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BERICHTE AUS DER PRAXIS Zusammenfassung: Mit deutlicher Mehrheit entschieden sich am 4. Juli 2010 Bayerns Bürger für eine Verschärfung des Nichtraucherschutzes. Eine wesentliche Ursache für das klare Ergebnis scheint darin gelegen zu haben, dass es den Gegnern der Verschärfung in der insgesamt reso- nanzarmen Kampagne vor der Abstimmung darum ging, ihre Interpretation der Sachfrage in der öffentlichen Kommunikation gegen die vorherrschende Lesart als Frage des Gesundheitsschutzes durchzusetzen. Da diese Deutung wahrscheinlich auch künftig eine erhebliche Rolle spielen wird, ist eine Revision der Entscheidung für einen strikteren Nichtraucherschutz nicht absehbar, auch wenn am Volksentscheid weniger als 40 % der Stimmberechtigten teilnahmen. Schlüsselwörter: Volksentscheid · Stimmverhalten · Wahlkampf · Nichtraucherschutz · Bayern Dull campaign with clear-cut decision—Some considerations concerning the Bavarian referendum on non-smoking policy Abstract: In a referendum, a big majority of Bavarian citizens voted for a stricter non-smoking policy. The opponents’ clear defeat resulted, inter alia, from the fact that they did not succeed in framing the decision as an issue of state-intervention, rather than a health issue. As the latter frame appears to be quite powerful it is unlikely that non-smoking policies will be relaxed in the near future, although less than 40% of eligible Bavarians were mobilized by the somewhat dull referendum campaign. Keywords: Referenda · Voting behavior · Campaigning · Non-smoking policy · Bavaria Z Politikberat (2011) 3:457–461 DOI 10.1007/s12392-011-0268-x Eine eindeutige Entscheidung nach resonanzarmer Kampagne Überlegungen zum Volksentscheid über den Nichtraucherschutz in Bayern Harald Schoen Online publiziert: 20.04.2011 © VS Verlag für Sozialwissenschaften 2011 Prof. Dr. H. Schoen () Lehrstuhl für Politische Soziologie, Universität Bamberg, Feldkirchenstraße 21, 96045 Bamberg, Deutschland E-Mail: [email protected]

Eine eindeutige Entscheidung nach resonanzarmer Kampagne

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Berichte aus der Praxis

Zusammenfassung:  Mit deutlicher Mehrheit entschieden sich am 4. Juli 2010 Bayerns Bürger für eine Verschärfung des Nichtraucherschutzes. eine wesentliche ursache für das klare ergebnis scheint darin gelegen zu haben, dass es den Gegnern der Verschärfung in der insgesamt reso-nanzarmen Kampagne vor der abstimmung darum ging, ihre interpretation der sachfrage in der öffentlichen Kommunikation gegen die vorherrschende Lesart als Frage des Gesundheitsschutzes durchzusetzen. da diese deutung wahrscheinlich auch künftig eine erhebliche rolle spielen wird, ist eine revision der entscheidung für einen strikteren Nichtraucherschutz nicht absehbar, auch wenn am Volksentscheid weniger als 40 % der stimmberechtigten teilnahmen.

Schlüsselwörter:  Volksentscheid · stimmverhalten · Wahlkampf · Nichtraucherschutz · Bayern

Dull campaign with clear-cut decision—Some considerations concerning  the Bavarian referendum on non-smoking policy

Abstract:  in a referendum, a big majority of Bavarian citizens voted for a stricter non-smoking policy. the opponents’ clear defeat resulted, inter alia, from the fact that they did not succeed in framing the decision as an issue of state-intervention, rather than a health issue. as the latter frame appears to be quite powerful it is unlikely that non-smoking policies will be relaxed in the near future, although less than 40% of eligible Bavarians were mobilized by the somewhat dull referendum campaign.

Keywords:  referenda · Voting behavior · campaigning · Non-smoking policy · Bavaria

Z Politikberat (2011) 3:457–461dOi 10.1007/s12392-011-0268-x

Eine eindeutige Entscheidung nach resonanzarmer KampagneÜberlegungen zum Volksentscheid über den Nichtraucherschutz in Bayern

Harald Schoen

Online publiziert: 20.04.2011 © Vs Verlag für sozialwissenschaften 2011

Prof. dr. h. schoen ()Lehrstuhl für Politische soziologie, universität Bamberg, Feldkirchenstraße 21, 96045 Bamberg, deutschlande-Mail: [email protected]

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Kernaussagen: eine Mehrheit der abstimmenden Bürger votierte 2010 in einem Volksentscheid für eine Verschärfung des Gesundheitsgesetzes in Bayern. Zur geringen öffentlichen resonanz hat neben der ressourcenschwäche der beiden sei-ten die abwartende haltung der politischen Parteien beigetragen. das ergebnis wird jetzt für geraume Zeit Bestand haben, da der entscheid eine deutungshoheit über das thema hergestellt hat, die allein in einem langen und vorpolitischen diskurs neu entwickelt werden kann. der entscheid hat gezeigt, dass der integrationskraft direktdemokratischer Verfahren Grenzen gesetzt sind.

1   Hintergrund

am 4. Juli 2010 waren Bayerns Bürger aufgerufen, in einer Volksabstimmung über eine Verschärfung des Gesundheitsgesetzes zu entscheiden. Bei einer Beteiligung von 37,7 % votierte eine deutliche Mehrheit von 61 % für den Gesetzentwurf „Für echten Nicht-raucherschutz!“. die Mehrheit der teilnehmer folgte damit der Vorlage einer initiative um sebastian Frankenberger, die sich gebildet hatte, nachdem csu und FdP nach der Landtagswahl 2008 den Nichtraucherschutz in Bayern gelockert hatten. dem Bündnis für „echten“ Nichtraucherschutz gelang es, Volksbegehren und Volksentscheid erfolgreich zu bestreiten. dieser Prozeß der Volksgesetzgebung liefert ein weiteres Beispiel dafür, dass es Bürger in Bayern durchaus verstehen, ihren Vorstellungen politisch Gehör und Geltung zu verschaffen. im ergebnis wurde am 4. Juli nicht nur die Liberalisierung des rauchergesetzes durch die christlich-liberalen Mehrheit zurückgenommen, sondern eine zusätzliche Verschärfung beschlossen, so dass nun im weiß-blauen Freistaat die deutsch-landweit striktesten regeln für den Nichtraucherschutz gelten.

der Volksentscheid fand am 4. Juli statt, doch stand das ergebnis praktisch schon einige Zeit vorher fest. diesen schluß legen empirische Befunde aus dem dFG-Projekt „Politische urteilsbildung in direktdemokratischen Verfahren. eine analyse zum Volks-entscheid über den Nichtraucherschutz in Bayern 2010“ nahe, in dessen rahmen in den letzten 40 tagen vor dem Volksentscheid täglich rund 100 zufällig ausgewählte telefonisch befragt wurden. demnach sprach sich bereits ende Mai, als die erhebung aufgenommen wurde, eine sehr deutliche Mehrheit der stimmberechtigten Bayern für die vorgeschla-gene Verschärfung des Nichtraucherschutzes aus. dabei blieb es bis zur abstimmung am 4. Juli, auch wenn der Vorsprung im Laufe der Zeit geringfügig schrumpfte. der Volksentscheid war nie ein Kopf-an-Kopf-rennen, auch wenn dies in der schlußphase der Kampagne öffentlich suggeriert wurde.1

2   Eine schwache Kampagne

Zur geringen dynamik der abstimmungsabsichten während der heißen Kampagnen-phase dürfte die geringe reichweite und schwache gesellschaftliche resonanz der Ja-

1 siehe dazu auch harald schoen, das Kopf-an-Kopf-rennen, das nie eines war (http://blog.zeit.de/politik-nach-zahlen/2010/07/08/das-kopf-an-kopf-rennen-das-nie-eines-war_2448).

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und der Nein-Kampagnen beigetragen haben. die bereits erwähnte Befragung zeigt, daß vergleichsweise wenige stimmberechtigte von Plakaten, Fernseh-, radio- oder Presse-Werbung, Wurfsendungen, persönlichen Überzeugungsversuchen oder internetgestütz-ter Werbung erreicht wurden. auch gelang es den Kampagnen beider seiten nicht sehr gut, massenmediale aufmerksamkeit zu erzeugen und so von kostenloser Werbung zu profitieren.

die schwierigkeiten beider Kampagnenseiten, in der Öffentlichkeit durchzudrin-gen, lassen sich auch an den beträchtlichen Wissenslücken veranschaulichen, die etli-che stimmberechtigte selbst unmittelbar vor dem tag des Volksentscheids aufwiesen. Beileibe nicht alle Bürger (oder auch nur alle Wähler) waren über zentrale inhalte des Gesetzentwurfs und das abstimmungsverfahren gut informiert. so scheint etlichen Bür-gern nicht klar gewesen zu sein, dass bei Volksentscheiden in Bayern kein Beteiligungs-quorum zu erfüllen ist, weshalb eine Nichtteilnahme nicht als Nein-stimme wirken kann. Mindestens so bemerkenswert ist es, wie vielen stimmberechtigten die zentralen Kam-pagnenakteure selbst unbekannt blieben. Weniger als ein Fünftel der Befragten konnten das eigens für den Volksentscheid gegründete „aktionsbündnis für Freiheit und tole-ranz“ als Vertreter der Nein-seite einordnen. Noch weniger Personen waren in der Lage, sebastian Frankenberger, gleichsam das Gesicht der Ja-seite, als Vertreter dieser Posi-tion identifizieren. Diese Indizien deuten auf Kampagnen mit begrenzter Reichweite und durchschlagskraft hin.

dieser Befund darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, mit wieviel engagement aktivisten beider seiten für ihre sache zu werben suchten. ablesen läßt sich das nicht zuletzt an den einträgen auf den Facebook-seiten der Ja- und der Nein-seite, die offenbar wegen der begrenzten finanziellen Mittel als wichtige Kommunikations- und Koordinati-onsforen dienten. diese internetpräsenzen erzielten mit über 10.000 („Bayern sagt nein!“) und rund 30.000 Fans („Volksbegehren ‚Für echten Nichtraucherschutz!‘“) – auch gemes-sen an anderen politischen Kampagnen – eine erhebliche resonanz. auch legt bereits ein kursorischer Blick auf die einträge die Folgerung nahe, dass etliche akteure mit herzblut und emotionen bei der sache waren. es gelang jedoch nicht, die erhebliche resonanz von der Online- in die Offline-Welt zu tragen. Dieser Befund legt generell den Schluß nahe, von hohen unterstützerzahlen für Politiker oder Politikvorschläge in der Online-Welt nicht ohne weiteres auf erhebliche resonanz jenseits des internets zu folgern. denn wie das Beispiel zeigt, könnte sich das als ein „virtueller“ Fehlschluß erweisen.

3   Ringen um die Deutungshoheit ohne Parteien

Zur geringen öffentlichen resonanz der engagiert geführten Kampagnen dürften ver-schiedene Faktoren beigetragen haben. Sieht man einmal von gegenstandsspezifischen Faktoren ab, begünstigte die ressourcenschwäche der beiden seiten sicherlich nicht grö-ßere öffentliche aufmerksamkeit. darüber hinaus hielten sich die politischen Parteien in der Kampagne eher zurück. Gewiß, die ÖdP als initiatorin des Volksbegehrens setzte sich entschieden für den strikteren Nichtraucherschutz ein, doch vermochte sie, die selbst in Bayern eher den status einer splitterpartei hat, nicht genug für massenwirksame Kam-pagnen in die Waagschale zu werfen. auf der Ja-seite halfen sPd und die Grünen orga-

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nisatorisch mit, doch war ihr einsatz weit von jenem bei Wahlkämpfen entfernt. auf der Nein-seite verhielt sich die FdP ähnlich. die csu als wohl noch immer schlagkräftigste politische Organisation in Bayern hielt sich – aus politisch durchaus verständlichen Grün-den2 – aus dem Konflikt heraus, was gewiß nicht zu einer zusätzlichen Mobilisierung des elektorats beitrug. schließlich konkurrierte der Volksentscheid mit anderen themen um öffentliche aufmerksamkeit. Zu denken ist an die ungewöhnlich spektakuläre Bundes-präsidentenwahl am 30. Juni sowie an die Fußballweltmeisterschaft, deren Finale am 11. Juli stattfand.

Befürworter und Gegner suchten vor dem Volksentscheid nicht nur öffentliche auf-merksamkeit auf sich zu ziehen, sondern trugen auch einen Kampf um die deutungsho-heit über den Volksentscheid aus – der früh entschieden war. die Ja-seite argumentierte bevorzugt mit der Notwendigkeit eines strikteren Nichtraucherschutzes. die Kampagne der Nein-seite zielte darauf ab, die auseinandersetzung unter einem anderen Blickwinkel zu führen. sie bestritt nicht, daß der schutz der Gesundheit ein hohes Gut sei, sondern wandte sich gegen das Übermaß an staatlicher intervention in die Belange der Bürger, zu der aus ihrer sicht eine Verschärfung des Nichtraucherschutzes führen würde. die strategie, sich zum anwalt der Liberalitas Bavariae zu machen, war geschickt gewählt, versprach sie doch, auch etliche Nichtraucher anzusprechen. das war umso wichtiger, als die raucher in Bayern in einem Verhältnis von ungefähr 30 zu 70 in der Minderheit sind. allerdings scheiterte die Nein-seite offenkundig im Kampf um die deutungshoheit. denn es stimmten zwar nicht alle Nichtraucher geschlossen mit Ja, wie auch nicht sämt-liche raucher ablehnende Voten abgaben, doch ist unübersehbar, dass der raucherstatus das stimmverhalten beträchtlich vorprägte. Genau das hätte die Nein-seite jedoch ver-hindern müssen, wollte sie eine realistische siegeschance haben.

die schwierigkeiten, in der Öffentlichkeit eine deutung durchzusetzen, die nicht auf eine Konfrontation zwischen rauchern und den wesentlich zahlreicheren Nichtrauchern zuläuft, deuten darauf hin, dass die am 4. Juli 2010 getroffene entscheidung für einige Zeit Bestand haben wird. im Moment scheint sich keine Partei anheischig zu machen, den Nichtraucherschutz auf die politische tagesordnung zu setzen. ein Volksbegehren, das darauf abzielte, die neue regelung zu beseitigen, könnte womöglich das erforder-liche Quorum meistern, dürfte aber letztlich an der abstimmungsurne unterliegen. das könnte sich etwa dann ändern, wenn viele – rauchende und nicht rauchende – Bürger die nunmehr geltenden regeln als zu weitgehenden eingriff in die entscheidungsfreiheit des einzelnen empfänden oder den eindruck gewännen, die Verschärfung gefährde die exis-tenz zu vieler gastronomischer Betriebe. solange diese oder ähnliche deutungsmuster in der bayerischen Gesellschaft nicht vorherrschen, dürfte es jedoch schwierig sein, das Votum vom 4. Juli zu revidieren. auch wenn damals weniger als ein Viertel der stimmbe-rechtigten dafür stimmte, dürfte die beschlossene Verschärfung des Nichtraucherschutzes

2 die Befragungsergebnisse deuten darauf hin, dass Kampagne und ausgang des Volksentscheids praktisch ohne auswirkungen auf die Bewertung von Parteien und Politikern seitens der Bürger blieb. eine stärkere Parteipolitisierung der auseinandersetzung hätte dies vermutlich geändert, wie sie auch öffentliche aufmerksamkeit auf parteiinterne uneinigkeit in der Frage des Nicht-raucherschutzes hätte lenken können.

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somit in der näheren Zukunft schwerlich reversibel sein – und insoweit eine politisch befriedende Wirkung entfalten.

4   Fazit: Begrenzte Integrationskraft direktdemokratischer Verfahren

Weniger ereignisspezifisch betrachtet, ist der Volksentscheid über den Nichtraucher-schutz in Bayern ein Beispiel für direkte demokratie in deutschland. Von dieser Warte aus gesehen, liegt der schluss nahe, dass ein direktdemokratisches Verfahren eine Gesell-schaft wie die bayerische nicht zwangsläufig in ein Musterbeispiel für sorgfältige kol-lektive politische deliberation verwandelt. es gelang nur in begrenztem Maße Bürger für den Volksentscheid zu interessieren, sie darüber zu informieren und sie schließlich zu mobilisieren. Zugleich scheint die entscheidung über den Nichtraucherschutz den Vorstellungen der Mehrheit der bayerischen Bürger nicht zuwiderzulaufen. die empirie direktdemokratischer Verfahren stimmt demnach nicht recht überein mit idealisierenden Vorstellungen von der Volksgesetzgebung, scheint aber auch horrorszenarien nicht zu bestätigen. Folglich sollten in diskussionen über direktdemokratische instrumente nicht nur Prinzipien und idealtypen bemüht werden, sondern auch empirischer evidenz genü-gend Platz eingeräumt werden. diese haltung erleichtert es nicht zuletzt, bei der aus-gestaltung direktdemokratischer Verfahren auf details zu achten, die auf den ersten Blick vernachlässigbar erscheinen, von denen jedoch abhängen kann, ob intendierte Wirkun-gen eintreten und unerwünschte Nebenwirkungen vermieden werden. dies zu bedenken erscheint gerade in Zeiten geboten, in denen Kritik an Parteien und Politikern rufe nach mehr direkter demokratie anschwellen lässt.

Prof.  Dr.  Harald  Schoen  hat den Lehrstuhl für Politikwissen-schaft, insbesondere Politische soziologie, an der Otto-Fried-rich-universität Bamberg inne. er leitet u. a. das dFG-Projekt „Politische urteilsbildung in direktdemokratischen Verfahren. eine analyse zum Volksentscheid über den Nichtraucherschutz in Bayern 2010“. Zu seinen Forschungsgebieten gehören Wahl- und abstimmungsverhalten, Kampagnen und ihre Wirkungen, einstel-lungen zu außen- und sicherheitspolitischen themen sowie Fragen der politischen Kommunikation und der politischen Psychologie.