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Humboldt Universität zu Berlin Geographisches Institut Abteilung Wirtschaftsgeographie 11 Einbindung afrikanischer Lebensmittelproduzenten in internationale Wertschöpfungsketten- Das Beispiel des kenianischen Gartenbaus Peter Dannenberg Humboldt-Universität zu Berlin und FAU Erlangen Ausgewählte Ergebnisse des DFG-Projekts DA1128/2-1

Einbindung afrikanischer Lebensmittelproduzenten in … · “The exporters have certain quotas to fulfil. If they can not fulfil the quota via certified farmers they buy products

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  • Humboldt Universität zu Berlin Geographisches InstitutAbteilung Wirtschaftsgeographie

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    Einbindung afrikanischer Lebensmittelproduzenten in internationale Wertschöpfungsketten-

    Das Beispiel des kenianischen Gartenbaus

    Peter DannenbergHumboldt-Universität zu Berlin und FAU Erlangen

    Ausgewählte Ergebnisse des DFG-Projekts DA1128/2-1

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    Übersicht

    1. Einleitung: der kenianische Exportgartenbau (Bsp. Frisches Obst und Gemüse)

    2. Stand der Forschung: Global Value Chains und die Rolle von Standards

    3. Forschungsbedarf und Fragestellung

    4. Methodik und Aufbau der Untersuchung

    5. Empirischer Befund: Akteursziele und informelle Arrangements in den Ketten

    6. Fazit: empirische Ergebnisse und konzeptionelle Bedeutung

    1. Einleitung

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    Der kenianische Exportgartenbau

    • Seit den 1970er Jahren bis heute großes Wachstum des Exports nach Europa (mehrere 100%; Barrett 1999; Jaffee 2005)

    • 1980-1990er Wandlung der Organisation des Handels

    => durch den EU Einzelhandel koordinierte Wertschöpfungsketten (aufgrund einer Konzentration des Einzelhandels auf wenige große Unternehmen; Dobson 2003)

    • Seit 1990er zunehmend veränderte Konsumentennachfrage in der EU (Sicherheit, Transparenz, Umwelt- und Sozialmindeststandards; Jaffee 2005; Hughes 2009)

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    Analyse der Kette mit dem Konzept der Global Value Chains

    (nach Gereffi et al. 2005)

    Unterscheidung der Ketten nach Koordinierung und Verteilung von Macht („governance“) in fünf Koordinationsformen

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    • Verschiedene Arbeiten zu Global Value Chains im Gartenbauketten,

    • auch Beispiel Kenia (Dolan/Humphrey 2004; Gibbon/Ponte 2005; Gereffi et al. 2005)

    • Keine einhellige Meinung welche Form genau, aber Übereinstimmung:

    • Wandel von marktbasierter zu stärker koordinierter Form

    • EU-Einzelhändler koordinieren als mächtige Lead Firms die abhängigen und verhandlungsschwachen Zulieferer und „ohnmächtigen“ (Schamp 2008) Produzenten

    Analyse der Kette mit dem Konzept der Global Value Chains

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    Private Standards – Private Governance

    • V.a. seit den 1990ern nehmen private Standards als neue Form der Kontrolle der Wertschöpfungskette rasant an Bedeutung zu

    • Unterschiedliche Typen: u.a. Unterscheidung in Produkt- und Prozessstandards

    • Risikomanagement, effizientere Koordinierung der Kette durch klare Codes, Möglichkeit auf veränderte Nachfrage zu reagieren,

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    Beispiel GlobalGAP im kenianischen Gartenbau• 1997 vom europäischen Einzelhandel entwickelt (mittlerweile auch andere

    Kettenakteure beteiligt)

    • Produkt- und Prozessstandard (v.a. Prozesselemente)

    • Kontrolle durch externe Zertifizierer (3rd Party certification)

    • Rasante Verbreitung: Zahl der zertifizierten Betriebe stieg von 18.000 (2004) auf 102.000 (2010)

    • Im Gartenbau der wohl bedeutendste Standard (>85% des in Europa verkauften Frischobst- und gemüses ist offiziell nach GlobalGAP zertifiziert)

    • Problem: Zertifizierung ist für kenianische Kleinbauern häufig zu schwierig und zu teuer

    • Folge: nach Graffham (2007) konnten von 2003 bis 2006 rund 60% der ca. 45.000 Bauern kein Zertifikat erwerben und schieden daher aus dem Exportgeschäft nach Europa aus (vgl. auch Worldbank 2005)

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    Forschungsbedarf: bisher kaum Berücksichtigung von Prinzipal-Agenten-Problemen

    • Der Ausschluss würde nahelegen, dass der kenianische Gartenbausektor eine massenhafte Exklusion quasi ohnmächtig in Kauf nehmen muss

    • In der Prinzipal-Agententheorie wird hingegen davon ausgegangen, dass ein Auftragnehmer (Agent) Möglichkeiten besitzt, auch ohne Einwilligung des Auftragnehmers (Prinzipal) eigene Ziele bei der Leistungserstellung zu verwirklichen (hidden action).

    • Die gilt insbesondere, wenn der Prinzipal die Leistungserstellung nicht vollständig überprüfen kann.

    • Im Falle eines Prozessstandards – wie GlobalGAP – ist z.B. die Überprüfung von Prozessauflagen expost praktisch nicht mehr möglich

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    Beispiel kenianischer Gartenbau: Hinweise auf informelle Arrangements

    • Jüngerer Arbeiten (Mwangi 2009; Dannenberg 2008; Ouma 2010) weisen darauf hin, dass einige Bauern ohne Zertifikat weiter für die Kette produzieren.

    • Dies würde empirisch bedeuten, dass die Exklusionsannahme zumindest in ihrem Umfang zweifelhaft ist und ggf. eine vollständige Ohnmacht so nicht besteht, sondern auch die Produzenten Reaktionsmöglichkeiten besitzen.

    • Konzeptionell: Hinweis darauf, dass die bisher wenig berücksichtigten PA-Probleme bei der Untersuchung von Standards als moderne Form der Governance in GVC von Bedeutung sind und in Zukunft stärker berücksichtigt werden sollten.

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    Fragestellung

    • Wie ist die Gartenbaukette zwischen Kenia und der EU seit der Einführung von GlobalGAP organisiert (Struktur, Macht, Ziele)?

    • Inwiefern konnten sich informelle Arrangements entwickeln?

    • Wie lassen sich diese informelle Arrangements im Kontext bisheriger Arbeiten einordnen?

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    Methodik: Primärerhebungen 2008-2009

    • Value Chain Analyse entlang der gesamten Kette (qualitative Stakeholderinterviews, Expertengespräche, sekundär Daten; vgl. Kaplinsky/Morris 2000)

    => Struktur, Organisation, Macht, Ziele

    • Standardisierte Bauernbefragung in Kooperation mit der Moi Universität Kenia in der Anbauregion Mt. Kenya (156 Betriebe)

    => Ziele, Probleme, informelle Arrangements (drei stufiges Fragesystem zur Ermittlung informeller Beziehungen; entwickelt mit Experten der Moi Universität Kenia)

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    Auswahl der Stichprobe und Identifizierung „informeller Arrangements“

    Konkret wurden den Betriebsleitern folgende Fragen nacheinander gestellt:• Produzieren Sie für den europäischen Markt? • Nutzen Sie einen Umweltmanagement Standard für den Absatz?• Wenn ja, welchen?

    Ausgewählt: nur Betriebe, die hier GlobalGAP angaben. Im weiteren Verlauf der Befragung wurde zusätzlich gefragt: • Besitzen Sie ein Einzelzertifikat, sind sie in einer Gruppe zertifiziert oder

    besitzen sie kein Zertifikat?

    Betriebe die kein Zertifikat besaßen, aber dennoch unter GlobalGAP verkaufen, wurden den „informellen Arrangements“ zugeordnet.

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    Empirischer Befund: Aufbau der Kette (qualitative Analyse; ähnliche Ergebnisse bei Barrett 1999, Ouma 2010)

    58%40%

    Lead Firms

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    • Die meisten der befragten Betriebe sind zu finanzschwach, um den Standard zu erfüllen. Zertifizierung kostet 3-4.000€ (vgl. auch USAID 2007); 90% haben einen geringeren Jahresumsatz (eigene Erhebungen)

    • Weitere Probleme Komplexität und Zeitaufwand (37% keine, oder nur Grundbildung; eigene Erhebungen)

    Aber:

    • Exporteure haben ein Interesse daran, dass möglichst viele Bauern eingebunden bleiben

    Problem der Zertifizierungsanforderungen

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    Ziele entlang der Kette

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    Folge: Informelle Arrangements

    Zwei Hauptarten:

    Von den Betrieben in den Schemes waren 77% ohne Zertifikat:

    “We do not require certification which costs a farmer more than his annual sales volume. But we want to have them complied and test it our selves.” (Kenyan Exporter)

    Von den Betrieben die über Broker verkaufen, waren 59% ohne Zertifikat:

    “The exporters have certain quotas to fulfil. If they can not fulfil the quota via certified farmers they buy products which are not certified. Than they package it in the same way and usually nobody will find out.” (Nduru; Moi University)

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    Mangelhafte Kontrollmöglichkeiten der Zertifizierer

    „Wir können immer nur die Betriebe kontrollieren, die wir sehen. Auch wir vermuten, dass in Entwicklungsländern ein Großteil der unter GlobalGAP produzierten Produkte in Wirklichkeit nicht von einem zertifizierten Betrieb stammt.“ (deutscher Zertifizierer)

    Wenn ein Exporteur oder ein Broker die Waren zusammen mit zertifizierten Waren annimmt, ist es für den Zertifizierer fast unmöglich nicht zertifizierte Ware festzustellen

    „Das Problem des `Betrügens` ist bekannt. Manche Ströme sind nicht sauber.“ (Europäischer Importeur)

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    Informelle Arrangements als Resultat unterschiedlicher Ziele

    • Das Ziel der Markteilhabe der Bauern und das Ziel der hohen Umsätze von Exporteuren und Brokern steht im Widerspruch zu einer Beschränkung der Produktion auf zertifizierte Betriebe (Ziel von Konsumenten und Einzelhandelsverband).

    • Die Agenten: Bauern, Exporteure und Broker können ihre Ziele der umfangreichen Marktteilhabe gegenüber dem Ziel einer Umsetzung der Standards (Ziel der Prinzipale) zumindest teilweise durchsetzen (Hidden Action).

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    Fazit• Darstellung neuer Entwicklungen im Kontext von GlobalGAP und der Bedeutung

    Zielsysteme der Kettenakteure

    • Die Akteursziele & die begrenzten Kontrollmöglichkeiten der Zertifizierer im kenianischen Kontext ermöglichen die Entstehung einer Vielzahl informeller Arrangements. =>Die Arbeiten zur Ausgrenzung von kenianischen Kleinbauern greifen zu kurz. => Die informellen Arrangements erlauben vielen Bauern weiterhin an der Kette teilzunehmen, und bieten Exporteuren Spielraum bei Absatzmengen und Wahl der Zulieferer. => Abhängigkeit ja, vollständige Ohnmacht nein

    • Die Berücksichtigung von Zielkonflikten und informellen Arrangements trägt zur Erklärung der Auswirkungen von GlobalGAP in der Kette und auch der generellen Wirkung von Standards als Governance Form in Value Chains bei.

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    Weitere Arbeiten und Ausblick

    • Differenziertere Betrachtung der Zielkonflikte: Inwiefern sind die einzelnen LEH-Unternehmen überhaupt an strikteren Kontrollen interessiert

    • Bedeutung vertikaler Integration zur Erfüllung der Standards (differenzierte Betrachtung der Abnehmervernetzungen, Rolle der Exporteure)

    • Bedeutung horizontaler Vernetzung zur Erfüllung der Standards (Produzentengruppen, Verbände etc.)

    • Auswirkungen informeller Arrangements auf das Risikomanagement in der Kette

    • Handlungsempfehlungen (Erleichterung der Zertifizierung in den Schemes)

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    Analyse durch Global Value Chains

    Grad der Koordinierung und die Ausprägung von Machtasymmetrien abhängig von:

    1. Der Komplexität der Transaktionen, Produkt- und Prozessspezifikationen („complexity“),

    2. der damit verbundenen Möglichkeit diese Transaktionen z.B. durch Standards zu kodifizieren („ability to codify“)

    3. den Fähigkeiten (z.B. finanzielle und technische Ausstattung, organisatorische Fähigkeiten) der beteiligten Zulieferer („capability“).

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    Standards im Rahmen legislativer, judikativer und exekutiver Governance von Wertschöpfungsketten

    Ausgeübt durch interne Akteure der Wertschöpfungskette

    Ausgeübt durch externe Akteure

    Legislative Steuerung

    Lead Firm: Vorgeben von Standards für Zulieferer bezüglich termingenauer Lieferungen, Häufigkeit der Lieferungen und Qualität.

    z.B. Öffentliche Standards: Umweltgesetzgebung, Arbeitsschutzgesetze

    Judikative Steuerung

    Überwachung der Leistungsfähigkeit der Zulieferer hinsichtlich der Standarderfüllung

    Überwachung der Arbeitsstandards z.B. durch NGOs; Überwachung von ISO Standards durch spezialisierte Firmen

    Exekutive Steuerung

    Lieferkettenmanagement unterstützt die Zulieferer bei der Erfüllung der Standards

    Spezialisierte Dienstleistungsanbieter; nationale Industriepolitik; Produzentengruppen unterstützen ihre Mitglieder in der Erfüllung der Standards.

    Nach Kaplinsky 2000

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    Ziele entlang der Kette Beispiele: Flexibilität und günstige Preise

    Einzelhandel: „Auch wenn die Beziehungen langfristig sind, sind langfristige Verträge nicht üblich. Da gibt es kurzfristige und flexible Verträge bei Preis wie Menge“ (Vertreter aus dem LEH)

    Importeure:„Ich muss in flexiblen Mengen verkaufen können.“ (Importeur)

    „Andere Importeure nehmen oft auch nur die Hälfte der eigentlich zugesicherten Ware ab.“ (Importeur)

    Exporteur:“The exporters need the small to fulfil the volume, so we buy from the small to

    meet the contracted volume if peaks occur which happens often” (Exporteur)

    Druck!

    Druck!

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    Analyse der Standards als Regeln anhand unterschiedlicher Formen der Governance

    Formen der Governance nach Kaplinsky/Morris 2000:

    • „legislative governance“: die grundsätzliche Regelung der Bedingungen, unter denen Akteure in einer Wertschöpfungskette teilnehmen können

    • „judical governance“: Die Kontrolle der Einhaltung dieser Regeln

    • „executive governance“: proaktive Governance: Unterstützung der Akteure bei der Umsetzung der Regeln

    Die Formen können auf mehrere Akteure – ggf. auch außerhalb der Kette –verteilt sein.

    (Eine ähnliche Unterteilung findet sich bei Gibbon/Bair/Ponte 2008: driving, coordination und normalization)

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    Die Entwicklung des kenianischen Gemüseexports von (2001-2007)

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    Wert in Mio. US$ Volumen in 1000 Tonnen

    (Mwangi 2008)

    Die Entwicklung des kenianischen Vertragsanbaus von Gemüse (2001-2007)

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    Gemüsebohne Gemüse Erbsen