, zu seinen Ängsten, zu Verdrängtem.

• Möglichkeit tiefgrei-fender Selbsterfah-rung auch für „gesun-de“ Menschen

Nach Entspannungs-übungen iniziiert der Therapeut Tagträume, zunächst nach vorgege-benen Motiven (Wiese, Blume, Haus).

Musik erhöht Stimulie-rung und intensiviert Bildassoziationen

Entstehende Bilder und Bildgeschichten sind mit Stimmungen und Affekten verbunden, die als Basis für die thera-peutische Begleitung dienen.

Psychosomatik, Ar-beit mit neurotischen Patienten, funktional-vegetative Erkrankun-gen und organischen Krankheiten.

Musik-Psychotherapie-verfahren

(Guided Imagery and Music)

nach Helen Bonny

• Wird sich vorhande-ner Konflikte be-wusst,

• setzt innere Ressour-cen frei und

• ermöglicht Selbsthei-lungsprozess

Nach Entspannungs-übungen hört der Pati-ent klassische Musik. Dabei entstehende in-nere Bilder, Körperemp-findungen, Gedanken und Gefühle teilt er dem Therapeuten mit. Durch Fragen wird die dyna-mische Entwicklung der Bilder durch den Thera-peuten unterstützt.

Musik nimmt unterstüt-zenden Einfluss auf entstehende psychi-sche Prozesse beim hörenden Patienten. Therapeut leitet diesen tiefgreifenden psy-chotherapeutischen Prozess.

Ambulante und statio-näre Kurzzeittherapie.

Indiziert nur bei Patien-ten mit ausreichender Ich-Struktur.

Kontraindiziert bei Psy-chose- und Borderline-Patienten, bei Men-schen in akuter Krise oder unter Drogenein-fluss

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logischen Gesichtspunkten ausgewähltes Musikrepertoire zusammen mit klassischen Entspannungsübungen angeboten, damit sie lernen, Stress bzw. Angst abzubauen. In manchen Fällen bekommen die Patienten ihr musikalisches Entspannungsprogramm mit nach Hause, um die Behandlungser-folge durch weiteres üben zu stabilisieren. Für Patienten mit Stimm- und Sprachstö-rungen gibt es Rhythmustherapien und für aggressive oder hyperaktive Jungendliche Trommeltherapien.

Die Funktionelle Musik ist ebenso wie der Bereich MusikMedizin keine selbständi-ge Therapie, sondern sie wird in Kliniken

und ambulant zur Unterstützung oder Er-gänzung anderer, vor allem verbaler und physikalischer Therapie eingesetzt oder als sinnvolle Erweiterung in die Behandlung integriert.

Bei den eigentlichen psychotherapeutischen Musiktherapieverfahren unterscheiden wir die rezeptive Musiktherapie, die mit vor-gespielter Musik arbeitet, sowie die aktive Musiktherapie, in der Patient und Therapeut gemeinsam improvisieren.

Rezeptive MusiktherapieHier steht das aktive Hören von Musik im Mittelpunkt. Menschen werden durch Klän-

ge angerührt, bewegt und geheilt, indem Musik ihre „bösen Geister“ vertreibt und sie wieder zu ihrer Lebendigkeit, zu neu-er Lebensfreude finden. In der Praxis der rezeptiven Musiktherapie hören Patienten komponierte Werke, Lieder oder Musik von einer Kassette oder CD. Manchmal spielt der Therapeut für den Patienten frei impro-visierte oder komponierte Musik auf Klavier, Geige, Flöte oder auf einem Instrument, das eher archaische und meditative Klänge erzeugt, wie Gong oder Monochord.

Im Bereich der rezeptiven Musikthera-pie sind drei Methoden zu unterscheiden (Tab.1):

Tab. 2: Methoden der aktiven Musiktherapie

Methode Patient Inhalt Ziel Anwendungsbereich

Orff-Musiktherapie

nach Gertrud Orff

• betätigt sich musika-lisch in einer Spielsi-tuation

Musik und Bewegung als klar umrissenes Konzept

Unterstützung der geistigen, körperlichen und sozial-emotionalen Entwicklung ebenso der Eltern-Kind-Beziehung sowie der Entfaltung im Rahmen der Familie und Gesellschaft

Kinder mit Entwick-lungsproblemen

Antroposophische Mu-siktherapie

nach Rudolf Steiner

• arbeitet direkt mit Klängen und Tönen

Musizieren für oder mit dem Patienten durch gezielte Auswahl und Anwendung eines Inst-rumentes

Therapeuten in Klinik auf ärztliche Anweisung

Bei akut oder chronisch Erkrankten (Krebser-krankungen, Erkrankun-gen der inneren Organe, Autoaggressionskrank-heiten, Multiple Skle-rose) auch Begleitung Sterbender

Schöpferische Musik-therapie

nach Paul Nordoff und Clive Robbins

• musiziert und impro-visiert gemeinsam mit Therapeuten

Nutzung der natürlichen künstlerischen Potenti-ale des Menschen

Künstlerische Kommu-nikation wirkt heilend

Arbeit mit Behinderten in Psychiatrie, Innerer Medizin und Psychoso-matik, Geriatrie, in der Intensivmedizin und Rehabilitation

Aktive Musik-Psycho-therapie

nach Sigmund Freud

• musiziert gemeinsam mit Therapeut in freier Improvisation

• macht sich frühkind-liche, traumatische Erlebnisse oder Kon-flikte bewusst

• arbeitet das Erlebte verbal mit dem Thera-peuten auf

Musikalische und ver-bale Kommunikation zwischen Patient und Therapeut

Realisierung der Freud-schen Grundformel: erinnern – wiederholen – durcharbeiten

Bei psychoneurotischen Störungen, in der Reha-bilitation und Frühför-derung

Musiktherapie in der Onkologie

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Musiktherapie in der Onkologie

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Regulative Musiktherapie (RMT) nach Christoph Schwabe

Katathymes Bilderleben mit Musik nach Hanscarl Leuner

Guided Imagery and Music nach Helen Bonny

Aktive MusiktherapieAktive Musiktherapie ist ein Sammelbe-griff für alle Methoden der Musiktherapie, bei denen der Patient aktiv mit Instrument und/oder Stimme beteiligt ist und beinhal-tet das Experimentieren und Improvisieren mit einfachen (elementaren) Instrumenten aus unterschiedlichen Kulturkreisen. Diese können durch ihre Form, ihren Klang und ihr Material verschiedene Assoziationen zur eigenen Biografie und persönlichen Befind-lichkeit wecken.

1. Schmerzzustände

2. Angstzustände

3. Depressive Reaktionen

4. Unruhezustände (u.a. auch bei Bewusstseinstrübung)

5. Therapieassoziierte Belastungen u.a. bei

a. Chemotherapie b. Strahlentherapie

6. Therapiebedingte Übelkeit/Erbre-chen

7. Hilfe bei Krankheitsverarbeitung durch

a. Ablenkung b. Beruhigung c. Stimmungsaufhellung

8. Isolationssyndrom mit Einsamkeit, Verlassenheitsgefühlen und Ver-zweifelung

Zwei Verfahren der Musiktherapie finden gegenwärtig in der psychoonko-logischen Arbeit Anwendung:

1. Aktive Musiktherapie.

2. Rezeptive Musiktherapie

Mögliche Indikationen der Musiktherapie in der Onkologie [nach 7]

Tab. 3: Übersicht über Studien der Musiktherapie bei erwachsenen Tumorpatienten [nach 6]

Autor

(Jahr)

Anzahl Pat./ Einschluss-kriterien

Modalität Dauer/

Therapieprotokoll

Design Art der Erhebung Klinische Instrumentarien Ergebnisse

Bailey

(1983)

n= 50 Musikrezeption im Ver-gleich Tonträger - Live-musik

1 Sitzung

a 25 min.

QN; Prä/Post der einen Sitzung

Selbstbeobachtung POMS Livemusik beeinflusst signifikant Spannung, Angst und Vitalität; positive Beeinflussung durch Livemusik

Zimmermann

(1989)

n= 40

mit Metastasen und chro-nischen Tumorschmerzen

Musikrezeption vom Ton-träger

30 min. im

verdunkelten Zimmer

QN; einmalige Prä-Post-Befragung; Kontrollgrup-pe

Selbstbeobachtung MPQ;

VAS

Musikrezeption u. verbale Suggestion beeinflusst krebsbedingte Schmerzen positiv

Beck

(1991)

n= 15

mit chronischen Tumor-schmerzen

Musikrezeption, Musik vom Tonband

2 Testphasen QN; Crossover-Musik ge-genüber Klang vom Band

Selbstbeobachtung MPQ;

Mood VAS

Pos. Schmerzbeeinflussung durch Musik; Korrelation zw. Ent-spannung sowie Ablenkung und Krebsschmerz

Standley

(1992)

n= 15

zur CT

Musikrezeption 4 CTs QN; Prä/Post des Thera-pieblocks;

Kontrollgruppe

Obj. Parameter, Fremdbeob-achtung selbstkonstruiert

Physiologische Parameter Interview

Musik reduziert Ängste + innere Anspannung + Schwindel, ver-kürzt Zeitempfinden während CT

Sabo

(1996)

n= 97

zur CT

Musikrezeption vom Ton-träger

4 CTs QN; Prä/Post des Thera-pieblocks; Kontrollgruppe

Selbstbeobachtung SSAI, Cancer chemotherapy and side-effects inventory

Signifikante Angstreduktion in Experimentalgruppe; bessere Verträglichkeit der Chemotherapie

Weber

(1996)

n= 33 Musikrezeption bei der ersten oder weiterführen-den CT

15 min Musik vor Beginn und während der Chemo-therapie

QN; einmalige Prä/Post-Befragung

Selbstbeobachtung STAI, 3 eigene Fragebogen zur Erfassung musikalischer Para-meter; Interview

Positive Ablenkung, Entspannung, emotionale Aufhellung durch Musik bei medizinischer Krebsbehandlung, neue Fragestellungen

Cunningham

(1997)

n= 50

vor chirurgischem Eingriff

Musikrezeption vom Ton-träger

15 min. QN; Post, randomisierte Kontrollgruppe

Selbstbeobachtung Fragebogen im eigenen Design Musik mindert Angst + Stress und fördert Entspannungszustän-de vor, während und nach onkologischer OP

Reinhardt N=28

In palliativer Situation mit chronischen Tumor-schmerzen

Musikrezeption als Ent-spannungs- und Einschlaf-hilfe; Synchronisation der Herzfrequenz

15 Tage QN; prospektive, randomi-sierte Pilotstudie; physio-logische Parameter

Fremd- und Selbstbeobach-tung

Herzfrequenzmessung; VRS; Pat.-Protokoll der Analgetika-Einnahme

Herzfrequenzabnahme; Synchronisation von Herzfrequenz u. musikal. Metrum in div. Verhältnissen (2:1; 3:29; Verbesserung des Einschlafens)

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Onkologische Pharmazie | 13. Jahrgang | Nr. 1/2011 | 27

Unter den Begriff Aktive Musiktherapie fallen jedoch auch die grundlegend anderen Formen der heilpädagogisch bzw. künstle-risch orientierten Musiktherapien (Tab. 2).

Die Musiktherapie gewinnt in der heutigen Zeit immer mehr Aufmerksamkeit und es wird immer mehr über ihre Wirkungsweisen und Einsatzmöglichkeiten, zunehmend auch in der Onkologie geforscht.

Musiktherapie in der Onkologie

Die Musiktherapie wird in der Regel den psychosozialen Therapieformen zugeordnet. Speziell für die musiktherapeutische Arbeit im onkologischen Kontext ist jedoch ein ad-juvantes Therapiekonzept mit Schwerpunkt

Tab. 3: Übersicht über Studien der Musiktherapie bei erwachsenen Tumorpatienten [nach 6]

Autor

(Jahr)

Anzahl Pat./ Einschluss-kriterien

Modalität Dauer/

Therapieprotokoll

Design Art der Erhebung Klinische Instrumentarien Ergebnisse

Bailey

(1983)

n= 50 Musikrezeption im Ver-gleich Tonträger - Live-musik

1 Sitzung

a 25 min.

QN; Prä/Post der einen Sitzung

Selbstbeobachtung POMS Livemusik beeinflusst signifikant Spannung, Angst und Vitalität; positive Beeinflussung durch Livemusik

Zimmermann

(1989)

n= 40

mit Metastasen und chro-nischen Tumorschmerzen

Musikrezeption vom Ton-träger

30 min. im

verdunkelten Zimmer

QN; einmalige Prä-Post-Befragung; Kontrollgrup-pe

Selbstbeobachtung MPQ;

VAS

Musikrezeption u. verbale Suggestion beeinflusst krebsbedingte Schmerzen positiv

Beck

(1991)

n= 15

mit chronischen Tumor-schmerzen

Musikrezeption, Musik vom Tonband

2 Testphasen QN; Crossover-Musik ge-genüber Klang vom Band

Selbstbeobachtung MPQ;

Mood VAS

Pos. Schmerzbeeinflussung durch Musik; Korrelation zw. Ent-spannung sowie Ablenkung und Krebsschmerz

Standley

(1992)

n= 15

zur CT

Musikrezeption 4 CTs QN; Prä/Post des Thera-pieblocks;

Kontrollgruppe

Obj. Parameter, Fremdbeob-achtung selbstkonstruiert

Physiologische Parameter Interview

Musik reduziert Ängste + innere Anspannung + Schwindel, ver-kürzt Zeitempfinden während CT

Sabo

(1996)

n= 97

zur CT

Musikrezeption vom Ton-träger

4 CTs QN; Prä/Post des Thera-pieblocks; Kontrollgruppe

Selbstbeobachtung SSAI, Cancer chemotherapy and side-effects inventory

Signifikante Angstreduktion in Experimentalgruppe; bessere Verträglichkeit der Chemotherapie

Weber

(1996)

n= 33 Musikrezeption bei der ersten oder weiterführen-den CT

15 min Musik vor Beginn und während der Chemo-therapie

QN; einmalige Prä/Post-Befragung

Selbstbeobachtung STAI, 3 eigene Fragebogen zur Erfassung musikalischer Para-meter; Interview

Positive Ablenkung, Entspannung, emotionale Aufhellung durch Musik bei medizinischer Krebsbehandlung, neue Fragestellungen

Cunningham

(1997)

n= 50

vor chirurgischem Eingriff

Musikrezeption vom Ton-träger

15 min. QN; Post, randomisierte Kontrollgruppe

Selbstbeobachtung Fragebogen im eigenen Design Musik mindert Angst + Stress und fördert Entspannungszustän-de vor, während und nach onkologischer OP

Reinhardt N=28

In palliativer Situation mit chronischen Tumor-schmerzen

Musikrezeption als Ent-spannungs- und Einschlaf-hilfe; Synchronisation der Herzfrequenz

15 Tage QN; prospektive, randomi-sierte Pilotstudie; physio-logische Parameter

Fremd- und Selbstbeobach-tung

Herzfrequenzmessung; VRS; Pat.-Protokoll der Analgetika-Einnahme

Herzfrequenzabnahme; Synchronisation von Herzfrequenz u. musikal. Metrum in div. Verhältnissen (2:1; 3:29; Verbesserung des Einschlafens)

auf Unterstützung bei der Krankheitsverar-beitung und Verbesserung der Lebensqua-lität am adäquatesten [6].

Gerade angesichts einer Erkrankung, deren Ausgang ungewiss und deren unmittelbare Folgen zu gravierenden Lebensveränderun-gen führen, ist Musiktherapie ein wichti-ger Bestandteil der psychoonkologischen Behandlung.

Wird sie in der Praxis in das medizinische und psychoonkologische Behandlungsange-bot integriert, ermöglicht sie einen direkten Zugang zu Gefühlen des onkologischen Pa-tienten. So können schöpferische Potenziale freigesetzt werden, verdrängte Inhalte ins Bewusstsein treten und heilsame Umwand-lungsprozesse in Gang gesetzt werden. Eine

erste Übersicht zu Studien der Musikthe-rapie bei erwachsenen Tumorpatienten [7] ermöglicht Tab.3.

Aktive Musiktherapie in der OnkologieDie Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft der Musiktherapeutinnen und Musiktherapeu-ten in der Onkologie der Deutschen Musik-therapeutischen Gesellschaft haben 2006 ein „Berufsbild der Musiktherapie in der On-kologie und Hämatologie mit Erwachsenen“ erarbeitet [7], das auf die Besonderheit des Arbeitsfeldes Onkologie und Hämatologie im Unterschied zu psychotherapeutisch aus-gerichteten Kliniken oder Praxen (u.a. Akut-krankenhaus, Rehabilitationsklinik, Ambu-lantes Therapiezentrum und Onkologische Fachpraxis) eingeht. Als Voraussetzung für die Tätigkeit als Musiktherapeut(in) in der

Musiktherapie in der Onkologie

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Onkologie wird hier eine anerkannte fach-spezifische Ausbildung angesehen, die z.B. auf Hochschulebene erworben oder durch den Berufsverband der Musiktherapeutin-nen und Musiktherapeuten in Deutschland (BVM e.V.) anerkannt wird.

Musiktherapeutische Arbeitskreise, deren Mitglieder an unterschiedlichsten Arbeits-plätzen mit onkologischen Patienten arbei-ten, organisieren und moderieren ihre effek-tiven Arbeitstreffen rotierend [8].

Rezeptive Musiktherapie in der OnkologieDie rezeptive Musiktherapie, also das passi-ve Zuhören, lässt sich kurzfristig und ohne große Investitionen durch den Einsatz geeigneter Abspielgeräte und Tonträger-sammlungen ermöglichen. Zudem ist deren ständige Verfügbarkeit für die betroffenen Patienten ohne große personelle Präsenz als Vorteil anzusehen.

Ein sehr pragmatischer Ansatz zum Aufbau einer rezeptiven Musiktherapie wurde von Schmid [9] beschrieben: Schulung besonders motivierter Mitar-

beiter CD-Kontingente zusammenstellen nach

• Art der Musik (Klassik, Volksmusik, Entspannung, Oper/Operette, Barock, Klavier, Gesang etc.)

• Art der Indikation• Komponisten

Stationskonferenz (zusammen mit den Psychologen/Musiktherapeuten)

Ermutigung der Mitarbeiter auch zu klei-nen Schritten

Ausblick

Der vorliegende Beitrag ist durch unsere Tätigkeit rein pragmatisch ausgerichtet und ohne Anspruch auf fundierte Wissenschaft-lichkeit. Durch unserer Recherchen und eigenes Erleben können wir bestätigen, dass Musiktherapie Einfluss auf das Wohlbefin-den von onkologischen Patienten während der Therapien hat und deren Lebensqualität verbessern sowie die Krankheitsbewältigung positiv beeinflussen kann. Unser Beitrag soll als Anstoß verstanden werden, rezeptive Musiktherapie in onkologische Behand-lungskonzepte zu integrieren, dort wo es motivierten Mitarbeitern möglich ist und für onkologische Patienten sinnvoll erscheint.

Literatur:

1. Werner Kraus: Die Heilkraft der Musik. Einfüh-rung in die Musiktherapie. C.H. Beck Verlag, 2002

2. Hans-Helmut Deckert-Voigt: „Aus der Seele gespielt“. Goldmann-Taschenbuch 2000 in: Willi Dommer: Heilen mit Klängen. Natürlich 1-2004: 10

3. Geschichte der Musiktherapie: http://www.musiktherapie-infos.de/22-inhalt/3-geschich-te-der-musiktherapie.htm

4. Deutsche Gesellschaft für Musiktherapie on-line: Geschichte der Musiktherapie, April 2003. http://www.musiktherapie.de/index.php?id=18

5. Deutsche Musiktherapeutische Gesellschaft, online: Kasseler Thesen der Musiktherapie, Juli 2008, www.Musiktherapie.de

6. Rose J-P, Brandt K und Weis J: Musiktherapie in der Onkologie - Eine kritische Analyse zum Stand der Forschung. Psychother Psych Med 2004; 54: 457-470

7. Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft der Mu-siktherapeutinnen und Musiktherapeuten in der Onkologie der Deutschen Musiktherapeu-tischen Gesellschaft: Berufsbild der Musikthe-rapie in der Onkologie und Hämatologie mit Er-wachsenen (2006). http://www.musiktherapie.de/index.php?id=487

8. Haffa-Schmidt U: Effektives Arbeiten durch mu-siktherapeutische Arbeitskreise. Poster unter http://www.musiktherapie-onkologie.de

9. Schmid L, Schmid I, Kreuzer D und Raute A: Ver-besserung der Betreuung von Tumorpatienten durch Musik? http://www.musik-therapie.info/Erfahrungsberichte/body_erfahrungsberichte.html

Autorinnen:

Andrea Schult und Judith KrügerMedizinische Fakultät derErnst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald

* Der Beitrag basiert auf einer Projektarbeit im 4. Weiterbildungslehrgang zur Heranbildung von Pflegekräften in der Onkologie der Charité Uni-versitätsmedizin Berlin.

Herausgeber: Klaus Meier, Soltau

Verlag:onkopress, Ziegelhofstraße 43, 26121 Oldenburg, www.onkopress.deISSN-Nr.: 1437-8825

Chefredakteurin: Dr. Karla Domagk, Cottbus

Redaktion: Dr. Susan Bischoff, Berlin; Priv. Doz. Dr. Jens Büntzel, Nordhausen; Dr. Gabriele Gentschew, Frankfurt/M.; Dr. Doris Haider, Wien; Gerald Hensel, Leipzig; Dr. Brigitte Hübner, Quedlinburg; Dr. Petra Jungmayr, Stuttgart; Henrik Justus, Uslar; Michael Marxen, Wesseling; Thomas Schubert, Mönchengladbach; Wioletta Sekular, Tönisvorst; Gisela Sprossmann-Günther, Berlin; Dr. Robert Terkola, Wien; Dr. Sabine Thor-Wiedemann, Ravensburg.

Wissenschaftlicher Beirat:Prof. Dr. U. Jaehde, Pharmazeutisches Institut, Abt. Klinische Pharmazie, Universität Bonn; Prof. Dr. Günter Wiedemann, Klinik für Innere Medizin, Hämatologie, Onkologie und Gastroenterologie, Oberschwabenklinik Ravensburg; Univ. Prof. DI Dr. Robert Mader, Universitätsklinik für Innere Medizin I, Medizinische Universität Wien; Sigrid Rosen-Marks, Hamburg.

Alle Rechte, insbesondere die des Nachdrucks, der Übersetzung, der photomechanischen Wiedergabe und Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen sind vorbehalten und bedürfen der schriftlichen Genehmigung. Für unverlangt eingesandte Manuskripte, Fotos und Illustrationen wird nicht gehaftet. Der Leser darf darauf vertrauen, dass Autoren und Redak tion größte Mühe und Sorgfalt bei der Erstellung der Zeitung verwandt haben. Für etwaige inhaltliche Unrichtigkeit von Artikeln übernehmen Herausgeber, Verlag und Chefredakteur keinerlei Verantwortung und Haftung.Ein Markenzeichen kann warenzeichenrechtlich ge-schützt sein, auch wenn ein Hinweis auf etwa bestehen-de Schutzrechte fehlt. Namentlich gekennzeichnete Artikel stellen nicht unbedingt die Meinung der Redaktion dar.

28 | Onkologische Pharmazie | 13. Jahrgang | Nr. 1/2011

Musiktherapie in der Onkologie

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Who is who

Onkologische Pharmazie | 13. Jahrgang | Nr. 1/2011 | 29

Nach seiner Schulzeit im sauerländischen Bad Laasphe und dem Studium der Pharma-zie in Marburg hat Dr. Luzian Baumann sich sehr für die Fächer pharmazeutische Chemie und Lebensmittelchemie interessiert. So verwunderte es niemanden, dass sich eine Dissertation unter Prof. Dr. Seitz in diesem Bereich anschloss.

In seinen ersten Berufsjahren in der Zen tral-apotheke der Medizinischen Hochschule in Hannover war er in innovative Neuerungen der Pharmazie eingebunden. So konnte er nach Installation und Betrieb des EDV-gestützten Bestell- und Warenausgabesys-tems (MobiDiK) die „Zentrale Zytostatika-herstellung“ im Wechsel mit einem Kollegen leiten und im Anschluss die Abteilung „Mi-schinfusionen für die Pädiatrie“ aufbauen. Zudem konnte er seinen Interessen an der EDV – zwischenzeitlich als Zweiter Stellver-tretender Apothekenleiter – durch die ver-antwortliche Implementierung des SAP R3 Modul Materialwirtschaft gerecht werden.

In den gleichen Zeitraum fällt auch seine Weiterbildung und Anerkennung als „Facha-potheker für klinische Pharmazie“. 1999 wechselte er in die Zentralapotheke des Lahn-Dill-Kreises und übernahm dort im

Bearbeitet von Gisela Sproßmann-Günther, Berlin

Heute: Dr. Luzian Baumann, Wetzlar

Who is who

gleichen Jahr die Leitung der nunmehr über 2.700 Betten versorgenden Apotheke. Neben seiner täglichen mit hohen Anfor-derungen verbundenen Arbeit ist er wis-senschaftlich tätig, veröffentlicht Artikel im Bereich der Mikrobiologie und erhielt bereits zweimal den Autorenpreis der Zeit-schrift „Krankenhauspharmazie“: Glas ist die Aluminium-Kontaminationsquelle für Parenteralia (1999); Retrospektive Validie-rung (2004).

Seinen beruflichen Anspruch, stets hohe pharmazeutische Qualität anzubieten und eine gute Qualitätssicherung zu etablieren, lebt Luzian Baumann in seinem Wirkungs-kreis: Die Zentralapotheke ist seit 10 Jahren nach DIN ISO 9001 zertifiziert, besitzt die

Herstellerlaubnis nach §13 AMG ebenso lange und er ist seit vielen Jahren deren Kontrollleiter.

Sein spezialisiertes Wissen und Können bringt er auch als ständiges Mitglied in die DIN-Kommission „Zytostatikawerkbänke“ DIN 12980 und seit dem vergangenen Jahr im Ausschuss „Pharmazeutische Technolo-gie“ der Deutschen Arzneibuch-Kommission ein. Als Mitautor in den bisher herausgege-benen Qualitätsstandards für den pharma-zeutisch-onkologischen Service (QuapoS) zählt er zu den Initiatoren der Zertifizierung nach QuapoS und ist bereits seit 2000 Vor-sitzender der Zertifizierungskommission der DGOP.

Wie die Hauszeitschrift des Lahn-Dill-Krei-ses meldete, sind die Klinikumsmitarbei-ter mit seiner Hilfsbereitschaft und seinem Fachwissen sehr zufrieden und auch wir als Kollegen wissen ihn als hilfsbereiten und kompetenten Ansprechpartner sehr zu schätzen.

Der private Luzian Baumann wandert viel und bekocht gern Familie und Freunde, mit Zutaten aus dem eigenen Kräutergarten.

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ASH 2010

30 | Onkologische Pharmazie | 13. Jahrgang | Nr. 1/2011

Leukämien: Erfolgreiche Therapien und neue Genmutationen

Imatinib auch bei ALL mit beeindrucken-den ResultatenImatinib hat seine Effektivität und Überle-genheit gegenüber anderen Therapieoptio-nen bei der CML ja vor fast zehn Jahren sehr eindrucksvoll beweisen können und wurde zur Standardtherapie der CML. Aber auch bei der Philadelphia positiven (Ph+) akuten

Amerikanischer Hämatologiekongress (ASH) 2010

Von Annette Junker und Wolfgang Wagner

K O N G R E S S B E R I C H T

lymphatischen Leukämie (ALL) konnte sei-ne Wirksamkeit jetzt wieder beeindruckend belegt werden (1):

Der PH+ Arm der internationalen adulten ALL-Studie UKALL12/ECOG2993, die 1993 begann, stellt mit 441 Teilnehmern die größte Studie von PH+ adulten Patien-ten dar. In der ersten Kohorte dieses Stu-dien-Arms wurden 266 Patienten vor der „Imatinib-Ära“ über zwei Monate mit zwei Zyklen einer Induktionstherapie behandelt und dann einer allogenen Stammzelltrans-plantation (alloHSCT) unterzogen („Pre-Imatinib“). Bereits im März 2003 wurde bei einer zweiten Kohorte die Induktionsthe-rapie ergänzt durch eine Konsolidierungs-therapie aus 600 mg Imatinib täglich nach

der Induktion (n=86) („Late Imatinib“). In einer dritten Kohorte bekamen 89 Patien-ten seit 2005 bereits während der zweiten Induktionstherapie die Imatinibtherapie. Die beiden letzten Kohorten bekamen Ima-tinb noch zwei Jahre nach der alloHSCT als Erhaltungstherapie, falls sie es vertrugen. Auch die Patienten der Gruppen 2 und 3, bei denen eine HSCT unmöglich war, er-hielten zwei Jahre weiter die Imatinib Er-haltungstherapie.

Die Studie wurde im Dezember 2006 ge-schlossen und während des ASH wurden nun die drei Jahres Follow-up Daten vor-gestellt, die große Unterschiede zwischen den drei Kohorten aufweisen. Die Rate an kompletter Remission war bei den Imatinib-Kohorten signifikant höher als in der Pre-Imatinib-Gruppe, unter Imatinib war die Mortalitätsrate der Induktionstherapie nicht erhöht und in mehr Fällen konnte überhaupt eine alloHSCT durchgeführt werden. Be-sonders beeindruckend waren aber jetzt nach einer Nachbeobachtungszeit von drei Jahren die deutlich verbesserten Überlebenszeiten (Tab. 1, Abb.1).

Mehr als 20.000 Teilnehmer aus 102 Ländern trafen sich vom 4.-7. Dezember 2010 in Orlando, Florida zum 52. jährlichen Kongress der American Society of He-

matology. Neben Highlights der Forschung, der Diagnose und der Behandlung von Fehlregulationen der Erythrozyten und von Blutungs- und Thrombotisierungen wurden Neuigkeiten zu den Themen Leukämie, Lymphome und Transplantation vorgestellt.

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ASH 2010

Onkologische Pharmazie | 13. Jahrgang | Nr. 1/2011 | 31

Funktion des TET2 Proteins enthülltEine der größten Herausforderungen onko-logischer Wissenschaftler ist die Aufklärung der Pathogenese der malignen Erkrankung und das bis zur Erforschung von einzelnen Proteinen und der Auswirkung, die ein-zelne Mutationen auf die Pathogenese der Erkrankung haben.

Als Top 1 und damit als erste während der Plenarsitzung vorgestellte Studie wurde seitens der ASH in diesem Jahr eine Ar-beit gewertet, die sich mit der Funktion des TET2 Proteins beschäftigt hatte (2). Bereits von verschiedenen Autoren war bisher beschrieben worden, dass bei verschiedenen myelo-proliferienden Erkrankungen wie dem myelodysplastischen

Syndrom (MDS), myeloproliferierenden Neoplasmen (MPNs) und sowohl primären wie auch sekundären AML häufig TET2-Mutationen nachgewiesen werden können. Nun wurde die Funktion dieses Enzyms genauer erforscht: Es konnte gezeigt werden, dass TET2 normalerweise 5-Methylcytosin (5-mC) in 5-Hydroxymethylcytosin (5-hmC) umwandelt. Daraus folgt, dass Knochen-markzellen von Patienten mit mutierten TET2 weniger der Cytosin-Variante 5-hmC in ihrer DNA aufweisen. Zwischen Patien-ten mit myeloischen Erkrankungen einer-seits und nachgewiesenen TET2-Mutatio-nen sowie geringeren Mengen 5-hmC im Genom bzw. der DNA der befallenen Zellen zeigte sich eine hohe Korrelation. Demnach scheint TET2 wichtig für eine normale My-elopoese zu sein und ein Unterbinden seiner Funktion begünstigt offensichtlich eine my-eloische Tumorgenese. In Zukunft könnte sich demnach eine Messung des Anteils von 5-hmC in der DNA als nützliches diagnos-tisches wie auch prognostisches Kriterium entwickeln.

Tab. 1: Gesamtüberleben (OS), Vorfallfreies Überleben (EFS) und Rückfallfreies Überleben (RFS) [nach 1]

„Pre-Imatinib“ Mit Imatinib

Gesamt mit Imatinib

„Late Imatinib“

„Early Imatinib“

% OS (95% CI)

(s. auch Abb. 1)

25 (20-30) 42(34-49) 34 (24-44) 48 (36-60)

p=0,0001 p=0,05

% EFS (95% CI) 19 (14-24) 36 (29-44) 29 (19-38) 45 (34-56)

p<0,0001 p=0,04

% RFS (95%CI) 36 (28-43) 54 (45-63) 45 (33-57) 62 (50-75)

p=0,0001 p=0,02

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ASH 2010

32 | Onkologische Pharmazie | 13. Jahrgang | Nr. 1/2011

Exzellente Langzeitdaten unter NilotinibNilotinib ist ein potenter und selektiver In-hibitor von BCR-ABL und konnte bereits in einer Phase-III-Studie (ENESTnd) seine im Vergleich zu Imatinib höhere Effektivität nachweisen. So betrugen nach einem medi-anen Follow-up von 18,5 Monaten (ASCO/EHA 2010) die Progressionsraten 0,7% bzw. 0,4% (unter 300 bzw. 400 mg Nilotinib) im Vergleich zu 4,2% unter Imatinib. Um weiterhin dem Vergleich zum berühmten Vorbild Imatinib standhalten zu können, sind aber auch Daten zur Dauerhaftigkeit dieses Ansprechens extrem wichtig. Dieser Fragestellung ging nun eine multizentrische Phase-II-Studie nach, in der die Patienten drei Jahre lang mit Nilotinib 400 mg zwei-mal täglich als Erstlinientherapie behan-delt wurden (3). Als Zielparameter galten das zytogenetische sowie das molekulare Ansprechen, außerdem Gesamtüberleben

(OS), progressionsfreies Überleben (PFS) und Überleben ohne Vorfall (EFS).

In den Abb. 2 und 3 sind die Raten des kompletten zytogenetischen sowie des mo-lekularen Ansprechens dargestellt. Deut-lich zu sehen sind hohe Ansprechraten sowie ein stabiles Ansprechen. Nach 30 Monaten betrugen die Raten von OS und PFS 99% und die des EFS 92%. In drei Jahren kam es nur bei einem einzigen von 73 Patienten zu einer Progression in die akzelerierte Phase bzw. Blastenkrise. Die Nebenwirkungen waren meistens nur vom Typ 1 oder 2 und ließen sich durch Dosi-sadaption behandeln. Somit konnte also gezeigt werden, dass die sehr guten An-sprechraten der ersten zwölf Monate mit einer sehr guten Dauerhaftigkeit bestätigt wurden und damit zu einem optimalen Benefit für die Patienten führten.

Allogene Transplantation: Welches Risiko trägt der Spender?

Die Fremdspende hämatopoetischer Stamm-zellen (aus Knochenmark oder peripherem Blut) ist ein absolut altruistischer Akt. Der Spender hat grundsätzlich keinen Nutzen davon, der Entschluss dazu erfolgt meist aus einem kollektiv empfundenen und durch Medien geförderten Mitleid mit krebskran-ken Menschen oder Kindern. Umso wich-tiger ist es, der Frage nachzugehen, ob der Spender denn auch keinen Schaden durch die Spende nimmt. Der Prozess der Stamm-zellspende an sich gilt durchaus als unprob-lematisch, aber es gilt sicherzustellen, dass der Spender auch in der Nachfolgezeit keine Schäden durch die Spende hat. Das deut-sche Knochenmarkzentrum in Tübingen (DKMS) hat sich der Frage angenommen und die Ergebnisse während des ASH vor-gestellt (4). Es wurde ein einfach auszufül-lender Fragebogen mit vier Frageblöcken entwickelt: generelles Wohlergehen Aufenthalt in Krankenhäusern oder länger andauernder Therapien seit der Spende

verschriebene Arzneimittel und als letztes, ob man ein weiteres Mal zu einer Spende bereite wäre

Alle Spender, die jemals im DKMS gespen-det hatten, wurden gesichtet. Der Fragebo-gen wurde schließlich an 15.456 Fremdspen-der gesendet, die vor dem 31.01.2009 periphere Blutstammzellen (PBSC) oder Knochenmark (BM) gespendet hatten. 12.559 (81,3%) komplett ausgefüllter Fra-gebögen inklusiver Einverständniserklärung kamen zurück, 8.730 von PBSC-Spendern, 3.556 von Knochenmarkspendern und 273 von Spendern, die bereits beides einmal ge-spendet hatten (Abb.4). Das entsprach 30.777 Beobachtungsjahren von PBSC-Spendern und 23.037 für BM-Spender. Durchschnitt-lich betrug die Zeit seit der Spende 3,3 Jahre.

Die meisten Spender bezeichneten ihren Gesundheitszustand als sehr gut oder gut (95% PBSC-, 96% BM-, 92,2% PBSC+BM-Spender) (Vergleich zu PBSC+BM-Spen-dern: χ2 test, p=0,03). Zwar zeigten sich in den univariaten Analysen bei PBSC

Time in years

% survival

With imatinib 42%

Pre imatinib 25%

2P = 0·0001

OS PreImatinib v. Imatinib100

75

50

25

00 1 2 3

Abb.1: Gesamtüberleben der Patienten mit bzw. ohne Imatinib-Therapie [nach 1]

Abstract 359 (Gianantonio Rosti) Excellent Outcomes at 3 Years With Nilotinib 800 mg Daily in Early Chronic Phase, Ph+ Chronic Myeloid Leukemia (CML): Results of a Phase 2 GIMEMA CML WP Clinical Trial

3

90%100%

Complete Cytogenetic Response (n. 73, ITT)Complete Cytogenetic Response (n. 73, ITT)

30%40%50%60%70%80%

CCgRPCgR< PCgRNEOFF

78% 96% 96% 95% 92%

%0%10%20%

3 M 6 M 12 M 18 M 24 M

O

GIMEMA CML WPGIMEMA Protocol CML 0307

Kinetics Of Molecular Response (n. 73, ITT)(MMR < 0.1%IS )

90%

100%

40%

50%

60%

70%

80%

90%

NE< MMRMMR

52%

66% 73% 85% 70% 81% 74% 82%

0%

10%

20%

30%

1 2 3 6 9 12 15 18 21 24

MMR

Months

3%

21%

GIMEMA CML WPGIMEMA Protocol CML 0307

Abb. 2: Komplettes zytogenetisches Ansprechen unter Nilotinib (nach [3])

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ASH 2010

Onkologische Pharmazie | 13. Jahrgang | Nr. 1/2011 | 33

Spendern signifikant weniger Probleme in den Frageblöcken 2 und 3 als bei den BM-Spendern. Aber in multivariaten Analysen relativierte sich dieser Unterschied, da die PBSC-Spender auch signifikant jünger und außerdem mehr Männer waren. Insgesamt wurden 85 bösartige Erkrankungen festge-stellt, 50 bei den PBSC-, 31 bei den BM- und vier bei den PBSC+BM-Spendern. Die Daten dieser Spender wurden mit Hilfe des SIR (standard incidence ration), das heißt mit dem Vergleich zur Normalbevölkerung

abgeschätzt. Die korrespondierenden SIR-Werte von PBSC- und BM-Spendern be-trugen 1,12 (0,82-1,50) und 0,84 (0,56-1,19). Eine höher als erwartete Rate an malignen Melanomen bei BM-Spendern (SIR=3,02) wurde von den Autoren als statisches Arte-fakt interpretiert, weil ein Zusammenhang unlogisch erscheint. Ein verringerter SIR zeigte sich bei Lungenkrebs (SIR=0,15), malignen Neoplasmen der Lippen, Mund-höhle und Pharynx (SIR=0,00). Da ein Zu-sammenhang zwischen der Entwicklung

von malignen Erkrankungen und gesunder Lebensweise wohl bekannt ist, vermuten die Autoren, dass diese freiwilligen Spen-der sich nicht nur bewusst mit dem Thema Krebs auseinandersetzen und dadurch auch zu Spendern wurden, sondern eben auch einen gesunden Lebensstil pflegen.

Besonders wichtig war den Forschern aber, dass es bei den PBSC-Spendern nicht zum erhöhten Auftreten maligner Erkrankungen, besonders Leukämien gekommen war. Das bedeutet, dass die teilweise in der Literatur geäußerte mögliche Gefahr der Mobilisie-rung von Krebszellen beim Spender durch die Applikation von G-CSF aufgrund der hier vorgestellten Daten nicht bestätigt wer-den kann.

Literatur:

(1) Fielding A.K., Buck, G., Lazarus, H.M. et al. Imatinib significantly enhances Long-Term outcome in Philadelphia Positive Acute Lym-phoblastic Leukaemia; Final Results of the UKLLXII/ECOG2993 Trial. Proceed Am Hem 2010, abstr. 169.

(2) Jankowska, A., Ko, M., Huang, Y. et al. Im-paired Hydroxylation of 5-Methylcytosine in TET2 mutated patients with myeloid malig-nancies. Proceed Am Hem 2010, abstr. 1.

(3) Rosti, G., Fausto, C., Gugliotta, G. et al. Ex-cellent Outcome at 3 Years with Nilotinib 800 Mg Daily In Early Chronic Phase, Ph+ Chronic Myeloid Leukemia (CML): Results of a Phase 2 GIMEMA CML WP Clinical Trial. Proceed Am Hem 2010, abstr. 359.

(4) Schmidt, A., Mendling, T. Pongel, J. et al. Follow-up of 12.559 Unrelated Donors of Pe-ripheral Blood Stem Cells or Bone Marrow. Proceed Am Hem 2010, abstr. 365.

Autoren:

Dr. Annette JunkerApothekerin für klinische und onkologische Pharmazie, Wermelskirchen

Prof. Dr. Wolfgang WagnerParacelsus Strahlenklinik, Osnabrück

Abb. 4: Teilnehmer der Follow-up-Studie des Deutschen Knochenmarkzentrums in Tübingen (DKMS) bis zum 31.01.2009 [nach 4]

Abstract 359 (Gianantonio Rosti) Excellent Outcomes at 3 Years With Nilotinib 800 mg Daily in Early Chronic Phase, Ph+ Chronic Myeloid Leukemia (CML): Results of a Phase 2 GIMEMA CML WP Clinical Trial

3

90%100%

Complete Cytogenetic Response (n. 73, ITT)Complete Cytogenetic Response (n. 73, ITT)

30%40%50%60%70%80%

CCgRPCgR< PCgRNEOFF

78% 96% 96% 95% 92%

%0%10%20%

3 M 6 M 12 M 18 M 24 M

O

GIMEMA CML WPGIMEMA Protocol CML 0307

Kinetics Of Molecular Response (n. 73, ITT)(MMR < 0.1%IS )

90%

100%

40%

50%

60%

70%

80%

90%

NE< MMRMMR

52%

66% 73% 85% 70% 81% 74% 82%

0%

10%

20%

30%

1 2 3 6 9 12 15 18 21 24

MMR

Months

3%

21%

GIMEMA CML WPGIMEMA Protocol CML 0307

Abb. 3: Molekulares Ansprechen unter Nilotinib (nach [3]).

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Moderne Verfahren der Mammarekonstruktion

Durch eine stetige Verbesserung der Ope-rationstechniken steht heute eine Vielzahl von zuverlässigen Rekonstruktionsverfah-ren zur Verfügung. Neben der Möglichkeit der alloplastischen Rekonstruktion durch ein Silikonimplantat – gegebenenfalls nach Vordehnung des Gewebes durch einen Ex-pander – erlangten die autologen Rekons-truktionsverfahren (aus eigenem Gewebe) zunehmend Bedeutung. Aus onkologischer Sicht unbedenklich sind sowohl alloplasti-sche als auch autologe Verfahren, zudem lassen sich beide sowohl primär als auch sekundär einsetzen.

Während die Implantation einer Silikon-prothese in vorbestrahltes Gewebe oder die Bestrahlung einer bereits implantierten Prothese ein erheblich erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer Kapselfibrose nach sich zieht, ist die Bestrahlung einer aus ei-genem Gewebe rekonstruierten Brust weit weniger problematisch. Des Weiteren stellt die autologe Rekonstruktion meist eine endgültige Lösung dar, während Silikon-implantate nach heutigen Empfehlungen spätestens nach zehn Jahren ausgetauscht werden sollten.

Von der gestielten zur freien Lappenplastik

Wir möchten im Folgenden auf die autologe Rekonstruktion durch freien mikrovaskulä-ren Gewebetransfer („freie Lappenplasti-ken“) vom Unterbauch eingehen, die heute als Goldstandard gilt. Sie ist einer Implan-tatrekonstruktion insbesondere im Hinblick auf die Ästhetik im Allgemeinen überlegen.Das Gewebe der Bauchdecke im Unter-bauchbereich, bestehend aus Haut und subkutanem Fettgewebe, verhält sich in

Moderne Verfahren der Mammarekonstruktion

Von J. Mayer, I. Ludolph und D. Kistler, Ravensburg

„Jede Patientin, bei der eine Brustamputation durchgeführt wird, sollte über die Möglichkeit einer sofortigen oder späteren Brustrekonstruktion oder den Ver-

zicht auf rekonstruktive Maßnahmen aufgeklärt werden.“ So steht es in der aktuellen S3-Leitlinie für die Diagnostik, Therapie und Nachsorge des Mammakarzinoms (1). Der Wiederherstellung der weiblichen Brust nach Mastektomie wurde somit ein hoher Stellenwert in der Therapie des Mammakarzinoms zugemessen.

Bezug auf Haptik, Farbe, Temperatur und Alterungsprozess brust-ähnlich. Dies gilt nicht grundsätzlich für jedes Gewebe. Freie

Lappenplastiken aus der Glutealregion bei-spielsweise haben einen höheren Anteil an Bindegewebe, fühlen sich somit fester an und entwickeln im fortschreitenden Al-terungsprozess nicht das gleiche Maß an Ptosis wie die gesunde gegenseitige Brust.

Zum besseren Verständnis der verschiedenen Lappenplastiken und ihrer Klassifikation ist ein Blick auf die Gefäßversorgung der Bauchdecke im Unterbauchbereich not-wendig.

Die arterielle Versorgung der Bauchdecke erfolgt in den meisten Fällen dominant

durch die A. epigastrica inferior. Sie kom-muniziert oberhalb des Bauchnabels mit der A. epigastrica superior. Die Versorgung der Bauchdecke des Unterbauches durch die A. epigastrica superior ist deutlich schlechter als durch die A. epigastrica inferior (2).

Ein weiteres Gefäßsystem existiert ober-flächlich im subkutanen Fettgewebe. Die Rektusmuskulatur ist zudem durch seg-

mentale Gefäßnervenbündel versorgt, die von interkostal lateral nach medial in die Muskulatur ziehen und diese motorisch in-nervieren.

Die freien Lappenplastiken vom Unterbauch sind das Ergebnis einer stetigen Weiterent-wicklung der chirurgischen Techniken. Zu Beginn standen die kranial muskelgestielten Lappenplastiken.

Anfang der 1980er-Jahre verbreitete sich die Technik der einseitig muskelgestielten Lappenplastik (3). Aufgrund der queren Ausrichtung der vom Unterbauch entnom-

Abb. 1: Freie msTRAM-Lappenplastik, intraoperativ nach Formung der Mammatasche

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Moderne Verfahren der Mammarekonstruktion

menen Gewebespindel wurde sie als TRAM-Lappenplastik bezeichnet (engl. Transverse Rectus Abdominis Myocutaneus Flap). Ope-rationstechnisch wird der M. rectus abdomi-nis einseitig zusammen mit der dorsal verlau-fenden A. und V. epigastrica inferior kaudal durchtrennt. Das Gewebe vom Unterbauch (Haut und subkutanes Fettgewebe) wird an der Muskulatur anhängend durch einen epi-faszial geschaffenen Tunnel nach kranial in die zuvor subkutan präparierte Brusttasche gezogen und zur Neomamma aufgebaut. Obwohl der Muskel kranial gestielt belas-sen wird und auch die A. und V. epigastrica superior intakt bleiben, kommt es durch die schlechte Perfusion von kranial häufig zu Durchblutungsstörungen. Vornehmlich tre-ten venöse Stauungen im Lappen mit nach-folgender Lappenteilnekrose auf.

Deshalb ging man dazu über, den Lappen beidseitig, also an beiden Mm. recti abdo-minis kranial zu stielen. Dadurch wird zwar die Lappenperfusion verbessert, man erkauft sich diese jedoch durch eine ausgesprochene Hebedefekt-Morbidität. Die Bauchwand-schwäche durch den Verlust von Muskulatur und Faszie zieht die Gefahr einer Herniation sowie ein nicht unerhebliches funktionelles Defizit nach sich. Die entstandenen Faszi-endefekte lassen sich im Allgemeinen nicht durch Fasziendopplung verschließen, so dass großflächig aufgelegte Kunststoffnetze zur Stabilisierung der Bauchwand notwendig werden. Diese negativen Folgen lassen sich zumindest teilweise durch eine muskelspa-rende Präparationstechnik vermeiden. Dabei wird der Muskel nicht vollständig in Quer-richtung durchtrennt, sondern nur zu einem Teil. Sinn macht dies jedoch nur, wenn dabei der laterale Teil des Muskels erhalten wird. Denn ein medial verbleibender Rest wäre nach Durchtrennung der von lateral kom-menden motorischen Nervenäste denerviert und somit weitgehend nutzlos.

Eine weitere Möglichkeit zur Verbesserung der Lappenperfusion einer kranial gestielten TRAM-Lappenplastik besteht im zusätz-lichen mikrochirurgischen Anschluss der kaudal abgesetzten A. epigastrica inferior an eine thorakale Arterie wie z.B. die A. thoracodorsalis. Dieses Verfahren wird als hook-up bezeichnet.

Des Weiteren lässt sich die Perfusion einer muskelgestielten TRAM-Lappenplastik

durch eine Delay-Operation verbessern (4). Dabei werden einige Wochen vor der geplanten Lappenhebung gezielt die von kaudal kommenden Gefäße aufgesucht und ligiert. Die A. und V. epigastrica superior werden dadurch dominanter, die Lappen-perfusion verbessert sich.

Während beidseitig gestielte TRAM-Lap-penplastiken als obsolet gelten dürften, wer-den einseitig gestielte Lappenplastiken in anderen operativen Fachdisziplinen heute noch standardmäßig eingesetzt.

In der Plastischen Chirurgie wurden die operativen Verfahren konsequent weiter ent-wickelt. Anfang der 1990er-Jahre etablierte sich zunehmend die freie mikrovaskuläre TRAM-Lappenplastik (5).

Bei dieser Technik wird nur ein relativ klei-nes Segment eines Rektusmuskels mit in den Lappen einbezogen. In diesem Segment ziehen wichtige Blutgefäße durch die Mus-kulatur und sichern die Lappenperfusion. Kranial und kaudal dieses Segments bleibt der entsprechende Rektusmuskel unberührt und durch die segmentale Innervation auch funktionsfähig. Durch eine muskelsparen-de Präparationstechnik (muscle-sparing TRAM, msTRAM) bleiben der kraniale und kaudale Anteil durch eine ebenfalls in-nervierte und somit funktionsfähige laterale Muskelbrücke verbunden, das entnommene Muskelsegment ist nur wenige Zentimeter klein. Der entstandene Fasziendefekt wird durch Fasziendopplung und/oder Auflage eines Kunststoffnetzes verschlossen. Es be-steht weiterhin die Gefahr für Bauchwand-schwächen mit konsekutiven Herniationen, allerdings ist diese Gefahr wesentlich gerin-ger als bei der gestielten Variante (6).

Der Gefäßstiel der „frei“ gehobenen, also vollständig abgetrennten Lappenplastik wird

im Brustbereich entweder an die A. und V. thoracica interna oder die A. und V. thora-codorsalis mikrochirurgisch angeschlossen. Eine epifasziale Untertunnelung nach kra-nial ist somit nicht notwendig. Dies führt zu einem wesentlich besseren kosmetischen Ergebnis.

Um die Hebedefektmorbidität weiter zu ver-ringern, wurde die TRAM-Lappenplastik weiter entwickelt. Man ging dazu über, die Muskulatur vollständig zu erhalten. Hierzu werden die aus der A. epigastrica inferior ab-gehenden Blutgefäße in mikrochirurgischer Technik aus der Muskulatur herauspräpa-riert. Dabei wird die Innervation vollstän-dig erhalten oder nach der Lappenhebung mikrochirurgisch rekonstruiert. Es entstand die freie DIEP- oder DIEA-Lappenplastik (engl. Deep Inferior Epigastric Perforator Flap oder Deep Inferior Epigastric Artery Flap) (7 - 9).

Durch beidseitige freie DIEP-Lappenplas-tiken können durch Teilung des Gewebes in der Mittellinie in einer Operation beide Brüste rekonstruiert werden (10). Vorausset-zung hierfür ist allerdings ausreichend vor-handenes Gewebevolumen am Unterbauch.

Parallel zur freien TRAM- und DIEP-Lap-penplastik wurde die freie SIEA-Lappen-plastik (engl. Superficial Inferior Epigastric Artery Flap) entwickelt (11). Diese Lap-penplastik ist an der subkutan nach kranial verlaufenden A. epigastrica superficialis und der meist nicht parallel verlaufenden Vene gestielt.

Die Präparation dieser Lappenplastik ver-läuft ausschließlich epimuskulär, sie kann deshalb relativ schnell und ohne jeglichen Eingriff am M. rectus abdominis durch-geführt werden. Da die A. epigastrica su-perficialis aber selten so kaliberstark ist wie

Abb. 2: Freie msTRAM-Lappenplastik, intraoperativ nach Lappenhebung, rechts unten Gefäßstiel

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Moderne Verfahren der Mammarekonstruktion

die A. epigastrica inferior, sollte zur Ge-währleistung einer sicheren Perfusion der gegenseitige gefäßferne Anteil des Lappens verworfen werden. Ansonsten besteht die Gefahr von Fettgewebsnekrosen.

Nach dem Heben einer Lappenplastik am Unterbauch verbleibt ein Defekt, der von kranial des Bauchnabels bis zum Mons pu-bis reicht. Um diesen zu verschließen, wird

der verbliebene Hautweichteilmantel im Oberbauchbereich bis zum Rippenbogen von der Muskelfaszie gelöst. Dieses Gewebe ist bei Frauen mittleren Alters im Allge-meinen durch den Alterungsprozess und nach Schwangerschaften vorgedehnt und erschlafft, so dass es nach der Mobilisation nach kaudal gezogen und der Defekt da-durch verschlossen werden kann.

Da diese Technik des Bauchwandverschlus-ses der einer Abdominoplastik (Bauchde-ckenstraffung) zur ästhetischen Korrektur einer erschlafften Bauchwand entspricht, wird der Zugewinn durch diesen Teil der Operation von vielen Frauen geschätzt und erhöht die Akzeptanz des Operationsver-fahrens.

Als Alternative zur freien DIEP-, TRAM- und SIEA-Lappenplastik stehen weitere freie Lappenplastiken von gluteal (S-GAP, I-GAP) und vom Oberschenkel (TMG) zur Verfügung. Sie können verwendet wer-den, wenn die Erstgenannten nicht in Frage kommen. Dies ist insbesondere der Fall, wenn im Unterbauchbereich ausgedehnte Voroperationen durchgeführt wurden.

Bei starkem Nikotinabusus sind freie Lap-penplastiken mit wesentlich erhöhtem Risi-ko für Lappen(teil)nekrosen verbunden. In solchen Fällen kann die erweitert präparierte gefäßgestielte Latissimus-Dorsi-Insellap-penplastik eine Alternative sein.

Schließlich muss noch herausgestellt wer-den, dass jede freie Lappenplastik im Ver-gleich zu einer gestielten Lappenplastik ein erhöhtes Risiko für eine vollständige Lappennekrose durch Versagen der ar-teriellen und/oder venösen Anastomose hat. Dies muss den Patientinnen präoperativ vermittelt werden.

Freie Lappenplastiken erfordern neben ei-nem hohen Maß an operativer Erfahrung auch ein strukturiertes perioperatives Ma-nagement, von der präoperativen Bildge-bung in Zusammenarbeit mit den Kollegen der Radiologie bis hin zum postoperativen Lappenmonitoring durch geschultes Pfle-gepersonal.

Literatur:

(1) Interdisziplinäre S3-Leitlinie für die Diag-nostik, Therapie und Nachsorge des Mam-makarzinoms.1. Aktualisierung 2008.

(2) Boyd JB, Taylor GI, Corlett R. The vascular territories of the superior epigastric and the deep inferior epigastric systems. Plast Reconstr Surg 1984; 73(1): 1-16.

(3) Hartrampf CR, Scheflan M, Black PW. Breast reconstruction with a transverse abdominal island flap. Plast Reconstr Surg 1982; 69(2): 216-225.

(4) Codner MA, Bostwick J 3rd, Nahai F, Bried JT, Eaves FF. TRAM flap vascular delay for high-risk breast reconstruction. Plast Reconstr Surg 1995; 96(7): 1615-1622.

(5) Yamada A, Harii K, Hirabayashi S, et al. Breast reconstruction with the free TRAM flap after breast cancer surgery. J Reconstr Microsurg 1992; 8: 1.

(6) Edsander-Nord A, Jurell G, Wickman M. Donor-site morbidity after pedicled or free TRAM flap surgery: a retrospective study. Plast Reconstr Surg 1999; 104: 1642.

(7) Koshima I, Soeda S. Inferior epigastric artery skin flaps without rectus abdominis muscle. Br J Plast Surg 1989; 42(6): 645-648.

(8) Itoh Y, Arai K. The deep inferior epigastric artery free skin flap: anatomic study and cli-nical application. Plast Reconstr Sury 1993; 91: 853.

(9) Allen RJ, Treece P. Deep inferior epigastric perforator flap for breast reconstruction. Ann Plast Surg 1994; 32: 32.

(10) Blondeel PN, Boeckx WD. Refinements in free flap breast reconstruction: the free bi-lateral deep inferior epigastric perforator flap anastomosed tot he internal mammary artery. Br J Plast Surg 1994; 47: 495.

(11) Stern HS, Nahai F. The versatile superficial inferior epigastric artery free flap. Br J Surg (Scotland), May-Jun 1992; 45(4); 270-274.

Autoren:

J. Mayer, Dr. I. Ludolph, Prof. Dr. med. D. Kistler, Plastische Chirurgie, Oberschwabenklinik KH St. Elisabeth Ravensburg, Brustzentrum Oberschwaben

Abb. 3: Freie msTRAM-Lappenplastik, 5 Monate postoperativ

Abb. 4: Freie msTRAM-Lappenplastik, 10 Monate postoperativ nach Rekonstruktion des Mamillen-Areola-Komplexes

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Lebender Kolumnentitel

Onkologische Pharmazie | 13. Jahrgang | Nr. 1/2011 | 37

3. NZW-Dresden

Kurzvorträge zu aktuellen Themen aus den Bereichen Arbeits-sicherheit und aseptischer Herstellung applikationsfertiger Zytostatikalösungen

Zertifikatskurse der DGOP: Aseptisches Arbeiten Case Reports Psycho-Onkologie

Satellitensymposien der Pharmazeutischen Industrie

Interaktive Industrieausstellung

Plattform für kollegialen & interdisziplinären Austausch

Der NZW Dresden richtet sich an alle pharmazeutischen Be-rufsgruppen sowie an Experten aus dem Bereich der Arbeits-sicherheit.

Angestrebte Teilnehmerzahl: 200 Teilnehmer

Der NZW-Dresden: praxisnahe Fortbildung – mit Sicherheit! Seien Sie dabei!

3. NZW-Dresden vom 27. - 28. Mai 2011 – Save the Date!

Der NZW-Dresden steht für praxisnahe Fortbildung zu praxisna-hen Themen. Seien Sie auch 2011 dabei, wenn in der sächsischen Landeshauptstadt bereits zum dritten Mal Arbeitssicherheit und aseptische Herstellungspraxis in den Fokus des bewährten NZW-Formates treten.

Freuen Sie sich auf praxisnahe Fortbildung mit Kurzvorträgen, Symposien und Zertifikatskursen sowie eine interaktive Indus-trieausstellung mit Live-Präsentationen.

Der 3. NZW-Dresden richtet sich an alle pharmazeutischen Berufsgruppen sowie an Experten aus dem Bereich der Ar-beitssicherheit. Ob als Einstieg in die aseptische Herstellungs-praxis oder als Update – nutzen Sie den NZW-Dresden um Ihre Wissensspeicher zu füllen und sich mit Kollegen und Experten aus dem ganzen Bundesgebiet zur Herstellung von Zytostatika auszutauschen.

Der NZW-Dresden: praxisnahe Fortbildung – mit Sicherheit! Seien Sie dabei!

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38 | Onkologische Pharmazie | 13. Jahrgang | Nr. 1/2011

Buchbesprechung

„Die neue Ernährung bei Krebs“

Von Oliver Kohl und Carola Dehmel

Buchbesprechung

Von Mandy Max und Nadine Klinkig, Werdau

Schlütersche VerlagsgesellschaftmbH & Co. KG 1. Auflage 2010144 Seiten, broschiertISBN 978-3-89993-580-614,95 Euro

Die Diagnose Krebs trifft heute mehr Men-schen als man vielleicht glauben mag und bedeutet für die Betroffenen immer einen tiefen Einschnitt in das Leben. Neben den unzähligen Arztbesuchen, Therapiemög-lichkeiten und der neuen Lebenssituation im Allgemeinen rückt die oftmals verän-derte Ernährungssituation manchmal in den Hintergrund. Es sind unzählige Bücher und Kochbücher zum Thema Ernährung und Krebs auf dem Markt, die sich aber oft nur mit der Prävention oder mit den sogenann-ten „Krebs-Diäten“ befassen. Diese publi-zierten „Krebs-Diäten“ sind meist nicht wis-senschaftlich fundiert oder gar schädlich.

Das in erster Auflage erschienene Buch „Die neue Ernährung bei Krebs“ stellt ein neu-artiges Ernährungskonzept vor, welches mit wissenschaftlichen Erkenntnissen un-termauert ist.

Im ersten Teil des Buches werden die wis-senschaftlichen Grundlagen der Stoffwech-selveränderungen bei Krebs von vier re-nommierten Ärzten aus der Praxis erläutert und mit Studien belegt. Demzufolge sollten nicht mehr als 50 % der Energie aus Kohlen-hydraten bezogen werden. Gleichzeitig wird empfohlen, den Eiweißanteil der Nahrung zu erhöhen. Circa die Hälfte der Energie sollte aus Fetten kommen, wobei auch auf die geeigneten eingegangen wird. Zusätz-

lich wird ein kurzer Überblick über die Nebenwirkungen der Tumortherapie mit passenden Ernährungstipps gegeben.

Im zweiten Teil wird das neuar-tige Ernährungskonzept in Form einer Rezeptsammlung praktisch umgesetzt. Die Gerichte wurden alle von der Diätassistentin Frau Carola Dehmel und Herrn Dipl. oec. troph. Oliver Kohl entwickelt und am Klinikum „St. Georg“ Leip-zig auf Akzeptanz geprüft.

Es ist kein Kochbuch im klassi-schen Sinne, sondern geht mit vie-len Ideen auf die unterschiedlichen Tagesmahlzeiten ein. Zusätzlich widmet es sich in einem Extrateil ei-nigen leckeren, appetitanregenden, eiweißreichen Zwischenmahlzeiten.

Viele Gerichte sind sehr einfach und schnell zuzubereiten, da bekanntlich auch mit we-nigen Zutaten leckere Speisen entstehen können. Das Buch beinhaltet aber auch ei-nige aufwendigere Speisen, die eher von den Angehörigen zubereitet werden sollten.

Eine vorgefertigte Zusammenstellung der Gerichte in Tagespläne erleichtert es unge-mein, die nötigen täglichen Energiemengen zu erreichen und die Empfehlungen des Er-nährungskonzeptes umzusetzen. Allerdings erinnert diese Form der Zusammenstellung eher an einen starren Diätplan, welcher mit großer Wahrscheinlichkeit von den meisten Betroffenen nicht umzusetzen ist.

Dieses Buch ist für Patienten geeignet, die aktiv die onkologische Therapie unterstüt-zen und somit zur Steigerung ihrer Lebens-qualität beitragen möchten. Die umfangrei-chen Einblicke in die Veränderungen des gesamten Körpers durch die Erkrankung und während der Therapie helfen Betroffe-nen sowie deren Angehörigen, die Krankheit zu verstehen.

Für diesen Personenkreis bieten die Re-zepte und die schönen Abbildungen viele Anregungen für eine abwechslungsreiche und optimierte Ernährung über die doch manchmal sehr schwere Zeit hinweg.

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Pressemitteilung

++ PRESSEMITTEILUNG ++ PRESSEMITTEILUNG ++ PRESSEMITTEILUNG ++ PRESSEMITTE

Der internationale Wettbewerb „Be Smart – Don’t Start“

„Jede dritte Krebserkrankung in Deutschland ist auf das Rauchen zurückzuführen. Wir wol-len dazu beitragen, dass junge Menschen gar nicht erst mit dem Rauchen beginnen“, so Gerd Nettekoven, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Krebshilfe. „Daher unterstützen wir den Wettbewerbs ‚Be Smart – Don’t Start’ bereits seit vielen Jahren. Denn es ist besser eine Krebserkrankung zu verhindern, als sie später behandeln zu müssen.“

Der Wettbewerb „Be Smart – Don’t Start“ ist ein Programm zum Nichtrauchen für sechste bis achte Schulklassen und wird im Schul-jahr 2010/2011 zum vierzehnten Mal in Deutschland angeboten. Viele Jugendliche beginnen in diesem Alter mit dem Rauchen zu experimentieren. Die teilnehmenden Klassen verpflichten sich, ein halbes Jahr lang nicht zu rauchen. Wenn mehr als zehn Prozent in einer Klasse rauchen, scheidet die Klasse aus dem Wettbewerb aus. Das Ziel des Wettbewerbs ist es, den Einstieg in das Rauchen zu verhindern.

Die Studie in Sachsen-Anhalt208 Klassen mit 3.490 Schülerinnen und Schülern aus 84 Sekundarschulen und Gym-nasien des Landes Sachsen-Anhalt beteilig-ten sich über zwei Schuljahre an der Studie. Befragt wurden sowohl die Schülerinnen und Schüler als auch die Lehrkräfte. Es fanden vier Erhebungen statt: Unmittelbar vor Beginn, direkt im Anschluss, sechs und 14 Monate nach dem Ende von „Be Smart – Don’t Start“.

Diese Studie wurde finanziert von der Deut-schen Krebshilfe e.V. und unterstützt vom Kultusministerium Sachsen-Anhalt, dem Landesverwaltungsamt des Landes Sach-sen-Anhalt und der Landesstelle für Sucht-fragen im Land Sachsen-Anhalt.

Tabakprävention in der Schule ist erfolgreichDer internationale Wettbewerb zum Nichtrauchen in Schulklassen „Be Smart – Don�t Start“ ist wirksam und sorgt dafür, dass Schülerinnen und Schüler langfristig seltener zur Zigarette greifen. Das zeigt eine aktuelle Studie mit 84 Schulen in Sachsen-Anhalt, die jetzt in der Online-Ausgabe des renommierten „Journal of Epidemiology and Community Health“ veröffentlicht wurde.

Vom Klassenprogramm zum Schulkonzept

„Der Anteil der rauchenden Kinder und Jugend-lichen in Deutschland ist in den vergangenen Jahren deutlich gesunken: von 28 Prozent in 2001 auf heute 15 Prozent“, sagt Prof. Dr. Elisabeth Pott, Direktorin der „Diesen Trend zum Nichtrauchen gilt es weiter zu festigen. Der Wettbewerb ist ein ganz wichtiger Beitrag, um junge Menschen von den Vorteilen des Nichtrauchens zu überzeugen.

Die größten Effekte in der Förderung des Nicht-rauchens entstehen, wenn die Teilnahme an „Be Smart - Don’t Start“ in ein Gesamtkonzept zur ‚rauchfreien Schule’ eingebunden ist. Für die Entwicklung und Umsetzung eines solchen Gesamtkonzepts bietet die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) eine Reihe unterstützender Materialien und Maßnahmen an, wie etwa Unterrichtshilfen für Lehrkräfte

oder internetbasierte Hilfen zum Rauchaus-stieg speziell für Jugendliche (www.rauch-frei.info).

Die BZgA zeichnet auch in diesem Jahr bun-desweit wieder 100 Schulklassen für ihre wiederholte Teilnahme am Wettbewerb aus.“ Dabei vergibt sie Preise in Höhe von bis zu 500 Euro. Als Hauptpreis können die Schulklassen eine Klassenreise im Wert von 5.000 Euro gewinnen.

„Be Smart – Don’t Start“ ist das in Deutsch-land am weitesten verbreitete Programm zur Prävention des Rauchens für Schülerinnen und Schüler. Das zeigt sich erneut an den hohen Zahlen der teilnehmenden Schulklas-sen im laufenden Schuljahr: 10.550 Schul-klassen aus allen deutschen Bundesländern stellen sich der Herausforderung und wollen vom 15. November 2010 bis zum 29. April 2011 rauchfrei bleiben.

Der Wettbewerb zum Nichtrauchen „Be Smart – Don’t Start“ wird gefördert durch die Deutsche Krebshilfe, die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, die AOK, die Deutsche Herzstiftung und die Deutsche Lungenstiftung sowie durch weitere öffent-liche und private Institutionen. [KD]

Pressemitteilung der Deutschen Krebshilfe.

Die Ergebnisse der Studie über zwei Schuljahre in Sachsen-Anhalt sind ein-deutig:

Zu Beginn der Studie gelegentlich rau-chende Schülerinnen und Schüler, die am Wettbewerb teilgenommen haben, rauchen unmittelbar und ein halbes Jahr nach Wettbewerbs-Ende seltener als Jugendliche ohne Teilnahme.

„Be Smart“-Schülerinnen und -Schüler werden im Vergleich zu Mitschülern ohne Wettbewerbs-Teilnahme über den gesamten Studienzeitraum viel seltener zu regelmäßigen Tabakkon-sumenten.

Diese Auswirkungen auf das Rauch-verhalten konnten durch eine wie-derholte Wettbewerbsteilnahme im darauf folgenden Schuljahr stabilisiert werden.

Weitere Informationen zu „Be Smart – Don�t Start“

Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), Ostmerheimer Str. 220 / 51109 Köln / Tel +49 221 8992-0 / Fax +49 221 8992-300 / E-Mail: [email protected], Inter-net: http://www.bzga.de/ und als spezielle Seite für Jugendliche mit internetbasierte Hilfen zum Rauch-ausstieg: www.rauch-frei.info

Institut für Therapie- und Gesund-heitsforschung, Harmsstr. 2, 24114 Kiel, Telefon 04 31/ 5 70 29 70, Fax 04 31/ 5 70 29 29, E-Mail: [email protected], Internet: www.besmart.info

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Onkologische Pharmazie | 13. Jahrgang | Nr. 1/2011 | 41

Pressemitteilung

++ PRESSEMITTEILUNG ++ PRESSEMITTEILUNG ++ PRESSEMITTEILUNG ++ PRESSEMITTE

Wie Dr. Carlos A. S. Franca, Radiologische Abteilung der katholischen Universität von Rio de Janeiro, in den „Annals of Oncology“ berichtet, sank bei Brustkrebspatientinnen der Selenspiegel auf rund die Hälfte ab: von 86,4 auf 47,8 µg/l. Die Arbeitsgruppe um Dr. Franca hatte in ihrer Studie [1] von Dezember 2007 bis August 2008 bei 2.009 Brustkrebspatientinnen vor und nach der Radiotherapie die Selenspiegel gemessen.

Tendenziell ähnliche Ergebnisse zeigt eine Studie, die jetzt im „International Journal of Radiation Oncology, Biology, Physics“ [2] veröffentlicht wurde und die den Zu-sammenhang von niedrigen Selenspiegeln und behandlungstypischer Diarrhöe un-tersucht. In dieser Studie zeigte sich, dass höhere Selenspiegel die Nebenwirkungen der Strahlentherapie reduzieren. Patien-tinnen, deren Selenspiegel durch die Gabe von Natriumselenit (in der Studie: selena-se®) angehoben worden war, hatten nach fünfwöchiger Strahlentherapie signifikant weniger unter Diarrhöe (größer oder gleich CTC Grad 2; 20,5 % vs. 44,5 %) zu leiden als Patientinnen der Kontrollgruppe, die kein

Strahlentherapie:Auf ausreichende Selenversorgung achten

Selen erhielten (p = 0,04). Die Fünf-Jahres-Überlebensrate der Patientinnen mit Selen-Ergänzung lag bei 92, in der Kontrollgruppe bei 83 Prozent (p = 0,34). Damit konnte erneut belegt werden, dass die zusätzli-che Selengabe die Standardtherapie nicht beeinträchtigt.

An dieser Phase-III-Beobachtungsstudie, die Dr. Ralph Mücke, Wiesbaden, leitete und die von Dezember 2000 bis Dezember 2006 an zehn Radiotherapie-Zentren in Deutsch-land und Österreich durchgeführt wurde, nahmen 81 Patientinnen teil, die an einer malignen Erkrankung des Gebärmutterhal-ses und des Uterus litten und bei denen ein Selen-Defizit nachgewiesen worden war.

Nach der Operation wurden sie in zwei Gruppen randomisiert. Eine Gruppe erhielt bis zum Ende der Bestrahlung 500 µg/d Selen als Natriumselenit an den Tagen der Strahlentherapie und 300 µg/d an den therapiefreien Tagen. Der Kontrollgruppe wurde kein Natriumselenit verabreicht. Die Blut-Selen-Werte stiegen in der mit Selen behandelten Gruppe deutlich von 67,3 µg/l

Die Höhe des Selenspiegels im Vollblut sinkt während einer Strahlentherapie signifikant ab. Dies wurde durch zwei jetzt publizierte Studien eindrucksvoll bestätigt.

auf 93,2 µg/l an, während der Wert in der Kontrollgruppe sank und mit einer deutlich höheren Diarrhöe-Rate verbunden war.

Die Ergebnisse beider Studien legen nahe, bei Krebspatienten auf eine ausreichende Selenversorgung zu achten. Normale Ernäh-rung reicht nach Auffassung von Dr. Carlos Franca dazu nicht aus. Daher könnten An-tioxidanzien, wie Natriumselenit, „in Form oraler oder intravenöser Supplementation erforderlich sein, um den erschöpften Er-nährungsstatus zu verbessern“, schreibt er in der Einleitung seiner Studie. [KD]

Pressemitteilung der biosyn Arzneimittel GmbH, 70734 Fellbach.

Literatur:

[1] Franca CAS et al: Serum levels of selenium in patients with breast cancer before and after treatment of external beam radiotherapy. Ann. Oncol., doi: 10. 1093/annonc/mdq 547.

[2] Mücke R et al: Multicenter, phase 3 trial com-paring selenium supplementation with observa-tion in gynecologic radiation oncology. Int. J. Radiation Oncol. 78: 828-835 (2010)

Di Palma-Wallendorf, Bianca/Bad Laer Harreiß, Barbara/MünchenHohmann, Alexandra/KielLindemeyer, Daniela/FürthLink, Birgit/KoblenzLorenz, Tanja/WuppertalMatis, Adine/Bad Laer

Mündliche Gruppen-Prüfung im Rahmen der PTA-Weiterqualifizierung: „PTA Onkologie (DGOP)“

Folgende PTAs haben diese Prüfung am 7. November 2010 bestanden:

Mehlem, Stefanie/MannheimPellny, Juliane/BerlinReichel, Lorena/Frankfurt/MainSpecht, Fenja/LübeckTimm, Sarah/KielWortmann, Nicole/HöxterZulauf, Nathalie/Siegburg

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Wie lassen sich Krebspatienten motivieren?

In mehreren Studien wurde gezeigt, dass mindestens ein Drittel der Krebspatienten selbst vital notwendige Medikamente nicht einnimmt. Wie eine Umfrage in deutschen Apotheken zeigte (Abb. 1), geht diese Non-Compliance auch auf unzureichende Bera-tung durch Apotheker zurück. Daher ist es notwendig, die Qualität der Patientenbera-tung zu verbessern.

Non-Compliance: Warum?

komplizierte Verordnung

inadäquate Kontrolle

Misstrauen (Kommunikationsmängel)

abweichende Krankheitsauffassung

fehlende soziale Unterstützung

unerwünschte Wirkungen

mentale Probleme

Im Folgenden soll gezeigt werden, wie neben der eigentlich selbstverständlichen leitlini-engerechten und evidenzbasierten Beratung die Beachtung individueller charakterlicher Besonderheiten des Patienten deren Com-pliance verbessern kann.

Beim Zugang zu einem Patienten spielen zu-nächst allgemeinere Faktoren wie Geschlecht, Alter, Sozialstatus oder kognitive Fähigkeiten eine Rolle. Jeder, der Patienten berät, sollte sich aber bewusst sein, dass Kommunikation immer mehrere Aspekte umfasst: Sachinformation (worüber ich informiere) Selbstkundgabe (was ich von mir zu er-kennen gebe)

Wie lassen sich Krebspatienten motivieren?

Versuch einer Typologie

Von Günther Wiedemann, Ravensburg

Die Sicherheit von Krebspatienten, die orale Zytostatika oder andere antineoplas-tische Medikamente erhalten, hängt zu einem großen Teil von ihrer Compliance

(Therapietreue) ab. Diese wiederum ist stark davon abhängig, wie verständlich und subjektiv plausibel die Informationen sind, die Patienten von Ärzten und Apothekern erhalten.

Beziehungshinweis (was ich von dir halte und wie ich zu dir stehe)

Appell (was ich bei dir erreichen möchte)

Generell sollten einige Grundprinzipien der Kommunikation und Beratung beach-tet werden:

1. Wissen, nicht vermutenJede Beratung muss evidenzbasiert erfol-gen. Entsprechende Leitlinien mit unter-schiedlichen Evidenzgraden findet man im Internet beispielsweise unter www.awmf.org/leitlinien.html.

2. Evidenzbasierte Empfehlungen indi-vidualisierenZwei Drittel aller Krebspatienten sind über 65 Jahre alt, hier ist eine onkologische Be-handlung aufgrund der Komorbidität und der nachlassenden Kompensationsmecha-nismen des alternden Körpers immer kom-plex. Für eine kompetente Beratung ist es beispielsweise wichtig, die Präparate genau zu kennen, bei denen Dosisanpassungen gemäß der Nieren- und Leberfunktion er-forderlich sind oder die besonders kardio-toxisch sind.

3. Konflikte vermeidenNicht immer ist es einfach, einen Patien-ten von der Notwendigkeit und Sinnhaf-tigkeit einer Therapie zu überzeugen. Hier ist kommunikatives Können gefragt, das den individuellen Charakter eines Patienten berücksichtigt.

Individuelle Charaktereigenschaften las-sen sich nach Carl Gustav Jung und Werner Correll* grob unter fünf unterschiedlichen Motivationstypen subsumieren, auf die im

Folgenden eingegangen wird (eine tabel-larische Zusammenfassung zeigt Abb.2).

Typ I strebt nach sozialer AnerkennungSein Erscheinungsbild ist eher auffällig und modisch. Die Kommunikation führt er ICH-betont und laut. Er verhält sich initiativ und führt das große Wort. Gerne schmückt er sich mit extravaganten oder gefährlichen Hobbies. Da er „schon alles weiß“, fällt es ihm schwer, Erklärungen oder Ratschläge anzunehmen. Um bei diesem Patiententyp Compliance zu erzielen, ist es wichtig, die Besonderheit und Exklusivität der Erkran-kung, Diagnostik und Therapie zu beto-nen. Um Typ I Patienten sollte sich nach Möglichkeit immer „der Chef persönlich“ kümmern. Ein nahezu unlösbarer Konflikt entsteht, wenn Typ I Patienten zu Palliativ-patienten werden, da dies ihrem Selbstbild als omnipotentem Beherrscher der Situation maximal entgegensteht.

Typ II: Am wichtigsten sind Sicherheit und Geborgenheit

Das Erscheinungsbild des Typ II Charak-ters ist meist konservativ oder bieder. In der Kommunikation tritt er bescheiden und lei-se auf, er verhält sich häufig angepasst und zurückhaltend. Typische Hobbies sind Bas-teln oder Sammeln. Er hat aufgrund seiner ängstlichen Grundhaltung häufig Befürch-tungen, dass eine Therapie nicht funktio-nieren könnte oder dass irgendetwas schief geht. Die Motivationsstrategie besteht bei diesen Patienten darin, Funktionalitäts- und Sicherheitsaspekte hervorzuheben. Dieser Patiententyp ist für eine orale The-rapie in eigener Verantwortung oft nicht gut geeignet, da er sich unter „Überwachung“ in einer Praxis oder Klinik sicherer fühlt.

Typ III braucht persönliche Zuwendung und Vertrauen

Das Erscheinungsbild des Typ III Patienten ist konventionell und solide. In der Kommu-nikation betont er das WIR und wählt ver-

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Onkologische Pharmazie | 13. Jahrgang | Nr. 1/2011 | 43

Wie lassen sich Krebspatienten motivieren?

Aber: 30-50% waren mit der Beratung nicht zufrieden...

0%

10%

20%

30%

40%

50%

60%

Hat Ihr Apotheker Sieüber die Wirkung undNebenwirkungen Ihrer

verordneten Arzneimittel- für Ihre onkologische

Behandlung - beraten?

Sind Sie in der Apothekeüber Arzneimittel beraten

worden, die Sie gegendie Nebenwirkungen

Ihrer Krebsbehandlungeinsetzen können?

Sind Sie in der Apothekezur Ernährung im

Rahmen Ihreronkologischen

Behandlung beratenworden?

Haben Sie in derApotheke Informationen

zu alternativenTherapiemöglichkeiten

erhalten?

Ja, zur vollen Zufriedenheit

Ja, aber nicht zufriedenstellend/EinigermaßenNein

Beratung nicht erforderlich

K. Meier et al.JCO 2009

Aber: 30-50% waren mit der Beratung nicht zufrieden ...

Grundmotivationen der Menschen und Motivationsstrategien

Analyse der Motivationstypen nach Prof. Werner Correll

Typ Erschei-nungsbild

Kommuni-kation

Verhalten Hobbies

Passionen

Lebensein-stellung

Typbeschreibung, Motivationsstrategien

I. Soziale Anerken-nung 12%

auffälligmodisch

Ich-betontlaut

Initiativwortfüh-rend

extrava-gant

optimis-tisch(naiv)

➞ Das Großmaul: „Ich weiß schon alles“. Prestigeargumente und Exklusivität her-vorheben!

II. Sicher-heit, Ge-borgenheit 40%

konservativbieder

bescheidenleise

anpassendzurückhal-tend

bastelnsammeln

ängstlich ➞ Der Ängstliche: „Funktioniert das auch wirklich?“ Funktionalität und Sicher-heitsaspekte hervorheben.

III. Persön-liche Zu-wendung, Vertrauen 10%

konventio-nellsolide

Wir-betontfreundlich

kooperativpersonenfi-xiert

FamilieVereine

gegen-wartsbezo-gen

➞ Das Herdentier: „Wir brauchen unbe-dingt Referenzen“. Persönlichkeitseinsatz und persönliche Erfahrungen von Refe-renzkunden nutzen!

IV. Selbst-achtung 36%

korrektordentlich

pointiertbestimmt

pedantischkompro-misslos

??? aberengagiertfanatisch

pessimis-tisch

➞ Der Erbsenzähler: „Das müssen Sie mir aber viel genauer erklären“. Präzise Erläu-terung exakter Details ist notwendig!

V. Unab-hängigkeit, Verantwor-tung > 1,5%

lässigsalopp

sachlichbestimmt

tolerantkonstruktiv

viele Hob-biesReisen

positiv ➞ Der Gelassene: „Die Details bespre-chen wir irgendwann“. Verkauf von Lösungen und wichtige Zusammenhänge schildern!

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Wie lassen sich Krebspatienten motivieren?

bindliche Worte. Er verhält sich kooperativ und ist sehr an der Person des Behandlers orientiert. Die Familie geht ihm über al-les und er engagiert sich gerne in Vereinen. Persönliche Zuwendung und Vertrauen bildende Maßnahmen (wie das Betonen guter Erfahrungen, die andere Patienten be-reits mit einer bestimmten Vorgehensweise gemacht haben) sind geeignet, die Compli-ance dieses Charaktertyps zu fördern.

Typ IV strebt nach SelbstachtungDer Typ „Erbsenzähler“ hat häufig eine pessimistische Lebenseinstellung. Er hat dezidierte Vorstellungen und versucht sein eigenes „System“ durchzusetzen. Er ist miss-trauisch und fordert sehr gründliche und ausführliche Erklärungen. Das Erschei-nungsbild ist korrekt und ordentlich, die Kommunikation bestimmend und pointiert. Häufig tritt der Typ IV Patient pedantisch und kompromisslos auf. Hobbies betreibt

er gerne mit einem gewissen Fanatismus. Präzise Erläuterung exakter Details ist bei diesen Patienten notwendig. Sie schätzen es, wenn Behandlungspläne schriftlich gege-ben werden. Ironie und Zweideutigkeiten sollten vermieden werden.

Typ V legt Wert auf UnabhängigkeitTyp V Patienten sind vorwiegend gelassen und verfügen über eine positive Grundhal-tung. Das Erscheinungsbild dieses Typus ist lässig oder salopp, die Kommunikation sachlich und bestimmt. Typ V verhält sich in der Regel tolerant und konstruktiv. Typisch sind breitgefächerte Interessen und Hobbies. Sein Motto: „Die Details besprechen wir irgendwann“. Zur Motivation dieser Pati-enten trägt bei, wenn man die großen Zu-sammenhänge darstellt, gemeinsam nach Lösungen sucht und sich nicht zu stark in Details verbeißt.

Auch Apotheker und Ärzte haben ihre ganz persönlichen Charaktereigenschaften …Konflikte mit Patienten entstehen häufig dann, wenn inkompatible Motivations- oder Charaktertypen aufeinander treffen. Es ist daher von Vorteil, sich selbst darüber klar zu werden, welchem Typ der eigene Cha-rakter am ehesten entspricht. Typ I und IV sowie Typ III und IV sind in der Regel un-günstige „Paarungen“ für ein erfolgreiches Beratungsgespräch.

* Zum Weiterlesen: Werner Correll: Menschen durchschauen und richtig behandeln; mvg-Ver-lag, 9,90 Euro

Autor:

Prof. Dr. med. G. J. WiedemannOberschwabenklinik, [email protected]

Viele Krebspatientinnen und -patienten suchen nach zusätzlichen Behandlungen aus dem Bereich der sogenannten Kom-plementärmedizin (KAM). Hierbei steht oft der Wunsch im Vordergrund, selbst aktiv zur Behandlung beizutragen. Aus fachlicher Sicht sollten komplementär-medizinische Behandlungen begleitend und nicht alternativ zur konventionellen Krebstherapie angewendet werden und die Chancen und Risiken mit den be-handelnden Ärzten besprochen werden.

Das Ziel der Komplementärmedizin ist es, Symptome besser zu kontrollieren, Beschwerden zu lindern und die Lebens-qualität zu verbessern. Viele dieser Be-handlungen sind gegenwärtig dadurch gekennzeichnet, dass die behauptete klinische Wirksamkeit nicht oder noch nicht ausreichend belegt und die Sicher-heit vielfach nicht geprüft ist. Daraus ergibt sich sowohl bei Betroffenen als auch in den Fachkreisen ein großer Be-

Neues von der ASORS:AG Komplementärmedizin hat sich formiert

darf nach verlässlichen Informationen zu Wirksamkeit und Sicherheitvon KAM.

Die Arbeitsgemeinschaft „Supportive Maßnahmen in der Onkologie, Rehabi-litation und Sozialmedizin“ der Deut-schen Krebsgesellschaft (ASORS) hat daher eine Arbeitsgruppe „Komplement-ärmedizin“ eingerichtet. Die AG Komple-mentärmedizin ist Ansprechpartnerin für alle Fragen zu komplementärmedi-zinischen Behandlungen in der suppor-tiven und rehabilitativen Onkologie und hat folgende Ziele:

Erarbeitung von Behandlungsleitlinien, Beratung, Konzeption und Durchfüh-rung wissenschaftlicher Untersuchun-gen und klinischer Studien,

Fort- und Weiterbildung von Ärztinnen und Ärzten,

Vernetzung von Expertinnen und Ex-perten in onkologischen Zentren und medizinischen Fachgesellschaften,

Interdisziplinäre Zusammenarbeit mit allen Gesundheitsberufen,

Förderung der internationalen Koope-ration.

Sprecher der AG Komplementärmedizin sind Dr. Markus Horneber, Nürnberg, und Dr. Matthias Rostock, Zürich. Kon-takt: [email protected]

Pressemitteilung der ASORS (Arbeits-gemeinschaft „Supportive Maßnahmen in der Onkologie, Rehabilitation und Sozialmedizin“ der Deutschen Krebs-gesellschaft).

++ PRESSEMITTEILUNG ++ PRESSEMITTEILUNG ++ PRESSEMITTEILUNG ++ PRESSEMITTE

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Onkologische Pharmazie | 13. Jahrgang | Nr. 1/2011 | 45

Buchbesprechung

Buchbesprechung

Von Jens Büntzel, Nordhausen

Hippokrates 2009839 Seiten, 384 Abb.EUR 99,95ISBN: 3-8304-5333-7

Das ist keine leichte Kost, die hier vor dem Betrachter liegt. 2,5 kg eng beschriebenes Papier in guter Lehrbuchmanier fassen das Gebiet „Naturheilverfahren“ zusammen. Nicht geringer ist der Anspruch der Heraus-geber Karin Kraft und Rainer Stange, die gemeinsam mit einer Vielzahl renommier-ter Autoren, dieses Standardwerk – so ist bereits im Vorwort deklariert – konzipiert und erarbeitet haben.

Das Buch ist im Hippokrates-Verlag er schie-nen und ansprechend in Design und Qua-lität. Kaum zu finden sind orthografische Fehler, es ist eine Freude, durch die einzel-nen Kapitel zu gehen und sich von vielen informativen Abbildungen und Tabellen inspirieren zu lassen.

Nachdem in einem einführenden Kapitel der besondere Therapieansatz von Naturheil-kunde recht flüssig und werbend beschrie-ben ist, geht es untypisch für ein Lehrbuch mit eher zeitbezogenen Informationen zu Problemen der Aus- und Weiterbildung, Ge-sundheitsförderung und Rehabilitation, bis hin zu Grundsätzen der evidenzbasierten Medizin weiter. Ein Kapitel zur Geschichte der Naturheilverfahren erinnert den Leser nach knapp einhundert Seiten wieder an das Thema und lässt uns in Teil 2/1 nach In-formationen zu Anamnese, Diagnostik und Labor (inkl. IgeL) in jene Materie einsteigen, zu der wir eigentlich das Buch in die Hand genommen haben. Jetzt allerdings wird es spannend und bietet jedem eine Unmenge an Informationen. Dem Rezensenten sind das besonders kompetente phytotherapeu-

tische Kapitel ebenso aufgefallen wie die Integration von Fragen der Chronobiolo-gie, der Ernährungstherapie, des Fastens oder die Darstellung der Sauna als Ver-fahren zur Ganzkörperhyperthermie. Die physiotherapeutischen Darstellungen sind mitunter etwas kurz, hier wird das Problem der Abgrenzung zwischen Komplementär- und Schulmedizin sichtbar, die es ja auch im medizinischen Alltag nur selten gibt.

Auch in den sehr informativen speziellen Kapiteln dieses Teils des Lehrbuchs fallen immer wieder Abschnitte zu Fragen der Ab-rechnung auf, die sicherlich für eine Vielzahl der Leser nützlich sind, auf die in einem Lehrbuch aber grundsätzlich verzichtet werden sollte.

Teil 2/2 des Buches ist weiterhin verfah-rensorientiert. Unter dem Stichwort der „erweiterten Verfahren“ findet man ein Sammelsurium von Akupunktur bis Seg-ment- und Reflexzonenbehandlung. Die Ausführungen zu den einzelnen Stichwor-ten sind durchaus informativ, man hätte sich jedoch die Darstellung im Kontext des Medizinverständnisses gewünscht, was bei der umfassenden Thematik aber bestimmt selbst die 2,5 kg gesprengt hätte.

Nach 500 Seiten bekommt die Systematik des Buches einen Schnitt, der charakteris-tisch ist. Jetzt wird auf 250 Seiten versucht, die Verfahren auf die einzelnen Gebiete der Medizin zu projizieren und dann verwundert es nicht, dass der Ratsuchende oftmals vor doch eher spärlichen Informationen steht. Alleine in meiner morgigen Sprechstunde werden mich mehr Patienten mit Fragen zu Naturheilkunde überhäufen, als ich auf den acht Seiten des Lehrbuches an Standard-

wissen 2010 zu Problemen in der HNO er-fahre. Nicht anders wird es den Onkologen oder Urologen ergehen.

In Teil 4 wird es nochmals spannend. Die Komplementärmedizin wird hier ausgewählt besprochen. Kurz und knapp, in der Regel auch sehr kompetent werden Methoden und Gebiete besprochen, die sich eines großen Zulaufes bei Patienten erfreuen. Hier verlässt das Buch sein eigenes Kon-zept, durchaus zum Nutzen für den Leser, der einen Einstieg in manches Gebiet sucht. Bleibt nur die Frage, warum es manches Verfahren nur bis in Teil 4 und nicht in die Teile 2/1 oder 2/2 geschafft hat?

Am Ende liest man nochmals die Rückseite und erfährt, dass man nach der Lektüre viel weiß und das Wissen sofort anwen-den kann. Der erste Nebensatz stimmt, vor dem zweiten sei gewarnt. Es ist bestimmt ein gutes und sehr lesenswertes Lehrbuch. Wurzeln der Heilkunde bleiben neben viel Erfahrung und evidenzbasiertem Wissen aber die Beobachtung und Vertiefung von Lehrbuchwissen. Dies gilt nicht nur für die Naturheilkunde.

Lehrbuch Naturheilverfahren

Von Karin Kraft, Rainer Stange (Hrsg.)

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Elektrolytveränderungen in der Palliativsituation

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Pathogenetische Ausgangsüberlegungen

Grundsätzlich sind zwei Mechanismen der Elektrolytverschiebung am Lebensende zu beobachten, die durchaus einen unter-schiedlichen therapeutischen Zugangsweg erfordern:

Zum einen kommt es durch iatrogene Ur-sachen zu ungewollten Veränderungen, die durch veränderte Flüssigkeits- und Nah-rungszufuhr verstärkt zu Tage treten. Als Beispiel sei hierfür die Entstehung einer Hyponatriämie durch eine schon lang-fristige antihypertensive Medikation mit ACE-Hemmern und ein HCT-Präparat angeführt. Auch die Entstehung einer Hy-pokaliämie durch Schleifendiuretika wird dem Palliativmediziner häufig begegnen. Symptomatisch wird sie oft erst, wenn eine reduzierte Flüssigkeitszufuhr in den letzten Lebenstagen hinzutritt.

Hiervon abzugrenzen sind Elektrolytver-schiebungen, die krankheitsbedingt auftre-ten. Als Beispiele mögen die Hyperkalzämie bei ossärer Metastasierung oder auch eine Hypomagnesiämie als Ausdruck einer ge-störten Homöostase im letzten Lebensab-schnitt gelten.

Während für die Patienten mit iatrogen bedingten Elektrolytverschiebungen die Beseitigung der Ursache auch in der Palli-ativsituation eine umgehende Reaktion er-

fordern, haben sich alle weiteren Situationen an den Symptomen des Palliativpatienten zu orien-tieren, die wir Elementbezogen diskutieren wollen.

Elektrolytveränderungen mit Symptomen

NatriumEtwa ein Drittel aller Pallia-tivpatienten leiden an einer Hyponatriämie. Diese tritt oft in den letzten Lebenstagen ein und ist asymptomatisch. Wenn es zu einer ständigen Übelkeit mit wiederholtem Erbrechen kommt oder die Patienten über heftigste Kopfschmerzen klagen, muss an eine Elektrolytsubstitution gedacht werden.

Individualisierter sollte man vorgehen, wenn es zu einer Eintrübung des Patienten im Rahmen einer Hyponatriämie kommt.

Elektrolytveränderungen in der Palliativsituation

Von Jens Büntzel, Heike Büntzel, Robert Hunger und Klaus Kisters

Am Lebensende befinden sich Patienten und Therapeuten in einer besonders kom-plexen Situation. Auf die Besonderheiten im Umgang mit Elektrolytverschie-

bungen und deren Therapie soll im Folgenden eingegangen werden. Als pathologische Elektrolytverschiebungen bezeichnen wir dabei alle Werte außerhalb der in Tabelle 1 beschriebenen Referenzwerte. Alle Leser mögen bitte auf die Referenzbereiche und genutzten Einheiten ihres Heimatlabors achten!

Tab. 1: Referenzwerte für Elektrolyte im Serum (in mmol/l)

Kationen Anionen

Natrium 132-146 Chlorid 98-106

Kalium 3,50-5,10 Phosphor 0,81-1,45

Kalzium 2,20-2,65

Magnesium 0,78-1,05

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Elektrolytveränderungen in der Palliativsituation

Onkologische Pharmazie | 13. Jahrgang | Nr. 1/2011 | 47

Sofern keine Sedierung vom Patienten ge-wünscht war, muss auch hier substituiert werden. Der grundsätzliche Bedarf eines Patienten richtet sich nach den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Ernährung und sollte 3-6g NaCl pro Tag nicht über-schreiten.

Eine Hypernatriämie kommt bei Palliativ-patienten in der Regel nur sehr selten vor und bedarf an sich keiner therapeutischen Maßnahmen.

KaliumInsbesondere Hypertoniker oder Patienten mit einer chronischen Herzinsuffizienz lei-den an einer Hypokaliämie. Treten Herz-rhythmusstörungen auf, so ist eine Substi-tution sinnvoll, jedoch sollten täglich nicht mehr als 30mval Kalium appliziert werden.

Eine Hyperkaliämie mit der Gefahr des car-diac arrest ist unter der Palliativsituation eher selten und ihre Therapie (Diuretika, kaliumarme Flüssigkeitssubstitution) ist von der individuellen Prognose des Patienten abhängig.

MagnesiumDie knappe Hälfte aller Palliativpatienten weist Serummagnesiumspiegel am unteren Bereich des Referenzwertes auf bzw. befin-det sich in einem laborchemischen Defizit. Erst wenn es zu Symptomen wie Muskel-krämpfen kommt, sollte an eine Substitution gedacht werden, wobei an die laxierende Wirkung von oral gegebenen Magnesium gedacht werden muss. Tagesdosen von 300 mg werden jedoch in der Regel gut toleriert und haben einen schnellen therapeutischen Effekt.

KalziumPatienten mit Prostata- oder Mammakarzi-nom weisen oftmals Knochenmetastasen auf,

Tab. 2: Empfohlene Tageszufuhr von Elektrolyten (in mg) (nach DGE)

Kationen Anionen

Natrium 550 Chlorid 830

Kalium 2000 Phosphor 700

Kalzium 1000

Magnesium 350 (m) / 300 (w)

die mit einer Hyperkalzämie einhergehen. Die Elektrolytverschiebung ist lediglich ein Begleiteffekt. Hinsichtlich der Symptome leiden die Patienten an Knochenschmerzen und sollten deshalb immer mit Bisphospho-naten behandelt werden. Die intravenöse Applikation ist dabei effektiver als die per-orale. Auch Patienten mit Bisphosphonat-induzierten Kiefernekrosen müssen in der Palliativsituation fortgesetzt mit derartigen Präparaten behandelt werden.

Für eine Hypokalzämie im Rahmen lang-fristiger Kortikoidbehandlungen oder chro-nischer Darmerkrankungen besteht bei Palliativpatienten in der Regel kein The-rapiebedarf.

PhosphorZu Verschiebungen des Phosphathaushaltes kommt es auf der Palliativstation in der Re-gel bei Dialysepatienten. Die Entscheidung zur Fortführung oder dem Abbruch einer Dialyse muss individuell getroffen werden.

Fazit für die Praxis

Die Mehrzahl der Palliativpatienten weist Elektrolytveränderungen auf, die jedoch nur bei wenigen einer gezielten Substitution bedürfen. Einem Teil der Patienten kann schnell und effektiv geholfen werden, wenn

beim Blick auf die Medikation iatrogene Elektrolytverschiebungen erkannt und ihre Ursache beseitigt wird.

Therapeutische Interventionen sollten sich ansonsten an den Sympotmen der Patienten und der verbleibenden Lebenszeit orientie-ren. Als Leitlinie für den Elektrolytbedarf von Patienten empfehlen sich die Richtwerte der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (Tab. 2).

Autoren:

PD Dr. med. Jens Büntzel*, Klinik für HNO-Erkrankungen, Kopf-Hals-Chirurgie, Südharz-Krankenhaus Nordhausen gGmbH; Dr. med. Heike Büntzel, Interdisziplinäre Palliativstation, Südharz-Krankenhaus Nordhausen gGmbH, Dr. med. Robert Hunger*, Chur, Prof. Dr. med. Klaus Kisters*, Klinik für Innere Medizin II, St Anna Hospital Herne, (*für den Arbeitskreis „Trace Elements and Electrolytes in Oncology“ (AKTE))

Kontaktadresse:

Priv.-Doz. Dr. med. Jens BüntzelSüdharz-Krankenhaus Nordhausen gGmbHDr.-Robert-Koch-Str. 3999734 Nordhausen / Thür.Email: [email protected]

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Immunthrombozytopenie

Die ITP ist eine seltene und meist chronisch verlaufende Autoimmunerkrankung, die mit gravierenden Auswirkungen für die Betroffe-nen einhergehen kann. Durch die Zerstörung oder unzureichende Bildung von Thrombo-zyten, die ein wesentlicher Bestandteil des Blutgerinnungssystems sind, kommt es zu einer erhöhten Blutungsneigung, die sich in spontanen Blutergüssen, Schleimhautblutun-

gen und in schweren Fällen sogar in Magen-Darm- oder Gehirnblutungen äußert. Der Mangel an Thrombozyten resultiert, wie PD Dr. med. Aristoteles Giagounidis, Duisburg, anlässlich eines Fachpresseworkshops am 25. November 2010 anschaulich darstellte, aus einem durch Auto-Antikörper verursach-ten Abbau in Milz und Knochenmark. Die bisherigen medikamentösen Therapieopti-onen, Kortikoide, Immunsuppressiva (z.B. Azathioprin) oder Biologicals (Rituximab) beschränkten sich vorrangig auf eine Hem-mung des Thrombozytenabbaus und sind mit

Immunthrombozytopenie (ITP): Romiplostim ist effektiver als bisherige StandardtherapienBericht von einem Vortrag beim Fachpresseworkshop am 25. November 2010 in München

Von Petra Ortner, München

Die Immunthrombozytopenie (ITP) ist eine seltene, meist chronisch verlaufende und schwierig zu behandelnde Autoimmunerkrankung des blutbildenden Systems. Der

Thrombopoetin-Rezeptoragonist Romiplostim (Nplate®) stellt die erste Substanz dar, die in einer kontrollierten Studie mit bisherigen Standardtherapien bei ITP verglichen wurde und diesen überlegen war.

erheblichen Nebenwirkungen behaftet. „Zu-dem wurde keine dieser Substanzen speziell bei der ITP in kontrollierten, randomisierten Studien überprüft“, ergänzte der Hämatologe. Der Wandel setzte erst mit der Verfügbarkeit von Thrombopoetin-Rezeptoragonisten wie Romiplostim ein, welches in Studien eine dauerhaft gesteigerte Thrombozytenproduk-tion nachweisen konnte.

Giagounidis wies auf eine wesentliche neue Studie hin: In die-ser gerade im New England Journal of Medicine publizier-ten multizentrischen, ran domisierten Pha-se-III-Studie wur-de erstmalig belegt, dass Romiplostim der Standardbehandlung überlegen ist (Kuter D. N Engl J Med 2010; 363:1889-1899). Ins-gesamt 234 nicht-sple-nektomierte Patienten wurden im Verhältnis

2:1 entweder in den Romiplostim-Arm oder zu einer der Standardtherapien einschließ-lich Steroide, Azathioprin, Immunglobuline und Rituximab randomisiert. Nach 52 Be-handlungswochen zeigten sich signifikante Vorteile für Romiplostim. Dies betraf sowohl den primären Endpunkt Therapieversagen, definiert als Thrombozytenzahlen von weni-ger als 20.000 pro Mikroliter (11% vs. 30 %; p=0,001) als auch die Rate an notwendigen Splenektomien. „Nur bei 9 Prozent der Pa-tienten unter Romiplostim musste die Milz entfernt werden, während im Standardarm

36 Prozent der Patienten operiert werden mussten”, so Giagounidis. Der Zeitraum bis zur Operation konnte ebenfalls deutlich verlängert werden. Darüber hinaus war die Effektivität in allen Bereichen überzeugend: „Normalerweise sind wir froh, wenn wir die Patienten mit den Standardmethoden über-haupt aus dem Blutungsbereich herausbe-kommen. Unter Romiplostim befinden sich dagegen die Mehrzahl der behandelten Pati-enten im Normbereich und sie bleiben wäh-rend der Romiplostim-Therapie auch dort“, betonte der ITP-Spezialist. Die hohe Rate an Thrombozyten-Ansprechen wurde nicht mit zusätzlichen Nebenwirkungen erkauft. Ebenso wie in voraus gegangenen Studien blieben die unerwünschten Wirkungen unter Romiplostim mild bis moderat und bestanden hauptsächlich in Kopfschmerzen und Fatigue.

In Deutschland ist Romiplostim momentan zugelassen als Zweitlinientherapie für Pa-tienten, bei denen eine Splenektomie kon-traindiziert ist, oder bei splenektomierten Patienten, die refraktär gegenüber sonstigen Therapien sind. Die Entfernung der Milz als Hauptort des Thrombozyten-Abbaus liefert aber nur bei etwa zwei Drittel der Patienten eine dauerhafte Verbesserung der Situation über einen Zeitraum von 5 Jahren. Romiplo-stim bietet sich somit als Alternative zu der mit peri- und postoperativen Risiken behaf-teten Splenektomie an. „Da die Splenektomie mit Romiplostim aufgeschoben werden kann und die Nebenwirkungen nicht gesteigert, sondern eher vermindert werden, wünschen viele Patienten eher Romiplostim“, übernahm Giagounidis abschließend das Plädoyer für die ITP-Patienten.

Der Fachpresseworkshop wurde unterstützt von Amgen GmbH.

Autorin:

Dr. rer. nat. Petra Ortner, München

Die ausreichende Thrombozytenanzahl bleibt imVerlauf der Behandlung unter Romiplostim stabil

Romiplostim n = 152 150 150 147 139 138 138 136 135 131 131 129 126

Mea

n (S

E) D

ose

(μg/

kg)

Study Week

Romiplostim Dose

Romiplostim n =SOC n =

153 150 148 148 141 132 137 135 132 135 126 127 130 12272 68 62 59 57 54 53 54 51 51 49 51 46 38

0

1

2

3

4

5

4 8 12 16 20 24 28 32 36 40 44 48 521

Platelet Count

Mea

n (S

E) P

late

let

Cou

nt (1

09/L

)

RomiplostimSOC

Kuter DJ et al. N Engl J Med 2010;363:1889–1899

Intent-to-treat (ITT) population

01 4 8 12 16 20 24 28 32 36 40 44 48 52

Platelet count50

100

150

200

250

Study Week

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Lebender Kolumnentitel

Onkologische Pharmazie | 13. Jahrgang | Nr. 1/2011 | 49

Pressemitteilung

Onkologische Pharmazie | 13. Jahrgang | Nr. 1/2011 | 49

++ PRESSEMITTEILUNG ++ PRESSEMITTEILUNG ++ PRESSEMITTEILUNG ++ PRESSEMITTE

Erhalten Patienten mit Mastdarmkrebs vor der Operation eine Strahlentherapie, sinkt die Rückfallrate deutlich. Darauf weist die Deutsche Gesellschaft für Radioonkologie (DEGRO) anlässlich einer aktuellen Studie aus den Niederlanden hin. Durch eine präoperative Strahlentherapie verringerte sich die Wahrscheinlichkeit, dass der Tumor wiederkehrt, um mehr als die Hälfte.

Krebsoperationen im unteren Abschnitt des Darms, dem End- oder Mastdarm, sind technisch schwierig. Lange Zeit kam es bei fast jedem zweiten Patienten nach einiger Zeit zu einem Lokalrezidiv. „Eine Strahlen-therapie war deshalb fester Bestandteil der Behandlung”, berichtet DEGRO-Präsidentin Prof. Dr. med. Rita Engenhart-Cabillic, Di-rektorin der Abteilung für Strahlenthera-pie am Universitätsklinikum Gießen und Marburg. In den letzten Jahren hat sich die Operationstechnik deutlich verbessert. Bei

der totalen mesorektalen Exzision (TME) entfernen die Chirurgen mit dem Mastdarm auch das umgebende Gewebe, in das der Tumor als erstes eindringt. „Die TME hat die Gefahr von Lokalrezidiven deutlich gesenkt.

Vor diesem Hintergrund war unklar, ob eine Strahlentherapie überhaupt noch notwen-dig ist“, so Engenhart-Cabillic.

Diese Frage war Gegenstand einer nieder-ländischen Studie, an der fast 1.900 Pati-enten teilnahmen. Die neuesten Ergebnisse wurden kürzlich auf der Jahrestagung der American Society for Radiation Oncology (ASTRO) vorgestellt. Nur jeder zweite Pati-ent erhielt vor der Operation eine Strahlen-therapie. Durchschnittlich elf Jahre nach der

Operation war es ohne Bestrahlung bei 11,1 Prozent der Patienten zu einem Lokalrezidiv gekommen. Mit einer Strahlentherapie sank diese Rate auf 5,1 Prozent. „Die Ergebnisse zeigen, dass eine Bestrahlung vor der Ope-

ration fester Bestandteil der Therapie von Mastdarmkrebs sein sollte“, betont Engen-hart-Cabillic. Selbst wenn die Pathologen im Randbereich des entfernten Mastdarms keine Tumorzellen mehr nachweisen konn-ten, wurde die Häufigkeit von Lokalrezidiven deutlich verringert. Bei diesen Patienten verbesserte die Strahlentherapie auch die Überlebenschancen.

In fortgeschrittenen Stadien des Mastdarm-krebses kann die Strahlentherapie das Le-ben jedoch nicht verlängern. „Das Schicksal vieler Patienten wird von Fernmetastasen bestimmt, die sich bereits zum Operati-onszeitpunkt gebildet haben”, erläutert die DEGRO-Präsidentin. Doch auch diesen Patienten nutze die Strahlentherapie, da jeder Rückfall im Beckenbereich die Be-handlungsmöglichkeiten einschränke und starke Schmerzen verursache. Die Strahlen-therapie leistet hier einen wichtigen Beitrag zum Erhalt der Lebensqualität.

Pressemitteilung der Deutschen Gesell-schaft für Radioonkologie (DEGRO).

Literatur:Marijnen CA, van Gijn W, Nagtegaal ID et al: The TME trial after a median follow-up of 11 years. 52nd Annual ASTRO Meeting. International Journal of Radiation Oncolo-gy - Biology - Physics, Volume 78, Issue 3, Supplement, Page S1, 1 November 2010

Strahlentherapie verhindert Rezidive bei Mastdarmkrebs

Die Deutsche Gesellschaft für Radioonko-logie (DEGRO) ist der Zusammenschluss aller in der Radioonkologie arbeitenden Ärzte, Medizinphysiker und Strahlenbio-logen. Die Radioonkologen setzen die Strahlentherapie in der Krebsbehandlung und bei zahl reichen anderen Erkrankun-

gen ein. Die Behandlung mit ionisieren-den Strahlen ist in den letzten 10 Jahren erheblich verbessert und verfeinert wor-den. Sie ist eine der tragenden Säulen in der Krebsbehandlung. Weitere Informa-tionen zur DEGRO finden Sie im Internet unter: www.degro.org

Über die DEGRO

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Supportivtherapie in der Onkologie: Was gibt es Neues?

Osteoonkologie: RANKL-Inhibitor Denosumab mit überlegener Wirksamkeit

„Erst seit 15 Jahren wissen wir, wie die mo-lekulare Sprache zwischen den knochen-abbauenden Osteoklasten und den kno-chenaufbauenden Osteoblasten gesteuert wird. Entscheidend dafür ist als Signalge-ber das RANK-Ligandensystem“, führte Prof. Dr. med. Ingo J. Diel, Gynäkologe und Knochenspezialist aus Mannheim, aus. Gerät diese molekulare Absprache aus der Balance und wird durch verschiedene Fak-toren wie Hormonmangel oder durch die Stimulation durch die Krebszellen selbst die RANK-Produktion verstärkt, so kann dies zu schweren, ossären Komplikationen führen. Der RANK-Ligand hat eigentlich einen natürlichen Gegenspieler: das Osteo-protegerin. Bei einer Überproduktion des RANK-Liganden wird Osteoprotegerin ab-gefangen und die Konzentration reicht nicht aus. Für die Osteoprotektion ist es daher von großem Nutzen, dass mit Denosumab die Rolle des Osteoprotegerin nachgeahmt und dadurch frühzeitig und effektiv in den

Supportivtherapie in der Onkologie: Was gibt es Neues?

Von Petra Ortner, München

Beim 16. Fachpresse-Workshop „Sup-portivtherapie in der Onkologie“

wurden wichtige Themenkomplexe zu supportiven Maßnahmen bei Krebspa-tienten beleuchtet. Die Moderatorin des Workshops, Prof. Dr. med. Petra Feyer, Direktorin der Klinik für Strahlenthera-pie, Radioonkologie und Nuklearmedizin am Vivantes-Klinikum Neukölln/Berlin, stellte fest, dass es trotz des Anspruchs einer umfassenden Unterstützung der Therapie durch supportive Maßnahmen häufig beim Anspruch bleibt: „Eigentlich sollen supportive Maßnahmen den Pati-enten wie ein Regenschirm schützen, aber oftmals bleibt es beim eigentlich“. Daher sollten noch mehr Anstrengungen darauf gerichtet sein, die vorhandenen effektiven Lösungen zu nutzen.

Knochenstoffwechsel eingegriffen werden kann, betonte Prof. Diel.

Dies ist von besonderer Bedeutung bei Mamma- und Prostatakarzinomen, bei denen es einerseits durch den häufigen Einsatz einer antihormonellen Therapie zu einem erhöhten Risiko von skelettas-soziierten Ereignissen wie z.B. Frakturen kommt. Andererseits entwickeln bis zu 75% dieser Patienten im fortgeschrittenen Krankheitsstadium Knochenmetastasen, die ebenfalls zu skelettalen Komplikatio-nen (SREs) führen. Die Prävention bzw. Reduktion ossärer Komplikationen sollte deshalb laut Diel in jedem Therapiekonzept Berücksichtigung finden. Studien an meh-reren Tausend Patienten aus internationalen Phase-III-Studien haben nachgewiesen, dass das molekulare Eingreifen mit Denosumab in der Praxis funktioniert. So konnte in der FREEDOM-Studie (Fracture Reduction Evaluation of Denosumab in Osteoporosis

every six Months) bei 7.808 Frauen mit post-menopausaler Osteoporose nachgewiesen werden, dass eine zweimal jährliche sub-kutane Injektion von 60 mg Denosumab im Vergleich zu Placebo ein um 68 Prozent geringeres Risiko für neue Wirbelkörper-frakturen verursacht (Cummings SR, et al. N Engl J Med, 2009 Aug. 20; published online at www.nejm.org on Aug. 11, 2009). Aber auch bei Männern mit einem nicht metastasierten Prostatakarzinom unter einer Androgendeprivationstherapie reduzierte Denosumab signifikant stärker das Risi-ko für neue Wirbelkörperfrakturen (Smith MR, et al. N Engl J Med, 2009 Aug. 20; published online at www.nejm.org on Aug. 11, 2009). Diese Studiendaten führten in Deutschland zur Zulassung von Denosumab (Prolia®) zur Behandlung der Osteoporose bei postmenopausalen Frauen mit erhöhtem Frakturrisiko und zur Behandlung eines Knochendichteverlustes durch eine hormo-nablative Therapie (Androgendeprivation)

Denosumab ist Zoledronat in der Effektivität signifikantüberlegen und verhindert deutlich besser und länger

skelettale Komplikationen

Zoledronat 1020 829 676 584 498 427 296 191 94 29

Denosumab 1026 839 697 602 514 437 306 189 99 26

* Adjusted for multiplicityStopeck et al ECCO/ESMO 2009, abstract 2LBA

Pat

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SR

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Monate

0

1.00

0 3 6 9 12 15 18 21 24 27 30

0.25

0.50

0.75

Median (Monate)

DenosumabZoledronat

Nicht erreicht26.5

HR 0.82 (95% CI: 0.71, 0.95)P < 0.0001 (Non-inferiority)P = 0.01 (Superiority)*

18%

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Supportivtherapie in der Onkologie: Was gibt es Neues?

bei Männern mit Prostatakarzinom und erhöhtem Frakturrisiko.

Weiterhin wurden insgesamt 3 Phase-III-Studien durchgeführt, die als direkte Head-to-Head-Vergleiche mit Zoledronat bei Pa-tienten mit Knochenmetastasen ausgelegt waren. In allen diesen Studien zeigte sich Denosumab in einer Dosierung von 120 mg einmal monatlich signifikant dem Bisphos-phonat als überlegen. Eine Überlegenheit wurde sowohl in Bezug auf die zeitliche Verzögerung bis zu den ersten innerhalb der Studie aufgetretenen skelettbezogenen Ereignissen (SREs) als auch für die zeitliche Verzögerung bis zu den ersten und nachfol-genden SREs demonstriert. Diel fügte an: „Bemerkenswert war, dass diese Wirkung sehr viel schneller einsetzte als unter dem Bisphosphonat.“ Die Nebenwirkungen wa-ren gering ausgeprägt: Akut-Phase-Reakti-onen sowie Nierentoxizitäten kamen in der Denosumab-Gruppe signifikant seltener vor. Der Knochspezialist sagte weiterhin: „Bisher konnten wir das Risiko eines SRE´s nur um rund ein Drittel senken, mit Denosumab können wir es sogar halbieren“. Diese be-merkenswerten Studien haben in den USA kürzlich zur Zulassung von Denosumab bei Knochenmetastasen geführt.

Emesis und Nausea: Orales Palonosetron für Patienten-individuelle Lösungen

„Ehemals waren Übelkeit und Erbrechen die am meisten gefürchteten Nebenwirkungen einer Tumortherapie. Dies hat sich deutlich verändert, seitdem die Setrone sowie andere wirksame Substanzen eingeführt wurden“, erklärte Dr. med. Reinhard Musch, Ber-lin. Trotzdem sind diese Nebenwirkungen immer noch ein Thema, bei dem weiterer Optimierungsbedarf besteht. Getreu die-sem Grundsatz wurde der langwirksame 5-HT3-Rezeptorantagonist Palonosetron entwickelt. Diese weiterentwickelte Subs-tanz der neuesten Generation der 5-HT3-Rezeptorantagonisten ist per se anders als andere Setrone. Palonosetron besitzt eine höhere Bindungsaffinität zum 5HT3-Rezep-tor sowie eine längere Plasmahalbwertszeit im Vergleich zu den Vorgängersubstanzen

der ersten Generation. Während die 5-HT3-Rezeptor-antagonisten der ersten Genera-tion kompetitiv an den Rezeptor binden, funktioniert Palonosetron auch noch als ein allosterischer Antagonist, indem es zu-sätzlich zur primären orthosterischen Bin-dungsstelle am 5-HT3-Rezeptor eine zweite allosterische Seite blockiert. Die klinische Relevanz dieser pharmakodynamischen Da-ten spiegeln sich laut Dr. Musch nicht nur im praktischen Alltag, sondern auch in den Leitlinien wieder. Seit den im April 2010 aktualisierten Leitlinien von MASCC und ESMO wird nur Palonosetron (Aloxi®) in Kombination mit Dexamethason zur Pro-phylaxe von Übelkeit und Erbrechen bei moderat emetogener Chemotherapie (ohne AC) empfohlen (unter www.asors.de und www.mascc.org).

Da eine wichtige Forderung im modernen Tumormanagement eine patientenangepass-te, individuelle Behandlung ist, wurden für Palonosetron ebenfalls solche Optionen ge-schaffen: So ist seit kurzem das bewährte, sichere und effektive Antiemetikum auch als Weichkapsel für die orale Applikation erhältlich. Damit steht erstmals ein 5-HT3-Rezeptorantagonist zur Verfügung mit dem durch eine einmalige orale Gabe der komplette Zeitraum über 5 Tage abgedeckt werden kann. Die Pharmakodynamik und

-kinetik von intravenösem und oral appli-ziertem Palonosetron sind vergleichbar. So belegt eine Studie bei insgesamt 319 Pati-entinnen, dass sowohl die einmalige orale Gabe von Palonosetron (0,25 mg, 0,50 mg, 0,75 mg) als auch intravenös verabreichtes Palonosetron (0,25 mg) eine Prophylaxe in hohem Maß gewährleistet. In dieser Unter-suchung hatte über die Hälfte der Patienten eine AC-haltige Kombinationschemothe-rapie erhalten. Die hohe Effektivität war sowohl in der akuten Phase (0-24h) als auch bei verzögert auftretender CINV (0 – 120h und über einen Zeitraum von 5 Tagen (96-120h) ersichtlich. Über den gesamten Beob-achtungszeitraum waren mehr als die Hälfte der Patienten völlig vor CINV geschützt. Sie benötigten demzufolge auch keine weitere Rescue-Medikation. Insgesamt zeigte sich

die Dosis von 0,5 mg peroralem Palonose-tron als effektivste Dosis zur Vermeidung der CINV. Weiterhin wurde in den Studien belegt, dass sich durch die Verfügbarkeit von oralem Palonosetron die Patientenzufrie-denheit erhöhte (Grunberg S. et al. Eur J Cancer Suppl. 2007:5(4) 56 (Abstract 1143)).

Gerade im Rahmen vollständig oral ausge-richteter antitumoröser Behandlungsstra-tegien besitzt die neue orale Formulierung einen großen Stellenwert, aber auch bei Pa-

Patie

ntgl

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0

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20

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100

0-24 >24-48 h >48-72 h >72-69 >96-120 h

Orales Palonosetron ist nicht nur effektiv, sondern die einfache Applikation steigert auch die

Patientenzufriedenheit

> Median patient global satisfaction was high (≥ 90 mm on a 100-mm VAS) > Similar global satisfaction with oral and IV palonosetron

Grunberg S, et al. Eur J Cancer Suppl. 2007;5(4):55 (Abstract 1143) Boccia R, et al. J Clinic Oncology 2008;26:Suppl (Abstract 20608)

Oral 0.25 mg Oral 0.50 mg Oral 0.75 mg IV 0.25 mg

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Supportivtherapie in der Onkologie: Was gibt es Neues?

tienten, die Injektionen ablehnen, wird das orale Palonosetron die Therapie erleichtern. „Zukünftig kann die antiemetische Therapie mit Palonosetron problemlos an die indivi-duelle Patientensituation angepasst werden“, betonte Dr. Musch abschließend. Allerdings sollten dazu aber auch noch stärker als bisher die vorhandenen Leitlinien zur Emesispro-phylaxe umgesetzt werden.

Mukositis: Gelclair® bringt Linderung und erhöht die Lebensqualität

Unter Mukositis wird eine akute Entzün-dung und Ulzeration der Mundschleim-haut, die durch Rötungen und brennende Schmerzen gekennzeichnet ist, verstanden. Die orale Mukositis ist eine der häufigsten Nebenwirkungen einer Strahlen- und/oder Hochdosis-Chemotherapie, die die Pati-enten sehr belastet. „Aber es ist nicht nur eine Belastung, sondern die unerwünsch-te Wirkung kann sogar den Therapieerfolg gefährden“, führte Dr. rer. nat. Hans-Peter Lipp, Tübingen, aus. So kann bei einer Grad III-Mukositis der Patient kaum noch eigene Nahrung zu sich nehmen. Bei Tumorpati-enten, die oft kachektisch sind, bedeutet dies eine zusätzliche Minderung der Le-bensqualität und der Therapiechancen. Die Beeinträchtigung der Nahrungsaufnahme durch extreme Schmerzen kann zudem zu einer Dehydrierung und Unterernährung führen. In der schwersten Ausprägung der oralen Mukositis benötigen viele Patienten eine parenterale Ernährung und eine intra-venöse Flüssigkeitszufuhr. Die Gefahr für Infektionen steigt, Schwierigkeiten beim Sprechen, auftretende Schlafstörungen und die o. g. Komplikationen beeinflussen die Lebensqualität der Patienten extrem negativ und können ernsthafte klinische Komplika-tionen zur Folge haben, durch die schließlich die gesamte Krebstherapie in Frage gestellt sein kann, ergänzte Dr. Lipp. In Anbetracht der Tatsache, dass nahezu jeder Patient mit Kopf-Hals-Tumoren unter Radiochemothe-rapie eine Mukositis mindestens vom Grad II bis III entwickelt und nahezu ein Drittel der Patienten unter Tumortherapie insge-samt eine solche ernsthafte Nebenwirkung entwickelt, muss eine adäquate Behandlung

oder – noch besser – eine Prophylaxe der Mukositis das Ziel sein.

Bereits in den Guidelines der MASCC 2006 wird darauf hingewiesen, dass die Patho-genese der Mukositis nicht vollständig ge-klärt ist und daher Diagnostik, Therapie und Prophylaxe bisher nicht standardisiert durchgeführt werden können. Dr. Lipp berichtete, dass demzufolge verschiedene Therapiestrategien eingesetzt werden, die sich in der Hauptsache an eigenen Erfahrun-gen orientieren und manchmal geradezu an Scharlatanerie, aber nicht an evidenzbasierte Studien erinnern. „Dabei gibt es Mittel bei Mukositis, deren Wirkung bewiesen ist“, so der Fachmann weiter. Mit Gelclair®, ei-nem bioadhärenten Mundgel mit den In-haltsstoffen deionisiertes Wasser, Povidon (PVP), Maltodextrin, Propylenglycol, PEG-40, hydriertes Rhizinusöl, Kaliumsorbat, Natriumbenzoat, Hydroxyethylcellulose, Benzalkoniumchlorid, Parfümöl, EDTA, Saccharin, Natriumhyaluronat, Glycyrrhe-tinsäure steht eine therapeutische Möglich-keit zur Verfügung, die sich in klinischen Studien bewiesen hat. Diese Inhaltstoffe von Gelclair® bilden eine physikalische Barriere und legen sich wie ein Schutzfilm auf die freiliegenden, empfindlichen Ner-venendigungen in der Mukosa von Mund

Mechanismus der Bildung der schmerzlindernden Schutzschicht durch Gelclair®

Mechanismus der Bildung der schmerzlindernden Schutzschicht durch Gelclair®

und Rachen. Durch die Befeuchtung des geschädigten Gewebes werden Schmerzen und Reizungen reduziert und ermöglichen den Patienten eine erleichterte Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme.

Der erfolgreiche Einsatz von Gelclair® zur Therapie der oralen Mukositis hinsichtlich Schmerzreduktion, funktionaler Wieder-herstellung und Einfluss des Mundgels auf den Schweregrad der Erkrankung konnte in mehreren Studien bestätigt werden (Bo-nassi L. et al. Proceedings of the 5. National Congress of Medical Oncology, Rome, Italy, 21-24 October, 2003; D’Andrea N. et al. An o Onc, 2003, 14 (Suppl 4):97). Dr. Lipp wies jedoch eindrücklich darauf hin, dass nicht zu lange gewartet, sondern gleich von Anfang an prophylaktische Maßnahmen in Form eines systematischen Mundpflegeprogramms durchgeführt werden sollten: „Damit sich eine Mukositis erst gar nicht entwickelt.“

Bericht vom Fachpresseworkshop Supportiv-therapie am 25. November 2010 in München, unterstützt von Amgen GmbH und Riemser Arz-neimittel AG.

Autorin:

Dr. rer. nat. Petra Ortner, München

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Pressemitteilung

Onkologische Pharmazie | 13. Jahrgang | Nr. 1/2011 | 53

In asiatischen Ländern wie China, Japan oder Indien erkranken weitaus weniger Frauen an Brustkrebs als in westlichen Ländern. Grund dafür ist möglicherwei-se der hohe Gehalt an Phyto-Östrogenen in der traditionellen asiatischen Küche. Doch nicht nur exotische Lebensmittel wie Sojabohnen und die daraus herge-stellten Produkte, sondern auch eine Vielzahl heimischer Gewächse enthal-ten die Pflanzenhormone. Im Fokus der Wissenschaftler um Prof. Dr. Volker Briese von der Universitätsfrauenklinik und Poliklinik am Klinikum Südstadt Rostock steht dabei eine der ältesten Kulturpflanzen der Welt: der Lein, auch Flachs genannt.

Lein, ein weltweit verbreitetes Strauch-gewächs, wird seit Jahrtausenden zur Herstellung von Textilien, als Heilpflan-ze und als Lebensmittel verwendet. Besonders die Leinsamen enthalten große Mengen an Phyto-Östrogenen, die so genannten Lignane. Diese zu den Ballaststoffen gehörenden Substanzen wirken beim Menschen abführend. Lig-nane haben jedoch eine weitere wichtige Eigenschaft: ihre strukturelle Ähnlichkeit mit dem Sexualhormon Östrogen. Daher werden Lignane als mögliches Therapeu-tikum gegen Brustkrebs getestet.

Bei etwa zwei Drittel der betroffenen Frauen wächst der Brustkrebs östrogen-abhängig. Diese Krebszellen besitzen Rezeptoren, an welche die Östrogene binden und hierdurch zum Wachstum angeregt werden. Lignane besetzen jedoch diese Bindungsstellen und blo-ckieren damit das weitere Wachstum des Tumors.

Krebshemmende Wirkung von Pflanzen-Hormonen

++ PRESSEMITTEILUNG ++ PRESSEMITTEILUNG ++ PRESSEMITTEILUNG ++ PRESSEMITTE

Mit der Wirkung von Phyto-Östrogenen auf Tumorzellen befassten sich Exper-ten aus ganz Deutschland am 10. Dezember 2010 im Rahmen des Workshops „Phytomedizin“ der Universität Rostock. Phyto-Östrogene sind Pflanzenstoffe, die ähnlich wie das menschliche Hormon Östrogen wirken und viele gesundheitsför-dernde Eigenschaften haben, z.B. Phyto-Hormone aus Soja können beispielsweise Wechseljahresbeschwerden lindern.

Die Rostocker Forscher stellen Lignan-haltige Extrakte aus der Wurzel des Leins her und untersuchen ihre Wir-kungsweise auf Brustkrebszellen. Aus den bisher gewonnenen Erkenntnissen soll innerhalb der nächsten zwei Jahre eine Anwendungsmög lichkeit zur Vor-beugung von hor mon abhängigen Tu-mo ren entwickelt werden. Im Rahmen des Workshops „Phyto-Östrogene – Sekundäre Pflanzeninhaltsstoffe mit tumorpräventivem Potenzial“ stellen die Wissenschaftler nun die bisherigen Ergebnisse ihrer Studien vor.

Der Hauptgeschäftsführer der Deut-schen Krebshilfe Gerd Nettekoven betont: „Ziel der von uns geförderten Forschungsprojekte ist es, innovative Strategien in der Prävention und The-rapie von Tumor-Erkrankungen zu ent-wickeln.“ Die Deutsche Krebshilfe un-

terstützt das Projekt an der Universität Rostock mit 470.000 Euro. [nach Presse-mitteilungen der Deutschen Krebshilfe vom 09.12.2010 und 17.06.2009]

Pressemitteilung der Deutschen Krebs-hilfe.

Phytovielstoffgemische und Tumorprävention

Das Drittmittelprojekt der Universi-tätsfrauenklinik und Poliklinik am Klinikum Südstadt Rostock:

Lignanextraktion aus Lein (Blatt, Wurzel und Stängel) und Ulmen-extraktion in vitro Testung (LDH-, BrdU- und MTT-Test) an kommer-ziellen Tumorzelllinien (Mamma-, Endometrium- und Chorioncarci-nomzellen) und in normalen Primär-zelllinien (Trophoblastzellen, Fib-roblastzellen); unter http://www.kliniksued-rostock.de/klinikum/Forschungslabor.79.0.html

Projekte zur Wirkung von Phytoöstrogenen in Göttingen

Ein anderes Forschungsprojekt zur Wirkung von Phytoöstrogenen fördert die Deutsche Krebshilfe an der Universität Göttingen mit rund 300.000 Euro.

Während Prostatakrebs in westli-chen Gesellschaften eine der häu-figsten Krebsarten bei Männern ist, spielt dieser Tumor in asiati-schen Ländern wie China, Japan und Indien nur eine untergeordnete Rolle. Deshalb wird die spezifische Wirkung des Phytoöstrogens Tecto-rigenin auf das Prostatakarzinom untersucht. Tectorigenin wird aus der Wurzel der Heilpflanze Belam-canda chinensis (Leopardenblume, Liliengewächs) gewonnen, die in der traditionellen chinesischen und koreanischen Medizin be-kannt ist. Lesen Sie hierzu auch weiter unter: http://www.human-genetik.gwdg.de/HG/1/index.php?i=Fo&s=Forschung

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Pflege in der Onkologie

Was ist die Aufgabe der Pflege in der Onkologie?

Der Begriff Pflege kann wie der Begriff des Heilens nicht auf eine Profession zurück-geführt werden. Viel mehr bezeichnet es

„Sie haben Krebs“. Eine Mitteilung, die den Menschen im Innersten trifft. Eine Krebserkrankung bringt das Leben aus dem Gleichgewicht. Wie wird es jetzt

weitergehen? Was kann man tun, wenn man mit einer schrecklichen, lebensbedroh-lichen Diagnose konfrontiert wird? Die Angst als Mittelpunkt schwächt die eigene Lebenskraft, schreibt die Schriftstellerin Angelika Mechtel in ihrem „Krebstagebuch“:straucheln, vorwärts, Richtungsänderung, Werdegang, Abweichung, Tempo, Wand-lung, Übertritte.Im Gleichgewicht bleiben, das braucht Halt und Bewegung. Wie bringt man etwa je-manden in Bewegung? Wie kann man Wandlungsprozesse, die hier für den Betroffenen anstehen, verantwortungsvoll und vertrauenswürdig begleiten? Was ist zu tun, damit sich der Betroffene nicht hilflos und ausgeliefert fühlt?

Methoden und Tätigkeiten, die in jedem Menschen begründet und Bestandteil der menschlichen Kultur sind. Das folgende ist aus dem Blickwinkel der professionellen Pflege heraus zu verstehen.

In der Behandlungspflege werden ärztlich delegierte Maßnahmen durchgeführt, wozu eine ärztliche Verordnung grundsätzlich notwendig ist. Äußere Anwendungen las-sen sich nicht einfach so in die gängige Unterteilung von Grund- und Behand-lungspflege einordnen. Sie werden sowohl im Rahmen der Grundpflege (u.a. Obstipa-tionsprophylaxe) als auch der Behandlungs-pflege (u.a. feuchte Wärme bei Gastritis) angewendet. Da aber im Rahmen einer Krankenhausbehandlung die Gesamtver-antwortung immer beim ärztlichen Dienst liegt, bedarf es einer Abstimmung mit den Ärztinnen und Ärzten. Wie alle anderen Pflegemaßnahmen müssen auch die er-gänzenden Pflegemethoden dokumentiert werden: einerseits die Absprachen mit den

Diagnose Krebs – pflegen, umhüllen, schützen: Pflege in der Onkologie

Von Heike John, Hannover

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Onkologische Pharmazie | 13. Jahrgang | Nr. 1/2011 | 55

Pflege in der Onkologie

Ärztinnen und Ärzten und andererseits der Verlauf der Pflege bzw. die Reaktionen des Patienten. Die Art und Weise, wie pflege-rischen Handlungen durchführt werden, muss auf die individuelle Situation des Pa-tienten abgestimmt werden, Indikationen müssen gegeben sein, Kontraindikationen gilt es auszuschließen.

Voraussetzung für die Wirksamkeit der Anwendung sind pflegerisches Fachwissen und Erfahrung, denn wer lediglich nach dem Grundsatz handelt: „nützt es nichts, so schadet es nichts“, handelt unprofessi-onell. Eine unsachgemäße Handhabung kann zu unerwünschten Wirkungen wie Auskühlen oder allergischen Reaktionen auf (überdosierte) Zusätze führen. Ebenso darf eine notwendige ärztliche Behandlung bei schweren Krankheitsbildern nicht durch den Versuch verschleppt werden, etwas aus-schließlich mit „Alternativen“ kurieren zu wollen.

Das Seelische und Geistige darf nicht zu kurz kommen

Der düsteren Bedrohung etwas entgegen zu setzen, was Licht, Hoffnung, Wärme und das Vertrauen zurückbringen kann, das ist pflegerischer Auftrag in der Begleitung onkologischer Patienten und deren Ange-hörigen. In diesem Rahmen stellen kom-plementäre Methoden eine Möglichkeit dar.

Darüber hinaus ist es aber wichtig, alle Möglichkeiten zu unterstützen, damit der einzelne Patient und/oder sein soziales Um-feld bald möglichst und nachhaltig die Pfle-ge selbst übernehmen kann.

Sich einer oder einem Krebserkrankten zu nähern, ist oft nicht einfach. Als Pflegende begegnet man dem erkrankten Menschen in den verschiedenen Stadien seiner Erkran-kung. Anders als bei der medizinischen Klassifizierung, die u.a. von Lokalisation, Grad der Metastasierung, Lymphknotenbe-fall abhängig ist, stehen für den Pflegenden andere Zusammenhänge im Vordergrund, insbesondere sind dies die Phasen, die der Patient mit seiner onkologischen Erkran-kung und der Therapie durchläuft:

1. Phase Die Zeit vor und nach der Diag-nosestellung

2. Phase Die Zeit während der Therapie3. Phase Das Leben mit der Krankheit4. Phase Die Palliativphase

Jede dieser Phasen stellt andere sehr eige-ne Anforderungen an den Begleiter, den Pflegenden. Ausgewählte komplementäre Methoden bieten sich als Unterstützung in der jeweiligen Situation an.

1. PhaseDie Zeit vor und nach der Diagnosestellung – Entscheidungen reifen lassen

Pflegerische Aufgabe: Unterstützung der Diagnostik und Bewältigung der Ratlo-sigkeit

Diagnose Krebs - der Mensch wird plötz-lich zum Krebspatienten. Fassungslosigkeit, Angst, Panik, innere Leere sind häufig Ge-fühle, wenn die Diagnose mitgeteilt wurde. Manchmal ist es aber auch Erleichterung, wenn nach langem quälendem Warten end-

lich die Gewissheit darüber besteht, was im Inneren schon länger bekannt, geahnt wurde.

Die Diagnostik der Krebserkrankung, die oft mit einem Hindurchschleusen durch die umfangreiche Maschinerie (Endoskopien, Biopsien, Röntgenuntersuchungen, Laparos-kopien, Szintigraphien, Blutuntersuchungen u.a.) verbunden ist, kann den Menschen sehr verunsichern. Die pflegerische Begleitung darf sich deshalb nicht auf die Vorbereitung, Assistenz und Nachbereitung beschränken, sondern muss darauf hinwirken, dass der Patient sich selbst nicht verloren geht auf diesem Diagnostik-Marathon.

Jetzt braucht es Zuhörer, Zeit und Berater. Als Pflegende ist es nun Aufgabe, in dieser Situation zu vermitteln und ermutigend zu fragen, um das Verständnis des Patienten zu unterstützen. So kann es hier gelingen, einen Entscheidungsprozess voranzubringen, bei dem der Patient ja sagt zu seiner Therapie, die noch viel von ihm fordern wird.

Das andere Erschwerende für den Patienten ist sein Misstrauen gegen den eigenen Kör-

Die Grundlage der Rhythmischen Einrei-bungen (nach Wegman/Hauschka) bildet das anthroposophische Menschenbild. Die Geisteswissenschaft Rudolf Steiners leistet hier einen wesentlichen Beitrag zu einer menschengemäßen Pflege. Wegweisend waren Mitte des 20. Jh. die Ärztinnen Dr. Ita Wegman und Dr. Marga-rete Hauschka, nach denen die Rhythmi-schen Einreibungen heute benannt sind. Diese haben eine besonders sensible Berührungsqualität und verschaffen mit ihren leichten, fließenden Bewegungen eine umhüllende Empfindung. Neben der entspannenden Wirkung bei Unruhe und Ängsten führen sie in eine vertiefte Atmung herbei und lösen Verkrampfun-gen. Sie sind bei Sterbenden, z.B. als Fußeinreibung, besonders geeignet. Der Aufwand ist gering, verlangt vom Patienten keinerlei aktive Mitwirkung. Gleichwohl wird aber von den Pflegenden

nicht nur das Beherrschen der äußeren Technik sondern auch eine differenzier-te innere Haltung, die Ruhe auch nach außen abstrahlt, erwartet. Die Wirkung Rhythmischer Einreibungen lässt sich intensivieren durch therapeutisch wirk-same Substanzen.

Losgelöst vom Anspruch Rhythmischer Einreibungen kann jede Art von Einrei-bung, mit Ruhe und Feingefühl vorge-nommen, eine positive Wirkung auslö-sen, sofern der Pflegende sich bewusst ist, dass es hier um mehr als das Vertei-len einer Substanz auf der Haut geht. Eine Einreibung als pflegerische Handlung gestaltet die Beziehung zwischen Pati-ent und Pflegenden. Im Zusammenhang mit den Rhythmischen Einreibungen gibt es Forschungsergebnisse, die belegen, dass Berührungen heilsam sind.

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Pflege in der Onkologie

per. Den Körper, der den Tumor aus der Ver-borgenheit hervorgebracht hat. Hier geht die pflegerische Aufgabe über das Wort hinaus.

Viele Krebspatienten haben ein einge-schränktes Körpergefühl bzgl. Wärme oder Kälte. Sie müssen in der Selbstbeobachtung geschult werden, um zu spüren, ob sie warm oder kalt sind. Für viele Patienten ist das überraschend und sie benötigen deshalb gerade zu Beginn eine Verstärkung von au-ßen, um bewusst wahrnehmen zu können. Beratende Gespräche oder Anleitungen hel-fen dem Patienten bis er selbst in der Lage ist, zu spüren, wie es ist, sich „durchwärmt“ anzufühlen.

Pflegerisch-Komplementäre Maßnahmen

Fußeinreibungen als eine Methode der sanften menschengemäßen Berührung mit Ölen (z.B. Solum Öl, Lavendelöl) ver-leihen dem Körper eine unsichtbare, aber spürbare Schutz- und Wärmehülle, denn diese Rhythmische Einreibung fördert die Entstehung von Wärme im Organismus. Abschließend werden beiden Fersen gleich-zeitig leicht von der Matratze angehoben, der Pflegende umschließt die Fersen sanft mit den Händen und hält sie ca. fünf Atem-züge lang. So können das Gefühl von: “Du wirst getragen“ vermittelt oder die nächsten Schritte anregt werden.

Eine „Klingende Waschung“ erfrischt und belebt nachhaltig. Gleichzeitig wirkt das sanfte Plätschern des Wassers auch beru-higend und entspannend.

Die dienende Geste der Fußwaschung öffnet selbst bei sehr verschlossenen Patienten eine Tür zu ihrer Seele. Zwischen dem Pflegen-den und dem Gepflegten baut sich Wärme auf, unter deren Wirkung sich Widerstände und Spannungen lösen können.

2. PhaseDie Zeit während der Therapie – der Zerstörung das Unzerstörbare entgegensetzen

Pflegerische Aufgaben: Unterstützung der Therapie und Linderung der Therapiefolgen

Operationen hinterlassen Narben. Wund-versorgung oder das Einüben des Umgangs

Die Lunge ist in Form von zwei Flügeln angelegt (Lungenflügel).

Engelwesen werden in der Kunstge-schichte mit Flügeln dargestellt. Sie gelten wegen ihrer Flügel, ebenso wie Vögel, als dem Himmel verwandt, als Mittler zwischen Himmel und Erde sowie als Verkörperung des Immateriellen, vor allem der Seele. Durch die Atmung holt der Mensch die Luft (himmlisches Ele-ment) in sich hinein und atmet in Form des Kohlendioxids das Endprodukt sei-ner sich im materiell-irdischen Bereich vollziehenden Stoffwechselvorgänge wieder aus.

Mit der Atmung verbindet sich die In-nenwelt mit der Außenwelt, das Ich mit

dem Nicht-Ich. Da wir alle dieselbe Luft atmen, verbindet sich das Individuum darüber auch mit den anderen Wesen.Das Ziel ist eine Pflege, die nicht nur auf die Körpersymptome wirkt, sondern auch die von Einengung und Verletzung blockierte Seele wieder freier atmen lässt: Verlorene Leichtigkeit (Angst), gestörte Kontakte zur Außenwelt (Ein-schränkung) und emotionale Einengung (Isolation).

Erst mal tief Luftholen! Durch das Ein-atmen der gleichen Atemluft sind die Angehörigen eng und unvermeidbar mit dem Patienten verbunden. In der Palli-ativpflege gilt unsere Aufmerksamkeit und Fürsorge nicht nur dem Sterbenden, sondern auch den Begleitern.

„Komplementäre Betrachtungsweise“ am Beispiel: Dyspnoe

Indikation: Husten, Bronchitis, Pneu-monie und ihre Prophylaxen, Förderung der Körperwahrnehmung

Lagerung des Patienten: Der Patient sitzt so an der Bettkante im Bett, dass der Rücken frei zugänglich ist. Brustbe-reich mit einem evtl. gewärmten Hand-tuch oder dem Bademantel bedecken.Der Patient stützt sich durch ein auf den Knien liegendes Kissen ab.

Substanz: Thymianöl 2,5% (wärmt, ent-krampft), Lavendelöl 2,5% (geeignet besonders zur Nacht)

Durchführung: Lagerung des Patienten (s.o.); Stand: Hinter dem Patienten; Öl in den Handtellern erwärmen.Von oben nach unten auf dem Rücken verteilen. Beide Hände schmiegen sich rechts und links vom 7. Halswirbel an den Rücken an und wandern abwärts bis

unter die Schulterblätter. Sie machen dabei eine ruhige Abwärtsbewegung neben der Wirbelsäule, die Bewegung wird von oben nach unten gelöster. Mit einer leichten Drehung weisen nun die Fingerspitzen in Richtung Flanke. Die Streichung wird am Rippenbogen ent-lang geführt und endet seitlich gelöst an den Flanken.

Die Hand rund und gelöst vom Körper lösen, wenn sie an der Flanke angekom-men ist. Zum Ansatzpunkt zurückkeh-ren und den nächsten Abstrich begin-nen, welcher etwas tiefer endet, als der erste. Der Dritte Abstrich endet etwas unterhalb der Rippenbögen. Lösung wie zuvor.

Nachbereitung: Patienten anziehen, Lagerung

Nachruhe 15 Minuten

Pflegemaßnahmen bei Dyspnoe: Einfache Rückeneinreibung

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Pflege in der Onkologie

Onkologische Pharmazie | 13. Jahrgang | Nr. 1/2011 | 57

mit dem Anus praeter kann nun notwen-dig sein. Eine Chemotherapie verursacht möglicherweise Übelkeit, Appetitlosig-keit, Schwäche, Schleimhautläsionen. Das Körperbild verändert sich möglicherweise durch Haarausfall oder Hormonbehand-lungen.

Die Pflege findet ihre Aufgabe in dieser Phase darin, die Auswirkungen der Therapien auf das Befinden des Patienten zu mildern.

Die innere Haltung dem Patienten gegen-über ist in dieser Phase von besonders großer Bedeutung und bildet die Leitlinie – der Zerstörung das Unzerstörbare entgegen-setzen.

Beruhigung und Entspannung können auch durch Ablenkung geschehen. Der Geruch des ätherischen Öls bei der Ölauflage, das Spüren der Wärme, lenkt die Aufmerk-samkeit weg vom Schmerz oder von der Übelkeit und führt vielleicht zum ersten Mal seit längerer Zeit zu einem positiven Körpergefühl.

Pflegerisch-Komplementäre Maßnahmen

Je nach Befinden des Patienten bietet sich eine Ölauflage oder eine Einreibung an. Der Mensch soll sich wieder finden. Der Patient kann sich langsam wieder in seinen Körper, der ihm vielleicht fremd geworden ist oder der sich verändert hat, hinein fühlen. Wär-me unterstützt die Selbstwahrnehmung und trägt zur Entspannung bei. Eingewickelt in warme Tücher entsteht ein Gefühl von Geborgenheit. Durch das jeweilige den in-dividuellen Anforderungen entsprechende Öl wird die Anwendung in eine spezielle therapeutische Richtung gelenkt.

Rhythmische Ganzkörpereinreibungen z.B. mit Oleum aethereum Lavandulae entspannen und helfen den fremd gewor-denen Körper wieder anzunehmen. Schmer-zende Körperbereiche werden mit warmer, „freundlicher“, zurückhaltender Hand ohne Druck gezielt eingerieben.

Eine ableitende Einreibung, wie eine vom Nacken abwärts führende Rückeneinrei-bung, kann bei Kopfschmerzen angewendet werden. Rhythmische Einreibungen mit Johanniskrautöl unterstützen die Aufrich-tekräfte und können bei depressiver Ver-

stimmtheit helfen. Das Öl wird hierbei von oben (beginnend in Höhe des 7. Halswirbels) nach unten entlang der Wirbelsäule (an der Lendenwirbelsäule endend) mit warmen Händen ohne Druck verteilt.

3. PhaseDas Leben mit der Krankheit – den Alltag mit Sinn erfüllen

Pf legerische Aufgabe: Integration der Krankheit in den Lebensalltag

Wenn es gelungen ist, den Tumor zu ent-fernten, bleibt dennoch häufig eine tiefe Un-sicherheit Alltagsbegleiter. Welche Faktoren haben dazu geführt, dass der Tumor wach-sen konnte. Woraus beziehe ich Kraft für die Überwindung der Krankheit? Was lasse ich anstelle des Rezidivs wachsen?

Hier taucht das moderne „Zauberwort“ Kohärenz auf. In Einstimmung mit sich selbst sein, das unterstützt die Selbsthei-lungskräfte und aktiviert Widerstands-kräfte. Sehr einfach scheint es, was Aaron Antonowski in seiner modernen Saluto-

geneseforschung als Sense of Coherence beschreibt.

Die pflegerischen Aufgaben in dieser Phase sind sehr vielfältig, vor allem in Rehabilita-tionseinrichtungen oder im häuslichen Be-reich. Jetzt steht die Gesundheitsförderung im Vordergrund. Die „innere Gestimmtheit“ des Begleiters und der Pflegenden, deren Einstellung zum Leben, zu Krankheit, zu Schicksalsfragen, zum Sterben wirkt auf den Patienten und ist im Handeln spür-bar. Als Pflegende ist es die Aufgabe, den Menschen zu unterstützen und nicht nur die pathophysiologischen Grundlagen seiner Krebserkrankung zu kennen. Sondern den onkologischen Patienten auch dahin gehend zu begleiten, sich selbst zu erkennen, sich wieder zu finden. Fragen der individuellen Lebensgestaltung sollten nun durchdacht werden. Wie können Lebensumstände ge-sundheitsfördernd verändert werden? Er-nährung, Alltagsgestaltung mit Zeiten von Aktivität und kräftigenden Pausen. Natür-lich können Pflegende nicht in allen Le-bensbereichen Rat wissen. Anregung der Begeisterungsfähigkeit und menschliche Begegnungen erwärmen jedoch den Men-

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Pflege in der Onkologie

schen innerlich. Es geht also darum, dem Menschen mit Interesse zu begegnen und möglicherweise Kontakte zu anderen Be-rufsgruppen zu schaffen.

Pflegerisch-Komplementäre Maßnahme

Gesundheitsfördernd können jetzt Bä-der, Massagen, Wickel, Auf lagen und Einreibungen sein. Diese können auch dazu dienen, den Alltag zu strukturieren. Hand- oder Fußbäder oder eine Ganzkör-perwaschung mit Substanzen wie Rosmarin und Citrus können zur Belebung von innen heraus beitragen, den Körper wieder in Ein-klang bringen oder zu tiefer Entspannung und Ruhe führen.

Am Morgen zum Wachwerden: Morgendli-che Waschung mit handwarmen keinesfalls kaltem Waschwasser und Rosmarin- oder Citruszusatz. Anschließend die noch feuchte Haut dünn mit Rosmarinkörperöl einreiben.

Am Abend zum „Loslassen des Tages“: Wa-schungen vom Rumpf zu den Gliedmaßen und zu den Fingern mit Lavendel- oder Fichtennadelbad.

4. PhaseDie Palliativphase – Hoffnung pflegen

Pflegerische Aufgaben: Symptomkontrolle und Schicksalsbegleitung

Die Diagnose Krebs ist kein Todesurteil. Im Verlauf der Erkrankung kommt es aber häufig zur Auseinandersetzung mit der The-matik. Der Patient setzt sich mit der Bedeu-tung des eigenen Lebens, mit dem Sinn von Leid, Schmerz, der Verantwortung für die eigene Existenz auseinander.

Der pflegerische Auftrag liegt darin, dem Menschen in der Krankheit als einer mög-lichen Existenzform zu begegnen. Nicht nur im „Kampf“ gegen die Erkrankung besteht die Aufgabe, sondern auch im aktiven Zu-lassen der Erkrankung. Nicht das „Gesund

Gefahr ist groß, dass die Menschenwürde des Pflegebedürftigen auf der Strecke bleibt. Es ist die innere Haltung von Pflegenden, die den Unterschied macht. Wenn ein Pfle-gebedürftiger das echte Interesse an ihm und seiner Biographie spürt, entsteht die menschliche Nähe und Wärme, die für sein Wohlbefinden wichtig ist. Ganzheitliche Pflege ist trotz personeller Engpässe kein Ding der Unmöglichkeit, sondern eine Frage der inneren Haltung des Pflegenden. Letzt-endlich ist es diese Haltung, die etwas ganz Wesentliches mit sich bringt – nämlich den Respekt vor der Intimität, der Würde und dem trotz physischer Beeinträchtigungen unversehrten Wesenskern des Pflegebe-dürftigen.

Wer fühlt, was er sieht – der tut, was er kann

Literaturverzeichnis

Bahlmann B (Hrsg.): Pflege daheim. Berlin: Sa-lumed –Verlag 2010.

Heine R: Die Pflege des krebskranken Menschen. Weleda Pflegeforum Januar 2006, S. 3-5

BIBLIOGRAPHY Weiss C: Erfahrung in der an-throposophischen Pflege von onkologischen Patienten. Pflege-Perspektiven, Onkologie2007.

Fingado M: Therapeutische Wickel und Kompres-sen. Dornach: Natura Verlag. 3. Auflage 2006

Glaser H: Alte und neue Heilmittel zur äußeren Anwendung. Gesundheitspflege initiativ. 2. Auf-lage 2008

Bühring U, Ell-Beiser H und Girsch M: Heilpflan-zen in der Kinderheilkunde. Das Praxis-Lehrbuch. Stuttgart: Sonntag Verlag. 2008

Bertram M: Der therapeutische Prozess als Dia-log , Berlin2005

Autorin:

Heike John Gesundheits- und Krankenpflegerin Leitung Palliative Care Kompetenznetz Pflege, Medizinische Hochschule Hannover

sein“ ist der pflegerische Grundgedanke sondern das „Heil werden“. Besonders in der Palliativpflege gilt es Raum zu schaffen, damit notwendige individuelle Lebens- und auch Entwicklungsbedingungen gestaltet werden können.

Pflegerisch- Komplementäre Maßnahme

Ein Ziel palliativer Betreuung ist es, das körperliche Wohlbefinden zu erhalten. In der Palliativpflege können Wickel, Auf-lagen, und Einreibungen in ihrer ganzen Bandbreite indikationsgebunden eingesetzt werden. Sie schenken dem Körper, der oft nur noch als Last empfunden wird, Auf-merksamkeit und können nach dem Prinzip der Salutogenese noch Vorhandenes und Gesundes stärken.

Bei tiefer Erschöpfung oder einem stagnie-renden Sterbeprozess benötigt der Patient manchmal erst eine anregende Pflege, um sich anschließend lösen zu können. Ange-passte Abwaschungen oder Einreibungen können hilfreich sein. Nur wer lebendig ist, kann sterben.

„Komplementäre Betrachtungsweise“ am Beispiel Reinigung

Was ist das Wesen des Reinigens? Was ist der gestische Gehalt dieser Pfle-gehandlungen? In der Reinigung wird das Wesentliche vom Unwesentlichen getrennt, der Schmutz, die Schlacke vom „Gold“. Das Wesen kann jetzt zur Erscheinung kommen.

Ausblick

Leider lässt die aktuelle Situation des Pfle-gebereichs in Deutschland nicht immer aus-reichend Raum für persönliche Zuwendung: Die öffentlichen Gelder, die für Pflegeleis-tungen aufgebracht werden, werden zuneh-mend knapper. Pflegenden bleibt leider we-nig Zeit für den einzelnen Menschen. Die