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ENTSPANNUNGSTECHNIKEN: FANTASIEREISE NR. 1 1 Ich hab ein Land! Es ist noch gar nicht lange her, da ist mir etwas Unglaubliches passiert. Es gibt übrigens viele Menschen, die glauben mir diese Geschichte nicht. „Das gibt’s doch alles gar nicht!", „Was du dir da wieder einbildest!", „Du lügst uns schon wieder an." und noch viel mehr sagen die zu mir, aber ich weiß, dass diese Geschichte wahr ist. Also eines Tages, es ist gar kein besonderer Tag, da regnet es wieder mal so richtig grauslich, doch schon kurz danach, kommt die Sonne heraus. „Was ist daran bitteschön unglaublich?", denkst du dir jetzt vielleicht. Warte noch ein bisschen, dann hörst du es gleich. Wie gesagt, es regnet, danach scheint wieder die Sonne, und ich bin am Weg zur Schule. Ich trotte mit meinen Gummistiefeln, meiner Schultasche am Rücken in meiner Regenbekleidung so dahin und beobachte meine Füße, wie sie am grauen, nassen Asphalt beim Niederstellen die Regentropfen auf die Seite drängen. Mit jedem Schritt spritzen die Wassertropfen auf und gleichzeitig meine Stiefel und meinen Hosensaum an. Ich wäre wahrscheinlich ewig so dahingetrottet, denn meinen Schulweg kenn ich schließlich ganz genau, wenn da nicht plötzlich eine riesige Lacke gewesen wäre, die mir erstens im Weg war und mich zweitens durch die Sonnenstrahlen so blendet, dass ich kurz stehen bleibe und die Kapuze vom Kopf gebe, um besser sehen zu können. Und da sehe ich ihn direkt vor mir, einen riesigen, bunten, strahlenden Regenbogen. Ich brauche nur meinen Fuß abzusetzen und schon steh ich drauf. Wahnsinn, das gibt es doch nicht! Diese Farben und das Licht sind so stark, dass sie wie eine bunte Brücke aussehen. Das bilde ich mir doch alles nur ein. Das muss ich überprüfen. Oder träume ich nur? Mit meiner Zehenspitze versuche ich den Regenbogen zu berühren und wirklich, ich spüre ihn. Ich stelle den Fuß zurück, bücke mich und greife hin, er fühlt sich warm an,

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Page 1: ENTSPANNUNGSTECHNIKEN: F N . 1 - · PDF fileENTSPANNUNGSTECHNIKEN: FANTASIEREISE NR. 1 3 „Du hast deinen Regenbogen gefunden. Das ist gut, aber ich wusste immer schon, dass du das

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Ich hab ein Land!

Es ist noch gar nicht lange her, da ist mir etwas Unglaubliches passiert.

Es gibt übrigens viele Menschen, die glauben mir diese Geschichte nicht. „Das gibt’s

doch alles gar nicht!", „Was du dir da wieder einbildest!", „Du lügst uns schon wieder

an." und noch viel mehr sagen die zu mir, aber ich weiß, dass diese Geschichte wahr ist.

Also eines Tages, es ist gar kein besonderer Tag, da regnet es wieder mal so richtig

grauslich, doch schon kurz danach, kommt die Sonne heraus.

„Was ist daran bitteschön unglaublich?", denkst du dir jetzt vielleicht. Warte noch ein

bisschen, dann hörst du es gleich.

Wie gesagt, es regnet, danach scheint wieder die Sonne, und ich bin am Weg zur

Schule. Ich trotte mit meinen Gummistiefeln, meiner Schultasche am Rücken in meiner

Regenbekleidung so dahin und beobachte meine Füße, wie sie am grauen, nassen

Asphalt beim Niederstellen die Regentropfen auf die Seite drängen. Mit jedem Schritt

spritzen die Wassertropfen auf und gleichzeitig meine Stiefel und meinen Hosensaum

an. Ich wäre wahrscheinlich ewig so dahingetrottet, denn meinen Schulweg kenn ich

schließlich ganz genau, wenn da nicht plötzlich eine riesige Lacke gewesen wäre, die

mir erstens im Weg war und mich zweitens durch die Sonnenstrahlen so blendet, dass

ich kurz stehen bleibe und die Kapuze vom Kopf gebe, um besser sehen zu können.

Und da sehe ich ihn direkt vor mir, einen riesigen, bunten, strahlenden Regenbogen. Ich

brauche nur meinen Fuß abzusetzen und schon steh ich drauf. Wahnsinn, das gibt es

doch nicht! Diese Farben und das Licht sind so stark, dass sie wie eine bunte Brücke

aussehen. Das bilde ich mir doch alles nur ein. Das muss ich überprüfen. Oder träume

ich nur?

Mit meiner Zehenspitze versuche ich den Regenbogen zu berühren und wirklich, ich

spüre ihn. Ich stelle den Fuß zurück, bücke mich und greife hin, er fühlt sich warm an,

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fest und sicher. Jetzt werd ich neugierig. Wie ist das wohl, einen Schritt drauf zu

machen? Ich bleib einfach mit einem Fuß am Boden stehe, setz das andere Bein auf

den Regenbogen und verlagere das Gewicht. So könnte das funktionieren. OK, so mach

ich das. Und ich mach’s und es funktioniert. Unglaublich! Jetzt probier ich es mit dem

anderen Fuß, und auch das klappt. Jetzt versuch ich den zweiten Fuß dazuzustellen

und ich stehe am Regenbogen. Es fühlt sich warm an und der bunte Bogen ist so breit,

dass ich nicht runterkippen kann.

Ich mache einen Schritt zu meiner Lacke zurück. Da ist es kühler, grauer, irgendwie

härter. Jetzt beschließe ich mich an den Beginn des Regenbogens, da wo ich schon

gestanden war, zu setzen und nachzudenken. Ich fühle mich sicher und warm und frage

mich, was das alles zu bedeuten hat, da höre ich eine mir bekannte Stimme: „Du

träumst nicht, das ist dein Regenbogen, ist das nicht herrlich?" Das ist doch die Stimme

von meinem Freund, das ist doch die Stimme von ...

Ich dreh mich um, und da sehe ich ihn, am anderen Ende des Regenbogens – meinen

Freund, den Hund. Da steht er, und schaut mich mit seinen, mir so vertrauten Augen an,

als hätte er mich längst erwartet. Ich bin begeistert, verwirrt und neugierig und noch

vieles mehr. „Was machst du hier?" rufe ich meinem Freund zu. „Ich warte auf dich"

antwortet der Hund. Er spricht nicht mit Worten zu mir, aber mit seinen Augen. „Aber

wieso wusstest du denn, dass ich kommen werde?" frag ich kaum hörbar, aber er hat

mich verstanden. „Weil wir uns mit dem Herzen verständigen" sagt er, und da weiß ich

auf einmal, was er meint. „Ich bin da, um dir dein Land zu zeigen, und dich zu begleiten,

wenn du willst. Ich bin eben einfach da, weil es mein Hundeherz mir sagt. Wenn du

magst, dreh dich einfach zu mir um, mach es dir auf deinem Regenbogen bequem und

dann erzähl ich dir, was ich weiß.“

Ich leg mich also bäuchlings auf diesen strahlenden, mächtigen Bogen und umschließe

ihn mit den Armen. Auf einmal fühl ich mich fast schwerelos, sicher und geborgen.

„Herrlich, nicht wahr" höre ich den Hund brummeln. „Ja", denke ich, „es ist einfach

herrlich.“

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„Du hast deinen Regenbogen gefunden. Das ist gut, aber ich wusste immer schon, dass

du das kannst. Viele Menschen finden ihn nicht, obwohl er direkt vor ihnen ist.

Viele sagen, „es gibt nicht für jeden Menschen einen Regenbogen", das gibt es aber,

bloß finden ihn viele nicht. Diejenigen, die sich nur mit Worten verständigen können, die

sehen ihn nicht. Diejenigen, die behaupten alles zu wissen, die sehen ihn auch nicht.

Diejenigen, die behaupten, immer Recht zu haben, die sehen ihn auch nicht.

Diejenigen aber, die egal wie alt sie sind, immer noch viele Fragen haben, immer wieder

Fehler machen, es aber immer wieder neu probieren, und sich so wie du mit dem

Herzen verständigen können, die werden ihren Regenbogen finden. Jeder von uns hat

seinen eigenen.“

Mein Freund macht eine Pause, um mir Zeit zum Staunen zu lassen. "Wo der hinführt,

willst du wissen?" Kurz frage ich mich, warum mein Freund meine Frage weiß, aber

dann kann ich mir die Antwort selbst geben; wir sehen einander mitten ins Herz.

„In dein Land.", beantwortet er die Frage, schnaubt kurz und beginnt sich scheinbar

wohlig am anderen Ende meines Regenbogens zu wälzen. „Na da muss es aber herrlich

sein, wenn du dich so wohlig wälzt", denke ich mir. „Ist es auch!" ruft er mir zu und

beginnt vor Vergnügen laut zu lachen.

Und da ist es wieder, dieses mir so gut bekannte Lachen, das immer lauter wird, bis mir

schon fast die Ohren davonfliegen. Nicht nur, dass er dabei furchtbar laut brüllt – nein,

sein vor Lachen bebender Körper versetzt meinen Regenbogen in derartige

Schwingungen, dass ich wie auf einem Trampolin an die oberste Stelle des Bogens

katapultiert werde. Das macht riesigen Spaß, denn ich umschließe den Bogen ja mit

meinen Armen und bin daher ganz sicher. Manchmal habe ich das Gefühl ich kann

fliegen. So lande ich, ohne jegliche Anstrengung an der höchsten Stelle meines

Regenbogens.

„Schau dir das an!", denke ich, „so etwas Schönes hab ich noch nie gesehen!" „Ja", sagt

der Hund, der zu lachen aufgehört hat und entspannt am anderen Ende des

Regenbogens liegt, „das ist dein Land." Und da ist es – Farben, wie ich sie zuvor noch

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nicht gesehen habe, Bäume, Blumen, Wälder, Wiesen, Seen, Meere, Wüsten, Steppen.

Berge, Winter, Sommer, Frühling, Herbst, Tiere, Düfte, Klänge und so weiter. Ich strecke

meine Nase in die Höhe, so wie mein Freund das macht, um diese Düfte einatmen zu

können, breite meine Arme aus, um diesen leichten Windhauch zu spüren, und

versuche diese Farbenpracht mit meinen Augen aufzufangen. Ich bin glücklich. „Schön ,

nicht wahr?" Und als ich jetzt auch noch diese Stimme höre, fühle ich mich sicher und

geborgen. Ich weiß nicht wie lange ich so an der Spitze meines Regenbogens bleibe.

„Hallo! Hallo!", höre ich irgendwann später seine Stimme, „du musst zur Schule.“ Ach ja,

richtig, die Schule. Ich würde aber gerne bleiben. „Du kannst ja jeder Zeit wieder

kommen. Du kennst den Weg, du hast dein Land gesehen und ich werde da sein."

„Aber was, wenn ich meinen Regenbogen nicht mehr finde?“ „Du kannst dir ruhig

vertrauen, dass du deinen Regenbogen wieder findest. Solange du den Weg in dein

Land suchst, bist du am richtigen Weg dorthin. Wenn du dir nicht mehr sicher bist,

schließ einfach die Augen und komm genau an den höchsten Punkt des Regenbogens,

dahin, wo du jetzt gerade bist. Sag deinem Herzen, du willst dahin, zurück in dein Land,

und du wirst sehen, wenn du am einen Ende deines Regenbogens angelangt bist,

erwarte ich dich bereits auf der anderen Seite. Vertrau deinem Herzen. Versprochen“

Pfote drauf?"

Und jetzt hebt er seine Vorderpfote in meine Richtung, als ob er sie mir zum

Einschlagen entgegenhalten und mir gleichzeitig zuwinken wollte. „OK, versprochen!“ ruf

ich ihm zu, hebe auch die Hand zum Gruß und rutsche gut gelaunt meinen Regenbogen

runter. „Bis später.“, ruf ich, nachdem ich sanft in einer riesigen Lacke gelandet bin, ich

muss zur Schule.“ „Bis später.", hör ich meinen Freund bellen, "ich freu mich schon."

„Ich auch." rufe ich ihm noch nach, während ich schon im Schultor verschwinde.