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Arehiv Ohr- usw. Heilk. u. Z. Hals- usw. IIeilk, Bd. 160, S. 533--541 (1952). Aus der Universiti~tsklinik ffir Hals-, Nasen- und Ohrenkranke Heidelberg (Direktor: Prof. Dr. A. S~IFF~RT). Ein Beitrag zum Problem des branehiogenen Careinoms. (Carcinom einer branchiogenen Cyste~.) Von K. UNGERECHT. (Eingegangen am 2. Januar 1952.') Das branchiogene Carcinom ist eine sehr umstrittene Erkrankung. 1882 erschien die oft zitierte Arbeit VOLKMANNS, in welcher er die Befunde yon 3 Patienten mit careinomatSsen Tumoren im oberen Halsbereich schilderte. Da er keine weiteren Krankheitsherde ausfindig machte, die als Prim~rherde h~tten in Frage kommen kSnnen, so brachte er diese Ge- schwfilste genetisch mit epithelialen Gewebsresten des Kiemengangs- apparates in Zusammenhang und bezeichnete sie als branchiale bzw. branchiogene Carcinome. LANGENBECK fielen fibrigens sehon 21 Jahre vorher ~hntich tokalisierte Halstumoren auf, deren Klassifizierung ihm deswegen schwierig erschien, weft jene nach ihrem Gewebscharakter weder yon den Lymphknoten noch vom Bindegewebe sich herleiten lieBen. Nachdem VOLKMAiNN den Begriff des branchiogenen Carcinoms in die Literatur eingeffihrt hatte, folgten bald weitere Publikationen, in welchen zahlreiehe Fi~lle mit dieser Diagnose.mitgeteilt wurden. In dem im Laufe der Zeit immer umfangreicher werdenden einschl~gigen Schrifttum sind his heute Hunderte yon F~llen zusammengetragen worden. Die Quint- essenz dieser Arbeiten ist meistens die Stellungnahme zu der Frage, ob es das branchiogene Carcinom fiberhaupt gebe oder nicht. Die Einstellung wurde umso kritischer, je n~her der Gegenwart man die Arbeit schrieb. So stellten erst jfingst HAVES, MORFIT und EttRLICH, um eine der zu- letzt erschienenen Arbeiten fiber dieses Gebiet herauszugreifen, fiber 250 solcher Tumoren zusammen, wobei nur das angels~chsische Schrift- turn (34 Autoren) berficksichtigt wurde, und unterzogen dieses Kranken- gut unter Beiffigung einer grSBeren Zahl eigener Fiille yon carcino- mat6sen Halstumoren einer kritischen Betrachtung. Um einer solit~ren epithelialen Halsgeschwulst die Diagnose eines branchiogenen Carcinoms zubilligen zu kSnnen, mfissen nach den genannten Autoren folgende For- derungen erffillt sein : 1. Der Tumor muI~ auf einer Linie am Vorderrand * Herrn :Prof. MARx zum 75. Gebur~stag. Arch. Ohr- usw. Heilk. u. Z. Itals- usw. Heilk., Bd. t60. 36

Ein Beitrag zum Problem des branchiogenen Carcinoms

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Arehiv Ohr- usw. Heilk. u. Z. Hals- usw. IIeilk, Bd. 160, S. 533--541 (1952).

Aus der Universiti~tsklinik ffir Hals-, Nasen- und Ohrenkranke Heidelberg (Direktor: Prof. Dr. A. S~IFF~RT).

Ein Beitrag zum Problem des branehiogenen Careinoms. (Carcinom einer branchiogenen Cyste~.)

Von K. UNGERECHT.

(Eingegangen am 2. Januar 1952.')

Das branchiogene Carcinom ist eine sehr umstri t tene Erkrankung. 1882 erschien die oft zitierte Arbeit V O L K M A N N S , in welcher er die Befunde yon 3 Patienten mit careinomatSsen Tumoren im oberen Halsbereich schilderte. Da er keine weiteren Krankheitsherde ausfindig machte, die als Prim~rherde h~tten in Frage kommen kSnnen, so brachte er diese Ge- schwfilste genetisch mit epithelialen Gewebsresten des Kiemengangs- apparates in Zusammenhang und bezeichnete sie als branchiale bzw. branchiogene Carcinome. LANGENBECK fielen fibrigens sehon 21 Jahre vorher ~hntich tokalisierte Halstumoren auf, deren Klassifizierung ihm deswegen schwierig erschien, weft jene nach ihrem Gewebscharakter weder yon den Lymphknoten noch vom Bindegewebe sich herleiten lieBen.

Nachdem VOLKMAiNN den Begriff des branchiogenen Carcinoms in die Literatur eingeffihrt hatte, folgten bald weitere Publikationen, in welchen zahlreiehe Fi~lle mit dieser Diagnose.mitgeteilt wurden. In dem im Laufe der Zeit immer umfangreicher werdenden einschl~gigen Schrifttum sind his heute Hunderte yon F~llen zusammengetragen worden. Die Quint- essenz dieser Arbeiten ist meistens die Stellungnahme zu der Frage, ob es das branchiogene Carcinom fiberhaupt gebe oder nicht. Die Einstellung wurde umso kritischer, je n~her der Gegenwart man die Arbeit schrieb.

So stellten erst jfingst HAVES, MORFIT und EttRLICH, um eine der zu- letzt erschienenen Arbeiten fiber dieses Gebiet herauszugreifen, fiber 250 solcher Tumoren zusammen, wobei nur das angels~chsische Schrift-

t u r n (34 Autoren) berficksichtigt wurde, und unterzogen dieses Kranken- gut unter Beiffigung einer grSBeren Zahl eigener Fiille yon carcino- mat6sen Halstumoren einer kritischen Betrachtung. Um einer solit~ren epithelialen Halsgeschwulst die Diagnose eines branchiogenen Carcinoms zubilligen zu kSnnen, mfissen nach den genannten Autoren folgende For- derungen erffillt sein : 1. Der Tumor muI~ auf einer Linie am Vorderrand

* Herrn :Prof. MARx zum 75. Gebur~stag. Arch. Ohr- usw. Heilk. u. Z. Itals- usw. Heilk., Bd. t60. 36

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des M. sternocleidomastoideus ]iegen, die den Tragus mi t dem Sterno- claviculargelenk verbindet . 2. ])as Tumorgewebe muB sich nach seinem Gewebscharakter vom Kiemengangsappara t herlei ten lassen. 3. Der Pa t i en t muB 5 Jahre g@lebt haben, ohne dab sich an irgend einer Stelle ein Primi~rtumor bemerkbar gemacht hat . 4. Beweisend w~re der histo- ]ogische Befund eines Carcinoms, das sich in der epi thel ialen W a n d einer branchiogenen Cyste entwickel t hat .

Bei Anlegung dieses Mal~stabes k o n n t e n sie im Schr i f t tum keinen Fa l l finden, der diesen Anforderungen gerecht geworden w~re. Sie untersuch- ten auch systemat isch ihr eigenes Ot)erationsmaterial - - branchiogene t ta l scys ten - - ob sich cytologisch n ich t an i rgend einer Stelle der W a n - dung die Kennze ichen eines Carcinoms feststeilen lieBen. Ihre Bemfihun- gen waren erfolglos. Inwiewei t sie berechtigt gewesen w~ren, falls ~hnen dies gelungen w~re, yon einem branchiogenen Carcinom zu sprechen, soll wel- ter u n t e n erSrtert werden.

AnschlieBend sei ein Fal l geschildert, auf den die oben zi t ier ten Kri- ter ien im wesentl ichen zutreffen.

Der heute 40j~hrige Patient bemerkte im November 1947 unterhalb des linken Kieferwinkels eine etwas schmerzende Anschwellung. Letztere wurde nach und nach grSl~er. ]3evor sieh der Mann im August 1948 in Behandlung der Klinik begab, soll er einige Tage lang Fieber gehabt haben.

Es ist noch zu erw~hnen, dal] er im Alter yon 20 Monaten eine Treppe herab- gestfirzt sei und deswegen auf dcr linken Kopfseite hatte operiert werden mfissen. Als Kleinkind verbrannte er sieh am Kinn durch Sturz auf einen Ofen.

1935 erkrankte der Patient an einer Lungentuberkulose. Der Prozel~ konsoli- dierte sieh naeh einer rechtsseitigen Phrenicusexairese im Verlauf einer tteilst~tten- kur. St~ndige Kontrollen best~tigten die Inaktivit~t des Lungenprozesses. 1947 hatte der Mann aul3erdem Ischias und im September desselben Jahres eine Appendicitis.

Bei der Aufnahme am 4.8. 1948 best~nd folgender Befund: Entlang des linken horizontalen Unterkieferastes verl~uft eine 6 cm lange, reizlose Narbe; eine zweite, etwa gleichgrol]e Narbe befindet sich an der Wange vor der ]inken Ohrmuschel. Unterhalb des linken Kieferwinke]s sieht man vor dem Kopfniekerrand eine An- schwe]lung, unter der man in der Tiefe eine etwa walnul~grol~e Gcsehwulst taster. Die darfiber sieh befindliehe Haut ist unveri~ndert und verschieblieh. Die Geschwulst ist fixiert and druckempfindlich.

Die Sehleimhaut am Dach des Epipharynx ist etwas unregelm~l~ig, hSckrig aus- sehend. Um ganz sicher eine ~Neubildung auszuschliel~en, wurde dort eine Probe- excision gemaeht. ])as histologische Ergebnis war negativ.

Auch der iibrige Fachbefund und die Ergebnisse der Allgemeinuntersuchung waren unverdi~chtig.

Operation am 6.8. 1948 in Lokalan~tsthesie: Nach Schnitt am Vorderrand des M. sternocleidomastoideus stSl~t man auf der linken Seite naeh stumpfem Vorgehen zwisehen V. faeialis und V. jugularis interna auf eine vergrSl]erte Drfise, welche einem cystenartigen Gebilde aufsitzt. Letzteres breitet sich zwisctien der A. carotis interna und externa unmittelbar oberhalb der Teilungsstelle aus und drangt den N. vagus zur Seite. Die obere Partie ist derber als die untere. Die Geschwulst l~tBt sich unten gut yon den Gef~l~en abl5sen. Ein Fortsatz umw~chst oben, sich ver- jiingend, in 2--3 cm Ausdehnung vSllig den Iq. hypoglossus. Es gelingt nicht, den

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Nerven aus den weiehen Gewebsmassen herauszulSsen. In dem makroskopisch als Gesehwulst imponierenden Gewebe splittern sich ni~mlich die Nervenfasern auf und verlieren sieh bald in dem Gewebe. Der Nerv mud daher in der Ausdehnung dieser pathologisehen Vergnderungen reseziert werden. Si~mtliche erreichbaren Driisen werden ausgeri~umt. Das eystenartige Gebilde war mit einer geringeu Fliissigkeits- menge gefiillt.

Die histologischen Untersuchungsergebnisse der einzelnen Gewebspartien lauteten:

1. Drtise aus dem Winkel zwischen der linken V. facialis und V. jugul~ris interna: ,,nur zellig-hyperplastisches Lymphknotengewebe ohne weitere ]~esonder- heiten. Keine Geschwulst."

2. Cystenartiges Gebflde aus derselben Gegend: ,,Aufbau der Cystenwand aus Bindegewebe mit entzfindlich-zelliger Infiltration der i~uBeren Lagen. Auf der inneren Oberflgche finder sich nur teilweise noch geschichtetes Plattenepithel; teilweise ist hier Granulationsgewebe vorhanden, dasselbe ist unspezifisch. An einer Stelle der Cystenwand ist auch Geschwulstgewebe vorhanden; dasselbe besteht aus dich~ bei- einander gelagerten, verschieden grol~en platten Zellen mit rundlichen, auch spindel- fSrmigen Kernen. Der Chroma~ingebalt der Kerne wechselt. Es handelt sich bier um ein solid gebautes Carcinom - - branchiogenes Carcinom."

3. Gewebe, welches sich um den linken N. hypoglossus ausbreitet: ,,~qeben Lymphknotengewebe, das zellig-hyperplastisch ist, Plattenepithelkrebs yon dem- selben Typ wie unter Nr. 2.

Gez. Prof. Dr. SCHMI~CKE, Path. Institut, Heidelberg, Einlauf Nr. 3715/48."

Nach der Opera t ion h a t t e der P a t i e n t auger einer Hypog lossus l~hmung noch eine Schluck- und S t immst5 rung . Be im Spiegeln sah m a n ein 0 d e m der Sch le imhau t des ] inken Sinus p i r i formis und eine Ver l angsamung der gleichsei t igen S t imml ippenbewegungen . I n Ver lauf der be iden folgenden Tage s te l l te sich dann eine typ i sche Recur rens l~hmung ein. Die Schluck- beschwerden bes t anden noch ]~ngere Zeit.

Die t t a l s w u n d e verhei l te p. p. Anschliel~end erhie]t der P a t i e n t 18 RSn tgenbes t r ah lungen mi t einer Gesamtdos is yon 5600 r.

Der P a t i e n t s teh t se i ther in s t~ndiger Kon t ro l l e der Kl in ik . Die an- fangs vo rhandene Aphonie besser te sich nach und naeh, da die r ech t e S t imml ippe die Mit te l l in ie f iberschre i tend einen St immlippenschlul~ be- werks te l l ig te . Bei der ]e tz ten Un te r suchung im N o v e m b e r 1951 be fand sich der Mann in e inem guten Al lgemeinzus tand . Die Opera t ionsnarbe am Hals war weich. Es be s t and aueh sons t ke in A n h a l t ffir ein 6rt l iches Rezi- div. Wi ih rend der 4 Jah re , die seJt dem ers ten Auf t r e t en der Beschwerden verflossen sind, konn te t ro tz zahl re icher Naehun te r suehungen ke in an- derer T u m o r fes tges te l l t werden.

Es h a t sieh bei d iesem Fa l l zweifelsohne in der Tiefe des oberen Hals- bezirks eine einzige Geschwuls t gebi ldet . Man d a r f annehmen, dag sieh ein eventue l l doch vorhandener , nu r sehr kle iner oder versteek~ l iegender P r i m ~ r t u m o r im Laufe der 3 J a h r e wghrenden Beobach tungsze i t doch mi t en t sprechenden S y m p t o m e n b e m e r k b a r gemach t h~t te z. B. durch

o wei tere Metas tasen , Schmerzen oder Funk t ionss t6 rungen .

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Schon w/~hrend der Operation fiel die Zweiteilung der Geschwulst in einen festeren, den N. hypoglossus teilweise zerst6renden und in einen cystischen Anteil auf. Mikroskopisch erwies sich ersterer als ein nicht verhornendes Plattenepithelcarcinom, letzterer als eine Hohlgeschwulst, deren Wandung sich aus einer bindegewebigen, entzfindlich infiltrierten Schich~ und einem die Innenfl~che des Gebildes auskleidenden Platten- epithel zusammensetzt. Das Epithel fehlt teilwei'se oder ist yon einem un- sPezifischen Granulationsgewebe ersetzt. Auf den flfissigen Inhalt der Cyste sei nicht n/~her eingegangen, da infolge der geringen iV[enge schwer zu sagen ist, ob es sich nicht um eingedrungene AnEsthesiefi/issigkeit ge- handelt hat.

Wenn man bei der Cyste auch die h/~ufig anzutreffende lymphoeyt/~re �9 Wandschicht vermfl]t, so muB man die Hohlgeschwulst doch zu den

branchiogenen Fehlbildungen z/~hlen. Die oben geschilderte Art yon Kiemengangscysten wurde in der Literatur als eine besondere Gruppe den Cysten gegeniibergestellt, welehe in ihrer Wand die typischen lympho- cyt/~ren Elemente aufweisen (BoRsT, RIBBERT). Fiir diese Genese sprieht auch der Sitz; denn die kompletten Kiemengangsfisteln nehmen yon dort ihren Verlauf zur Tonsillarbueht hin, entspreehend dem Verlauf des zurfiekgebildeten 2. Kiemenganges. An einer Stelle konnte der Pathologe das Careinom seharf gegeniiber dem Plattenepithel der Cysteninnen- auskieidung abgrenzen.

Hat man nun bei diesem Fall das ~'or sich, was VOLKMA~ ursprfing- lieh unter einem branehiogenen Careinom verstand ? Er definierte diese Ge- sehwiilste als Gebilde, die im oberen Italsdreieek t ief zwisehen der Mus- kulatur gelegen seien, weder mit der Haut, noch mit der Sehleimhaut des Pharynx im Zusammenhang st/~nden, sicher nieht yon den erkrankten Lymphdrfisen ausgingen und bei Abwesenheit jedweder anderweitiger Carcinombildung als prim/~re aufgefal]t werden mfiBten. Als Ausgangs- punkt werden epitheliale Zellkeime angenommen, die bei der Rfiekbil- dung der Kiemenspalten in der Tiefe des Gewebes liegen geblieben seien. VOLK~A~ stet]te genetiseh diese epithelialen Zellreste mit den branchio- genen Cysten auf eine Stufe,

Beim Studium der Literatur kann man nun feststellen, dab diese Defi- nition VOLK~A~NS sp/~ter yon den Autoren weiter gefal]t wurde. Man sprach yon branehiogenen Carcinomen, die auf dem Boden einer Cyste entstanden seien (LI~: , :BRAND u. a.) . Zwischen beiden Auffassungen be- steht nun ein grunds~tzlicher Unterschied, wor~uf HAMrEgL hinweist. Das Vorkommen der branchiogenen Cysten ist eine Tatsache, w/~hrend es bis heute noch nicht gelungen ist, die genannten Epithelreste bzw. ein daraus hervorgegangenes Carcinom sicher nachzuweisen. Es handelt sich bei der Annahme der letzteren um eine Hypothese VOLKI~IALIqNS. Damit schien seinen 3 F/~llen bez/iglich der Genese eine Deutung gegeben, fiber die .

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man als mSglich diskutieren konnte. Nach Bekanntwerden der Arbeit VOLKMAN~S pflegte man nieht selten sotit~re epitheliale Halstumoren be- s t immter Lokalisationen, bei denen ein Primiir tumor nicht naehgewiesen werden konnte, einfach als branchiogene Careinome zu diagnostizieren.

In der Li teratur liegt eine Reihe yon Arbeiten vor, die sich eingehend mlt diesen Gesehwiilsten befassen BKuN (1885), GUSSE~BAUEa (1892), erste Arbeiten yon VEAU (1900, 1907), JOANNOVlCZ (1902), LORENZ (1913), R~NDT (1924), SCH~EIBER (1929), LINK (1934), OLIVlE~ (1935), HAMrEI~L (1939), HAYES, MO~rlT und EHI~LICH (1950) U. a. Durch diese Publikationen ziehen sieh wie ein roter Faden die Bemiihungen, aus dem Sitz der Gesehwulst, aus dem pathologiseh:anatomisehen Befund sowie aus dem Fehlen eines Prim/irtumors die Bereehtigung zur Annahme eines branchiogenen Carcinoms herzuleiten.

Es liegt in tier Natur der Sache, dab die Diagnose per exelusionem ge- stellt werden mul~. Hierbei sind dem Kliniker engere Grenzen als dem Pathologen gezogen. Oft bringt erst die Obduktion die letzte Entschei- dung. Aber selbst yon seiten der Pathologen wird zugegeben, da$ aueh bei Anwendung spezieller Sektionstechniken (GRXFr) ein negatives Sek- tionsergebnis immer noeh die Frage often l~$t, ob nicht doch noch irgend- wo ein Prim/ir tumor vorhanden sei und tier earcinomat5se Hals tumor lediglich eine Metastase sei.

Auf der anderen Seite wurde das diagnostische Blickfeld des Klinikers in den letzten 70 Jahren dutch die Vervollkommnung alter und Sehaffung sowie systematische Anwendung neuer Untersuchungsmethoden derartig erweitert, da$ man immer strengere Mal~st~be an die jeweils vorher mit- geteilten F~ille anlegte. Es ist daher nicht verwunderlich, wenn man heute die F~ille VOLXMAN~S und auch der nachfolgenden Autoren als unge- niigend untersucht bzw. als falsch gedeutet bezeiehnen mul~.

I m deutschen Schrift tum hat sieh zuletzt vor allem HAMrEI~L kritiseh mit dem Problem der branehiogenen Tumoren auseinandergesetzt. Er unterzog alle bis 1939 ersehienenen und seine eigenen, in Frage kommen- den Falle einer Betraehtung und k o m m t - - ahnlieh wie HAYES, MO~FIT und EHaLICH - - ZU dem Resultat , dab das branehiogene Carcinom im Sinne VOLXMANNS nicht existiert. Die Tumoren seien hypothetischer Natur und bei fast allen derartigen F/illen handle es sieh sehr wahrsehein- lich um Halsmetastasen nieht erkannter Prim~rtumoren.

Nach Durchsicht des Schrifttums mul~ man sich der Ansieht HAM- r ~ . ~ s ansehheBen. Es w~re an der Zeit, wenn die Kliniker aus den vor- liegenden Untersuehungsergebnissen, vornehmlieh der Pathologen, die Konsequenzen z~gen und das Krankheitsbild eines branchiogenen Carei- noms im Sinne VOLXMXN~CS solange fallen lieBen, bis die anatomisehen Grundlagen dieser Gesehwulstart siehergestellt sind. Anf die Sehminke- tumoren soll in diesem Rahmen nieht eingegangen werden.

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Gleichzeitig mul~ man in diesem Zusammeiihang auf die Geschwiilste hiinweisen, die LORENZ als Carcinome einer branchiogenen Cyste in einer eigenen Gruppe zusammenfal~te. Diese Tumoren wurden - - wie bereits erw~hiit - - promiscue als branchiogene Carcinome bezeichnet. HAMPERL macht darauf aufmerksam, dab man bei den Geschwiilsten treftender yon einem Carcinom einer branchiogeiien Cyste spr~che. Branchiogen w~re nur die Cyste, das Carciiiom hingegen eiitst~Lnde aus einem vSllig difteren- zierten Gewebe uiid nnterscheide sich daher in nichts yon den Carci- IIomen aiiderer Organe.

Welches sind nun die Kennzeichen, die eine Diagnose dieser Tumoren erm6glichen? H~PElCL rechne~ hierzu: Die anamnestischen Angaben, dab schon seit der Kindheit auf der sparer carcinomatSs erkrankten Hals- seite Ver~nderungen bestanden h~tten, der ~achweis des Muttergewebes, aus dem sich der Tumor bildete und die Beschaffeiiheit des Cysteiiinhaltes. Auch bei diesen Geschwtilsten kommt HA~P~I~I~ zu dem Ergebnis, da~ nur wenige F~Llle der Literatur eiiier strengen Kri t ik standhalten. Ats unge- kl~rt h~tten die Befunde voii JOAN~OVlOZ und SPEES~, als mSglich in Frage kommend a]lein der Fall 10 yon ~:~IGHARD zu gelten. J o A ~ o w c z schildert ausfiihrlich den histologischen Befund eiiier carcinomatSsen Einzelgeschwulst am Hals, bei der die Frage often bleibcn muB, ob es sich um ein Cystencarcinom oder um eiiie Metastase gehandelt hat. SP~ESES Tall zeichnet sich dadurch aus, dal~ der Pat ient nach der operativen Ent- fernung der Geschwulst li~ngere Zeit rezidivfrei blieb. Beim Fall yon RICHARD bestand ein Bri ickensymptom im Sinne des ersten Punktes yon HAMPE~LS Kriterien.

I m grol~en ganzen enthalten die Forderungen yon HAYEs, MO~FIT un4 EH~LIClZ sowie HAMPERL alles Wesentliche, was man bei der Differential- diagnose zu beachteii hat.

Da das branchiogene Carcinom im Sinne VOLKMA~NS als nicht existie- rend angesehen wird, so gelten die folgenden Ausfiihrungen nut fiir das Carcinom, das auf dem Boden einer branchiogenen Cyste entstanden ist. Die yon den oben zit]erten Autoren aufgestellten Forderungen bedfirfen aber noch einiger Erg~tnzungen.

Die Vorgeschichte gibt nicht immer Anhaltspunkte, aus denen ~ man ersehen kann, ob die lokalen Ver~nderungen am Halse schon seit der Kindheit bestanden haben, und man somit Schliisse auf die branchiogene Natur derselben ziehen kSnnte. Obwohl die branchiogene n Fehlbildungen angeboren sind, machen sie nicht selten doch erst wi~hrend oder nach der Wachstumsperiode die ersten klinischen Erscheinungen. Die Dauer der Anamnese w~hrte bei Pat ienten mit branehiogenen Cysten bei dem Kranl~engut der Klinik im Durchschiiitt weniger als ein Jahr. Dieses Fehlen einer 1/~ngeren Vorgeschichte tr/s in erster Linie dazu bei, dab bei den Kiemengangscysten, im Gegensatz zu den Fisteln, viel h~ufiger

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eine Fehldiagnose gestellt wird. Auch bei dem oben gesehilderten Fall fehlen Brfickensymptome, die bis in die Kindheit reichen. Die ersten ein- deutigen Krankheitszeiehen wurden erst ein Jahr ,corder Operation be- merkt. Die Unf~lle in der frfihen Kindheit diirften sich in der Weise ab- gespielt haben, wie sie vom Patienten gesehildert wurden, denn die Narben spreehen nicht ffir eine schon damals durchgefiihrte operati,ce Behandlung der branchiogenen Fehlbildung.

Die yon HAYES, MOI~FIT und EHRLIClt angegebenen Lokalisations- m6glichkeiten treffen in der Mehrzahl der F/s zu. Abet es gibt sicher aueh branehiogene Fehlbildungen, die auBerhalb der erw/~hnten Linie ihren Sitz haben. Es sei ein derartiger Fall angeffihrt, der in dieser Klinik beobaehtet wurde.

14 Tage lang hatte der 29j/~hrige Patient eine Schwellung in der Gegend der linken Glandula submandibularis. AuBer einem Spannungsgeftihl hatte der Mann keine weiteren Klagen. In Lokalan~sthesie wurde dann aus der linken Speichel- driisenloge eine etwa pflaumengroBe Geschwulst entfernt. Histologisch land man folgenden Befund: ,,Mikroskopiseh ein aus Bindegewebe, ]~ettgewebe und quer- gestreifter Muskulatur bestehendes, yon weehse]nd groBen eystisehen t{ohlr~umen oder G/~ngen durehsetztes Gewebsstiiek. Die gangartigen Lumina und die cystischen Bildungen sind nach dem Lumen zu zum Teil epithelfrei, zum Tell yon einem mehr- schichtigen, nichtverhornenden Plattenepithel ansgeldeidet. Dicht darunter liegt eine weehselnd breite Zone lymphatischen Gewebes mit klassischen Lymphfollikeln. Das Epithe] ist yon einem unspezifischen entzfindlichen Granulationsgewebe durch- setzt, das auch das subepitheliale lymphatische Gewebe durchsetzt und im ttbrigen in allen Gewebsteilchen bis in das Binde-Fett- und Muskelgewebe hineinreieht. Kein Anhalt fiir Tumor oder f~ir eine spezifisehe Infektion. Naeh dem histologisehen Befund handelt es sich um entziindlich ver/inderte Kiemengangscysten.

Gez. Prof. t{ANDERATH, Path. Institut, Heidelberg, Einlauf Nr. 3966/51."

Bei erheblieheren sekund/s VerKnderungen wgre man wohl kaum auf den Gedanken gekommen, dab dem Krankheitsbild eine branehiogene Fehlbildung zugrunde liegt.

Es ist nun besonders zu betonen, daf~ die histologisehe Diagnose eines Cysteneareinoms zeitlieh begrenzt ist. Der Nachweis des urspriingliehen Gewebes gelingt nut so lange, als das Tumorgewebe die Cysten noch nieht vSllig zerstSrt und ersetzt hat. Von einem gewissen Stadium an, kann nichts mehr fiber die Herkunft des Carcinomgewebes ansgesagt werden, d~ letzteres keine ihm eigenen morphologischen Merkmale aufweist. Es gleieht dann vSllig den Tumoren anderer Organe. Der hier erSrterte Fall zeichnete sich dadurch aus, dab die beiden Gesehwulstkomponenten sich noch scharf gegeneinander abgrenzen lieBen. Es ist nieht ausgeschlossen, dab die Cystenearcinome doeh hKufiger sind, als man dies auf Grund der Feststellungen I-IAMPEaLs annehmen m fiBre. Wenn man ngmlich bei die- sere Fall noch 1/s mit der Operation gewartet hgtte, dann w~re sehr wahrscheinlich nach einer gewissen Zeit nur noeh der Plattenepithelkrebs nachweisbar gewesen, Man wird daher, die "con ~-~AMPERL als ungekl~rt~

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F~ille bezeiehneten Befunde doch zu den Cystencarcinomen rechnen diirfen, besonders dann, wenn die betreffenden Patienten nach der Ent- fernung der tIalsgeschwulst jahrelang rezidivfrei geblieben sind.

Die groBe Zahl der zu Unrecht als branehiogenes Carcinom ange- sehenen F~lle riihrt sehr wahrscheinlich daher, da~ sich die Operateure in der Natur der yon ihnen entfernten Geschwfilste mit priiformierten ttohlr~iumen get~uscht haben, indem sie letztere als Cyste ansahen. Da sich bei der histologisehen Untersuehung noeh herausstellte, dab die Ge- bride innen yon einem Plattenepithel ausgekleidet waren, so schien an der Diagnose kein Zweifel mehr zu bestehen. HAMPERL weist nun darauf hin, dab die Hohlriiume wohl yon einem derartigen Epithel ausgekleidet wiir- den, abet yon dieser ZelIsehicht gingen nach allen Seiten Zellstr~nge ab, die ausgesprochen carcinomatSs seien. Der Autor ist daher der Meinung, dab auch das Plattenepithel gleichfalls zu dem Carcinom gehSre.

Es ist eine Erfahrungstatsache, dab man bei der Ausr~umung yon Carcinommetastasen auf cystisch erweichte Tumormassen stofien kann, die durchaus den Eindruck einer Cyste erwecken. Eine festere tIiille ent: h~lt einen mehr oder weniger flfissigen Inhalt. WfiBte man nicht, dab irgendwo ein histologisch verifizierter Krebs als Prim~irtumor sitzt, so kSnnte man berechtigte Zweifel hegen, ob man wirklieh ein Carcinom vor sich habe. Ffir den Tumorcharakter des Gebildes sprechen die Unter- teilung des Hohlraumes in einzelne Kammern durch die Geschwulst durch- ziehende Zellstr~inge und der brScklige Inhalt. Kiemengangscysten weisen derartige Kammerungen nicht auf, ihr Inhalt ist serSs, bzw. schleimig (HAMP~.aL).

Ein Zeichen muB noch erw~hnt werden, das auf das Vorliegen be- sonderer Umst~nde hinweist : Die Schmerzen des Patienten. Bei der Auf- nahme hatte der Mann kein Fieber, auch sonst fehlten die Anzeichen fiir eine st~rkere Entzfindung der besagten Halsgegend. Der Operations- befund erkl~rt diese Beschwerden. Der Tumor hat den N. hypoglossus schon weitgehend zerst5rt. Wenn letzterer auch zu den motorischen Ner- yen gez~hlt wird, so enthi~lt er, wie andere motorisehe Hirnnerven sieher auch sensible Fasern , wie man bei jeder Operation beobachten kann, wo- bei diese l~erven beriihrt werden mfissen. Man geht nieht fehl in der An- nahme, dab es nur noch eine Frage der Zeit gewesen w~re, bis der Zungen- nerv v611ig geliihmt gewesen wiire. Die Beschaffenheit des Prozesses w~re dann offenkundig gewesen.

Auf die Differentialdiagnose der tIalsgeschwiilste wird hier nicht ein- gegangen. Die Mannigfaltigkeit dieser Tumoren, bedingt durch die Zu- sammendr~ingung zahlreicher Organe auf engstem Raum und die An- sammlung zahlreicher Lymphknoten, welche sekund~ir erkranken kSnnen, erscbwert betriichtlich die Deutung derartiger Neubildungen.

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Sicherheit erhglt man bci den isoliert am Hals auftretenden Tumoren allein durch eine histologische Kontrollc. Die Untersuchung erfolgt am zweckm~Bigsten als Schnelldiagnose. Der Operateur kann nach Kl~rung des Gewebscharakters sofort die notwendige Behandlung einleiten und bei maligncn Prozessen mit der notwendigen Radikalit~t vorgehen. Die Excision im Gesunden wird durch eine nachfolgende Bcstrahlung er- ggnzt. Diese Behandlung ist die einzige, die einen Dauererfolg bci den Cystencarcinomen verspricht.

Zusammenfassung. Das branchiogene Carcinom im Sinnc VOLI~MA~S gibt es nicht, da es

bisher nicht gelungen ist, weder die solchen Tumoren zugrunde gelegten undifferenzierten branchiogenen Zellreste noch die daraus sich entwickeln- den Carcinome mit Sicherheit nachzuweisen (HAMPERL). Davon zu trcnnen sind die Carcinome, die auf dem Boden einer branchiogenen Cyste ent- standen sind. Man muB HA~IP~RL zustimmen, wenn er solche Gcschwiil- ste nicht zu den branchiogenen Carcinomen im engeren Sinne rechnet, sondern yon Carcinomen einer branchiogenen Cyste spricht, d. h. diese Tumoren den Carcinomen anderer Organe gleichstellt. Nach der Literatur sind diese Neubildungen ~tuBerst selten. Eine solche Erkrankung wird ge- schildert. Die Kriterien, die bei der Stellung der Diagnose beachtet werden miissen, berficksichtigcn die Anamnese, die Lokalisation, den histolo- gischen sowie makroskopischcn Befund, die t~esultatc der Allgemein- untersuchung und den Krankheitsverlauf. Es werden einige Erg~nzungen angefiihrt beziiglich der im Schrifttum hierzu gemachten ~uBerungen~ Die am meisten Erfolg versprechende Behandlung der Cystencarcinome ist unseren Erachtcns die Operation mit nachfolgender Bestrahlung.

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Dr. K. U~aERECHT, Heidelberg, Universitatsohrenklinik.