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22.11.2013 Prof. Dr. Hans-Jörg Stiehler ([email protected])
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Rezeptions- und WirkungsforschungVorlesung im Modul 1002/103/107
Vorlesung 6:
Publikumsforschung III: Akademische Publikumsforschung
22.11.2013 Prof. Dr. Hans-Jörg Stiehler 2
Problemstellung
Worum es geht:
Wie können Rezeption und Aneignung empirisch erforscht werden?
Gut zu wissen:
o grundlagenorientierte Forschung: Basiswissen
o Traditionen der Publikumsforschung
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Literaturempfehlungen
o Hepp, Andreas: Cultural Studies und Medienanalyse: eine Einführung. Wiesbaden 2010: Verlag für Sozialwissenschaften.
Kapitel Rezeptionsforschung
UBL: AP 12350 H529(3)
o Schenk, Michael: Medienwirkungsforschung. Tübingen 2007: Mohr Siebeck.
Vierter Teil, Kapitel III
Lehrbuchsammlung der UBL: AP 16650 S324(3)
22.11.2013 Prof. Dr. Hans-Jörg Stiehler ([email protected])
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Gliederung Vorlesung 6
1. behavioral tradition: U&G
1.1 Herangehen
1.2 Beispielstudie
2. cultural tradition: Cultural Studies
2.1 Herangehen
2.2 Beispielstudien
3. Zusammenfassung
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1. Behavioral Tradition der Publikumsforschung:Uses and Gratifications Approach1.1 Herangehen
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Uses and Gratifications Approach1.1 Herangehen
Zentrale Annahmen (Katz/Blumler/Gurevitch 1974):o Das Publikum ist aktiv, besitzt Eigeninitiative und
Zielstrebigkeit.
o Menschen nutzen Medien, um bestimmte Bedürfnisse zu befriedigen (P. als souveräner Marktteilnehmer). Wirkung der Rezeption = Bedürfnisbefriedigung (und Medienbewertung)
o Die Massenmedien konkurrieren mit anderen Quellen der Bedürfnisbefriedigung. Das Publikum hat die Wahl.o funktionale Alternativen
o Mediennutzung folgt funktionalem Kalkül
o Rezipienten sind fähig, ihre Ziele und Motive anzugeben, die sie veranlassen, die Medien zu nutzen.
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Uses and Gratifications Approach1.1 Herangehen
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Uses and Gratifications Approach1.1 Herangehen
Forschungsrichtungen
o Typologien von Bedürfnisse/Nutzungsmotiven: Welche gibt es überhaupt?
o Intermediavergleiche: Welche Bedürfnisse/Motive sind an welche Medien gebunden?
o Gratifikationsmodelle: Wie funktioniert der Zusammenhang zwischen Mediennutzung und Gratifikationen?
o Untersuchung sozialer und psychischer Ursachen: Wo kommen Bedürfnisse/Motive her?
o Messung von Gratifikationen: Wie kann man Bedürfnisse/Motive messen?
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Uses and Gratifications Approach1.2 Beispielstudien: Bedürfnislisten
Generelles theoretisches Defizit: Bedürfnis-/Motivbegriff
o (falsche?) Dichotomie von Unterhaltung und Information
o Bedürfnislisten aus empirischer Forschung
Beispiel 1: Greenberg 1974 – Auswertung von Aufsätzeno To pass time
o To forget, as a mean of diversion
o To learn about things
o For arousal
o For relaxation
o For companionsship
o As a habit
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Uses and Gratifications Approach1.2 Beispielstudien: Bedürfnistypologien
Beispiel 2: Mc Quail et. al. 1972 – Aussagen von regelmäßigen TV-Zuschauern zu sechs Programmtypen
o Diversion (Ablenkung/Zeitvertreib): Flucht aus alltäglichen Routinen, Flucht vor Probleme (Eskapismus), emotionale Befreiung, Füllen von Zeit
o Personal Relationsships (persönliche Beziehungen): Geselligkeit bzw. Geselligkeitsersatz, soziale Nützlichkeit
o Identity (persönliche Identität): Suche nach Verhaltensmodellen, Realitätsexploration, Werteverstärkung
o Control (Realitätskontrolle): Ratssuche, Orientierung, Information, Lernen, Sicherheit durch Wissen
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Uses and Gratifications Approach1.2 Beispielstudien: Intermediavergleiche
o klassische Studie:Katz, E./Gurevitch, M.: The Secularization of Leisure. Culture and
Communication in Israel. London 1976
Fragestellungen:
1) Welche Bedürfnisse werden von den verschiedenen sozialen Gruppen als für sie wichtig empfunden (und wie)?
2) In welcher Weise befriedigen die verschiedenen Medien - TV, Radio,
Bücher, Zeitungen, Kino - die unterschiedlichen Bedürfnisse?
3) Wie wird der Beitrag der Massenmedien im Vergleich zur interpersonalen Kommunikation bezüglich der Bedürfnisbefriedigung bewertet?
Stichprobe: n=1.500
Methode: Befragung
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Uses and Gratifications Approach1.2 Beispielstudien: Intermediavergleiche (Forschungsmodell)
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Uses and Gratifications Approach1.2 Beispielstudien: Intermediavergleiche (Befunde)
Hauptergebnisse
o Gespräche (Familie, Peer Groups etc.) im Vergleich zu Medien für alle Bedürfnisse am stärksten funktional
o unter den Medien boten Zeitungen die meisten Gratifikationen, vor allem bezüglich kognitiver Bedürfnisse, Integration, Interaktiono steigende Bildung: TZ erhält (noch) erhöhte Funktionalität
o Fernsehen und Radio schwache Werte (Zeitpunkt der Studie!)
o Kino – affektive Bedürfnisse
o Buch – Wissenserwerb und Eskapismus
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Uses and Gratifications Approach1.2 Beispielstudien: Intermediavergleiche (Massenkommunikation 2000-2010)
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Uses and Gratifications ApproachGratifikationsmodelle
cc
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Uses and Gratifications Approach: Kritik
o keine Theorie i.e.S., sondern Ansatz (Rahmentheorie)o keine Spezifizierungen (Gratifikationsmodelle)
o Überbetonung rationaler Kalküle (vs. „kognitiver Geizkragen“)o habitualisierte vs. instrumentelle Mediennutzung
o Mediennutzung als Selbstzweck
o Lücken in der Theorieo individualistische Sicht; soziale Beziehungen als Gratifikation, nur
bedingt als Einflussfaktor
o Rezeption als Bindeglied zwischen GS und GO
o methodische Probleme o Motive – Voraussetzungen oder Rationalisierungen
o unabhängige Messung von Bedürfnissen, Nutzung und Gratifikation
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2. Cultural TraditionCultural Studies: Ausgangspunkte
Grundprobleme: Hegemonie (Marx, Gramsci) Machtdifferenz zwischen Medien und Publikum: Interpretation
(→ Beispiele 1)
soziale Lage und Umgang mit den Medien: Alltagskultur, Rituale (→ Beispiel 2)
Mittelpunkt: aktive Aneignungsleistungen – «Eigensinn» Texte: Interpretation
Handeln: Lebensstile, kulturelle Praktiken, Bricolage(„Basteleien“)
(ursprüngl.) Herkunft: CCCS (Birmingham)
Medien: ideologische Staatsapparate
Texte (i.w.S.): symbolische Verdichtungen und Produkte sozialer Erfahrung, Erscheinungen von Macht und Ideologie
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2. Cultural Tradition2.1: Methodischer Zugang
eigener methodischer Zugang
nach McQuail: ethnographische Methoden: Exploration (teilnehmende Beobachtung, Interviews, Gruppendiskussionen)
Einzelfälle, typische Fälle
interpretatives Vorgehen (Verstehen vs. Messen)
Verallgemeinerungsproblem
1. Repräsentanz/Typizität der Fälle
2. Nachvollzug der Interpretationen
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2. Cultural Studies: Ausgangspunkte2.1 Interpretation
Ausgangspunkt: Poly-/Multisemie von Texten
erfordern aktive Interpretationsleistungen
≠ Willkürlichkeit der Bedeutungskonstruktion
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2. Cultural Studies: Ausgangspunkte2.1 Interpretation: Lesarten von Texten
Rezeption = Auseinandersetzung mit Texten, die erst durch Aktivität des «Lesers» erst entstehen (J. Fiske)
dominant reading (Decoding = Encoding)
negotiated reading (Decoding ≈ Encoding)
oppositional reading (Decoding ≠ Encoding)
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2. Cultural Studies: Ausgangspunkte2.1 Interpretationsgemeinschaften (1)
I. geben den Menschen Interpretationsmuster
I. teilen gemeinsame Raster und Codes
Menschen gehören verschiedenen I. an
I. können in subkulturelle Kontexte eingebunden sein
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2.2 Forschungsbeispiel 1: Dallas
Ien Ang: Das Gefühl Dallas. Zur Produktion des Trivialen. Bielefeld
1986: Daedalus
Fragestellung: Wie eignen sich (europäische) Zuschauer/innen die Serie an?
Methoden: Analyse von 42 Zuschriften an eine Frauenzeitschrift
Hauptergebnisse: emotionaler Realismus
Spannung zwischen kulturellen Werten
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2.2 Forschungsbeispiel 2: Sportbars
Eastman, Susan T./Land, Arthur M.: The best of both Worlds. Sport Fans
find good Seats at the Bar. Journal of Sport & Social Issues, 1995
Fragestellung: Wie sind die Erfahrungen von Fans beim Fernsehen im öffentlichen Raum?
Überlegungen zum Sportfan
Regeln des Fernsehens im öffentlichen Raum (siehe Krotz 2001)
Methoden: teilnehmende Beobachtung in 6 Lokalitäten
(95 Besuche mit 210 h Dauer)
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2.2 Forschungsbeispiel 2: Sportbars
Hauptergebnisse
Nähe zur Erfahrung des Stadions/der Arena
Mittel sozialer Interaktion: gemeinsame Interpretationen und Abstimmung/Diskurs von Urteilen
Legitimation als Fan
Zerstreuung und Modelle
Regeln und Kontrolle
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3. Zusammenfassung
Versuche, Formen und Prozesse der Rezeption und Aneignung zu erfassen, sind sehr vielfältig
begrifflich
empirisch
methodisch nicht unproblematisch
U&G: methodische Grundannahmen, «Zirkel»
CS: Fallstudien und Systematik, Interpretationen
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Übungsfragen
o Nennen Sie die Hauptthesen des U&G – Ansatzes und diskutieren Sie das Für und Wider (jeder) dieser Thesen!