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Empfehlungen für das Regierungsprogramm 2013-2017 Mut zu einem starken Wirtschaftsstandort Deutschland DIE STIMME DER SOZIALEN MARKTWIRTSCHAFT 5 0 JAHRE 1963–2013

Empfehlungen für das Regierungsprogramm 2013-2017 - Mut zu einem starken Wirtschaftsstandort Deutsch

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Broschüre des Wirtschaftsrates der CDU eV

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EmpfehlungenfürdasRegierungsprogramm2013-2017 Mut zu einem starkenWirtschaftsstandort Deutschland

DIE STIMME DER SOZIALEN MARKTWIRTSCHAFT

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1963–2013

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Mut zu einem starken Wirtschaftsstandort DeutschlandMit dem Ausgang der Bundestagswahl haben die Bürgerinnen und Bürger einer leistungsfeindlichen Umver-teilung und einer bevormundenden Verbotspolitik eine klare Absage erteilt. Gleichzeitig kann die bürgerliche Regierungskoalition nicht fortgesetzt werden.

Unabhängig davon, welche Regierungskonstellation sich durchsetzt, erwarten die Bürger und Unternehmer dringend überzeugende Antworten auf die geradezu historischen Herausforderungen dieser Legislatur-periode. Nur mit einer stabilen Regierungsmehrheit können die Überwindung der EU-Schuldenkrise, die erfolgreiche Umsetzung der Energiewende und die demografiefeste Gestaltung unserer sozialen Sicherungs-systeme gelingen.

Die Koalitionsvereinbarungen der neuen Bundesregierung entscheiden darüber, ob es mit Deutschland wirk-lich weiter aufwärts geht und unser Land der Stabilitätsanker in Europa bleibt. Umso wichtiger ist es, dass gerade die Unionsparteien sich auf ihren wirtschaftspolitischen Markenkern besinnen und keine Kompro-misse bei der Stärkung des Industriestandortes Deutschland eingehen. Der nächste Koalitionsvertrag muss den Geist der Sozialen Marktwirtschaft glaubhaft in sich tragen.

Gerade unter den neuen politischen Kräfteverhältnissen ist die Politik auf den Sachverstand und die Erfah-rung der Wirtschaft dringend angewiesen. Der Wirtschaftsrat ist deshalb wichtiger denn je. Mit breiter und maßgeblicher Unterstützung seiner Fachkommissionen und Expertengremien haben wir die vorliegende Agenda für das Regierungsprogramm entwickelt.

Der Wirtschaftsrat fordert die neue Bundesregierung auf, in den ersten 100 Tagen ein mutiges Sofort- Programm für Wachstum, Stabilität und Innovation umzusetzen. Folgende Schwerpunkte müssen von Anfang an entschlossen angepackt werden.

O Erneuerbare Energien-Gesetz grundlegend und marktwirtschaftlich umgestalten!O ‚Hilfen nur gegen Reformen‘ als Kernprinzip der europäischen Rettungspolitik beibehalten!O Abmilderung der kalten Progression in der Einkommensteuer endlich umsetzen!O Föderalismuskommission III zur Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen einsetzen!O Verkehrswegefinanzierung durch Zweckbindung und Überjährigkeit der Mittel sicherstellen!O Soziale Sicherungssysteme durch Ausbau der Kapitaldeckung und mehr Eigenvorsorge zukunftsfest

machen!O Zukunftsinvestitionen in Forschung und Entwicklung steuerlich fördern!O Ständigen Ausschuss für den Wachstums- und Beschäftigungstreiber Internet und digitale Wirtschaft im

Bundestag einrichten!

Damit Deutschland auch in Zukunft wirtschaftlich stark bleibt, brauchen wir Mut zu Eigenverantwortung und Leistungsbereitschaft. Der Wirtschaftsrat wird sich auch in der nächsten Legislatur mit der Expertise und Erfahrung seiner rund 12.000 Mitglieder als starke Stimme der Sozialen Marktwirtschaft einbringen.

Berlin, im September 2013

Prof. Dr. Kurt J. Lauk Wolfgang Steiger Präsident Generalsekretär

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I. Europa stärken, Abstieg in die Schuldenunion beenden! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .7II. Haushalt konsolidieren, Ausgaben kürzen! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .10III. Steuersystem vereinfachen, Mehrbelastungen verhindern! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13IV. Verstaatlichungen auf Kosten des Mittelstands stoppen! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .16V. Energiewende auf ein marktwirtschaftliches Fundament stellen! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .19VI. Neue Balance zwischen Umwelt- und Wirtschaftspolitik schaffen! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .23VII. Fachkräftebedarf sichern, Tarifautonomie erhalten, Alterssicherung zukunftsfest gestalten! . . . 26VIII. Qualität, Wirtschaftlichkeit und IT-Effizienz des Gesundheitssystems vorantreiben! . . . . . . . . . . . 30IX. Investitionsprogramm für Verkehrsinfrastruktur starten! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .35X. Markt statt Mietpreisbremse durchsetzen! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38XI. Attraktivität des Forschungs- und Innovationsstandorts verbessern! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .41XII. Wachstumstreiber Internet entfesseln! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44

Schnellübersicht

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Deutschlands Zukunft heißt Europa. In einer Welt neuer Kraftzentren, werden wir unsere freiheitliche Wirt-schafts- und Gesellschaftsordnung nur mit einem starken Europa verteidigen können. Die EU-Schulden- und Vertrauenskrise hat jedoch auf dramatische Weise gezeigt, dass das Haus Europa dringend renovierungsbedürf-tig ist. Zentrale Stützpfeiler wie der Stabilitätspakt und der Ausschluss der gegenseitigen Haftung haben sich als brüchig erwiesen. Die verantwortungslose Misswirtschaft in einzelnen Mitgliedsländern hat die Statik des ge-samten Gebäudes ins Wanken gebracht.

Gerade Deutschland muss sich offensiv seiner Führungsverantwortung bei der Sicherung des Euro und der Stär-kung des Ordnungsrahmens der EU stellen. Zum einen sind wir als Vorbild gefordert, in der Schicksalsfrage der Konsolidierung der europäischen Haushalte dringend selbst Kurs zu halten. Zum anderen geht es darum, ge-meinsam mit den europäischen Partnern eine klare Perspektive nach vorne zu entwickeln. Umso wichtiger ist es, Sparmaßnahmen mit einer spürbaren Wachstums dynamik zu verbinden. Keineswegs sind damit massive Kon-junkturpakete auf Pump gemeint. Nicht Aufgaben und Ausgaben der Staatsmacht müssen in der Krise wachsen, sondern vor allem die Wettbewerbsfähigkeit der Volkswirtschaften gilt es zu steigern. Zudem muss durch eine wirkungsvolle Finanzmarktregulierung der Teufelskreis zwischen Banken und Staatsschulden durchbrochen werden.

Die europäische Gemeinschaft hat bereits wichtige Maßnahmen für mehr Stabilität und Wettbewerbsfähigkeit ergriffen. Die Einführung von Schuldenbremsen, die Verbesserung der wirtschaftspolitischen Koordinierung und die Schaffung der Grundlagen für eine Bankenunion können bei richtiger Ausgestaltung entscheidende Baustei-ne für eine neue Stabilitätsunion sein. Vor dem Hintergrund dieser fundamentalen Veränderungen gilt es mehr denn je, die Bürger auf den Weg der Erneuerung mitzunehmen. Grundsatzfragen über die Weiterentwicklung der europäischen Institutionen, die Vertiefung der Integration oder die Beseitigung des Demokratiedefizits müs-sen von Gesellschaft, Politik und Wirtschaft gemeinsam erstritten werden. Wir brauchen eine leidenschaftliche Debatte über die Zukunft der EU. Nur so können wir dem europäischen Projekt wieder Herz und Seele geben.

Eine neue EU-Stabilitätskultur benötigt folgende Leit planken:

1. Abrutschen in eine Transferunion verhindern!Zukunftssichere Arbeitsplätze und nachhaltiges Wachstum entstehen nicht durch Geld der Noten-bank, europäische Umverteilung oder staatliche Kon-junkturprogramme.

Die Probleme unzureichender Wettbewerbsfähigkeit können dauerhaft nur durch Reformen in den jewei-ligen Ländern gelöst werden. Es gilt deshalb, das Prin-zip der Eigenverantwortung, das in der Krise aufge-weicht wurde, wieder zu stärken und weiterzuent-wickeln. Die bewährte strikte Konditionalität muss als Kernelement der Rettungspolitik dringend beibe-halten werden. Finanzhilfen müssen immer auch verbindlich an die Umsetzung von Reformprogram-men geknüpft sein. Eine gesamtschuldnerische Haf-tung über Eurobonds, ein gemeinsames EU-Einla-gensicherungssystem, eine Banklizenz für den ESM oder einen Altschulden tilgungsfonds darf es nicht geben.

2. Stabilitätsregeln strikt einhalten!Der gehärtete Stabilitäts- und Wachstumspakt sowie die im Fiskalpakt vereinbarten Schuldenbremsen sind Schritte zu mehr Verbindlichkeit in Europa. Die bloße Existenz der verschärften Regeln genügt je-doch nicht. Vertrauen entsteht nur, wenn die neuen Regeln auch konsequent angewandt und gelebt wer-den. Umso wichtiger ist es, dass die Ermessensspiel-räume nicht gleich zu Beginn bis an die Grenze aus-gereizt werden. Es widerspricht dem Geist der Ver-einbarungen, wenn die strukturellen Konsolidie-rungsanforderungen regelmäßig geschwächt und in die Zukunft verschoben werden. Eine Abweichung von den im Stabilitätspakt vorgesehenen Anpas-sungsfristen darf deshalb nur in absoluten Ausnah-mefällen gewährt werden. Stattdessen muss gelten, dass Regelverletzungen künftig hart sanktioniert werden. Die Möglichkeiten zur Überwachung und Überprüfung der nationalen Haushalte durch die Europäische Kommission müssen entsprechend ge-stärkt werden. Zudem ist es notwendig, innerhalb

I. Europa stärken, Abstieg in die Schuldenunion beenden!

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der Eurozone ein Umschuldungsverfahren für Staa-ten zu entwickeln, die ihre Schulden nicht mehr tra-gen können.

3. Weichen konsequent auf Wachstum stellen!Nur wenn es gelingt, einen verbindlichen europäi-schen Ordnungsrahmen zu schaffen, der Disziplin und Wachstum verbindet, kann die Schulden- und Vertrauenskrise überwunden werden. Möglichkeiten für nachhaltige Wachstumsimpulse gibt es genug. Gerade in der Vollendung des Binnenmarkts liegen noch gewaltige Potenziale. Ein wirklich offener Dienstleistungssektor könnte das reale BIP der EU um bis zu 2,6 Prozent jährlich steigern. Um der hohen Jugendarbeitslosigkeit entgegenzutreten, muss auch die Liberalisierung der Arbeitsmärkte vorangetrie-ben werden. Es gilt, das deutsche duale Ausbildungs-system zum Exportschlager zu machen. Die von der EU vorgeschlagenen staatlich finanzierten Beschäfti-gungsprogramme entfachen dagegen lediglich Strohfeuereffekte und verschärfen die ohnehin ange-spannte Lage der nationalen Haushalte.

4. Mittel der EU-Strukturpolitik zielgerichtet zur Stärkung von Wachstum und Wett-bewerbsfähig k e it einsetzen!Die Regionalförderung macht über ein Drittel des EU-Haushalts aus. Die bisherige Kohäsionspolitik zur Festigung des inneren wirtschaftlichen Zusammen-halts der EU hat jedoch kläglich versagt. Umso drin-gender braucht es eine entschlossene Neuausrich-tung. Es hat sich gezeigt, dass die Subventionen in der Vergangenheit mehr die Ursachen für die Proble-me als Teil der Lösung gewesen sind. Die Dauerali-mentierung hat zu wirtschaftlichen Fehlentwicklun-gen geführt und dafür gesorgt, dass zu viel in den Konsum anstatt in wettbewerbsfähige Technologien investiert worden ist. Fördermittel der EU müssen deshalb künftig an Pro-jekte gekoppelt werden, die die Wettbewerbsfähig-keit steigern und Arbeitsplätze schaffen. Entspre-chende Erfolgskontrollen müssen regelmäßig durch-geführt werden.

5. Zur strikten Trennung von Geld- und Fiskalpolitik zurückkehren!Das massive Eingreifen der Europäischen Zentral-bank hat den Krisenländern Zeit gekauft. Gleichzeitig haben die Anleihekäufe das Mandat der EZB aufs Äu-ßerste gedehnt. Die Notenbank kann die Krise jedoch

nicht lösen, da die zugrunde liegenden Probleme kei-ne geldpolitischen sind. Die Strukturprobleme müs-sen in den jeweiligen Ländern selbst angegangen werden. Wenn Zentralbankhilfen den Reformdruck von der Politik nehmen, wird die Überwindung der Krise erschwert und die Unabhängigkeit der EZB ge-fährdet. Deshalb dürfen die Rettungseinsätze der EZB nicht zum Dauerzustand werden. Die EZB muss strikt der Geldwertstabilität verpflichtet bleiben. Eine Mo-netarisierung der Staatsschulden wäre eine demo-kratisch nicht legitimierte Enteignung der Sparer. Schon Ludwig Erhard wusste, dass Soziale Marktwirt-schaft ohne eine konsequente Politik der Preisni-veaustabilität nicht denkbar ist. Gerade in einer Zeit, in der die EZB in einen Grenzbereich ihres Mandats vorgestoßen ist, gilt es, die Transparenz der Entschei-dungen zu erhöhen. Die Offenlegung der Sitzungs-protokolle des EZB-Rats muss verbindlich werden und sichtbar machen, mit welchen Argumenten um die Entscheidungen gerungen wird. Eine solche Re-chenschaft würde das Vertrauen in das Euro-System stärken.

6. „Sorgfalt vor Schnelligkeit“ zum Leitmotiv bei der Einführung einer EU-Bankenunion machen!Die geplante Bankenunion ist ein wichtiger Baustein, um die europäische Integration weiter voranzutrei-ben. Eine starke einheitliche Aufsicht macht das eu-ropäische Finanzsystem stabiler und krisenfester. Entscheidend ist auch hier, dass durch die zusätzli-chen Verantwortlichkeiten der EZB als Bankenauf-sicht keine Interessenkonflikte mit der geldpoliti-schen Kernaufgabe entstehen. Umso wichtiger ist es, von Beginn an eine klare institutionelle Trennung zu schaffen. Zudem kommt es darauf an, dass die Ban-kenunion nicht missbraucht wird, um bereits in der Vergangenheit entstandene Risiken durch die Hin-tertür zu vergemeinschaften. Altlasten in den Bank-bilanzen müssen deshalb mithilfe einer gründlichen Überprüfung identifiziert werden. Verluste, die un-ter nationaler Aufsicht entstanden sind, müssen auch auf nationaler Ebene bereinigt werden – von den jeweiligen Heimatländern der Banken. Erst nach einer vollständigen und sorgfältigen Bestandsauf-nahme der Bankbilanzen darf die Aufsicht auf die europäische Ebene verlagert werden. Nur so kann sichergestellt werden, dass die Banken, die unter EZB-Aufsicht gestellt werden, auch solide aufgestellt sind. Bei den weiteren Bausteinen einer Banken-

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union - den gemeinsamen Abwicklungsfonds und der europäischen Einlagensicherung – gilt es, zu-nächst überzeugende nationale Systeme mit einheit-lichen Mindeststandards zu entwickeln. Klar ist: Jeder Mechanismus muss auch künftig parlamen-tarisch durch diejenigen kontrolliert werden, die am Ende zahlen.

7. Teufelskreis von Banken und Staats-schulden durchbrechen!Die bisherige Annahme, Staatsanleihen seien absolut risikolos, ist in aller Deutlichkeit widerlegt worden. Auch bei Staatsanleihen muss deshalb gelten: Höhe-re Risiken müssen mit mehr Kapital unterlegt wer-den. Die geltende Nullgewichtung von Staatsan-leihen hat Fehlanreize gesetzt und die unheilvolle Rückkopplung von Staaten auf Banken gefördert. Staatsanleihen sollten mittelfristig so behandelt werden wie andere Anleihen oder Kredite an Unter-nehmen. Durch eine angemessene Risikogewichtung würden die Renditen bei unsoliden Staaten steigen und sich deren Refinanzierung verteuern. Der Markt-mechanismus würde diese Regierungen so zu einer größeren fiskalischen Disziplin anhalten. Um Finan-zierungsprobleme einzelner Länder vorzubeugen, müssen intelligente Übergangsfristen definiert wer-den. Durch Großkreditgrenzen für einzelne staatliche Schuldner, gilt es zudem, die Widerstandsfähigkeit der Banken gegenüber Schieflagen bei den Staats-finanzen zu stärken.

8. Finanztransaktionssteuer ablehnen!Auf die Einführung einer Finanztransaktionssteuer muss verzichtet werden, wenn nicht eine mindestens EU-weite Umsetzung möglich ist. Im Alleingang nur einiger EU-Staaten ohne die Beteiligung Großbritan-niens wird die Steuer keinen stabilisierenden Effekt auf das Finanzsystem haben. Im Gegenteil: Die EU-Kommission räumt selbst ein, dass ihr Vorschlag mit erheblichen Wachstumseinbußen verbunden ist. Zudem droht eine Finanztransaktionssteuer gerade zulasten der deutschen Sparer zu gehen. Eine Finanz-transaktionssteuer von 0,1 Prozent könnte zu Einbu-ßen bei auszahlbaren privaten Renten von 2,5 bis 5,5 Prozent führen. Damit würde sogar die staatliche Förderung für Riester-Verträge durch die Steuer übertroffen. Statt die Wettbewerbsfähigkeit des Finanzplatzes Deutschland durch eine umfassende Transaktionssteuer zu gefährden, sollte deshalb viel-mehr darauf hingearbeitet werden, die Transparenz

von Transaktionen generell zu erhöhen. Eine Steuer könnte etwa auf wenig regulierte Märkte oder auf reine Spekulationsprodukte angewendet werden. Die Verlagerung solcher Geschäfte auf die regulier-ten Märkte würde einen wichtigen Beitrag zur wir-kungsvollen Krisenprävention leisten.

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Mit Bewältigung der Staatsschuldenkrise kommt es besonders darauf an, entscheidende finanzpolitische Mei-lensteine für die Zukunft unseres Landes zu setzen. Es gilt nicht nur, die Neuordnung der Bund-Länder-Finanz-beziehungen für die Zeit ab 2020 substanziell vorzubereiten, sondern auch die Einhaltung der Schuldenbremse auf allen föderalen Ebenen sicherzustellen. Der Bund muss so schnell wie möglich den Haushaltsausgleich errei-chen, um dann konsequent in die Tilgung der Altschulden einzusteigen.

Der Weg aus dem Verschuldungsstaat ist die Grundlage für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes und ein Gebot der Generationengerechtigkeit. Das gilt insbesondere für die Länder- und Gemeindeebene. Die Bürgervoten pro Schuldenbremse in Hessen und Bayern von bis zu 90 Prozent sprechen eine klare Sprache: Solide Staatsfinanzen haben für die Bürger und Unternehmer unseres Landes oberste Priorität. An der Einhaltung der im Grundgesetz verankerten Schuldenbremse und der Schaffung ausgeglichener öffentlicher Haushalte darf deshalb auch auf Länderebene nicht gerüttelt werden.

In der Haushaltspolitik sind jetzt mehr denn je ein nachhaltiger Kurs der Sparsamkeit, verlässliche Konsolidie-rungsanstrengungen der öffentlichen Haushalte und mehr Transparenz der öffentlichen Finanzen notwendig. Dafür sind folgende Maßnahmen zu verfolgen:

1. Voranschreiten für eine stabilitäts-orientierte EU-Finanzpolitik!Deutschland kommt als europäischer Stabilitätsan-ker eine besondere Vorbildfunktion zu. Umso mehr gilt es, mit einer glaubwürdigen und stabilitätsorien-tierten Fiskalpolitik in Europa den Takt vorzugeben. Ernsthafte Konsolidierungsfortschritte müssen auf allen staatlichen Ebenen erzielt werden. Nach dem Haushaltsausgleich müssen Bund und Länder mit der Schuldentilgung beginnen, damit Deutschland die Maastrichter Stabilitätskriterien selbst bald-möglichst wieder erfüllen kann. Beispielhaft für an-dere EU-Länder muss die Erneuerung der Haushalts-strukturen konsequent fortgesetzt werden: Künftig kommt es auf weniger Ausnahmen im Steuerrecht an, auf eine effizientere Steuereintreibung, den wei-teren Abbau von Subventionen und gleichzeitig auf das Setzen nachhaltiger Wachstumsimpulse. Deutschland hat 2010 bis 2013 unter Beweis gestellt, dass dies möglich ist.

2. Nach Haushaltsausgleich mit Schulden-tilgung beginnen!Der erfolgreiche Weg der Konsolidierung der Staats-finanzen durch Ausgabenreduzierungen statt durch Steuererhöhungen muss dringend weiter fortgesetzt werden. Die historische Absenkung des Wachstums der Ausgaben über eine gesamte Wahlperiode hin-weg zeigt, dass eine Haushaltskonsolidierung über die Ausgabenseite Erfolg bringt. Auch künftig muss es das Ziel sein, den Ausgabenanstieg vor allem in konjunkturell guten Zeiten unterhalb des Wirt-

schaftswachstums zu halten. Steuermehreinnahmen sind konsequent zum Abbau der Neuverschuldung zu verwenden, und der Subventionsabbau muss ent-schlossen weiter vorangetrieben werden – nicht nur, aber vor allem bei der Finanzierung der Energiewen-de. Nach dem Haushaltsausgleich muss bereits 2015 der Einstieg in die Schuldentilgung erfolgen. Der Bundeshaushalt ist rasch auszugleichen und an-schließend muss unmittelbar in die Schuldentilgung eingestiegen werden. Die wachstumsfreundliche Haushaltskonsolidierung sollte also konsequent fort-gesetzt werden. Dazu gehört aber auch, die Struktur des Bundeshaushalts generationengerecht umzuge-stalten. Es müssen mehr nachhaltige Ausgaben-schwerpunkte gesetzt werden, d.h. mehr Investitio-nen in Bildung und Infrastruktur statt in immer mehr Sozialleistungen, die die Belastungen der Steuerzah-ler in Zukunft nur noch weiter in die Höhe treiben.

3. Erfüllung der Vorgaben der Schuldenbremse ohne Wenn und Aber sicherstellen!Es muss sichergestellt werden, dass die Schulden-bremse sowohl auf Bundes- als auch auf Länderebe-ne eingehalten wird. Der Bund geht seit 2010 mit gu-tem Beispiel voran. Die Erfüllung der Vorgaben der Schuldenbremse bereits ab 2012 ist vorbildlich. Das Einplanen ausreichend großer Sicherheitsabstände zu den Konsolidierungszielen sollte den Bund auch künftig in seiner Finanzpolitik davor bewahren, dass sein Haushalt in möglichen Krisenzeiten aus den Fugen gerät. Auf Länderebene schreiten Länder wie Sachsen und Bayern ebenfalls vorbildlich voran, an-

II. Haushalt konsolidieren, Ausgaben kürzen!

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dere Länder haben ernsthafte Schwierigkeiten, ihre Haushalte aus reichend oder gar ernsthaft zu konso-lidieren. Jedes Bundesland muss aber seiner Verant-wortung gerecht werden. Jede Landesregierung muss die notwendigen Maßnahmen ergreifen, um ihren Haushalt ab 2020 ohne Schulden auszuglei-chen, wobei die Solidarität der anderen Länder und des Bundes bei ernsthaften Sanierungsanstrengun-gen nicht in Zweifel gezogen werden darf. Zudem muss der Stabilitätsrat mit stärkeren Sanktions-mechanismen aus gestattet werden.

4. Föderalismuskommission III zügig einsetzen!Unmittelbar nach der Regierungsbildung muss eine parteiübergreifende Föderalismuskommission III eingesetzt werden, um die Bund-Länder-Finanz-beziehungen zukunftsfest zu machen. Das Jahr 2020 bedeutet eine Zäsur in der Finanzpolitik von Bund und Ländern. Zum Jahresende 2019 laufen die Ost-transfers des Bundes aus, und der Länderfinanzaus-gleich verliert seine Gültigkeit. Zudem wird die Schul-denbremse im Grundgesetz erstmals auch für die Bundesländer verbindlich wirksam. Sowohl die Finanzbeziehungen unter den Bundesländern als auch zwischen den Ländern und dem Bund müssen deshalb von Grund auf neu geordnet werden. Der Länderfinanzausgleich muss neu ausgerichtet wer-den. Es gilt, den Wettbewerb unter den Bundes-ländern zu stärken und die Einnahmen- und Aus-gabenautonomie der Länder zu erhöhen. Mit dem Auslaufen der Osttransfers sollte die deutsche Eini-gung nach 30 Jahren auch fiskalisch abgeschlossen werden: Dazu gehört auch, den Solidaritätszuschlag bei der Einkommensteuer auslaufen zu lassen. Die Wirtschafts- und Infrastrukturförderung des Bundes muss künftig nach Bedarfen statt nach Himmelsrich-tungen ausgerichtet werden.

5. Abbau von Bürokratie und Erfüllungs-aufwand konsequent fortsetzen!Mit der Einsetzung des Nationalen Normenkontroll-rates (NKR), der die Belastung durch Gesetze und Ver-ordnungen prüft, sind bereits wichtige Weichen ge-stellt worden. Bürgerliche Freiheit und Soziale Markt-wirtschaft dürfen nicht in einer Normenflut ertrin-ken. Beim Bürokratieabbau muss daher die Betrach-tung des Erfüllungsaufwands einen noch wichtige-ren Stellenwert erhalten und die Verursachung von Kosten, die aus der Erfüllung von Vorgaben neuer

Gesetze und Verordnungen entstehen, dauerhaft minimiert werden. Dafür müssen fortan auch die Regelungen der EU mitberücksichtigt werden, da in-zwischen bereits mehr als die Hälfte des Erfüllungs-aufwands in Deutschland auf EU-Recht zurückgeht. Vor diesem Hintergrund sollte auch der Bürokratie-abbau auf EU-Ebene mit einem Mandat versehen werden, das über das beratende der so genannten „Stoiber-Gruppe“ hinausgeht. Ziel muss es sein, die Folgen von Richtlinien und Verordnungen der EU be-reits bei ihrer Entstehung zu prüfen und nicht erst, wenn sie in den Mitgliedstaaten umgesetzt werden müssen. Auf nationaler Ebene muss zudem die vom NKR initiierte Tauglichkeitsprüfung aller neu erlasse-nen Gesetze und Verordnungen ab einer Kostenhöhe von mehr als 1 Mio. Euro konsequent umgesetzt und müssen die Ergebnisse der Überprüfungen veröf-fentlicht werden. Darüber hinaus müssen für den Teilaspekt der Bürokratiekosten neue transparente und greifbare Mengenziele vereinbart werden: Zur Aufrechterhaltung des Drucks bedarf es sowohl eines neuen Gesamtabbauziels, aber auch eines verbind-lichen Abbaukatalogs für konkrete Maßnahmen. Allein mit der Verkürzung der Aufbewahrungsfristen von 10 auf 7 Jahre könnten der Wirtschaft rund 2,5 Mrd. Euro Bürokratiekosten jährlich erlassen wer-den. Zudem muss das Bürokratiemonster Energie-wende permanent zurückgestutzt werden.

6. Mehr Transparenz und Effizienz in Finanz-politik und Öffentlicher Verwaltung schaffen!Notwendig für höhere Transparenz in den öffent-lichen Haushalten sind ein Umstieg auf ein doppi-sches Rechnungswesen auf allen föderalen Ebenen sowie ein deutschlandweites Benchmarking. Bislang werden die deutschen Behörden vor allem über den Ressourceneinsatz gesteuert, die damit erzielte Wir-kung aber nur selten gemessen. Als unverzichtbar erweist sich ein Paradigmenwechsel hin zu einer Wir-kungs- und Ergebnisorientierung. Dazu muss etwa die Öffentliche Verwaltung transparenter werden und Leistungsvergleiche als Chance verstehen – so wie es durch Art. 91 d GG seit vier Jahren möglich, aber bis dato die Ausnahme ist. Dadurch könnte der Staat den Bürgern erklären, „wo das Geld geblieben ist“ und warum zum Beispiel die Bearbeitung eines Bafög-Antrags im Land A mehr kostet als im Land B. Die Einführung des kaufmännischen Rechnungswe-sens bringt Transparenz, verhindert Schattenhaus-halte, bildet Vermögensentwicklung und Ressour-

II. Haushalt konsolidieren, Ausgaben kürzen!

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cenverbrauch ehrlich ab und dient somit einer ge-nerationengerechten Finanzpolitik. Die Abkehr von der Kameralistik erhöht zugleich den Druck, die Haushaltskonsolidierung stringent zu verfolgen. Die mittelfristigen Risiken eines Haushaltes, wie zum Beispiel wachsende Pensionslasten, sowie deren schonungslose Abbildung in den Jahresabschlüssen der „Deutschland AG“ zwingen zum Verzicht auf wei-tere Neuverschuldung und zu konsequentem Schul-denabbau. Politische Entscheidungen werden durch die neue Transparenz zudem in ungewohnte Be-gründungsnotwendigkeiten geraten: Denn die neue Haushaltsführung deckt einfach und für alle nach-vollziehbar die ganze Tragweite des Regierungs- und Verwaltungshandelns auf.

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Die deutsche Wirtschaft hat die Wirtschafts- und Finanzkrise schneller bewältigt als zuvor befürchtet und ist aus der Krise stärker hervorgegangen als sie hineingeraten ist. Umso wichtiger ist es, die derzeitigen günstigen Rahmenbedingungen zu nutzen und neben der Konsolidierung der Haushalte auch die Vereinfachung des Steu-ersystems weiter konsequent voranzubringen.

Durch die positive wirtschaftliche Entwicklung fließen dem Staat jedes Jahr Steuereinnahmen auf neuem Rekord-niveau zu. Diese müssen auch in der 18. Legislaturperiode maßgeblich zur Vereinfachung des Steuersystems verwendet werden. Damit werden zugleich bessere Bedingungen geschaffen, dass sich mehr und neue Unter-nehmen in Deutschland ansiedeln. Durch ein einfacher anzuwendendes Steuerrecht wie auch durch die konse-quente Fortführung des Bürokratieabbaus können Unternehmen wieder mehr Kapazitäten in ihre eigentlichen Geschäftsaktivitäten investieren und damit unmittelbar die Produktivität steigern.

Nach wie vor besteht die dringende Notwendigkeit zu weiteren Strukturreformen. In den öffentlichen Haus-halten entstehende Spielräume müssen daher unter anderem dafür genutzt werden, die vom Gesetzgeber nicht gewollte zusätzliche Belastung der Einkommensteuerzahler durch die Inflation, die sogenannte kalte Progressi-on, endlich zu beseitigen. Nur so lässt sich mehr Steuergerechtigkeit schaffen und damit eine wesentliche Vor-aussetzung für das solidarische Mit- und Füreinander in unserer Sozialen Marktwirtschaft verwirklichen.

Zur weiteren Vereinfachung des Steuerrechts und zur Schaffung von mehr Steuergerechtigkeit sind folgende Maßnahmen notwendig:

1. Vermögensteuer sowie weitere Verschärfun-gen der Substanzbesteuerung verhindern!Es müssen auch weiterhin mit aller Kraft jegliche Ver-schärfungen bei der Substanzbesteuerung bekämpft werden. Weder darf es eine Einführung von Vermö-gensteuern oder Vermögensabgaben geben. Noch darf es zu Ausweitungen oder Verschärfungen bei der Erbschaftsteuer sowie bei der Gewerbesteuer kommen. Der Schutz des Privateigentums würde sonst noch stärker ausgehöhlt. Die drastischen Anhe-bungen bei der Grund- und der Grunderwerbsteuer in den vergangenen drei Jahren belasten Bürger und Wirtschaft außerordentlich stark. In all diesen Fällen wird – vor allem in wirtschaftlichen Krisenzeiten – die Ausweitung der Substanzbesteuerung der mittel-ständischen Betriebe, aber auch der Großunterneh-men und Konzerne billigend in Kauf genommen. Die Folgen in Form von Investitionszurückhaltung und Arbeitsplatzabbau verschlechtern aber regelmäßig sowohl die wirtschaft liche Entwicklung als auch die gute Situation auf dem Arbeitsmarkt deutlich.

2. Mit Steuervereinfachung und Bürokratie-abbau neue Maßstäbe setzen!Das deutsche Steuerrecht ist eines der kompliziertes-ten der Welt. Seine Vereinfachung bleibt eine Dauer-aufgabe. Es ist der falsche Ansatz, jeden denkbaren Sachverhalt gesondert zu erfassen und Einzelfallge-

rechtigkeit schaffen zu wollen. Dadurch werden Un-übersichtlichkeit und zahlreiche Hintertüren zur Steuerumgehung geschaffen. Leidtragende sind nicht nur viele Arbeitnehmer, sondern vor allem klei-ne und mittelständische Unternehmen sowie Unter-nehmensgründer. Notwendig sind deshalb weniger Ausnahmeregelungen im Umsatzsteuerrecht ebenso wie höhere Pauschbeträge im Einkommensteuer-recht sowie eine auf Effizienz und Nachhaltigkeit ausgerichtete Weiterentwicklung der elektronischen Kommunikation und des Datenaustauschs zwischen der Wirtschaft und den Steuerbehörden. Zudem gibt es keine Alternativen zur konsequenten und subs-tanziellen Fortführung des Bürokratieabbaus wie et-wa durch die Verkürzung der Aufbewahrungsfristen auf 7 Jahre. Auch die Rücknahme der Vorfälligkeit für die Abführung der Sozialversicherungsbeiträge durch die Arbeitgeber sollte dringend umgesetzt werden.

3. Bereinigung der Ermäßigungen bei der Mehrwertsteuer mutig anpacken!Ein faires und einfacheres Umsatzsteuerrecht, mit weniger Ausnahmen und einfacherer Anwendbar-keit, ist ein wesentlicher Baustein für die Verein-fachung des Steuerrechts. Es besteht nach wie vor großer Handlungsbedarf beim ermäßigten Mehr-wertsteuersatz. Auch die von der Bundesregierung in

III. Steuersystem vereinfachen, Mehrbelastungen verhindern!

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Auftrag gegebene wissenschaftliche Überprüfung belegte im Jahr 2010, dass das Dickicht der insgesamt über 100 Ausnahmeregelungen nicht nur vollkom-men intransparent und widersprüchlich ist, sondern in großen Teilen seine Wirkungen verfehlt, mit ande-ren Mitteln wie Direkttransfers an tatsächlich Be-dürftige effizienter umsetzbar wäre oder gar gegen europäisches Recht verstößt. Eine Bereinigung des Ausnahmekatalogs für die Mehrwertsteuer ist daher dringend notwendig – bei gleichzeitiger Rückgabe der entstehenden Steuermehreinnahmen an die Steuerzahler. Dafür bietet sich die teilweise Ab-schmelzung des Mittelstandsbauches bei der Ein-kommensteuer an..

4. Steuerliche Privilegien für staatliche Unternehmen abschaffen!Es müssen endlich die Grundlagen für einen fairen Wettbewerb zwischen privaten Marktteilnehmern und Unternehmen der öffentlichen Hand geschaffen werden. Der Staat ist in der Sozialen Marktwirtschaft nicht Spieler, sondern Schiedsrichter. Sofern er den-noch selbst auf dem Markt tätig werden und Leistun-gen mit eigenen Regiebetrieben erbringen will, müs-sen für alle Marktteilnehmer die gleichen Rahmenbe-dingungen vorherrschen. Das gilt auch für die Belas-tungen der Marktteilnehmer bei der Umsatz-, Kör-perschaft- und Gewerbesteuer. Durch die Steuerbe-freiungen für öffentliche Unternehmen kommt es zu massiven Verzerrungen des Wettbewerbs sowie zur Gefährdung von Wachstumspotenzialen des Mittel-standes und Arbeitsplätzen für viele Arbeiter und Angestellte. Öffentliche Unternehmen werden so bei der Preissetzung stark bevorzugt, wodurch private, häufig innovative Unternehmer vom Markt ver-drängt werden oder ihr Eintritt in den Markt verhin-dert wird.

5. Gewerbesteuer zugunsten eines kommu nalen Einkommen-/Körperschaft-steuer- Zuschlags ersetzen!Die Gewerbesteuer muss endlich durch ein Recht der Kommunen ersetzt werden, eigene Hebesätze bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer zu beschließen. Die Gewerbesteuer ist im internationalen Vergleich ein deutscher Sonderweg. Sie wirkt daher gerade auf internationale Investoren abschreckend. Investitio-nen ausländischer Unternehmen in Deutschland werden so behindert. Aber auch für die einheimische Wirtschaft stellt die Gewerbesteuer eine Zusatzbe-

lastung dar, die gerade in Zeiten sinkender Erträge für Unternehmen als auch durch stark rückläufige Steuereinnahmen bei den Kommunen für die ge-samte Volkswirtschaft massiv krisenverschärfend wirkt. Eine beständigere und weniger von der Kon-junktur abhängige Einnahmebasis könnte den Kom-munen nicht nur mehr Eigenverantwortung übertra-gen, sondern ist für sie gerade auch im Hinblick auf die Einhaltung der Schuldenbremse im Grundgesetz ab 2020 dringend notwendig.

6. Bemessungsgrundlage der Körperschaft-steuer e uropaweit harmonisieren!Deutschland muss bei der Harmonisierung der nati-onalen Steuersysteme auf EU-Ebene künftig eine noch stärkere Rolle als bisher spielen, um die Interes-sen der deutschen Wirtschaft möglichst frühzeitig in die europäischen Reformprozesse einzubringen. Statt – wie in der Vergangenheit zu häufig geschehen – nur mit Kritik auf vorgelegte Vorschläge zu antwor-ten, sollten deutsche Unterhändler und Interessen-vertreter die Anliegen der deutschen Wirtschaft frü-her und aktiver als bisher in die Verhandlungskreise auf der europäischen Ebene einbringen. Von heraus-gehobener Bedeutung ist dabei, die Harmonisierung der Bemessungsgrundlagen für die Körperschaft-steuer spürbar voranzubringen. Besonders kommt es darauf an, den Fokus auf eine sog. konsolidierte Be-messungsgrundlage zu legen. Zudem ist auch vor dem Hintergrund der europäischen Rechtsprechung und im Sinne der Schaffung eines einheitlichen EU-Binnenmarktes die Einführung einer modernen Kon-zernbesteuerung in Deutschland, die weit über die in der vergangenen Legislaturperiode beschlossenen Anpassungen hinausgehen muss, nach wie vor drin-gend notwendig.

7. Steuerbetrug und Bekämpfung unzulässiger internationaler Gewinn- verlagerungen entschlossen verhindern!Gegen Steuerbetrug muss weiter konsequent vorge-gangen werden. Der Kauf von gestohlenen Steuer-CDs durch den Staat ist kein geeigneter Weg, für mehr Steuergerechtigkeit zu sorgen. Stattdessen soll-te der erfolgreiche Weg weitergegangen werden, die steuerlichen Beziehungen mit anderen Staaten durch völkerrechtlich gültige Abkommen zu regeln. Denn gerade die ehrlichen Steuerzahler sollen am En-de nicht die Dummen sein. Denn dies träfe in erster Linie viele Mittelständler und Familienunternehmen,

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die häufig an den Wirtschaftsstandort Deutschland gebunden sind und nicht ins Ausland ausweichen können. Vielmehr sollte im Kreise internationaler Gremien wie EU, OECD oder der G20 weiter entschlos-sen gegen illegale aggressive Steuergestaltung mul-tinationaler Konzerne vorgegangen werden, um Wettbewerbsverzerrungen gegenüber den überwie-gend national tätigen kleinen und mittleren Unter-nehmen einzudämmen. Dabei muss das Hauptau-genmerk jedoch darauf gelegt werden, dass den oh-nehin bereits steuerehrlichen und standorttreuen Firmen in Deutschland keine überproportionalen zusätzlichen Bürokratie- oder gar Abgabenlasten auferlegt werden.

8. Dauerhafte Wirkung der kalten Progression in der Einkommensteuer vermeiden!Die kalte Progression in der Einkommensteuer muss künftig vermieden wird. Dafür muss nach der 2013 bereits beschlossenen Anhebung des Grundfreibe-trages in der Einkommensteuer für die kommenden Jahre der Tarifverlauf durch eine Verschiebung je-weils um denselben Prozentsatz angepasst werden. Weitere Erhöhungen des Grundfreibetrages ohne Anpassungen des gesamten Tarifverlaufes sind ab-zulehnen, da auf diese Weise die mittleren Einkom-mensbezieher einen noch höheren Anteil an den Steuerzahlungen schultern müssen. Das Auftreten von kalter Steuerprogression ist, beispielsweise in ei-nem Zwei-Jahres-Rhythmus, regelmäßig zu überprü-fen. Damit kann zugleich der gesetzeswidrige Zu-stand, dass der Staat Steuern einnimmt, die der Ge-setzgeber nicht beschlossen hat, künftig unterbun-den werden. Mehr Steuergerechtigkeit kann nur dann geschaffen werden, wenn sich Leistung gerade für die starke Mitte wirklich lohnt.

9. Mittelstandsbauch bei der Einkommen-steuer schrittweise abflachen!Da die mittleren Einkommen anteilmäßig am stärks-ten von der Lohn- und Einkommensteuer belastet werden, muss der Mittelstandsbauch in der Einkom-mensteuer konsequent abgeflacht werden. Betroffen sind von dieser überproportionalen Steuerlast insbe-sondere gut ausgebildete Fachkräfte bei Einstieg in ihre beruflichen Karrieren sowie viele junge Familien mit Kleinkindern. Das ist weder leistungsfördernd noch gerecht und gerade für die Motivation künfti-ger Leistungsträger unserer Gesellschaft das falsche Signal. Zukünftig entstehende, zusätzliche Steuer-

einnahmen müssen deshalb gerade auch dafür ver-wendet werden, die starke Krümmung des Tarifver-laufs allmählich abzuflachen. Gleichwohl soll die in unserer Gesellschaft breit akzeptierte progressive Ausgestaltung der Einkommensbesteuerung beibe-halten werden, d.h. wer mehr verdient, zahlt auch einen größeren Anteil seines Einkommens als Steu-ern an den Staat. Allerdings muss dem Prinzip „Leis-tung muss sich lohnen“ wieder mehr Geltung ver-schafft werden.

10. Solidaritätszuschlag kontinuierlich abschmelzen!Durch das schrittweise Abschmelzen des Solidaritäts-zuschlages sollen die Steuerzahler von der als befris-tet angekündigten Sonderabgabe entlastet und da-mit zugleich das Steuerrecht erheblich vereinfacht werden. Notwendig ist die Festlegung eines konkre-ten Abbaupfades für den Solidaritätszuschlag. Das ist auch eine Frage der Glaubwürdigkeit der Politik gegenüber ihren Bürgern. Nach über 20 Jahren ist der innerdeutsche Einigungsprozess zwischen den Bun-desländern weit vorangekommen. Die große Solida-rität aller Steuerzahler in Deutschland war richtig und hat viel bewirkt. Dass die Weiterentwicklung von Unternehmensansiedlungen, die Schaffung neuer Arbeitsplätze und damit die Steuerkraft der Kommu-nen in einigen Ländern und Regionen stagniert, be-legt aber, dass die weitere Erhebung des Solidaritäts-zuschlages weder angebracht noch gerechtfertigt ist. Künftig muss eine an konkreten Bedarfen ausgerich-tete Strukturförderung allen Kommunen in Deutsch-land gleichermaßen offenstehen. Dafür bedarf es ei-ner Einigung unter Bund und Ländern über diese Fi-nanzierungsfragen in der schnellstmöglich einzube-rufenden Föderalismuskommission III.

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Die dramatischen Finanzlage vieler Städte und Gemeinden, aber auch der einsetzende demografische Wandel mit seinen Belastungen für die öffentlichen Haushalte (wachsende Pensionslasten, die Anpassung der öffent-lichen Infrastrukturen, etwa in den Bereichen Gesundheit, Bildung, Soziales oder ÖPNV) stellen eine zunehmen-de Bedrohung für die Leistungsfähigkeit der Kommunen dar. Starke Kommunen sind jedoch eine Grundvoraus-setzung für günstige Standortbedingungen. Hierauf sind insbesondere mittelständische Unternehmen angewie-sen. Sie sind zugleich größter Steuerzahler und für über 70 Prozent der deutschen Beschäftigten beruflicher Perspektivengeber.

Mit großer Sorge muss daher die in Deutschland zu beobachtende Ausweitung kommunaler Tätigkeitsfelder in Bereiche gesehen werden, die eindeutig nicht in eine selbst weit gefasste Auslegung der so genannten Daseins-vorsorge fallen können. Fitnessstudios, Saunen, Vergnügungsparks, Ingenieurbüros, Bauhöfe, Kfz-Werkstätten oder Windkraftanlagen gehören nicht zur staatlichen Fürsorgepflicht. In Anbetracht der aktuellen finanziellen wie demografischen Herausforderungen der Kommunen ist es geradezu fatal, wenn die öffentliche Hand ihre Tätigkeitsfelder systematisch erweitert und sich und ihre Haushalte unkalkulierbaren unternehmerischen Risiken aussetzt. Denn für das wirtschaftliche Engagement des Staates haften vorrangig dessen Steuerzahler. Das Beispiel zahlreicher Landesbanken in der Finanzkrise hat gezeigt, dass eine Vernachlässigung der Grundwerte der Sozialen Marktwirtschaft – die Einheit von Entscheidungsverantwortung und Haftung – zu furchtbaren Folgen führen kann.

Umso wichtiger ist es, dass sich der Staat auf seine Kernaufgaben konzentriert: das Setzen von Rahmenbedin-gungen sowie die effektive Kontrolle der Einhaltung. Er wird nur dort selbst tätig, wo der Markt versagt. Nur ein Staat, der diese Kernaufgaben nicht überdehnt, ist tatsächlich stark und bleibt finanzierbar.

In dieser Frage steht auch die Glaubwürdigkeit Deutschlands auf dem Spiel. Die Bundesrepublik darf nicht einer-seits von den europäischen Krisenstaaten eine Rückführung der Staatstätigkeit einfordern, andererseits aber den Ausbau des wirtschaftlichen Engagements seiner eigenen finanziell angeschlagenen Gebietskörperschaften dulden.

Für die 18. Legislaturperiode muss gelten:

1. Staatliche Leistungsfähigkeit sichern, Überprüfung öffentlicher Beteiligungen konsequent fortführen! Privatisierungen und Teilprivatisierungen haben seit den 1990er Jahren sowohl zu einer Öffnung der Märkte mit neuen Chancen für mittelständische Un-ternehmen als auch zu erheblichen Effizienzsteige-rungen und einem Modernisierungsschub in den je-weiligen Branchen geführt. Der einziehende Wettbe-werb bescherte niedrigere Preise, innovativere Pro-dukte und eine Verbreiterung des gesamten Leis-tungsangebotes. Dieser Kurs ist fortzuführen. Eine konsequente Privatisierungspolitik auf allen Ebenen wird dazu beitragen, dass Bund, Länder und vor al-lem Kommunen ein Stück ihrer verlorengegangenen Leistungsfähigkeit zurückgewinnen, zum Beispiel durch die Veräußerungserlöse, die künftige Entbin-dung der öffentlichen Hand von Ausgaben für Ersat-zinvestitionen, aber auch durch die Verringerung der

Zinslast, wenn die Veräußerungserlöse zur Schulden-tilgung genutzt werden.

2. Rückverstaatlichungen eindämmen, öffent-liche Haushalte vor Haftungsrisiken schützen!Der Gesetzgeber hat das wirtschaftliche Engagement des Staates für nur dann zulässig erklärt, wenn der betreffende Zweck nicht wirtschaftlicher oder durch Dritte besser erfüllt werden kann. Zugleich hat er die Beachtung des Subsidiaritätsprinzips gefordert, das den Vorrang der privaten Wirtschaft festschreibt. Vielfach wurden und werden jedoch diese elementa-ren Grundsätze der Sozialen Marktwirtschaft durch Gesetzesanpassungen aufgeweicht, bereits privati-sierte Bereiche rekommunalisiert oder neue öffentli-che Unternehmen gegründet werden. Derzeit gilt dies besonders stark in der Energie- oder Kreislauf-wirtschaft. Das wirtschaftliche Engagement der öf-fentlichen Hand in diesen sehr investionsintensiven

IV. Verstaatlichungen auf Kosten des Mittelstands stoppen!

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Bereichen wird in der Regel durch Kreditaufnahme finanziert und damit die öffentliche Verschuldung weiter in die Höhe getrieben. Um die Steuerzahler, die Bürger und Unternehmen in den Regionen, vor den Folgen unkalkulierbarer Haftungsrisiken zu schützen, ist dieser gefährlichen Entwicklung Einhalt zu gebieten und auf eine Einhaltung des Subsidia-ritätsprinzips hinzuwirken. Deutschland sollte hier mit gutem Beispiel vorangehen und sich für eine überzeugende gesamteuropäische Regelung stark machen.

3. Potenziale Öffentlich-Privater Partner-schaften (ÖPP) nutzen, Vertragsmodelle mittelstands gerecht weiterentwickeln!Viele ungenutzte Chancen der gelebten Partner-schaft zwischen Privatwirtschaft und Staat liegen in ÖPP-Modellen. Zumeist in Hoch- und Tiefbau einge-setzt, können solche Modelle auch bei der Stadtbe-leuchtung, bei IT-Dienstleistungen, im Gesundheits-wesen, etwa bei der Verwaltung von Krankenhäu-sern, Anwendung finden. Um eine „Bilanzverfäl-schung“ zu vermeiden, sind die öffentlichen Haus-halte auf die doppischen Buchführung umzustellen, denn im allgemein angewandten kameralen System wird der von der öffentlichen Hand zu erbringende Anteil bei ÖPP-Projekten, also die regelmäßige Zah-lungsverpflichtung gegenüber dem privaten Partner, nicht ausgewiesen. Mit dem doppischen System ist dieser „Fehler“ geheilt und gleichzeitig die Gefahr ausgehebelt, dass ÖPP-Modelle die Schuldenbremse unterlaufen. Die Vorteile von ÖPP-Modellen liegen auf der Hand: für den Staat in einer schnelleren Projekt realisierung, einer Ausnutzung des externen Know-hows und nicht zuletzt in der Schonung der öffentlichen Haushalte. Auf Seiten der Privatwirt-schaft profitiert insbeson dere der Mittelstand, wenn Projektgrößen breit gestreut werden. Voraussetzung für den nachhaltigen Erfolg dieser Partnerschaftspro-jekte ist zudem eine Beteiligung der privaten Partner in allen Projektphasen, die bislang allzu oft nur die Finanzierung betrifft.

4. Vergaberecht mittelstandsfreundlich gestalten!Die ökonomische Bedeutung der öffentlichen Auf-tragsvergabe ist nicht zu unterschätzen, rund 19 Pro-zent des Bruttoinlandsprodukts geben öffentliche Auftraggeber in Europa jährlich für Lieferungen, Dienstleistungen und Bauarbeiten aus. Mit dem Ziel,

öffentliche Mittel möglichst effizient einzusetzen und wichtige Impulse für mehr Wettbewerb und Wachstum zu geben, hat die Europäische Kommissi-on eine Reform der öffentlichen Auftragsvergabe an-gestoßen. Die Umsetzung in nationales Recht bietet die Chance, die komplexen Strukturen des deutschen Vergaberechts auf den Prüfstand zu stellen und vor allem mittelständischen Unternehmen den Zugang zur Auftragsvergabe zu erleichtern. Hierbei gilt es, auf einfachere Verfahren, mehr Transparenz und we-niger Bürokratie zu setzen. So stark etwa der Ruf nach einer größeren Berücksichtigung von Umweltschutz oder sozialen Kriterien in den Vergabeverfahren sein mag, so sehr birgt dies doch immer die Gefahr, das Vergaberecht zu überfrachten. Zugleich existieren neben zahlreichen Bundesregelungen teils divergie-rende Landesregelungen. Dieser vergaberechtliche Flickenteppich muss endlich beseitigt werden. Zur Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen zu Las-ten privater Anbieter sind zudem die Ausnahmebe-reiche einer (vergaberechtsfreien) Zusammenarbeit von Gebietskörperschaften eng und klar zu begren-zen. Anderenfalls besteht die Gefahr, dass öffentliche Aufträge vermehrt dem Markt entzogen werden.

5. Gleiche Wettbewerbsbedingungen für öffentliche und private Unternehmen her-stellen, höchst richterliche Rechtsprechung zur Umsatzsteuerpflicht zügig umsetzen!Vor dem Hintergrund der volkswirtschaftlichen Be-deutung des Mittelstands erscheint die nach wie vor reale Ungleichbehandlung öffentlicher und privater Unternehmen wie ein Anachronismus. So profitieren etwa kommunale Unternehmen durch das faktisch nicht vorhandene Insolvenz risiko von einem besse-ren und schnelleren Zugang zu Krediten. Daneben stellt die Möglichkeit zur missbräuchlichen Bereit-stellung von Ein-Euro-Jobs einen Wettbewerbsvorteil zu Lasten privater Unternehmen dar. Vor allem aber entrichten kommunale Anbieter, wenn sie als Eigen-betriebe bzw. Anstalten öffentlichen Rechts (AöR) firmieren, weder Umsatz- noch Ertragsteuern. Dies verschafft diesen Unternehmen eindeutige Vorteile bei der Preisgestaltung, wenn sie mit mittelständi-schen Unternehmen in Konkurrenz treten. Die Um-satzsteuerpflicht öffentlicher Unternehmen hat zwi-schenzeitlich auch der Bundesfinanzhof anerkannt. Die höchstrichterliche Rechtsprechung indes hat bis-lang noch keinen umfassenden Eingang in die Praxis gefunden. Hier muss zügig eine Umsetzung erfolgen.

IV. Verstaatlichungen auf Kosten des Mittelstands stoppen!

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Zugleich ist die Gleichstellung öffentlicher und priva-ter Unternehmen bei der Gewerbe- und Körper-schaftsteuer zu forcieren sowie der Einsatz von Ein-Euro-Jobs zu untersagen, wenn diese in Konkurrenz zu regulären Beschäftigungsverhältnissen stehen und damit den Wettbewerb verzerren. Fragwürdig ist zudem die in der 17. Legislatur vollzogene Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB), wonach öffentlich-rechtliche Gebühren – im Gegensatz zu den von privaten Anbietern erhobenen Preisen – nicht mehr der kartellrechtlichen Miss-brauchsaufsicht unterliegen. Mit dieser Änderung des GWB ist es Kommunen nunmehr möglich, un-kontrollierte Monopole zu schaffen. Die entsprechen-de GWB-Passage ist im Sinne fairer Wettbewerbs-regelungen zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Unternehmen zurückzunehmen.

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Unser Land ist stark geworden auf der Grundlage einer der modernsten und leistungsfähigsten Energieinfra-strukturen der Welt – das soll auch in Zukunft so bleiben. Deshalb wollen wir mit der Energiewende den Umbau unserer Energiesysteme erfolgreich in die Zukunft führen. Gerade weil wir die Erneuerbaren zur zentralen Säule der deutschen und europäischen Energieversorgung machen wollen, ist es jetzt wichtiger denn je, genau auf die Kosten und die Wirksamkeit der Ausgaben zu achten.

Erfolgreich ist die Energiewende nur dann, wenn Deutschland als Industrieland im Herzen Europas auch weiter-hin wettbewerbsfähig bleibt. Das ist keineswegs gesichert: Auch wenn das Erneuerbare Energien-Gesetz (EEG) unbestritten zum rasanten Aufbau der erneuerbaren Energien beigetragen hat, droht die Energiewende aus dem Ruder zu laufen: Der Energiemarkt zerfällt, die Endkundenpreise steigen, das Netz ist an seiner Belastungsgren-ze angekommen. Viele Kraftwerke arbeiten nicht mehr rentabel und mittelfristig ist die Versorgungssicherheit in Gefahr. Deshalb ist für uns die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie auch ein prioritäres Ziel der Energiepolitik.

Die erneuerbaren Energien wurden in Deutschland soweit ausgebaut, dass sie bereits mehr als ein Viertel des Strombedarfs decken. Jetzt ist es an der Zeit, sie auch in das gesamte System zu integrieren, um konventionelle und erneuerbare Energieerzeugung vom Nebeneinander zum Miteinander zu bringen. Nur so kann ein Umbau der Energiestrukturen bei stabilen Preisen und sicherer Versorgung gelingen. Gleichzeitig muss der europäische Binnenmarkt für Energie vorangebracht werden.

Für eine erfolgreiche Energiewende müssen zudem über eine technologieoffene Modernisierungsoffensive die großen Potenziale im Wärme- und Kältemarkt gehoben werden. Nur wenn es gelingt, alle Bereiche miteinander zu verknüpfen, die Sicherheit der Versorgung zu gewährleisten und die Kosten in den Griff zu bekommen, kann die Energiewende insgesamt zum Innovationsmotor für Deutschland werden.

Für die 18. Legislaturperiode muss gelten:

1. EEG-Reform: Innovationen statt Dauersubventionen und Staatswirtschaft!Gerade weil Deutschland die erneuerbaren Energien zur zentralen Säule der deutschen und europäischen Energieversorgung machen will, ist es jetzt wichtiger denn je, genau auf die Kosten und die Wirksamkeit der Ausgaben zu achten. Um den Strompreisanstieg zu senken und die erneuerbaren Energien mit Aus-bau der Stromnetze zu synchronisieren, muss in den ersten 100 Tagen der neuen Bundesregierung eine schnelle Reform des EEGs angegangen werden, die in wenigen Schritten wirksam werden kann und den Netzausbau und Europa miteinbezieht.

Die Zukunft der Energiewende steht und fällt mit der Integration erneuerbarer Energien in ein Gesamt-system unter marktwirtschaftlichen Bedingungen. Damit die Energiewende zum Innovationsmotor wird und das Industrieland Deutschland weiterhin auf einer sicheren und bezahlbaren Energieversor-gung aufbauen kann, müssen weitere Eingriffe in den Markt verhindert und der Wettbewerb gestärkt

werden. Das künftige Fördersystem für erneuerbare Energien muss marktwirtschaftlich ausgerichtet, kosteneffizient, technologieoffen, innovationsför-dernd sowie europarechtlich kompatibel sein.

Nur die Steuern auf Strom zu senken, damit man eine steigende EEG-Umlage finanzieren kann, wäre der falsche Weg. Der Weg zur Markt- und Systemin-tegration der erneuerbaren Energien führt über die Direktvermarktung von EEG-Strom. Das heißt, es geht nur im Paket. Um in der Phase der Konsensfin-dung zwischen Bund und Ländern trotzdem eine schnelle Entlastung für alle Verbraucher zu schaffen, wäre ein Kompromiss möglich: Er könnte darin be-stehen, die Stromsteuer für ein Jahr auszusetzen, bis die parallel eingeleitete EEG-Reform greift. In dieser Transformationsphase sollen keine weiteren Förder-tatbestände geschaffen werden.

Der Weg zur Markt- und Systemintegration der er-neuerbaren Energien führt über die Direktvermark-tung von EEG-Strom. Ziel ist es, dass sich erneuerbare

V. Energiewende auf ein marktwirtschaftliches Fundament stellen!

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Energien perspektivisch auch ohne massive Förde-rungen am Markt bewähren und durch stärkeren Wettbewerb mehr Innovationen für die Energiewen-de befördert werden. Daher muss für alle Neuanla-gen die verpflichtende Direktvermarktung einge-führt und der Zubau im Gleichgewicht mit dem Netz-ausbau, Kraftwerken, Nachfragern und Speichern verzahnt werden. Dies ist vor allem eine Chance, in-novative Vertriebskonzepte zu entwickeln und neue Technologien anzureizen.

Für die erfolgreich vermarkteten EEG-Mengen wird eine feste Marktprämie an die Anlagenbetreiber aus-gezahlt. Um die größten Kostensenkungspotenziale zu nutzen, soll die Marktprämie spätestens bis 2015 technologieneutral ausgestaltet werden. Ziel ist es, dass sich erneuerbare Energien perspektivisch auch ohne massive Förderungen am Markt bewähren und mehr Innovationen befördert werden.

Um die Synchronisation des Zubaus der Erneuerba-ren mit dem Ausbau der Stromnetze voranzubringen und ökonomische Anreize für Speicherlösungen zu schaffen, ist die Härtefallregelung in § 12 EEG auf-zulösen. Durch die Einführung eines optimierten Ein-speisemanagements im Bereich der EEG-Anlagen lassen sich erhebliche Investitionen in den Netzaus-bau vermeiden. Deshalb ist eine anlagenscharfe Re-duzierung der Einspeiseleistung von EEG-Anlagen zu ermöglichen. Um die Investitionssicherheit zu erhal-ten, werden nachträgliche staatliche Eingriffe in be-stehende Förderverträge abgelehnt. Stattdessen wird durch den Wechsel in die Direktvermarktung die Übersubventionierung der erneuerbaren Energien abgebaut. Gleichzeitig müssen alle Anlagenbetreiber im Bereich der erneuerbaren Energien sich an künfti-gen Maßnahmen zur Systemstabilität und Ver-sorgungssicherheit beteiligen.

2. Chancen für Innovationen der erneuerbaren Energien nutzen!In der Branche für erneuerbare Energien liegen zahl-reiche ungenutzte Potenziale brach. Diese sollen nutzbar gemacht werden. Bei 20-jähriger garantier-ter Einspeisevergütung ohne Fördergrenze und ohne Wettbewerb zwischen unterschiedlichen EE-Tech-nologien bleiben Innovationen auf der Strecke. Auch über die erforderlichen Kapazitäten der Elektrizi-tätsversorgung sollte in Zukunft der Markt ent-scheiden.

Ohne Preissteigerungen wird die Energiewende nicht zu realisieren sein. Die Energiewende muss aber auch als Chance genutzt werden, bei Innovationen inter-national aufzuholen und die Technologieführer-schaft wieder zu sichern. Nur eine volkswirtschaftlich effektive und effiziente Förderung, die darüber hin-aus auch auf europäischer Ebene politisch abge-stimmt wäre, ist auf Dauer tragfähig und kann auch langfristig die Akzeptanz bei der Bevölkerung für die Umsetzung der Energiewende erhalten. Daher ist es für den Erfolg der Energiewende entscheidend, das bestehende Fördersystem an die Dynamik der wirt-schaftlichen Entwicklungen anzupassen und europa-weit zu vereinheitlichen.

Das Marktintegrationsmodell des Wirtschaftsrates bietet die dringend notwendige mittel- bis langfristi-ge Integration der erneuerbaren Stromerzeugungs-kapazitäten in den wettbewerblichen Strommarkt. Damit wird der Wett bewerb als Entdeckungsverfah-ren für die Marktintegration wachsender EEG-Elekt-rizitätsmengen erschlossen. Neben dem Zubau von konventionellen Kraftwerkskapazitäten – das kön-nen auch regenerative Erzeugungsanlagen wie beispielsweise Biomasse-Kraftwerke sein – kommen der Bau von Energiespeichern, der Ausbau von Netz-kapazitäten sowie innovatives Lastmanagement in Frage. Ähnlich wie im Bereich der Telekommunikati-on müssen im Energiemarkt jetzt die Investitions-blockaden gelöst werden, damit die Potenziale der neuen Technologien gehoben werden können. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen die EEG-Mengen durch die Bilanzkreismanager im Rahmen ihrer Be-schaffungsstrategien vermarktet werden.

3. Aufholstrategie für den Ausbau der Stromnetze umsetzen!Damit Strom auch in Zukunft immer an jedem Ort und zu jeder Zeit zur Verfügung steht, ist es erforder-lich an den Erfolg des verbindlichen Bundesbedarfs-plans anzuknüpfen und den Ausbau der Stromnetze auf allen Ebenen voranzutreiben und mit dem Zubau an erneuerbaren Energien zu synchronisieren. Von besonderer Bedeutung ist dabei der Bau der großen Stromtrassen, die den Strom aus den windreichen Regionen an Nord- und Ostsee in die Ballungszentren im Süden und Westen unseres Landes transportie-ren. Dabei müssen die Ziele der Offshore-Windener-gie angepasst und gleichzeitig die Planungs- und In-vestitionssicherheit mit verbindlichen Realisierungs-

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fahrplänen sicher gestellt werden. Gleichzeitig müs-sen Investitionen in die Forschung und Entwicklung für Speichertechnologien erheblich verstärkt werden.

Alle Anlagen müssen bisher mit ihrer vollen Nenn-leistung an das Netz angeschlossen werden, obwohl diese nur an wenigen Stunden im Jahr genutzt wer-den. Um die Kosten des Netzausbaus zu dämpfen, sollte die zu integrierende Wirkleistung von EEG-An-lagen begrenzt und den Zeitverzug bei den Verteil-netzen in der Anreizregulierung analog zu den Über-tragungsnetzen abgeschafft werden. Gleich zeitig ist zu prüfen, dass die Kosten für die Netzentwicklung neben einer Verbrauchskomponente auch eine An-schlusskomponente besitzen.

Um eine intelligente Verzahnung auf allen Ebenen zu ermöglichen, sind die regulatorischen Hürden bei Smart Metering aufzulösen und den Einstieg in Smart Grid zu ermöglichen. Den Verteilnetzbetrei-bern muss die Möglichkeit gegeben werden, durch Steuerung von EE-Anlagen und Lasten sowie den Ein-satz von Speichern, die Netzausl astung zu maximie-ren und unnötige Netzinvestitionen zu ve rmeiden.

4. Versorgungsicherheit in den Fokus: Optimierung des Energy-Only-Marktes vor Kapazitätsmarkt!Für eine sichere Energieversorgung bleiben auf ab-sehbare Zeit fossile Energieträger unerlässlich. Nur durch eine enge Verzahnung aller Energieträger im Markt können die Versorgung gesichert und die Ver-braucher von weiteren Kosten entlastet werden. Durch den dynamischen Ausbau der erneuerbaren Energien sind eine ausreichende Auslastung konven-tioneller Kraftwerke und damit deren Rentabilität nicht mehr gegeben. Daher werden immer mehr Kraftwerke, gerade auch neue Anlagen, stillgelegt und Neubauprojekte ausgesetzt. Gleichzeitig nimmt die Belastung der bestehenden Stromnetze durch den Ausbau erneuerbarer Energien stetig zu. Es ist daher entscheidend, dass verlässliche, marktwirt-schaftliche Rahmenbedingungen für den Bau von und Betrieb von hocheffizienten Gas- und Kohle-kraftwerken sichergestellt werden.

In welcher Form und ob Deutschland einen Kapazi-tätsmarkt benötigt, hängt entscheidend davon ab, ob es geschafft wird, zügig eine grundlegende Reform des EEGs mit mehr Marktverantwortung der EE-Anla-

gen einzuleiten. Der Energiemarkt, der ausschließlich die Stromproduktion vergütet (Energy-Only-Markt) und nicht die Vorhaltung von Kapazitäten (Kapazi-tätsmarkt), steht derzeit im Zentrum der Koordina-tion aller Akteure im europäischen Strommarkt für einen länderübergreifenden Wettbewerb und für niedrige Stromkosten zum Wohle aller Verbraucher. Um eine verlässliche Energieversorgung zu gewähr-leisten, sollten daher zunächst alle Möglichkeiten für die Optimierung des Energy-Only-Marktes genutzt werden. Soweit die vorgeschlagene EEG-Reform und die Optimierung des Energy-Only-Marktes nicht konsequent umgesetzt wird, muss kurzfristig über einen Leistungsmarkt entschieden werden.

5. Planungssicherheit für die Industrie schaffen und geschlossene Wertschöpfungs-ketten in Deutschland halten!Deutschland muss auch weiterhin Industriestandort mit einem starken Mittelstand und einer soliden Grundstoffindustrie bleiben. Bezahlbare Energie ist dafür besonders wichtig, gerade für energieintensive Industrien im Wettbewerb mit ausländischer Kon-kurrenz.

Industrie, Handel und Dienstleistungen stemmen bereits heute über die Hälfte der Förderkosten für er-neuerbare Energien. Es ist gefährlich, wenn einer-seits die Belastungen durch den Ausbau der erneuer-baren Energien einseitig ansteigen, andererseits die essentiellen Ausnahmen für die stromintensive Industrie aufgelöst werden. Dabei liegt Deutschland bei den Rohstoffkosten, Stromkosten und Personal-kosten bereits heute weit vor den USA und den ande-ren Staaten Europas. Deutschland darf nicht durch explodierende Energiepreise seine Deindustrialisie-rung in großem Stil einleiten.

Die Kosten der Energiewende sind fair auf allen Schultern zu verteilen. Statt eine Verteilungsdiskus-sion zu führen, sollten jedoch eine schnelle Ent-lastung aller Verbraucher erreicht werden. Um Ar-beitsplätze in Deutschland zu sichern, sind zielge-naue Entlastungen für Unternehmen unabdingbar, um Nachteile durch unterschiedliche internationale Rahmenbedingungen bei Steuern und Abgaben aus-zugleichen. Zusätzliche Belastungen für strominten-sive Industrien im internationalen Wettbewerb und für Unternehmen, deren Produkte einen weltweit einheitlichen Börsenpreis haben, sind unbedingt zu

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verhindern. Doppelbelastungen durch verschiedene Klimaschutz-instrumente auf nationaler und euro-päischer Ebene sind zu beseitigen.

6. Energieeffizienzmärkte statt Verpflichtungssysteme!Auf den Gebäudesektor in der EU entfallen 42 Prozent des Endenergieverbrauchs, 35 Prozent der Treibhaus-gasemissionen und 50 Prozent aller geförderten Werkstoffe. Über die Hälfte des gesamten Endener-giebedarfs in Deutschland wird für Wärmeanwen-dungen verbraucht. Bei den privaten Haushalten dominiert die Beheizung von Wohnraum und Bereit-stellung von Warmwasser den Endenergiebedarf noch deutlicher mit einem Anteil von über 80 Pro-zent. Hier findet sich also der größte Hebel für Ener-gieeinsparungen, die durch gezielte Fördermaß-nahmen und einen verlässlichen Rahmen zu heben sind.

Bis Mitte 2014 sollte die EU-Effizienzrichtlinie in nati-onales Recht umgesetzt werden. Dabei ist auf einen funktionierenden Markt für Energiedienstleistungen statt auf Verpflichtungssysteme zu setzen. Um die Energiewende auch im Gebäudebereich zum Erfolg zu bringen, müssen Technologieoffenheit und Wirt-schaftlichkeit statt Zwangsmaßnahmen im Fokus stehen. Statt auf die Entmündigung des Bürgers zu setzen, sollte bessere Information über sparsame Ge-räte, Heizungen im Zentrum der Bemühungen stehen.

Mit einer Mischung aus Abbau von bestehenden Hemmnissen am Markt für Energie-dienstleistungen und gezielten Fördermaßnahmen lassen sich die enormen Potenziale effektiv und effizient heben und einen wesentlichen Beitrag zur Energiewende leis-ten. Daher ist die Diskriminierung im Förderregime zu beseitigen. Energieunternehmen sowie Unterneh-men, die nicht den KMU-Kriterien entsprechen, dür-fen von der Nutzung vieler Fördertopfe, zum Beispiel von Vor-Ort-Energieberatungen oder Marktanreiz-programmen für Heizungssanierung, nicht ausge-schlossen werden.

Contracting kann einen wesentlichen Beitrag zu ei-ner klimafreundlichen Energieversorgung leisten, da so Modernisierungen stattfinden, die andernfalls ausbleiben würden. Auch die Betriebsführung und Wartung übernimmt der Contractor, was die Ent-

scheidung für eine neue Anlage ebenfalls erleichtert. Daher sollte der gesetzgeberische Rahmen so gestal-tet werden, dass sich dieses Instrument diskriminie-rungsfrei entfalten kann.

Die langfristigen und kapitalintensiven Investitionen im Bereich Energieeffizienz sind auf verlässliche Rahmen bedingungen angewiesen. Die schwanken-den Höhen der Fördermittel und unvorhersehbare Förderstopps führen zu Verunsicherung und Atten-tismus. Daher ist insbesondere die steuerliche Ab-setzbarkeit der Gebäudesanierung umzusetzen und Verlässlichkeit beim gesamten Förderrahmen sicher-zustellen.

7. Vollendung des EU-Binnenmarktes für Strom und Gas vorantreiben!Der große, grenzüberschreitende und wettbewerb-lich geprägte europäische Binnenmarkt für Energie bringt nicht nur finanzielle Vorteile für alle Bürger Europas, sondern ist auch die richtige Antwort auf die globalen Herausforderungen, wie sie vor allem durch den rasch steigenden Energiebedarf der auf-strebenden Länder bei zugleich knappen Energieres-sourcen der Welt entstehen.

Es besteht noch immer eine große Diskrepanz zwi-schen nationalem Vorgehen und europäischer Vision bei der Förderung erneuerbarer Energien, dem Netz-ausbau für Strom und Gas, beim Speicherausbau und dem Einsatz intelligenter Energiesysteme. Die neue Bundesregierung muss sich daher zwingend dafür einsetzen, den derzeitigen Flickenteppich nati-onaler Lösungen, der nicht nur dem europäischen Binnenmarkt entgegenwirkt, sondern die System-kosten für alle Verbraucher unnötig erhöht, aufzulö-sen und für europaweit einheitliche Rahmenbedin-gungen einzutreten.

Insbesondere sollten die Abstimmung von Planungs- und Genehmigungsverfahren beim Stromnetz be-schleunigt und konkrete Zeitpläne für den Ausbau der Grenzkuppelstellen vorlegt werden, um den eu-ropaweiten Wettbewerb zu stärken. Es dürfen keine nationalen Regeln gesetzt werden, die dem EU-Bin-nenmarkt zuwider laufen. Nur so sind ein drohendes Beihilfeverfahren der EU-Kommission sowie massive Schäden für Unternehmen und Arbeits plätze in Deutschland abzuwenden.

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Als Industriestandort darf Deutschland seine Wettbewerbsfähigkeit nicht leichtfertig aufs Spiel setzen. Der inter-nationale Klimaschutz kann nur dann gelingen, wenn alle Industrie-, Schwellen- und Entwicklungsländer sich auf eine faire Lastenverteilung einigen und Wettbewerbsverzerrungen verhindern. So muss auch die künstliche Verknappung von CO2-Zertifikaten in der Europäischen Union im gut funktionierenden Emissionshandel ein Ende haben. Um Ressourcen langfristig zu schonen und negative Umweltauswirkungen zu vermindern, ist zu-dem ein sparsamer und effizienter Rohstoffeinsatz notwendiger denn je. Sekundärrohstoffe werden vor allem dann helfen, den Rohstoffverbrauch vom Wachstum zu entkoppeln, wenn die Kreislaufwirtschaft gezielt gestärkt wird. Einen großen Beitrag kann die Energieeinsparung im Gebäudebereich leisten, wenn sie marktwirtschaftlich und mit Planungs- und Investitionssicherheit angegangen wird. Ein Sanierungszwang und eine Verschärfung der Mindesteffizienzstandards darf es daher nicht geben!

Für die 18. Legislaturperiode muss gelten:

1. Faire Lastenverteilung beim internationalen Klimaschutz sicherstellen!Der Klimaschutz ist eine globale Herausforderung, bei der es auch globaler Antworten bedarf. Der spä-testens seit Kopenhagen stockende internationale Prozess sollte von der EU und den USA nun zügig neu angestoßen werden. Dazu bedarf es eines gemeinsa-men Schulterschlusses der Industrieländer mit den BRIC- und Golfstaaten. Denn nur unter rechtlich bin-dender Einbeziehung der großen Treibhausgaspro-duzenten können zum einen ein wirksamer Beitrag für das Klima erreicht und zum anderen weltweit gleiche Rahmenbedingungen für die Wirtschaft ge-schaffen werden. Verzerrungen im Wettbewerb wer-den so im Vorherein vermieden, wenn es keine ein-seitigen Absprachen gibt. Demzufolge sollte der eu-ropäische Ansatz einer Zielvorgabe von 30 Prozent bei der Reduktion von Treibhausgasemissionen auch weiterhin nur dann gelten, wenn es eine internatio-nale Übereinkunft mit fairer Lastenverteilung für alle gibt. Nationale Alleingänge schwächen die deutsche Wirtschaft im internationalen Vergleich.

Für eine erfolgreiche internationale Klimapolitik ist der Technologietransfer eine hilfreiche Stütze, wenn er auf weltweit geltenden Regeln in Hinblick auf ent-sprechende Schutzrechte fußt. Je früher und langfris-tiger Ziele für den CO2-Ausstoß auf internationaler Ebene festgelegt werden, umso eher wird die für die Wirtschaft zwingend notwendige Planungs- und Investitionssicherheit gewährleistet.

2. Kontinuität im EU-Emissionshandel wahren!Die Europäische Union hat ein funktionierendes Handelssystem mit Verschmutzungsrechten instal-liert, mit dem die Zielvorgaben des Kyoto-Protokolls

spielend erreicht werden. Eine künstliche Verknap-pung der CO2-Zertifikate ist daher aus marktwirt-schaftlicher Sicht gar nicht notwendig. Vielmehr soll-te der EU-Emissionshandel als antizyklisches Instru-ment verstanden werden, in dem die Zertifikatsprei-se nicht dann anziehen, wenn per Markteingriff die Zertifikate künstlich verknappt werden, sondern wenn die Wirtschaft wieder an Fahrt aufnimmt. Folg-lich sollte der Emissionshandel nicht mit weiteren Politikzielen überfrachtet werden. Um die Wettbe-werbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft nicht zu gefährden, muss auch weiterhin ein Ausgleich für die von „carbon leackage“ betroffenen Unternehmen si-chergestellt sein. Die Finanzierung klimapolitischer Projekte sollte so ausgestaltet werden, dass größt-mögliche Anteile an Privatinvestitionen freigesetzt werden. Dabei sollten solche Projekte grundsätzlich einer Wirtschaftlichkeitsüberprüfung unterliegen.

3. Verschärfungen europäischer Umweltvorschriften verhindern!Deutschland sollte eine aktive Rolle bei der Gestal-tung der europäischen Umweltpolitik spielen, weil Umweltfragen naturgemäß nicht an nationalen Grenzen Halt machen. Über die europäischen Vorga-ben jedoch hinausgehende Maßnahmen, die zumeist mit einer Verschärfung der ursprünglich angedach-ten Politikziele einhergehen, sind abzulehnen. Dieses würde die Vollendung des Binnenmarktes behindern und deutschen Unternehmen unnötige Wettbe-werbsnachteile in Europa aufbürden. Dies trifft auf verschiedene Bereiche des Umweltrechts zu: Eine Verschärfung der REACH-Verordnung erhöht die Um-setzungsschwierigkeiten und bringt ein komplexes, unsicheres Gesetzgebungsverfahren in Deutschland mit sich; die europäische Bodenschutzrichtlinie ver-

VI. Neue Balance zwischen Umwelt- und Wirtschaftspolitik schaffen!

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stößt gegen das Subsidiaritätsprinzip und erhöht un-verhältnismäßig den Bürokratieaufwand; eine Anhe-bung der Mindesteffizienzstandards in der Energie-einsparverordnung schränkt die notwendige Investi-tionssicherheit deutlich ein.

4. Wettbewerb in der Entsorgungswirtschaft stärken!Angesichts des weltweit rasant ansteigenden Roh-stoffverbrauchs und der Sorge der Industrie hinsicht-lich des sicheren Zugangs zu Rohstoffen gewinnt die Rückführung gebrauchter Produkte in den Material- und Wirtschaftskreislauf immer größere Bedeutung. Eine Weiterentwicklung der Recyclingverantwortung für Verpackungen auch für Produkte, eigenverant-wortlich von Herstellern und Handel im Wettbewerb organisiert, ist deshalb 22 Jahre nach Einführung der Verpackungsverordnung geboten. Zudem ist auf ei-ne exakte Umsetzung der fünfstufigen Abfallhierar-chie im Kreislaufwirtschaftsgesetz (KrWG) mit kla-rem Vorrang der stofflichen vor der thermischen Ver-wertung zu drängen. Deutschland ist heute schon Recyclingweltmeister: Entsprechende Mindesteffizi-enzstandards für jede einzelne Stufe sind daher gar nicht nötig. Vielmehr müssen die Recyclingziele ins-besondere auch für die wichtigen Stoffströme wie Gewerbeabfall und Elektrogeräte ambitioniert er-höht werden! Die europarechtlich unzulässige Be-günstigung kommunaler Unternehmen bei der Zu-lassung von Abfall- und Wertstoffsammlungen bei privaten Haushalten muss beendet werden! Hierfür bedarf es auch einer umsatzsteuerrechtlichen Gleich-behandlung, unabhängig von der Rechtsform. Ein Jahr nach Inkrafttreten des KrWG muss Rechts- und Investitionssicherheit für gewerbliche Sammlungen hergestellt werden! Dies kann etwa durch eine klare Durchführungsverordnung zum KrWG erreicht wer-den. Zudem sollte die Weiterentwicklung der Kreis-laufwirtschaft durch die flächendeckende Einfüh-rung einer Wertstofftonne vorangetrieben werden.

5. Wirtschaftliche Maßnahmen bei der Energieeffizienz im Unternehmen umsetzen!Die deutsche Wirtschaft hat bereits erhebliche Ener-gieeinsparmaßnahmen in der Produktion auf den Weg gebracht, ohne dass dabei staatliche Eingriffe vonnöten gewesen wären. Diese laufenden, energie-preissteigenden Politikmaßnahmen wie Netzentgel-te, Stromsteuer und EEG-Umlage müssen nun hinrei-chend auf das Einsparziel der EU-Energieeffizienz-

richtlinie anrechenbar sein. Denn Wirtschaftlichkeit sollte das oberste Gebot sein! Jetzt noch weitere strompreiserhöhende Einsparsysteme zur Pflicht zu machen, schwächt die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie. Stattdessen sollten Spielräume, die sich aus den Umsetzungsleitlinien der EU-Kom-mission ergeben, genutzt werden. Solange ord-nungspolitische Vorgaben die Effizienzvorgaben nicht weiter verschärfen, wird seitens der Unterneh-men auch weiterhin kontinuierlich in die technologi-sche Verbesserung von Produktions- und Anlagen-parks investiert werden. Absolute Einsparvorgaben für den Endenergieverbrauch sind dagegen abzuleh-nen.

Zusätzlich sollte mehr Transparenz für die Wirtschaft und die Bürger bei Energieeffizienzmaßnahmen ge-fördert werden: Statt verschiedener Programme auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene sollte eine einheitliche, einfache und bedarfsgerechte Förder-mittelvergabe stattfinden, um den Förderdschungel für Effizienzmaßnahmen zu beseitigen. Außerdem müssen Wirtschaft und Politik dringend mehr Bera-tungsleistungen und Öffentlichkeitsarbeit anbieten, um schlummernde Potenziale zu heben. Energiebe-rater müssen geschult und kontrolliert werden.

6. Umweltschutz technologieoffen und innovativ in die Zukunft führen!Die Entwicklung der Hochtechnologien hat sich in jüngster Vergangenheit beschleunigt. Den maßgeb-lichen Anteil daran hatten innovative mittelständi-sche Unternehmen in Deutschland. Sie brachten Lö-sungen und neue Verfahren in den Markt, die insbe-sondere auch im Umweltschutz positive Effekte zei-tigten.

Deshalb müssen die großen und mittelständischen Unternehmen darin ermutigt werden, ihre Innovati-onskraft auch weiterhin auszuschöpfen. Hierzu be-darf es einer Anpassung der zukunftsweisenden Rah-menbedingungen: Allem voran müssen die Vielzahl der verschiedenen Förderprogramme auf unter-schiedlichen Ebenen der Politik entflochten und ihre bürokratischen Hürden vereinfacht werden. Leit-märkte sollten gezielt gefördert werden, Transparenz in der Fördermittelvergabe erhöht und steuerliche Anreize für den Einsatz von in- und ausländischem Wagniskapital auf Hochtechnologiefeldern gegeben werden.

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Insgesamt braucht es eine neue Kultur der Anerken-nung neuer Technologien, ganz speziell im Bereich der Nano- und Biotechnologien, welche die gesell-schaftliche Akzeptanz von hochtechnologischen In-novationen fördert und Risiken neuer Technologien in Hinblick auf ökologische und gesundheitlichen Gesichtspunkte in einen sachgerechten Diskurs über-führt.

Nano- und Biotechnologien werden in absehbarer Zeit Lösungen für eine Vielzahl gesellschaftlicher Pro-bleme bereitstellen, beginnend beim Klimaschutz über den Bereich der Mobilität, Medizin und Energie bis hin zum modernen Recycling und einer völlig neuen Form der Rohstoffverwertung. Deshalb braucht es hierzu eine politische Gesamtstrategie, die über eine Forschungsstrategie hinausgehend auch langfristige, investitionsfreundlichen Rahmen-bedingungen bietet, diese neuen Ansätze markt fähig zu machen.

7. Rohstoffversorgung international mit Wettbewerb, Transparenz und Kontrolle, national mit starker Kreislaufwirtschaft und Technologie offenheit langfristig sichern!Wettbewerbsverzerrende Subventionen und hohe Exportzölle belasten die deutsche Wirtschaft. Vom freien Zugang zu heimischen und ausländischen Ressourcen ist der Standort Deutschland wesentlich abhängig. Deshalb muss in anderen Ländern nach-drücklicher als bislang für die Einhaltung eines fairen Wettbewerbs geworben werden. Ein wichtiger Bau-stein für die Rohstoffversorgung ist auch die Sicher-stellung einer effektiven Kontrolle und Transparenz am Rohstoffmarkt.

Handels- und Wettbewerbsverzerrungen gilt es ab-zubauen und in anderen Ländern zugleich für die Einhaltung der WTO-Handelsregeln zu werben. Eine einseitig von der Wirtschaft zu tragende Zertifizie-rung der Herkunft von Konfliktmineralien nach Vor-bild des US-amerikanischen Dodd-Frank-Acts auf europäischer Ebene ist außerdem abzulehnen, weil die Sorgfaltspflicht nur von Politik und Wirtschaft ge-meinsam auf internationaler Ebene erfüllt werden kann.

In gleicher Weise müssen die heimischen Rohstoff-lagerstätten unter Abwägung ökologischer, ökono-mischer und sozialer Belange zur Sicherung der Roh-

stoffversorgung erkundet werden dürfen. Hierzu sollte auch auf die lange unternehmerische Erfah-rung bei der Ausnutzung von Schiefergasvorkom-men mittels der Frac-Methode zurückgegriffen wer-den. Der Umwelt- und Naturschutz hat hierzu als unantastbares Prinzipien zu gelten. Die umweltscho-nende Förderung könnte perspektivisch heimische Wertschöpfung generieren und der Energieträger Gas aufgrund seiner CO2-armen Verbrennung einen Beitrag zum Klimaschutz leisten.

Im Zuge der sich verknappenden Ressourcen nimmt die Bedeutung der Sekundärrohstoffe sowohl unter Kostengesichtspunkten als auch ökologischen An-sprüchen für die Wirtschaft rasant zu. Um die Her-stellung von Sekundärrohstoffen weiter zu fördern, bedarf es vorrangig marktwirtschaftlicher Lösungen wie etwa der Weiterentwicklung der Kreislaufwirt-schaft. Die Verwendung von Recyclingmaterialien darf deshalb nicht behindert werden durch eine zu enge Fassung der Mantelverordnung Grundwasser-, Ersatzbaustoff- und Bodenschutzverordnung.

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Bei aller Freude über die erreichten Beschäftigungsrekorde von rund 42 Millionen Erwerbstätigen, 29 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten und dem Rückgang der Arbeitslosigkeit auf ca. drei Millionen: Die Integration des harten Kerns von knapp einer Million Langzeitarbeitslosen in reguläre Beschäftigung bleibt ne-ben der Bewältigung des Fachkräftemangels eine große arbeitsmarktpolitische Herausforderung. Die unbestreit-baren Erfolge der Agenda 2010 mit den Hartz-Reformen haben eindrucksvoll unter Beweis gestellt, dass ein flexi-bler Rahmen der Schlüssel für Chancen auf den Einstieg in den Aufstieg am Arbeitsmarkt ist. Gleichzeitig bildet ein regelmäßiges Erwerbseinkommen die entscheidende Voraussetzung für die dringend erforderliche eigenver-antwortliche Altersvorsorge. Zur Bewältigung des demografischen Wandels führt an einer Verlängerung der Lebensarbeitszeit kein Weg vorbei.

Für die 18. Legislaturperiode muss gelten:

1. Fachkräftebedarf sichern, Wachstums- bremsen lösen!Wir erleben einen Paradigmenwechsel auf dem deut-schen Arbeitsmarkt: Statt zu weniger Arbeitsplätze werden zu wenige Arbeitskräfte immer stärker zum Problem. Ohne Gegensteuern wird es in 15 Jahren rund sechs Millionen Erwerbstätige weniger geben als heute. Nur eine verbesserte Integration von älte-ren Menschen und Jugendlichen in den Arbeitsmarkt, eine weitere Stärkung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie mehr qualifizierte Zuwanderung si-chern die Fachkräftebasis und damit die Stärke des Innovations- und Wirtschaftsstandorts Deutschland.Dringend benötigen wir einen umfassenden, konkre-ten Maßnahmenkatalog für mehr Hochqualifizierte, der an allen Stellschrauben gleichzeitig ansetzt:

1.1 Mehr Bildung für bessere Berufschancen der jungen Generation vermitteln!Der Weg zu mehr Fachkräften führt zu allererst über mehr und bessere Bildung. Jahr für Jahr bleiben 60.000 Schüler ohne Abschluss. Politik, Wirtschaft und unsere gesamte Gesellschaft sind gemeinsam gefordert: Wir dürfen keinen jungen Menschen zu-rücklassen! Wenn es uns gelingt, die erschreckend hohen Quoten der Ausbildungsabbrecher von über 20 Prozent und der Schulabbrecher von etwa sieben Prozent zu halbieren, stehen der deutschen Wirt-schaft bis 2025 über eine halbe Million Fachkräfte zu-sätzlich zur Verfügung.

1.2 Naturwissenschaftlich-technische Ausbildung ausbauen, Begeisterung für Ingenieurskunst wecken! Wirtschaft, Politik und Schulen stehen in der gemein-samen Verantwortung, die MINT-Berufe (Mathema-

tik – Informatik – Naturwissenschaften – Technik) bekannter zu machen. Unser Ziel muss es sein, den Anteil der Ingenieure an allen Hochschulabsolventen auf 30 Prozent zu steigern. Um ausreichende Grund-lagen für die MINT-Studienfächer zu legen, sind zu-künftig mindestens zwei obligatorische naturwis-senschaftliche Fächer bis zum Abitur erforderlich. Kein Abi ohne Mathe – so muss die Devise lauten!

1.3 Qualifizierte Zuwanderung gezielt steuern!In der vergangenen Legislaturperiode wurden bereits erste Schritte für mehr qualifizierte Zuwanderung nach Deutschland vollzogen. Zusätzlich brauchen wir jedoch dringend ein System gewichteter Kriterien für eine aktive, bedarfsgerechte Einwanderungspolitik. Beispielhaft ist das kanadische Modell, bei dem u. a. Alter, Sprachkenntnisse oder berufliche Qualifikatio-nen bewertet werden.

1.4 Aufweichen der Rente mit 67 verhindern!Zu den bedeutenden Erfolgen der bürgerlichen Re-gierung zählt, dass sie den Attacken auf die Rente mit 67 widerstanden hat. Auch diese Marke kann jedoch nicht in Stein gemeißelt sein: Viele 70-jährige sind fähig und motiviert zu beruflichem Engagement. Zur Erleichterung der Erwerbstätigkeit über die Regelal-tersgrenze hinaus müssen unbürokratische Regelun-gen für die Besteuerung und Entrichtung von Abga-ben geschaffen werden.

1.5 Vereinbarkeit von Familie und Beruf erleichtern!Vor allem die Familienunternehmen in Deutschland stehen für die Schaffung familienfreundlicher Arbeitsplätze – nicht zuletzt um das zur Erhaltung der Wertschöpfung notwendige Fachkräftepotenzial voll auszuschöpfen. Die Politik ist ihrerseits gefor-

VII. Fachkräftebedarf sichern, Tarifautonomie erhalten, Alterssicherung zukunftsfest gestalten!

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dert, alles daran zu setzen, die Vereinbarkeit des Be-rufslebens mit der Familie zu erleichtern. Ein weite-rer Ausbau der Kinderbetreuung ist dringend erfor-derlich.

2. Tarifautonomie erhalten, einheitlichen gesetzlichen Mindestlohn verhindern!Jeder Arbeitnehmer, der mit einer Entlohnung unter-halb seiner erbrachten Leistung abgespeist wird, ist einer zu viel. Wer seine Verantwortung für die hart arbeitenden Männer und Frauen in unserem Land ernst nimmt, dem muss es ein Anliegen sein, dass so-ziale Verwerfungen aufgrund weißer Flecken in der Tariflandschaft vermieden und stattdessen tarifliche Lohnuntergrenzen eingeführt werden. Gleichzeitig können nur Arbeitsplätze, deren Kosten am Markt zu erwirtschaften sind, auf Dauer erhalten bleiben. So würde ein einheitlicher gesetzlicher Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde nach Berechnungen des ifo Ins-tituts 1,2 Millionen Arbeitsplätze in Deutschland ge-fährden.

Dagegen hat die Tarifautonomie als hohes Ver-fassungsgut den Bürgern der Bundesrepublik über 60 Jahre Wohlstand, Beschäftigung und soziale Stabilität gebracht. Deshalb sind wir für in der Tarif-autonomie verankerte Lohnuntergrenzen unter Be-rücksichtigung wichtiger Leitplanken:O Vorrang für Tarifverträge: Lohnuntergrenzen dür-

fen nur dort in Frage kommen, wo es weiße Flecken in der Tariflandschaft gibt.

O Absage an politische Mindestlöhne: Für Lohnunter-grenzen müssen die Sozialpartner zuständig sein, nicht die Politik.

O Ermöglichung branchenspezifischer, regionaler Re-gelungen: Einen beschäftigungsfeindlichen bun-deseinheitlichen Mindestlohn darf es nicht geben.

Damit weiterhin Arbeitgeber und Gewerkschaften die maßgebliche Verantwortung für die Lohnsetzung tragen können, ist eine Stärkung der Tarifautonomie erforderlich – insbesondere durch Maßnahmen zur Wahrung der Tarifeinheit.

3. Vollzeitarbeit für Geringverdiener attrakti-ver machen, Hinzuverdienstregeln anpassen!Durch ein Kombi-Einkommen aus Marktlohn und staatlichem Zuschuss werden im Gegensatz zu ei-nem beschäftigungsfeindlichen gesetzlichen Min-destlohn keine Arbeitsplätze im Niedriglohnsektor

zerstört. Schon heute wird in Deutschland das Arbeitsentgelt Bedürftiger durch Arbeitslosengeld II aufgestockt. Statt jedoch wie bisher durch die Hinzu-verdienstregelungen vor allem die Kombination aus Minijob, staatlichem Transfereinkommen und ggf. noch Schwarzarbeit zu fördern, sollten künftig Voll-zeit Arbeitende mehr von den Früchten ihrer Tätig-keit behalten dürfen. Denn nur so können ehemals Bedürftige zum Einstieg in den Aufstieg am Arbeits-markt ermutigt und aus dem Transferbezug befreit werden.

4. Hartz IV-Missbrauch bekämpfen, Arbeitsbereitschaft konsequent überprüfen!Auch für die rund eine Million Langzeitarbeitslosen muss die Botschaft der Agenda 2010 gelten: Arbeiten lohnt sich! Gleichzeitig hat jeder die Pflicht, so weit wie möglich für sich selbst zu sorgen und ohne die finanzielle Unterstützung der hart arbeitenden Bür-ger in unserem Land auszukommen. Dazu zählt die Bereitschaft, Beschäftigungschancen in anderen Sek-toren, Berufen und ausdrücklich auch in anderen Re-gionen zu suchen und wahrzunehmen.

Gleichzeitig sollte die Arbeitsbereitschaft von gesun-den Transferempfängern nicht nur durch Jobange-bote, sondern auch durch gemeinnützige Tätigkeiten systematisch überprüft werden. Die Politik hat sicherzustellen, dass künftig alle Arbeitsagenturen ihrer Pflicht ausreichend nachkommen, Arbeitslose zu einer ernsthaften Jobsuche anzuhalten. Nur mit einer Konzentration von Leistungen auf die wirklich Bedürftigen kann unser Gemeinwesen dauerhaft sei-nem Sozialversprechen nachkommen: Wer sich in seiner Not nicht selber helfen kann, dem hilft die So-lidargemeinschaft ohne Wenn und Aber.

5. Arbeitsrecht flexibilisieren, Beschäftigungsmotor Zeitarbeit erhalten!Der Rückgang der Arbeitslosigkeit um zwei Millionen seit 2005 bietet gemeinsam mit den günstigen kon-junkturellen Aussichten die Chance, endlich auch den harten Kern der Langzeitarbeitslosigkeit aufzu-brechen. Flexible Beschäftigungsformen wie Be-fristungen, Zeitarbeit und Minijobs sind gerade für Personen mit Einstellungshindernissen ein gut funk-tionierendes Sprungbrett in den Arbeitsmarkt. So waren zwei Drittel der in der Zeitarbeit Beschäftigten zuvor ohne Job, während sie nun alle Arbeitnehmer-rechte wie Kündigungsschutz, Lohnfortzahlung im

VII. Fachkräftebedarf sichern, Tarifautonomie erhalten, Alterssicherung zukunftsfest gestalten!

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Krankheitsfall, im Urlaub und an Feiertagen, Mutter-schutz, Elternzeit etc. haben. Gleichzeitig verschafft die Zeitarbeit Unternehmen die dringend benötigte Beweglichkeit, flexibel mit der Auftrags lage zu at-men. Umso wichtiger ist es, diesen Beschäftigungs-motor zu stärken und ihn nicht durch Überreglemen-tierung und frühzeitige Equal Pay-Regelungen abzu-würgen. Stattdessen haben bereits die Tarifvertrags-parteien für immer mehr Einsatzbranchen passende Zuschläge vereinbart. Keinesfalls in einen Topf mit der Zeitarbeit dürfen Werk- und Dienstverträge ge-worfen werden. Als Form der Arbeitsteilung und Spe-zialisierung sind sie für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft unverzichtbar. Gleichzeitig gilt für alle Arbeitnehmer, die im Rahmen von Werk-verträgen beschäftigt sind, das gesamte Arbeits- und Tarifrecht wie für jeden anderen Arbeitnehmer auch. So wichtig Werkverträge grundsätzlich sind, gilt es dennoch, einen missbräuchlichen Ersatz der Stamm-belegschaft durch Werkarbeitnehmer zu verhindern.

Gerade vielen Berufsanfängern gelingt über befriste-te Beschäftigungsverhältnisse der Einstieg in den Aufstieg am Arbeitsmarkt. Mehr als die Hälfte der Befristungen endet in einer unbefristeten Anstel-lung. Durch eine gezielte Entbürokratisierung kön-nen diese Jobchancen noch besser genutzt werden. So sollten Verschärfungen von Rot-Grün zumindest teilweise zurückgenommen werden und sachgrund-lose Befristungen mit demselben Arbeitgeber nach Ablauf eines Zeitraums von höchstens 12 Monaten wieder möglich sein. Eine generelle Einstellungshür-de stellt das unübersichtliche, unklare deutsche Kün-digungsschutzrecht dar, das eine hohe Zahl oftmals langer und teurer Kündigungsschutzprozesse verur-sacht. Kalkulierbarkeit kann durch eine Abfindungs - option geschaffen werden: Arbeitnehmer sollen ein Wahlrecht erhalten, sich entweder für den gesetzli-chen Kündigungsschutz zu entscheiden oder aber im Vorhinein eine Abfindung zu verein baren.

6. Leistung als Maßstab für Stellen-besetzungen erhalten!Eignung und Leistung müssen Maßstab für Stellen-besetzungen bleiben, nicht starre Quoten. Unterneh-men haben angesichts der Herausforderungen des demographischen Wandels selbst ein starkes Interes-se an mehr qualifizierten Frauen in Schlüsselpositio-nen und werden daher selbst eingegangene Ver-pflichtungen erfüllen. Tatsächlich steigt der Frauen-

anteil in Führungspositionen der Privatwirtschaft seit Jahren und erreicht inzwischen 27 Prozent. Zu-dem ist es unmöglich, alle Betriebe mit einer starren Quote über einen Kamm zu scheren: Weil nur 6 Pro-zent der Maschinen- und Fahrzeugbauingenieure Frauen sind, wäre für einen Autobauer eine fixe Quo-te weiblicher Führungskräfte viel schwerer zu erfül-len als für ein Dienstleistungsunternehmen. Gleich-zeitig wird für Frauen, die in der Vergangenheit Be-nachteiligungen erlitten haben, nicht mehr Gerech-tigkeit geschaffen, wenn stattdessen nun junge Männer benachteiligt und ihnen Aufstiegsmöglich-keiten verbaut werden: Falls in kurzer Zeit unrealisti-sche Frauenquoten zu erfüllen sind und deshalb weibliche Führungskräfte in so gut wie alle frei wer-denden Aufsichtsrats- und Vorstandsposten geho-ben werden, sind Männer bei der Besetzung dieser Stellen offensichtlich im Nachteil. Statt eine neue Ungerechtigkeit zu schaffen, sollten die Vorausset-zungen für Vollzeitarbeit und den beruflichen Auf-stieg von mehr Frauen geschaffen werden: 1,2 Millio-nen Mütter würden gern arbeiten, wenn die Betreu-ung ihrer Kinder gewährleistet wäre.

7. Sozialabgaben auf deutlich unter 40 Prozent absenken!Eine weitere Verringerung der Sozialabgaben auf deutlich unter 40 Prozent ist der Schlüssel, dass Er-werbseinkommen gegenüber Transfereinkommen an Attraktivität gewinnt und noch mehr Menschen zum Einstieg in den Aufstieg am Arbeitsmarkt moti-viert werden. Doch noch immer wird knapp jeder dritte in Deutschland verdiente Euro für Soziales aus-gegeben, überwiegend finanziert durch Arbeitneh-mer und Arbeitgeber als Beitragszahler in unseren sozialen Sicherungssystemen.

Nur wenn wir aufhören, der langfristig rückläufigen Zahl abhängig Beschäftigter immer weitere Lasten aufzubürden, können wir unsere sozialen Siche-rungssysteme auf ein zukunftsfähiges, demografie-festes Fundament stellen. Umso wichtiger ist es, ein tragfähiges Verhältnis von erwerbstätigen Beitrags-zahlern und Ruheständlern zu wahren, die Abkopp-lung der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversiche-rung vom Beschäftigungsverhältnis voranzubringen sowie die eigenverantwortliche, kapitalgedeckte Vor-sorge der Bürger zu stärken. Den finanziellen Spiel-raum hierfür kann kurzfristig eine weitere Absen-kung der Lohnzusatzkosten liefern. Unsere sozialen

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Sicherungssysteme sind keine Sparkassen. Stattdes-sen müssen die Überschüsse, die durch Arbeitskraft und unternehmerische Leistung der Beitragszahler erwirtschaftet wurden, diesen zurückgegeben wer-den. Die üppigen Finanzpolster der Sozialversiche-rungen im mittleren zweistelligen Milliardenbereich bieten gegenwärtig die einmalige Chance, den Griff in die Sozialkassen von Rot und Grün aus dem Jahr 2005 zu korrigieren: Es ist an der Zeit, wie damals ver-sprochen, endlich die Vorverlegung der Fälligkeit von Sozialbeiträgen zurückzunehmen. Die Unternehmen würden dadurch nicht nur einmalig finanziell entlas-tet, sondern vor allem auch von enormem bürokrati-schen Aufwand befreit: Betriebe wären nicht länger gezwungen, ihre Gehaltsabrechnungen doppelt zu machen.

8. Bevölkerungsalterung bewältigen, Altersgrenze flexibilisieren!Angesichts der rasanten Bevölkerungsalterung führt an einem höheren Renteneintrittsalter kein Weg vor-bei. Gerade vor dem Hintergrund der reichen Lebens- und Arbeitserfahrung Älterer darf auch eine Anhe-bung der Regelaltersgrenze auf 69 Jahre kein Tabu sein. Wegweisend ist der Vorschlag des Sachverstän-digenrates, das Renteneintrittsalter an die Lebenser-wartung der Deutschen zu koppeln. Politik und Wirt-schaft sind gemeinsam gefordert, Arbeit für Ältere zu erleichtern und einen flexiblen Übergang in den Ruhestand zu ermöglichen:O „Kombi-Rente“ für einen flexiblen Übergang vom

Erwerbsleben in den Ruhestand einführen, Hinzu-verdienstmöglichkeiten für Rentner motivations-freundlicher gestalten! Wir müssen Systeme schaf-fen, die den individuell unterschiedlichen Alte-rungsprozessen gerecht werden. Hierzu zählt auch, Regelungen zur Besteuerung und Entrichtung von Abgaben jenseits der Regelaltersgrenze unbürokra-tisch zu ge stalten.

O Beschäftigungsfeindliches Prinzip der Seniori-tätsentlohnung abschaffen! Wenn für ältere Arbeitnehmer automatisch höhere Löhne zu zah-len sind, verschlechtert dies ihre Beschäftigungs-chancen.

Gleichzeitig können die im Rentenpaket innerhalb der bürgerlichen Koalition bereits abgestimmten, maßvollen sozialen Korrekturen viele Menschen un-terstützen, die Anhebung des Renteneintrittsalters zu meistern:

O Eine Erhöhung des Budgets für Rehabilitationen hilft den älter werdenden Arbeitnehmern beim Er-halt ihrer Arbeitsfähigkeit.

O Eine Ausweitung der Zurechnungszeiten verhin-dert, dass Erwerbsminderungsrenten durch die sukzessive Anhebung der Regel altersgrenze immer weiter hinter Altersrenten zurückfallen.

9. Versorgungslücken aufdecken, eigen- verantwortliche Altersvorsorge ausbauen!Während die Älteren mit einer moderaten Renten-entwicklung und einer Anhebung des Rentenein-trittsalters ihren Teil des Generationenvertrags zu erfüllen haben, müssen die Jungen verstärkt Eigen-vorsorge betreiben. Nur so ist auch künftig für alle Menschen ein auskömmlicher Lebensabend gewähr-leistet. Angesichts der sinkenden Vorsorgebereit-schaft ist es umso wichtiger, der Bevölkerung die dro-hende Versorgungslücke bewusst zu machen. Jeder Bürger muss in Zukunft besser nachvollziehen kön-nen, welche Anwartschaften er in den verschiedenen Säulen der Alterssicherung angespart hat. Hierfür braucht Deutschland eine unabhängige und über-greifende Informationsplattform, auf der alle An-sprüche aus gesetzlicher Rente, Betriebsrente und privater Vorsorge sicher, einfach und übersichtlich zusammengefasst sind.

Gleichzeitig ist ein Maßnahmenkanon zur Verbesse-rung der Rahmenbedingungen für die private und betriebliche Eigenvorsorge erforderlich:O Anrechnung von Riester-Renten auf die Grund-

sicherung im Alter abmildern! Wer vorsorgt muss immer mehr haben als derjenige, der nicht vorsorgt.

O Nachholung nicht geleisteter Riester-Beiträge er-möglichen! Individuell unterschiedliche Erwerbs- und Einkommensbiographien erfordern mehr Flexibilität bei den Einzahlmöglichkeiten in Vorsor-geverträge.

O Riester-Höchstbetrag durch Festschreibung auf vier Prozent der Beitragsbemessungsgrenze dyna-misieren!

O Selbständige in die Riester-Förderung einbeziehen!O Pensionsverpflichtungen von Unternehmen im

Rahmen der betrieblichen Altersvorsorge voll steu-erlich anerkennen!

O Bei Einzahlungen in die betriebliche Altersvorsorge doppelte Belastung mit Sozialversicherungsbeiträ-gen beenden!

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Damit unser Gesundheitswesen auch künftig zu den leistungsfähigsten auf der Welt gehört und alle Bürger trotz der demografischen Entwicklung von einer hochwertigen medizinischen Versorgung profitieren können, sind weitere grundlegende Reformen auf der Finanzierungs- und Leistungsseite notwendig: die weitere Entkoppe-lung der Gesundheitsausgaben von den Lohnkosten, die Verstärkung des Wettbewerbs auf der Ausgabenseite und die Förderung von mehr Eigenverantwortung.

Entscheidend für die Zukunftsfähigkeit unseres Gesundheitssystems ist die Verbesserung der Innovationsstärke in allen Leistungsbereichen, insbesondere beim Thema E-Health und der Nutzung von Informations- und Kom-munikationstechnologie (IKT). Die Einrichtung eines Innovationsfonds für die gesamte Gesundheitswirtschaft könnte Abhilfe schaffen, um beispielsweise neuartige Versorgungsformen zu erproben, den Ausbau von IKT voranzutreiben und die Forschung an Krankenhäusern und Universitätskliniken auszubauen.

Gleichzeitig gilt es, den Nutzen für die Bevölkerung und die Wertschöpfung der Gesundheitswirtschaft klarer herauszustellen und die Branche mehr als Wirtschaftsfaktor zu verstehen.

Für die 18. Legislaturperiode muss gelten:

1. Bürgerversicherung verhindern, Wettbewerbs fähigkeit des dualen Krankenversicherungs systems stärken!Deutschlands Gesundheitswesen steht auf den beiden starken Säulen der gesetzlichen Krankenver-sicherung (GKV) und der privaten Krankenversiche-rung (PKV). Je intensiver und fairer der Wettbewerb innerhalb und zwischen den beiden Säulen GKV und PKV stattfindet, desto stärker rücken Kosteneffizienz und Qualität der medizinischen Versorgung in den Fokus der Versicherer. Der durch das duale Kran- kenver sicherungssystem bestehende Wettbewerb ist ein wichtiger Motor für Innovationen. In einer soge-nannten „Bürgerversicherung“ als staat lichem Ein-heitssystem würde dieser Wettbewerb um Ideen und Innovationen wegfallen.

Folge wäre eine Stagnation der Qualität medizini-scher Versorgung. Zur Bewäl tigung des demografi-schen Wandels gilt es, die PKV als kapitalgedeckte Säule zu erhalten und auszu bauen.

Der Wirtschaftsrat regt eine Expertenkommission an, die nach dem Gesundheitsmodernisierungsgesetz 2009 die praktischen Erfahrungen mit der Portabili-tät von Altersrückstellungen evaluiert und die Spiel-räume für eine Ausweitung auslotet. Gleichzeitig muss die damit einher gehende Gefahr steigender Beiträge vermieden werden, um die PKV als starke Säule unseres Krankenversicherungssystems zu erhalten.

2. Mehr Vertragswettbewerb im ambulanten und stationären Bereich schaffen!Selektivverträge, zum Beispiel zur hausarztzentrier-ten Versorgung nach § 73b SGB V, der besonderen ambulanten fachärztlichen Versorgung nach § 73c SGB V sowie der integrierten Versorgung nach §§ 140a ff SGB V, sind notwendig für einen sinnvollen Vertragswettbewerb mit dem Ziel, die medizinische Versorgung der Bevölkerung zu optimieren. Selektiv-verträge sollten daher auch Versorgungsverbesse-rungen und Innovationen identifizieren, die ein posi-tives Kosten-Nutzen-Verhältnis haben. Werden sol-che Verbesserungen und Innovationen festgestellt, müssen sie jedoch allen gesetzlich Krankenversicher-ten bereitgestellt werden.

Damit ist gewährleistet, dass sich Innovationen, Ver-sorgungsverbesserungen und Qualität zur Verbesse-rung der Versorgung der Patienten durchsetzen und das Versorgungsgeschehen im Ganzen effizienter wird.

Auch der stationäre Bereich sollte in die wettbewerb-liche Vertragssteuerung einbezogen werden. Durch Direktverträge zwischen Krankenkassen und Kran-kenhäusern kann eine bessere Behandlungsqualität für die Patienten gesichert werden. Dafür ist es not-wendig, einen den Kontrahierungszwang ergänzen-den Rechtsrahmen für Versorgungsgestaltungsver-träge zu schaffen, auf die sich die Partner eigenver-antwortlich verständigen können.

VIII. Qualität, Wirtschaftlichkeit und IT-Effizienz des Gesundheitssystems vorantreiben!

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3. Ambulante medizinische Versorgung vor Ort gewährleisten, mehr Eigenverantwortung verankern!Eine wohnortnahe Versorgung vor allem in ländli-chen Regionen und strukturschwachen Stadtteilen muss auch mit neuen Versorgungsmodellen sicher-gestellt werden können. Eine vereinfachte Zulassung sowie Bezahlung telemedizinischer Dienstleistungen kann einen wichtigen Beitrag zur Sicherstellung der medizinischen Versorgung in unterversorgten Ge-bieten leisten.

Die Maßnahmen aus dem Versorgungsstrukturge-setz, zum Beispiel die Stärkung der Anreize zur Nie-derlassung in ländlichen Regionen, müssen zeitnah auf ihren Erfolg hin überprüft und weiterentwickelt werden. An mehr finanzieller Eigenverantwortung und Vorsorge für die mit der Alterung der Gesell-schaft steigenden Gesundheitskosten führt kein Weg vorbei. Die Abschaffung der Praxisgebühr ist kontra-produktiv, solange nicht mit einer kompensierenden Maßnahme mehr Eigenbeteiligung erreicht wird.

4. Investitionsstau in Krankenhäusern auf-lösen – Mischfinanzierung auf den Prüfstand stellen!Die Krankenhäuser in Deutschland stehen unter ei-nem hohen Innovations- und Kostendruck. Qualität und Wirtschaftlichkeit im stationären Sektor haben sich seit der Einführung der Fallpauschalen (DRGs) deutlich verbessert. Allerdings sind die Grenzen der finanziellen Belastbarkeit für viele Krankenhäuser mittlerweile erreicht: jedes Dritte Krankenhaus schreibt mittlerweile rote Zahlen.

Gleichzeitig beläuft sich der Investitionsstau bei einer Investitionsquote von nur noch 4,4 Prozent auf min-destens 15 Mrd. Euro. Die vorübergehenden Soforthil-fen des Bundes für Krankenhäuser in Höhe von insge-samt 1,1 Mrd. Euro sind nicht nachhaltig. Daher muss über weitere strukturelle Veränderungen auf der Fi-nanzierungs- wie auf der Leistungsseite des stationä-ren Sektors nachgedacht werden. Dringend notwen-dig ist, die Umstellung der unwirtschaftlichen Misch-finanzierung der Krankenhäuser von Kassen und Bundes ländern auf ein monistisches System mit einheit licher Finanzierungsverantwortung. Darüber hinaus müssen im ländlichen Raum ökonomisch tragfähige Versorgungskonzepte entwickelt werden.

5. Effizienzen heben – Sektorübergreifende Behandlungsabläufe ausbauen!Kooperationen von Ärzten, Fachärzten, Krankenhäu-sern, Vorsorge- und Reha-Kliniken, MVZs sowie in-dustriellen Anbietern in integrierten Versorgungs-strukturen bieten entscheidende Vorteile:O Wartezeiten, doppelte Wege und mehrfache Un-

tersuchungen können reduziert werden.O Zum Wohle des Patienten läuft der notwendige

Wissensaustausch reibungslos.O Das Gesundheitssystem wird von hohen Kosten be-

freit.O Die Patientensicherheit wird erhöht.

Deshalb müssen prozessorientierte Versorgungsket-ten auf Basis von Krankheiten und Diagnosen an die Stelle der aktuell an Sektoren ausgerichteten Einzel-leistungen treten. Modelle der Integrierten Versor-gung und Disease Management-Programme weisen den Weg zur Organisation sektorübergreifender Behandlungsabläufe.

Darüber hinaus sind folgende Maßnahmen not-wendig:O Übergang vom gegenwärtigen, sektoral abgeschot-

teten zu einem patientenorientierten Honorie-rungssystemen.

O Wenn Krankenkassen stärker in integrierte Versor-gungsstrukturen investieren, treten die hieraus resultierenden Einsparungen erst zeitverzögert ein. Um dennoch langfristiges Investitionsverhal-ten anzuregen, sollten die Kassen vom jährlichen Budgetausgleich befreit werden.

O Elektronischen Patientenakte zeitnah einführen und Interoperabilität zwischen den IKT-Systemen als Voraussetzung für alle integrierten Versor-gungsformen sicherstellen.

Medizinische Versorgungszentren sollen von allen Leistungserbringern betrieben werden können, die zur medizinischen Versorgung der Versicherten zu-gelassen sind oder per Vertrag an ihr teilnehmen. Damit dies wieder möglich wird, muss die Änderung des § 95 Abs. 1 SGB V (MVZ-Gründung) rückgängig gemacht und auf den Stand vor dem 01.01.2012 ge-bracht werden.

Insgesamt ist eine Gleichstellung von Medizinischen Versorgungszentren und niedergelassenen Fach-

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ärzten in Bezug auf Zulassung, Kooperationsformen, Entgelt und Plausibilitätsprüfung herzustellen.

6. Innovationen bei Arzneimitteln und Medizin technik voranbringen, Willkür bei der Nutzen bewertung vermeiden!Neue Behandlungsmöglichkeiten zum Wohle der Patienten sind der Schlüssel für eine zukunftsorien-tierte Gesundheitsversorgung. Um das hohe Niveau der medizinischen Versorgung in Deutschland noch weiter anzuheben, müssen medizinische Innovatio-nen schnell und nachhaltig zu fairen Preisen in die breite Versorgung gelangen. Daher sind bei der Preis-findung die Kosten für Forschung und Entwicklung zu berücksichtigen, und es muss eine klare Trennung von Nutzenbewertung nach rein wissenschaftlichen Kriterien sowie anschließender Preisverhandlung geben.

Bei der Nutzenbewertung von Bestandsmarktpro-dukten ist zu berücksichtigen, dass diese die wirt-schaftliche Basis pharmazeutischer Unternehmen bilden und die unverzichtbaren finanziellen Ressour-cen für Forschung und Entwicklung liefern. Bestands-marktaufrufe dürfen daher nicht willkürlich erfol-gen. Eine nicht sachgerechte Selektion auf aktuelle „Blockbuster“ mit nur noch geringer Patentlaufzeit muss daher ausgeschlossen sei. Auch ist zu berück-sichtigen, dass viele eingeführte Bestandsmarktpro-dukte inzwischen selbst zur Standardtherapie ge-worden sind. Sie dürfen deshalb nicht mit inzwischen veralteten Therapien verglichen werden.

Die Ausnahmen des Arzneimittelmarktneuord-nungsgesetzes bei „Orphan Drugs“ zur Behandlung schwerer, lebensbedrohlicher, seltener Erkrankun-gen müssen beibehalten werden. Nur so können für diese ansonsten wenig berücksichtigte Patienten-gruppe die Erforschung, Entwicklung und das Inver-kehrbringen geeigneter Therapien gesichert werden.

7. Zersplitterte Förderlandschaft zusammenführen!Damit Kranken in Zukunft noch wirksamer als heute geholfen werden kann und Patienten möglichst rasch von neuartigen Behandlungsmethoden profi-tieren können, muss medizinische Forschung durch gleichgerichtete Anreize der gesamten Förderland-schaft vorangebracht werden. Insbesondere die Bun-desministerien für Bildung und Forschung, Gesund-

heit sowie Wirtschaft und Technologie müssen hier-für „Hand in Hand“ arbeiten: O Gesetzliche Regelungen und Förderungsansätze

für Innovationen müssen sich besser als bisher er- gänzen.

O Ein Lotsensystem kann gerade Mittelständlern den Weg durch das Förderlabyrinth weisen.

O Eine steuerliche Forschungsförderung als Ergän-zung der bisherigen Projektförderung ist zügig umzu setzen, denn ihr Fehlen in Deutschland ist ein klarer Standortnachteil für forschungsintensive In-dustrien unabhängig von der Unternehmensgröße.

8. Überregulierung bei der EU-Medizinprodukteverordnung verhindern!Derzeit wird in Brüssel eine neue Medizinprodukte-verordnung beraten. Überregulierungen zum Nach-teil des europäischen Standorts sind zu entschärfen. Konkret müssen folgende Punkte bei der EU-Medizin-produkteverordnung beachtet und schnellstmöglich umgesetzt werden:O Europaweit harmonisierte Überwachung von Zer-

tifizierungsstellen für Medizinprodukte und damit Kontrolle anhand einheitlicher Standards.

O Bessere Koordinierung von Herstellerregistrierun-gen und Erfassung von Vorkommnismeldungen.

O Wesentliche Beibehaltung des „New Approach“ mit den bewährten Verfahren zur Konformitäts-bewertung und CE-Kennzeichnung.

Eine zentrale Zulassung von Medizinprodukten durch Behörden oder staatliche Stellen muss vermie-den werden. Der internationale Vergleich zeigt, dass die Innovationsfähigkeit der Branche hierdurch eher behindert wird, ohne dass sich das Sicherheitsniveau wesentlich verbessert.

9. Fachkräftemangel im Gesundheitswesen konsequent bekämpfen!In kaum einem anderen Bereich der Wirtschaft ist der Fachkräftemangel bereits heute so deutlich spürbar wie im Gesundheitswesen. Daher müssen dringend breit angelegte Gegenmaßnahmen ergriffen werden:O Bundesweite Anerkennung spezieller Berufsbilder

wie operationstechnischer Assistent (OTA), anäs-thesietechnischer Assistent (ATA) oder chirurgi-scher Operationsassistent (COA).

O Vereinfachte Anerkennung ausländischer Qualifi-kationen im medizinischen und pflegerischen Be-reich.

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O Ergänzung der Krankenpflegeausbildung, um innovative Modelle wie das Berufsausbildungsvor-bereitungsjahr zu nutzen und damit den Mangel-beruf Krankenpflege auch Hauptschulabgängern zu ermöglichen.

O Gemeinsame Ausbildung von Kranken- und Alten-pflege mit einheitlicher Ausbildungsfinanzierung.

Der ärztliche Nachwuchsmangel ist vor allem in den weniger spezialisierten, überwiegend patientennah tätigen Fächern ein Problem und wird sich durch eine älter und damit kränker werdende Bevölkerung mas-siv verschärfen.

Aufgrund des medizinischen Fortschritts können in-zwischen jedoch viele Erkrankungen im häuslichen Bereich behandelt werden. Diese Tatsache wird bis-her unzureichend bei der Aus- und Weiterbildung berücksichtigt. Dringende Forderungen sind deshalb:O Stärkere Rolle der ambulanten Tätigkeit in der uni-

versitären Ausbildung. O Verankerung einer mindestens sechsmonatigen

ärztlichen Weiterbildung über das Fach Allgemein-medizin hinaus auf weitere patientennahe Gebiete im ambulanten Bereich.

10. Betriebliche Krankenversicherung stärken!Die betriebliche Krankenversicherung (bKV) wird in Zukunft angesichts der Finanzierungs-herausfor-dungen im Gesundheitssystem eine wesentlich grö-ßere Rolle bei der Sicherung unseres Versorgungsni-veaus in der Breite der Bevölkerung spielen. Anders als in der betrieblichen Altersvorsorge ist die steuer-liche Behandlung der betrieblichen Krankenversiche-rung jedoch noch nicht geeignet, diese als dritte Säu-le so zu stärken, wie es geboten erscheint: Beiträge zur betrieblichen Krankenversicherung gelten heute grundsätzlich als steuer- und sozialversicherungs-pflichtige Lohnersatzleistung. Stattdessen müssen Arbeitgeberleistungen zur betrieblichen Krankenver-sicherung in § 3 Nr. 34 EStG aufgenommen werden und damit den dort steuerlich bereits genannten Leistungen zur Verbesserung des allgemeinen Ge-sundheitszustandes und der betrieblichen Gesund-heitsförderung gleichgestellt werden.

11. Ausreichende Finanzierung der Rehabilitation!Zur bedarfsgerechten Finanzierung der Rehabilitati-on ist es notwendig, das Rehabilitationsbudget der

Gesetzlichen Rentenversicherung laufend mit einem Demografiefaktor anzuheben. Denn einer gestiege-nen Nachfrage nach Rehabilitation (die Leistungsan-träge sind von 2005 bis 2011 um rund 30 Prozent auf knapp 1,7 Mio. gestiegen) steht keine ausreichende Finanzierung gegenüber.

Aufgrund der hohen medizinischen und volkswirt-schaftlichen Bedeutung der Rehabilitation, die Menschen länger eine Berufstätigkeit ermöglicht, könnten sich zusätzliche Finanzmittel durchaus rechnen.

Die von der Gesetzlichen Krankenversicherung getra-gene medizinische Rehabilitation ist von den glei-chen Kosteneffekten betroffen wie der Krankenhaus-sektor. Daher ist die Entwicklung eines angemesse-nen, qualitäts- und leistungsorientierten Vergü-tungssystems für die Rehabilitation und die Anwen-dung des Orientierungswerts nach § 10 Abs. 6 KHEntG ebenso notwendig wie eine anteilige Tariflohnrefi-nanzierung und die Aufnahme der Rehabilitation in das Hygiene-Förderprogramm.

Da 80 Prozent der GKV-Patienten, die Leistungen der medizinischen Rehabilitation in Anspruch nehmen, älter als 65 Jahre sind, gewinnt das Prinzip „Mit Reha-bilitation Pflege vermeiden“ zunehmend an Bedeu-tung. Ein finanzieller Ausgleich zwischen Pflege- und Krankenversicherung, der den Krankenkassen ihre Aufwendungen für Reha-Leistungen zur Vermei-dung von Pflegebedürftigkeit zurück erstattet, könn-te hier sinnvoll sein.

12. Kapitaldeckung insbesondere auch in der Pflegeversicherung weiter ausbauen!Der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff, der stärker auf die Bedürfnisse von dementen Mitbürgern ausge-richtet ist, muss zügig umgesetzt und an Leistungs-zusagen in der Gesetzlichen Pflegeversicherung ge-koppelt werden. Voraussetzung ist jedoch, dass dar-aus keine Beitragserhöhungen in der Pflegeversiche-rung resul tieren, die eine zusätzliche Belastung der Arbeits kosten bedeuten würden. Zur langfristigen Beitragssatzstabilität muss die Kapitaldeckung in der Pflegeversicherung ausgebaut werden.

Auch ist der derzeitige Pflege-TÜV wenig aussage-kräftig und sollte deshalb durch ein Zertifizierungs-verfahren ersetzt werden.

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13. Patientensicherheit, klinisches Risiko-management und Versicherungsschutz weiterentwickeln!Die Sicherheit für Patienten muss in allen Versor-gungsbereichen gewährleistet sein. Dabei ist ein me-dizinisches Risikomanagement als Element der Qua-litätssicherung ebenso unerlässlich wie eine aus-reichende Haftpflicht-Versicherung für Ärzte und Gesundheitsorganisationen. Es muss gewährleistet sein, dass allen Einrichtungen im Gesundheitswesen weiterhin ausreichend Versicherungsschutz zur Ver-fügung steht und dass dieser finanzierbar bleibt.

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Die Steuerzahler und Nutzer der Verkehrsinfrastruktur haben seit Gründung der Bundesrepublik ein leistungs-fähiges Verkehrsnetz geschaffen. Mit einem Vermögenswert von nahezu 1,1 Billionen Euro stellt dieses Netz zu-gleich eine tragende Säule des Vermögens unseres Landes dar und sichert gleichzeitig die Wettbewerbsfähigkeit.

Vordringliche Aufgabe muss es sein, diesen Vermögenswert in seiner Substanz und Verfügbarkeit zu erhalten und an die sich ändernden Mobilitätsbedürfnisse von Wirtschaft und Gesellschaft anzupassen, denn eine Ein-schränkung der Nutzungsmöglichkeiten wird unweigerlich zu einer Beschneidung wirtschaftlichen Wachstums führen. Vor diesem Hintergrund muss die Verkehrs- und Infrastrukturpolitik einen herausgehobenen Stellenwert im Arbeitsprogramm der neuen Bundesregierung erhalten.

Handlungsbedarf besteht zuvorderst in den Mechanismen der Infrastrukturfinanzierung. Der Verkehrssektor leidet unter dem Problem seiner indirekten, intransparenten und für den Bürger häufig nicht nachvollziehbaren Finanzierungswege. Dies zeigt sich besonders in den äußerst komplizierten Abstimmungsprozessen bei der Ver-teilung der Finanzmittel zwischen Bund, Ländern und Kommunen. Eine besondere Fehlentwicklung stellt der Hang zur Protegierung besonders öffentlichkeitswirksamer Infrastrukturvorhaben dar. Immer wieder werden für den Erhalt bereitgestellte Haushaltsmittel zu Gunsten prestigeträchtiger Neubauvorhaben umgewidmet, mit der Folge eines mittlerweile unübersehbaren Substanzverzehrs. Die Sperrung der A1-Rheinbrücke bei Leverkusen Ende November 2012 für Fahrzeuge über 3,5 Tonnen stellt hier nur eines der unrühmlichen Beispiele der jüngeren Vergangenheit dar.

Weil für den Erhalt nicht ausreichend Mittel zur Verfügung stehen und diese Mittel in Folge der bestehenden Strukturen nicht mit der nötigen Effizienz eingesetzt werden, büßt Deutschland so jeden Tag etwa 13 Mio. Euro seiner Infrastrukturwerte ein.

Das Drehen an der Steuer- und Abgabenschraube wäre hier der falsche Ansatz. Grundsätzlich sieht der Wirt-schaftsrat in einer zusätzlichen Belastung der Nutzer der Verkehrsinfrastruktur keine Lösung zur ausreichenden Finanzierung der Verkehrswege. Vielmehr gilt es, durch Finanzierungskreisläufe mehr Transparenz und Effizienz in die bestehenden Finanzierungsmechanismen zu bringen. Dazu bedarf es einer übergeordneten Bedarfspla-nung mit Projektprioritäten, Planungssicherheit für ein ausreichendes Zeitszenario, einer Überjährigkeit und Zweckbindung der zur Verfügung stehenden Mittel, einer Ergebniskontrolle, aber auch mehr Mut zu öffentlich-privatwirtschaftlichen Kooperationskonzepten.

Für die 18. Legislaturperiode muss gelten:

1. Bundesverkehrswegeplan zu einer verkehrs-trägerübergreifenden Netzplanung unter Beachtung der Nutzen-Kosten-Verhältnisse umbauen! Im Vordergrund des Bundesverkehrswegeplanes 2015 muss das verlässliche Funktionieren des Ver-kehrsnetzes als Ganzes stehen. Dazu bedarf es eines ganzheitlichen multimodalen wie intermodalen Pla-nungsansatzes, bei dem die Mittel gezielter in Projek-te mit dem größten verkehrlichen wie volkswirt-schaftlichen Nutzen investiert werden.

Zugleich ist der Bundesverkehrswegeplan mit einem realistischen Finanzrahmen und ausreichenden Mit-teln für die priorisierten Projekte zu unterlegen.

2. Mehr Effizienz der Verkehrswegeinvestitio-nen durch Überjährigkeit und Zweckbindung der Mittel schaffen! In einem ersten Schritt muss hierzu eine gesetzliche Zweckbindung der zur Verfügung stehenden Mittel für Erhalt und Betrieb der Verkehrsnetze von Straße, Schiene und Wasserstraße auf Bundes-, Landes- wie kommunaler Ebene erfolgen. In einem zweiten Schritt ist die Überjährigkeit der Finanzmittel sicher-zustellen, um die Verkehrswegefinanzierung von haushalterischen Schwankungen abzukoppeln. Die daraus entstehende Planungssicherheit (u.a. auch durch Wegfall des so genannten „Dezember-Fiebers“) und der sich ebenfalls ergebende konstante Mittel-fluss werden maßgeblich dazu beitragen, bestehen-

IX. Investitionsprogramm für Verkehrsinfrastruktur starten!

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de Ineffizienzen im System der Infrastrukturfinanzie-rung zu beseitigen. Denkbare Instrumente zur Ein-richtung solcher Finanzierungskreisläufe liegen zum Beispiel in Leistungs- und Finanzierungsvereinba-rungen, wie sie für die Schiene bereits bestehen und für die Straße aktuell erprobt werden, ebenso in Fondslösungen. Um die entsprechenden Entschei-dungsgrundlagen für die Verkehrsinvestitionen zu schaffen, ist in einem dritten Schritt ein jährlicher Netzzustands- und Leistungsbericht, der die Ergeb-nisse und die Verfügbarkeit der Verkehrsinfrastruk-tur dokumentiert, vorzulegen. Viertens sind mit so-fortiger Wirkung jährlich 2 Mrd. Euro zugriffssicher und überjährig aus Haushaltsmitteln zur Beseiti-gung des aufgelaufenen Nachholbedarfs bereitzu-stellen. Damit soll sichergestellt werden, dass schnellstmöglich alle kritischen Netzabschnitte wie-der voll leistungsfähig sind.

3. Planungssicherheit für die kommunale Verkehrsinfrastruktur herstellen! Insbesondere für den unternehmerischen Mittel-stand stellt die kommunale Verkehrsinfrastruktur eine wichtige Lebensader dar. Auf kommunalen Stra-ßen etwa werden die ersten und letzten Meter eines nahezu jeden Transports zurückgelegt. Bund und Länder stehen daher in der gemeinsamen Verantwor-tung, für die im Jahr 2019 auslaufenden Programme der Gemeindeverkehrsfinanzierung Anschlussrege-lungen zu finden, die Finanzierung des kommunalen Verkehrsnetzes, insbesondere auch des ÖPNV auf ein sicheres Fundament zu stellen. Nicht nur der allge-meine Sanierungsstau bei der kommunalen Ver-kehrsinfrastruktur, sondern auch steigende Umwelt-schutzanforderungen (etwa im Bereich Lärmschutz oder Emissionswerte) erfordern neue Modernisie-rungsstrategien für die Verkehrsnetze in den Städten und Gemeinden und verursachen entsprechende Kos-ten. Vor diesem Hintergrund darf sich der Bund seiner Verantwortung nicht entziehen und den Kommunen seine Unterstützung, insbesondere bei größeren Pro-jekten, die viele Kommunen nicht aus eigener Kraft finanzieren können, nicht verweigern.

4. Planungsverfahren durch Straffung und optimierte Bürger beteiligung beschleunigen, Kosten explosionen verhindern! Die wirksame Einbeziehung von Bürgern hat sich immer mehr zum Schlüssel für die Umsetzung von Infrastrukturmaßnahmen entwickelt. Die Bürger-

beteiligungsverfahren müssen am Anfang eines Planungsprozesses stehen, optimiert und transpa-renter gestaltet werden. Entscheidend sind eine de-taillierte Information und offene Kommunikation.

Ein weiterer Baustein besteht darin, den „betroffe-nen“ Bürger zum „beteiligten“ Bürger zu machen und Modelle zu ermöglichen, mit denen er an Infra-strukturprojekten etwa über Anleihen beteiligt wer-den kann. Wenn die Menschen über Windparks, Netzleitungen oder Logistikparks einen finanziellen Vorteil erlangen, dann werden auch damit eventuell verbundene Belastungen leichter akzeptiert.

Nach den Erfahrungen von Stuttgart21 wurde der Ruf nach einer Erweiterung des Planungsrechts laut. Es ist ein Trugschluss zu glauben, dass Akzeptanzprob-leme durch immer neue Verfahren gelöst werden können. Im Gegenteil: Die Planungsverfahren sind mit der Auflösung solcher Konflikte überfordert und müssen dringend entlastet werden. Eine solche Ent-lastung kann durch Vereinfachung, durch Reduzie-rung von Doppelstrukturen und durch den Abbau von Bürokratie erreicht werden. An vielen Stellen fin-den unnötige Doppel- und sogar Mehrfachprüfun-gen statt. Diese gilt es zu beseitigen.

Großprojekte sind zudem nur unter Einbindung un-terschiedlichster Gewerke realisierbar. Ist die dafür notwendige Managementkompetenz begrenzt, sind Konflikte an den Schnittstellen vorprogrammiert. Bei der Realisierung großer öffentlicher Infrastruktur-vorhaben sollte daher auf die Kompetenz von Gene-ralunternehmen gesetzt und unterbunden werden, dass die öffentliche Hand – wie im Falle des Haupt-stadtflughafens BER – selbst die wichtige Funktion des Projektmanagers übernimmt. Zugleich sollte im Vergaberecht festgeschrieben werden, dass bei einer öffentlichen Auftragsvergabe nicht der Preis, son-dern das Kriterium der Wirtschaftlichkeit ausschlag-gebend ist. Nicht immer ist das niedrigste Angebot auch das wirtschaftlichste.

5. Luftverkehr in den Bundesverkehrswege-plan aufnehmen, Luftverkehrsteuer abschaffen, Nachtflüge ermöglichen! Gut 35 Prozent des Warenwerts aller Güter „Made in Germany“ werden per Luftfracht transportiert. Vor allem Expressfrachten und hochwertige bzw. schnell verderbliche Güter treten die Reise per Luft an. Damit

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ermöglicht es die Luftverkehrswirtschaft den unzäh-ligen mittelständischen Hidden Champions mit ih-ren High tech-Produkten Teil einer weltweiten Pro-duktions- und Lieferkette zu sein. Mit seiner Bedeu-tung für den Tourismus leistet der Luftverkehr zu-dem einen weiteren oftmals unterschätzten volks-wirtschaftlichen Beitrag. Nicht zuletzt beweisen sich auch die Flughäfen selbst als Bestandteil der Luftver-kehrsinfrastruktur als echte „Job-Maschinen“.

Trotz dieser volkswirtschaftlichen Wirkungen wird der Luftverkehr in Deutschland immer wieder durch staatliche Eingriffe wie die Luftverkehrsteuer belas-tet oder die Nutzung seiner Infrastrukturen durch Nachtflugverbote oder Ausbaustopps eingeschränkt. Die Luftverkehrsteuer gehört abgeschafft, sie macht weder ökonomisch noch ökologisch Sinn. Als deut-sche Insellösung stellt sie für die heimischen Luftver-kehrsunternehmen eine besondere Belastung dar. Sie führt zur Abwanderung von Fluggästen ins benachbarte Ausland, geht zu Lasten der Ertragslage der betroffenen Fluggesellschaften und hat nicht zu-letzt Arbeitsplätze in Deutschland gekostet. Mit ihrer ungewollten Sonderrolle durch restriktive Nacht-flugverbote verschlechtern sich die Entwicklungs-möglichkeiten deutscher Flughäfen deutlich gegen-über den wichtigsten Konkurrenten in Europa und Nahost. Das Nachtflugverbot verursacht Mehrkosten für Zwischenlandung, Verlagerung oder Streichung von Flügen. Es muss alles daran gesetzt werden, Nachtflüge in Deutschland zu ermöglichen – und nicht nur noch in Ausnahmefällen und per Sonder-genehmigung.

Zugleich darf Luftfahrtpolitik nicht länger am Län-derproporz scheitern. Die Bedarfsplanung für die Flughafeninfrastruktur muss endlich in die Bundes-verkehrswegeplanung aufgenommen werden. Nur ein Gesamtkonzept kann den Grundstein zur Weiter-entwicklung des Luftverkehrsstandortes Deutsch-land legen.

6. Potenziale der Schiene durch mehr Wett be- werb, Engpassbeseitigung und Verknüpfung mit den transeuropäischen Netzen heben! Stark beeinflusst durch die Zunahme des Container-umschlags in den Seehäfen, wird die Schienengüter-verkehrsleistung weiter wachsen – mit massiven Auswirkungen auf den Verkehr im Hinterland. Infra-strukturinvestitionen im Schienenverkehr sind daher

zuvorderst auf die Engpassbeseitigung und Verknüp-fung mit den transeuropäischen Netzen zu konzent-rieren. Zur Erleichterung des grenzüberscheitenden Schienenverkehrs innerhalb der EU müssen einzel-staatliche Regelungen bei der Zertifizierung des rol-lenden Materials gegenseitig anerkannt werden.

Zuvorderst jedoch sind die Rahmenbedingungen für einen fairen Wettbewerb auf der Schiene – national wie europaweit – zu verbessern. Dazu gehört zwin-gend die Trennung von Netz und Betrieb. Bis diese erreicht ist, muss sichergestellt werden, dass Tras-sen- und Stationsentgelte, die vom marktbeherr-schenden Anbieter erwirtschaftet werden, vollstän-dig in die Infrastruktur zurückfließen. Zur diskrimi-nierungsfreien Festlegung der Trassenentgelte ist die Rolle des Bundeskartellamtes zu stärken.

Um die Attraktivität der Schiene vor allem für den Personenverkehr insgesamt zu erhöhen, sollte mit einem „Deutschland-Takt“ ein anbieterübergreifen-der Fahrplan entwickelt werden, der in einem regel-mäßigen Takt Anschlüsse zwischen Nahverkehrs- und Fernzügen ermöglicht.

Zugleich ist Sorge dafür zu tragen, dass die mit der Energiewende verbundenen Preissteigerungen bei den Energiekosten die Wettbewerbsfähigkeit des Schienenverkehrs nicht zusätzlich beeinträchtigt wird. Bislang sind Bahnunternehmen von der im Er-neuerbare-Energien-Gesetz (EEG) festgeschriebenen Umlage weitgehend befreit. Der Wegfall dieser EEG-Befreiung hätte für den schienengebundenen Ver-kehr jährliche Mehrkosten von 230 Mio. Euro zur Fol-ge. Angesichts der Ziele im Bereich der Elektromobili-tät ist kaum ein absurderes Szenario vorstellbar: Ei-nerseits soll Deutschland bis zum Jahr 2020 zum Leitmarkt für diese Antriebstechnologie werden, an-derseits würde genau der Verkehrsträger, der bereits heute zu 100 Prozent elektrisch betrieben wird, be-nachteiligt.

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Wohnungsknappheit kann nur mit mehr Neubau beseitigt werden. Wohnungsbauförderung muss sich an der regionalen Nachfrage und den Besonderheiten des jeweiligen Marktes orientieren; sie kann auch Anreize für Modernisierung oder Rückbau setzen. Förderungen sollten vor allem subjektbezogen sein und einkommens-schwache Käufer und Mieter unterstützen. Verbesserungen der steuerlichen Abschreibungen, gezielte KfW- Programme oder Belegungsrechte können helfen. Erhöhungen von Grund- und Grunderwerbsteuer sind kontra-produktiv.

Die Länder müssen die Bundesmittel für den Wohnungsbau tatsächlich zweckgebunden einsetzen. Eingriffe in die Preisbildung wie Mietpreisdeckel für Neuvermietungen oder eine weitere Verschärfung der Mietzinskappung blockieren den Wohnungsneubau und sind deshalb abzulehnen. Wir setzen auf einen Wohnungsdialog vor Ort, um regionale Besonderheiten besser zu berücksichtigen. Ziel jeder Wohnungspolitik muss es sein, ausreichend bezahlbare, energetisch hochwertige sowie behinderten- und altersgerechte Wohnungen zu schaffen.

Für die 18. Legislaturperiode muss gelten:

1. Neuen Wohnraum schaffen – marktwirtschaftlich organisiert!In einigen Regionen Deutschlands wächst die Bevöl-kerungszahl. Dabei sind Zuzugsregionen nicht nur die wenigen Großstädte wie Berlin, München oder Köln, sondern auch kleine und mittelgroße Städte oder sogar einzelne Quartiere und Stadtteile, in de-nen sich attraktive Arbeitsplätze konzentrieren oder das soziale Wohnumfeld besonders attraktiv ist. Die steigende Nachfrage lässt die Miet- und Kaufpreise ansteigen.

Dieser lokalen Wohnungsknappheit muss man be-gegnen, indem marktwirtschaftliche Elemente ge-stärkt und Anreize zum Neubau gesetzt werden. Der Wohnungsneubau muss sich an der regionalen Nachfrage orientieren, sowohl in qualitativer wie auch in quantitativer Hinsicht. Funktioniert der Woh-nungsmarkt, so wird das Angebot erhöht, wenn die Preise auf Grund wachsender Nachfrage steigen. Das heißt, in Zuzugsregionen mit steigenden Preisen wird investiert und neuer Wohnraum geschaffen. Eingriffe in die Preisbildung würden diesen Mecha-nismus außer Kraft setzen. Mietpreisdeckel für Neu-vermietungen und Erstvermietungen sind aus die-sem Grund abzulehnen, denn sie würden den Neu-bau von Wohnungen verhindern, soweit eine De-ckung der Neubau- beziehungsweise Renovierungs-kosten nicht erreicht werden kann. Ebenso ist eine weitere Verschärfung der Mietzinskappung in lau-fenden Mietverträgen abzulehnen. Mietpreisdeckel und Mietzinskappung sind Investitionshemmnisse. Wir brauchen weniger Investitionshemmnisse, nicht mehr!

2. Energieeffizienzmaßnahmen wirtschaftlich und technologieoffen umsetzen!Zur Realisierung der ambitionierten Klimaschutz-ziele wird es künftig noch stärker darauf ankommen, vorhandene Einsparmöglichkeiten für Primärenergie wirtschaftlich zu nutzen. Auf den Gebäudebereich entfallen 40 Prozent des Endenergieverbrauchs in Deutschland. Damit stellen Maßnahmen der energe-tischen Gebäudesanierung einen wichtigen Baustein bei der Reduzierung des Energieverbrauchs dar. Des-halb werden private, gewerbliche und Industriege-bäude ihren Beitrag leisten müssen. Mindestanfor-derungen an die Energieeffizienz müssen sich in ers-ter Linie wirtschaftlich umsetzen lassen und gleich-zeitig die für den jeweiligen Nutzer oder Eigentümer sinnvollste Technologie zulassen. Sinnvoll können kleinteilige Quartierslösungen sein. Nur wenn der Nutzen für Eigentümer und Mieter die Investitions-kosten übersteigt, werden Investitionen in Energieef-fizienz erfolgen. Dies gilt sowohl für den Neubau als auch für Bestandsgebäude. Derlei Sanierungsan-strengungen brauchen Planungssicherheit, weshalb eine weitere Anhebung der Mindesteffizienzstan-dards über die Energieeinsparverordnung (EnEV) hinausgehend abzulehnen ist. Es sollten diejenigen Maßnahmen zuerst durchgeführt werden, die mit den geringsten Kosten die größte Energieeffizienz-verbesserung bewirken. Ein Sanierungsfahrplan soll-te ordnungsrechtlich somit nicht vorgegeben wer-den. Stattdessen dürften flexible Anreizsysteme wie eine einfache Ausgestaltung der steuerlichen Förde-rung die Entwicklung erheblich beschleunigen. Das Contracting darf durch die Ausdehnung auf beste-hende Verträge nicht zu bürokratischem Mehrauf-

X. Markt statt Mietpreisbremse durchsetzen!

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wand führen, weshalb die Mietrechtsnovelle in Hin-blick auf die Auswirkungen des Contractings unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten evaluiert werden sollte.

3. Rahmenbedingungen für energetische Sanierungen insgesamt verbessern!In einem ersten Schritt hat das Mietrechtsänderungs-gesetz 2013 energetische Sanierungsmaßnahmen erleichtert. Darüber hinaus bieten Bund, Länder und Kommunen mehr als 180 verschiedene Förderpro-gramme an.

Es gibt zahllose Plattformen, die unterschiedliche Segmente der Förderprogramme abbilden. Hilfreich wäre eine zentrale, durch den Bund geförderte Platt-form, in welcher alle Programme zusammengeführt sind. Ein anwenderfreundliches Berechnungstool, mit dem die Förderprogramme des Bundes, der Län-der und der Kommunen einerseits auf den Sanie-rungsbedarf, die Sanierungsmaßnahmen und die Standortregion andererseits abgestimmt werden können, würde die öffentliche Sanierungsförderung transparenter machen und potentielle Investoren nicht durch Unübersichtlichkeit abschrecken.

Gebäudebezogene, quartiersbezogene und ge-samtstädtische Maßnahmen müssen im Hinblick auf das Ziel Energieeffizienz und Klimaschutz ganzheit-lich betrachtet werden. Die KfW-Förderung leistet einen wichtigen Beitrag zur Klimazielerreichung. Sie muss langfristig und verlässlich gestärkt und mit Mitteln auf hohem Niveau ausgestattet werden, da-mit die Energiewende gelingen kann. Die Mittel dür-fen nicht davon abhängig sein, wie hoch der CO2-Zertifikatpreis ist. Ebenso ist verbesserte Aufklärung der Mieter über die Ziele der energetischen Gebäu-desanierung notwendig – sie muss auch auf ein ge-ändertes Nutzerverhalten abzielen.

4. Steuerliche Abschreibung bei der energetischen Sanierung stärken!Durch die steuerliche Abschreibung energetischer Sanierungsmaßnahmen wird die Wirtschaftlichkeit einer Maßnahme in der Investitionsrechnung des In-vestors verbessert. Neben den KfW-Förderprogram-men würde diese Form der erhöhten Absetzung zu-sätzliche EnergieeffizienzPotenziale bei Wohn- und Gewerbeimmobilien heben und zudem Millionen Arbeitsplätze in der Bauwirtschaft sichern. Daneben

ist die steuerliche Sonderabschreibung auch für älte-re Eigentümer ein probates Mittel, ihr Eigentum energetisch zu ertüchtigen. Auch wenn die steuerli-che Förderung im Vermittlungsausschuss geschei-tert ist, sollte die Einführung der steuerlichen Ab-schreibung energetischer Sanierungsmaßnahmen im Hinblick auf die Klimaziele wieder auf die Tages-ordnung.

5. Städtebauförderung im gesamten Bundes-gebiet erhalten!Stadtentwicklung muss ganzheitlich betrachtet und gestärkt werden. Beim Umbau der Städte muss die Alterung der Bewohner, die Zu- oder Abnahme der Bevölkerungszahl, die Differenziertheit der Lebens-stile auf Grund der Multikulturalität und auch die Einkommens- und Rentenentwicklung in den Blick genommen werden, um den sozialen Zusammenhalt und die Attraktivität des Lebensraums Stadt zu erhal-ten. Städtebauförderung ist eine strukturpolitische Gemeinschaftsaufgabe von Bund, Ländern und Kom-munen und muss finanziell so ausgestattet und pro-grammatisch so ausgestaltet werden, dass nachhal-tige Stadtentwicklungspolitik möglich ist. Die Pro-gramme Stadtumbau Ost und West sollten unter Haushaltsvorbehalt bedarfsgerecht fortgeführt wer-den. Das Programm „Soziale Stadt“ hat sich bewährt und muss gestärkt werden

Zinsverbilligte Darlehen und KfW-Zuschüsse werden zur Finanzierung des notwendigen altersgerechten Umbaus nicht ausreichen. Um den vorhandenen Mo-dernisierungsstau endgültig zu überwinden, müs-sen schnellstmöglich weitere Mittel bereitgestellt werden. Zu denken wäre hier auch an eine Beteili-gung anderer Institutionen, zum Beispiel der Pflege-versicherungen, da diese langfristig von altersge-recht umgebauten Wohnungen profitieren würden. Alte Menschen möchten so lange wie möglich in ihrer gewohnten Umgebung bleiben. Die ambulante Pfle-ge in der eigenen Wohnung entlastet die Pflegeversi-cherungen.

6. Subjektförderung der Objektförderung beim sozialen Wohnungsbau vorziehen!Wohnungsbauförderung ist seit der Föderalismus-kommission 2007 Sache der Länder. Als Ausgleich müssen die Länder auch weiterhin Kompensations-mittel des Bundes in Höhe von jährlich 518 Mio. Euro bis einschließlich 2019 zweckgebunden für investive

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Verwendung bekommen. Nur drei Bundesländer haben die Mittel konsequent zweckgebunden einge-setzt. Deshalb muss mehr Transparenz über die Ver-wendung der Mittel und Kontrolle her. Eine be-schränkte, dafür aber zielgerichtete Förderung in wachsenden Regionen ist hier sinnvoll. Die Neu-bauförderung sollte sich an den örtlichen Marktgege-benheiten orientieren und kann zum Beispiel in preiswerten Wohnraum für junge Familien, Studen-ten und Senioren fließen.

Allerdings ist sozialer Wohnungsbau nicht nur teuer im Verhältnis zur Anzahl der Wohnungen, die erstellt werden können, die Konzentration einkommens-schwacher Personen in separaten Wohnquartieren kann auch zu sozialen Verwerfungen führen. Eine Subjektförderung ist der Objektförderung deshalb vorzuziehen. Die Lenkung von Fördermitteln in den sozialen Wohnungsbau sollte daher mittelfristig durch die direkte Förderung konkret bedürftiger Per-sonen ersetzt werden.

Direkte staatliche Transferzahlungen an bedürftige Personen, um deren Chancen bei der Wohnungssu-che auf dem freien Wohnungsmarkt zu verbessern, sind immer günstiger und marktwirtschaftlicher als eine Objektförderung mittels staatlicher Investiti-onsprogramme. Der soziale Wohnungsbau kann durch eine Anhebung des Wohngeldes ersetzt wer-den. Staatlich geförderter Wohnungsbau sollte nur noch für die wenigen Personen zur Verfügung stehen, die auf Grund persönlicher Merkmale keine Woh-nung bekommen können.

7. Wiedereinführung der Eigenheimzulage verhindern!Auch wenn mancherorts zusätzlicher Wohnraum dringend benötigt wird, ist die Wiedereinführung der Eigenheimzulage ordnungspolitisch grundsätz-lich abzulehnen. Bei der Eigenheimzulage handelt es sich in erster Linie um eine Maßnahme der Vermö-gensbildung. Regionale Fehlentwicklungen könnten durch sie sogar verschärft werden. Die regional undifferenzierte Förderung von Wohneigentum mit einer Zulage in einer bestimmten absoluten Höhe lässt Neubau insbesondere in Räumen mit schrump-fender Bevölkerungszahl, in denen die Anschaffungs- und Herstellungskosten nachfragebedingt niedriger sind, überproportional profitieren. Sie führt zur Steigerung der Baupreise. Bestehender Wohnraum

würde dort durch weiteren Neubau zusätzlich ent-wertet.

8. Maklerrecht modernisieren!Sowohl Vermieter als auch Mieter sollen Makler be-auftragen dürfen. Im BGB sollte darüber hinaus ver-ankert werden, dass die Schriftform des Vertrages als Voraussetzung des Maklervertrages gilt. Damit werden Interessenkonflikte und Rechtsstreitigkeiten vermieden. Darüber hinaus sollte die Qualität von Maklerleistungen durch die Verankerung einer ver-pflichtenden Haftpflichtversicherung in der Gewer-beordnung gestärkt werden. Dies sind Maßnahmen, die zügig und in kürzester Zeit umgesetzt werden sollten.

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Deutschland muss in den kommenden Jahren noch stärker zu einer Wissens- und Gründergesellschaft werden, damit der Spitzenplatz als Innovationsstandort erfolgreich verteidigt werden kann. Dazu bedarf es einer stärke-ren Zusammenarbeit von Industrie, Politik und Zivilgesellschaft. Ein immer höherer Anteil der Wertschöpfung, des Exports und der Beschäftigung wird in Zukunft auf Industrien und Dienstleistungsbereiche entfallen, die durch besonders hohe Wissensintensität gekennzeichnet sind. Umso wichtiger ist es, dass sich die Forschungs- und Innovationspolitik in der kommenden Legislaturperiode darauf konzentriert, hochqualifizierte Beschäftigte zu gewinnen, das geistige Eigentum unbürokratischer und kostengünstiger abzusichern sowie die innovations-politischen Rahmenbedingungen insgesamt zu verbessern. Wir brauchen eine marktwirtschaftlich orientierte Industriepolitik, die konsequent die Wettbewerbsfähigkeit stärkt.

Die Ausgaben der Bundesregierung für Forschung und Entwicklung (FuE) waren in der 17. Legislaturperiode so hoch wie nie zuvor. Mit der Hightech-Strategie hat die Bundesregierung ihre Innovationsaktivitäten gezielt auf die Herausforderungen der Zukunft und auf Zukunftsmärkte wie Klima/Energie, Gesundheit/Ernährung, Mobi-lität, Sicherheit und Kommunikation ausgerichtet. Dieses klare Bekenntnis zum Forschungs- und Innovationss-tandort Deutschland muss auch in der kommenden Legislaturperiode fortgesetzt werden.

Für die 18. Legislaturperiode muss gelten:

1. Forschungsimpulse durch unbürokratische Fördermittel setzen!26 der 34 OECD-Staaten und 15 der 27 EU-Mitglieder bieten heute eine steuerliche FuE-Förderung. Deutschland hat keine entsprechende gesetzliche Re-gelung und begibt sich damit in die Gefahr, dass im weltweiten Wettbewerb um Standorte große, aber auch mittelständische Unternehmen forschungsin-tensiver Branchen ins Hintertreffen geraten.

Eine steuerliche Forschungs- und Entwicklungsförde-rung muss schnellstens eingeführt werden, nachdem das schon in der letzten Koalitionsvereinbarung von 2009 verabredete Vorhaben noch nicht verwirklicht werden konnte. Die hierzu erforderlichen Haushalts-spielräume müssen dringend geschaffen bzw. dem-entsprechend genutzt werden.

Für alle Unternehmensgrößen bietet die steuerliche Förderung von Forschung und Entwicklung eine gro-ße Chance, denn sie ist unbürokratisch, technologie- und branchenoffen, breit und schnell wirksam und dadurch gerade für den Mittelstand, aber auch den Forschungsstandort Deutschland insgesamt, attrak-tiv. Die daneben existierenden Förderinstrumente der themengebundenen und der themenoffenen Projektförderung müssen weiterhin bestehen blei-ben. Eine mehrfache Förderung des gleichen Vorha-bens muss vor dem Hintergrund begrenzter Förder-mittel ausgeschlossen werden.

2. Rahmenbedingungen für Unternehmens-gründungen und Startups verbessern!Unternehmensgründungen leisten wichtige Beiträ-ge zur Steigerung von Produktivität und Wirtschafts-wachstum. Für die Innovationsdynamik Deutsch-lands ist insbesondere die Zahl der Existenzgründun-gen im Hightech-Bereich relevant. Die Hauptursa-chen für das vergleichsweise schlechte Gründungs-geschehen in Deutschland trotz guter Förderbedin-gungen und Beratung liegen vor allem an einer ge-ringen Risikobereitschaft, einer mangelhaften Grün-derausbildung, bürokratischen Hemmnissen, wach-sendem Fachkräftemangel und ganz besonders an Problemen bei der Finanzierung.

Der Wagniskapitalmarkt in Deutschland braucht in-ternational attraktive Rahmenbedingungen. Es müs-sen Anreize geschaffen werden, um auch Einlagen institutioneller Investoren in Wagniskapitalfonds zu fördern.

Daneben muss ein verbindlicher Rechtsrahmen geschaffen werden, der Wagniskapitalgesellschaften als vermögensverwaltend und nicht als gewerbe-treibend definiert. Bestehende Rechtsunsicherheiten bei Anlegern würden dadurch beseitigt werden. Da-mit werden zum einen junge, innovative Unter-nehmen gefördert, zum anderen wird der deutsche Anlegermarkt für ausländische Investoren attrak-tiver.

XI. Attraktivität des Forschungs- und Innovationsstandorts verbessern!

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Die sogenannte „management fee“, also die Verwal-tungsgebühr, die von Kapitalanlagegesellschaften für die Verwaltung eines Fonds erhoben wird, muss von der Umsatzsteuer befreit werden, wie in anderen europäischen Ländern, um Wettbewerbsverzerrun-gen zu vermeiden. Die Verlustvorträge beim Anteils-eignerwechsel von innovativen Startups müssen erhalten bleiben. Derzeit gehen die aufgelaufenen Verlustvorträge komplett oder teilweise verloren, wenn Anteile an einem Unternehmen übertragen werden. Dieser Standortnachteil gegenüber Frank-reich und Großbritannien ist zu beseitigen.

3. Chancen der vierten industriellen Revoluti-on nutzen!Deutschland muss die Chancen der Digitalisierung in allen Bereichen der Gesellschaft, in Bildung, For-schung, Gesundheit und Wirtschaft noch besser nut-zen, um im globalen Innovationswettlauf auch künf-tig ganz vorne mit dabei zu bleiben. Das Thema In-dustrie 4.0 ist ein wichtiger Innovationstreiber für den gesamten Standort Deutschland. Die vertikale Vernetzung sogenannter eingebetteter Systeme mit betriebswirtschaftlichen Prozessen in Fabriken und Unternehmen und deren horizontale Vernetzung zu verteilen, ist der Übergang zur vierten industriellen Revolution.

Deutschland ist das Land der Ingenieure. Mit seinen traditionell starken Fertigungsindustrien sowie sei-ner hochinnovativen Software-Industrie bietet sich die Chance, auch bei dem Thema „Industrie 4.0“ zum Weltmarktführer zu werden. Dem Internet kommt dabei entscheidende Bedeutung zu. Die physikali-sche und die virtuelle Welt verschmelzen immer mehr. Bereits heute genießt Deutschland einen her-vorragenden internationalen Ruf für seine Stärke im Bereich Eingebetteter Systeme. Zusammen mit Deutschlands Stärke als Industrie- und Produktions-standort bietet sich eine hervorragende Ausgangsla-ge für das Zukunftsprojekt Industrie 4.0. Eine we-sentliche Voraussetzung für die erfolgreiche Umset-zung des Zukunftsprojektes Industrie 4.0 ist die Defi-nition von branchenübergreifenden gemeinsamen Standards und Normen.

Auch gilt es, den Breitbandausbau in der Republik voranzutreiben sowie verlässlichen Datenschutz und die Sicherheit der einzelnen Systeme zu gewährleis-ten. Schließlich bewirkt die Digitalisierung der Indus-

trieproduktion auch grundlegende Veränderungen der Arbeitswelt. Hier bedarf es eines mutigen und vor allem technologieoffenen Ansatzes – im Schulter-schluss aller betroffenen Akteure.

Eine Nationale Plattform „Industrie 4.0“ sollte einge-richtet werden, die als Forum der relevanten Verbän-de und der Politik das Thema konstruktiv treibt.

4. Durchlässigkeit des Bildungssystems erhöhen und Fachkräftemangel bekämpfen!Der demografische Wandel stellt vor allem das Bil-dungssystem in Deutschland vor große Herausforde-rungen. Ein Mangel an Fachkräften hemmt die lang-fristige Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands. Die Beseitigung des Fachkräfteman-gels muss bereits heute mit Priorität angegangen werden.

Gleichzeitig werden Wissen und Bildung immer in-ternationaler. Das Internet sorgt mittlerweile dafür, dass Wissen weltweit verfügbar ist. Die Vorausset-zungen für Innovationen sind nicht mehr regional begrenzt, sondern von überall zugänglich. Diese neue Dimension des Studierens wird durch einen er-höhten Wettbewerb weltweit Innovationen be-schleunigen. Auf diesen Paradigmenwechsel müssen sich etablierte Innovationsstandorte wie Deutsch-land einstellen.

Im MINT-Bereich fehlen derzeit bereits 120.000 Fach-kräfte, insbesondere Ingenieure und IT-Spezialisten. Hier gilt es, das Interesse und die Begeisterung für Technik schon früh zu wecken. Die Stärkung der MINT-Fächer bereits in der Schule ist elementar. Die Qualifizierungsoffensive von Bund und Ländern zeigt Wirkung, aber die vertikale und horizontale Durchlässigkeit des gesamten deutschen Bildungs-systems muss noch weiter erhöht werden. Der Fokus darf nicht nur auf Akademikern liegen, sondern muss möglichst hochwertige Ausbildungsgänge auf allen Stufen bei maximaler Durchlässigkeit zwischen be-ruflichen und akademischen Bildungsgängen er-möglichen. Das umfasst auch die weitere Steigerung der Attraktivität der Dualen Ausbildung. Hier müs-sen formale Weiterbildungen und die Durchlässig-keit zu den Hochschulen ausgebaut werden.

Die Zuwanderung von Fachkräften aus Nicht-EU-Staaten muss attraktiver und einfacher gestaltet

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werden. Mehr ausländische Studenten müssen dazu bewegt werden, nach ihrem Studium in Deutschland zu bleiben und ihre Fachkenntnisse einzubringen. Die verstärkte Anwerbung ausländischer Auszubil-dender, die bessere Anerkennung ausländischer Be-rufsabschlüsse, sowie die systematische Rückgewin-nung hochqualifizierter Deutscher aus dem Ausland gehören ebenso auf die Agenda. Erfolgreiche Rück-holprogramme sollten weiter unterstützt werden.

5. Geistige Eigentumsrechte schützen!Geistige Eigentumsrechte, wie Urheber- und Patent-rechte, spielen eine nicht zu unterschätzende Rolle, wenn es um die Frage der Finanzierung bzw. der An-schlussfinanzierung junger Unternehmen geht. Ein hoher Urheberrechts- und Patentschutz muss in der Wirtschaft, aber besonders auch in der Internetwelt sichergestellt werden, um die Innovationskraft zu stärken. Gewerbliche Schutzrechte sind von heraus-ragender Bedeutung für die deutsche Wirtschaft zum Erhalt der internationalen Wettbewerbsfähig-keit. Die Verabschiedung des EU-Patents, das ab 2014 gelten soll, ist daher zu begrüßen. Es stellt durch sei-ne Vereinheitlichung und Vereinfachung einen Er-folg für den gemeinsamen Binnenmarkt und ein Ge-winn für Europas Innovatoren dar. Wichtig ist, dass tatsächlich auch Kosteneinsparungen, insbesondere für mittelständische Unternehmen, erreicht werden. Zugleich sollte durch hohe Qualitätsansprüche der Vergabe von Trivialpatenten entgegengewirkt wer-den. Die Einführung einer Neuheitsschonfrist in Deutschland und Europa würde die internationale Wettbewerbsfähigkeit vor allem mittelständischer Unternehmen verbessern. Darüber hinaus sollte das Arbeitnehmererfindergesetz weiter vereinfacht wer-den, insbesondere durch Reduzierung des entstehen-den Verwaltungsaufwandes. Ebenso muss der Kampf gegen Produktpiraterie intensiviert werden, gerade im Rahmen der WTO-Verhandlungen und durch spe-zifische Hilfen für Unternehmen.

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Die Informations- und Telekommunikationsbranche hat sich in den letzten Jahren zu einer Schlüsselindustrie entwickelt. Fast 900.000 Beschäftigte in 80.000 Unternehmen erwirtschaften einen jährlichen Umsatz von 150 Mrd. Euro und tragen somit 4,3 Prozent zur gewerblichen Wertschöpfung bei. Dabei ist vor allem das Internet Wachstumstreiber Nummer 1 – Wachstumsraten von bis zu 12 Prozent waren in den letzten Jahren zu beobach-ten, auch in den nächsten Jahren wird die Branche weiterwachsen.

Trotz dieser positiven Entwicklungen steht Deutschland im internationalen Vergleich der IT-Standorte nur an 6. Stelle. Themen wie Breitbandausbau, Netzneutralität oder Datenschutz müssen gezielt angegangen werden, um auch die zukünftig positive Entwicklung, auch im Hinblick auf die ausländische Konkurrenz, zu gewährleisten.

Die Digitalisierung betrifft längst nicht nur die IKT-Branche, sondern hält in allen Sektoren Einzug, ob in Form von innovativen Technologien oder intelligenten Softwarelösungen. Fragen der Netzpolitik betreffen alle Unterneh-men, Netzpolitik ist Wirtschaftspolitik.

Für die 18. Legislaturperiode muss deshalb gelten:

1. Ressortübergreifende Agenda für den Weg in die digitale Zukunft entwickeln und Zuständigkeiten bündeln!Zwei Jahre hat die Enquete-Kommission Internet und Digitale Gesellschaft getagt und im Januar 2013 ei-nen Abschlussbericht vorgestellt. Dabei wurde deut-lich: Das Internet und die Digitalisierung betrifft in-zwischen alle Lebensbereiche – egal ob den privaten Alltag, die Arbeitswelt oder die Produktionsprozesse. Deutschland braucht eine Digitale Agenda, die ziel-gerichtet und ressortübergreifend die weiteren Ent-wicklungen und dazu notwendigen Maßnahmen festlegt. Nur eine einheitliche und aufeinander abge-stimmte Politik der einzelnen Ministerien gewähr-leistet eine weiterhin positive Entwicklung Deutsch-lands im Bereich der Digitalisierung.

Um diese zu gewährleisten sind Beauftragte in allen Ministerien einzusetzen, die – mit den entsprechen-den Kompetenzen ausgestattet – über die Umset-zung der Digitalen Agenda wachen.

Damit die Marschrichtung von allen Akteuren einge-halten wird, sind alle Gesetzesvorhaben auf ihre Kompatibilität mit den in der Digitalen Agenda fest-gelegten Zielen zu überprüfen und gegebenenfalls anzupassen. Im Deutschen Bundestag muss es einen Ausschuss für Internet und Digitale Wirtschaft ge-ben, der nicht nur mitberatend, sondern auch feder-führend die gesetzgeberischen Vorhaben, welche die digitale Welt betreffen, begleitet und koordiniert. Um effektiv handeln zu können, braucht der Internet-

ausschuss ein Pendant in der Exekutive: Auf der anderen Seite muss daher im Bundeskanzleramt ein „Beauftragter für Internet und Digitale Wirtschaft“ stehen.

Um auch die Digitalisierung des Standortfaktors „Öf-fentliche Verwaltung“ und damit deren durchschla-gende Modernisierung voranzubringen, sollte in die-sem Bereich ebenfalls eine stärkere Bündelung der Zuständigkeiten erfolgen. Ein deutliches Signal wäre innerhalb der Digitalen Agenda die Schaffung eines zentralen IT- und Modernisierungsbeauftragten, der über entsprechende Ressourcen verfügt, Mitzeich-nungsbefugnis bei IT-Beschaffungsvorhaben hat und dafür sorgt, dass Gesetze hinsichtlich einer opti-malen IT-Umsetzung in der Verwaltung formuliert werden. Zudem muss er für die Konsolidierung der auf diverse Ressorts verteilten IT-Dienstleister sorgen. Folglich sollte Verwaltungsmodernisierung zu einem eigenständigen Politikfeld werden und sich ebenfalls in den Parlamenten widerspiegeln.

Gleichzeitig muss die geltende Rechtsordnung im Medien- und Telekommunikationsbereich mit Blick auf das Internet überarbeitet werden. Die demokra-tischen Werte, wie beispielsweise Meinungsfreiheit und deren Vielfalt sowie das Recht auf informatio-nelle Selbstbestimmung müssen auch im Internet umfänglich geschützt werden. Bestehende Kontroll-instrumente sollen so reformiert und modernisiert werden, dass sie auch im Internet Anwendung fin-den können, gleichzeitig aber Wettbewerb und Mei-nungsvielfalt ermöglicht werden. Dazu muss geprüft

XII. Wachstumstreiber Internet entfesseln!

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werden, ob eine eigene Behörde zur Umsetzung der Internetregulierung eingerichtet wird, oder diese in bestehende Strukturen eingebettet werden kann.

2. Breitbandausbau mit höchster Priorität vorantreiben!Das Internet ist Wachstumsmotor – Voraussetzung ist aber ein flächendeckender Aufbau moderner Breitbandnetze. Wichtig ist aber nicht nur der alleini-ge Zugang. Die immer größer werdenden Datenpa-kete, die abgerufen werden, oder ganze Geschäfts-prozesse, die in die Cloud ausgelagert werden, ma-chen Bandbreiten von mindestens 50 Mbit/s im Download notwendig. Was aber den schnellen Inter-netzugang anbetrifft, schafft es Deutschland im in-ternationalen Vergleich gerade mal ins Mittelfeld.

Der Ausbau des schnellen Internets muss oberste Pri-orität haben, will man auch zukünftig von der dyna-mischen Entwicklung der IKT-Branche profitieren. Die Breitbandstrategie des Bundes muss neu gedacht werden, die Anreizstruktur für investierende Unter-nehmen so angepasst werden, dass bis 2020 jedes Unternehmen und jeder Haushalt in Deutschland auf der Datenautobahn mit Höchstgeschwindigkeit unterwegs ist. Es kann nicht sein, dass immer noch 10 Prozent aller Unternehmen auf ISDN oder gar das Modem angewiesen sind, wenn sie ins Internet möchten.

Deshalb ist es notwendig, weitere Anreize für inves-tierende Unternehmen zu schaffen, um einen Glasfa-serausbau auch im ländlichen Raum zu ermöglichen. Wo ein Ausbau in der Fläche nicht wirtschaftlich rea-lisierbar ist, muss der Staat einspringen, um eine funktionierende Infrastruktur zu schaffen.

Der Mobilfunk stellt an vielen Orten eine gute Option dar, Technologieoffenheit beim Ausbau ist deshalb essentiell. In diesem Zusammenhang muss Deutsch-land nicht nur auf eine baldige Freigabe der Digitalen Dividende II für den Mobilfunkbereich drängen, son-dern auch Frequenzversteigerungen vermeiden, die zu einem Abfluss von notwendigen Investitionsmit-teln aus den Unternehmen führt.

3. EU-Datenschutzverordnung bis Frühjahr 2014 verabschieden!Damit Geschäftsmodelle wie z.B. Cloud Computing oder Big Data basierte Anwendungen eine Chance

haben, ist Vertrauen der Nutzer in das Internet und den Schutz ihrer Daten unerlässlich. Kein Unterneh-men wird mit einem Produkt auf dem Markt erfolg-reich sein, dem die Kunden mit Misstrauen begeg-nen.

Auf der anderen Seite verhindert ein zu strikter Da-tenschutz Innovationen, insbesondere dann, wenn bereits vorauseilend Geschäftsmodelle verboten werden, die noch gar nicht existieren. Zwischen die-sen beiden Extremen muss der Datenschutz eine Ba-lance finden, wollen wir das Potenzial, das die Digita-le Welt bietet, vollends ausschöpfen.

Leider steht gerade der Datenschutz vor einer weite-ren Herausforderung – im grenzüberschreitenden Internet sehen sich viele Unternehmen einer Vielzahl verschiedener Datenschutzregelungen ausgesetzt, je nachdem, in welchem Land sie operieren. Dies ver-kompliziert jede Geschäftstätigkeit und treibt die Kosten in die Höhe. Eine europaweite Harmonisie-rung der bestehenden Datenschutzregelungen ist deshalb dringend notwendig. Die Verhandlungen zur EU-Datenschutzverordnung sind jedoch ins Sto-cken geraten.

Die Bundesregierung muss sich mit Nachdruck dafür einsetzen, die Verhandlungen fortzuführen und noch in der laufenden Wahlperiode des Europäischen Parlaments zu einem Ende zu bringen. Dabei muss das hohe deutsche Datenschutzniveau als Vorbild für ganz Europa gelten. Übertriebene Regelungen, die über dieses Niveau hinausreichen und vorwiegend unsachlichen Debatten im Zusammenhang mit der NSA-Affäre geschuldet sind, sind dabei zu vermeiden.

4. Weichen für Netzneutralität auf europäi-scher Ebene stellen und Wettbewerb erhalten!Der gleichberechtigte Zugang zum Internet garan-tiert weiteres Wachstum und die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle. Dieser darf aber nicht verwechselt werden mit einer kostenfrei unbegrenzten Nutzung für jeden. Netzneutralität im Sinne von diskriminie-rungsfreien Diensteklassen muss das Ziel einer jeder Regulierung sein.

Der mit hohen Milliardeninvestitionen verbundene Netzausbau kann von den Netzbetreibern nur geleis-tet werden, wenn Investitionen zur Entwicklung bes-serer Serviceangebote und Qualitätsstufen bei der

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Datenübermittlung durch entsprechende Vergütun-gen honoriert werden. Eine Regulierung, die unter-schiedliche Geschwindigkeiten der Datenübermitt-lung bei einer differenzierten Preisstellung grund-sätzlich untersagt, zerstört Investitionsanreize, lähmt Forschung und Entwicklung bei den Übertra-gungstechnologien und bremst den Ausbau der Netze.

Eine zukunftsgerichtete Regulierung der Netzneut-ralität muss sich darauf beschränken, einen diskrimi-nierungsfreien Zugang aller Marktteilnehmer zu den bestehenden Angeboten zu gewährleisten und eine gleichzeitige Fortentwicklung des „Best-Effort“-Inter-nets, zum Beispiel durch Festschreibung von Min-deststandards, sicherzustellen. Gleichzeitig ist auf eine europäische Harmonisierung zu drängen, um Wettbewerbsnachteile für in Deutschland tätige Un-ternehmen gar nicht erst entstehen zu lassen.

5. Durch Hilfe zur Selbsthilfe gemeinsam für Cybersicherheit sorgen!In der global vernetzten Welt wird IT-Kriminalität für Unternehmen aller Größen zu einem immer größe-ren Risiko. Allein im Jahr 2012 haben die Cyberangrif-fe auf Unternehmen um 42 Prozent gegenüber dem Vorjahr zugenommen. Auch die NSA-Affäre zeigt, dass mit dem Anschluss an das Internet Daten vor Zugriffen nicht sicher sind. Ein weiterer Gefähr-dungspunkt sind politisch motivierte Hackerangrif-fe, die sich gegen kritische Infrastrukturen richten könnten.

Nur im Bereich der Kritischen Infrastrukturen ist eine Regulierung und staatliche Überwachung notwen-dig und sinnvoll. Dazu bedarf es aber einer genauen Definition, was kritische Infrastrukturen sind. Der Wirtschaftsrat befürwortet die Entwicklung eines Stufenmodells „Kritische Infrastruktur“, welches je nach Risiko eines Angriffs und den möglichen Aus-wirkungen die Betreiber der Unternehmen mit un-terschiedlichen Pflichten belegt.

Jegliche weitere Meldepflichten oder verpflichtende Einführung von technischen Standards müssen sich nach dem risikobasiertem Ansatz richten. Eine hun-dertprozentige Sicherheit kann es nicht geben. Des-halb müssen Risiken nach der Wahrscheinlichkeit eines Eintretens in Verbindung mit dem möglichen Schaden bewertet und die ergriffenen Maßnahmen

immer ins Verhältnis gesetzt werden, zum einen zum Aufwand der Durchführung, zum anderen aber auch zur Wirksamkeit hinsichtlich der Risikominimierung.

Über allem muss aber vor allem die Hilfe zur Selbst-hilfe stehen. Besonders im Mittelstand sind zwar einige Unternehmen durch die Enthüllungen der ver-gangenen Wochen wachgerüttelt worden. Allerdings fehlt es ihnen zum Teil an Kenntnis und Zugang zu entsprechenden technischen Lösungen. Das Bundes-amt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) sollte bestehende konkrete Hilfsangebote seitens der Wirtschaftsverbände, der Wissenschaft (Universitä-ten) und aus der Privatwirtschaft (Allianz für Cyber-sicherheit) im Sinne einer Informationsplattform koordinieren und das bestehende Angebot ggf. ver-vollständigen.

6. Urheberrecht mit Blick auf die techno-logische Entwicklung reformieren!Es herrscht Konsens darüber, dass Urheber von geis-tigem Eigentum angemessen entlohnt werden müs-sen. Die digitalen Möglichkeiten versetzen auf der anderen Seite die Konsumenten in die Lage, Inhalte zum Teil kostenfrei zu konsumieren und zu verbrei-ten. Gerade in Deutschland ist die Internet-Piraterie allerdings sehr niedrig, die grundsätzliche Zahlungs-bereitschaft für Inhalte hingegen hoch. Es mangelt allerdings an Klarheit und Transparenz, sowie an ver-ständlichen und einfachen Möglichkeiten des Kon-sums.

Dies liegt nicht zuletzt daran, dass das Urheberrecht in der analogen Welt verhaftet ist. Für die kommende Legislaturperiode muss es Ziel sein, die geltenden rechtlichen Rahmenbedingungen auf ihre textliche Klarheit und Kompatibilität mit den Anforderungen der digitalen Gesellschaft zu überprüfen.

In einem von der Politik begleiteten Prozess müssen Lösungen gefunden werden, wie in der Digitalen Welt Urheberrechte durchgesetzt werden können. Dabei ist es wichtig, alle Beteiligen an einen Tisch zu bringen. Einseitig durchgesetzte Lösungen sind nicht dauerhaft tragfähig und verkennen die neue Lebens-wirklichkeit.

Zudem ist ein Fokus auf die Aufklärung der Konsu-menten zu legen, um das Bewusstsein für den Wert von Geistigem Eigentum zu steigern und die Illegali-

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tät von Internet-Piraterie zu verankern. Informatio-nen über legale Konsummöglichkeiten bei gleichzei-tiger Warnung über mögliche Gesetzesverletzungen müssen eine solche Kampagne ergänzen.

7. Zentralen Behördenwegweiser „www.d115.de“ mit nutzerfreundlichen Anwendungen schaffen! Nicht zuletzt profitiert die Öffentliche Verwaltung von der Digitalisierung, die dazu bereitsteht, Verwal-tungsprozesse und -leistungen effizienter und besser zu gestalten. Das nunmehr vorliegende E-Govern-ment-Gesetz des Bundes stellt einen ersten wichti-gen Schritt dar und mit dem IT-Planungsrat steht seit 2010 für die Zusammenarbeit von Bund, Ländern und Kommunen ein zentrales Steuerungsgremium zur Verfügung. Jetzt kommt es auf die Umsetzung an. Allein der „Hartz IV“-Aktenbestand der Bundesagen-tur für Arbeit könnte mehr als dreimal die Seiten-streifen des deutschen Autobahnnetzes abdecken.

Daher braucht die Bundesverwaltung eine gemein-same Strategie und einen konkreten Fahrplan, wie die elektronische Akte in allen Behörden mit hoher Priorität möglichst einheitlich und über Verwal-tungsgrenzen hinweg eingeführt werden soll; die koordinierte und konsequente Einführung der e-Akte entscheidet über den Erfolg des E-Government-Ge-setzes. Dringend erforderlich ist zudem die Harmoni-sierung der öffentlichen IT, weil dadurch erhebliche Einsparungen und Qualitätsverbesserungen mach-bar werden. Die Sparkassen haben Ende der 1980er Jahre gezeigt, wie aus mehreren hundert Rechenzen-tren wenige hochleistungsfähige Einheiten hervor-gegangen sind – ohne Verlust der regionalen Identi-täten.

Voraussetzung ist der Wille, im Verbund zu denken und IT als „Service“ zu verstehen. Hierzu sollte der Bund mit einem neuen Bereitstellungsmodell für sei-ne IT-Kapazitäten im Bundesministerium der Finan-zen, Bundesministerium des Innern und Bundesmi-nisterium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung als Taktgeber vorangehen. Bei den E-Goverment-Ange-boten sollte in Anlehnung an die einheitliche Behör-denrufnummer D115 ein zentrales Zugangsportal „www.d115.de“ geschaffen werden, über das Bürger wie Unternehmen für alle „Lebenslagen“ mit den Be-hörden kommunizieren und sämtliche Amtsgeschäf-te elektronisch abwickeln können. Zur Identifikation

ist der neue elektronische Personalausweis um ein mobiles Instrument wie zum Beispiel die in Öster-reich bewährte Handy-Signatur zu ergänzen.

8. Wirtschaftlichkeit als Kriterium bei IT-Ausschreibungen beachten!Die öffentliche Hand ist in Deutschland für 20 bis 30 Prozent des Umsatzes im IT-Sektor verantwortlich. Umso wichtiger sind klare, transparente und vor al-lem wettbewerbsfördernde Regeln zur Vergabe von Aufträgen, die anhand qualitativer Kriterien durch-geführt werden. Vergabeverfahren müssen transpa-rent, objektiv und diskriminierungsfrei durchgeführt werden. Allein die für Anschaffung, Inbetriebnahme, Wartung und Nutzung anfallenden Kosten dürfen bei gleicher Eignung für den Zuschlag entscheidend sein. Als weitere Beschaffungskriterien müssen IT-Sicherheit und Interoperabilität beachtet werden. Eine pauschale Bevorzugung von Open Source ist ab-zulehnen.

Grundsätzlich müssen sich die Verwaltungen von Bund und Ländern auf offene Standards stützen, um so eine einheitliche, interoperable IT-Architektur zu schaffen und allen Bietern immer wieder dieselben Chancen bei Ausschreibungen einzuräumen. In die-sem Sinne müssen anerkannte internationale, min-destens europäische Standards als Voraussetzung für Ausschreibungen im öffentlichen Beschaffungs-wesen festgeschrieben werden.

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Wirtschaftsrat der CDU e.V.Luisenstraße 44, 10117 BerlinTelefon: 030 / 2 4087-0Fax: 030 / 2 4087-205Internet: www.wirtschaftsrat.deE-Mail: [email protected]

Verantwortlich: Wolfgang Steiger, Dr. Rainer Gerding, Dr. Thomas Raabe

Bearbeitung: Geschäftsbereich Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik, Geschäftsbereich Presse/Kommunikation

Herstellung: STEINBACHER DRUCK GmbH

Bildnachweis: Europäisches Parlament – Referat audiovisuelle Medien S. 7-9; Fotolia.com – nito S. 14, Fotolia.com: @ nito S. 14, @ ferkelrag-gae S. 11, @ Dan Race S. 13, @ M. Schuppich S. 14, @ Gina Sanders S. 16, 39, 42, 44 @ alphaspirit S. 17, @ Jörg Hackemann S. 19, @visdia S. 20, @zentilia S. 21, @ Mirko S. 22, @ Otmar Smit, @ shyshka S. 24, @ Kurhan S. 26, @ Trueffelpix S. 27, @ Stefan Schurr S. 28, @ vege S. 29, @ L. Klauser S. 31, @ Sapsiwai S. 36, @ Marco2811, @ sp4764 S. 38, @ roxcom S. 40, @ electriceye S. 41, @pixstock S. 43, @ Photo-sani S. 14, @ alphaspirit S. 46, @ jonnysek S. 47, @ Edelweiss S. 48, varioimages/Ulrich Baumgarten

Stand: September 2013