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MAGAZIN 2 | 15 Ein- und Ausblicke rund um das LSO – Oktober 2015 Die Renaissance der Klavierimprovisation | Im Fokus: Das Violoncello | Busoni im Schweizer Exil | Der jüdischen Seele abgelauscht

Ein- und Ausblicke rund um das LSO –Oktober 2015 MAG …...Ballett «Belkis» zurück, das die Begegnung mit der sagenhaften Königin von Saba thematisiert. Überhaupt nimmt das

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  • MAGAZIN 2|15Ein- und Ausblicke rund um das LSO – Oktober 2015

    Die Renaissance der Klavierimprovisation | Im Fokus: Das Violoncello | Busoni im Schweizer Exil |Der jüdischen Seele abgelauscht

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    Liebe Leserinnen und Leser Liebe Freunde des Luzerner Sinfonieorchesters

    Das Thema könnte aktueller nicht sein: die Schweiz als Gastland. Richard Wag-ner fand hier – in Zürich, später in Luzern – eine neue Heimat, und hier hat ervielseitig gewirkt, als Komponist, Dirigent und Erneuerer der Konzertszene. MitWagners «Ring ohne Worte» eröffnen wir die Konzertsaison des Luzerner Sinfo-nieorchesters. Auch Ferruccio Busoni verbrachte wichtige Jahre im SchweizerExil. Ihm widmen wir einen besonderen programmatischen Schwerpunkt, wobeials Höhepunkt sein monumentales Klavierkonzert mit Männerchor zur Auffüh-rung gelangen wird.

    Zurück in die Zeiten des biblischen Königs Salomo führt uns der Meistercellist Gautier Capuçon mit Er-nest Blochs «Schelomo», einer hebräischen Rhapsodie, die auf traditionellen jüdischen Gesängen und ori-entalischem Melos fusst. Ebenfalls auf Salomo griff der Italiener Ottorino Respighi in seinem aufwendigenBallett «Belkis» zurück, das die Begegnung mit der sagenhaften Königin von Saba thematisiert. Überhauptnimmt das Violoncello als Soloinstrument in dieser Saison einen besonderen Platz ein: Neben Gautier Ca-puçon werden Sie Christian Poltéra, Steven Isserlis, Antonio Meneses und Truls Mørk erleben.Passend zu diesem Reigen von Ausnahmecellisten fügt es sich, dass der diesjährige Arthur Waser Preis anden jungen französischen Cellisten Edgar Moreau vergeben wurde. Im Dezember wird er mit SchumannsCellokonzert sein Debüt mit dem Luzerner Sinfonieorchester geben.

    Die Rückbesinnung auf die historischen Begebenheiten im Musikleben früherer Jahrhunderte hat nichtzuletzt gezeigt, dass die Improvisationskunst damals eine tragende Rolle spielte. Umso erfreulicher ist es,dass man sich heute wieder auf diese Kunst besinnt. Im zweiten Neujahrskonzert improvisiert die venezo-lanische Pianistin Gabriela Montero über Themen, die Sie als Konzertbesucher vorgeben können.

    Ganz am Puls der heutigen Zeit, setzt das Luzerner Sinfonieorchester sein Engagement für die zeitgenös-sische Musik mit Uraufführungen der Schweizerin Katharina Rosenberger und des jungen Deutschen JanEsra Kuhl fort.

    Mit grosser Freude blicken wir unseren Konzertauftritten in Luzern entgegen wie auch unserem Gastspielin Amsterdam, wo wir im Januar 2016 zum zweiten Mal im Königlichen Concertgebouw auftreten werden.

    Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre und freue mich auf schöne Begegnungen mit Ihnen.

    IhrNuma Bischof UllmannIntendant Luzerner Sinfonieorchester

    LSO Magazin 2 |15 – Oktober 2015 – 10. AusgabeImpressumHerausgeber: Luzerner Sinfonieorchester LSO | Pilatusstrasse 18 | 6003 Luzern | [email protected] | www.sinfonieorchester.chRedaktion: Diana Lehnert | Konzeption & Marketing: Diana Lehnert, Norman ZiswilerBildnachweise: Titelbild: Christian Flierl | S. 2 privat | S. 3 Richard-Wagner Museum Luzern | S. 5 Shelly Mosman | S. 6 J.-P. Echard, Musée de la musiqueParis | S. 8 Michael Schwarzkopf | S. 11 Edward Poynter 1836 – 1919, Art Gallery of New South Wales | S. 12 Katharina Rosenberger | Jan Esra Kuhl S. 13 Hagia Sophia via Wikimedia Commons | S. 14 Diana Lehnert Gestaltung: WOMM | Druck: Multicolor Print AG | Auflage: 2500 Ex.Redaktionsschluss: 1.9.2015 | Änderungen vorbehalten | 2015 Luzerner Sinfonieorchester

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    Als Vertriebener suchte Richard Wagner zweimal in seinem Le-ben in der Schweiz Zuflucht. Nach Zürich floh er 1848, weil ersich in Dresden an der Revolution beteiligt hatte und steckbrief-lich gesucht wurde. In Luzern installierte er sich 1866 aufgrundder Aufruhr, die sein aussereheliches Verhältnis zu Cosima vonBülow am Hof seines Mäzens, des Königs Ludwig II. in Mün-chen ausgelöst hatte. Dass er zwangsmässig seiner Heimatfernbleiben musste, betrübte Wagner gerade in den ZürcherJahren. Seine Äusserungen lassen allerdings auch daraufschliessen, dass er sich in diesen Jahren nicht nur in derSchweiz verliebte – in Zürich begegnete er Mathilde Wesen-donck und sah auch Franz Liszts Tochter Cosima zum erstenMal –, sondern auch in die Schweiz. Zeugnisse belegen, dass dieSchweiz für ihn eine Quelle der Inspiration war. Oft unternahmer anspruchsvolle Gebirgswanderungen, die seine Phantasieanregten. Auf einer Italienreise schrieb er in sein Tagebuch:«Lasst mich noch die Werke schaffen, die ich dort empfing, imruhigen, herrlichen Schweizerlande, dort mit dem Blick auf dieerhabenen, goldbekränzten Berge: es sind Wunderwerke, undnirgends sonst hätte ich sie empfangen können.»Wie aber fügte sich Wagner in das hiesige Musikleben ein?Über das dürftige Angebot der Kleinstadt Zürich, wo Wagnermit «Aussicht auf die schneebedeckten Alpengebirge» lebte,äusserte sich der Komponist mehrmals abwertend. Doch wo-möglich weckte gerade diese Not seinen Unternehmergeist. Je-denfalls brachte er immer wieder engagiert Vorschläge zur Ver-besserung des Musiklebens ein. Wagner führte Innovationen

    wie im Voraus gedruckte Programmnotizen für das Publikumein und begründete die neue Form des Sinfoniekonzertes mitOuvertüre, Konzert und Sinfonie. Hier träumte er zum erstenMal von einem «dramatischen Musikfest»: Er wollte auf einerWiese «von Brett und Balken» ein «rohes Theater» aufstellenlassen, auf dem in einer Woche drei Aufführungen stattfindensollten – die Idee der Bayreuther Festspiele war geboren! Wie seine Anwesenheit sich auf das Orchester der AllgemeinenMusikgesellschaft auswirkte, lässt sich an den Zahlen ablesen:1849 zählte es fünf Geigen, eine Bratsche, ein Cello, einen Kon-trabass und 13 Holzbläser, fünf Jahre später gleich doppelt soviele. Wagners Debüt mit Ludwig van Beethovens Siebter Sinfo-nie war so erfolgreich, dass er in der Folge wählen konnte, waser wann dirigieren wollte. Unbestrittener Höhepunkt seinesWirkens als Dirigent in Zürich waren indessen die drei Konzer-te im Mai 1853 mit Auszügen aus seinen Opern «Rienzi», «Derfliegende Holländer», «Tannhäuser» und «Lohengrin». Wagnerliess zur Verstärkung des Orchesters etliche Musiker aus nähe-ren und ferneren Städten anreisen. Das Resultat: Das Publikumtrug ihn «auf den Händen».1866 fand Wagner in Tribschen bei Luzern eine neue Bleibe,nachdem sein Verhältnis mit der verheirateten Cosima von Bü-low am Hof in München zunächst zu Einwänden, nach einerRücktrittsdrohung des Kabinetts gar zu einer Regierungskrisegeführt hatte. Nachdem sich Cosima und Hans von Bülow ge-trennt hatten, war der Weg für einen idyllischen Lebensalltag inTribschen geebnet. Bis zur Abreise im Jahr 1872 arbeitete Wag-ner hier in einem geordneten Arbeitsalltag. Hier hatte er es sichgemütlich gemacht. Hier lebte er mit seiner Familie mitsamtHaustieren, darunter der Neufundländer Russ und Cosimasbeiden Pfauen Wotan und Fricka – eine glückliche, inspirieren-de Zeit.

    «Mit dem Blick auf die erhabenen,goldbekränzten Berge»Richard Wagner hat in seinem Schweizer Exil nicht nur Texte geschrieben und komponiert,sondern auch mit aller Kraft versucht, das Konzertleben aufzufrischen. | MICHELLE ZIEGLER

    Saisoneröffnung – Der «Ring» ohne WorteMittwoch, 14. und Donnerstag, 15. Oktober 2015 | 19.30 Uhr KKL Luzern, Konzertsaal Luzerner Sinfonieorchester LSO James Gaffigan, Chefdirigent | Nelson Freire, Klavier Sergej Rachmaninoff (1873– 1943) Konzert für Klavier und Orchester Nr. 4 g-Moll op. 40Richard Wagner (1813– 1883)Der «Ring» ohne Worte (arr. von Lorin Maazel)

    Michelle Ziegler arbeitet als Musikwissenschaftlerin und freischaffende Musikpublizistin u.a. für die «Neue Zürcher Zeitung» und ist als Kuratorin inverschiedene Projekte involviert.

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    Nichts ist vor ihr sicher. Ein deutscher Schlager oder der Anfangaus Schumanns Rheinischer Sinfonie, die Aria aus Bachs Gold-berg-Variationen oder ein Chanson von Piaf – das Publikum magdie Themen noch so ungefähr wiedergeben, Gabriela Monteroentziffert deren Kern und legt nach einer Konzentrationspauselos. Aus Bachs berühmter Aria, der Wurzel der Goldberg-Varia-tionen, entspinnt sich zunächst eine am französischen Impres-sionismus angelehnte Introduktion. Dann tastet sich die Musikin eine verrauchte Bar der 1920er Jahre vor und landet schliess-lich im gepflegten Easy Listening.Was geht hier vor? Die Pianistin spielt aus dem Stegreif ohneNoten und schöpft während des Improvisierens aus einer un-sichtbaren Quelle. Scheinbar unvorbereitet, wie die Herkunftdes Wortes aus dem Lateinischen («ex improviso») irrtümlicher-weise glauben macht. Eine konsistente Improvisation setzt imGegenteil sehr viel voraus. So greifen Improvisierende meist aufbestimmte stilistische Formeln zurück, die sie im Zuge jahrelan-gen Umgangs mit Musik unterschiedlicher Epochen verinner-licht haben und abrufen können. Sie spielen sich entlang spezi-fischer Ausformungen von Harmonik, Melodik und Rhythmusund entfernen sich unterschiedlich weit vom Ausgangspunkt.Das eingeweihte Publikum freut sich, wenn es «nach Bach»klingt und sich ein kontrapunktisches Geflecht im Stil der Fugeentfaltet. Soll Mozart ins Spiel kommen, darf der sogenannte Al-berti-Bass in der Begleitung nicht fehlen, wie er etwa den Beginnder populären Sonata facile prägt. Die Töne der Akkorde werdennacheinander gespielt, eingebürgert hat sich dabei DomenicoAlbertis Schema der Reihenfolge «tiefster, höchster, mittlerer,höchster» Ton.

    Improvisieren war selbstverständlichDas Improvisieren war im 17. und 18. Jahrhundert Teil jedergründlichen musikalischen Ausbildung. Wer ein Tasteninstru-ment spielte, musste die improvisatorische Technik des General-basses beherrschen. Notiert war lediglich eine Bassstimme, be-ziffert mit Zahlen, die das jeweilige Intervall bezeichneten, dasvom Basston aus zusätzlich zu greifen war. Daraus ergaben sichAkkorde, deren Oberstimme, Dichte und Verzierungen nicht ge-

    nau festgelegt waren und von der Persönlichkeit des Spielers ge-prägt wurden. Wie zentral diese Funktion im Zusammenspielmit den anderen Instrumenten war, illustriert der Begriff «Gene-ralbasszeitalter», das die Epoche zwischen 1600 und 1750 um-reisst und gleichzeitig die Blütezeit der Improvisation war. Kom-ponisten wie Jan Pieterszoon Sweelinck, Girolamo Frescobaldi,Dietrich Buxtehude und Johann Sebastian Bach waren auch her-vorragende Improvisatoren.

    Der Abstieg in den SalonIm 19. Jahrhundert wuchs der Widerstand gegen den Interpre-ten, der sich gegenüber der Partitur improvisatorische Freihei-ten herausnahm. Instrumentale und vokale Kadenzen wurdenimmer seltener improvisiert, der Komponist trat stattdessen aufden Plan und unterwarf auch die Solokadenz der Kontrolledurch den Autor. Die Improvisation, von Klaviervirtuosen wieClara Wieck und Franz Liszt noch einmal zur Blüte gebracht,verlagerte sich schliesslich in die Salons. Dort war es üblich, miteinem improvisierten Präludium einzusteigen und erst dannkomponierte Stücke zum Besten zu geben. Mit dem Niedergangdes Salons als gesellschaftlicher Ort starb auch die öffentlicheImprovisation.

    Improvisation als ProvokationDer Jazz und seine Pioniere brachten die Praxis ins 20. Jahrhun-dert zurück. Mit ihr die Wertschätzung einer Kompetenz, die imKlassikbetrieb keinen Platz hatte. Der Pianist Friedrich Guldagalt als Provokateur, weil er sich auch als Jazzmusiker und Im-provisator verstand. 1972 sorgte er mitten im FestspielglamourSalzburgs für Aufruhr. Unweit des Festspielhauses, im Hof desBürgerspitals, inszenierte er zusammen mit Paul und LimpeFuchs ein Gegenprogramm: die «totale Improvisation». Statt«Geräusche aus der Seele» zu produzieren (so Gulda über Mo-zart), praktizierte das Trio Anima ungehörige Klänge, laut undsperrig, stundenlang. «Zwei Ignoranten und ein Wahnsinni-ger!» kommentierte ein Festspielbesucher das «Strassenthea-ter», während ein Ehepaar im Trachtenlook fragte: «Ist das nochdie Probe oder schon die Aufführung?»

    Renaissance und Magieder KlavierimprovisationWas der Preussenkönig einst von Bach verlangte, ist heute wieder angesagt: ausgehend voneinem Thema frei zu improvisieren. Die Improvisationskunst in der Klassik ist zurück. Ne-ben Instrumenten wie Orgel und Cembalo, einst die Pfeiler im Generalbasszeitalter, bringtsich neuerdings der Konzertflügel in Position. | CORINNE HOLTZ

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    Zurück im Konzertsaal Inzwischen hat sich die Improvisation im Konzertsaal zurückge-meldet. Das Terrain haben Ensembles aus dem Crossover-Be-reich bereitet, darunter etwa die Pionierin und LautenistinChristina Pluhar, die im Projekt L’Arpeggiata seit 2000 hervorra-gende Interpreten und Interpretinnen versammelt. Diese sindmehrheitlich in der klassischen Musik gross geworden, verfü-gen über eine makellose Technik und spielen sich in den wir-kungsmächtigen Arrangements jeweils regelrecht in Trance.Auch das Klavier holt auf. Die Spitzenplätze belegen Fazil Sayund Gabriela Montero, die mit ihrem Markenzeichen weltweitErfolge feiern und es ausserdem wagen, mit unzeitgemässenKompositionen an die Öffentlichkeit zu treten.Am Anfang steht meist eine Lehrperson, die ein Kind zum Im-provisieren ermutigt, sagt Fazil Say. Statt ausschliesslich Ein-spielübungen oder Etüden zu absolvieren, lasse man sich vonden Eindrücken und Beobachtungen aus dem Alltag inspirieren.Gabriela Montero musste sich das Improvisieren regelrecht er-kämpfen. Gegen den Willen ihrer Lehrmeisterinnen pflegte dieVenezolanerin ihre Leidenschaft im Geheimen, schliesslich ge-riet sie in eine Sinnkrise und schöpfte im Rahmen einer «Be-rufs- und Lebensberatung» bei Martha Argerich Kraft, als Pianis-tin neu anzufangen.

    Improvisationen zum Neuen Jahr – NeujahrskonzertSamstag, 2. Januar 2016 | 11.00 Uhr | KKL Luzern, Konzertsaal Luzerner Sinfonieorchester LSO | James Gaffigan, Chefdirigent Gabriela Montero, Klavier Wolfgang Amadeus Mozart (1756 – 1791)Ballettmusik aus der Oper «Idomeneo»Wolfgang Amadeus MozartKonzert für Klavier und Orchester Nr. 20 d-Moll KV 466Improvisationen mit Gabriela Montero, dem Luzerner Sinfonieorchester und dem Publikum

    Corinne Holtz, Dr. phil., ist Musikerin und Musikpublizistin und lebt in Zürich, www.corinneholtz.ch.

    «Improvisieren macht einen grossen Teil meiner selbst aus. Esist der natürlichste und spontanste Weg, mich auszudrücken.»Seit 2011 wird dieser Überzeugung auch in ihren AuftrittenRechnung getragen. Am Ende eines konventionellen Pro-gramms folgt, worauf manche im Publikum warten. Die Musi-kerin kreiert aus einem vorgegebenen Thema Musik und Form,die aus dem Augenblick heraus entsteht. Das erzeugt eine Un-mittelbarkeit, die im Zeitalter digitaler Datenströme eine Magieeigenen Zuschnitts entfaltet und das Publikum in den Bannzieht.

    Gabriela Montero

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    … und wenn es die Geiger gewesen wären, die den Terminus der«Schulen» und deren Unterschiede in die Welt gesetzt hätten?Noch immer reden sie vom russischen und vom franko-belgi-schen Bogengriff. Seit dem eminenten Geigenlehrer Ivan Gala-mian werden heute auch Mischformen angewandt, um die bei-den Techniken zur Klangerzeugung zu vereinen. Es geht dabeieindeutig um die Einordnung des unterschiedlichen Klangcha-rakters und dessen Erzeugungsmechanismus. Scheinbar analo-ge Klassifizierungen haben sich irgendwann auch in der Cellis-tenwelt etabliert. Man fing an, von einer russischen, einer deut-schen, ungarischen, belgischen oder französischen Schule zusprechen, wahrscheinlich um damit die Überlegenheit der einenüber die andere aufgrund ihrer virtuosen Protagonisten auszu-drücken. Die ersten Spieler eines neuartigen Instrumentes, zuerst Violon-cino genannt, also kleiner Bass – noch Mozart bezeichnete dasCello als das «Bass’l» – ,findet man natürlich im Land und in derZeit dieser Erfindung, also in Italien der zweiten Hälfte des 17.Jahrhunderts. Zur Blütezeit von Antonio Stradivari lebte derglorreiche Francesco Alborea, von Scarlatti als «Francischielloder Engelhafte» bezeichnet. Ihm schreibt man die Anwendungdes Daumenaufsatzes zu, ohne die gewisse Passagen in VivaldisCellokonzerten nicht ausführbar wären. Viele Namen tauchenauf bis zum genialen Luigi Boccherini, geboren 1743. Ohne die-sen überragenden Cellomeister wäre die Geschichte des Cello-spiels anders und langsamer verlaufen. Weder die Gebrüder Du-port hätten auf seiner technischen Errungenschaft, lange Passa-gen in einer festen Daumenlage spielen zu lassen, aufbauen,noch hätte später Bernhard Romberg den phänomenalen Me-chanismus seiner linken Hand perfektionieren können.

    Als eigentlicher Begründer der französischen Celloschule giltMartin Berteau, ein ehemaliger Gambenvirtuose. Nach intensi-vem Studium bei dem berühmten Francischiello wurde er einhervorragender Cellolehrer. In seiner Klasse am Conservatoirein Paris finden wir bereits die klingenden Namen von Cupis, Jan-son, Tillière, Bréval. Doch erst mit seinem hervorragenden Schü-ler Jean-Pierre Duport (1741 – 1818) wurde die prägende Figur ge-schaffen. Dieser unterrichtete seinen ebenfalls hochbegabtenjüngeren Bruder Jean-Louis (1749 –1819); ihnen beiden oblag es

    L’Ecole française de violoncelleDas Violoncello nimmt in der Saison 2015/16 einen besonderen Platz ein. Sechs ausserge-wöhnliche Cellisten sind zu Gast beim Luzerner Sinfonieorchester, darunter der Gewinnerdes diesjährigen Arthur Waser Preises, Edgar Moreau. Wie haben sich das Cellospiel undinsbesondere die französische Celloschule entwickelt? | WALTER GRIMMER

    Porträt Jean-Louis Duport, le Cadet genannt, von Rémi-Furcy Descarsin. Sammlung des Musée de la musique, Paris. Foto : J.-P. Echard

    «Le violoncelle est un instrument chantant, n’est-ce pas!» Pierre Fournier

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    später, die vielen letztlich untauglichen Methoden, die bis dahinim deutschen und im französischen Sprachraum erschienen wa-ren, durch ein neues und systematisiertes Fingersatz-Konzeptauf dem Cello zu ersetzen. Vor allem auch die Lehre der rationel-len Bogenführung wurde in vollkommener Kenntnis der physio-logischen Gegebenheiten verfasst. Frankreich, das als letztesLand Europas die Viola da Gamba verabschiedete, um dem Vio-loncello die Tür zu öffnen, lieferte gleich als Erstes die intelligen-te, allen anderen überlegene «Methode», die bis heute ihrenüberragenden pädagogischen Wert behalten hat. Bescheidener-weise erschien das epochale Werk Jean-Louis Duports 1804 un-ter dem Titel «Essai sur le doigté du violoncelle et sur la conduitede l’archet, dédié aux professeurs de violoncelle». Er erwähnt imVorwort, dass es kein Detail in diesem Werk gebe, das er nichtseinem älteren Bruder «und ewigen Lehrer» zur Begutachtungvorgelegt habe. In den beiden Kapiteln «De l’égalité du son, de ses nuances et del’expression» und «Considérations sur l’égalité du son et sur lavoix que l’on tire de l’instrument» liefert Duport nicht nur dietechnischen Grundgedanken zur Vervollkommnung des ge-sanglichen Spiels, sondern evoziert überhaupt das französischeVerständnis des Cellospiels, das bis in die zweite Hälfte des 20.Jahrhunderts diese ihm eigene Qualität bewahren konnte. Bei al-len der bedeutendsten Nachfolger Duports kann man die melo-dische Eleganz ihrer Spielweise aufgrund ihrer Cello-Komposi-tionen nachweisen. Als Pars pro Toto sei hier nur das Œuvre vonAuguste-Joseph Franchomme, dem Widmungsträger der Cello-sonate von Chopin, erwähnt. Noch Pierre Fournier plädierte ineinem Lehrfilm ausdrücklich für ein singendes Cello: «Le vio-loncelle est un instrument chantant, n’est-ce pas!»Jules Loeb, ein passionierter Arrangeur, Louis R. Feuillard, derin seinen «Exercices Journaliers» noch lange weiterleben wird,und Paul Bazelaire, ein unermüdlicher Pädagoge, waren alle inder ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts wichtige Professorenund grosse Persönlichkeiten. Ihnen verdanken Maurice Maré-chal, Reine Flachot, Etienne Pasquier und Guy Fallot ihr Könnenund ihre Entwicklung. Eine ganz aussergewöhnliche Konstella-tion von vier Hochbegabten wuchs in der ersten Hälfte des 20.Jahrhunderts heran. Sie kamen alle aus der Talentschmiede desPariser Conservatoire. Zwischen 1906 und 1920 geboren, warenes Pierre Fournier, André Navarra, Paul Tortelier und MauriceGendron. Einmalig war ihre starke künstlerische Unabhängig-keit, die sich trotz ähnlicher Herkunft und gleicher Ausbildungin völlig verschiedenen Auffassungen und Wiedergaben äusser-te, ein eigentlicher Triumph der französischen nationalen Aus-bildungstradition! Alle vier lehrten zeitweilig an der Schule, dersie ihre eigene Ausbildung verdanken. Ihre Prominenz ist im-mer noch ungebrochen, und dank der Tonträger kann man sichjederzeit der eleganten Schönheit ihres Spiels hingeben.Da in Frankreich bis heute eine weitgehende Hegemonie an denKonservatorien herrscht, ist das Lehrkonzept bis vor Kurzemkaum je wesentlich angetastet worden. Die kurze Lehrtätigkeitvon Bernhard Romberg und die längere von Sebastian Lee habenrückblickend nur einen episodischen Charakter; die Überlegen-heit und die Logik von Duports Vermächtnis, dem auch heutenoch alle Eleven verpflichtet sind, erweist sich als unabdingbareskulturelles Erbe. Der so typisch «französische», schlackenfreie,und in jedem Moment auf jedem Bogenabschnitt dynamisch

    lenkbare Ton ist ein direktes Resultat des von Duport beschrie-benen traditionellen Bogengriffs. Wie Gérard Hekking, der Leh-rer meines eigenen Meisters Maurice Gendron, zu sagen pflegte:«Man kann vielleicht von verschiedenen Schulen sprechen, dochfür mich gibt es nur zwei, la bonne et la mauvaise»!Das traditionelle französische Lehrkonzept ist erst vor wenigenJahrzehnten aufgebrochen worden, doch immer noch sind nam-hafte und passionierte Lehrer Garanten für eine umfassendeAusbildung. Aber die soziologischen Gegebenheiten haben sichgeändert: Die unzähligen Angebote von Meisterkursen, die an-sehnlichen Stipendienmöglichkeiten, Leihgaben von interessan-ten Instrumenten und sehr viele Wettbewerbe helfen zwar mit,den steinigen Weg der Jungen zu erleichtern. Doch: behindernsie nicht vielleicht damit die Selbstfindung? Seit der Verabschie-dung der eher autoritären Musikerziehung ist es fast überall aufder Welt Mode geworden, den Studenten einen Selfservice anzu-bieten: X machte dies, Y machte das, hier noch ein Beispiel vonZ – à toi de décider! Diese Entwicklung führt natürlicherweiseweit weg von der Eindeutigkeit einer «Schule». Doch stets defi-nieren letztlich die Begabung, die Intelligenz, der anerzogeneStil und der Charakter die Einmaligkeit und Unverwechselbar-keit des Musikers.

    Konzerte mit grossen Cellisten und dem LSO im KKL LuzernDas schlaue Füchslein – Arthur Waser PreisMittwoch, 2. und Donnerstag, 3. Dezember 2015 | 19.30 Uhr Edgar Moreau spielt Robert Schumann (1810 – 1856) Konzert für Violoncello und Orchester a-Moll op. 129

    Königin von Saba & SchelomoMittwoch, 13. und Donnerstag, 14. Januar 2016 | 19.30 Uhr Gautier Capuçon spielt Ernest Bloch (1880 – 1959), «Schelomo», hebräische Rhapsodie für Violoncello und Orchester

    Zwischen Exil und EmigrationMittwoch, 27. Januar 2016 | 19.30 UhrChristian Poltéra spielt Erich Wolfgang Korngold (1897 – 1957),Konzert für Violoncello und Orchester C-Dur op. 37

    Lieux retrouvésMittwoch, 23. und Donnerstag, 24. März 2016 | 19.30 Uhr Steven Isserlis spielt Thomas Adès (*1971), «Lieux retrouvés» für Violoncello und Orchester, Uraufführung der orchester-begleiteten Fassung – ein Kompositionsauftrag des Luzerner Sinfonieorches-ters, der Los Angeles Philharmonic und der Britten Sinfonia Gabriel Fauré (1845 – 1924), Elegie op. 24 für Violoncello und Orchester

    DoppelkonzertMittwoch, 20. und Donnerstag, 21. April 2016 | 19.30 Uhr Truls Mørk spielt Johannes Brahms (1833 – 1897)Doppelkonzert für Violine, Violoncello und Orchester a-Moll op. 102

    Beethoven im Dialog – RezitalFreitag, 10. Juni 2016 | 19.30 Uhr Antonio Meneses spielt Werke von Ludwig van Beethoven und Manuel de Falla, zusammen mit Maria João Pires, Klavier

    Walter Grimmer, ausgebildet von Maurice Gendron, Herausgeber seineskünstlerischen Testamentes «L’Art du Violoncelle» (Schott), war Gründungs-mitglied der Camerata Bern, Solocellist des Berner Sinfonieorchesters, Mitglied des Berner Streichquartetts und des Arion Trios. Er unterrichtetewährend 35 Jahren an den Hochschulen von Bern und Zürich.

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    Beim Ausbruch des Ersten Weltkrieges befand sich FerruccioBusoni in Berlin, wo er sich bereits seit 1894 aufhielt. Von Angstund Unsicherheit geplagt, entschloss er sich in den darauffol-genden Monaten zu einer Tournee in die Vereinigten Staaten.Diese Tournee hatte er bereits seit geraumer Zeit ins Auge ge-fasst, auch um Zeit zu finden, seine delikate Lage zu überden-ken, als Mensch zwischen zwei Nationen, die sich nunmehrfeindlich gegenüberstanden, und zwar Italien, wo er geborenund erzogen worden war, und Deutschland, seine Wahlheimat.Zu Beginn des neuen Jahres bestieg er das Schiff, das ihn nachAmerika brachte. Der leidvolle Aufenthalt in den VereinigenStaaten und, paradoxerweise der Krieg, liessen ihn bewusst wer-

    Ferruccio Busoni im Schweizer ExilDie Werke Ferruccio Busonis bilden einen Schwerpunkt im Saisonprogramm 2015/16. Vor100 Jahren lebte der Komponist im Schweizer Exil in Zürich, eine Zeit, die von Resignationund Unsicherheit, aber auch von kompositorischem Reichtum und starken Freundschaf-ten geprägt war. | LAURETO RODONI

    den, wie innig seine Bindung zu Europa war und welch grosseskulturelles Erbe er diesem Kontinent verdankte. Im Sommerentschloss er sich daher zurückzukehren, aber in jenem tragi-schen Augenblick, in dem er sich für die eine oder andere Seiteentscheiden sollte, wusste er nicht wohin, auch deshalb nicht,weil er als persona non grata galt, sowohl in Deutschland alsauch in Italien. Daher entschied er sich traurigen Herzens, dieSchweiz um politisches Asyl anzusuchen. Anfang Oktober traf er in Zürich ein, wo er eine Wohnung in derScheuchzerstrasse 36 bezog. Die Anwesenheit Volkmar Andre-aes, eines hervorragenden Musikers und dynamischen Kultur-schaffenden, den der grosse Pianist nur oberflächlich kannte

    Ferruccio Busoni mit seinem Hund Giotto.

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    und mit dem er seit 1907 aus Arbeitsgründen in Kontakt stand,war von nicht geringem Einfluss auf seine Entscheidung gewe-sen. Gebildet und weitblickend, wurde Andreae sofort ein unver-zichtbarer Bezugspunkt in künstlerischer, beruflicher undmenschlicher Hinsicht. Er verstand, welch wichtige kulturelleAufgabe Busoni in Zürich wahrnehmen konnte und setzte sichdafür ein, dass der Exilant in das musikalische Leben der Stadtintegriert würde. Die ersten Monate im Exil waren für Busoni ei-ne arge psychische Belastung. Mit Entschiedenheit kämpfte ergegen Einsamkeit und Isolation. Busoni plante mit unerschüt-terlicher Entschlossenheit seine Konzerttätigkeit für das nächsteFrühjahr, nahm die philologischen und kompositorischen Ar-beiten wieder auf, stellte Nachforschungen über den Faust-My-thos an, revidierte seine musikalische Ästhetik, betrieb sein Stu-dium am Klavier und wirkte auch als Klavierlehrer. Er war festentschlossen, seinen künstlerischen Weg mit Ausdauer weiter-zugehen, den er mit der stilistischen Wende des Jahres 1907 ein-geschlagen hatte. Nach der Fertigstellung einer kurzen, aberdichten sinfonischen Arbeit auf der Grundlage eines indiani-schen Themas aus Amerika, dem «Gesang vom Reigen der Geis-ter», nahm er die Komposition des szenischen Capriccios «Ar-lecchino» in Angriff. Seine Kräfte konzentrierte der Komponistjedoch vor allem auf «Doktor Faust». In der Schweiz hätte er seine Konzerttätigkeit reduzieren kön-nen, aber die prekäre wirtschaftliche Situation, besonders vomSommer 1916 an, erlaubte es nicht. Die Leidenschaft für ausge-fallene Bücher, von denen er Hunderte in Zürich erwarb, derWunsch, eine Aufführung des «Doktor Faust» zu finanzieren,der Erwerb von Bildern und einer Glasharmonika, der hohe Le-bensstandard, das chronische Unvermögen, mit Geld (das er ver-achtete) sinnvoll umzugehen, einige verfehlte Geldgeschäfte sei-nes Berliner Wirtschaftsmanagers, die ihm angeborene Gross-zügigkeit sind nur einige der Gründe für seine wirtschaftlichenProbleme, die nicht selten gelöst wurden durch die Weitherzig-keit und Bereitschaft des Bankiers Albert Biolley. Da er in Zürichohne Sekretärin und Konzertagent lebte, war Busoni anfangssein eigener Impresario. Vom Herbst 1916 an übernahm Biolleydiese Aufgabe unaufdringlich, aber wirksam und ohne Gegen-leistung. Er organisierte die Konzerte für Busoni in den Schwei-zer Städten, vor allem in den französischen Kantonen.Die gewaltsame Entfernung von seiner heimatlichen Umge-bung, die Unmöglichkeit, die Grenzen der Schweiz zu verlassen,wurde von Busoni erlebt als ein Bruch in seinem Leben, was eineschmerzliche Verwundung seines Inneren hervorrief. An HansHuber schrieb er: «Zwei Jahre sah ich nicht mein Haus, meineBücher, meine Freunde, meine Gewohnheiten. Die gerade Linieist unterbrochen. Der gastlichen Schweiz meine volle Dankbar-keit, aber heisst das Leben? Und in den Nebel der Ungewissheithinein weiter, mit bald 51 Jahren?» Die Folgen dieser Entwurze-lung auf sein psychisches Gleichgewicht, seine Identität und sei-ne Weltanschauung waren schwerwiegend: Der Kosmopolit Bu-soni erkannte plötzlich, dass er keine Heimat hatte, in der er sichwiedererkannte und nach der er sich in jenem tragischen Lebens-abschnitt so sehr sehnte. Zürich war ihm zu klein, zu provinziell,überschaubar, «von Langeweile umflort» und die ganze Schweizempfand er als «eine Art Sanatorium». Bereits 1917 vertraute erDa Motta an, dass Zürich ihm nichts mehr zu bieten habe.Ein Mittel, dessen sich Busoni bediente, um die Auswirkungen

    Sinfoniekonzerte mit Werken von Ferruccio Busoni im KKL LuzernReigen der GeisterMittwoch, 18. und Donnerstag, 19. November 2015 | 19.30 Uhr Luzerner Sinfonieorchester LSO | James Gaffigan, Chefdirigent Vadim Gluzman, Violine Ferruccio Busoni (1866 – 1924) «Gesang vom Reigen der Geister» op. 47 und Werke von Bohuslav Martinů und Johannes Brahms

    Busonis KlaviermonumentMittwoch, 17. und Donnerstag, 18. Februar 2016 | 19.30 Uhr Luzerner Sinfonieorchester LSO | Ensemble Corund | Stephen Smith, Choreinstudierung | James Gaffigan, Chefdirigent | Kun Woo Paik, Klavier Franz Schubert (1797 – 1828) Messe Nr. 2 G-Dur D 167Ferruccio Busoni (1866 – 1924) Konzert für Klavier und Orchester mit Männerchor op. 39

    ReformationMittwoch, 2. und Donnerstag, 3. März 2016 | 19.30 Uhr Luzerner Sinfonieorchester LSO | James Gaffigan, Chefdirigent Alina Ibragimova, Violine Ferruccio Busoni (1866 – 1924) Nocturne symphonique op. 43und Werke von R. Schumann, J.E. Kuhl und F. Mendelssohn Bartholdy

    Lieux retrouvésMittwoch, 23. und Donnerstag, 24. März 2016, 19.30 UhrLuzerner Sinfonieorchester LSO | Thomas Adès, LeitungSteven Isserlis, VioloncelloFerruccio Busoni (1866– 1924) Berceuse élégiaque op. 42 und Werke von Th. Adès, G. Fauré und C. Franck

    Laureto Rodoni ist freischaffender Musikjournalist und Busoni-Experte. Der Text ist eine gekürzte und übersetzte Fassung seines Artikels «Die geradeLinie ist unterbrochen. L’esilio di Busoni a Zurigo, 1915 – 1920».

    des Exils etwas zu mildern, bestand darin, dass er um sich einenengen Freundeskreis scharte, der aus Schweizern und Auslän-dern im Exil bestand. Seine Wohnung in der Scheuchzerstrasse36 wurde von den ersten Monaten an ein Sammelpunkt für her-vorragende Musiker und Intellektuelle, unter ihnen die Schrift-steller Stefan Zweig, Rainer Maria Rilke, Jakob Wassermann,Franz Werfel, die Komponisten Ermanno Wolf-Ferrari, OthmarSchoeck, die Maler Hans Richter, Max Oppenheimer, Ettore Co-somati, die Dirigenten Otto Klemperer und Oskar Fried, der Ver-leger Paul Cassirer und der Philosoph Ernst Bloch. Wichtig warauch der Kontakt mit Freunden, die beschlossen hatten, in ihrerHeimat zu bleiben und mit denen er ständig in Briefverkehrstand. Seinem persönlichen Zeugnis zufolge schrieb er in Zü-rich über 5000 Briefe, etwa drei am Tag.Busoni verliess seine Wohnung am 9. September 1920 mit derAuszeichnung eines Ehrendoktors der philosophischen Fakul-tät, die ihm die Universität Zürich im August 1919 verlieh. Vorseiner Abreise schrieb er an Biolley: «On ne se sépare pas facile-ment du lieu, de la personne ou même de la chose auxquels onetait lié pendant un lustre! Mais c’est irrévocable. Et il faut biense résigner. La résignation est l’effort plus heroïque et doulou-reux, dont l’âme humaine soit capable.»

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    Eine zentrale Rolle im Schaffen von Ernest Bloch (1880 –1959)nehmen die Orchesterstücke ein, die Mitte der 1910er-Jahrenoch vor der Auswanderung des Komponisten nach Amerikaentstanden sind und gemeinhin als «jüdischer Zyklus» – oderzumindest als Teil davon – zusammengefasst werden: die «Troispoèmes juifs», die Sinfonie «Israel» und die Hebräische Rhapso-die «Schelomo». Mit ihnen versuchte der in Genf geborene Sohneines jüdischen Uhrenhändlers eine national-jüdische Musik zuschreiben, die ganz aus dem alttestamentarischen Geist erfun-den ist. Viel zitiert sind Blochs Äusserungen dazu: «Die jüdischeSeele interessiert mich, die rätselhafte, glühende, bewegte Seele,die ich durch die Bibel hindurch schwingen fühle […].» Er habenur «einer inneren Stimme gelauscht», fährt er fort, «tief, ge-heim, drängend, brennend, einem Instinkt viel mehr als einerkalten und trockenen Vernunft, einer Stimme, die von sehr weitzu kommen schien».Ernest Bloch trug Entscheidendes zur Emanzipation der jüdi-schen Kunstmusik in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhun-derts bei. Er tat dies nun losgelöst von der nationalen Schule derjüdischen Musik in Russland, worin deren Entwicklung bzw.Wiederbelebung mehrheitlich gründet. Das Einbeziehen indivi-dueller stilistischer Elemente rückte bei Bloch an die Stelle vonrein äusserlichen Traditionseinflüssen, von «mehr oder wenigerauthentischen Melodien», so die Worte des Komponisten. Dabeigehe es ihm weder um eine Rehabilitierung der historischen jü-dischen Musik noch um eine «archäologische» Erneuerung mitHilfe «orientalischer Formeln». Gleichwohl bezeichnet ihn dieangelsächsische Literatur gern als «a Hebrew prophet», wieüberhaupt seinem Wirken musikgeschichtliche Bedeutung at-testiert wird.Exemplarisch für Blochs «Werke jüdischen Charakters», wie sieder deutsch-israelische Musikwissenschaftler Peter Gradenwitzumschreibt, steht die Hebräische Rhapsodie «Schelomo» fürVioloncello und Orchester, die im Konzert des Luzerner Sinfo-

    nieorchesters mit dem Solisten Gautier Capuçon zur Auffüh-rung gelangen wird. Beispielhaft ist das Anfang 1916 vollendeteStück deshalb, weil Bloch darin das hebräische Wort unmittelbarauf die Musik übertrug. Zunächst hatte er beabsichtigt, verschie-dene Teile des dem König Salomo zugeschriebenen Buches «Ko-helet» (Prediger) für Singstimme und Orchester zu setzen. Mög-licherweise hätte diese Übertragung eine schlüssigere Lösungabgegeben, da er aber der hebräischen Sprache nicht genugmächtig war und eine deutsche, französische oder englischeÜbersetzung dem musikalischen Ausdruck nicht gerecht gewor-den wäre, liess er die Idee einer vokalen Fassung fallen. Auf An-regung des damals nach Genf übersiedelten Cellisten AlexandreBarjansky entschied sich Bloch schliesslich für eine instrumen-tale Vertonung, die auf die Dramaturgie und Suggestionskraft,aber insbesondere auch auf die musikalische Diktion der alttes-tamentarischen Vorgabe baute.Besonders deutlich tritt der Textbezug im wiederkehrenden Mo-nolog des Soloinstruments als Stimme Salomos hervor: Es sinddie weisen Gedanken des Königs, meist wehmütig, gar resignie-rend, und nur selten hoffnungsfroh und in Freude über das ei-gene Dasein, die in kreisförmiger Wiederkehr die dreiteilige An-lage des Stückes durchlaufen. Der Prediger steht im Dialog mitdem gross besetzten Orchester als Abbild der Aussenwelt. Eineklangfarbenreiche Instrumentation prägen seine Faktur bis hinzur Andeutung des Schofarrufes, des Widderhorns, das an be-stimmten jüdischen Festtagen geblasen wurde. Eher vorder-gründig wird der jüdische Ton in den archaisierenden Quintfol-gen und in der Melodik, im häufigen Gebrauch von Halbton undübermässiger Sekunde, manifest. Aber reicht dieses charakteris-tische Kolorit für die Erkennbarkeit von jüdischer Musik bereitsaus oder sind es vielmehr die programmatischen Erläuterungendes Komponisten im Werktitel, welche wiederum ihrerseits as-soziieren, jüdische Musik zu hören?Doch: Über was definiert sich jüdische Musik? Der kleinste ge-

    Den beiden Werken gemeinsam ist der biblische Stoff um König Salomon. In der musika-lischen Übertragung aber beschreiten Ernest Blochs Hebräische Rhapsodie und OttorinoRespighis Ballettmusik ganz unterschiedliche Wege. Das liegt auch an der individuellenVerinnerlichung des jüdischen Tons. | DAVID KOCH

    Der jüdischen Seele abgelauscht

  • LSO MAGAZIN 2 | 2015 11

    meinsame Nenner für die Beantwortung dieser Frage bestehe inder Ausprägung eines «nationalen Idioms», durch das die Musikidentifizierbar wäre, sagt die deutsche MusikwissenschaftlerinBeate Schröder-Nauenburg. Genährt werde ein solches, so dieAutorin, vor allem durch musikalische Primärquellen, nämlichdurch sakrale Musik und Folkloristik. Wobei gerade in der Pro-venienz und Bedeutung dieser Gebrauchsmusik die vage Unter-scheidung der hebräischen von der jüdischen Musik diskutiertwird. So beruft sich Bloch im Mittelteil seiner HebräischenRhapsodie konkret auf ein liturgisches Motiv, das ihm sein Vatereinst auf Hebräisch vorgesungen hatte.Auch Ottorino Respighi (1879 –1836) bedient sich in seiner 1931entstandenen Ballettmusik «Belkis, regina di Saba», die in Aus-zügen ebenfalls im Konzert zu hören sein wird, eines biblischenStoffes. Das Werk schildert den Besuch der morgenländischenKönigin am Hofe Salomos in Jerusalem – es ist ein Sujet, auf dasbereits Georg Friedrich Händel in seinem Oratorium «Solo-mon» zurückgegriffen hatte. Im Gegensatz zu Blochs subjekti-ver Herangehensweise an die alttestamentarische Thematik voll-zieht sich bei Respighi der Zugang gänzlich von aussen: Zum ei-nen liess er sich zur Vertonung durch eine die Handlung bereitsadaptierende Librettovorgabe anregen, zum anderen legte ersich dafür einen Fundus an hebräischen und orientalischen Mo-tiven und Melodien an, um einer tradierten und durchaus als ar-chaisch empfundenen Musiksprache gerecht zu werden. Ähn-lich ist er in den Werken aus den Jahren zuvor mit der Gregoria-nik verfahren, indem er diese aus ihrer liturgischen Bindung zu

    Königin von Saba & SchelomoMittwoch, 13. und Donnerstag, 14. Januar 2016 | 19.30 UhrKKL Luzern, Konzertsaal Luzerner Sinfonieorchester LSO | Andrey Boreyko, Leitung Gautier Capuçon, Violoncello Ottorino Respighi (1879 – 1936) «Belkis, Regina di Saba», Auszüge aus der BallettmusikErnest Bloch (1880 – 1959) «Schelomo», Hebräische Rhapsodie für Violoncello und OrchesterAntonín Dvořák (1841 – 1904) Sinfonie Nr. 7 d-Moll op. 70

    Gastspiel: Concertgebouw Amsterdam – NiederlandeSonntag, 17. Januar 2016 | 11.00 Uhr

    David Koch ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Bibliothek und am Institut für Forschung & Entwicklung der Hochschule Luzern – Musik.

    entheben und das Melos in einen neuen klanglichen Kontexteinzubetten beabsichtigt hatte.Das Resultat ist ein abendfüllendes Ballett mit grossem szeni-schem Aufwand und einer riesigen Orchesterbesetzung, ange-reichert mit exotischem Schlagwerk, Chor und Sprecher. Hierwird mit der Ankunft der Königin Belkis eine ungehemmte In-tensität an Lebenslust zelebriert bis hin zum orgiastischen Fina-le. Geschätzte tausend Aufführende sollen an der Uraufführungdes Stücks im Januar 1932 in der Mailänder Scala mitgewirkt ha-ben. Was für ein Gegenstück zu Salomos schierer Verzweiflungin Blochs Hebräischer Rhapsodie!

    «The Visit of the Queen of Sheba to King Solomon», Edward Poynter

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    «Zwischen Exil und Emigration» lautet der Titel des Sinfonie-konzerts, in dem Werke von Erich Wolfgang Korngold und BélaBartók erklingen. Beide gingen einst auf der Flucht vor den Na-zis ins amerikanische Exil, Korngold konnte dabei an seine er-folgreichen Hollywood-Filmmusiken anknüpfen, für Bartók wardie Situation weitaus beschwerlicher; 1945 starb er in New Yorkan Leukämie. Auch die Schweizer Komponistin Katharina Rosenberger lebtseit Längerem in den USA, aber natürlich sei ihre Situation, wiesie sagt, in keiner Weise mit jener Korngolds und Bartóks ver-gleichbar. Nicht aus Not wählte sie den Weg über den Atlantik,sondern erst einmal, um bei Tristan Murail in New York zu stu-dieren – und danach fand sie 2008 in San Diego jene Universi-tätsstelle als Kompositionsprofessorin, die sie noch heute inne-hat. So unterschiedlich also die Schicksale sind, so ist Rosenber-ger doch mit dem Thema Migration vertraut. Mit ihren Studen-ten in Kalifornien diskutiert sie immer wieder darüber, denn ei-gentlich stammt ja jeder Amerikaner von irgendwo anders. Aberauch ihre eigene Familiengeschichte ist davon geprägt. Ein Käsernamens Rosenberger aus Tuggen wanderte einst im 19. Jahr-hundert nach Ostpreussen aus, um dort sein Glück zu versuchen– und er blieb, seine Söhne auch, alles Käser, bis der Grossvaterder Komponistin schliesslich mit seiner Familie im Weltkriegvor den russischen Truppen fliehen musste. Aus dem kleinenStädtchen Ragnit (heute Neman) an der Memel gelangte er überweite und gefährliche Wege schliesslich zurück in die Schweiz.Daran erinnert sich Katharina Rosenberger in ihrem neuen Or-chesterstück. Zwischen den weit gezogenen Klangwällen, diesich wogenartig aufbauen und vergehen, hört man disparatereKlänge: Sie transferieren die Geräusche des Kofferpackens undKistenschiebens, des Atmens und Gehens, die Rosenberger ausihrem eigenen Leben zwischen Amerika und Europa kennt, in

    den Orchesterklang hinüber, sie zeugen so vom Reisen, vom Un-terwegssein, vom Verlassen heimatlicher Orte und vom Auffin-den eines neuen Zuhause. Das Werk erzählt so von Bewegun-gen, von Räumen und Klangräumen. Wir als Hörende werdenmitten hineingenommen. Das Reisen und Sich-Bewegen in Klangräumen ist ohnehin einzentrales Thema in Rosenbergers Schaffen. In ihren Installatio-nen wie kürzlich in Berlin mit «Viva Voce» verbindet sie die Kör-perlichkeit der menschlichen Stimme mit der Befindlichkeit imRaum, fügt Video- und Theaterelemente bei, gestaltet die Elek-tronik interaktiv, so dass auch das Publikum teilhaben kann –und sie flicht auch da ihre eigene Biografie mit hinein. «Mit derEinbringung des Autobiografischen möchte ich einerseits dieKluft zwischen dem Publikum und der Künstlerin auf der Bühneentmystifizieren und so die Besucher näher an das kreative Den-ken und Handeln heranführen, andererseits gerade den Mutzum Künstlerdasein unterstreichen», sagt sie dazu. Das mag zu-mindest teilweise auch für ihr neues Orchesterstück gelten. Esist übrigens eines jener «Œuvres Suisses», die in diesen Saisonsbei mehreren Orchestern erklingen, und damit Teil jener Initia-tive der Pro Helvetia und des Verbands Schweizerischer Berufs-orchester, durch die die neue Schweizer Orchestermusik geför-dert werden soll. Vergangene Saison hat das LSO in diesem Rah-men bereits Michael Jarrells «Spuren», ein Konzert für Streich-quartett und Orchester, uraufgeführt. Der zweite Kompositionsauftrag kam durch eine Auszeichnungder Art Mentor Foundation Lucerne zustande. Die Luzerner Stif-tung vergibt in Zusammenarbeit mit dem Luzerner Sinfonieor-chester alle zwei Jahre einen «Award for Young Composers». ImMärz 2014 war im KKL das Werk der Italienerin Francesca Ver-unelli zu hören. Heuer erhielt der deutsche Komponist Jan EsraKuhl den Zuschlag. Der 1988 in Trier geborene Musiker ist auch

    Das Luzerner Sinfonieorchester setzt sein Engagement für die zeitgenössische Musik fort,demnächst mit Uraufführungen der Schweizerin Katharina Rosenberger und des jungenDeutschen Jan Esra Kuhl. | THOMAS MEYER

    Reisen und Hymnen

    Jan Esra KuhlKatharina Rosenberger

  • LSO MAGAZIN 2 | 2015 13

    ausgebildeter Organist und Kirchenmusiker und beendet dem-nächst sein Masterstudium Komposition in Köln. Allerdingsbringt er schon ein rechtes Portfolio an Stücken mit, das ihn alsoriginellen Kopf ausweist. Sein ehemaliger Lehrer Jörg Wid-mann, seinerseits als Composer in Residence des Lucerne Festi-val bestens bekannt, meinte einmal über eine Komposition sei-nes Schülers: «Das ist etwas Eigenes. Das habe ich so noch nichtgehört.» Tatsächlich sucht Kuhl das Unerhörte. In seinem Stück «Wen-deltreppe» für Orgel und Elektronik zum Beispiel verwendet erdie abwärtslaufende und ständig verschoben wiederkehrende,dabei jedoch gegenläufig harmonisierte «ewige Tonleiter» ausBachs Orgelphantasie g-Moll. Sie erklingt auf der Orgel und wirdmit ihrem elektronischen Spiegelbild konfrontiert. Treppaufund treppab geht’s und auf Spiralgängen in die Mikrotonalitäthinein – mit durchaus schwindelerregendem Effekt. Kuhl hegt, wie er sagt, eine Faszination für die Quintfallsequenz,einer traditionellen, vor allem im Barock viel verwendeten har-monischen Formel. Sie werde auch in seiner neuen Orchester-komposition für Luzern eine wesentliche Rolle spielen. Er liebtes, solche vertrauten Elemente aus der Musikgeschichte aufzu-greifen und ihnen in seinen Stücken eine neue Identität zu ge-ben. In dieser Weise möchte Kuhl auch mit dem Orchesterappa-rat arbeiten: Wenn er schon diesen grossartigen Klangkörper zurVerfügung habe, wolle er ihn, so wie er sei und mit allem, was ertransportiere und ausstrahle, auch nutzen, ihn aber trotzdem ineine eigene Richtung lenken. Zur Besetzung hinzu, die sich anMendelssohns Reformationssinfonie im selben Konzert an-lehnt, kommt ein Synthesizer, der auch Klangelemente aus derPopmusik beisteuern wird. Das Stück, so viel freilich war klar,werde etwas Hymnisches und Feierliches haben – «ein Pathos,vor dem ich mich nicht scheue, sondern das ich sogar suche. DasOrchester darf sich hier ruhig feiern.»

    Zwischen Exil und EmigrationMittwoch, 27. Januar 2016 | 19.30 Uhr | KKL Luzern, Konzertsaal Luzerner Sinfonieorchester LSO Junge Philharmonie Zentralschweiz, Orchester der Hochschule Luzern Steven Sloane, Leitung | Christian Poltéra, Violoncello Katharina Rosenberger (*1971) Ein neues Orchesterwerk, Uraufführung imRahmen von «Œuvres Suisses», einem gemeinsamen Projekt von Pro Helve-tia und dem Verband Schweizerischer BerufsorchesterErich Wolfgang Korngold (1897 – 1957) Konzert für Violoncello und Orchester C-Dur op. 37Béla Bartók (1881 – 1945) Konzert für Orchester

    ReformationMittwoch, 2. und Donnerstag, 3. März 2016 | 19.30 Uhr KKL Luzern, Konzertsaal Luzerner Sinfonieorchester LSO | James Gaffigan, Chefdirigent Alina Ibragimova, Violine Ferruccio Busoni (1866 – 1924) Nocturne symphonique op. 43Robert Schumann (1810 – 1856) Konzert für Violine und Orchester d-MollJan Esra Kuhl (*1988) Uraufführung einer neuen Komposition des Gewinners des ART MENTOR FOUNDATION LUCERNE AWARD FORYOUNG COMPOSERS 2015Felix Mendelssohn Bartholdy (1809– 1847)Sinfonie Nr. 5 D-Dur op. 107 «Reformation»

    Thomas Meyer ist als freischaffender Musikjournalist und -publizist tätig, u.a. für Radio SRF 2 Kultur und verschiedene Musikzeitschriften.

    Am 22. April 2016 gibt das LSO sein Debüt in der türkischenMetropole Istanbul. Die Freunde LSO haben die Möglich-keit, das Orchester, James Gaffigan und die wunderbaren So-listen Vilde Frang und Truls Mørk zu begleiten. Nebst demKonzert im berühmtesten Kulturzentrum der Türkei, der İşSanat Concert Hall in Istanbul, bleibt Zeit, die eindrucksvolleStadt zu erleben, in der Orient und Okzident verschmelzen.

    In der heimlichen Hauptstadt der Türkei am Bosporus, inder eine aufregende Mischung zwischen jahrhundertaltenSehenswürdigkeiten und farbenfrohem Strassentreibenherrscht, werden wir Ihnen ein interessantes Rahmenpro-gramm zusammenstellen. Erleben Sie auf dieser Reise in ei-ne der ältesten noch bestehenden Städte der Welt die unver-gleichliche Atmosphäre an der Grenze von Asien undEuropa.

    Die Reise rund um den 22. April 2016 wird zirka 4 Tage dau-ern. Reservieren Sie sich den Termin bereits jetzt. Das defi-nitive Programm wird allen Freunde-LSO-Mitgliedern recht-zeitig zugestellt. Weitere Informationen erhalten Sie unter T 041 226 05 29.

    | MADELEINE SCHINDLER-CHUARD, PRÄSIDENTIN

    FREUNDE LSO

    Orchester und Freunde LSOreisen nach Istanbul

    KonzertFreitag, 22. April 2016 | 19.30 Uhr | İŞ Sanat Concert Hall, IstanbulLuzerner Sinfonieorchester LSO | James Gaffigan, Chefdirigent Vilde Frang, Violine | Truls Mørk, Violoncello Johannes Brahms (1833 – 1897) Doppelkonzert für Violine, Violoncello und Orchester a-Moll op. 102Antonín Dvořák (1841 – 1904) Sinfonie Nr. 8 G-Dur op. 88

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    Wie seid ihr zur Klarinette gekommen?Stojan Krkuleski (SK): Mein Grossvater schlug mir vor, Querflötezu lernen, weil man damit auch Bach und Händel spielen könne(Anm. d. Red.: Zur Barockzeit gab es die Klarinette in der heuti-gen Form noch nicht). Ich konnte mir das auch vorstellen. Dannhabe ich im Fernsehen die «Benny Goodman Story» gesehenund war total begeistert. Und in Serbien gibt es einen bekanntenKlarinettisten, Boki Milošević, der Volksmusik spielt, und ichdachte, mit der Querflöte geht das so nicht. Also habe ich die Kla-rinette gewählt.Vincent Hering (VH): Bei mir hat es auch mit Swing und BennyGoodman zu tun. Ich finde die Klangfarben der Klarinette im Or-chester auch heute noch die interessantesten. Mit der Klarinettekann man fast alles spielen, Volksmusik, Klassik, Jazz …Regula Schneider (RS): Bei mir war es absoluter Zufall. Ich binauf einem Bauernhof aufgewachsen, die ganze Familie hat in ei-ner Blasmusik gespielt. Ich habe mit Freuden Blockflöte gespielt,später Geige, Klavier. Plötzlich brauchten sie dringend eine Kla-rinette in der Blasmusik. So habe ich mir das Klarinettenspielselbst beigebracht und hatte auch erst ein Jahr vor meinem Stu-dium professionellen Unterricht. Das kann man sich heute garnicht mehr vorstellen.

    Das Klarinetten-Team ist international, ihr kommt aus Frank-reich, Serbien und der Schweiz. Beeinflusst eure Herkunft undAusbildung die Art und Weise des Spiels?RS: Ich höre meine Kollegen nur im Orchester und da bemerkeich keine Unterschiede. Beide haben auch an Schweizer Hoch-schulen studiert. Dazu kommt, dass wir alle französisches Klari-nettensystem spielen.

    VH: Frankreich hat eine gewisse Schule. Viele Stücke wie die So-naten von Poulenc oder Debussy wurden für das ConservatoireNational Superieur de Paris komponiert, und die Art, wie mansie spielen soll, ist immer noch sehr von der Tradition beein-flusst. SK: Fast alle Professoren in Serbien haben in Paris oder Mün-chen studiert. Ich habe in der Schweiz studiert, mein LehrerFrançois Benda zum Beispiel in Wien und Graz. Ich mag daswienerische Klangideal und versuche, das einfliessen zu lassen.RS: Vor 30 Jahren war es verpönt, die Systeme und Klangvorstel-lungen zu vermischen, entweder französisches oder deutsch-österreichisches System.

    Stojan, hast du noch einen Bezug zur serbischen Volksmusik?SK: Als ich im Gymnasium war, im Alter von 15 bis 19 Jahren, ha-be ich in einer Volksmusikgruppe gespielt. Dort habe ich vieleserbische, mazedonische und montenegrinische Lieder gelernt,sogenannte Choros, Tanzstücke. Dann habe ich mich für klassi-sche Musik entschieden und es wurde zu viel. Manchmal fragtmich jemand, kannst du ein bisschen für mich spielen, und dasmache ich dann auch und denke «uff, das muss man echt üben»,weil das sehr virtuos ist!

    Eure Herzen schlagen ja alle auch für andere Musikrichtungen…RS: Ich war immer sehr breitbandig unterwegs in Sachen Musik.Als ich bereits fünf Jahre hier im Orchester war, habe ich mit 31Jahren ein Sabbatical genommen und am Berklee College of Mu-sic in Boston Jazz-Gesang studiert. Ich sage immer: Ich verdienedas Geld mit Klassik und gebe es beim Jazz wieder aus.VH: Ich spiele viel Neue Musik. Während meiner Studienzeit ha-

    PULT AN PULTDieses Mal im Gespräch: das Klarinetten-Team Stojan Krkuleski (Solo-Klarinette), RegulaSchneider (stv. Solo-Klarinette/Es-Klarinette) und Vincent Hering (Klarinette/Bassklarinette).| DIANA LEHNERT

    Stojan Krkuleski, Regula Schneider, Vincent Hering (v.l.n.r.)

  • LSO MAGAZIN 2 | 2015 15

    be ich immer bei Lehrern studiert, die viel Interesse für NeueMusik gehabt haben. Viele Komponisten haben ihnen Stücke ge-widmet. Ich finde, es macht Spass mit «lebenden» Komponistenzu arbeiten. Die ständige Entwicklung von neuen Effekten oderdie Benutzung von Live Electronic ist für mich sehr spannendund motivierend.RS: Warst du nicht sogar der Erste, der ein Solistendiplom mitder Bassklarinette machen konnte?VH: Ja, in Bern, bei Ernesto Molinari. Er ist ein Wegbereiter inder zeitgenössischen Musik.

    Vincent und Stojan, ihr seid erst seit Kurzem im Luzerner Sin-fonieorchester und habt das sogenannte Probejahr erfolgreichbestanden. Auf was wird in dieser Probezeit geachtet?RS: Es gibt ja wenige Berufe, bei denen man so eng «aufeinan-dersitzt». Das heisst, es muss vor allem in menschlicher Hin-sicht stimmen. Was sonst vor allem geprüft wird: Ob das Zusam-menspiel funktioniert, ob die Intonation stimmt – ich war daziemlich streng, glaube ich (lacht). Aber am Ende entscheiden al-le Holzbläser gemeinsam. Für mich war es eine sehr spezielle Si-tuation. Fast 25 Jahre sass ich mit denselben Leuten am Pult undplötzlich kommen innerhalb von zwei Jahren zwei neue Leute,die meine Söhne sein könnten. Aber sie haben es mir einfach ge-macht!SK: Vincent und ich waren beide Praktikanten im Berner Sinfo-nieorchester. Und der Berner Solo-Klarinettist meinte: Die, diewir nicht bei uns behalten können, schicken wir nach Luzern!(Lacht.) Jedenfalls mache ich jetzt nichts anderes als im Probe-jahr – gut vorbereitet sein und pünktlich erscheinen.

    Im Gegensatz zur Oboe hat die Klarinette ein einfaches Rohr-blatt. Baut ihr das selbst wie die Oboisten?RS: Nein, wir kaufen nur! Es gibt schon noch wenige, die selbstbauen. Wir nehmen, was kommt!

    Sinfoniekonzert «Reformation»Mittwoch, 2. März 2016 | 19.30 Uhr | KKL Luzern, Konzertsaal Luzerner Sinfonieorchester LSO | James Gaffigan, Chefdirigent Alina Ibragimova, Violine

    Ferruccio Busoni (1866 – 1924) Nocturne symphonique op. 43Robert Schumann (1810 – 1856) Konzert für Violine und Orchester d-MollJan Esra Kuhl (*1988) Gewinner des ART MENTOR FOUNDATION LUCER-NE AWARD FOR YOUNG COMPOSERS 2015, Uraufführung eines neuenWerkesFelix Mendelssohn Bartholdy (1809 – 1847) Sinfonie Nr. 5 D-Dur op. 107 «Reformation»

    Über den Wettbewerb wird keine Korrespondenz geführt.Barauszahlungen und Rechtsweg sind ausgeschlossen. Teilnahmeschluss: 30. November 2015. Die Gewinner werden schriftlich benachrichtigt.

    Für das Sinfoniekonzert «Reformation» verlosen wir unter denrichtigen Einsendungen 2 x 2 Karten!

    F. Mendelssohn Bartholdy zitiert im Finalsatz seiner SinfonieNr. 5 ein Kirchenlied Martin Luthers. Welches?A) Aus tiefer Not schrei ich zu dirB) Ein feste Burg ist unser GottC) Nun freut euch, lieben Christen g’mein

    Senden Sie Ihre Antwort bis zum 30. November 2015 an: Luzerner Sinfonieorchester, Gewinnspiel, Pilatusstrasse 18,6003 Luzern oder [email protected]. Viel Glück! Auflösung des letzten Rätsels: Die richtige Antwort war C.

    Gewinnspiel – 2x2 Konzertkarten

    SK: Wenn ein Klarinettist eine Schachtel Blätter öffnet, liegenzehn Blätter auf dem Tisch, von denen zwei oder drei gut funktio-nieren und von den dreien sind sicher nicht alle gleich gut geeig-net fürs Konzert. Ich kann maximal zwei Monate damit spielen.VH: Die Bassklarinette ist ein teures Feld! (Lacht.) Man be-kommt nur fünf Blätter zum Preis von zehn für die Klarinette!Aber zum Glück arbeitet man jetzt an der Entwicklung vonkünstlichen Blättern, die länger halten!

    Hat man das Instrument ein Leben lang?RS: Ich möchte mir seit Jahren neue Instrumente kaufen, vor al-lem eine neue A-Klarinette. Sie ist 33 Jahre alt und die B-Klarinet-te 25 Jahre. Aber das ist natürlich ein Prozess …VH: Eigentlich ist es gut, alle zehn Jahre zu wechseln.RS: Mir fällt auf, dass Stojan immer neue Mundstücke und Bir-nen (Klarinettenteil unterhalb des Mundstückes) ausprobiert.SK: Als ich jünger war, dachte ich immer, es liegt an mir, wennetwas nicht so funktionierte, wie ich wollte. Jetzt probiere ich vielmehr aus. Man spürt sofort, ob ein neues Mundstück passt odernicht. Eine ganz neue Klarinette habe ich zum ersten Mal ge-kauft, als ich hier beim LSO anfing, vorher hatte ich Occasion-Modelle.

    Im ersten Konzert der neuen Saison steht Wagners «Ring» oh-ne Worte auf dem Programm. Wagner setzt gerne viele Klari-netten ein, vor allem auch die Bassklarinette.VH: Das stimmt, ich habe ein paar schöne Soli. Ich freue michdarauf!SK: Er schreibt für die B-Klarinette oft ziemlich hohe Passagenbis zum viergestrichenen C. RS: Ich glaube, Wagner hatte keinen guten Es-Klarinettisten(Lacht).

    Danke für das Gespräch!

  • Die nächsten Veranstaltungen

    Buchen Sie ganz einfach online: www.sinfonieorchester.chRufen Sie uns an (LSO-Ticket-Line): 041 226 05 15Oder senden Sie uns eine E-Mail: [email protected]

    Der schnellste Weg zu Ihren Tickets

    Mittwoch, 14. & Donnerstag, 15. Oktober 2015 | 19.30 Uhr | KKL Luzern, KonzertsaalSinfoniekonzert: Der «Ring» ohne WorteLuzerner Sinfonieorchester LSO/Gaffigan/Freire – Rachmaninoff/Wagner

    Sonntag, 25. Oktober 2015 | 11.00 Uhr | Südpol, Grosse HalleAHOI 1: Gwunderplunder – Familienkonzert mit Schlagzeug-EnsembleBucher/Erni/Jenny/Kurmann

    Sonntag, 1. November 2015 | 11.00 Uhr | Foyer Luzerner TheaterKammermusik-Matinee 1Blättler/Rüdishüli/Kühne/Conte/Boppart/Röhn – Bach/Mozart/Prokofjeff/Mahler/Seiber/Monti/Fucík/Kreisler/Noack

    Freitag, 6. November 2015 | 11.30 -13.30 Uhr | KKL Luzern, Probesaal/KonzertsaalEnsemble D – Konzertangebot für demenzkranke MenschenEinstimmung und Lunchkonzert – Schubert-Lieder

    Freitag, 6. November 2015 | 12.30 Uhr | KKL Luzern, Konzertsaal Lunchkonzert 1 – Schubert-LiederPeter/Deutsch – Schubert

    Mittwoch, 18. & Donnerstag, 19. November 2015 | 19.30 Uhr | KKL Luzern, KonzertsaalSinfoniekonzert: Der Reigen der GeisterLuzerner Sinfonieorchester LSO/Gaffigan/Gluzman – Busoni/ Martinů/Brahms

    Mittwoch, 2. & Donnerstag, 3. Dezember 2015 | 19.30 Uhr | KKL Luzern, KonzertsaalSinfoniekonzert: Das schlaue FüchsleinLuzerner Sinfonieorchester LSO/Slobodeniouk/Moreau – Janáček/Schumann/Brahms

    Donnerstag, 10. Dezember 2015 | 12.30 Uhr | KKL Luzern, KonzertsaalLunchkonzert 2 – Klänge von Brahms und SchumannLaloum/Sévère/Julien-Laferrière – Schumann/Brahms

    Mittwoch, 16. Dezember 2015 | 18.00 Uhr | KKL Luzern, KonzertsaalWeihnachtssingen – WunschzettelLuzerner Sinfonieorchester LSO/Luzerner Kantorei/Konzertchor KIangwerk Luzern/Kammerchor LuzernJugendliche des VorAlpentheaters/Schüler der Musikschule Luzern – Geschichte und Weihnachtslieder zum Mitsingen

    Mittwoch, 16. Dezember 2015 | 19.30 Uhr | KKL Luzern, Konzertsaal Traditionelles Weihnachtssingen – Cherubini zu WeihnachtenLuzerner Sinfonieorchester LSO/Luzerner Kantorei/Konzertchor KIangwerk Luzern/Kammerchor LuzernLabbate/Rex/Kalmbach/Corbo/Clerc – Cherubini/Weihnachtslieder zum Mitsingen