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- 1 - Impressumspflicht contra informationelle Selbstbestimmung von Elias Erdmann eMail: [email protected] http://www.google.com/profiles/EliasErdmann 26.01.2010 Hinweis: Der nachfolgende Text ist KEIN juristisches Gutachten und auch KEINE verbindliche Rechtsauskunft, sondern er gibt lediglich die persönliche Meinung des Verfassers wieder. Die gegenwärtige gesetzliche Regelung der Impressumspflicht im Telemediengesetz ist meiner Ansicht nach verfassungswidrig, weil sie das Recht auf freie Meinungsäußerung ohne zwingenden Grund in unangemessener Weise einschränkt. Das Telemediengesetz sollte so abgeändert werden, dass die berechtigten Interessen von Webseiten-Betreibern auf informationelle Selbstbestimmung und auf den Schutz der eigenen Privatsphäre stärker berücksichtigt werden. Punkt 1: Die rechtliche Situation Bei der gegenwärtigen Rechtslage gibt es einen Konflikt zwischen 1.) der Impressumspflicht § 5 Telemediengesetz http://www.gesetze-im-internet.de/tmg/__5.html „Diensteanbieter haben für geschäftsmäßige, in der Regel gegen Entgelt angebotene Telemedien folgende Informationen leicht erkennbar, unmittelbar erreichbar und ständig verfügbar zu halten: 1.den Namen und die Anschrift, unter der sie niedergelassen sind, ...“ 2.) dem Recht auf freie Meinungsäußerung Artikel 5 Grundgesetz http://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_5.html „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten ...“ 3.) und dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung Volkszählungsurteil vom 15.12.1983 http://www.adresshandel-und-recht.de/urteile/Bundesverfassungsgericht--19831215.html „Das Grundrecht gewährleistet insoweit die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen.

Elias Erdmann - Impressumspflicht contra informationelle Selbstbestimmung

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Die gegenwärtige gesetzliche Regelung der Impressumspflicht im Telemediengesetz ist meiner Ansicht nach verfassungswidrig, weil sie das Recht auf freie Meinungsäußerung ohne zwingenden Grund in unangemessener Weise einschränkt. Das Telemediengesetz sollte so abgeändert werden, dass die berechtigten Interessen von Webseiten-Betreibern auf informationelle Selbstbestimmung und auf den Schutz der eigenen Privatsphäre stärker berücksichtigt werden. Es sollte die Faustformel gelten: Überall dort, wo es kein berechtigtes Interesse für den Verbraucherschutz gibt, sollte der Betreiber einer Webseite das Recht haben, seine Meinung frei zu äußern, ohne dass er dafür den Schutz der eigenen Privatsphäre aufgeben muss.

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Page 1: Elias Erdmann - Impressumspflicht contra informationelle Selbstbestimmung

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Impressumspflicht contra

informationelle Selbstbestimmung

von Elias Erdmann

eMail: [email protected]

http://www.google.com/profiles/EliasErdmann

26.01.2010

Hinweis: Der nachfolgende Text ist KEIN juristisches

Gutachten und auch KEINE verbindliche Rechtsauskunft,

sondern er gibt lediglich die persönliche Meinung des

Verfassers wieder.

Die gegenwärtige gesetzliche Regelung der Impressumspflicht im Telemediengesetz ist meiner

Ansicht nach verfassungswidrig, weil sie das Recht auf freie Meinungsäußerung ohne

zwingenden Grund in unangemessener Weise einschränkt.

Das Telemediengesetz sollte so abgeändert werden, dass die berechtigten Interessen von

Webseiten-Betreibern auf informationelle Selbstbestimmung und auf den Schutz der eigenen

Privatsphäre stärker berücksichtigt werden.

Punkt 1: Die rechtliche Situation

Bei der gegenwärtigen Rechtslage gibt es einen Konflikt zwischen

1.) der Impressumspflicht

§ 5 Telemediengesetz

http://www.gesetze-im-internet.de/tmg/__5.html

„Diensteanbieter haben für geschäftsmäßige, in der Regel gegen Entgelt angebotene

Telemedien folgende Informationen leicht erkennbar, unmittelbar erreichbar und ständig

verfügbar zu halten:

1.den Namen und die Anschrift, unter der sie niedergelassen sind, ...“

2.) dem Recht auf freie Meinungsäußerung

Artikel 5 Grundgesetz

http://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_5.html

„Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu

verbreiten ...“

3.) und dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung

Volkszählungsurteil vom 15.12.1983

http://www.adresshandel-und-recht.de/urteile/Bundesverfassungsgericht--19831215.html

„Das Grundrecht gewährleistet insoweit die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst

über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen.

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Einschränkungen dieses Rechts auf "informationelle Selbstbestimmung" sind nur im

überwiegenden Allgemeininteresse zulässig.“

Der Konflikt ergibt sich ganz speziell:

1.) aus der sehr allgemeinen Interpretation des Begriffs „geschäftsmäßig“ in § 5 Tele-

mediengesetz, sodass auch private Webseiten unter die Impressumspflicht fallen.

2.) aus der Tatsache, dass unterschiedliche Gerichte zu unterschiedlichen Rechtsauf-

fassungen kommen. Man hat als Bürger keine klaren und eindeutigen Kriterien, an die

man sich halten kann, um auf das Impressum verzichten zu können.

Das Bundesministerium der Justiz kommt deshalb auch in seinem Leitfaden zur Impressums-

pflicht zu folgendem Ergebnis:

Teilweise wird die Rechtsauffassung vertreten, dass auch rein private Websites geschäftsmäßig

und in der Regel gegen Entgelt angeboten werden, soweit sie Werbebanner einblenden und da-

durch (auch nur kostendeckende) Einkünfte erzielt werden. [...]

Die Anbieterkennzeichnungspflicht muss praktisch von jedem, der ein Online-Angebot bereithält,

erfüllt werden. [...] Im Zweifel sollten Sie davon ausgehen, dass die Anbieterkennzeichnungs-

pflicht besteht.

http://www.bmj.de/enid/395c47bdaacc6958fd4460d866e3ad94,0/Erstellen_einer_Anbieterkennz

eichnung/Muss_ich_die_Anbieterkennzeichnungspflicht_nach_dem_Telemedien_1hn.html

Anmerkungen:

- Mit der Formulierung „Teilweise wird die Rechtsauffassung vertreten ...“ wird bestätigt,

dass es tatsächlich unterschiedliche Rechtsauffassungen gibt.

- Bei vielen Webspace-Anbietern kann man als Betreiber einer Webseite gar nicht

beeinflussen, ob Werbebanner oder Werbe-Popups erscheinen.

Punkt 2: Die Konsequenz

Wenn man eine Webseite zur freien Meinungsäußerung nutzen will und wenn man keine Strafe

oder Abmahnung riskieren will, dann ist man wegen der Impressumspflicht gezwungen, seine

persönlichen Daten offen zu legen. Und somit muss man zwangsläufig auf den Schutz der

Privatsphäre verzichten.

Besonders absurd wird die Situation,

- wenn einerseits das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend die

Initiative „Watch Your Web“ unterstützt, die bei Jugendlichen ein stärkeres Bewusstsein

für einen verantwortungsvollen Umgang mit persönlichen Daten schaffen will

http://www.watchyourweb.de/m1656703266_457.html

- wenn aber andererseits das Bundesministerium für Justiz darauf hinweist, dass praktisch

jeder Betreiber einer Webseite seine persönlichen Daten angeben muss.

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Punkt 3: Die Situation des privaten Webseitenbetreibers

In der heutigen Zeit ist die Gestaltung einer eigenen Webseite im Internet ein üblicher Weg, um

seine eigenen Meinungen in Wort, Schrift und Bild zu äußern. Der Betrieb einer eigenen

Webseite birgt jedoch Gefahren, weil man keine Kontrolle darüber hat, wer diese Seiten liest,

kopiert, zitiert, verlinkt, verarbeitet, auswertet, mit anderen Informationen und Themen

verknüpft usw. Aus diesen Gründen ist es manchmal nicht mehr möglich, eine einmal geäußerte

Meinung später zu korrigieren oder zu entfernen.

Folgende Gefahren können möglicherweise eintreten:

- Es gibt Vorurteile über manche Minderheiten. Aus dem Inhalt der Webseite lässt sich

möglicherweise rekonstruieren, dass man einer dieser Minderheiten angehört. Daraus

können sich berufliche oder gesellschaftliche Nachteile ergeben.

- Wenn man sich auf der eigenen Webseite kritisch mit extremistischen oder

fundamentalistischen Strömungen auseinander setzt, dann besteht die Gefahr, dass sich

diese Kreise rächen wollen und dass es Übergriffe ins Privatleben gibt.

- Wenn man sich auf der eigenen Webseite kritisch mit den Geschäftspraktiken von

Firmen auseinander setzt, dann könnte es Probleme geben, wenn man später einen neuen

Job sucht.

- Wenn man im Internet eigene Krankheiten und Familienprobleme anspricht, dann könnte

es ebenfalls Probleme geben, wenn man später einen neuen Job sucht.

- Wenn man sich als Ausländer auf der eigenen Webseite kritisch mit den politischen

Zuständen im Heimatland auseinander setzt, dann könnte es Probleme geben, wenn man

später wieder in sein Heimatland zurück kehrt.

- usw.

Aus solchen Gründen kann es für eine Privatperson ratsam sein, die eigene Adresse nicht im

Internet zu veröffentlichen. Wenn man jedoch gezwungen wird, die eigene Adresse zu

veröffentlichen, dann wäre es ratsam, all diese Themen auf der eigenen Webseite nicht zu

veröffentlichen. Dadurch wird jedoch das Recht auf freie Meinungsäußerung massiv

eingeschränkt.

Die Impressumspflicht hat bei Privatpersonen ganz andere Konsequenzen als bei Firmen. Als

Privatperson kann man beim Impressum nur seine Privatadresse und seine private

Telefonnummer angeben. Man hat keine Firmenadresse, keinen Pförtner, keine Presseabteilung,

keinen Werksschutz, ... die einen nach außen hin abschotten und die unliebsame Besucher und

Anrufer abhalten.

Deshalb ist man als Privatperson sehr viel stärker von den Konsequenzen betroffen, die sich aus

der Impressumspflicht ergeben. Und daraus ergibt sich bei Privatpersonen auch eine besondere

Notwendigkeit zum Schutz der Privatsphäre, die es bei Firmen nicht gibt. Dieser besondere

Schutz der Privatsphäre bei Privatpersonen sollte bei der Impressumspflicht berücksichtigt

werden.

Der Vorstandsvorsitzende eines großen Konzerns würde sicherlich niemals seine private Adresse

auf der Webseite des Konzerns veröffentlichen. Bei einer privaten Webseite wird aber genau das

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von dem privaten Betreiber verlangt, denn er hat keine Firmenadresse, die er an dieser Stelle

angeben könnte.

Wenn man seine Meinung im Internet veröffentlichen will, wenn man aber nicht bereit ist, ein

Impressum anzugeben, dann bleibt einem im Moment nur die Möglichkeit, die eigenen Texte in

fremde Foren oder Internetdienste einzutragen. Die Möglichkeiten zur Gestaltung und zur Pflege

der eigenen Texte sind dabei jedoch massiv eingeschränkt.

(Ich selbst verwende übrigens aus diesem Grund die Dienste Scribd und Doktus.)

Punkt 4: Vorschlag für eine Gesetzesänderung

Die Impressumspflicht sollte dahingehend geändert werden, dass folgende Interessen in

sinnvoller Weise gegeneinender abgewogen werden:

1.) das berechtigte Interesse des Verbraucherschutzes

2.) das berechtigte Interesse auf die informationelle Selbstbestimmung bzw. den Schutz der

eigenen Privatsphäre

Hier sollte die Faustformel gelten: Überall dort, wo es kein berechtigtes Interesse für den

Verbraucherschutz gibt, sollte der Betreiber einer Webseite das Recht haben, seine Meinung frei

zu äußern, ohne dass er dafür den Schutz der eigenen Privatsphäre aufgeben muss.

Das entspricht dem Urteil des Verfassungsgerichts im Volkszählungsurteil vom 15.12.1983:

Einschränkungen dieses Rechts auf "informationelle Selbstbestimmung" sind nur im

überwiegenden Allgemeininteresse zulässig. Sie bedürfen einer verfassungsgemäßen

gesetzlichen Grundlage, die dem rechtsstaatlichen Gebot der Normenklarheit entsprechen muß.

Bei seinen Regelungen hat der Gesetzgeber ferner den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu

beachten.

http://www.adresshandel-und-recht.de/urteile/Bundesverfassungsgericht--19831215.html

Ein berechtigtes Interesse an einem vollständigen Impressum besteht dann,

- wenn direkt durch die Benutzung der Webseite eine Geschäftsbeziehung zustande

kommt, so dass der Betreiber bzw. Vermittler gegenüber dem Besucher irgendwelche

Pflichten eingeht (z.B. Erbringen einer Dienstleistung, Lieferung einer Ware,

Gewährleistung, ...)

- wenn der Besucher die Webseite wegen einer bestehenden Geschäftsbeziehung

verwenden muss, um seine Rechte einzufordern oder um seine Pflichten zu erfüllen.

- wenn die Webseite von Behörden oder öffentlichen Einrichtungen betrieben wird

(Gegenüber diesem Betreiber haben alle Bürger Rechte und Pflichten.)

Natürlich gibt es noch sehr viele andere Fälle, wo ein Impressum sinnvoll ist. Wenn z.B. ein

Gastwirt im Internet für sein Restaurant wirbt, dann ist es ganz nützlich, wenn man auf dieser

Webseite auch die Adresse dieses Restaurants erfährt. Aber es gibt in diesem Fall keine

Notwendigkeit für eine gesetzliche Regelung, denn das Impressum liegt in diesem Fall im

Eigeninteresse des Gastwirts.

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Wenn man (z.B. aus privatem Interesse) auf seiner Webseite für eine Ware wirbt (bzw. wenn

man diese Ware empfiehlt), wenn man aber diese Ware nicht selbst vertreibt, dann gibt es

ebenfalls keinen zwingenden Grund für ein Impressum, denn man geht mit der Werbung noch

keine Verpflichtung gegenüber dem Besucher ein. Der Besucher muss sich, wenn er die Ware

erwerben will, an einen anderen Anbieter wenden. Mit diesem anderen Anbieter geht er dann

ggf. eine Geschäftsbeziehung ein. Und dort gibt es dann auch ein berechtigtes Interesse an einem

Impressum.

Weiterhin sind auch Fälle denkbar, dass man zwar keine Geschäftsbeziehung mit dem Betreiber

einer Webseite hat, dass man aber trotzdem mit ihm Kontakt aufnehmen möchte, weil der

Betreiber die eigenen Rechte verletzt (z.B. Persönlichkeits- oder Urheberrechte). Das könnte

rein theoretisch bei jeder Webseite passieren. Aber es wäre vollkommen unangemessen, deshalb

eine generelle Impressumspflicht zu begründen. Es käme sicherlich auch niemand auf die Idee,

dass jeder Mensch im täglichen Leben mit einem Namensschild rumlaufen muss, nur weil es rein

theoretisch sein könnte, dass er die Rechte eines anderen verletzt (z.B. durch das Tragen von

gefälschter Markenware: Kleidung, Uhren, ...) oder dass er gegen Gesetze verstößt (z.B. durch

das Tragen von verfassungsfeindlichen Symbolen).

Dieses Problem ließe sich zweistufig lösen:

1.) durch eine generelle Pflicht, dass jeder Betreiber einer Webseite eine eMail-Adresse

angeben muss, unter der er erreichbar ist, damit man ihn auf unkomplizierte Weise

erreichen kann, um ihn auf die Verletzung der eigenen Rechte hinzuweisen. (Durch eine

anonyme eMail-Adresse wäre die Erreichbarkeit sichergestellt, ohne dass der Betreiber

seine Anonymität aufgeben muss.)

2.) durch eine Auskunftspflicht des Webspace-Anbieters, sofern eine gerichtliche

Anordnung vorliegt

Eine sinnvolle Erweiterung von § 5 Telemediengesetz könnte so aussehen:

Sofern der Dienstanbieter eine natürliche Person ist, sofern er mit seinem Angebot keine

vertraglichen Pflichten gegenüber dem Nutzer eingeht und sofern das Dienstangebot nicht

dafür ausgelegt ist, um die Rechte und Pflichten aus einer bestehenden Geschäftsbeziehung

auszuüben, kann der Dienstanbieter zum Schutz seiner Privatsphäre auf ein vollständiges

Impressum verzichten. In diesem Fall muss lediglich die Erreichbarkeit des

Dienstanbieters per eMail sichergestellt sein (kompatibel zum Industrie-Standard RFC

2822). Weiterhin muss in diesem Fall anstelle des Impressums ein Hinweis angebracht

werden, dass es sich bei diesem Internetangebot um eine „private Meinungsäußerung“

handelt, dass keine Waren oder Dienstleistungen gegen Entgelt angeboten werden, dass der

Dienstanbieter keine Pflichten gegenüber dem Besucher übernimmt und auch keine

Haftung für die Richtigkeit seiner Aussagen.

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Punkt 5: Schlusswort

Viele Ideen und Werke, die unsere Kultur prägten und bereicherten, wurden ursprünglich

anonym oder unter einem Pseudonym veröffentlicht.

Einige Beispiele:

- Die anonym verfasste Flugschrift „Common Sense“ von Thomas Paine gab einen

wichtigen Anstoß zur amerikanischen Unabhängigkeitserklärung.

- Die „Fama Fraternitatis“ (1614) und die „Confessio Fraternitatis“ (1615) sind wichtige

Grundlagen der Rosenkreuzer-Bewegungen und haben die europäische Geistesgeschichte

nachhaltig geprägt.

- Der deutsche Philosoph Johann Gottlieb Fichte veröffentlichte seinen „Versuch einer

Kritik aller Offenbarung“ zunächst anonym.

- Die Sage von „Johann Faust“ erschien im Jahr 1587 als anonymes Werk unter dem Titel

„Historia von D. Johann Fausten“. Diese Geschichte lieferte später die Grundmotive für

Goethes „Faust“.

- Auch Goethe veröffentliche einige seiner Werke anonym, z.B. die „Römischen Elegien“,

die für die damalige Zeit etwas zu freizügig waren.

- Die Romane von Jane Austen und der Briefroman „Gefährliche Liebschaften“ von

Pierre-Ambroise-François Choderlos de Laclos wurden ebenfalls anonym veröffentlicht.

Wir können froh sein, dass all diese Autoren die Möglichkeit hatten, ihre Werke anonym zu

veröffentlichen, denn ohne diese Werke wäre unsere Kultur um sehr vieles ärmer. Politischen

Machtstrukturen, gesellschaftliche Konventionen und religiöse Intoleranz waren vermutlich die

Hauptgründe, weshalb sich die Autoren nicht offen zu ihren Werken bekennen konnten. Die

Anonymität des Autors war manchmal ratsam, um die soziale Stellung nicht zu gefährden – und

manchmal war sie sogar notwendig zum Schutz des eigenen Lebens.

Die Zeiten mögen sich geändert haben, aber das Grundproblem ist geblieben. Es liegt in der

Natur der Sache, dass neue Ideen immer wieder mit den bestehenden Gesellschaftsstrukturen und

Gepflogenheiten kollidieren, dass sie traditionelle Tabu-Grenzen überschreiten und bestehende

Weltbilder in Frage stellen.

Die Möglichkeit, neue Ideen anonym veröffentlichen zu können, ist deshalb auch heute im

Internet-Zeitalter noch immer eine der wichtigsten Grundvoraussetzung für den

gesellschaftlichen Wandel in einer Demokratie. Die Identifizierungspflicht für Meinungen

ist hingegen ein typisches Merkmal von totalitären Systemen.

Es gibt keinen sinnvollen Grund, warum man eine anonyme Internet-Veröffentlichung anders

behandeln sollte als eine anonyme Buchveröffentlichung, denn das Internet setzt nur eine

Entwicklung fort, die mit der Erfindung des Buchdrucks begann. Vor der Erfindung des

Buchdrucks musste jedes Buch mühevoll abgeschrieben werden. Dadurch konnten nur wenige

Menschen ihre Ideen in Buchform verbreiten, und diese Ideen waren auch nur wenigen

Menschen zugänglich. Das änderte sich mit der Erfindung des Buchdrucks. Der Aufwand für die

Veröffentlichung eines neuen Buches war immer noch relativ hoch. Und so war es auch

weiterhin nur eine Minderheit, die ihre Ideen in Buchform verbreiten konnte. Aber die Ideen

waren nun zumindest einer breiten Öffentlichkeit zugänglich. Das galt auch später für die

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modernen Medien Rundfunk und Fernsehen. Auch diese Medien konnten nur von einer

Minderheit zur Meinungsäußerung genutzt werden. Erst die Entwicklung des Internets gibt uns

die Möglichkeit, dass JEDER seine Ideen verbreiten kann und dass diese Ideen für JEDEN

zugänglich sind.

Wenn wir in Artikel 5 des Grundgesetzes JEDEM das Recht zugestehen, „seine Meinung in

Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten“, dann sollten in dem wichtigsten

Medium, das JEDER zur Meinungsäußerung hat, die gleichen Grundsätze gelten wie bei einer

Buchveröffentlichung.

Man kann nur dann seine Meinung FREI äußern, wenn man keine Angst haben muss, dass

man seine Privatsphäre oder seine soziale Stellung gefährdet. Das Recht zur anonymen

Meinungsäußerung ist daher eine ganz wichtige Voraussetzung, damit man seine Meinung

FREI äußern kann. Diese Freiheit wird uns vom Telemediengesetzt genommen – ohne dass

es dafür einen zwingenden Grund gäbe.

Anhang

Zum Vergleich: Das Recht auf anonyme Meinungsäußerung in den Vereinigten Staaten

Das Recht auf freie Meinungsäußerung hat in den Vereinigten Staaten von Amerika traditionell

einen sehr hohen Stellenwert. Das nachfolgende Zitat, das die besondere Bedeutung der

anoymen Meinungsäußerung unterstreicht, stammt aus dem Urteil: JOSEPH McINTYRE,

executor of estate of MARGARET McINTYRE, deceased, PETITIONER v. OHIO

ELECTIONS COMMISSION (No. 93-986, SUPREME COURT OF OHIO, April 19, 1995) Es

mag zwar einige Unterschiede zwischen der amerikanischen und der deutschen Rechtsprechung

geben – die Argumentation als solche lässt sich aber vom Grundsatz her auf alle

demokratischen und freiheitlichen Staaten übertragen, die ein Recht auf freie

Meinungsäußerung kennen:

Under our Constitution, anonymous pamphleteering is not a pernicious, fraudulent practice, but

an honorable tradition of advocacy and of dissent. Anonymity is a shield from the tyranny of the

majority. See generally J. S. Mill, On Liberty, in On Liberty and Considerations on

Representative Government 1, 3-4 (R. McCallum ed. 1947). It thus exemplifies the purpose

behind the Bill of Rights, and of the First Amendment in particular: to protect unpopular

individuals from retaliation--and their ideas from suppression--at the hand of an intolerant

society. The right to remain anonymous may be abused when it shields fraudulent conduct. But

political speech by its nature will sometimes have unpalatable consequences, and, in general,

our society accords greater weight to the value of free speech than to the dangers of its misuse.

See Abrams v. United States, 250 U.S. 616, 630-31 (1919) (Holmes, J., dissenting). Ohio has not

shown that its interest in preventing the misuse of anonymous election related speech justifies a

prohibition of all uses of that speech. The State may, and does, punish fraud directly. But it

cannot seek to punish fraud indirectly by indiscriminately outlawing a category of speech, based

on its content, with no necessary relationship to the danger sought to be prevented.

Zitiert nach: http://www.law.cornell.edu/supct/html/93-986.ZO.html

Übersetzung:

Nach unserer Verfassung ist das anonyme Verbreiten von Pamphleten kein schädliches,

betrügerisches Verhalten, sondern eine ehrenvolle Tradition der Interessenvertretung und des

Widerspruchs. Anonymität ist ein Schutz vor der Tyrannei der Mehrheit. [...] Das entspricht

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den Zweck der Bill of Rights und des ersten Zusatzartikels zur Verfassung: nämlich dem Schutz

von unpopulären Personen vor Vergeltungsmaßnahmen - und dem Schutz ihrer Ideen vor

Unterdrückung – wenn eine intolerante Gesellschaft vorliegt. Das Recht, anonym zu bleiben,

könnte missbraucht werden, wenn betrügerisches Verhalten beschützt wird. Aber es gehört zur

Natur der politischen Rede, dass sie manchmal unangenehme Folgen haben kann. Und im

Allgemeinen legt unserer Gesellschaft ein größeres Gewicht auf den Wert der freien Rede, als

auf die Gefahr des Missbrauchs. [...] Der Staat Ohio hat nicht gezeigt, dass sein Interesse zur

Verhinderung von Missbrauch bei anonymen Äußerungen in Zusammenhang mit einer Wahl ein

Verbot von derartigen Äußerungen rechtfertigt. Der Staat kann einen Betrug direkt bestrafen –

und er tut es auch. Aber er kann nicht danach streben, den Betrug indirekt zu bestrafen,

indem er wahllos eine Kategorie von Äußerungen wegen ihrer Inhalte verbietet, ohne dass es

einen zwangsläufigen Zusammenhang mit der Gefahr gibt, die verhindert werden soll.