3
b Eine akute Vergiftung ist ein me- dizinischer Notfall, bei dem es erfor- derlich ist, den Fremdstoff schnell und eindeutig nachzuweisen und auch die Konzentration in Blut oder Urin zu bestimmen. Nur so lassen sich Patienten erfolgreich behan- deln. Das Instrumentarium für die toxikologische Analytik muss daher ständig verfügbar sein. Zudem braucht ein Labor einen hohen ana- lytisch-technischen Standard und muss gleichzeitig alle Ressourcen ef- fektiv einsetzen, um wettbewerbsfä- hig zu sein. Toxikologische Analyse b Unser Institut nutzt für die to- xikologische Analyse üblicherwei- se Serum oder Plasma, da es prak- tisch immer verfügbar ist. Ferner korreliert die Konzentration der Wirkstoffe im Blut eher mit dem klinischen Bild des Patienten als ihre Konzentrationen im Urin. Für bestimmte Wirkstoffe, z. B. Mor- phin, die in geringen Konzentra- tionen vorliegen oder sich im Blut schnell abbauen, liefert auch die Urinanalyse wertvolle Informatio- nen. 1) Die am meisten verwendeten Analysetechniken für das toxikolo- gische Screening sind immunchemi- sche und chromatographische Ver- fahren, z. B. LC mit Diodenarrayde- tektor (DAD), LC-MS, -MS/MS oder GC-MS. Immunologische Verfahren sind meistens Gruppentests, etwa für die Bestimmung von Benzodia- zepinen und Opiaten. Diese Tests sind leicht anzuwenden und ver- gleichsweise schnell, aber in der Re- gel unspezifisch: Sie können zu falsch-positiven aber auch zu falsch- negativen Ergebnissen führen. Bei den chromatographischen Screeningverfahren zeichnen sich HPLC-DAD-Methoden gegenüber den MS-basierten Techniken durch einfache Probenvorbereitung, ein robustes Analysensystem, gute Be- dienbarkeit und vergleichsweise einfache Auswertung aus. Zu den ersten automatischen Identifizie- rungssystemen in der analytischen Toxikologie gehörten das Remedi (Rapid Emergency Drug Identificati- on) und das Remedi HS (HS = High Sensitivity). 2) Von 1989 bis zum Jahr 2010, in dem Geräte- und Reagen- zienhersteller die Produktion für das System einstellten, war es in vie- len klinischen und forensischen to- xikologischen Instituten zu finden. Seine Vorteile waren unter anderem die einfache Probenvorbereitung – es war also für den Rund-um-die- Uhr-Betrieb geeignet – sowie eine UV-Spektrenbibliothek von mehr als 500 Substanzen. Als Nachteil erwies sich die Bestimmung der Benzodia- zepine: Dafür brauchte ein klini- sches Labor entweder ein zweites Gerät oder man musste in das beste- hende System eine andere analyti- sche Säule einbauen. Das System diente vor allem der toxikologischen Analyse von Urin- proben, aber auch Serum, Plasma oder Mageninhalt ließen sich mit dem Verfahren analysieren, aller- dings ging dies zu Lasten der Säu- lenstandzeiten. Aufgrund der Be- dienerfreundlichkeit des Systems stand es auch in kleineren und in weniger spezialisierten Laborato- rien. Automatisches Identifizierungssystem b Als eine moderne Variante des Remedi könnte man das toxikolo- gische Identifizierungssystem, kurz TOX.I.S., verstehen (Abbildung 1). Es basiert auf einer konvenionellen HPLC-Laborhardware und ist durch ein Ventilschaltsystem aus vier Schaltventilen und einem Hochleistungsventil, kombiniert mit einem dualen Pumpensystem für Gradiententechnik, erweitert. Ähnlich wie das Remedi basiert Thomas Grobosch, Ludmilla Mut, Torsten Binscheck Eine neue Methode auf Basis von LC mit Diodenarraydetektion identifiziert und quantifiziert im toxikologischen Labor automatisch Fremdstoffe in Blut- oder Urinproben. Einfache Probenvorbereitung, automatische Analyse BAnalytikV Abb. 1. Toxikologisches Identifizierungssystem (TOX.I.S.). 1171 Nachrichten aus der Chemie| 59 | Dezember 2011 | www.gdch.de/nachrichten

Einfache Probenvorbereitung, automatische Analyse

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Page 1: Einfache Probenvorbereitung, automatische Analyse

b Eine akute Vergiftung ist ein me-dizinischer Notfall, bei dem es erfor-derlich ist, den Fremdstoff schnell und eindeutig nachzuweisen und auch die Konzentration in Blut oder Urin zu bestimmen. Nur so lassen sich Patienten erfolgreich behan-deln. Das Instrumentarium für die toxikologische Analytik muss daher ständig verfügbar sein. Zudem braucht ein Labor einen hohen ana-lytisch-technischen Standard und muss gleichzeitig alle Ressourcen ef-fektiv einsetzen, um wettbewerbsfä-hig zu sein.

Toxikologische Analyse

b Unser Institut nutzt für die to-xikologische Analyse üblicherwei-se Serum oder Plasma, da es prak-tisch immer verfügbar ist. Ferner korreliert die Konzentration der Wirkstoffe im Blut eher mit dem klinischen Bild des Patienten als ihre Konzentrationen im Urin. Für bestimmte Wirkstoffe, z. B. Mor-phin, die in geringen Konzentra-tionen vorliegen oder sich im Blut schnell abbauen, liefert auch die Urinanalyse wertvolle Informatio-nen.1)

Die am meisten verwendeten Analysetechniken für das toxikolo-gische Screening sind immunchemi-sche und chromatographische Ver-fahren, z. B. LC mit Diodenarrayde-tektor (DAD), LC-MS, -MS/MS oder GC-MS. Immunologische Verfahren sind meistens Gruppentests, etwa

für die Bestimmung von Benzodia-zepinen und Opiaten. Diese Tests sind leicht anzuwenden und ver-gleichsweise schnell, aber in der Re-gel unspezifisch: Sie können zu falsch-positiven aber auch zu falsch-negativen Ergebnissen führen.

Bei den chromatographischen Screeningverfahren zeichnen sich HPLC-DAD-Methoden gegenüber den MS-basierten Techniken durch einfache Probenvorbereitung, ein robustes Analysensystem, gute Be-dienbarkeit und vergleichsweise einfache Auswertung aus. Zu den ersten automatischen Identifizie-rungssystemen in der analytischen Toxikologie gehörten das Remedi (Rapid Emergency Drug Identificati-on) und das Remedi HS (HS = High Sensitivity).2) Von 1989 bis zum Jahr 2010, in dem Geräte- und Reagen-zienhersteller die Produktion für das System einstellten, war es in vie-len klinischen und forensischen to-xikologischen Instituten zu finden. Seine Vorteile waren unter anderem die einfache Probenvorbereitung – es war also für den Rund-um-die-Uhr-Betrieb geeignet – sowie eine UV-Spektrenbibliothek von mehr als 500 Substanzen. Als Nachteil erwies sich die Bestimmung der Benzodia-zepine: Dafür brauchte ein klini-sches Labor entweder ein zweites Gerät oder man musste in das beste-hende System eine andere analyti-sche Säule einbauen.

Das System diente vor allem der toxikologischen Analyse von Urin-

proben, aber auch Serum, Plasma oder Mageninhalt ließen sich mit dem Verfahren analysieren, aller-dings ging dies zu Lasten der Säu-lenstandzeiten. Aufgrund der Be-dienerfreundlichkeit des Systems stand es auch in kleineren und in weniger spezialisierten Laborato-rien.

Automatisches Identifizierungssystem

b Als eine moderne Variante des Remedi könnte man das toxikolo-gische Identifizierungssystem, kurz TOX.I.S., verstehen (Abbildung 1). Es basiert auf einer konvenionellen HPLC-Laborhardware und ist durch ein Ventilschaltsystem aus vier Schaltventilen und einem Hochleistungsventil, kombiniert mit einem dualen Pumpensystem für Gradiententechnik, erweitert. Ähnlich wie das Remedi basiert

Thomas Grobosch, Ludmilla Mut, Torsten Binscheck

Eine neue Methode auf Basis von LC mit Diodenarraydetektion identifiziert und quantifiziert im

toxikologischen Labor automatisch Fremdstoffe in Blut- oder Urinproben.

Einfache Probenvorbereitung, automatische Analyse

BAnalytikV

Abb. 1. Toxikologisches Identifizierungssystem (TOX.I.S.).

1171

Nachrichten aus der Chemie| 59 | Dezember 2011 | www.gdch.de/nachrichten

Page 2: Einfache Probenvorbereitung, automatische Analyse

TOX.I.S. auf einer automatischen Probenvorbereitung, gekoppelt an eine UV-Spektrenbibliothek (mit über 3000 Einträgen, davon ca. 600 mit Retentionszeit, RT, und relati-ver Retentionszeit, RRT). Neben der qualitativen Analyse von Urin kann dieses System Fremdstoffe in Serum- und Plasmaproben bestim-men. Der Vorteil der neuen Appli-kation liegt in der einfachen, ab-zugsunabhängigen Probenvorbe-reitung. Zudem identifiziert und quantifiziert es Fremdstoffe in Plas-ma automatisch. Seit 2010 ist das Verfahren integraler Bestandteil der systematisch toxikologischen Ana-lyse in unserem klinisch-toxikolo-gischen Institut. Zu den Aufgaben unseres Instituts gehört die Aufklä-rung aktuter Vergiftungen bei un-bekannter Ursache innerhalb von zwei bis drei Stunden, die Proben

kommen dabei aus allen Kranken-häusern Berlins und Brandenburgs. Mittlerweile haben wir dieses Sys-tem in mehr als 1000 Vergiftungs-fällen eingesetzt – im Folgenden ein Beispiel davon.

Der Fall: Alkohol- oder Medikamentenvergiftung?

b Ein 28-jähriger Mann (185 cm groß, 85 kg schwer) wurde ins Krankenhaus mit den klinischen Symptomen einer Alkoholvergif-tung eingeliefert; Gesicht und Hän-de waren gerötet. Eine Vergiftung durch Medikamente war allerdings nicht ausgeschlossen.

Analytik

b 200 µL Plasmaprobe wurden mit 300 µL des internen Standards

(N-Ethyloxazepam, c = 1,0 g·L−1) in Methanol gemischt. Anschlie-ßend wurde das Gemisch 5 min bei 200 U·min−1 geschüttelt und 4 min bei circa 14 500 · g zentrifugiert. Der Überstand (300 µL) wurde in ein neues Reaktionsgefäß über-führt und mit 1,0 mL 0,1 M NH4HCO3 (pH = 9) verdünnt.

Ergebnisse und Diskussion

b Entgegen dem Anfangsverdacht fand sich bei der Analyse der Plas-maprobe mit Headspace-GC kein Alkohol. Hingegen wies TOX.I.S. 3,24 mg·L−1 Diphenhydramin nach, der therapeutische Bereich dieses Medikaments liegt zwischen 0,2 und 1,0 mg·L−1. Dazu kamen Coffein und Hydrocortison (Abbil-dung 2).

Diphenhydramin (DPH) ist ein Antiallergikum (kompetitiver His-tamin1-Rezeptorantagonist) mit hypnotischen, beruhigenden, lokal betäubenden und Husten unter-drückenden Eigenschaften. Zudem hemmt die Substanz den Neuro-transmitter Acetyolcholin, was zu Symptomen wie Mundtrockenheit, Pupillenerweiterung, Hautrötung bis hin zu Hallunzinationen, Be-wusstseinsstörungen und Koma führen kann. DHP ist nicht ver-schreibungspflichtig und in Apo-theken als Präparat gegen Unruhe und Schlafstörungen erhältlich.

Mit Arzneimitteln dieser Art tre-ten vergleichsweise häufig Vergif-tungen auf, weil sie oft in Selbsttö-tungsabsicht eingenommen wer-den. Innerhalb der letzten drei Jah-re hat das Institut für Toxikologie, klinische Toxikologie und Giftnot-ruf Berlin von 4509 bearbeiteten Vergiftungen in 70 Fällen DPH identifiziert und quantitativ be-stimmt. Zwischen 2007 und 2009 verzeichnete der Giftnotruf Berlin rund 1200 Anfragen, die sich auf Vergiftungen mit DPH bezogen.

Neben DPH wurden seine Hauptmetabolite Dinordiphenhy-dramin und Nordiphenhydramin sowie Diphenhydramin-N-oxid (Abbildung 3) qualitativ nachge-wiesen.

Abb. 3. Metabolismus von DPH beim Menschen (1 = Diphenhydramin, 2 = Nordiphenhydramin,

3= Dinordiphenhydramin, 4 = Diphenylmethoxyessigsäure, 5 = Glycin- bzw. Glutaminkonjugate).

20.0 22.5 25.0 27.5 min

-1.0

0.0

1.0

2.0

3.0

4.0

5.0

6.0

7.0

mAU(x10)230nm,4nm (1.00)

0 10 20 30 40 min

0.00

0.25

0.50

0.75

1.00

1.25

1.50

1.75

2.00

mAU(x100)230nm,4nm (1.00)

21

3

45

6

Abb. 2. UV-Chromatogramm der Plasmaprobe des vergifteten Patienten: 1 = Dinordiphenhydramin,

2 = Nordiphenhydramin, 3 = Diphenhydramin (DPH), 4 = Diphenhydramin-N-oxid, 5 = Hydrocortison

und 6 = interner Standard (N-Ethyloxazepam).

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1172 BBlickpunktV Analytik

Page 3: Einfache Probenvorbereitung, automatische Analyse

Zusammenfassung

b Der Vorteil der neuen Applika-tion liegt in der einfachen Proben-vorbereitung sowie in der automa-tischen Identifizierung und Quan-tifizierung von Fremdstoffen aus Plasma. Für die Identifizierung der Substanzen steht eine UV-Spektrenbibliothek mit um die 600 Einträgen (RT, RRT) sowie ei-ne kommerzielle UV-Spektrenbi-bliothek (über 3000 Einträge) zur Verfügung. Die in den UV-Spek-trenbibliotheken hinterlegten Sub-stanzen umfassen die gängigsten

Medikamente (z. B. tricyclische Antidepressiva, Benzodiazepine etc.) mit schwach sauren, neutra-len und schwach basischen Ei-genschaften sowie einige ihrer Metabolite.

Der promovierte Chemiker Thomas Grobosch

ist Laborleiter am Institut für Toxikoloige, kli-

nische Toxikologie und Giftnotruf Berlin; das

Institut leitet Dr. med. Torsten Binscheck. Lud-

milla Mut ist Chemikerin und entwickelt für

ihre Doktorarbeit am Institut Analysenverfah-

ren, die im Rahmen der toxikologischen Not-

falldiagnostik automatisch Fremdstoffe in Se-

rum oder Plasma sowie in Urin identifizieren.

[email protected]

Literatur:

1) L. Schönberg, T. Grobosch, D, Lampe, C.

Klof, „New screening method for basic

compounds in urine by on-line extrac-

tion-high-performance liquid chroma-

tography with photodiode-array detec-

tion.“ J. Anal. Toxicol. 2007, 31 (6),

321–327.

2) M. Ohtsuji, J. S. Lai, S. R. Binder, T. Kondo,

T. Takayasu,T. Ohshima. „Use of REMEDi

HS in emergency toxicology for a rapid

estimate of drug concentrations in

urine, serum, and gastric samples.“ J.

Forensic Sci. 1996, 41 (5), 881–886.

DNP-NMR-Geräte für Material- und Lebenswissenschaften

b Die Universitäten Darmstadt, Düsseldorf und Frankfurt erhalten neue DNP(Dynamic Nuclear Po-larization)-NMR-Spektrometer. Ex-terne Nutzer können Messzeit be-antragen und beteiligen sich an den Nutzungskosten. Materialwissen-schaftler untersuchen mit der Me-thode Kompositmaterialien, Gläser oder inhomogene Polymere. Le-benswissenschaften klären Struk-turen makromolekularer Komplexe auf und führen Struktur-Funk-tions-Studien an Membranprotein-komplexen durch.gerd.buntkowsky@chemie.

tu-darmstadt.de, henrike.heise@

uni-duesseldorf.de, glaubitz@

em.uni-frankfurt.de

Pflanzenschutzmittel im Fisch

b Rückstände von Pflanzen-schutzmitteln und deren Abbau-produkte im Fisch identifizieren Forscher des Fraunhofer-Instituts für Molekularbiologie und Ange-wandte Ökologie (IME) in einem neuen Test. Dazu verfüttern sie ei-ne radioaktiv markierte Testsub-stanz und untersuchen im An-schluss das Filet der Tiere mit LC-MS und NMR-Spektroskopie. Diese

Metabolismusstudien zeigen, in welchem Ausmaß gezüchtete Fi-sche kontaminiert sind. Zu ihren Nahrungsquellen gehören Pflanzen wie Soja, Mais und Raps.www.ime.fraunhofer.de

Pestiziddatenbank

b Informationen zu etwa 1800 Pestiziden und deren Metaboliten liefert die Pesticide Properties Da-tabase (PPDB). Das Onlinesystem ist frei zugängig und gibt Auskunft über physikochemische und toxi-kologische Eigenschaften der Sub-stanzen. Außerdem kann der Nut-zer das Umweltrisiko eines Pflan-zenschutzmittels abschätzen. Da-zu berechnet das System automa-tisch unter anderem den GUS(Groundwater Ubiquity Sour-ce)-Index einer Verbindung. Die-ser gibt an, wie leicht ein Stoff aus dem Boden ausgewaschen wird und ins Grundwasser gelangt.http://pesticides.iupac.org

Härtetest für Akkumulatoren

b Im Oktober eröffnete die TÜV Süd Battery Testing ein Testlabor in Garching. Es prüft Lithium-Ionen-Akkumulatoren für Elektrofahr-zeuge auf Sicherheit, Leistungsfä-higkeit und Zuverlässigkeit. Getes-

Kurz notiert

tet werden zunächst einzelne Zel-len, dann Module und schließlich ganze Systeme.

TÜV Süd Battery Testing ist ein Joint Venture des TÜV Süd mit dem Entwicklungsdienstleister Li-on smart und unterhält Labore in den USA, in Kanada, Singapur Großbritannien, China und [email protected],

www.tuev-sued.de/journal

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