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Einführung in den Forschungsprozess und die Methoden der empirischen Kommunikations- und Medienforschung Vorlesung 4: Theoretische Konzeption von Untersuchungen II: Hypothesen 02.11.2012 1 Forschungsprozess und Methoden 4

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Einführung in den Forschungsprozess und die Methoden der empirischen Kommunikations- und Medienforschung

Vorlesung 4: Theoretische Konzeption von Untersuchungen II: Hypothesen

02.11.2012 1Forschungsprozess und Methoden 4

Gliederung Vorlesung 4

1. Begriff der Hypothese

2. Arten von Hypothesen

3. Anforderungen an Hypothesen

4. Anmerkungen zum Falsifikationsprinzip

Literaturempfehlungen:

Atteslander 47-50

Diekmann 124-140

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1. Begriff der Hypothese

Definition (allgemein):

Vermutung über einen bestehenden Sachverhalt

Menschen handeln hypothesenorientiert, d.h. sie transformieren ihre Erfahrungen (i.w.S.) auf jeweils neue Situationen

Hypothesen reduzieren Komplexität, bereiten auf Handeln vor (Vor-Einstellungen wie Images/Ruf-Bilder, Vor-Urteile

Beispiel 1: Orientierungsreflex (psychophysiologische Reaktion auf „Neues“)

Beispiel 2: self-fullfilling prophecies (Alltag, Börse, ...)

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1. Begriff der Hypothese

Wissenschaft: Hypothesen sind notwendig für

→ Theorieprüfung

→ Forschungsorientierung

Definition (speziell):

Hypothesen sind explizite Folgerungen aus einer (möglichst) explizit formulierten Theorie (in Bezug auf die untersuchenden Merkmale und deren Zusammenhang sowie in Bezug auf die zu verwendenden Methoden)

Ein mit Begriffen formulierter Satz,

o der an der Realität überprüfbar ist;

o der wissenschaftlich begründet ist (also Bezug zu einer Theorie aufweist);

o der über Bekanntes hinaus reicht (bzw. Bekanntes neuen Bedingungen aussetzt).

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2. Arten von Hypothesen

2.1 Reichweite/Zentralität für die zu prüfende Theorien:o Grund-/Teil-Hypothesen

o Haupt-/Neben-Hypothesen

Beispiele:

HH 1 Attributionen am Wahlabend folgen den Voraussagen der „Alltagslogik“ (z.B. ANOVA - Modell)

NH 1.1 Politiker weichen davon stärker ab als Experten und Journalisten (self-serving bias).

HH 2 In den Medien werden nur wenige* Wahlergebnisse zum Gegenstand von Ursachenzuschreibungen (Nachrichtenwerte)

NH 2.1 Wahlergebnisse, die stark von den Voraussagen abweichen, werden häufiger thematisiert (Überraschung)

NH 2.2 Wahlergebnisse, die für die Regierungsbildung wichtig sind, werden häufiger thematisiert (Relevanz)

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2. Arten von Hypothesen

2.2 Forschungsziele:

o deskriptive Hypothesen: Konstatieren von TatbeständenEs gibt X (in der Ausprägung Y).Physik: Higgs-TeilchenBiologie: Existenz von Zwischenformen (Darwin, Heckel)Mediaforschung: Beschaffenheit von Zielgruppen

o Trendhypothesen: Entwicklung

A hat von t1 zu t2 zugenommen.

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2. Arten von Hypothesen

2.2 Forschungsziele:

o bedingungsanalytische Hypothesen (Zusammenhänge)Wenn X, dann Y. Je (größer/kleiner) X, desto (größer/kleiner) Y.mathematische Funktionen nicht-monotone Zusammenhänge (z.B. U-Form)

o kausalanalytische Hypothesen: X führt zu Y.

o messtheoretische Hypothesen

Merkmal X ist relevant für die Fragestellung F

Methode A misst Merkmal X

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2. Arten von Hypothesen

2.3 Art der Merkmale: Individual-/Kollektiv-/Kontexthypothesen

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2. Arten von Hypothesen

2.4 Art der Merkmale: Charakter der Beziehung (Wahrscheinlichkeit)probalistische Hypothesen (p<1)

deterministische Hypothesen (p=1)

2.5 Funktion im Forschungsprozess:Forschungshypothesen (siehe 2.1 bis 2.3)statistische Hypothesen (Umformung von F.-Hypothesen)

H0: Nullhypothese Y1 = Y2 (Statistik)H1: Alternativhypothese Y1 Y2

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3. Anforderungen an Hypothesen

o Aussage: keine Frage, kein Befehl, keine Wertung

o enthält die Beziehung zwischen mindestens zwei Sachverhalten:

o theoriebezogene Begriffe

o empirisch umsetzbar

o logische Verknüpfung von zwei Begriffen:

o nicht tautologisch

o Angabe der Geltungsbedingungen

o (Begründung; Theorie-/Problembezug)

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4. Zum Falsifikationsprinzip

Popper: Hypothesen müssen nicht nur prüfbar, sondern widerlegbar (falsifizierbar) sein

Begründung A: Charakter der Logik

Induktion: vom Einzelnen zum Allgemeinen (Schluss der Erfahrung),ist logisch nicht abgesichert (riskant).

Deduktion: vom Allgemeinen zum Einzelnen, ist logisch abgesichert.

Begründung B: Informationsgehalt von Theorien

Sicherheit nur bei Negativaussage, d.h. bei Scheitern der Hypothese an empirischen Daten

d.h. nur die Widerlegung von Theorien ist „informativ“, bringt (nach Popper) Fortschritt (= Aussonderung von widerlegten Theorien)

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4. Zum Falsifikationsprinzip

Popper: Hypothesen müssen nicht nur prüfbar, sondern widerlegbar (falsifizierbar) sein

Nachteile:

Forschung verläuft anders – Theorieprogramme

eine singulär widerlegte Hypothese führt (meist) zu Präzisierungen, Verfeinerungen (z.B. Einführung von intervenierenden Variablen, Präzisierung der Geltungsbedingungen, Prüfungen mit anderen Methoden usw.)

Vorteile:

Aufforderung zur Präzision bei Hypothesenbildung: kühne Hypothesen, Nachdenken über Falsifikatoren

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Übungsfragen

Wie wird der Begriff der Hypothese definiert?

Welche Anforderungen stellt man an Hypothesen? Erläutern Sie kurz die Gründe für diese Anforderungen!

Formulieren Sie je eine Individual-, Kontext- und Kollektivhypothese an einem selbst gewählten Beispiel aus der Kommunikations- und Medienforschung!

Welche Arten von Hypothesen werden unterschieden?

Erklären Sie die Begriffe Induktion, Deduktion und Falsifikation!

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