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18 EFODON-SYNESIS Nr. 6/2003 Zunächst schicke ich zwei Vorausset- zungen meines Ansatzes voraus: Kain und Abel (1.) Die Bibel kennt die beiden Lager der Kains-Kinder und der Abels-Kinder (Seth-Kinder). Die Abelskinder (die Hir- ten) empfangen von Gott unmittelbar, intuitiv, und sie haben so die Priester- weisheit. Sie haben die weibliche (emp- fangene) aktive (unmittelbar wirkende) Weisheit. Ihr Hauptvertreter ist König Salomo. Dagegen sammeln die Kains- Kinder (die Ackerbauern) praktische Er- fahrung, indem sie ihre Gedanken in die Welt hineinarbeiten und dann nachse- hen, wie ihr Tun geworden ist. Sie haben das männliche (durch Arbeit ergründe- te) passive (in der Reaktion erkannte) Wissen. Ihr Hauptvertreter ist Salomos Tempelbaumeister Adoniram. Die Kainskinder haben also die innere Intu- ition zugunsten der äußeren Erkenntnis zurückgedrängt, was mit dem Bild der Tötung Abels übermittelt wird: Sie ha- ben in sich die Fähigkeit Abels, unmit- telbar nach oben offen zu sein und intu- itiv zu empfangen, abgetötet. Nachdem sie nun im Erringen des reaktiven, pas- siven, männlichen Erkennens und Wis- sens geübt wurden, empfanden sie ein Verlangen nach der verlorenen Intuition und Weisheit als einer wirkenden Kraft („Gott sprach: ,Es werde´ und es ward“). Sie wollten das weibliche Empfangen als eine unmittelbare, aktive Kraft des Her- vorbringens erlangen (das ist das Ziel der Brüder der weißen Schlange) [s. Rudolf Steiner, S. 237]. „Aus der Leidenschaft der Kainssöhne sind alle Künste und Wissenschaften ent- standen, aus der Abel-Seth-Strömung alle abgeklärte Frömmigkeit und Weisheit ohne Enthusiasmus.“ [Steiner, S. 63] Als die Kains-Kinder also ihr Er- kenntnisstreben in dieser Welt ausgebaut hatten, wollten sie die verlorene weibli- che, aktive Intuition wiedererlangen, was ihnen nur über den Weg der (den Kainskindern angemessenen) Arbeit er- reichbar schien. Sie strebten also über passive (an der Reaktion kontrollierba- re) Arbeit zur aktiven (unmittelbar von oben einstrahlende) Intuition, welche Volker Ritters Die Bundeslade aus der Sicht der Verborgenen Geometrie Durch den Artikel „Rätsel um die Bundeslade?“ von Reinhard Prahl in SYNESIS Nr. 4/2003 (S. 5 ff.) angeregt, möchte ich eine andere Sicht darstellen, ohne auf seine Darstellung einzugehen. Abb. 1: Kain der Ackerbauer und Abel der Viehhirte. Radierung, 17. Jahrhundert (?)

EFODON e.V. - Volker Ritters Die Bundeslade...Die Bundeslade überliefert ist, dass Moses die Zehn Ge-bote in die Lade legte [2. Mose 40: 20], und wenn diese Aussage ebenso auf das

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  • 18EFODON-SYNESIS Nr. 6/2003

    Zunächst schicke ich zwei Vorausset-zungen meines Ansatzes voraus:

    Kain und Abel (1.)Die Bibel kennt die beiden Lager der

    Kains-Kinder und der Abels-Kinder(Seth-Kinder). Die Abelskinder (die Hir-ten) empfangen von Gott unmittelbar,intuitiv, und sie haben so die Priester-weisheit. Sie haben die weibliche (emp-fangene) aktive (unmittelbar wirkende)Weisheit. Ihr Hauptvertreter ist KönigSalomo. Dagegen sammeln die Kains-Kinder (die Ackerbauern) praktische Er-fahrung, indem sie ihre Gedanken in dieWelt hineinarbeiten und dann nachse-hen, wie ihr Tun geworden ist. Sie habendas männliche (durch Arbeit ergründe-

    te) passive (in der Reaktion erkannte)Wissen. Ihr Hauptvertreter ist SalomosTempelbaumeister Adoniram. DieKainskinder haben also die innere Intu-ition zugunsten der äußeren Erkenntniszurückgedrängt, was mit dem Bild derTötung Abels übermittelt wird: Sie ha-ben in sich die Fähigkeit Abels, unmit-telbar nach oben offen zu sein und intu-itiv zu empfangen, abgetötet. Nachdemsie nun im Erringen des reaktiven, pas-siven, männlichen Erkennens und Wis-sens geübt wurden, empfanden sie einVerlangen nach der verlorenen Intuitionund Weisheit als einer wirkenden Kraft(„Gott sprach: ,Es werde´ und es ward“).Sie wollten das weibliche Empfangen alseine unmittelbare, aktive Kraft des Her-

    vorbringens erlangen (das ist das Ziel derBrüder der weißen Schlange) [s. RudolfSteiner, S. 237].

    „Aus der Leidenschaft der Kainssöhnesind alle Künste und Wissenschaften ent-standen, aus der Abel-Seth-Strömung alleabgeklärte Frömmigkeit und Weisheit ohneEnthusiasmus.“ [Steiner, S. 63]

    Als die Kains-Kinder also ihr Er-kenntnisstreben in dieser Welt ausgebauthatten, wollten sie die verlorene weibli-che, aktive Intuition wiedererlangen,was ihnen nur über den Weg der (denKainskindern angemessenen) Arbeit er-reichbar schien. Sie strebten also überpassive (an der Reaktion kontrollierba-re) Arbeit zur aktiven (unmittelbar vonoben einstrahlende) Intuition, welche

    Volker RittersDie Bundesladeaus der Sicht der Verborgenen Geometrie

    Durch den Artikel „Rätsel um die Bundeslade?“ von Reinhard Prahl in SYNESIS Nr. 4/2003 (S. 5 ff.) angeregt, möchte icheine andere Sicht darstellen, ohne auf seine Darstellung einzugehen.

    Abb. 1: Kain der Ackerbauer und Abel der Viehhirte. Radierung, 17. Jahrhundert (?)

  • 19EFODON-SYNESIS Nr. 6/2003

    eine nicht durch Arbeit erzwingbareGnade ist. Diesem Ziel widmen sich dieGeheimgesellschaften der weißenSchlange, so auch die Freimaurer (nachSteiner) in ihren rituellen Arbeiten. Esbleibt das Paradoxon, durch erzwingen-de Arbeit zur nicht erzwingbaren Gnadeder Intuition gelangen zu wollen.

    Die Verborgene Geometrie (2.)Die Verborgene Geometrie in Kunst-

    bildern der Neuzeit (Dürer bis Runge)beinhaltet die in Geometrie gegossenerituelle Arbeit (der weißen Bruderschaftder Kains-Kinder), die eine KöniglicheKunst sei. Die Verborgene Geometrietransportiert also die Königliche Kunstvon der rituellen Tempelarbeit in dieBildwelt hinein. Sie arbeitet rituelleHandlungen (die zur Intuition führensollen) - Worte, Handzeichen, Schritte,Wege, Figuren - in die Außenwelt derKunstwerke hinein (Evolution [Steiner,S. 122]), aus denen also später die geis-tige Aussage herausgelesen werden kann(Involution). Es sei die Aufgabe der Ge-heimgesellschaften, Geist in die Außen-welt zu geben [Steiner, S. 122], Geistfrei in die Materie hineinzuarbeiten (freizu mauern), welcher dann als eine fort-

    wirkende Kraft in der Welt vorhandensei [Steiner, S. 282].

    Die Besonderheiten der VerborgenenGeometrie sind folgende [s. Ritters I, II]:

    · Sie ist ein in die Fläche und in Lini-en und Punkte umgesetztes rituellesProgramm für das Gehen eines Ein-weihungsweges,

    · sie vermittelt altägyptisches Mysteri-enwissen (Herder wies auf den alt-ägyptischen Lichtmythos hin in sei-nem Werk „Älteste Urkunde des Men-schengeschlechts“ Band I,1774, auf den die Hamburger Kunst-halle im Zusammenhang mit PhilippOtto Runge - der die Verborgene Ge-ometrie kannte [s. Ritters I] -verweist[Katalog, S. 48]),

    · sie verlässt die Ebene des Gegen-ständlichen, in der noch bestimmte,nach einem System zu erwartendeDurchstiegspunkte angelegt sind, sodass in der dahinter liegenden Ebeneder Geometrie und reinen Formen(jenseits der Mannigfaltigkeit, Stoff-lichkeit, Körperlichkeit) gearbeitetwerden kann,

    · sie bearbeitet das Überwinden derfleischlichen Bindungen (Begierden,

    Astral-Körper [Steiner, S. 105]) zuguns-ten der Bearbeitung des spirituellenAuftrages des Menschen (seine 7Prinzipien zu erfüllen [Abhinyano, S. 312,s. Ritters II, S. 291]), eben jenseits derEbene des Gegenständlichen (Kör-perlichen, Fleischlichen) und in derEbene der reinen Formen,

    · in ihr wird das „wirkende Wort“(„Gott sprach: ,Es werde´ und esward“) gesucht und gefunden als daswirkende Lineament des „Grales“(des Kubus mit der in ihn, in seineinnere Y-Figur, einstrahlenden Dop-pelschwingungsfigur [Ritters II, S. 132ff.]). - Nach der „Neuen Homöopa-thie“ nach E. Körbler sind Lineamen-te elektromagnetische Sender.

    · Sie gibt also in ihrer Zielfigur desGrales spirituelle Energie („ewige Le-benskraft“ [Abhinyano, S. 248]).

    Beide Voraussetzungen zusammengesehen bedeuten, dass bei einem hoch-rangigen Künstler (Kains-Sohn) die An-wendung der Königlichen Kunst (denEinweihungsweg zu gehen) in Gestaltder Verborgenen Geometrie in seinemWerk erwartet werden kann. Dann stehtdieses Werk nicht nur für sich (wie es

    Die Bundeslade

    Abb. 2: „Die Lade mit ihren Stangen, der Gnadenstuhl (Deckel der Lade) und Vorhang; der Tisch mit seinen Stangen und allem seinem Gerät und die Schau-brote; der Leuchter ..., der Räucheraltar...; das Tuch vor der Wohnung Tür.“ [2. Mose 35: 12-15] Radierung, Kopie nach der Merian-Bibel, 17. Jahrhundert.

  • 20 EFODON-SYNESIS Nr. 6/2003Abb. 3: „de Cherubinen boven versoendeksel volgens der Joden meening, de Cherubinen volgens Arias Montanus, de Cherubinen volgens een niever gevoelen, deCherubinen die Salomon int Heiligdom maakte van 10 Ellen, 1 Kon. 6: 23. En kap. 8: 6,7.“ Radierung.

    Die Bundeslade

  • 21EFODON-SYNESIS Nr. 6/2003

    körperhaft aussieht, oder was es gegen-ständlich darstellt und allegorisch bedeu-tet), sondern es ist zudem der Transport-behälter für die verborgene spirituelle/symbolische Aussage in ihm.

    Zur Deutung der LadeIn 2. Mose, 37: 1 steht geschrieben:

    „Und Bezaleel machte die Lade von Aka-zienholz, dritthalb Ellen lang. AnderthalbEllen breit und hoch.“ Ein Handwerker/Künstler, also ein Kains-Kind, fertigte dieLade. Moses empfing von Gott auf demBerge Sinai die Anweisung, dieses aus-führen zu lassen. Er ist also ein Abels-Kind, zu dem Gott spricht. Moses sag-te [2. Mose 35: 10-12]:

    „Und wer unter euch verständig ist, derkomme und mache, was der Herr gebo-ten hat: nämlich die Wohnung mit ih-rer Hütte und Decke, Haken, Brettern,Riegeln, Säulen und Füßen; die Lademit ihren Stangen, den Gnadenstuhlund Vorhang...“ (der Gnadenstuhl istder Deckel der Lade: „zudecken = süh-nen, mit sühnendem Opferblut bestrei-chen“ [Brockhaus, S. 734]).Das Abelskind Moses arbeitet nicht,

    es ruft die geeigneten Werkleute undKünstler unter den Kainskindern.

    Woher nun der Künstler und Kains-Sohn Bezaleel für das Werk genauereAnweisungen erhielt, ist soweit nochnicht gesagt. Hierzu steht in der Bibel,der gesammelten Priesterweisheit [2.Mose 35: 30-32]:

    „Und Mose sprach zu den Kindern Is-rael: Sehet, der Herr hat mit Namenberufen den Bezaleel, den Sohn Uris,des Sohnes Hurs, vom Stamme Juda,und hat ihn erfüllt mit dem Geist Got-tes, dass er weise, verständig, geschicktsei zu allerlei Werk, kunstreich zu arbei-ten an Gold, Silber und Erz.“Danach hat der Werkmeister Be-

    zaleel bereits Intuition von Gott (wie einAbels-Kind) und kann sein Werk kunst-voll (wie ein Kains-Kind) nach den Re-geln der Königlichen Kunst ausführen:

    Die Maße sind in der Tiefe und Höhe(„breit und hoch“) je anderthalb Ellen(ein Quadrat formend) und in der Brei-te („Länge“) dritthalb Ellen. Die Maßestehen also im Verhältnis von 3 zu 3 zu7 (Tiefe x Höhe x Breite). Die Grundflä-che ist also rechteckig. Nun ist das

    Rechteck das zur Vollkommenheit hinGeschaffene, etwas Werdendes [Hieber I,S. 34; II, S. 25], während das Quadrat dasVollkommene ist [Hieber I, S. 34; II, S. 25].Wenn dann (im Sinne der VerborgenenGeometrie) bedacht wird, dass das ge-genständlich Geschaffene (die Lade)nicht das Vollkommene der reinen Ge-ometrie zeigt, sondern als Hinweis undDurchgang zu ihr hin begriffen wird, soist klar, dass die tatsächlich rechteckigeGrundfläche (der Lade) auf das Quadratim Bereich der reinen Formen (in dertieferen Ebene, im Dahinterliegenden)verweist: Hinter dem real zur Vollkom-menheit hin Geschaffenen (dem Recht-eck) liegt ideal das Vollkommene (dasQuadrat), denn hinter der Schöpfungverbirgt sich ihr Schöpfer, hinter der Re-aktio (dem Gewordenen) sucht man dieAktio (den göttlichen Plan). Wenn dannnoch bedacht wird, dass das Quadratauch für den Kubus steht, der sich überdem Quadrat erhebt [Hieber I, S. 30], so istdann anzunehmen, dass bedeutungsmä-ßig hinter dem realen Quader der idea-le Kubus stehe. Die Lade verweistdanach auf den Kubus. Wenn dann noch

    Die Bundeslade

    Abb. 4: „Exod. XXXVII. Men werckt aen de Arke, den Kandelaer, ende Tafel.“ (2. Mose 37) Radierung in: Mortiers Bibel. Amsterdam 1700.

  • 22 EFODON-SYNESIS Nr. 6/2003

    Die Bundesladeüberliefert ist, dass Moses die Zehn Ge-bote in die Lade legte [2. Mose 40: 20],und wenn diese Aussage ebenso auf das„Dahinterliegende“ bezogen wird, sowird also gesagt, dass das, was von Gottkommt, in der Lade sei: dass das Gottes-Wort im Kubus sei.

    In der Offenbarung des Johannes le-sen wir im 2. Kapitel, Vers 17:

    „Wer Ohren hat, der höre, was derGeist den Gemeinden sagt: Wer über-windet, dem will ich zu essen geben vondem verborgenen Manna und will ihmgeben einen weißen Stein und auf denStein einen neuen Namen geschrieben,welchen niemand kennt, denn der ihnempfängt.“Im Sinne der durch die Verborgene

    Geometrie angeregten Interpretation des„Dahinterliegenden“ mag dieser Versbedeuten: Wer den Einweihungsweggeht, der zum kubischen Gral führt, wirdauf diesem „weißen“, also materielosen(eben geometrischen) Stein die einstrah-lende Kraft des Gotteswortes, das ver-borgene Manna, empfangen. In der Ver-borgenen Geometrie stellt die Doppel-schwingungsfigur in der Y-Figur des Ku-bus das „wirkende Wort“ (das verborge-ne Mana) Gottes dar. Und der „geschrie-bene Name“ wird auch erkennbar (wirdempfangen), denn nach der VerborgenenGeometrie ist das „wirkende Wort“ einTeil des „Gottesnamens“, wenn mit ihmdas „magische Dreieck“ vom Anfang des„Weges der Entwicklung“ binnendiffe-renziert wird. [s. Ritters I, S. 309, II, S. 144 f.])

    Diese Sicht einer idealen kubischenLade, die das Wort Gottes beherberge,deckt sich also mit der energetischenSicht der Verborgenen Geometrie, nachder das Gotteswort in den vollkomme-nen Menschen (Kubus), in die Y-Figurim Kubus, in den „Mund Gottes“ imNacken [Yogananda, S. 69] (in die Mitte derY-Figur) einstrahlt: Diese Lade/dieserKubus/dieser vollkommene Mensch istalso ein Empfänger der spirituellen En-ergie, der ewigen Lebensenergie (im 7.Prinzip „Atma“ [Abhinyano, S. 248]). - Diegelegentlich auf der Lade dargestellte Pal-me erinnert in ihrer Gestalt auch an dieY-Figur.

    Weiterhin ist dieser energiegeladeneKubus/Mensch nach der VerborgenenGeometrie die „solare Robe“, der feurigeEnergiekörper, im Mahayana Buddhis-mus und in der Ur-Religion [Abhinyano, S.269], bzw. der „neue Leib“ [1. Kor. 15:35ff.], die/der im „Lichtschacht“ (in derAchse der Einstrahlung) aufsteigen kann(Himmelfahrt).

    Wenn also ein Kains-Kind, ein Hand-werker und Künstler, die Lade schuf, sokann angenommen werden, dass sie einäußeres Bild für den in die Materie hin-eingearbeiteten Geist, für die tieferlie-gende spirituelle Ebene der idealen Figu-

    ren sei und hier entsprechend - nach denVorgaben der Verborgenen Geometrie -als energiehaltiger Kubus (gleich Gral) in-terpretiert werden kann (als Empfangs-Station und als Aufstiegs-Vehikel).

    Dieses Geistige ist ja schon an denMaßen ablesbar: Einerseits zeigt dieLade das Maßverhältnis von „3 zu 3“ (imVerhältnis von Höhe zu Tiefe), womitder „Dreifach Große Baumeister“ („3 x 3“,Gott [Hieber I, S. 10]) gemeint ist. Anderer-seits spricht sie von der Zahl 7 (3 zu 3 zu7), womit das „Geheimnis des von Gott ge-schaffenen Menschen“ [ZK 7/1990, S. 255]gemeint ist: Die Vier steht für den irdi-schen Leib, und die Drei steht für dieGott suchende Seele. In den Maßverhält-nissen der Lade kommen danach Gott(3 x 3) und der Mensch (7) zusammen,worin eine Aufforderung zur Bearbei-tung liegt: Das damit gegebene Transzen-dente im Dahinterliegenden, letztendlichGott (in der spirituellen Ebene), zu su-chen und zunächst (3 x 3 x 7 = 63, 63und ich = 64) nach der Gnade zu streben(8 = Gnade, 8 x 8 = potenzierte Gnade,64), womit im Kain-Abel-Verhältnis die„Gnade der Intuition“ gemeint ist, diedem Kain verloren gegangen war und dieer dann wieder zu erreichen suchte, umGott und seinen Wirkkräften nahe zusein.

    Das Arbeitsmittel der Kains-Kinderfür die Suche der verlorenen Intuition,nämlich die Einweihungswege, die inder Sprache der Verborgenen Geometrieüberliefert sind und in die Kunstwerkehineingearbeitet sind, können also gele-sen werden. Und im Falle des KünstlersBezaleel können wir sicher sein, dassihm auch die Intuition offen stand, wel-ches Moses überlieferte, da er jaschrieb:

    „Sehet, der Herr hat mit Namen beru-fen Bezaleel... und hat ihn erfüllt mitdem Geist Gottes, dass er weise, ver-ständig, geschickt sei zu allerlei Werk,kunstreich zu arbeiten an Gold, Silberund Erz.“ [s.o.]

    SummeVorliegende Interpretation gibt uns

    auf der Grundlage der Kain-Abel-Span-

    nung und der Arbeitsmittel der Kains-Kinder ein Bild von dem zur Lade gehö-renden „Dahinterliegenden“, das aufden Kubus mit seiner Einstrahlung spi-ritueller Energie (also den Gral) und aufden energiegeladenen Kubus (den spiri-tuellen Menschen, seinen neuen Leib,die solare Robe) zeigt. Letztendlich be-deutet der Kubus: Gott [ZK 7/8 1986, S.311], Christus und den spirituellen Men-schen [Hieber III, S. 18; ZK 7/8 1986, S. 311 f.].Diese Interpretation zieht aus der ge-glückten Arbeit des Bezaleel mit dem im„Dahinterliegenden“ Gefundenen dasEinstrahlende (Doppelschwingungsfigur,Lichtschacht) und also den Zugang zurIntuition hervor.

    Während die Lade für das Abels-Kind Moses die „Lade des Zeugnisses“(der beiden Gesetzestafeln) [2. Mose 40: 3,5, 21], also ein Aufbewahrungs-Behältnisist, ist sie für das Kains-Kind Bezaleel einVersteck für die Botschaft der Königli-chen Kunst vom Wiedererlangen der In-tuition.

    AusblickWährend Lade und Gesetzestafeln

    für Moses die unmittelbare Bedeutungdes erfahrenen Gotteswortes repräsen-tieren (Gottes direktes Wirken), vermit-telt die Übersetzungsarbeit des Bezaleel,Geist in Materie - für ein späteres Her-auslesen - hinein zu arbeiten, die Wegeder Arbeit zum Gral hin, in dem dannauch die Gnade der Intuition (Einstrah-lung) gefunden wird [zum Umschlag von Ar-beit zu Gnade s. Ritters II, S. 147, III, S.71]: Nur,es sollte der Handwerker und Künstlerwahrscheinlich nach dem Auftrag dieGeräte nur herstellen und nicht mehr,wogegen dieser darüber hinaus an seinund seiner Brüder Fortkommen gedachthat (das Verlorene zurück zu gewinnen).

    Ebenso verhielt sich Raphael beimMalen der „Schule von Athen“ in der„Stanza della segnatura“ (1508-1511), daer während der Abwesenheit des PapstesJulius II. (Oktober 1510 bis Juni 1511,als dieser in Norditalien Krieg führte)sein Werk vollendete, das das Erreichendes Zieles der Kainskinder dem gefürch-teten Despoten und Vertreter der Pries-terweisheit (dem Abelskind) in dessen

    Abb. 5: Quader (Lade) und Kubus.

  • 23EFODON-SYNESIS Nr. 6/2003

    Bibliothek verborgen an die Wand mal-te, was mit feinem Gespür für die Bedeu-tung des Bildes ein „Überraschungssieg“[Kelber, S. 299] genannt wurde [Ritters III, S.179].

    Mit dem gleichen Gespür wird beider „Schule von Athen“ nach „symboli-schen Gestalten“ gefragt, die für Platonund Aristoteles ständen [Falck-Ytter, S. 50].Wenn diese verschlüsselt und verstecktvorliegen sollten, so müssten doch beideim Verborgenen des „Dahinterliegen-den“ sein. Auch wird angenommen,dass Raphael bestrebt gewesen sei, eine„Harmonie darzustellen, hier jene zwischendem platonischen und aristotelischen Den-ken.“ [Oberhuber, S.12]. Hierin dürfte bei-der Gleichrangigkeit eingeschlossensein, was voraussetzen sollte, dass Aris-toteles sein Defizit (die fehlende Intuiti-on nachzuholen, um für Gottes Intuiti-on offen zu sein, um Ihm nahe sein zukönnen) ausgleichen könnte. - Und ge-nau beide Punkte sind durch Raphaeldargestellt: In der Verborgenen Geome-trie zeigt Platon nach oben auf denThron Gottes/auf das Zentrum der Zir-kumpolarsterne/auf Gottes kubische Ge-stalt (die geometrischen Zirkumpolar-sterne sind eine „symbolische Gestalt“,die für Platon steht), - und Aristoteles,der mit seiner vorgestreckten Rechteneinen Baukran formt, steht unter demgeometrischen Baukran, der den voll-kommenen Kubus/den Menschen/hierAristoteles, erhebt (der geometrischeBaukran ist eine „symbolische Gestalt“,die für Aristoteles steht). Und beide Ku-ben (Gottes Kubus, an dem Platon An-teil hat und Aristoteles´ Kubus/er selbst,der von ihm erarbeitet und vervoll-kommnet wurde) fallen in einem Punkt(in M) zusammen [Ritters III, 170 ff, Abb.113], so dass hier Platon und Aristotelesgleichermaßen Gott nahe sind.

    Während also der Papst Julius II. diedarzustellenden Stoffe (hier für die„Schule von Athen“) gewählt hatte [Ull-mann, S. 128], fügte doch der ausführendeKünstler verborgen seine eigenen Anlie-gen hinzu: die Gleichrangigkeit desKainssohnes Aristoteles. Da dieserKainssohn nun Zugang zur Weisheit(durch seine Nähe zu Gott, durch akti-ve Intuition) erhielt, war er dem Abels-kind Platon durch seinen kainsmäßigenVorsprung an Wissen (durch reaktive,passive Erkenntnis) überlegen. DasKainskind Raphael malte also dem

    Abelskind Julius II. seine (Raphaels)Überlegenheit verborgen an die Wandund vermied es dabei, jenem (Julius II.)den wirkenden Gral (und daraus resultie-rend die „ewige Lebenskraft“) zu geben.Dieser Gral fehlt in der Geometrie der„Schule von Athen“.

    Es ist also damit zu rechnen, dass derausführende Künstler (und das Kains-kind) einem (von einem Abelskind) er-haltenen Auftrag seine eigene Darstel-lung vom Wettkampf beider verborgenhinzufügt. Also muss auch der Interpretversuchen, die Darstellung aus den Au-gen Kains (des Vertreters der Königli-chen Kunst) zu betrachten und nicht al-lein aus dem Blickwinkel Abels (des Auf-traggebers, des Priesters). In diesemhier vorliegenden dreistufigen Aufbau„Auftraggeber/Abelskind - Künstler/Kainskind - Interpret/abelsmäßig“ istalso - von Stufe zu Stufe - mit Abwei-chungen zu rechnen (was die Abelskin-der wohl noch nicht wissen).

    Es gibt noch mehr Beispiele für eineverborgene Abweichung vom ursprüng-lichen Auftrag bzw. vom überliefertenSinn von Mythen und Sagen, die sich einKünstler zum Thema wählen mochte: Sohat Raphael im „Traum des Ritters Scipio“

    dessen Entscheidung zwischen der Ge-stalt der Tugend und der Gestalt der Le-bensfreude in der Verborgenen Geome-trie nicht zugunsten der Tugend entschie-den, sondern zugunster der transfor-mierten (spirituellen) Lebensfreude [Rit-ters III, S.69]. Ebenso hat er in der „Kreuz-tragung“ (Spasimo di Sicilia) im geomet-rischen Hintergrund abweichend vomVordergrund die Himmelfahrt darge-stellt [Ritters III, S. 215, 227, 235].

    Dann gibt es auch Hinweise auf dieTendenz der Interpreten („Kunsthistori-ker“), die Interpretation als ein von Gottbegnadetes und in absoluten Geisteshö-hen dahinschwebendes Abelskind vor-nehmen zu können (also die Sicht Kainszu verfehlen):

    „Kunsthistoriker ... schreiben, als wür-den sie mit Rembrandt Geheimnisse tei-len, hoch erhaben über den geistig un-terentwickelten Sterblichen aus der Zeitdes Meisters und aller nachfolgendenGenerationen. Die Kunsthistoriker, diedas Bild des tiefsinnigen Rembrandtaufrecht erhalten und dessen Verständ-nis demonstrieren [Anm. durch poeti-sche Worte, abelsmäßig], erheben denAnspruch, seinen höheren geistigen Sta-tus zu teilen. Auch Forscher, die überandere Maler arbeiten, konnten dieserfaustischen Versuchung nicht widerste-hen. In gewisser Hinsicht trifft dieseBeobachtung auf die gesamte Kunstwis-senschaft zu.“ [Schwartz, S. 364]Und die Tendenz, poetisch über Bil-

    der zu reden, mag aus der Zeit der Her-aushebung der Maler aus dem Handwer-kerstand herrühren (italienische Renais-sance), als man anfing, ihre Werke mit

    Abb. 6: Kubus, Gral und solare Robe.

    Die Bundeslade

    Abb. 7: Solare Robe und Lichtschacht.

  • 24 EFODON-SYNESIS Nr. 6/2003

    der Dichtkunst zu vergleichen („wie dieMalerei, so die Dichtung“, „ut pictura po-esis“ [Burke, S. 164]).

    Die herrschende, anerkannte Kunst-geschichte (die nicht von der Königli-chen Kunst redet, also eher eine Bild-Geschichte ist) interpretiert das gegen-ständlich Dargestellte, also hier die Lade,ohne Beachtung einer Verborgenen Ge-ometrie, auf der Seite der Abelssöhnestehend, und ist in der Gefahr, die Aus-sage des Künstlers zu verfehlen. Die In-terpretation von der Seite der Kainssöh-ne her gesehen eröffnet bisher verborge-ne Einsichten - und den Einstieg in eineKunst-Geschichte.

    Zum AlltäglichenVielleicht kennt man die Menschen,

    die über alles reden, freundlich hochge-stochen und erhaben, tendenziell mora-lisch wertvoll, die aber zugleich immerjemanden suchen, der für sie die Arbeitmacht, - und andererseits jene redlichAckernden, die so viel arbeiten unddoch immer niedrig angesehen werden,um den Wert ihrer Arbeit zu mindern,

    dass man diese ihnen leichter entreißenkönne. Die Hochwertigen geben sichMühe, andere zu beurteilen, denn derUrteilende steht über dem Beurteilten(und das für ein paar Worte, die nichtskosten), wogegen der Beurteilte gelegent-lich nicht merkt, welche Sauerei daläuft, und er sich bemüht, durch Mehr-arbeit sein frisch heruntergestuftes An-sehen aufzubessern. Schlau wird letzterererst, wenn er auf jedes Urteil pfeift unddennoch seine Sache arbeitet, für sichund nicht für billige Worte. Die Unter-ordnung der Kainskinder ist biblischenAlters, und sie ist doch änderbar. Rapha-el und andere Künstler haben es gezeigt.Mögen es eine neue Kunstwissenschaftund Kunstgeschichte auch zeigen.

    BildnachweisAbb. 1, 2, 3, 4: Privatsammlung, Repros © V. Rit-

    ters; Abb. 5, 6, 7, 8: von © V. Ritters.

    LiteraturAbhinyano: „Die Mysterieneinweihung der ägypti-

    schen Pyramiden.“ Heidelberg-Leimen 1994.Brockhaus: „Das große Bibellexikon.“ Wuppertal

    1987.

    Burke, Peter: „Die Renaissance in Italien.“ Berlin1984.

    Falck-Ytter, Harald: „Raphaels Christologie. ´Dispu-ta´ und ´Schule von Athen´.“ Stuttgart 1983.

    Hieber I: „Der Johannis-Lehrlingsgrad.“ Uetersen1979.

    Hieber II: „Der Johannis-Gesellengrad.“ Uetersen1979.

    Hieber III: „Der Johannis-Meistergrad.“ Bad Harz-burg 1964 (5. Aufl.).

    Katalog: „Hamburger Kunsthalle.“ München 1985.Kelber, Wilhelm: „Raphael von Urbino. Leben und

    Werk.“ Stuttgart 1993 (2. Aufl.).Oberhuber, Konrad: „Raffael. Das malerische

    Werk...“ München 1999 (2. Aufl.).Ritters I: „Beschreibende Einführung in die Verbor-

    gene Geometrie.“ In: „Philipp Otto Runge -Einweihungsbilder.“ Kaufbeuren 2002.

    Ritters II: „Giorgione - Die drei Philosophen. DieStruktur der Verborgenen Geometrie, Freimau-rerei - Kunstwissenschaft - Physik.“ Kaufbeuren2001.

    Ritters III: „Raphael - Einweihungsbilder.“ Kauf-beuren 2002.

    Schwartz, Gary: „Rembrandt. Sämtliche Gemälde inFarbe.“ Stuttgart 1987.

    Steiner, Rudolf: „Die Tempellegende und die Gol-dene Legende.“ GA 93, Dornach 1982 (2.Aufl.).

    Yogananda, Paramahansa: „Das Wissen der Meister.“München 1994.

    ZK: Zirkelkorrespondenz (Zeitschrift). Uetersen1990. �

    Abb. 8: nach: Raphael: „Die Schule von Athen“, mit: Zirkumpolarsterne (das Feuerrad) und der Baukran (mit entsprechenden Abmessungen), beide mit glei-chem Zentrum M [s.Ritters III, S. 171].

    Die Bundeslade