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URL: http://www.uni-jena.de/Forschungsmeldungen/FM160324_Muskeln.pdf Ein Filament geht durch die Wand Gestreifte Muskulatur: Bewegungswissenschaftler präsentieren molekulares Modell, das die Kontraktion bei kurzen Längen erstmals schlüssig erklären kann Foto: Foto: Jan-Peter Kasper Dr. Christian Rode mit einem einfachen Muskelmodell. Der Bewegungswissenschaftler hat die Mikrostruktur der gestreiften Muskulatur untersucht (Abbildung auf dem Monitor) und die Bewegungsabläufe der Muskelfilamente erstmals schlüssig erklärt. Die Physiologielehrbücher müssen überarbeitet werden: Die Kontraktion gestreifter Muskelfasern verläuft auf molekularer Ebene anders als bislang vermutet. Das berichten Bewegungswissenschaftler der Friedrich-Schiller-Universität Jena und der Universität Stuttgart. In einer aktuellen Publikation in den "Proceedings of the Royal Society B" präsentieren Dr. Christian Rode und seine Kollegen ein neuartiges Modell, das die Ein Filament geht durch die Wand 1

Ein Filament geht durch die Wand Gestreifte Muskulatur ... · Original-Publikation: Rode C et al. Myosin filament sliding through the Z-disc relates striated muscle fibre structure

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Page 1: Ein Filament geht durch die Wand Gestreifte Muskulatur ... · Original-Publikation: Rode C et al. Myosin filament sliding through the Z-disc relates striated muscle fibre structure

URL: http://www.uni-jena.de/Forschungsmeldungen/FM160324_Muskeln.pdf

Ein Filament geht durch die Wand

Gestreifte Muskulatur: Bewegungswissenschaftler präsentierenmolekulares Modell, das die Kontraktion bei kurzen Längen erstmalsschlüssig erklären kann

Foto: Foto: Jan-Peter Kasper

Dr. Christian Rode mit einem einfachen Muskelmodell. Der Bewegungswissenschaftler hat dieMikrostruktur der gestreiften Muskulatur untersucht (Abbildung auf dem Monitor) und dieBewegungsabläufe der Muskelfilamente erstmals schlüssig erklärt.

Die Physiologielehrbücher müssen überarbeitet werden: Die Kontraktion gestreifterMuskelfasern verläuft auf molekularer Ebene anders als bislang vermutet. Das berichtenBewegungswissenschaftler der Friedrich-Schiller-Universität Jena und der UniversitätStuttgart. In einer aktuellen Publikation in den "Proceedings of the Royal Society B"präsentieren Dr. Christian Rode und seine Kollegen ein neuartiges Modell, das die

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Bewegungsabläufe der Muskelfilamente erstmals schlüssig erklärt und mit sämtlichenexperimentellen Daten in Einklang bringt (DOI: 10.1098/rspb.2015.3030).

Muskeln sind die "Motoren" all unserer Bewegungen. Egal ob wir nur leicht mit dem Finger übersSmartphone-Display wischen oder eine schwere Wasserkiste eine Treppe hinauftragen. Etwa 650Muskeln arbeiten im menschlichen Körper und sie alle funktionieren nach demselben Prinzip.Wenn der Muskel kontrahiert, gleiten zwei Sorten langgestreckter Proteinmoleküle ineinander undverkürzen dabei den Muskel. "Von großen Muskellängen kommend steigt die Kraft mit demÜberlappungsgrad beider Molekülketten an", erläutert Bewegungswissenschaftler Dr. ChristianRode von der Universität Jena. Unter dem Mikroskop mit polarisiertem Licht betrachtet, verleihendie als Aktin und Myosin bezeichneten Moleküle der Muskulatur ein typisches Streifenmuster,weshalb die Skelett-Muskulatur auch als "gestreifte Muskulatur" bezeichnet wird.

Lücken im bisherigen Modell

All dies ist seit vielen Jahrzehnten wissenschaftlicher Konsens und Bestandteil eines jedenLehrbuchs zur Muskelphysiologie. Doch das bisherige Modell hat gravierende Lücken. "ZumBeispiel erzeugt der Muskel bei sehr kurzen Längen immer noch Kräfte, obwohl das nach derbisherigen Theorie nicht möglich ist", so Dr. Rode. "Diese experimentell immer wieder bestätigtenBefunde sind bislang aber ausgeklammert worden, eben weil man keine Erklärung für sie hatte."

Gemeinsam mit Prof. Dr. Reinhard Blickhan, der den Jenaer Lehrstuhl für Bewegungswissenschaftinnehat, und Kollegen der Uni Stuttgart unter Leitung von Prof. Dr. Tobias Siebert hat Rode nun einModell entwickelt und simuliert, das diese Daten erstmals schlüssig erklären kann. Um das zuverstehen, ist ein weiterer Blick tief in die Mikrostruktur der Muskeln notwendig: Die kleinstefunktionelle Einheit der Muskelfibrillen ist ein Sarkomer. Ein Sarkomer besteht aus Bündeln vonAktin und Myosinfäden, die an sogenannten Z-Scheiben verankert sind. Diese Z-Scheiben bildengleichzeitig eine gitterartige Netzstruktur zwischen den Sarkomeren - ähnlich einemMaschendrahtzaun, der einzelne Grundstücke voneinander abgrenzt.

Myosin-Filamente dringen in netzartige Struktur ein

Wenn der Muskel kontrahiert und die Aktin- und Myosinfilamente ineinander gleiten, nähern sichbenachbarte Z-Scheiben einander an. Sobald die maximale Überlappung erreicht ist, stoßen diesteifen Myosinfilamente an der gegenüberliegenden Z-Scheibe an. Im Gegensatz zur bisherigenLehrmeinung, wonach die Myosin-Filamente an den Z-Scheiben ungeordnet zusammengestauchtwerden, schlagen die Forscher in ihrer nun vorgelegten Publikation einen alternativenMechanismus vor. "Die Myosinfilamente stoßen nicht an den Z-Scheiben an, sie dringen in ihrenetzartige Struktur ein und gehen durch sie hindurch", erklärt Christian Rode.

Muskelerkrankungen besser verstehen

Nur so lasse sich erklären, warum der maximal verkürzte Muskel immer noch mehr Kraft erzeugt -die Myosinfilamente überlappen dafür mit den Aktinfilamenten im benachbarten Sarkomer. "DieMyosinmoleküle sind außerdem viel zu steif, um sich an den Z-Scheiben sozusammenzustauchen, wie es das herkömmliche Modell vorsah", ist Dr. Rode überzeugt. Das vonden Muskelforschern entwickelte und in der aktuellen Studie vorgestellte Modell ermögliche es nunerstmals, sämtliche strukturellen und funktionellen Befunde zur Muskelkontraktion in Einklang zubringen. Davon versprechen sich die Wissenschaftler langfristig auch ein besseres Verständnis fürbestimmte Muskelerkrankungen.

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Original-Publikation:Rode C et al. Myosin filament sliding through the Z-disc relates striated muscle fibre structure tofunction, Proceedings of the Royal Society B, 2016, DOI: 10.1098/rspb.2015.3030

Kontakt:Dr. Christian RodeInstitut für Sportwissenschaft der Friedrich-Schiller-Universität JenaSeidelstraße 20, 07749 JenaTel.: 03641 / 945704E-Mail: [email protected]

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