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01/02/17 1 THEATERFESTIVALS Gast: Christian Holtzhauer Kunstfest Weimar EINFÜHRUNG IN DIE GESCHICHTE UND GEGENWART VON THEATERFESTIVALS 1. Überlegungen zum Festival 2. Erste Gründungen im deutschsprachigen Raum 1. Bayreuther Festspiele 2. Salzburger Festspiele 3. Gründungen nach dem zweiten Weltkrieg 1. Festival d‘Avignon 2. Edinburgh Festivals 3. Festival Mondial des Arts Nègres 4. Alternativgründungen 80-90ger Jahre 1. Theater der Welt 2. Impulse 3. Theaterformen 5. Deutschsprachige Theaterfestivallandschaft heute 6. Das Kunstfest Weimar DER FESTIVAL-DISKURS [W]hat [can] a festival […] be and mean, now that the notion has become so commonplace[?] For the most part, it follows the pattern of the oldest and best-known institutional festivals, presenting exhibitions and above all productions from different disciplines (even if theatre remains the core), from different countries (especially since the opening up of Eastern Europe), to regular and occasional spectators (professionals, connoisseurs, amateurs and tourists alike). In the West at least, most festivals seem to be going in the same direction. Maurin 2003, S. 5. BAYREUTHER FESTSPIELE Bayreuth, Entwurf eines Festspielhauses, Steinberg (2000), S. 34.

EINFÜHRUNG IN DIE GESCHICHTE UND GEGENWART VON ... · • Damit einhergehend ist der Wert, der Kultur in der unmittelbaren ... • Im ersten Jahr des Festivals entstand ebenfalls

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Page 1: EINFÜHRUNG IN DIE GESCHICHTE UND GEGENWART VON ... · • Damit einhergehend ist der Wert, der Kultur in der unmittelbaren ... • Im ersten Jahr des Festivals entstand ebenfalls

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THEATERFESTIVALS Gast: Christian Holtzhauer Kunstfest Weimar

EINFÜHRUNG IN DIE GESCHICHTE UND GEGENWART VON THEATERFESTIVALS 1.  Überlegungen zum Festival

2.  Erste Gründungen im deutschsprachigen Raum 1.  Bayreuther Festspiele 2.  Salzburger Festspiele

3.  Gründungen nach dem zweiten Weltkrieg 1.  Festival d‘Avignon 2.  Edinburgh Festivals 3.  Festival Mondial des Arts Nègres

4.  Alternativgründungen 80-90ger Jahre 1.  Theater der Welt 2.  Impulse 3.  Theaterformen

5.  Deutschsprachige Theaterfestivallandschaft heute

6.  Das Kunstfest Weimar

DER FESTIVAL-DISKURS

[W]hat [can] a festival […] be and mean, now that the notion has become so commonplace[?] For the most part, it follows the pattern of the oldest and best-known institutional festivals, presenting exhibitions and above all productions from different disciplines (even if theatre remains the core), from different countries (especially since the opening up of Eastern Europe), to regular and occasional spectators (professionals, connoisseurs, amateurs and tourists alike). In the West at least, most festivals seem to be going in the same direction.

Maurin 2003, S. 5.

BAYREUTHER FESTSPIELE

Bayreuth, Entwurf eines Festspielhauses, Steinberg (2000), S. 34.

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BAYREUTHER FESTSPIELE

•  eröffnet mit dem Ring der Nibelungen 1876 in Bayreuth

•  Konzept: ­  Festspiele an einem von den großen Städten abgesonderten Ort abhalten ­  Personal saisonal zusammenrufen ­  Förderung vor allem von Sänger*innen (Ausbildung eines in den eigenen Stücken geschulten

Nachwuchs) ­ Durch Weltanschauung verbundene Gemeinde schaffen

•  Zementierung einer völkisch-nationalistischem Weltanschauung

•  nach Wagners Tod: Überhöhung seines Werkes, „Pilgern nach Bayreuth“

SALZBURGER FESTSPIELE

Jedermann, 1920/21, Steinberg (2000), S. 46.

SALZBURGER FESTSPIELE

•  eröffnet am 22. August 1920 mit Hoffmannsthals Jedermann in der Regie von Max Reinhardt auf dem Salzburger Domplatz

•  erste Planungen vom Verein Salzburger Festspielhaus-Gemeinde (Gründung 1917 in Wien)

•  Ziele: ­  Theater als erlösender Fluchtort nach den Gräueln des Kriegs ­ Herausbildung einer nationalen, österreichischen Identität nach Zerfall der Donaumonarchie durch das

Behaupten einer deutsch-österreichischen (alpenländischen) Theatertradition ­  nach der Niederlage Besinnung auf die deutsche Kultur als Kapital

FESTIVAL D‘AVIGNON

Bestuhlung im Ehrenhof des Papstpalastes, 1953, Adler (1987), S.22.

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FESTIVAL D‘ AVIGNON

•  Ins Leben gerufen von dem Regisseur Jean Vilar als semaine d‘Art en Avignon, erstmalig am 04.-10. September 1947

•  Finanzierung durch Bestrebungen der Regierung, die Stadt nach dem Krieg wieder aufzubauen

•  Vilar wollte neues, französisches Theater jenseits der Kulturmetropole Paris schaffen

•  In den ersten Jahren wurde das Festival von den immer gleichen Leuten veranstaltet und bespielt, die Fangemeinde wuchs jedes Jahr

•  Ab 1964 öffnete sich das Festival weiteren Gruppen und darstellenden Künsten wie dem Tanz und dem Kino

EDINBURGH FESTIVALS

Eröffnungszeremonie des Edinburgh International Festivals, St Giles Cathedral, 1961, Bartie (2013), S. 48.

EDINBURGH FESTIVALS •  Eröffnung des ersten Edinburgh International Festival of Music and Drama am 24. 08.1947

•  Besonderheit: Keine Eingrenzung auf Künstler*in oder Nation, sondern eine Diversität der Inhalte und Formen

•  Ziele: • Präsentation einer „Hochkultur“, Einladung renommierter Künstler*innen aus ganz Europa • Damit einhergehend ist der Wert, der Kultur in der unmittelbaren Nachkriegszeit zugeschrieben wird: Vom

Zurückbringen moralischer Werte bis zum Wiederaufbau internationaler Beziehungen und der Stärkung von europäischem Zusammenhalt

• auch ökonomische Gründe. z.B. Zugewinn an Tourismus

•  Im ersten Jahr des Festivals entstand ebenfalls das Edinburgh Festival Fringe, als Gegenveranstaltung bei der acht Theatergruppen uneingeladen am Saum (Fringe) des Festivals auftraten.

FESTIVAL MONDIAL DES ARTS NÈGRES

Sow Huchard, 2002, S. 220.

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FESTIVAL MONDIAL DES ARTS NÈGRES •  Eröffnung am 31. März 1966 in Dakar, Senegal, organisiert unter anderem vom Präsidenten des Landes Léopold Senghor

•  Geschichtlich fällt es in die Zeit der afrikanischen Unabhängigeitsbestrebungen

•  Zitat Senghor: The purpose of the First International Festival of Black Arts is, quite specifically, to show, with the riches of Black art, the participation of Negritude in Universal Civilization. (Sow Huchard, 2002, S. 224)

•  Künstler aus Afrika, aber auch schwarze Künstler aus anderen Kontinenten nahmen teil

•  Verschiedene Sparten von bildender Kunst bis Theater und Tanz

•  Wiederholte sich bis jetzt zweimal 1977 in Lagos (unter dem Namen Festac) und 2010 wieder in Dakar

THEATER DER WELT

•  Gegründet 1981 vom Deutschen Zentrum des internationalen Theaterinstituts, Anschluss an das ITI-Festival Theater der Nationen (1979)

•  Findet alle drei Jahre statt, deutsche Städte bewerben sich um die Ausrichtung

•  Ziel: Leistungen und Entwicklungen des Theaters aus allen Kontinenten

IMPULSE

•  Gegründet 1990

•  Findet in verschiedenen Städten im Ruhrgebiet statt, 2017 Festivalschwerpunkt in Köln

•  Plattform für die deutschprachige Freie Szene

THEATERFORMEN

•  Gegründet 1990

•  Findet in Hannover und Braunschweig statt (inzwischen abwechselnd)

•  Ziel: Präsentation der Vielfalt zeitgenössischer Theaterformen

•  Schwerpunkt auf Uraufführungen, deutschsprachigen Erstaufführungen und Deutschland- und Europa-Premieren (mehr als die Hälfte der Produktionen, Stand 2016)

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DEUTSCHSPRACHIGE THEATERFESTIVALLANDSCHAFT HEUTE – BEISPIELE

In München:

•  SpielArt (biennal, seit 1995, Einladung freier Gruppen aus dem Performance-Bereich)

•  RODEO (biennal, seit 2010, Freie Tanz- und Theater- und Performanceszene)

•  Dance (biennal, seit 1987, Festival für zeitgenössischen Tanz)

•  Radikal Jung (Münchner Volkstheater, seit 2011, Einladung junger Theatermacher)

•  Berliner Theatertreffen •  Euro-scene Leipzig •  RuhrTriennale (Ruhrgebiet, Zentrum

Bochum) •  Internationale Schillertage (Mannheim) •  Wiener Festwochen •  Steirischer Herbst (Graz) •  AUAWIRLEBEN (Bern) •  Tanz im August (Berlin) •  Tanzplattform Deutschland (versch.

Städte)

„FESTIVALISIERUNG“

»Die Notierungen der europäischen Festivalbörse sind für Kenner vorhersehbar – wie bei der Haute Couture gibt es

regelmässig neue Kollektionen, die ihre Leitfiguren hinauf- oder hinunterstufen. […] Das Spiel ist so amüsant und

langweilig wie alle Spekulationen; und im Kulturbetrieb wie in der Wirtschaft gilt, dass jeder Marktwert. ein Konstrukt

und also manipulierbar ist, Qualität dabei nur ein Merkmal unter vielen. [...] Vielleicht verklärt die Erinnerung, aber es

scheint, als sei auch dort das Gras früher grüner gewesen. Ehedem musste, wer etwas entdecken wollte, eigene Wege

gehen und viele mühsame Umwege, heute haben alle die gleichen Internet-Informationen, die gleichen Networks und

Mailing Lists.«

»Der globale Austausch von Produktionen führt zwar zu einer Diversifizierung des Angebots, nicht immer indessen zur

Steigerung der Qualität«

Renate Klett, erste Programmdirektorin des Festivals Theater der Welt in 1981, in der NZZ, 2004.

INTERNATIONALISIERUNG

»Ist es nicht ein touristisches Bedürfnis, ein internationales Erfahrungsarchiv voller fremder

Wirklichkeiten zu präsentieren? Alles soll deutlich fremd sein und von anderen Realitäten

berichten, aber gleichzeitig bitte in unseren ästhetischen Geschmacksnormen verbleiben; es soll

alles so daherkommen, dass unsere Avantgarden in Berlin-Mitte oder Hamburg oder Wien es

als ›auf der Höhe der Zeit befindlich‹ erkennen können. «

Carp 2012, S. 97.

KUNSTFEST WEIMAR

Kunstfest-weimar.de

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KUNSTFEST WEIMAR

•  gegründet Sommer 1990 als eine der ersten deutsch-deutschen Kulturinitiativen

•  Größtes Festival Thüringens für zeitgenössische Künste, jährlich im Spätsommer

•  Seit 2014 veranstaltet vom Deutschen Nationaltheater Weimar (Neuausrichtung des Festivals)

•  Festival für alle zeitgenössischen Künste: Internationale und überregionale Tanz- und Theatergastspiele, aber auch andere Kunstformen, Konzertformate, Kunst im öffentlichen Raum etc.

•  Mitarbeiter*innen: vier regulär ganzjährig (Künstlerische Leitung, Produktionsleitung, Kommunikation und Marketing, Assistenz), eine FSJ Kultur-Stelle, seit 2015 eine weitere Projektmanagerin, Geschäftsführung und Buchhaltung liegen beim DNT

FINANZIERUNG (SEIT SPIELZEIT 2014) •  gefördert vom Freistaat Thüringen, der Kulturstiftung des Bundes, der Stadt Weimar u.a.

•  Bis 2018: jährlich 250.000 € von der Stadt Weimar, 650.000 € vom Freistaat Thüringen

•  Zusammenführung mit DNT/ Verkleinerung des Team: Fixkosten nur noch 37% der öffentlichen Förderung

•  ¼ bis ⅓ muss aus Drittmitteln gedeckt werden

•  Zahlen vom Kunstfest 2015: • 17 Festivaltage •  Etat: etwa1,4 Millionen €, 500.000 € selbsterwirtschaftet • 109 Veranstaltungen, 2 Ausstellungen und mehrere Kunstprojekte im öffentlichen Raum • 29.000 Zuschauer*innen (Platzauslastung über 90%) • Ausgaben vom Kunstfestival in Weimar und Region etwa 400.000 €

PRODUKTIONEN BEIM KUNSTFEST WEIMAR 2016 (BEISPIELE) •  Bernhard Mikeska u.a.: Goethe :: Vom Verschwinden, Szenische Installation für je einen Zuschauer (Deutschland, UA)

•  Junge Deutsche Philharmonie, Sasha Waltz & Gäste: UN/ RUHE, Verbindung klassische Musik und Tanz (Deutschland, Eröffnungskonzert)

•  Hillel Kogan: We Love Arabs, Tanz (Israel)

•  Akinbode Akinbiyi: Wanderung in urbanen Zeiträumen, Ausstellung (Deutschland, Nigeria)

•  La Veronal: Siena, Tanz (England)

•  DNT Weimar, AZA, Azdar Theatre, Theater Freiburg: KULA – nach Europa, Theaterprojekt (Deutschland, Frankreich, Afghanistan, UA)

•  Xiao Ke & Zi Han: Republic of Dance, Tanz im öffentlichen Raum (China, UA)

•  Teatret Gruppe 38: Keine Angst vor gar nichts, Ein Familienstück, Theater (Dänemark)

•  Daniel Wetzel (Rimini Protokoll): Evros Walk Water, Ein John Cage Re-Enenactment (Deutschland)

•  Die Ästhetik des Widerstands, von Peter Weiss, Veranstaltungsreihe Lesungen & Gesprächsabend (Deutschland)

QUELLEN   Adler, Laure: Avignon. 40 Ans de festival. Avignon: Hachette, 1987.

  Bartie, Angela:The Edinburgh Festivals: Culture and Society in Post-war Britain. Edinburgh: Edinburgh University Press, 2013.

  Bermbach, Udo: »Die Bayreuther Festspiele: Idee – Ideologie – Identität – historische Einbindung.« In: Fischer-Lichte, Erika/ Warstat, Matthias/ Littmann, Anna (Hrsg.): Theater und Fest in Europa. Perspektiven von Identität und Gemeinschaft. Tübingen/ Basel: A. Francke, 2012, S. 324-335.

  Carp, Stefanie: »Im postkolonialen Raum. Überlegungen zum politischenbKuratieren.« In: Hehmeyer, Kirsten/Pees, Matthias (Hrsg.): Import Export. Arbeitsbuch zum HAU Berlin. Berlin: Theater der Zeit, 2012, S. 96–99.

  Elfert, Jennifer: Theaterfestivals. Geschichte und Kritik eines kulturellen Organisationsmodells. Bielefeld: Trascript, 2009.

  Janke. Pia: »Provinzieller Fluchtraum oder ›Herz vom Herzen Europas‹? Zur Gründungsidee der Salzburger Festspiele.« In: Fischer-Lichte, Erika/ Warstat, Matthias/ Littmann, Anna (Hrsg.): Theater und Fest in Europa.Perspektiven von Identität und Gemeinschaft. Tübingen/ Basel: A. Francke, 2012, S. 402-419.

  Klett, Renate: »Welttheater überall. Vor- und Nachteile des globalisierten Festivalbetriebs.« In: Neue Zürcher Zeitung, 27. 12. 2004.

  Maurin, Frederic: » Still and Again: Whither Festivals?« In: Contemporary Theatre Review 13/4 (2003), S. 5-11.

  Sow Huchard, Ousmane: »The First International Festival of Black Arts, Dakar 1966.« In: Fall, N’Goné/ Pivin, Jean Loup (Hrsg.): An Anthology of African Art. The Twentieth Century. New York: D.A.P., 2002, S. 220-229.

  Steinberg, Michael: Ursprung und Ideologie der Salzburger Festspiele 1890-1938. Salzburg: Anton Pustet, 2002.

  Bayreuther-Festspiele.de

  Eif.co.uk

  Festival-Avignon.com

  Festivalimpulse.de

  Iti-germany.de

  Kunstfest-Weimar.de

  Salzburgerfestspiele.at

  Theaterformen.de