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Kleine Mitteilung. Ein gefälschtes babenbergisches Stadtprivileg für Marchegg. Mit Beiträgen zur Geschichte des Wiener und Hainburger Stadtrechts im 13. Jahrhundert. Von Franz Baltzarek. Mit der Überlieferung mittelalterlicher Stadtrechte, selbst bedeutender Städte wie Wien, ist es nicht immer gut bestellt. So ist zum Beispiel die Stadtrechtsurkunde Herzog Friedrichs des Streitbaren vom 1. JuU 1244 für Wien^) in ihrem Original verschollen und nur in einer einzigen Abschrift des ausgehenden 13. Jahrhunderts auf uns gekommen^). Dabei kann man aber mit Recht auf eine ziemliche Verbreitung auch des Wiener Stadtrechts von 1244 — ähnlich wie beim Stadtrecht von 1221, das inhalthch sogar Vorbild für das Brünner Privileg von 1243 geworden ist®) — schließen, da ein Hain- burger Stadtprivileg das in deutscher Fassung überUefert ist und dessen Echtheit wir allerdings erst untersuchen müssen, ferner die verfälschte Wiener Neustädter Stadtrechtsurkunde von 1221—1230®) und eine erst kürzUch gefundene Fälschung für Marchegg auf dem Wiener Privileg von 1244 basieren. Überhaupt dürften — das können wir heute mit größter Sicherheit be- haupten — alle Städte an der Ostgrenze, die erst durch Siedlungsumlegung bzw. Neustadtgründung im 12. und 13. Jahrhundert als Festungsgürtel gegen Osten entstanden sind, nämlich Wiener Neustadt (1194), Hainburg (seit 1188 babenbergisch), Bruck an der Leitha (1239 Babenberger als Stadtherm bezeugt) und Laa an der Thaya (gegründet um 1220 nach Über- gang an den Landesfürsten) sowie das erst unter Ottokar von Böhmen er- richtete Marchegg (1268?) mit Wiener Recht begabt worden sein. Freilich ist dabei nicht immer an eine feierliche Urkundsverleihung zu denken, son- Urkundenbuch zur Geschichte der Babenberger in Österreich (BUB) 2 (1955) 294—300, Nr. 432. ') Wien, Nationalbibliothek CVF 362 fol. 66—68. ') Ferdinand Bischoff, Oesterreichische Stadtrechte und Privilegien (Wien 1857) 16 f. «) Den Text vgl. in BUB 2, 287—295 Nr. 431. Vgl. BUB 2, 36—52 Nr. 232. Brought to you by | National Dong Hwa University Authenticated | 134.208.103.160 Download Date | 3/29/14 11:21 AM

Ein gefälschtes babenbergisches Stadtprivileg für Marchegg

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Kleine Mitteilung.

Ein gefälschtes babenbergisches Stadtprivileg für Marchegg.

Mit Beiträgen zur Geschichte des Wiener und Hainburger Stadtrechts im 13. Jahrhundert.

Von Franz B a l t z a r e k .

Mit der Überlieferung mittelalterlicher Stadtrechte, selbst bedeutender Städte wie Wien, ist es nicht immer gut bestellt. So ist zum Beispiel die Stadtrechtsurkunde Herzog Friedrichs des Streitbaren vom 1. JuU 1244 für Wien^) in ihrem Original verschollen und nur in einer einzigen Abschrift des ausgehenden 13. Jahrhunderts auf uns gekommen^). Dabei kann man aber mit Recht auf eine ziemliche Verbreitung auch des Wiener Stadtrechts von 1244 — ähnlich wie beim Stadtrecht von 1221, das inhalthch sogar Vorbild für das Brünner Privileg von 1243 geworden ist®) — schließen, da ein Hain-burger Stadtprivileg das in deutscher Fassung überUefert ist und dessen Echtheit wir allerdings erst untersuchen müssen, ferner die verfälschte Wiener Neustädter Stadtrechtsurkunde von 1221—1230®) und eine erst kürzUch gefundene Fälschung für Marchegg auf dem Wiener Privileg von 1244 basieren.

Überhaupt dürften — das können wir heute mit größter Sicherheit be-haupten — alle Städte an der Ostgrenze, die erst durch Siedlungsumlegung bzw. Neustadtgründung im 12. und 13. Jahrhundert als Festungsgürtel gegen Osten entstanden sind, nämlich Wiener Neustadt (1194), Hainburg (seit 1188 babenbergisch), Bruck an der Leitha (1239 Babenberger als Stadtherm bezeugt) und Laa an der Thaya (gegründet um 1220 nach Über-gang an den Landesfürsten) sowie das erst unter Ottokar von Böhmen er-richtete Marchegg (1268?) mit Wiener Recht begabt worden sein. Freilich ist dabei nicht immer an eine feierliche Urkundsverleihung zu denken, son-

Urkundenbuch zur Geschichte der Babenberger in Österreich (BUB) 2 (1955) 294—300, Nr. 432.

') Wien, Nationalbibliothek CVF 362 fol. 66—68. ') Ferdinand Bischof f , Oesterreichische Stadtrechte und Privilegien (Wien 1857)

16 f. «) Den Text vgl. in BUB 2, 287—295 Nr. 431.

Vgl. BUB 2, 36—52 Nr. 232.

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436 Kleine Mitteilung

dem vielmehr an die Übermittlung eben des Stadtrechtstextes von Wien, der — da er doch im wesentlichen nur Gerichts- und Strafsatzungen ent-hält — analog für diese Städte Geltung haben sollte.

Über ein halbes Jahrhundert hat die Forschung zum Problem des Ver-hältnisses des Wiener zum Hainburger Stadtrecht nichts mehr beigetragen. Lediglich Heinrich Maria Schuster hat in seiner Darstellung der „Entwick-lung des Rechtslebens, Verfassung und Verwaltimg in Wien" auf die Mög-lichkeit einer Hainburger Fälschung, die er an anderer Stelle darlegen wollte, hingewiesen*), ohne aber je zu einer Beweisführung mehr gekommen zu sein. Ein kürzUch gemachter ZufaUsfund erlaubt es nun, diese Frage neuer-lich aufzuwerfen.

In der Handschriftensammlung des Niederösterreichischen Landes-archivs befindet sich — mit Signatur 521 — als Leihgabe des Pfarramtes Marchegg ein Marchegger Stadtrechtskodex des ausgehenden 16. Jahr-hunderts'). Das zweite Folium dieses Kodex, das den Beginn einer lateini-schen Urkunde enthielt, die auf den folgenden Blättern bis Seite 16 weiter-geführt wird, fehlt heute leider. Daran schließt sich ab Seite 19 eine deutsche Übersetzung dieser Urkunde, von der wir auf Seite 18 lesen, daß sie „aimo 89" (1589) im Richteramt des Stefan Frywirdt aus dem Lateinischen ins Deutsche gebracht worden sei. Doch ist die Übersetzung von dieser einen, ersten Hand nur bis Seite 28 geführt. Dann folgt von Seite 28 unten bis zum Schluß auf Seite 37 eine zweite Hand, von der auch die anschließende Notiz stammt, daß diese Übersetzung 1627 im Richteram t des Johann Torf vom Schulmeister und Stadtschreiber Johann Sartori beendet worden sei.

Die unvollständig erhaltene lateinische Urkunde gibt sich in ihrer Form, Diktion, Zeugenreihe und Datierung als babenbergisches Stück. Aus dem in der deutschen Übersetzung erhaltenen Beginn erfahren wir, daß es sich um ein Stadtrechtsprivileg Herzog Friedrichs des Streitbaren für die Stadt Marchegg handelt, das — wie auch der laternische Text zeigt — unter dem Datum vom 8. August 1244 in Wien ausgestellt worden sein soll®).

Spätestens an diesem Punkt wird selbst der argloseste Betrachter der Urkunde unruhig, denn er weiß, daß Marchegg als ottokarische Gründung zur Zeit Friedrichs des Streitbaren überhaupt noch nicht bestanden hat. Ein Blick in das Babenberger-Urkundenbuch und Meillers Babenbergerregesten belehrt ihn, daß bisher kein Stück mit dem Datum 1244 August 8 bekannt ist.

Ein Vergleich des noch erhaltenen lateinischen Textes mit dem des Stadtprivilegs für Wien von 1244 ergibt eine vollständige Übereinstimmung,

•) In: Geschichte der Stadt Wien 1 (1897), 324 Anm. 3. ') NÖLA, Hs. 521: „PrivUegia und Freiheiten, Statuta, Gesetz und Rechte aus

sondern Gnaden von weilent den allerdurchleuchtigisten rom. kay. Majestäten, Köni-gen imd Fürsten des Ertzhertzogthumbs Österreich aller hochlöblicher christmüter gedächtnis der Stadt und Burgerschafft Marcheggk geschenckt und aus sonderlich Wolneigung für andern begabt und begnadet. . . Beschehen im Riohteramt des ersamen weisen Steffan Friewirdt 1591".

•) Ebenda S. 16.

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Franz Baltzarek — Stadtprivüeg für Marchegg 437

wenn man von Verschreibungen und Verlesungen, zuweilen auch einigen Auslassungen des Schreibers absieht. Echte Varianten bestehen nur darin, daß im Wiener Privileg 100 Genannte und 24 Geschworene, im gefälschten Marchegger Privileg dagegen nur 20 Genannte und 4 Geschworene atifschei-nen. Anders ist dagegen die Zeugenreihe und — wie wir schon hörten — auch die Datierung.

An dieser Stelle hat man nun einen Vergleich mit dem Hainburger Stadtrecht anzustellen. Auch der Text des Hainburger Stadtrechts ist — ob als babenbergisches Original oder Falsum, das sei zunächst dahingestellt — nicht in der Urschrift erhalten, ja nicht einmal in einer lateinischen Fassung. Das Privileg ist nur in einer deutschen Übersetzung aus einem Hainburger Kodex des beginnenden 14. Jahrhunderts bekannt*). Für die Edition dieses Textes war bisher weder die Datierung noch die Zeugenreihe zu eruieren, derm erstere fehlt in der genannten Abschrift zur Gänze, letztere aber bricht nach dem fünften Zeugen ab. Nur die Übereinstimmung dieser fünf Zeugen mit den ersten fünf Zeugen der Wiener Urkunde gab der bisherigen — allerdings nur hypothetischen — Anschauung Raum, daß die Urkunde für Hainburg wie die Wiener am 1. JuU 1244 mit denselben Zeugen ausge-stellt worden sei ®).

Vergleichen wir den Text der deutschen Übersetzung des Hainburger Stadtrechts mit dem gefälschten Marchegger Privileg, so finden wir, daß weitgehende Formulargleichheit vorliegt. Vor allem stimmt die Zahl der Genannten mit 20 und der Geschworenen mit 4 genau mit dem Marchegger Falsum überein. Auch die erhaltenen fünf Zeugen des Hainburger Stadt-rechts korrespondieren mit denen des Marchegger.

Nur eines teilen Wiener und lateinischer Stadtrechtstext von Marchegg mit der deutschen Übersetzung des Hainburger Privilegs nicht: in letzterem fehlen die Bestimmungen über die Unterbindung der Einfuhr des ungari-schen Weines in den Burgfrieden. Allerdings dürfte dieser Paragraph durch ein Versehen des Schreibers ausgelassen worden sein. Im übrigen scheint die deutsche Übersetzung des Marchegger Privilegs vom deutschen Text der Hainburger Urkunde abhängig zu sein, weil auch hier dieser Paragraph fehlt.

Aus aU dem Gesagten ergibt sich also eindeutig eine Abhängigkeit des Marchegger Privilegs vom Hainburger. Die verstümmelte Zeugenreihe und die fehlende Datierung des Hainburger Stadtprivilegs kann mit ziemUcher Sicherheit aus dem Marchegger Falsum ergänzt werden.

Diese Zeugenreihe und Datierung, die vom Schreiber des 16. Jahr-hunderts zum Teil recht verstümmelt wurde, müssen wir uns aber nun näher ansehen Vergleichen wir sie mit der Wiener Urkunde, so sehen wir, daß

») Wien, Nationalbibliothek, Hs. series nova 2584, fol. 117*—126''. ") Andreas Meiller, Die oesterreichischen Stadtrechte und Satzungen aus der

Zeit der Babenberger AÖG 10 (1853) 138. ") Vgl. unten S. 441

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438 Kleine Mitteilung

der Anfang bis zum dreizehnten Zeugen identisch ist, im weiteren fällt ein Zeuge der Wiener Urkunde aus und es folgen, eingestreut in eine Reihe von vier weiteren Zeugen, die auch im Wiener Privileg vorkommen, noch weitere sechs Urkundspersonen, die durchwegs auch in anderen Babenbergerurkun-den dieser Zeit immer wieder zu finden sind^^). Auch zeitmäßig paßt die Datierung in das Itinerar des Babenbergers Gegen Zeugenreihe und Da-tierung kann somit keine beweiskräftige Verdächtigung ausgesprochen werden.

Damit aber sind wir schon mitten in der Frage angelangt, ob das Hain-burger Privileg ein echtes Babenbergerstück oder aber eine Fälschung sei. Kann ein Privileg, das derart große wörtliche und inhaltliche Übereinstim-mungen mit der Wiener Stadtrechtsurkunde aufweist, in dieser Form 1244 für Hainburg verliehen worden sein? Daß Hainburg nach Wiener Recht gelebt hat, darüber gibt es — wie bereits eingangs erwähnt — kaum Zweifel. Besonders Satzungen des Gerichtswesens sind sehr oft von einem auf das andere Stadtrecht übertragen worden. Die Gemeinsamkeiten des Ennser und Wiener Stadtrechts von 1212 und 1221 und vor aUem die Übernahme von Wiener Rechtssatzungen im Brünner Stadtrecht 1243") sprechen eine deutliche Sprache.

Außer den Strafsatzungen sind in den Stadtprivilegien dieser Zeit nur sehr wenige Hinweise auf Verwaltung und Wirtschaftsverhältnisse der Städte enthalten, die auf rein individuelle, örtliche Zustände schließen lassen. Nur wenn wir solche Bestimmungsstücke der Verwaltung und Wirt-schaft zu finden in der Lage wären, könnten wir unter Umständen ein Kri-terium entweder dafür finden, daß das Hainburger Stadtrecht doch indivi-duell eben für diese Stadt erlassen worden ist, oder aber dafür, daß es unter Zuhilfenahme eines anderen vielleicht gefälscht wurde. Einige wenige Bestimmungsstücke bieten sich uns hier jedenfalls an.

Wenn man als Kriterium die gegenüber dem Wiener Stadtrecht ver-minderte Anzahl von Genannten und Geschworenen im Hainburger Stadt-privileg betrachtet, so würde dies unzweifelhaft im Sinne der Echt-heitsfrage positiv ausfallen; denn daß die Verhältnisse von Hainburg eine geringere Anzahl rechtfertigen, das leuchtet jedermann ein^®).

") Dietrious von Rorau (erscheint 1240 III. 27, BUB 2, 200 Nr. 355); Otto von Haslau (erscheint <1233 V. 1>, BUB 2,150 Nr. 312, Fälschung aus 1262 und 1240 XII. 29, BUB 2, 213 Nr. 369); Wolfkerus von Porau (erscheint in Urkunden zw. 1232 III. 23, BUB 2, 150 Nr. 312 und 1245 IV. 11, BUB 2, 303 Nr. 435), Eapoto von Falkenberg (erscheint zw. <1238 VI. 1>, BUB 2, 173 Nr. 334, Fälschung aus 1262 und 1244 I. 23, BUB 2, 276 Nr. 423); Otto von Walterskirchen (erscheint bis 1245 IV. 21, BUB 2, 303 Nr. 435) Dietricus von Dobra (erscheint zwischen 1242 III. 26, BUB 2, 238 Nr. 394 und 1245 IV. 11, BUB 2, 303 Nr. 435).

") 1244 Juli 3 ist Friedrich auf Starhemberg (BUB 2, 300—301 Nr. 433), 1244 Aug. 25 in Enns (BUB 2, 301—302 Nr. 434).

") Vgl. Bischof! a. a. O. 15 f. ") Die Zahl von vier Geschworenen ist seltsam und kommt sonst in Stadtrechten

kaum vor. Gewöhnlich sind Zahlen von sechs (vgl. Enns), zwölf (z. B. Tulln) imd 24 (Wien) bezeugt.

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Franz Baltzarek — Stadtprivileg für Marohegg 439

Viel gewichtiger hingegen ist die Betrachtung von Paragraph 23 des Wiener Privilegs"), der sich in der Marchegger beziehungsweise Hainburger Urkunde wörtlich wiederfindet: er hat das bekannte Wiener Stapel- und Niederlagsrecht zum Inhalt, das sich seit 1221 im Wiener Stadtrecht ver-ankert findet. Im einzelnen behandelt er das Verbot des freien Durchfuhr-handels der süddeutschen Kaufleute nach Ungarn. lYemde Kaufleute dürfen mit ihren Waren nur zwei Monate lang in der Stadt bleiben, freier Handel der Gäste untereinander ist verboten und der Warenverkauf nur an Bürger gestattet").

Dieses Niederlags- und Stapelrecht ist eine spezielle Wiener Einrich-tung, die uns in zahlreichen Bestätigungen und Interpretationen auch später immer wieder entgegentritt (1244, 1278, 1281, 1340). Ein solches Recht ist uns aus Hainburg aber weder in der Babenbergerzeit noch nachher unter den ersten Habsburgem bezeugt, ja es hat sicherlich nicht bestanden, denn sonst würden wir davon etwas in der Urkunde von 1378 August 24 erfahren, als Albrecht III. und Leopold III. der Stadt die „niederlegung allerley kauf-mannschafft, wie die genannt ist" auf „fünf gancze jar" verliehen^®).

Daß ein derartiges Stapelrecht ursprünglich nur Wien zukam, geht auch aus der Pohtik Friedrichs III. hervor, der damals bewußt Wien von dieser Privilegierung ausschalten wollte und stattdessen sowohl Krems bewidmete als auch die Niederlagsgerechtigkeiten von Hainburg, Bruck an der Leitha und Wiener Neustadt erweiterte^®).

Das Stapel- und Niederlagsrecht Wiens kann also 1244 der Stadt Haia-burg nicht verUehen worden sein. Es ist ebenso eine Fälschung wie die Niederlagsgerechtigkeit im gefälschten Wiener Neustädter Privileg von 1221—1230, welche ebenfalls, zum Teil sogar wörtlich, aus der Wiener Urkunde von 1244 genommen ist.

Überhaupt ist es verwunderlich und kaum einzusehen, daß wir aus späterer Zeit keine Nachricht über das babenbergische Stadt- und Stapel-recht von Hainburg besitzen sollten. Ist es nicht seltsam, daß ein echtes Babenbergerprivileg nie einem Landesherrn — noch dazu aus neuer Dyna-stie — zur Bestätigung vorgelegt worden sein sollte ?

Ein Vergleich mit anderen Städten mag dies verdeutlichen. So bestätigt Ottokar der Stadt TuUn 1270 Oktober 27 aUe Privilegien „predecessorum nostrorum domini Liupoldi et Friderici"^®), ebenso auch Rudolf von Habs-

") BUB 2, 194—300 Nr. 432. ") Vgl. auch Walter Ste in , Handels- und Verkehrsgeschichte der deutschen

Kaiserzeit {»1967), 327 f.; Theodor Mayer, Zur Frage des Wiener Stapekechtes. Vier-teljahrsschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 10 (1912), 355—382.

") Otto Gönnenwein, Das Stapel- und Niederlagsrecht (1939) 402 f. Regest Nr. 86.

") 1460 X. 24 und 1463 II. 1; 1463 I. 11; 1448 XII. 6; 1463 I. 13. Vgl. Gönnen-wein, Regg. Nr. 124, 128; 126; 118; 127.

'i») Anton Kerschbaumer, Geschichte der Stadt Tulln (^1874), 344 ff. Reg. Nr. III.

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440 Kleine Mitteilung

bürg 1276 Oktober SO i). In Laa wieder be8tätigt Rudolf 1277 Juli 8 die Rechte und Freiheiten von „Lewpolten und Friederichen, herzogen zu Österreich"^), in Wiener Neustadt derselbe 1281 Februar 27 „omnia iura ex antiquis Liupoldi et Friderici ducum Austriae"®®). Auch in Enns bestätigt Rudolf 1276 die Privilegien von Leopold dem Glorreichen und Friedrich dem Streitbaren^).

Die babenbergischen Privilegierungen wurden also in ottokarischen und habsburgischen Bestätigungen stets genannt, weil sie von den Städten auch zur Erneuerung und Anerkennung vorgelegt wurden. Für Hainburg aber ist kein Privileg Rudolfs von Habsburg bekannt und es hat auch sicher keines bestanden, denn davon müßten wir zumindest aus den zahh-eichen erhaltenen Privilegsbestätigungen späterer Zeit doch etwas erfahren.

Zeugenreihe und Datierung der Fälschung dürften aber aus einer echten babenbergischen Urkunde Friedrichs des Streitbaren für Hainburg stam-men, die die Bürgerschaft in der Hoffnung auf die Erlangung größerer Rechte durch ein Palsum ofiensichtUch vernichtet hat und daher dem Stadtherm auch nie zur Bestätigung vorlegte. Das produzierte Falsum aber dürfte von der Kanzlei abgelehnt worden sein und fand daher ebenfalls keine Bestätigung.

Blicken wir uns für diese Zeit in den übrigen Städten um, so müssen wir feststellen, daß Hainburg mit der Fälschimg einer Stadtrechtsurkunde keineswegs allein dasteht. So hat man in Wiener Neustadt das Kaiserpri-vileg für Wien von 1237 bzw. 1247 wörtlich übernommen und auf diese Stadt umgefälscht; Ottokar hat 1251 dieses Falsum auch tatsächlich be-stätigt. Weiters wurde ein echtes babenbergisches Stadtrecht wahrschein-lich aus der Zeit um 1221—1230 in Wiener Neustadt 1276/77 durch Auf-nahme von Rechtssatzungen aus der Wiener Stadtrechtsurkunde von 1244 verfälscht®^).

Als terminus post quem erscheint uns für die Hainburger Fälschung das Ausstellungsdatum für die Wiener Urkunde, also 1244 Juli 1; als ter-minus ante quem zunächst der Rechtskodex aus dem ersten Viertel des 14. Jahrhunderts, in dem die Hainburger Urkunde in deutscher Übersetzimg erscheint. Daß die Urkunde aber in ihrer Übersetzung eine lateinische Vor-lage hatte, darüber gibt es keinen Zweifel, das Marchegger Falsum beweist dies. Stadtrechte in deutscher Sprache bzw. Übersetzungen ins Deutsche kommen in unserem Raum erst ab Ende des 13. Jahrhunderts vor^). Eine

") Ebenda, 327 ff. Reg. Nr. IX. ") BUB 2, 354 Nr. 502.

Gustav Winter, Urkundliche Beiträge zur Rechtsgeschichte ober- und niederösterreichischer Städte, Märkte und Dörfer (1877) 37.

") Festschrift zur siebenhundertjährigen Gedenkfeier der Stadtrechtsverleihung an Enns im Jahre 1212 (1912) 30.

«) Vgl. dazu Gustav Winter, Das Wiener Neustädter Stadtrecht des XIII. Jahr-hunderts AÖG 60 (1880) 71—292; BUB 2, 36—52 Nr. 232.

") Das älteste Wiener Stadtrecht in deutscher Sprache stammt aus dem Jahre 1296.

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Franz Ba l t zarek — Stadtprivileg für Marchegg 441

Fälschung, außerdem gerade hinsichtlicli des im Stapelparagraphen enthal-tenen Gretrechts, ist in der Zeit Albrechts I. ab 1281 und bis etwa 1322 un-denkbar, da damals gemäß der Niederlagsverordnung von 1281 das Gret-recht aufgehoben war^').

Die Fälschung fällt somit aller Wahrscheinlichkeit nach in die ottoka-rische Zeit oder in die ersten Jahre der Habsburgerregentschaft. Das Motiv der Fälschung ist unzweifelhaft in der Konkurrenz der Provinzstadt mit Wien zu suchen. Wahrscheinlich war es insbesondere eia Konkurrenzstreben hinsichtUch des Stapel- und Niederlagsrechtes, denn Lazius berichtet uns, daß Leopold VI. „sub annum" 1200 dieses Recht von Hainburg nach Wien transferiert und in diesem Zusammenhang den Wienern ein Stadt-recht verliehen habe®®)!

Für die Marchegger Urkunde dagegen ist es schwer, eine zeitliche Fixierung der Fälschung vorzunehmen. Daß Marchegg hinsichtlich Verfas-sung und Verwaltung von Ottokar nach Hainburger Modell eingerichtet wurde, ist durchaus anzunehmen, auch späterhin zeigen diese beiden Städte in vielen Belangen eine auffallend gleichartige Privilegierung^®). Wahr-scheinlich ist, daß eine Fälschung aus der ersten Zeit der Habsburger vor-liegt.

Zum Abschluß sei der Text der Koroborationsformel und der Zeugen-reihe sowie der Datierung des Marchegger Privilegs abgedruckt.

<_1244 August 8, Wien} (flerzog Friedrich II. verleiht den Bürgern von Marchegg ein Stadtrecht.y

Original verloren (A). — Abschrift (das erste FoUum fehlt) im Stadtrechtskodex von Marchegg (1591), Niederösterreichisches Landesarchiv, Hs. 352, S. 5—16 (B).

Fälschung 1, vermutlich aus der ersten Habsburgerzeit. A Is Vorlage diente der gefälschte Stadtrechtstext für Hainburg (erhalten in deutscher Übersetzung, E. 13. Jh., vgl. BUB II, Nr. 431), wobei bloß der Stadtnarm von Hainburg durch den von Marchegg ersetzt vnirde. Das Hainburger Falsum wieder basiert auf der Wiener Stadtrechtsurkunde von 1244 Juli 1, Starhemberg (BUB II, 294—300, Nr. 432) und ist wahrscheinlich vor 1281 ent-standen.

Die hier abgedruckte Zeugenreihe dürfte einer echten Urkunde Herzog Friedrichs II. für Hainburg angehört haben und in die Stadtrechtsurkunden für Hainburg und in der Folge auch für Marchegg übernommen worden sein. Personen- und Ortsnamen sind in B verderbt überliefert. Unier Zuhilfenahme des Wortlautes der Zeugenreihe der Wiener Stadt-rechtsurkunde von 1244 sowie des Registers von BUB II konnte der Text der Vorlage rekonstruiert werden. Zu den Namen vgl. auch hier Anm. 12.

Ut haec nostra donatio tam a nobis quam a successoribus nostris et posteris in perpetuum rata permaneat, praesentem paginam super hoc scribi sigillique nostri caractere roborari, subscriptione testium, quorum

") Vgl. Theodor Mayer, Der auswärtige Handel des Herzogtums Österreich im Mittelalter. Forschungen zur inneren Geschichte Österreichs 6 (1909) 25.

Lazius, Vienna, 73. Vgl. darüber Karl Gutkas, Die mittelalterlichen Stadtrechte Niederöster-

reichs. Beiträge zur Stadtgeschichtsforschung (1959) 69 f.

29 MlOa.,Bd.79. Brought to you by | National Dong Hwa UniversityAuthenticated | 134.208.103.160

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442 Kleine Mitteilung

nomina sunt haec, perenniter iussimus communiri: Venerabiiis ecclesiae») Secoviensis Vkicusi), Ludpiander*») thumpraepositus Pataviensis^), Leu-poldus praepositus Ardacensis^), magister Leopoldus publicus®) Vienensis prothonotarius noster^), comes Cunradus et comes Leutoldus de Hardekke^), Anshalm vir nobilis de lustinge^), et^) de Sleuntz^), Bernhardus et Hein-ricus®) de Sevelte^), Carolus') de B a u m g a r t e n B e n e d i c t u s s ) de Rorowe, Cunradus de Hyntperch^), Heinricus de Habspach*') pincema^), Heinricus de Habenhrch')^), Otto de Hasslonove, Cunradus de Zelkinge'')^), WoK-gangusi) de Parouwe, Rapoto de Valchenberch, Otto de Walchunschirichen camerarius, Benedictus de Lohra et alii quam plures.

Datum Viennae anno ab incarnationis domini millesimo ducentesimo quadragesimo quarto, octava die augusti, secunde indictionibus").

a) verschriehen für electus b) verschrieben für Liuprandus c) verschrieben für plebanus d) verschrieben für Ott(o) e) danach offenbar durch Abschreibefehler ausgefallen: de Schowenberche, Heinricus f) verschriehen für Chadoldus g) ver-schriehen für Dietricus ? h) verschrieben für Habsperch i) verschrieben für Haoken-berch k) verschrieben für Zekinge 1) verschrieben für WoUkerus m) verschrie-ben für Dobra n) verschriehen für incamatione o) verschrieben für indictionis

Ersoheiat auch als Zeuge in der Wiener Stadtrechtsurkunde, BUB Nr. 432.

Zu: J. J.Menzel, Urkundenpublikation und Urkundenforschung in Schlesien (MIÖG Bd. 79, S. 157 fif.).

Herr Professor Dr. Josef Menzel, D-65 Mainz, An der Allee 114, legt Wert auf folgende Feststellung:

Auf S. 171 von Band 79 der MIÖG wurde durch die Redaktion der Text des Verfassers nach Rücksendung der Autorkorrekturen verändert. Der Text des Autors lautete: ,, . . . daß diese Landschaft nach jahrzehnte-langem nicht von Erfolg gekröntem Bemühen jetzt, nachdem sie ihren ein-gesessenen deutschen Bewohnern entrissen ist und ihre Archive zu einem beträchtlichen Teil vernichtet sind, gleich noch ein zweites Mal ein Ur-kundenbuch, und zwar mit polnischem Kommentar erhalten ha t . " Die Worte ,,ihren eingesessenen deutschen Bewohnern entrissen is t" wurden verändert in ,,für ihre eingesessenen deutschen Bewohner verloren ist".

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