4
Ebenso wie in 1 liegt in 2 das formal bindende o-MO der zentralen Bindung (HOMO) energetisch hoher (aller- dings urn nur 0.02 Hartree) als die formal antibindenden, entarteten n*-MOs. Letztere werden durch die Wechsel- wirkung rnit den drei peripheren Siliciumatomen stabili- siert. Es handelt sich dabei um ,,a-iiberbriickte n-Wechsel- wirkungen", wie sie von Jackson, Allen et al.I3l beschrieben wurden. Die Bedeutung solcher Wechselwirkungen wurde allerdings bei anderen Untersuchungen der Bindung in 1 angezweifel tf41. Bereits beim Vergleich von 3 mit 4['l haben wir darauf hingewiesen, daR das unterschiedliche Verhalten der ent- sprechenden polycyclischen Kohlenstoff- und Silicium- Ringsysteme auf die Unterschiede in den Spannungen zu- riickgefiihrt werden kann. Wahrend Systeme rnit Silicium- Dreiringen starker gespannt sind als ihre Kohlenstoff- analoga, gilt fur Vierringe das ~mgekehrte~'~. Bei der Ring- offnung 3 -4 werden die Dreiringe zu Vierringen, und die Ringspannung nimmt daher starker ab als bei den entspre- chenden carbocyclischen Systemen. Deshalb bevorzugt Bi- cyclobutan eine geschlossene Sttuktur ahnlich der von 3. Dieselbe Situation wiederholt sich in 2 mit seinen Vierrin- gen und einem Sil Si2Si3-Bindungswinkel von etwa 100". Eine Geometrie mit einem kurzen SilSi3-Abstand, fur die wir kein Energieminimum finden konnten, ware wegen der Existenz von drei Silicium-Dreiringen energiereicher (Ta- belle 2). Trotz des im Singulettzustand vorhandenen Diradikal- Charakters, der sich an den Briickenkopf-Si-Atomen zeigt, und der schwachen SilSi3-Bindung ist die Spannungs- energie in 2 vergleichsweise niedrig (62.2 kcal mol-' nach einer Pseudopotential-MC-SCF-21G*-Re~hnung)~'~-'~~, vor allem wenn man sie rnit der Spannungsenergie von [ 1.1. 11Propellan 1 (102 kcal mol - I) vergleichtl*&''. Diesen Unterschied findet man auch zwischen den Ringspan- nungsenergien von Bicyclo[ 1.1. Ilpentan 6 (67 kcal mol - und Bicycle[ 1.1. Ilpentasilan 5 (37 kcal mol - ' H H \I rnit 3-21G*)[3h."1.Wahrend der Abstand der Briickenkopf- atome in 6 (1.88 A) vie1 groDer ist als der in 1 (1.60 A)[2,31, unterscheiden sich die entsprechenden Abstande in 2 (ca. 2.73 A) und 5 (2.92 nicht so deutlich, insbesondere wenn man beriicksichtigt, daI3 Si-Si-Bindungen durchweg langer sind. Aufgrund der vergleichsweise niedrigen Spannungsener- gie, die fur 2 vorhergesagt wird, und der beachtlichen ex- perimentellen Erfolge bei den Synthesen von 1 und 316bl sowie von zahlreichen kleinen Silicium-Ringsystemen, sollte die Synthese geeigneter Derivate von 4 eine Heraus- forderung fur die Experimentatoren sein. Im groBen und ganzen ahnlich sind die Schliisse, die Allen et a1.13b1 und Nngase et al.llol aus den Ergebnissen ihrer Untersuchungen solcher Systeme gezogen haben. Eingegangen am 31. Juli 1987 [Z 23851 [I] a) Umfassende Untersuchung der Bindung in Kohlenwasserstoffen: K. B. Wiberg. R. F. W. Bader, C. D. H. Lau. 1. Am. Chem. SOC. 109 (1987) 985; b) andere Bindungsanalysen von 1 : W. Stohrer, R. Hoffmann, ibid. 94 (1972) 779; M. D. Newton, J. M. Schulman, ibid. 94 (1972) 773; N. D. Epiotis, ibid. 106 (1984) 3170; P. Politzer, K. Jayasuriya, J. Mol. Srruef. 135 (1986) 245; R P. Messmer. P. A. Schultz, ibid. 108 (1984) 7407, zit. Lit. 2-4. 121 a) K. B. Wiberg, Ace. Chem. Res. 17(1985) 379, zit. Lit.; b) J. Am. Chem. Soc. lUS(1983) 1227; c) Angew. Chem. 98 (1986) 312; Angew. Chem. Inf. Ed. Engl. 25 (1986) 312. [3] a) J. E. Jackson, L. C. Allen, J. Am. Chem. SOC. 106 (1984) 59 I ; b) D. B. Kitchen. J. E. Jackson, L. C. Allen, unver6l"entlicht. 141 a) A. B. Pierini, H. F. Reale, J. Medrano, J. Mol. Sfrucf. 148 (1986) 109; b) D. Feller, E. R. Davidson. J. Am. Chem. SOC. 109 (1987) 4133. (51 P. von R. Schleyer, A. F. Sax, J. Kalcher, R Janoschek, Angew. Chem. 99 (1987) 374; Angew. Chem. Inf. Ed. Engl. 26 (1987) 364, zit. Lit. [a] a) Eine theoretische Untersuchung von 3 (aber nicht 4) beschreiben S. Collins, R. Dutler, A. Rauk, J. Am. Chem. SOC. 109 (1987) 2564; b) die RBntgenbeugungsdaten eines Derivats von 3 findet man bei R. Jones, D. J. Williams, Y. Kabe, S. Masamune, Angew. Chem. 98 (1986) 176; Angew. Chem. Inr. Ed. Engl. 25 (1986) 79; c) eine theoretische Untersu- chung von 4 (aber nicht 3) beschreiben T. Dabisch, W. Schoeller, 1. Chem. SOC. Chem. Comrnun. 1986, 896. [7] Die Standard-HF-Rechnungen wurden mit dem Programm Gaussian 82 durchgefiihrt: W. J. Hehre, L. Radom, P. von R. Schleyer, 1. A. Pople: Ab Inifio Molecular Orbifol Theory. Wiley. New York 1986. Zitate zu den durchgefllhrten MC-SCF-Rechnungen sind in 151 enthalten. 181 Die MC-SCF-Wellenfunktion fur 4 zeigt eine ganz ahnliche Zusammen- setzung, ~ ~~=0.95~~-0.30~~ 151. vh(v,,) ist die Konfiguration, in der das bindende (antibindende) a-MO der Sil-Si3-Brilcke doppelt beseht ist. 191 A. E. Reed, F. Weinhold, J. Chern. Phys. 83 (1985) 1736; A. E. Reed, R. B. Weinstock, F. Weinhold, ibid. 83 (1985) 735. Diese Bindungsordnun- gen hingen natiirlich etwas vom verwendeten Basissatz ab (die 3-21G'- Bindungsordnungen fiir 2 lauten: SilSi3=0.245, SilSi2=0.834) und sollten nur relativ zueinander interpretien werden; die Absolutwerte dieser Zahlen haben kaum eine Bedeutung. [lo] S. Nagase, T. Kudo, Organomefaflics 6 (1987) 2456. geben eine Span- nungsenergie von 69 kcal mol-' fiir 2 an (SCF-6-31G*-Rechnung). Diese Autoren betrachten die negativen Partialladungen an den Brilk- kenkopf-Siliciumatomen als Besonderheit von 2. Allerdings handelt es sich dabei um ein allgemeines Merkmal, das immer dann auftritt, wenn Silicium von mehreren SiH,- oder SiH,-Gruppen umgeben ist. Bei- spielsweise lauten die mit 3-21G berechneten natiirlichen Ladungen 191 an den zentralen Si-Atomen wie folgt: -0.106 in 2 (-0.163 mit 3- 21G*), aber -0.378 in Si(SiH&. +0.019 in 5, +0.028 in 3. +0.072 in 4 und f0.019 in HSi(SiH,),. In allen diesen Molekiilen haben Silicium- atome in SiH2-Gruppen Ladungen von +0.34i0.1 und in SiH,-Grup- pen Ladungen von +0.55+0.02. [l 11 In [3b] werden 71.3 und 37.4 kcal mol- ' fur 2 bzw. 5 angegeben. Diese Ergebnisse wurden mit einer Pseudopotential-SCF-31G*(spd)-Rech- nung erhalten. Unsere Pseudopotential-SCF-2 lG*-Rechnung ergab fur 2 einen Wert von 72.4 kcal mol- I, in guter Ubereinstimmung mit dem Wert von Allen sowie mit dem Wert von Nagase (SCF 69 kcal mol-I) [lo]. Dadber hinaus haben wir die Ringspannungsenergie mi1 einer ,,Zwei-Konfigurationen(o*,~'~~pro-SiSi-Bindung"-Wellenfunktion be- rechnet und somit eine Elektronenkorrelations-Korrektur gewonnen. Die Emiedrigung der Gesamtenergie betragt fiir eine normale SiSi-Bin- dung 4.7 kcal mol- I, wahrend die diradikalische zentrale SiSi-Bindung in 2 um 14.9 kcal mol-' stabilisiert wird. Demnach werden die Ring- spannungsenergien in 2 und auch in 4 durch SCF-Rechnungen um mehr als 10 kcal mol-' Oberschaht. [ 121 Allen Berechnungen von Spannungsenergien liegen die ublichen homo- desmotischen Gleichungen zugrunde [3b, 5, 101. [I,] Die entmalige Synthese eines Derivats von 5 wurde kllrzlich von S. Ma- samune el al. beschrieben (Fffh Int. Symp. Organosilicon Chem., st. Louis, MO, USA, Juni 1987). Ein neuer Mechanismus fur Supraleitung in Oxidkeramiken** Von Michael J. S. Dewar' Die Entdeckung der neuen Hochtemperatursupralei- terI'.21 hat grdRte Aufmerksamkeit erregt, nicht nur wegen moglicher praktischer Anwendungen, sondern auch, weil die Supraleitung in diesen Verbindungen nicht ohne weite- res rnit dem konventionellen Bardeen-Cooper-Schrief- [*I Prof. Dr. M. 1. S. Dewar Department of Chemistry, The University of Texas at Austin Austin, TX 78712 (USA) von der Robert A. Welch Foundation geferden. I**] Diese Arbeit wurde vom Air Force Office of Scientific Research und Angew. Chem. 99 11987) Nr. 12 0 V C H Verlagsgesellschaff mbH. 0-6940 Weinheim. 1987 0044-8249/87/1212-1313 S U2.50/0 1313

Ein neuer Mechanismus für Supraleitung in Oxidkeramiken

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Ein neuer Mechanismus für Supraleitung in Oxidkeramiken

Ebenso wie in 1 liegt in 2 das formal bindende o-MO der zentralen Bindung (HOMO) energetisch hoher (aller- dings urn nur 0.02 Hartree) als die formal antibindenden, entarteten n*-MOs. Letztere werden durch die Wechsel- wirkung rnit den drei peripheren Siliciumatomen stabili- siert. Es handelt sich dabei um ,,a-iiberbriickte n-Wechsel- wirkungen", wie sie von Jackson, Allen et al.I3l beschrieben wurden. Die Bedeutung solcher Wechselwirkungen wurde allerdings bei anderen Untersuchungen der Bindung in 1 angezweifel tf41.

Bereits beim Vergleich von 3 mit 4['l haben wir darauf hingewiesen, daR das unterschiedliche Verhalten der ent- sprechenden polycyclischen Kohlenstoff- und Silicium- Ringsysteme auf die Unterschiede in den Spannungen zu- riickgefiihrt werden kann. Wahrend Systeme rnit Silicium- Dreiringen starker gespannt sind als ihre Kohlenstoff- analoga, gilt fur Vierringe das ~mgekehrte~ '~. Bei der Ring- offnung 3 - 4 werden die Dreiringe zu Vierringen, und die Ringspannung nimmt daher starker a b als bei den entspre- chenden carbocyclischen Systemen. Deshalb bevorzugt Bi- cyclobutan eine geschlossene Sttuktur ahnlich der von 3. Dieselbe Situation wiederholt sich in 2 mit seinen Vierrin- gen und einem Sil Si2Si3-Bindungswinkel von etwa 100". Eine Geometrie mit einem kurzen SilSi3-Abstand, fur die wir kein Energieminimum finden konnten, ware wegen der Existenz von drei Silicium-Dreiringen energiereicher (Ta- belle 2).

Trotz des im Singulettzustand vorhandenen Diradikal- Charakters, der sich an den Briickenkopf-Si-Atomen zeigt, und der schwachen SilSi3-Bindung ist die Spannungs- energie in 2 vergleichsweise niedrig (62.2 kcal mol-' nach einer Pseudopotential-MC-SCF-21G*-Re~hnung)~'~-'~~, vor allem wenn man sie rnit der Spannungsenergie von [ 1.1. 11Propellan 1 (102 kcal mol - I ) vergleichtl*&''. Diesen Unterschied findet man auch zwischen den Ringspan- nungsenergien von Bicyclo[ 1.1. Ilpentan 6 (67 kcal mol - und Bicycle[ 1.1. Ilpentasilan 5 (37 kcal mol - '

H H \I

rnit 3-21G*)[3h."1. Wahrend der Abstand der Briickenkopf- atome in 6 (1.88 A) vie1 groDer ist als der in 1 (1.60 A)[2,31, unterscheiden sich die entsprechenden Abstande in 2 (ca. 2.73 A) und 5 (2.92 nicht so deutlich, insbesondere wenn man beriicksichtigt, daI3 Si-Si-Bindungen durchweg langer sind.

Aufgrund der vergleichsweise niedrigen Spannungsener- gie, die fur 2 vorhergesagt wird, und der beachtlichen ex- perimentellen Erfolge bei den Synthesen von 1 und 316bl sowie von zahlreichen kleinen Silicium-Ringsystemen, sollte die Synthese geeigneter Derivate von 4 eine Heraus- forderung fur die Experimentatoren sein. Im groBen und ganzen ahnlich sind die Schliisse, die Allen et a1.13b1 und Nngase et al.llol aus den Ergebnissen ihrer Untersuchungen solcher Systeme gezogen haben.

Eingegangen am 31. Juli 1987 [Z 23851

[ I ] a) Umfassende Untersuchung der Bindung in Kohlenwasserstoffen: K. B. Wiberg. R. F. W. Bader, C. D. H. Lau. 1. Am. Chem. SOC. 109 (1987) 985; b) andere Bindungsanalysen von 1 : W. Stohrer, R. Hoffmann, ibid. 94 (1972) 779; M. D. Newton, J. M. Schulman, ibid. 94 (1972) 773; N. D.

Epiotis, ibid. 106 (1984) 3170; P. Politzer, K. Jayasuriya, J. Mol. Srruef. 135 (1986) 245; R P. Messmer. P. A. Schultz, ibid. 108 (1984) 7407, zit. Lit. 2-4.

121 a) K. B. Wiberg, Ace. Chem. Res. 17(1985) 379, zit. Lit.; b) J. Am. Chem. Soc. lUS(1983) 1227; c) Angew. Chem. 98 (1986) 312; Angew. Chem. I n f . Ed. Engl. 25 (1986) 312.

[3] a) J. E. Jackson, L. C. Allen, J. Am. Chem. SOC. 106 (1984) 59 I ; b) D. B. Kitchen. J. E. Jackson, L. C. Allen, unver6l"entlicht.

141 a) A. B. Pierini, H. F. Reale, J. Medrano, J. Mol. Sfrucf. 148 (1986) 109; b) D. Feller, E. R. Davidson. J. Am. Chem. SOC. 109 (1987) 4133.

(51 P. von R. Schleyer, A. F. Sax, J. Kalcher, R Janoschek, Angew. Chem. 99 (1987) 374; Angew. Chem. Inf. Ed. Engl. 26 (1987) 364, zit. Lit.

[a] a) Eine theoretische Untersuchung von 3 (aber nicht 4) beschreiben S. Collins, R. Dutler, A. Rauk, J. Am. Chem. SOC. 109 (1987) 2564; b) die RBntgenbeugungsdaten eines Derivats von 3 findet man bei R. Jones, D. J . Williams, Y. Kabe, S. Masamune, Angew. Chem. 98 (1986) 176; Angew. Chem. Inr. Ed. Engl. 25 (1986) 79; c) eine theoretische Untersu- chung von 4 (aber nicht 3) beschreiben T. Dabisch, W. Schoeller, 1. Chem. SOC. Chem. Comrnun. 1986, 896.

[7] Die Standard-HF-Rechnungen wurden mit dem Programm Gaussian 82 durchgefiihrt: W. J. Hehre, L. Radom, P. von R. Schleyer, 1. A. Pople: Ab Inifio Molecular Orbifol Theory. Wiley. New York 1986. Zitate zu den durchgefllhrten MC-SCF-Rechnungen sind in 151 enthalten.

181 Die MC-SCF-Wellenfunktion fur 4 zeigt eine ganz ahnliche Zusammen- setzung, ~ ~ ~ = 0 . 9 5 ~ ~ - 0 . 3 0 ~ ~ 151. vh(v,,) ist die Konfiguration, in der das bindende (antibindende) a-MO der Sil-Si3-Brilcke doppelt beseht ist.

191 A. E. Reed, F. Weinhold, J. Chern. Phys. 83 (1985) 1736; A. E. Reed, R. B. Weinstock, F. Weinhold, ibid. 83 (1985) 735. Diese Bindungsordnun- gen hingen natiirlich etwas vom verwendeten Basissatz ab (die 3-21G'- Bindungsordnungen fiir 2 lauten: SilSi3=0.245, SilSi2=0.834) und sollten nur relativ zueinander interpretien werden; die Absolutwerte dieser Zahlen haben kaum eine Bedeutung.

[lo] S. Nagase, T. Kudo, Organomefaflics 6 (1987) 2456. geben eine Span- nungsenergie von 69 kcal mol-' fiir 2 an (SCF-6-31G*-Rechnung). Diese Autoren betrachten die negativen Partialladungen an den Brilk- kenkopf-Siliciumatomen als Besonderheit von 2 . Allerdings handelt es sich dabei um ein allgemeines Merkmal, das immer dann auftritt, wenn Silicium von mehreren SiH,- oder SiH,-Gruppen umgeben ist. Bei- spielsweise lauten die mit 3-21G berechneten natiirlichen Ladungen 191 an den zentralen Si-Atomen wie folgt: -0.106 in 2 (-0.163 mit 3- 21G*), aber -0.378 in Si(SiH&. +0.019 in 5, +0.028 in 3. +0.072 in 4 und f0.019 in HSi(SiH,),. In allen diesen Molekiilen haben Silicium- atome in SiH2-Gruppen Ladungen von +0.34i0.1 und in SiH,-Grup- pen Ladungen von +0.55+0.02.

[l 11 In [3b] werden 71.3 und 37.4 kcal mol- ' fur 2 bzw. 5 angegeben. Diese Ergebnisse wurden mit einer Pseudopotential-SCF-31G*(spd)-Rech- nung erhalten. Unsere Pseudopotential-SCF-2 lG*-Rechnung ergab fur 2 einen Wert von 72.4 kcal mol- I, in guter Ubereinstimmung mit dem Wert von Allen sowie mit dem Wert von Nagase (SCF 69 kcal mol-I) [lo]. Dadber hinaus haben wir die Ringspannungsenergie mi1 einer ,,Zwei-Konfigurationen(o*,~'~~pro-SiSi-Bindung"-Wellenfunktion be- rechnet und somit eine Elektronenkorrelations-Korrektur gewonnen. Die Emiedrigung der Gesamtenergie betragt fiir eine normale SiSi-Bin- dung 4.7 kcal mol- I, wahrend die diradikalische zentrale SiSi-Bindung in 2 um 14.9 kcal mol-' stabilisiert wird. Demnach werden die Ring- spannungsenergien in 2 und auch in 4 durch SCF-Rechnungen um mehr als 10 kcal mol-' Oberschaht.

[ 121 Allen Berechnungen von Spannungsenergien liegen die ublichen homo- desmotischen Gleichungen zugrunde [3b, 5 , 101.

[ I , ] Die entmalige Synthese eines Derivats von 5 wurde kllrzlich von S. Ma- samune el al. beschrieben (Fffh Int. Symp. Organosilicon Chem., st. Louis, MO, USA, Juni 1987).

Ein neuer Mechanismus fur Supraleitung in Oxidkeramiken** Von Michael J. S. Dewar'

Die Entdeckung der neuen Hochtemperatursupralei- terI'.21 hat grdRte Aufmerksamkeit erregt, nicht nur wegen moglicher praktischer Anwendungen, sondern auch, weil die Supraleitung in diesen Verbindungen nicht ohne weite- res rnit dem konventionellen Bardeen-Cooper-Schrief-

[*I Prof. Dr. M. 1. S. Dewar Department of Chemistry, The University of Texas at Austin Austin, TX 78712 (USA)

von der Robert A. Welch Foundation geferden. I**] Diese Arbeit wurde vom Air Force Office of Scientific Research und

Angew. Chem. 99 11987) Nr. 12 0 V C H Verlagsgesellschaff mbH. 0-6940 Weinheim. 1987 0044-8249/87/1212-1313 S U2.50/0 1313

Page 2: Ein neuer Mechanismus für Supraleitung in Oxidkeramiken

fer( BCS)-Mechanismus erklart werden kann13'. Hier wird ein radikal anderer Mechanismus vorgeschlagen, der auf Elektron-Hopping zwischen Metallatomen in unterschied- lichen Valenzzustanden, gesteuert durch zwei kooperative Gitterschwingungen, beruht. Andere lnterpretationen sind eher Varianten der BCS-Theorie und basieren auf der kon- ventionellen Bandertheorie der Festkorper und der Elek- tron-Phonon-Kopplung. Der Mechanismus, der hier vor- geschlagen wird, postuliert eine starke Kopplung zwischen Paaren von Gitterschwingungen und Elektron-Hopping, die zum Zusammenbruch der Born-Oppenheimer-Nahe- rung fuhrt auf eine Art, die a n den Jahn-Teller-Effekt erin- nert. DaB Elektron-Hopping in diesen neuen Materialien eine Rolle spielt, wurde auch von anderen erkannt[4351.

Die Grundidee sol1 a n Yttrium-Barium-Kupferoxid (Y BCO) illustriert werden: Die Zusammensetzung YBa2Cu307 entspricht einer Situation, in der ein Drittel Cull'- und zwei Drittel Cull-Zentren vorliegen. YBCO hat einen schichtartigen A~fbau[* .~] . Zwei Lagen (A) bestehen aus Netzen quadratisch koordinierter Cu-Atome, die iiber 0-Atome verknupft sind, wahrend die dritte (B) parallele, linear verknupfte Cu02-Einheiten enthalt. Die Schichten A sind durch Y-Ionen voneinander getrennt und die A- und B-Schichten durch Ba-Ionen. Nach Zusammensetzung und Kristallsymmetrie sind entweder die Cu-Atome in den A- Schichten zweiwertig und in den B-Schichten dreiwertig, oder die Cu-Atome in den A-Schichten sind in einem ge- mischtvalenten Zustand, d. h. eine Halfte ist Cu" und die andere Cu"', wahrend in der B-Schicht Cu" vorliegt. Wir gehen vom zweiten Fall aus. Jedes Cu-Atom ist naherungs- weise quadratisch-planar von vier 0-Atomen umgeben, mit groBeren Abstanden zu Cu- oder 0-Atomen uber und unter den Zentren der Quadrate. Dies ist die Koordina- tionsgeometrie, die fur Cu" und Cu"' erwartet wird: Die d,l-Atomorbitale (AOs) sind doppelt besetzt, wahrend das dX2- ,.-A0 einfach besetzt (Cu") oder leer ist (Cu"').

Betrachten wir eine lineare Anordnung (-Cu-0-). von CuO-Einheiten, die sich entlang der x-Richtung in einer A- Schicht erstrecken, und nehmen wir an, daR abwechselnd Cull- und Cu"'-Zentren vorliegen (Abb. l), was wegen der hoheren Coulomb-AbstoSung zwischen den Cu"'-Ionen plausibel ist. In Situationen dieser Art wird ublicherweise die Unterscheidung zwischen verschiedenen Valenzzustan- den durch Resonanz aufgehoben. Hier jedoch unterschei- den sich die beiden Zustande strukturell, denn die Cu-0- Bindungen sind kurzer fiir Cu"' als fur Cu", und die Kopplung zwischen den Cu-Atomen ist klein. Die An- nahme einer Verzerrung vom Peierls-Typ ist deshalb sinn- voll, was zu einer Lokalisierung fuhrt (Abb. la).

Bei einer antisymmetrischen Gitterschwingung ( v I ) (volle Pfeile in Abb. la) schrumpfen die entsprechenden Cull-0-Bindungen, und die Cu"'-0-Bindungen werden gedehnt. 1st die Amplitude ausreichend, urn die (mittleren) Bindungslangen an den Cu-Atomen umzukehren, findet Elektronentransfer statt und damit ein Austausch von Cu" und Cu "I (verbunden mit entsprechenden CuO-Bindungs- Iangenanderungen, siehe Abb. lb). Der gesamte Elektro- nentransfer geht in die gleiche Richtung und fuhrt somit zu einern Nettotransfer negativer Ladung. 1st die Amplitude der zugehbrigen Nullpunktschwingung gron genug, ge- schieht die Ladungsubertragung spontan ohne externe An- regung. Jeder halbe Cyclus der Schwingung fiihrt zu einer lhnlichen Ladungsubertragung zwischen benachbarten Cu- Atomen.

Die Richtung der Ladungsiibertragung ist jedoch zufal- lig, da zu dem Zeitpunkt, an dem alle CuO-Abstande gleich sind, die Cu-Atome Pquivalent sind. Die Richtung eines Elektronentransfers hangt nicht von der des vorher-

gehenden ab, noch ist die Ubertragung in verschiedenen Teilen korreliert. Erst ein elektrisches Feld fuhrt zu einem ElektronenfluB. Gerichteter Transfer bedingt eine Verrin- gerung der Unordnung und damit auch der Entropie. Die- ser Mechanismus, der dem von vorgeschlagenen ahnelt, liefert eine Erklarung der Leitfahigkeit, jedoch nicht der Supraleitung.

--* 4-- --b +-- -- t * c * c

a' 0 0 0

0 0 0 t b * t t

0 0 b' 0 0 0

o-cu~-o-cu~o-cu; -o-cu~o-c" ; -o - 1, L Im I T In

I 0

0 0

c' 0 0 0 0 0

1-1 I n 1 17 1 I I C I I

o - c u ~ o - c u ~ o - c u - o - c u ~ o - c u e - o -

0 0 0 0 0

dl 0 0 0 0 0

7 I I r - 4 1-4 o-cu~o-cub-o-cuc-o - c u d - o - c u ~ o

1 1 0 0

I 0

1 0

I 0

Abb. I . Schrmatixhe Darwllung de, vorgcichlagenen Mechanimus I'iir Su- praleitung am Beispiel einer Kupferoxid-Kette. Die Unterschiede zwischen den CuO-Bindungslingen sind hetont.

Die zweite Schwingung (v2, unterbrochene Pfeile in Abb. la) fuhrt zu einem alternierenden Anwachsen und Verkiirzen des Abstandes zwischen Paaren benachbarter Cu-Atome. Sind die Abstlnde gerade dann verschieden lang, wenn vl die Cu-Atome gleichwertig werden IaRt, wird der Elektronentransfer bevorzugt zwischen Cu2-Paaren mit geringem Abstand stattfinden (Pfeile in Abb. Ic). Wenn die beiden Schwingungen v I und v2 gleiche Frequenz haben, werden die Cu-Cu-Abstande beim nachsten Elektronen- transfer umgekehrt sein, wodurch dieser die gleiche Rich- tung bekommt wie der vorhergehende (Abb. Id). Das Zu- sammenspiel beider Schwingungen fuhrt zu einern konti- nuierlichen ElektronenfluB, solange die Schwingungen synchronisiert bleiben. Die Erzeugung eines Stromflusses erfordert Energie, urn sowohl die Entropieabnahme als Folge der Synchronisation der Schwingungen zu kompen- sieren, als auch das zugehorige Magnetfeld aufzubauen. Nach einer Anfangsenergiezufuhr sollte der Strom dann aber verlustfrei flieBen.

Betrachten wir nun eine A-Schicht in YBCO, in der ab- wechselnd Cu" und Cu"' vorliegt (siehe Abb. 2). Die Git- terschwingung vI (vertikale Pfeile in Abb. 2) fuhrt zu einer

1314 0 VCH Verlagsgrsellscha~f mhH. 0-6940 Weinheim. 19x7 0044-X249/X7/1212-1314 $ 02.50/0 Angew. Chrtn. 99 f I V X 7 I Nr. I2

Page 3: Ein neuer Mechanismus für Supraleitung in Oxidkeramiken

Oszillation der Ladung zwischen benachbarten Cu-Ato- men in x-Richtung. DaB der Elektronentransfer dann in nur eine Richtung stattfindet, wird durch die Gitterschwin- gung v2 (horizontale Pfeile in Abb. 2) bewirkt. Wenn die Schwingungen ahnliche Frequenz haben und ihre Phasen- beziehung richtig ist, dann hat die Ladungsiibertragung bei jeder Schwingung fur alle x-(CuO),-Anordnungen im Kri- stall die gleiche Richtung. Sind die Schwingungen einmal synchronisiert, kann der Strom ohne weiteren AnstoB flie- Ben, Supraleitung ist erklart.

01 O t 01 O t

I I I I i O t 01 O t 01 O t

I I I I I

I- -I I- -I I- 0 - &+- 0 - &- 0 - &+- 0 - &+- 0 - &- 0 I I I I I

-I I - -I I- -I 0 - cC- 0 -c$- 0 - &- 0- c&+- 0 - CC-0

I I

k 1; 0-cu-0-CC-0-cu-0-CC-0 -cu-0

O t 01 01 O t 01

01 O t O t 01 O t

O t 01 I I I 01 O t 01

-I k --I

I I I O t 04 O t

\ I O t 01

Y

cx Abb. 2. Vorgeschlagener Mechdntsmus lur die Supraleitung in einer A- Schicht von YBCO (siehe Text).

Die Parallelen zum Jahn-Teller-Effekt sind augenfallig. In beiden Fallen fuhrt eine Gitterschwingung zu einer gro- Ben Anderung der elektronischen Wellenfunktion, und die Born-Oppenheimer-Naherung ist nicht mehr anwendbar. Auch kann keine der beiden Schwingungen allein auf ,,klassische" Weise behandelt werden, da dies eine Tren- nung von elektronischen und nuclearen Variablen in den zugehorigen Wellenfunktionen voraussetzt. Der hier be- schriebene Leitungsmechanismus kann deshalb mit der konventionellen Bandtheorie nicht behandelt werden. Die Bewegungen von Elektronen und Atomkernen sind aber im supraleitenden Zustand stark gekoppelt. Damit der vor- geschlagene Mechanismus funktioniert, miissen v, und v, exakt synchronisiert sein. Da beide Schwingungen ahnlich sind, wiirde man in einem klassischen Modell ahnliche, aber nicht gleiche Frequenzen erwarten. Die starke Elek- tron-Phonon-Wechselwirkung sollte die Schwingungen zur Resonanz bringen. Es sei nochmals betont, daB keine Energie notig ist, um die Resonanz aufrechtzuerhalten, sondern lediglich um diesen Zustand zu erreichen.

Bei diesem Mechanismus der Supraleitung ist nur die Bewegung einzelner Elektronen entlang h e a r e r CuO-An- ordnungen entscheidend. Es ist moglich, daB in YBCO Elektronen benachbarter A-Schichten gekoppelt sind und der Elektronentransfer paarweise stattfindet (Elektronen- paar-Hopping). Darin scheint jedoch kein besonderer Vor- teil zu liegen, weil fur den Mechanismus entscheidend ist, daB sich alle Elektronen im gesamten Kristall ,,konzer- tiert" bewegen. Selbst wenn Elektronenpaare beteiligt sein sollten, waren diese nicht mit den Cooper-Paaren der BCS-Theorie vergleichbar.

Im hier vorgeschlagenen Mechanismus der Supraleitung kann diese nur unterbrochen werden, wenn die Phasenbe- ziehung zwischen v , und v2 durch andere Gitterschwingun- gen zerstort wird. Kann dies durch andere Nullpunkt- schwingungen bewirkt werden, ist das Material kein Su- praleiter. Bei Supraleitern mu13 es Schwingungsmoden ho- herer Frequenz geben, deren Wellenlangen kurzwelligen Schwingungen, die an der Supraleitung beteiligt sind (siehe Abb. 2) ahneln. Damit sind auch die Anregungs- energien sehr hoch (Frequenzen an der oberen Kante des OK-Phononenbandes), und entsprechend hoch ist die Temperatur, die zur Anregung benotigt wird. Die hohe Sprungtemperatur von YBCO, die mit der BCS-Theorie nur unzureichend erklart werden kann, kann mit dem hier prlsentierten Mechanismus unmittelbar verstanden wer- den. Selbst Supraleitung oberhalb 90 K wiirde ins Bild passen. Die Sprungtemperatur hangt nicht nur von der Energie der storenden Schwingungsmoden ab, sondern auch davon, wie leicht v I und v2 entkoppelt werden kon- nen. Dies sollte von den Frequenzen im nichtgekoppelten Zustand abhangen. Auch die bemerkenswerte Unempfind- lichkeit von YBCO gegenuber Magnetfeldern laBt sich verstehen: Da ein Magnetfeld die Schwindungsfrequenzen eines Kristalls nicht merklich andert, ist der EinfluB auf die Supraleitung nur gering. Oberhalb der kritischen Tem- peratur, wenn die Elektron-Zwei-Phononen-Wechselwir- kung unterbrochen ist, zeigen diese Materialien kein unge- wohnliches Verhalten. YBCO ist bei hbheren Temperatu- ren ein schlechtes Metall.

Unverstanden und mit der BCS-Theorie nicht erklarbar ist bei YBCO auch die Unempfindlichkeit der Sptungtem- peratur gegenuber '60/IBO-Isotopenaustausch. Beim hier prasentierten Mechanismus ist dieser Befund nicht uber- raschend, da der '60/I*O-Austausch die kritischen Schwingungsfrequenzen in vergleichbarem AusmaB an- dert. Um Supraleitung zu ermoglichen, miissen die Fre- quenzen nur ahnlich sein, die absoluten Werte sind unbe- deutend.

Die Anwendbarkeit des hier vorgestellten Mechanismus ist nicht auf Kupferverbindungen beschrankt. Im Kristall mu13 lediglich eine lineare Anordnung von Metallatomen in zwei Valenzstufen existieren, so daB ein Zusammenspiel von zwei Gitterschwingungen zu Leitung durch gerichtetes Elektron-Hopping fuhrt. Bei den Bismutoxid-Supralei- terni6' konnte - unter Beteiligung von Bill'- und Bi"-Zen- tren - ein analoger Mechanismus wirksam sein (vgl. I5l). Es ist auch nicht unbedingt notwendig, daB die Valenzzu- stande alternieren; der Mechanismus funktioniert noch, wenn z. B. in YBCO nur jedes dritte Cu-Atom in jeder A- Schicht Cu"' ware. Die Wellenlange der beiden relevanten Schwingungen im Kristall waren dann jedoch eineinhalb- ma1 grol3er und die Energien zur Anregung der Stor- schwingungen entsprechend niedriger. YBCO-Materialien der Zusammensetzung YBa2Cu307-,v (x> 0) sind zwar noch supraleitend, doch sinkt die Sprungtemperatur mit zunehmendem x.

Zum SchluB ein Vorschlag, wie der von mir prasentierte Mechanismus experimentell gepriift werden konnte: Da die Sprungtemperatur durch die Anregung spezifischer Storschwingungen festgelegt ist, konnte die Supraleitung durch Einstrahlung geeigneter Frequenz unterhalb der Sprungtemperatur (IR-Laser) unterbrochen werden.

Eingegangen am 20. August, veranderte Fassung am 25. September 1987 [Z 24071

[I] K. A. Miiller, J. G. Bednorz, Proc. Nafl . Aead. Sci. USA 84 (1987) 4678. [2] C . W. Chu, Proc. Nofl . Acad. Sci. USA 84 (1987) 4681.

Angew. Cliem. 99 (1987) Nr. 12 0 VCH Verlagsgesellschaft mbH. 0-6940 Weinheim. 1987 0044-8249/87/1212-1315 0 02.50/0 1315

Page 4: Ein neuer Mechanismus für Supraleitung in Oxidkeramiken

[3I W. Buckel: Supraleirung. Gmndlayen und Anwendung. Physik Verlag,

(4) H . Steinfink, J . S. Swinnea, Z . T. Sui, H. M. Hsu, J. EL Goodenough. J.

[Sl A. Simon, Angew. Chem. 99 (1987) 602: Angew. Chem. Inr. Ed. Engl. 26

[61 A. W. Sleight, J. L. Gilsson. P. E. Bierstedt, Solid Sfare Cummun. 17

Weinheim 1977.

Am. Chem. Soc. 109 (1987) 3348.

(1987) 579.

(1975) 27.

Supraleitung - eine neue Klassifizierung der chemischen Bindung im Festkorper lafit ihr Auftreten verstehen** Von Werner Urland *

Bei der chemischen Bindung im Festkorper unterschei- det man zwischen lonen-, Atom- und Metallbindung. Ver- bindungen werden nach diesen Bindungen und deren Ubergange eingeteilt"', wobei eine triangulare Auftragung entsprechend den Phasendiagrammen ternarer Systeme zweckmafiig ist1'I. Hier wird eine neue Klassifizierung der chemischen Bindung im Festkorper vorgestellt, die das Auftreten von Supraleitung1'I verstehen lafit. Die Uberle- genheit der neuen Klassifizierung, die sich nicht an das Pe- riodensystem anlehnt, driickt sich noch darin aus, da13 auch zwischenmolekulare Bindungen und neben den elek- trischen auch die magnetischen Eigenschaften der Festkor- per beriicksichtigt werden. Die vorgestellte Klassifizierung ist eine konsequente Weiterentwicklung der Vorstellungen von Anderson'41 und Woolleyfsl.

Die Bindungsenergie und damit die chemische Bindung im Festkorper wird im wesentlichen durch Delokalisation, Korrelation und Lokalisation von s-, p- und d-Elektronen mit den Jeweiligen Energiebeitragen EKor und ELok bestimrnt.

Ekl bedeutet die Summe der Energien der Elektronen, die sich mit einem bestimmten Impuls (h /2n)k bewegen (itinerante Elektronen mit der Energie E(k)) und ergibt sich theoretisch als Einelektronen-Problem nach der Ban- dertheorie. Die Breite des zugehorigen nicht vollstlndig besetzten Bandes kann als MaB fur die GroOe von ED,' an- gesehen werden und nimmt mit der Starke der Uberlap- pung der Orbitale der einzelnen Atome zu. Bei freien Elek- tronen ist Elk, gleich der kinetischen Energie der Elektro- nen.

EKor ist die Energie fur die spinabhangige Elektron- Elektron-Wechselwirkung. Sie tragt der Tatsache Rech- nung, daO sich die gleichgeladenen Elektronen aus dem Wege gehen und fiihrt nach der ersten Hundschen Regel bei Atomen oder isolierten lonen zur ,,high spin"-Anord- nung und damit zu Paramagnetismus. Die theoretische Be- handlung des Paramagnetismus erfolgt nach verschiede- nen Versionen des Formalismus der Ligandenfeldtheorie, z. B. nach dem Ang~lar-Overlap-Modell~~~~~. EKor fuhrt bei Festkorperverbindungen mit mehr oder minder starker Uberlappung von Atomorbitalen - beginnende Delokalisa- tion und damit Zunahme des Verhaltnisses EDeI/EKor - zur magnetischen Wechselwirkung und dem Auftreten koope- rativer magnetischer Phanomene, z. B. Antiferromagnetis- mus, Ferromagnetismus oder auch Spindichtewellen. Der Antiferromagnetismus laRt sich dabei nach dem Formalis- mus des Superaustauschs beschreiben, der mit EDeI/EK0, anwach~t'~I. Eine starke Zunahme der Uberlappung der Atomorbitale (starker Anstieg von EDcl/EKor) ist schlieB-

['I Prof. Dr. W. Urland lnstitut fur Anorganische Chemie der Universitat CallinstraDe 9, D-3000 Hannover I

["I Diese Arbeit wurde vom Fonds der Chemischen Industrie gefordert.

lich mit einem so groBen Gewinn an kinetischer Energie der Elektronen verbunden, da13 die AbstoRungsenergie der sich naher kommenden Elektronen iiberwunden wird und es zu einer volligen Delokalisierung kommt.

ELok bedeutet die Elektron-Phonon-Wechselwirkungs- energie (vibronische Kopplungsenergie). 1st sie grofier als EDel, so kommt es zu einer Lokalisation der Elektronen, wobei aus den delokalisierten (itineranten) Elektronen Elektronenpaare mit antiparallelem Spin werden. Stellt man sich hypothetisches Wasserstoffmetall mit einem halbgefiillten 1s-Band vor, so kommt es bei starker Elek- tron-Phonon-Wechselwirkung zu einer Peierls-Verzerrung unter Bildung von H I lH-Molekulen, die durch zwischen- molekulare Bindung zusammengehalten werdenf8I. (Die Peierls-Verzerrung entspricht der bekannten Jahn-Teller- Verzerrung in der Komplexchemie.) Die aufgrund der Peierls-Verzerrung gebildeten Elektronenpaare sind die Elektronenpaare der kovalenten Bindung in der Molekul- chemie. Bei Beriicksichtigung der Peierls-Instabilitat las- sen sich Bindung und Struktur von Elementen und Verbin- dungen verstehen, wie beispielsweise P (schwarz), As, Sb, Bi, P-Sn, C (Diamant), NaCl und (SN)P9I. Neben der an H2 gezeigten Lokalisierung eines Elektronenpaares infolge einer Dimerisierung aufgrund der Elektron-Phonon-Kopp- lung ist auch eine Lokalisierung infolge einer inneren Disproportionierung bei linearen Metall-Anion-Metall- Baugruppen moglich, die zu gemischtvalenten Verbin- dungen fuhrt, wie beispielsweise (Ag'Ag"')02110, "I,

Ba2(Bi"'BiV)0~121 oder CS~(AU'AU'' ')CI,[ '~~.

'Del

CUO ' A 9 0 lsolatoren + Halbleiter

! damocJ-lE+Ech pomiTKlgnetisch / ! MCl .I_ - Sph- Peierk- Ubergang

"High spin-low spin'! Gbcrgang d b

-

ELok

Ahh. I. ,,Phasendiagramrn der chemiachen Bindung im Festkorper" zum VerstBndnis des Auftretens von Supraleitung. (Ungefshre Werte fur t in den Formeln sind im Text angegeben.)

Die chemische Bindung im Festkorper wird nun neu nach den Energien ED,', EKor und ELok und deren Uber- gangen klassifiziert. Die Einteilung lafit sich wieder in Form eines gleichseitigen Dreiecks darstellen, wobei die drei Energien die Ecken bilden (vgl. Abb. I). In dieses ,,Phasendiagramm" lassen sich nun feste Elemente und Verbindungen (bei Atmospharendruck) entsprechend der

1316 0 VCH Verlagsge.~eIlschaff mhH. 0-6940 Weinheim. 1987 0044-8249/87/12/2-1316 0 02.50/0 Angew. Chem. 99 (1987) Nr. I2