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Die gegenwärtige gesetzliche Regelung der Impressumspflicht im Telemediengesetz ist meiner Ansicht nach verfassungswidrig, weil sie das Recht auf freie Meinungsäußerung ohne zwingenden Grund in unangemessener Weise einschränkt. Das Telemediengesetz sollte so abgeändert werden, dass die berechtigten Interessen von Webseiten-Betreibern auf informationelle Selbstbestimmung und auf den Schutz der eigenen Privatsphäre stärker berücksichtigt werden. Es sollte die Faustformel gelten: Überall dort, wo es kein berechtigtes Interesse für den Verbraucherschutz gibt, sollte der Betreiber einer Webseite das Recht haben, seine Meinung frei zu äußern, ohne dass er dafür den Schutz der eigenen Privatsphäre aufgeben muss.
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Impressumspflicht contra
informationelle Selbstbestimmung
von Elias Erdmann
eMail: [email protected]
http://www.google.com/profiles/EliasErdmann
26.01.2010
Hinweis: Der nachfolgende Text ist KEIN juristisches
Gutachten und auch KEINE verbindliche Rechtsauskunft,
sondern er gibt lediglich die persönliche Meinung des
Verfassers wieder.
Die gegenwärtige gesetzliche Regelung der Impressumspflicht im Telemediengesetz ist meiner
Ansicht nach verfassungswidrig, weil sie das Recht auf freie Meinungsäußerung ohne
zwingenden Grund in unangemessener Weise einschränkt.
Das Telemediengesetz sollte so abgeändert werden, dass die berechtigten Interessen von
Webseiten-Betreibern auf informationelle Selbstbestimmung und auf den Schutz der eigenen
Privatsphäre stärker berücksichtigt werden.
Punkt 1: Die rechtliche Situation
Bei der gegenwärtigen Rechtslage gibt es einen Konflikt zwischen
1.) der Impressumspflicht
§ 5 Telemediengesetz
http://www.gesetze-im-internet.de/tmg/__5.html
„Diensteanbieter haben für geschäftsmäßige, in der Regel gegen Entgelt angebotene
Telemedien folgende Informationen leicht erkennbar, unmittelbar erreichbar und ständig
verfügbar zu halten:
1.den Namen und die Anschrift, unter der sie niedergelassen sind, ...“
2.) dem Recht auf freie Meinungsäußerung
Artikel 5 Grundgesetz
http://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_5.html
„Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu
verbreiten ...“
3.) und dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung
Volkszählungsurteil vom 15.12.1983
http://www.adresshandel-und-recht.de/urteile/Bundesverfassungsgericht--19831215.html
„Das Grundrecht gewährleistet insoweit die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst
über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen.
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Einschränkungen dieses Rechts auf "informationelle Selbstbestimmung" sind nur im
überwiegenden Allgemeininteresse zulässig.“
Der Konflikt ergibt sich ganz speziell:
1.) aus der sehr allgemeinen Interpretation des Begriffs „geschäftsmäßig“ in § 5 Tele-
mediengesetz, sodass auch private Webseiten unter die Impressumspflicht fallen.
2.) aus der Tatsache, dass unterschiedliche Gerichte zu unterschiedlichen Rechtsauf-
fassungen kommen. Man hat als Bürger keine klaren und eindeutigen Kriterien, an die
man sich halten kann, um auf das Impressum verzichten zu können.
Das Bundesministerium der Justiz kommt deshalb auch in seinem Leitfaden zur Impressums-
pflicht zu folgendem Ergebnis:
Teilweise wird die Rechtsauffassung vertreten, dass auch rein private Websites geschäftsmäßig
und in der Regel gegen Entgelt angeboten werden, soweit sie Werbebanner einblenden und da-
durch (auch nur kostendeckende) Einkünfte erzielt werden. [...]
Die Anbieterkennzeichnungspflicht muss praktisch von jedem, der ein Online-Angebot bereithält,
erfüllt werden. [...] Im Zweifel sollten Sie davon ausgehen, dass die Anbieterkennzeichnungs-
pflicht besteht.
http://www.bmj.de/enid/395c47bdaacc6958fd4460d866e3ad94,0/Erstellen_einer_Anbieterkennz
eichnung/Muss_ich_die_Anbieterkennzeichnungspflicht_nach_dem_Telemedien_1hn.html
Anmerkungen:
- Mit der Formulierung „Teilweise wird die Rechtsauffassung vertreten ...“ wird bestätigt,
dass es tatsächlich unterschiedliche Rechtsauffassungen gibt.
- Bei vielen Webspace-Anbietern kann man als Betreiber einer Webseite gar nicht
beeinflussen, ob Werbebanner oder Werbe-Popups erscheinen.
Punkt 2: Die Konsequenz
Wenn man eine Webseite zur freien Meinungsäußerung nutzen will und wenn man keine Strafe
oder Abmahnung riskieren will, dann ist man wegen der Impressumspflicht gezwungen, seine
persönlichen Daten offen zu legen. Und somit muss man zwangsläufig auf den Schutz der
Privatsphäre verzichten.
Besonders absurd wird die Situation,
- wenn einerseits das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend die
Initiative „Watch Your Web“ unterstützt, die bei Jugendlichen ein stärkeres Bewusstsein
für einen verantwortungsvollen Umgang mit persönlichen Daten schaffen will
http://www.watchyourweb.de/m1656703266_457.html
- wenn aber andererseits das Bundesministerium für Justiz darauf hinweist, dass praktisch
jeder Betreiber einer Webseite seine persönlichen Daten angeben muss.
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Punkt 3: Die Situation des privaten Webseitenbetreibers
In der heutigen Zeit ist die Gestaltung einer eigenen Webseite im Internet ein üblicher Weg, um
seine eigenen Meinungen in Wort, Schrift und Bild zu äußern. Der Betrieb einer eigenen
Webseite birgt jedoch Gefahren, weil man keine Kontrolle darüber hat, wer diese Seiten liest,
kopiert, zitiert, verlinkt, verarbeitet, auswertet, mit anderen Informationen und Themen
verknüpft usw. Aus diesen Gründen ist es manchmal nicht mehr möglich, eine einmal geäußerte
Meinung später zu korrigieren oder zu entfernen.
Folgende Gefahren können möglicherweise eintreten:
- Es gibt Vorurteile über manche Minderheiten. Aus dem Inhalt der Webseite lässt sich
möglicherweise rekonstruieren, dass man einer dieser Minderheiten angehört. Daraus
können sich berufliche oder gesellschaftliche Nachteile ergeben.
- Wenn man sich auf der eigenen Webseite kritisch mit extremistischen oder
fundamentalistischen Strömungen auseinander setzt, dann besteht die Gefahr, dass sich
diese Kreise rächen wollen und dass es Übergriffe ins Privatleben gibt.
- Wenn man sich auf der eigenen Webseite kritisch mit den Geschäftspraktiken von
Firmen auseinander setzt, dann könnte es Probleme geben, wenn man später einen neuen
Job sucht.
- Wenn man im Internet eigene Krankheiten und Familienprobleme anspricht, dann könnte
es ebenfalls Probleme geben, wenn man später einen neuen Job sucht.
- Wenn man sich als Ausländer auf der eigenen Webseite kritisch mit den politischen
Zuständen im Heimatland auseinander setzt, dann könnte es Probleme geben, wenn man
später wieder in sein Heimatland zurück kehrt.
- usw.
Aus solchen Gründen kann es für eine Privatperson ratsam sein, die eigene Adresse nicht im
Internet zu veröffentlichen. Wenn man jedoch gezwungen wird, die eigene Adresse zu
veröffentlichen, dann wäre es ratsam, all diese Themen auf der eigenen Webseite nicht zu
veröffentlichen. Dadurch wird jedoch das Recht auf freie Meinungsäußerung massiv
eingeschränkt.
Die Impressumspflicht hat bei Privatpersonen ganz andere Konsequenzen als bei Firmen. Als
Privatperson kann man beim Impressum nur seine Privatadresse und seine private
Telefonnummer angeben. Man hat keine Firmenadresse, keinen Pförtner, keine Presseabteilung,
keinen Werksschutz, ... die einen nach außen hin abschotten und die unliebsame Besucher und
Anrufer abhalten.
Deshalb ist man als Privatperson sehr viel stärker von den Konsequenzen betroffen, die sich aus
der Impressumspflicht ergeben. Und daraus ergibt sich bei Privatpersonen auch eine besondere
Notwendigkeit zum Schutz der Privatsphäre, die es bei Firmen nicht gibt. Dieser besondere
Schutz der Privatsphäre bei Privatpersonen sollte bei der Impressumspflicht berücksichtigt
werden.
Der Vorstandsvorsitzende eines großen Konzerns würde sicherlich niemals seine private Adresse
auf der Webseite des Konzerns veröffentlichen. Bei einer privaten Webseite wird aber genau das
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von dem privaten Betreiber verlangt, denn er hat keine Firmenadresse, die er an dieser Stelle
angeben könnte.
Wenn man seine Meinung im Internet veröffentlichen will, wenn man aber nicht bereit ist, ein
Impressum anzugeben, dann bleibt einem im Moment nur die Möglichkeit, die eigenen Texte in
fremde Foren oder Internetdienste einzutragen. Die Möglichkeiten zur Gestaltung und zur Pflege
der eigenen Texte sind dabei jedoch massiv eingeschränkt.
(Ich selbst verwende übrigens aus diesem Grund die Dienste Scribd und Doktus.)
Punkt 4: Vorschlag für eine Gesetzesänderung
Die Impressumspflicht sollte dahingehend geändert werden, dass folgende Interessen in
sinnvoller Weise gegeneinender abgewogen werden:
1.) das berechtigte Interesse des Verbraucherschutzes
2.) das berechtigte Interesse auf die informationelle Selbstbestimmung bzw. den Schutz der
eigenen Privatsphäre
Hier sollte die Faustformel gelten: Überall dort, wo es kein berechtigtes Interesse für den
Verbraucherschutz gibt, sollte der Betreiber einer Webseite das Recht haben, seine Meinung frei
zu äußern, ohne dass er dafür den Schutz der eigenen Privatsphäre aufgeben muss.
Das entspricht dem Urteil des Verfassungsgerichts im Volkszählungsurteil vom 15.12.1983:
Einschränkungen dieses Rechts auf "informationelle Selbstbestimmung" sind nur im
überwiegenden Allgemeininteresse zulässig. Sie bedürfen einer verfassungsgemäßen
gesetzlichen Grundlage, die dem rechtsstaatlichen Gebot der Normenklarheit entsprechen muß.
Bei seinen Regelungen hat der Gesetzgeber ferner den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu
beachten.
http://www.adresshandel-und-recht.de/urteile/Bundesverfassungsgericht--19831215.html
Ein berechtigtes Interesse an einem vollständigen Impressum besteht dann,
- wenn direkt durch die Benutzung der Webseite eine Geschäftsbeziehung zustande
kommt, so dass der Betreiber bzw. Vermittler gegenüber dem Besucher irgendwelche
Pflichten eingeht (z.B. Erbringen einer Dienstleistung, Lieferung einer Ware,
Gewährleistung, ...)
- wenn der Besucher die Webseite wegen einer bestehenden Geschäftsbeziehung
verwenden muss, um seine Rechte einzufordern oder um seine Pflichten zu erfüllen.
- wenn die Webseite von Behörden oder öffentlichen Einrichtungen betrieben wird
(Gegenüber diesem Betreiber haben alle Bürger Rechte und Pflichten.)
Natürlich gibt es noch sehr viele andere Fälle, wo ein Impressum sinnvoll ist. Wenn z.B. ein
Gastwirt im Internet für sein Restaurant wirbt, dann ist es ganz nützlich, wenn man auf dieser
Webseite auch die Adresse dieses Restaurants erfährt. Aber es gibt in diesem Fall keine
Notwendigkeit für eine gesetzliche Regelung, denn das Impressum liegt in diesem Fall im
Eigeninteresse des Gastwirts.
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Wenn man (z.B. aus privatem Interesse) auf seiner Webseite für eine Ware wirbt (bzw. wenn
man diese Ware empfiehlt), wenn man aber diese Ware nicht selbst vertreibt, dann gibt es
ebenfalls keinen zwingenden Grund für ein Impressum, denn man geht mit der Werbung noch
keine Verpflichtung gegenüber dem Besucher ein. Der Besucher muss sich, wenn er die Ware
erwerben will, an einen anderen Anbieter wenden. Mit diesem anderen Anbieter geht er dann
ggf. eine Geschäftsbeziehung ein. Und dort gibt es dann auch ein berechtigtes Interesse an einem
Impressum.
Weiterhin sind auch Fälle denkbar, dass man zwar keine Geschäftsbeziehung mit dem Betreiber
einer Webseite hat, dass man aber trotzdem mit ihm Kontakt aufnehmen möchte, weil der
Betreiber die eigenen Rechte verletzt (z.B. Persönlichkeits- oder Urheberrechte). Das könnte
rein theoretisch bei jeder Webseite passieren. Aber es wäre vollkommen unangemessen, deshalb
eine generelle Impressumspflicht zu begründen. Es käme sicherlich auch niemand auf die Idee,
dass jeder Mensch im täglichen Leben mit einem Namensschild rumlaufen muss, nur weil es rein
theoretisch sein könnte, dass er die Rechte eines anderen verletzt (z.B. durch das Tragen von
gefälschter Markenware: Kleidung, Uhren, ...) oder dass er gegen Gesetze verstößt (z.B. durch
das Tragen von verfassungsfeindlichen Symbolen).
Dieses Problem ließe sich zweistufig lösen:
1.) durch eine generelle Pflicht, dass jeder Betreiber einer Webseite eine eMail-Adresse
angeben muss, unter der er erreichbar ist, damit man ihn auf unkomplizierte Weise
erreichen kann, um ihn auf die Verletzung der eigenen Rechte hinzuweisen. (Durch eine
anonyme eMail-Adresse wäre die Erreichbarkeit sichergestellt, ohne dass der Betreiber
seine Anonymität aufgeben muss.)
2.) durch eine Auskunftspflicht des Webspace-Anbieters, sofern eine gerichtliche
Anordnung vorliegt
Eine sinnvolle Erweiterung von § 5 Telemediengesetz könnte so aussehen:
Sofern der Dienstanbieter eine natürliche Person ist, sofern er mit seinem Angebot keine
vertraglichen Pflichten gegenüber dem Nutzer eingeht und sofern das Dienstangebot nicht
dafür ausgelegt ist, um die Rechte und Pflichten aus einer bestehenden Geschäftsbeziehung
auszuüben, kann der Dienstanbieter zum Schutz seiner Privatsphäre auf ein vollständiges
Impressum verzichten. In diesem Fall muss lediglich die Erreichbarkeit des
Dienstanbieters per eMail sichergestellt sein (kompatibel zum Industrie-Standard RFC
2822). Weiterhin muss in diesem Fall anstelle des Impressums ein Hinweis angebracht
werden, dass es sich bei diesem Internetangebot um eine „private Meinungsäußerung“
handelt, dass keine Waren oder Dienstleistungen gegen Entgelt angeboten werden, dass der
Dienstanbieter keine Pflichten gegenüber dem Besucher übernimmt und auch keine
Haftung für die Richtigkeit seiner Aussagen.
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Punkt 5: Schlusswort
Viele Ideen und Werke, die unsere Kultur prägten und bereicherten, wurden ursprünglich
anonym oder unter einem Pseudonym veröffentlicht.
Einige Beispiele:
- Die anonym verfasste Flugschrift „Common Sense“ von Thomas Paine gab einen
wichtigen Anstoß zur amerikanischen Unabhängigkeitserklärung.
- Die „Fama Fraternitatis“ (1614) und die „Confessio Fraternitatis“ (1615) sind wichtige
Grundlagen der Rosenkreuzer-Bewegungen und haben die europäische Geistesgeschichte
nachhaltig geprägt.
- Der deutsche Philosoph Johann Gottlieb Fichte veröffentlichte seinen „Versuch einer
Kritik aller Offenbarung“ zunächst anonym.
- Die Sage von „Johann Faust“ erschien im Jahr 1587 als anonymes Werk unter dem Titel
„Historia von D. Johann Fausten“. Diese Geschichte lieferte später die Grundmotive für
Goethes „Faust“.
- Auch Goethe veröffentliche einige seiner Werke anonym, z.B. die „Römischen Elegien“,
die für die damalige Zeit etwas zu freizügig waren.
- Die Romane von Jane Austen und der Briefroman „Gefährliche Liebschaften“ von
Pierre-Ambroise-François Choderlos de Laclos wurden ebenfalls anonym veröffentlicht.
Wir können froh sein, dass all diese Autoren die Möglichkeit hatten, ihre Werke anonym zu
veröffentlichen, denn ohne diese Werke wäre unsere Kultur um sehr vieles ärmer. Politischen
Machtstrukturen, gesellschaftliche Konventionen und religiöse Intoleranz waren vermutlich die
Hauptgründe, weshalb sich die Autoren nicht offen zu ihren Werken bekennen konnten. Die
Anonymität des Autors war manchmal ratsam, um die soziale Stellung nicht zu gefährden – und
manchmal war sie sogar notwendig zum Schutz des eigenen Lebens.
Die Zeiten mögen sich geändert haben, aber das Grundproblem ist geblieben. Es liegt in der
Natur der Sache, dass neue Ideen immer wieder mit den bestehenden Gesellschaftsstrukturen und
Gepflogenheiten kollidieren, dass sie traditionelle Tabu-Grenzen überschreiten und bestehende
Weltbilder in Frage stellen.
Die Möglichkeit, neue Ideen anonym veröffentlichen zu können, ist deshalb auch heute im
Internet-Zeitalter noch immer eine der wichtigsten Grundvoraussetzung für den
gesellschaftlichen Wandel in einer Demokratie. Die Identifizierungspflicht für Meinungen
ist hingegen ein typisches Merkmal von totalitären Systemen.
Es gibt keinen sinnvollen Grund, warum man eine anonyme Internet-Veröffentlichung anders
behandeln sollte als eine anonyme Buchveröffentlichung, denn das Internet setzt nur eine
Entwicklung fort, die mit der Erfindung des Buchdrucks begann. Vor der Erfindung des
Buchdrucks musste jedes Buch mühevoll abgeschrieben werden. Dadurch konnten nur wenige
Menschen ihre Ideen in Buchform verbreiten, und diese Ideen waren auch nur wenigen
Menschen zugänglich. Das änderte sich mit der Erfindung des Buchdrucks. Der Aufwand für die
Veröffentlichung eines neuen Buches war immer noch relativ hoch. Und so war es auch
weiterhin nur eine Minderheit, die ihre Ideen in Buchform verbreiten konnte. Aber die Ideen
waren nun zumindest einer breiten Öffentlichkeit zugänglich. Das galt auch später für die
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modernen Medien Rundfunk und Fernsehen. Auch diese Medien konnten nur von einer
Minderheit zur Meinungsäußerung genutzt werden. Erst die Entwicklung des Internets gibt uns
die Möglichkeit, dass JEDER seine Ideen verbreiten kann und dass diese Ideen für JEDEN
zugänglich sind.
Wenn wir in Artikel 5 des Grundgesetzes JEDEM das Recht zugestehen, „seine Meinung in
Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten“, dann sollten in dem wichtigsten
Medium, das JEDER zur Meinungsäußerung hat, die gleichen Grundsätze gelten wie bei einer
Buchveröffentlichung.
Man kann nur dann seine Meinung FREI äußern, wenn man keine Angst haben muss, dass
man seine Privatsphäre oder seine soziale Stellung gefährdet. Das Recht zur anonymen
Meinungsäußerung ist daher eine ganz wichtige Voraussetzung, damit man seine Meinung
FREI äußern kann. Diese Freiheit wird uns vom Telemediengesetzt genommen – ohne dass
es dafür einen zwingenden Grund gäbe.
Anhang
Zum Vergleich: Das Recht auf anonyme Meinungsäußerung in den Vereinigten Staaten
Das Recht auf freie Meinungsäußerung hat in den Vereinigten Staaten von Amerika traditionell
einen sehr hohen Stellenwert. Das nachfolgende Zitat, das die besondere Bedeutung der
anoymen Meinungsäußerung unterstreicht, stammt aus dem Urteil: JOSEPH McINTYRE,
executor of estate of MARGARET McINTYRE, deceased, PETITIONER v. OHIO
ELECTIONS COMMISSION (No. 93-986, SUPREME COURT OF OHIO, April 19, 1995) Es
mag zwar einige Unterschiede zwischen der amerikanischen und der deutschen Rechtsprechung
geben – die Argumentation als solche lässt sich aber vom Grundsatz her auf alle
demokratischen und freiheitlichen Staaten übertragen, die ein Recht auf freie
Meinungsäußerung kennen:
Under our Constitution, anonymous pamphleteering is not a pernicious, fraudulent practice, but
an honorable tradition of advocacy and of dissent. Anonymity is a shield from the tyranny of the
majority. See generally J. S. Mill, On Liberty, in On Liberty and Considerations on
Representative Government 1, 3-4 (R. McCallum ed. 1947). It thus exemplifies the purpose
behind the Bill of Rights, and of the First Amendment in particular: to protect unpopular
individuals from retaliation--and their ideas from suppression--at the hand of an intolerant
society. The right to remain anonymous may be abused when it shields fraudulent conduct. But
political speech by its nature will sometimes have unpalatable consequences, and, in general,
our society accords greater weight to the value of free speech than to the dangers of its misuse.
See Abrams v. United States, 250 U.S. 616, 630-31 (1919) (Holmes, J., dissenting). Ohio has not
shown that its interest in preventing the misuse of anonymous election related speech justifies a
prohibition of all uses of that speech. The State may, and does, punish fraud directly. But it
cannot seek to punish fraud indirectly by indiscriminately outlawing a category of speech, based
on its content, with no necessary relationship to the danger sought to be prevented.
Zitiert nach: http://www.law.cornell.edu/supct/html/93-986.ZO.html
Übersetzung:
Nach unserer Verfassung ist das anonyme Verbreiten von Pamphleten kein schädliches,
betrügerisches Verhalten, sondern eine ehrenvolle Tradition der Interessenvertretung und des
Widerspruchs. Anonymität ist ein Schutz vor der Tyrannei der Mehrheit. [...] Das entspricht
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den Zweck der Bill of Rights und des ersten Zusatzartikels zur Verfassung: nämlich dem Schutz
von unpopulären Personen vor Vergeltungsmaßnahmen - und dem Schutz ihrer Ideen vor
Unterdrückung – wenn eine intolerante Gesellschaft vorliegt. Das Recht, anonym zu bleiben,
könnte missbraucht werden, wenn betrügerisches Verhalten beschützt wird. Aber es gehört zur
Natur der politischen Rede, dass sie manchmal unangenehme Folgen haben kann. Und im
Allgemeinen legt unserer Gesellschaft ein größeres Gewicht auf den Wert der freien Rede, als
auf die Gefahr des Missbrauchs. [...] Der Staat Ohio hat nicht gezeigt, dass sein Interesse zur
Verhinderung von Missbrauch bei anonymen Äußerungen in Zusammenhang mit einer Wahl ein
Verbot von derartigen Äußerungen rechtfertigt. Der Staat kann einen Betrug direkt bestrafen –
und er tut es auch. Aber er kann nicht danach streben, den Betrug indirekt zu bestrafen,
indem er wahllos eine Kategorie von Äußerungen wegen ihrer Inhalte verbietet, ohne dass es
einen zwangsläufigen Zusammenhang mit der Gefahr gibt, die verhindert werden soll.