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1 Entwicklungspolitischer Rundbrief Nr. 18/5 Heike Hänsel MdB DIE LINKE, entwicklungspolitische Sprecherin, Vorsitzende des Unterausschusses Vereinte Nationen, Internationale Organisationen und Globalisierung im Auswärtigen Ausschuss Niema Movassat MdB DIE LINKE, Sprecher für Welternährung und Obmann im Ausschuss für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Berlin, den 10.5.2014 Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde, 100 Jahre nach Beginn des Ersten und 75 Jahre nach Beginn des Zweiten Weltkriegs bleiben die Bewahrung des Friedens und die Einhegung expansiver wirtschaftlicher und geostrategischer Inte- ressen zentrale Herausforderung für die Zivilgesellschaften und ihre Parlamente in Europa. Das zeigt uns aktuell die Krise in der Ukraine, die sich zu einem Krieg auswächst. USA, EU, Bundesre- gierung und Russland – an dieser Krise haben viele Akteure von außen mitgewirkt. DIE LINKE for- dert eine Umkehr zu einer neuen Ost- und Entspannungspolitik. Eine aktive Friedenspolitik muss auch zentraler Bestandteil des neuen Zielkatalogs werden, den sich die Vereinten Nationen im Post-2015-Prozess geben wollen. Nachhaltige Entwicklungsziele müssen auf Frieden und Gerechtigkeit, auf die Bekämpfung von Hunger und Armut und auf die Überwindung der sozialen Ungleichheit ausgerichtet sein. Die Vorstellungen der Bundesregierung erfüllen diesen Anspruch nicht. Auch fehlt es noch an der Initiierung einer breiten gesellschaftli- chen Debatte, die aber notwendig ist, wenn es tatsächlich um universelle, also auch hierzulande anzulegende Ziele gehen soll. Der Entwicklungsminister will ländliche Entwicklung fördern und Hunger bekämpfen. DIE LINKE hat Vorschläge unterbreitet, wie Kleinbäuerinnen und Kleinbauern gestärkt, wie ihre Ernährungs- souveränität unterstützt und Abhängigkeit von globalen Konzernen verhindert werden können. Heike Hänsel, Niema Movassat, Alexander King, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter

Entwicklungspolitischer Rundbrief Nr. 18-5 · 1 Entwicklungspolitischer Rundbrief Nr. 18/5 Heike Hänsel MdB DIE LINKE, entwicklungspolitische Sprecherin, Vorsitzende des Unterausschusses

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Entwicklungspolitischer Rundbrief Nr. 18/5

Heike HänselMdB DIE LINKE, entwicklungspolitische Sprecherin,Vorsitzende des Unterausschusses VereinteNationen, Internationale Organisationen undGlobalisierung im Auswärtigen Ausschuss

Niema MovassatMdB DIE LINKE, Sprecher für Welternährung undObmann im Ausschuss für WirtschaftlicheZusammenarbeit und Entwicklung

Berlin, den 10.5.2014

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde,

100 Jahre nach Beginn des Ersten und 75 Jahre nach Beginn des Zweiten Weltkriegs bleiben dieBewahrung des Friedens und die Einhegung expansiver wirtschaftlicher und geostrategischer Inte-ressen zentrale Herausforderung für die Zivilgesellschaften und ihre Parlamente in Europa. Daszeigt uns aktuell die Krise in der Ukraine, die sich zu einem Krieg auswächst. USA, EU, Bundesre-gierung und Russland – an dieser Krise haben viele Akteure von außen mitgewirkt. DIE LINKE for-dert eine Umkehr zu einer neuen Ost- und Entspannungspolitik.

Eine aktive Friedenspolitik muss auch zentraler Bestandteil des neuen Zielkatalogs werden, densich die Vereinten Nationen im Post-2015-Prozess geben wollen. Nachhaltige Entwicklungszielemüssen auf Frieden und Gerechtigkeit, auf die Bekämpfung von Hunger und Armut und auf dieÜberwindung der sozialen Ungleichheit ausgerichtet sein. Die Vorstellungen der Bundesregierungerfüllen diesen Anspruch nicht. Auch fehlt es noch an der Initiierung einer breiten gesellschaftli-chen Debatte, die aber notwendig ist, wenn es tatsächlich um universelle, also auch hierzulandeanzulegende Ziele gehen soll.

Der Entwicklungsminister will ländliche Entwicklung fördern und Hunger bekämpfen. DIE LINKEhat Vorschläge unterbreitet, wie Kleinbäuerinnen und Kleinbauern gestärkt, wie ihre Ernährungs-souveränität unterstützt und Abhängigkeit von globalen Konzernen verhindert werden können.

Heike Hänsel, Niema Movassat, Alexander King, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter

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Inhalt dieser Ausgabe:

Ukraine (ab S. 3)

Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE und Antwort der Bundesregierung (27.5.2014): Einbindungder Entwicklungszusammenarbeit in politische Strategien in der Osteuropapolitik und Kontakte zuantidemokratischen Kräften in der Ukraine

Entschließungsantrag der Fraktion DIE LINKE (4.6.2014) zu der Abgabe einer Regierungserklä-rung durch die Bundeskanzlerin zu den Ergebnissen des informellen Abendessens der Staats- undRegierungschefs der EU-Mitgliedstaaten am 27. Mai 2014 in Brüssel sowie zum G7-Gipfel am 4./5.Juni 2014 in Brüssel

Nachhaltige Entwicklung (ab S. 20)

Antrag der Fraktion DIE LINKE (7.5.2014): Nachhaltige Entwicklungsziele der Vereinten Nationen– soziale Ungleichheit weltweit überwinden

Rede von Heike Hänsel (8.5.2014): Voraussetzung für eine nachhaltige Entwicklung ist eine aktiveFriedenspolitik

Antrag der Fraktion DIE LINKE (21.5.2014): Hunger bekämpfen, Recht auf Nahrung stärken

Antrag der Fraktion DIE LINKE (4.6.2014): Verhandlungen über die Wirtschaftspartnerschaftsab-kommen (EPA) – Neustart ohne Drohungen und Fristen

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Ukraine

Kleine Anfrage, 27.5.2014

Einbindung der Entwicklungszusammenarbeit in politische Strategien in der Osteu-ropapolitik und Kontakte zu antidemokratischen Kräften in der Ukraine

Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Heike Hänsel, Se-vim Dağdelen, Inge Höger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

(BT-Drucksache 18/1552)

Vorbemerkung der Fragesteller

Die Osterweiterung von EU und NATO ist in den vergangenen Jahren im Rahmen mehrerer multi-nationaler Programme in einem immer stärkeren Maße verfolgt worden. Nach der im Jahr 2004etablierten „Europäischen Nachbarschaftspolitik“, an der gegenwärtig 16 Länder teilnehmen, wirdder Einfluss der EU vor allem über die im Jahr 2009 komplementär geschaffene „Östliche Partner-schaft“ ausgedehnt. Parallel dazu baut die NATO ihre Kontakte aus und geht neue Kooperationenmit Mitgliedern der Staatengruppe zwischen der Ostgrenze der EU und der Westgrenze Russlandsein.

Verstärkt wurde diese expansive Osteuropapolitik von EU und NATO durch die andauernde Krisein der Ukraine. Hauptmittel dazu sind weiterhin zivile und militärische Kooperations- und Assoziie-rungsabkommen sowie Freihandelsverträge.

So wurde Mitte März 2014 ein Assoziierungsabkommen der EU mit der De-facto-Regierung derUkraine unterzeichnet. Mit Georgien sollen noch im Juni 2014 statt, wie ursprünglich geplant, frü-hestens im August 2014 ein Assoziierungsabkommen und ein Freihandelsabkommen unterzeich-net werden.

Ähnliche Pläne gibt es für weitere Länder des Kaukasus. Vor allem die Kooperation mit der Ukrai-ne ist unter demokratischen Gesichtspunkten kritisch zu sehen. Die Führung in Kiew ist bislangnicht demokratisch legitimiert. Zudem sind an der De-facto-Regierung extrem rechte Politiker derPartei „Swoboda“ beteiligt, deren Mitglieder durch gewaltsame Übergriffe auf Journalisten und An-dersdenkende auf der Straße und im Parlament auffallen.

Dennoch waren deutsche Diplomaten der Botschaft in Kiew und Vertreter der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung nach Medienberichten mit „Swoboda“-Vertretern in Kontakt und haben sie bera-ten (DER SPIEGEL, 17. März 2014, Seite 29). Bei einem Treffen mit dem Fraktionsvorsitzendender extrem rechten Partei ,,Swoboda“, Oleg Tjagnibok, hat der deutsche Botschafter in Kiew am29. April 2013 nach Angaben des Nachrichtenmagazins „DER SPIEGEL“ (ebd.) ,,auf die Achtungder Menschenwürde und die Einhaltung der Menschenrechte hingewiesen“. Dennoch kam es imZuge der innenpolitischen Krise in der Ukraine in den vergangenen Monaten zu Übergriffen des„Swoboda“-Abgeordneten Igor Miroschnitschenko auf den Chef der Nationalen Fernsehgesell-schaft, Alexander Pantelejmonow, in dessen Büro (http://tinyurl.com/mg4bjd7) sowie zu Übergrif-fen von mehreren „Swoboda“-Vertretern auf den Vorsitzenden der Kommunistischen Partei derUkraine, Petro Simonenko, im Plenum der Werchowna Rada (http://tinyurl.com/p9n8ppf).

Zeitgleich zu diesen Ereignissen und ungeachtet der beschriebenen Trends wird die deutscheEntwicklungshilfe stärker in (geo-)politische Strategien eingebunden. Der Bundesminister für wirt-schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Dr. Gerd Müller, bezeichnete es als eine der Aufga-ben seines Ressorts, „Reformkräfte in der Ukraine zu stärken“ (DIE WELT, 2. März 2014:„Deutschland will Hilfen für die Ukraine verdoppeln“, online unter: http://tinyurl.com/ndotr68). Es istnicht nur unklar, wer zu diesen Kräften gezählt wird. Auch wird diese Unterordnung der Entwick-lungshilfe unter politische Ziele von Fachorganisationen kritisch bewertet, weil sie Entwicklungshel-fer zu politischen Akteuren macht und damit ins Visier von Konflikten rückt.

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Nach einem Bericht der Tageszeitung „WELT am SONNTAG“ (Artikel vom 2. März 2014/Seite 7)will das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) die Ent-wicklungshilfe für die Ukraine dessen ungeachtet und mit einer explizit politischen Argumentation„um 20 Millionen Euro aufstocken und damit im Vergleich zum Vorjahr nahezu verdoppeln“. DieEntwicklungszusammenarbeit zwischen Deutschland und der Ukraine findet derzeit vor allem imagrarwirtschaftlichen Bereich statt, eine wichtige Rolle dabei spielt der Deutsch-Ukrainische Agrar-politische Dialog (http://tinyurl.com/m385tyu).

Als Konsequenz aus der andauernden Krise in der Ukraine will die Bundesregierung die Koopera-tion auch mit Georgien vertiefen und den Abschluss geplanter Abkommen beschleunigen, wobeies im Kern um das EU-Assoziierungsabkommen (AA) und das EU-georgische Freihandelsab-kommen (DCFTA) geht; beide Verträge sollen im beschleunigten Verfahren noch im Juni diesesJahres abgeschlossen werden (http://tinyurl.com/lc95bqe). Der Parlamentarische Staatssekretärim BMZ, Hans-Joachim Fuchtel, erachtet es laut eigener Pressemitteilung von 21. März 2014 alswichtig, „dass die Bevölkerung Georgiens auch (die damit einhergehenden) Reformen mittrage(http://tinyurl.com/oe8pgte).

Die entwicklungspolitischen Maßnahmen der Bundesregierung in Georgien sind in die sogenannteKaukasus-Initiative der Bundesregierung eingebunden, die sich auf Armenien, Aserbaidschan undGeorgien erstreckt (http://tinyurl.com/m65t8xs). Die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zu-sammenarbeit (GIZ) GmbH unterhält ein Büro in Tiflis und führt dort ein Programm mit der Be-zeichnung „Staat und Demokratie“ durch. Derzeit finden in diesem Zusammenhang drei Einzelpro-gramme zu öffentlichen Finanzen, Kommunalentwicklung und Justizreformen statt(http://tinyurl.com/kj8kbkx). Diese Entwicklungszusammenarbeit weckt offenbar Hoffnungen aufeine exklusive politische Annäherung an die EU. Auf dem Gipfel der Östlichen Partnerschaft in Vil-nius hatte der georgische Präsident Giorgi Margwelaschwili in Bezug auf die EU gesagt: „Wir ha-ben uns vom post-sowjetischen Paradigma abgewandt und nehmen Schritt für Schritt den uns ge-bührenden Platz in der europäischen Nationenfamilie ein.“ (APA, 27. März 2014).

Einhergeht die politische, entwicklungspolitische und wirtschaftliche Annäherung mit einer ver-stärkten militärischen Kooperation. Das georgische Parlament hat unlängst beschlossen, 150 Sol-daten für einen geplanten EU-Militäreinsatz in der Zentralafrikanischen Republik zu entsenden(http://tinyurl.com/mghrtor). Nach Darstellung der NATO trägt Georgien „aktiv zu NATO-geführtenOperationen“ bei und arbeite „mit den Alliierten und anderen Partnerländern auf vielen Gebieten“zusammen (http://tinyurl.com/k985xae). Zugleich hat Georgien nach Angaben der Stiftung Wissen-schaft und Politik (SWP) enorme wirtschaftliche Probleme. Im Jahr 2011 verfügten 27 Prozent derHaushalte in dem Land noch nicht einmal „über genügend Einkommen für Nahrungsmittel“, heißtes in einem SWP-Papier (http://tinyurl.com/m3t7mkr). Zugleich verfügt das Land über einen massi-ven Militäretat, der einen überdurchschnittlichen Anteil des Staatshaushaltes beanspruchte(http://tinyurl.com/5fzd3b).

1. Welche Hinweise hat die Bundesregierung darauf, dass sich der erwähnte Appell des deut-schen Botschafters an den Vorsitzenden der Partei „Swoboda“ auf das Vorgehen dieserextrem rechten Gruppierung positiv ausgewirkt hat?

Die Bundesregierung pflegt über ihre Auslandsvertretungen in der Ukraine einen kontinuierlichenDialog mit Vertretern eines breiten politischen Spektrums. In ihren Gesprächen tritt die Bundesre-gierung extremistischen Äußerungen und Tendenzen entgegen. Gleiches erwartet sie von der uk-rainischen Regierung. Extremistische Positionen haben nach Kenntnis der Bundesregierung in derArbeit der ukrainischen Regierung bislang keinen Niederschlag gefunden.

2. Welche Folgen haben die zitierten Belege politischer Gewaltbereitschaft seitens der „Swo-boda“ gegen Andersdenkende für die deutsche Ukraine-Politik im Allgemeinen und die Hal-tung zur Partei „Swoboda“ im Speziellen?

In ihren Gesprächen mit Vertretern aller politischen Kräfte in der Ukraine tritt die Bundesregierungfür die Achtung der Menschenwürde und den Schutz der Menschenrechte ein. Gewalt als Mittel

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der innenpolitischen Auseinandersetzung lehnt die Bundesregierung ab.

3. Über welche weiterführenden Informationen verfügt die Bundesregierung in Bezug auf eineVeranstaltung der GIZ, an der laut dem genannten Bericht des Nachrichtenmagazins „DERSPIEGEL“ Vertreter der Partei „Swoboda“ teilgenommen haben (bitte auch Namen der üb-rigen Teilnehmer auflisten)?

Abgeordneten der Partei „Swoboda“ nahmen an zwei Studienreisen zum Deutschen Bundestagteil. Die Abgeordneten waren in ihrer Funktion als Mitglieder des Haushalts- bzw. des Steueraus-schusses des Deutschen Bundestages Teil der Delegation. Die GIZ berät im Auftrag des BMZ imProjekt „Aufbau von Verwaltungskapazitäten im Bereich öffentliche Finanzen“ u. a. Abgeordnetedes Haushalts- und des Steuerausschusses und führt sie an deutsche und europäische Standardsheran.

Studienreise nach Berlin vom 12. bis 15. Juni 2013, Parlamentsabgeordnete der Ukraine, Mitglie-der des Ausschusses für Steuer- und Zollpolitik:

KHOMUTYNNIK Vitaliy, Partei der Regionen, Vorsitzender des Ausschusses für Steuer-und Zollpolitik

PRODAN Oksana, Partei „UDAR“ (Schlag), stellv. Ausschussvorsitzende für Steuer- undZollpolitik

GORDIYENKO Sergiy, Kommunistische Partei der Ukraine, stellv. Ausschussvorsitzenderfür Steuer- und Zollpolitik

VASCHUK Kateryna, Partei der Regionen, Vorsitzende des Unterausschusses zu Fragender Besteuerung im Agrarbereich

SERGIYENKO Leonid, Partei „Batkiwschyna“ (Vaterland), stellv. Ausschussvorsitzender fürSteuer- und Zollpolitik

BLAVATSKYI Mykhailo, Partei „Swoboda“ (Freiheit), Vorsitzender des Unterausschusseszu Fragen der Verbesserung des Steuerrechts und der Aufsicht über die Steuerbehörden

GEREGA Oleksandr, Partei der Regionen, Vorsitzender des Unterausschusses für Fragender Zolltarife, der außertariflichen Regelung des Außenhandels, einschließlich der Fragender Antidumpinguntersuchungen

VOZNIUK Yurii. Partei „Batkiwschyna“ (Vaterland), Vorsitzender des Unterausschusses zurBesteuerung der Einnahmen von Rechtspersonen und zur Vereinheitlichung der Steuer-und Buchführung

HRUSHEVSKYI Vitalii, Partei der Regionen, Vorsitzender des Unterausschusses zu ge-setzgeberischen Fragen der Arbeit von Steuerbehörden

DOLZHENKOV Oleksandr, Partei der Regionen, Vorsitzender des Unterausschusses zuFragen der Korporationssteuer

TSYRKIN Ihor, Partei der Regionen, Vorsitzender des Unterausschusses für Verbrauchs-steuer, Sondersteuerverfahren, u.a. im Zusammenhang mit Investitionen, sowie für Rechts-regelung des Spiritus-, Alkohol- und Tabakmarktes

Begleitende Mitarbeiter der Abgeordneten

BOGUSLAVSKA Zoriana – Assistentin von MP Vozniuk

MAKSYMENKO Uiliia - Assistentin von MP Gerega

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GIZ-Begleitung:

BOSAK Olha (Projektkoordinatorin)

PLASHKIN Igor (Dolmetscher)

Studienreise 24. bis 27. April 2013, Parlamentsabgeordnete der Ukraine, Mitglieder des Haus-haltsausschusses, nach Berlin, Deutscher Bundestag:

KALETNYK Oksana, 1. stellv. Ausschussvorsitzende, Kommunistische Partei der Ukraine

DUBIL Valerii, stellv. Ausschussvorsitzender, Wahlallianz „Batkiwschyna“ (Vaterland)

SHKVARYLIUK Volodymyr, Sekretär des Ausschusses, Wahlallianz „Batkiwschyna“ (Vater-land)

MYKHALCHYSHYN Yurii, Leiter des Unterausschusses für die Bewertung der Gesetzes-entwürfe auf ihren Einfluss auf die Haushaltswerte und Entsprechung dem Haushaltsrechthin, Partei „Swoboda“ (Freiheit)

PAVLOV Kostiantyn, Leiter des Unterausschusses für Kommunalhaushalte, Partei der Re-gionen

PUTILOV Andrii, Leiter des Unterausschusses für Staatsschuld und Haushaltsfinanzierung,Partei „UDAR“ (Schlag)

MARTOVYTSKYI Artur, Mitglied des Ausschusses, Partei der Regionen

4. An welchen weiteren Veranstaltungen der GIZ haben Vertreter der Partei ,,Swoboda“und/oder anderer extrem rechter Kräfte teilgenommen (bitte Veranstaltungen auflisten)?

Der GIZ sind keine weiteren Veranstaltungen bekannt, an denen Vertreter der Partei „Swoboda“oder Vertreter der anderen angefragten Kräfte teilgenommen haben.

5. Zu welchen anderen Parteien und Organisationen in der Ukraine pflegt die GIZ Kontakte?

Die GIZ pflegt keine parteipolitischen Kontakte. Kontakte zu Organisationen: siehe Antwort zu Fra-ge 13.

6. Will die Bundesregierung eine Förderung von Vertretern der Partei ,,Swoboda“ durch Gel-der des BMZ und/oder der GIZ künftig verhindern? Wenn ja, wie?

Das BMZ und auch die GIZ haben die Partei „Swoboda“ bisher nicht gefördert und planen diesauch nicht für die Zukunft. Die parteipolitische Förderung ist kein Bestandteil der bilateralen Ent-wicklungszusammenarbeit. Es ist nicht auszuschließen, dass zum Beispiel gewählte Volksvertreterder Ukraine, die Mitglied der Partei „Swoboda“ sind, durch ihr Mandat in einem Arbeitskontext mitder GIZ stehen (vgl. auch Antwort zu den Fragen 3 und 4).

7. Welche deutschen parteinahen Stiftungen sind nach Kenntnis der Bundesregierung in derUkraine aktiv, und inwieweit stehen Bundesregierung, Bundesministerien und/oder die GIZmit ihnen in Kontakt?

In der Ukraine sind aktuell alle sechs parteinahen Stiftungen aktiv: die Friedrich-Ebert-Stiftung(FES), die Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS), die Hanns-Seidel-Stiftung (HSS), die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit (FNF), die Heinrich-Böll-Stiftung (HBS) und die Rosa-Luxemburg-Stiftung (RLS) (letztere vom Berliner Büro aus). Die Politischen Stiftungen sind Trägereiner eigenständigen, gesellschaftlichen Entwicklungszusammenarbeit, die im Einklang mit denentwicklungspolitischen Grundlinien der Bundesregierung steht. Die Umsetzung von Maßnahmenerfolgt im Rahmen zuwendungsrechtlicher Verfahren und Maßgaben und schließt insoweit erfor-

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derliche Abstimmungen ein. Es besteht ein unregelmäßiger Informationsaustausch zwischen derGIZ und diesen Stiftungen. Bei thematischen Überschneidungen hat eine wechselseitige Teilnah-me an Veranstaltungen stattgefunden (z. B. mit der Heinrich-Böll-Stiftung zu LGBT-Awarenesszwecks HIV/AIDS-Prävention und Tourismusförderung „Mit dem Fahrrad durch die Ukraine –START“).

8. An welche EZ/TZ-Ziele werden die um 20 Mio. Euro aufgestockten Gelder des BMZ ge-knüpft?

Die drei Schwerpunkte in der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit (EZ) des BMZ mit der Ukra-ine sind: nachhaltige Wirtschaftsentwicklung, HIV/AIDS-Prävention und Energieeffizienz. Die er-wähnten zusätzlichen Mittel werden zum Ausbau und zur Ausweitung des bestehenden Portfoliosin diesen Bereichen genutzt.

a) Welche konkreten Maßnahmen werden derzeit in der Ukraine durchgeführt?

Folgende laufende Vorhaben des Portfolios der Finanziellen und Technischen Zusammenarbeit(FZ/TZ) werden durch die aufgestockten Mittel ausgeweitet/intensiviert (derzeit noch in Vorberei-tung):

Aufbau von Verwaltungskapazitäten im Bereich Öffentliche Finanzen,

Ukrainischer Sozial- und Investitionsfond – „USIF“,

HIV/Aids-Beratung- und Institutionenförderung.

Des Weiteren besteht das derzeitige EZ-Portfolio aus folgenden laufenden Vorhaben:

Nachhaltige Wirtschafts- und Beschäftigungsförderung,

Kommunalentwicklung und Altstadtsanierung in Lviv,

Reform der Verwaltung in der Ostukraine,

Reform des ländlichen Finanzwesens,

Beratung und Aufbau von Steuerungskapazitäten für die UEFA EURO 2012 Austragungs-orte,

Energieeffizienz in Kommunen,

Studien- und Fachkräftefonds (SFF),

Kommunales Klimaschutzprogramm Chernivtsi, Infrastruktur,

Kommunales Klimaschutzprogramm Donetsk, IKLU, Infrastruktur,

Förderung Schutzgebiete (Erhalt Biodiversität),

EE-Refinanzierung KMU über den Finanzsektor (Deutsch-Ukrainischer Fonds),

Unterstützungsprogramm ukrainische Banken,

European Fund for Southeast Europe (EFSE) – Ukrainefenster,

Steigerung der Energieeffizienz im Übertragungsbereich (Modernisierung von Umspannsta-tionen),

Programm Energieeffizienz/Erneuerbare Energien (IKLU)-EE/RE-Programm.

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b) Welche neuen Maßnahmen sind im Zuge der aktuellen politischen und wirtschaftlichen Kri-se der Ukraine neu hinzugekommen?

Durch die aufgestockten Mittel werden folgende FZ- und TZ-Vorhaben das Portfolio ergänzen(derzeit noch in Vorbereitung):

Modernisierungspartnerschaft für Wirtschaftlichen Aufschwung,

Modernisierungspartnerschaft für Energieeffizienz,

Stipendienprogramm in Kooperation mit deutschen Unternehmen (über den Ostausschussder deutschen Wirtschaft).

9. Wen zählt die Bundesregierung zu diesen Reformkräften, und zu welchen Organisationen,Institutionen hält das BMZ Kontakt (bitte auflisten)?

Zu den Reformkräften zählt die Bundesregierung diejenigen, die einen Beitrag zur demokratischenEntwicklung in der Ukraine leisten und dabei Prinzipien von Rechtsstaatlichkeit, Guter Regierungs-führung, Meinungsfreiheit und Menschenrechte beachten. Gegenwärtig zeichnet sich die ukraini-sche Regierung dadurch aus, dass sie ein ambitioniertes Reformprogramm in Angriff genommenhat, welches unter anderem Korruptionsbekämpfung, Dezentralisierung und wirtschaftliche Stabili-sierung zum Ziel hat. Zudem stärken z. B. kommunale Verwaltungen, die wichtige Rolle der Kom-munen bzw. der Regionen, Nichtregierungsorganisationen (NGOs) tragen mit ihrer Arbeit zu mehrSelbstständigkeit und Eigenverantwortung in der Bevölkerung bei.

Das BMZ hält direkten oder indirekten Kontakt zu den nachstehenden Institutionen:

Ministerium für Sozialpolitik der Ukraine,

Ministerium für Wirtschaftliche Entwicklung und Handel der Ukraine,

Gesundheitsministerium der Ukraine,

Umweltministerium der Ukraine,

Finanzministerium der Ukraine,

Ministerium für regionale Entwicklung, Bauen, Wohnen und kommunale Versorgung derUkraine,

Ministerium für Jugend und Sport der Ukraine,

Ministerium für Agrarpolitik und Lebensmittel der Ukraine,

Ministerium für Infrastruktur der Ukraine,

Ministerkabinett der Ukraine,

Parlament der Ukraine,

Nationale Kommission zur Regulierung der Finanzdienstleistungsmärkte (NCRF),

Oblast- und Stadtverwaltungen in den verschiedenen Regionen,

Vereinigungen wie zum Beispiel dem Städtebund,

Interessenverbände wie zum Beispiel dem Wirtschaftsverband oder aber Industrie- undHandelskammer,

Organisationen aus der Zivilgesellschaft (wie zum Beispiel Stiftungen, NGOs etc.), mit de-

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nen das BMZ oder die durch das BMZ beauftragten Durchführungsorganisationen je nachThematik in den einzelnen Vorhaben zusammenarbeiten (siehe hierzu auch die Antwort zuFrage 13).

10. Mit welchen konkreten Maßnahmen will das BMZ diese „Reformkräfte“ in der Ukraine stär-ken?

Das Ziel der deutschen Entwicklungszusammenarbeit war und ist die Unterstützung der Ukrainebei der EU-Annäherung durch Transformation und wirtschaftliche Stabilisierung, bei der Erhöhungder Energie-Sicherheit für Europa und die Ukraine und bei der Förderung des Klimaschutzes durchFörderung von Energie-Effizienz und regenerativer Energien und damit die Reduzierung der Ener-gieabhängigkeit sowie die Unterstützung der Bevölkerung, der Zivilgesellschaft und der kommuna-len Verwaltung, um das Engagement und die Courage der Bürger ausgewogen in den Regionenzu stärken.

Konkret bedeutet das die Unterstützung bei prioritären strukturellen Reformen, z. B. im Bereich deröffentlichen Finanzen oder die Unterstützung der Bevölkerung in der Fläche, durch Investitionen imBereich der sozialen Infrastruktur.

Die Unterstützungen der ukrainischen Privatwirtschaft und im Bereich Energieeffizienz zielen aufSteigerung der Wettbewerbsfähigkeit der ukrainischen Unternehmen ab sowie auf die Vorberei-tung zur Annäherung an die EU. Das deutsche HIV/Aids-Präventionsengagement in der Ukrainebeugt durch Primärprävention einer weiteren Ausbreitung des Virus vor und stärkt den Schutz vonMinderheiten. Dabei legt die Bunderegierung stets großen Wert auf die regionale Ausgewogenheitder Entwicklungszusammenarbeit und arbeitet nicht nur mit der zentralstaatlichen Ebene, sondernvor allem auch mit Regionen und Kommunen in allen Teilen des Landes zusammen.

11. Wer sind die Partner für das gemeinsam mit dem Ostausschuss der deutschen Wirtschaftgeplante Stipendienprogramm (DIE WELT, Artikel vom 2. März 2014/Ausgabe 9/Seite 7,online unter: http://tinyurl.com/pbfd83n), was sind die Ziele, und wie wird die Auswahl derStipendiaten getroffen?

Das Programm befindet sich derzeit in Vorbereitung und daher sind die Partner wie auch dasAuswahlverfahren noch nicht abschließend festgelegt. Ziel des Stipendienprogramms ist die Ver-mittlung von Praktikumsplätzen an hochqualifizierte Studierende und junge Graduierte aus der ge-samten Ukraine in deutsche Unternehmen unterschiedlicher Branchen und Größen. Gefördert wirddabei neben der fachlichen Kompetenz der Stipendiaten (Praxiserfahrung, Know-how-Transfer,Capacity building etc.) auch der internationale Austausch, genauso wie der nationale Austauschunter den Stipendiaten aus den verschieden Landesteilen der Ukraine.

12. Welche konkreten Maßnahmen sind im Zusammenhang mit dem Aufbau einer „bürgerna-hen Verwaltung“ in der Region Lugansk durch das BMZ geplant?

Die GIZ trägt im Auftrag des BMZ durch folgende Maßnahmen zu bürgernahen Verwaltungen imOblast Lugansk bei:

Eröffnung von Bürgerbüros in folgenden Städten des Oblasts (teilweise noch in der Umsetzungbefindlich):

Lugansk 11. November 2011,

Stakhanov 5. September 2012,

Rubizhne 5 September 2012,

Sverdlovsk 17. Mai 2013,

Severodonetsk 2. Januar 2014,

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Krasnodon 2014 (in Umsetzung),

Lisichansk 2014 (in Umsetzung),

Alchevsk 2014 (in Umsetzung).

Dabei werden folgende Verbesserungen des Dienstleistungsangebots umgesetzt:

Alle Dienstleistungen werden fortan an einem Ort bereitgestellt („one-stopshop“).

Bereitgestellt werden: klare und verständliche Information für Bürger, transparente Pro-zessbeschreibungen, Beratung und Schulungen der Angestellten der Bürgerbüros (insge-samt mehr als 200 Personen), Verhinderung von Korruption durch klare Gebührenordnun-gen und Zahlungen an Bankschaltern.

Mit den Maßnahmen werden bisher 770 000 Bürger erreicht, monatlich nutzen ca. 16 000Menschen den verbesserten Service.

Das BMZ verfolgt die aktuellen Entwicklungen in der Region eng auch vor dem Hintergrund ggf.erforderlich werdender Anpassungen bei den laufenden Maßnahmen.

13. Werden die BMZ-Maßnahmen in der Region Lugansk oder anderen Regionendes Landesausschließlich mit staatlichen Stellen umgesetzt, oder sind zivilgesellschaftliche Organisati-onen Teil des Engagements? Wenn ja, welche (bitte auflisten)?

Die GIZ setzt im Auftrag des BMZ Maßnahmen mit einer Vielzahl von Mittlern und Partnern auf derMakro-, Meso- und Mikro-Ebene im ganzen Land um. Dies beinhaltet staatliche Institutionen undOrganisationen, zivilgesellschaftliche Organisationen, Medien und die Privatwirtschaft bis hin zuEinzelpersonen.

Das von der GIZ im Auftrag des BMZ umgesetzte Projekt in Lugansk führte zur Gründung derNGO „Agentur für regionale Entwicklung“ in Lugansk. Darüber hinaus bestehen keine direktenKontakte mit zivilgesellschaftlichen Organisationen in der Region. Vielmehr erfolgt die Zusammen-arbeit mit den Stadtverwaltungen von acht Städten des Lugansk-Oblasts (Bürgermeister, ihre Ver-treter, Abteilungsleiter und für Erbringung administrativer Dienstleistungen zuständige Angestellte).Kontakte mit Oblastverwaltung und Oblastrat sowie mit Ausbildungsinstituten werden gepflegt.

Die Umsetzung von BMZ-Maßnahmen erfolgt unter Einbindung folgender zivilgesellschaftlicherOrganisationen (kein Anspruch auf Vollständigkeit):

Agentur für nachhaltige Energieentwicklung des Verbandes „Energieeffiziente Städte derUkraine“,

Alliance of Credit Unions Deposit Guarantee Program,

All-ukrainischer Verband der Spar- und Kreditgenossenschaften,

Bayerisches Haus Odessa,

Deutscher Akademischer Austauschdienst (DAAD),

Deutsches Agrarzentrum in der Ukraine (DAZ),

European-Ukrainian Energy Agency (EUEA),

Goethe-Institut in der Ukraine,

Green Building Council,

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Industrie- und Handelskammer (IHK) Lwiw,

Industrie- und Handelskammer Donezk (DCCI),

Institut für Wirtschaftsforschung und Politikberatung in Kiew,

Kommunalversorgungsbetriebe,

Nationale Akademie für den öffentlichen Dienst und ihre regionalen Außenstellen,

Nationale Taras-Schewtschenko-Universität Kiew,

Nichtregierungsorganisation „Lebendige Hoffnung“ („Zhiwaja Nadezhda“),

Nichtregierungsorganisation „Tochka Opori“,

Odessa Development Programms Agency (ODPA),

Privatwirtschaft (z.B. Versorgungsunternehmen, Hafenbetreiber, Busunternehmer,

kleine und mittlere Baubetriebe, sonstige KMU usw.),

RobertBoschStiftung,

Schulen (mehr als 400 im ganzen Land),

Senioren Expertenservice Bonn (SES),

Stadtinstitut für Kommunalwirtschaft Lwiw gegründet von der Stadtverwaltung Lwiw,

Steuerakademie,

Tourismusinformationszentrum der Stadt Donezk,

Ukrainian Social Investment Fund (USIF),

Ukrainischer Städtetag ,

Universitäten und andere Fortbildungsinstitutionen z. B. Ukrainische Nationale TechnischeUniversität „KPI“ Kiewer Nationaluniversität für Bau und Architektur Kiewer Technikum fürBau Architektur und Design,

Wiedergeburt (internationale Organisation),

Wirtschaftsprüferkammer,

Zentrale Finanzinstitution Vereinigte SKG,

Zentrum für Technologietransfer (ZTT) der Odessaer Nationalen Polytechnischen Universi-tät (ONPU).

14. Inwieweit wird die entwicklungspolitische Kooperation zwischen Deutschland und der Ukra-ine durch den Umstand behindert, dass der „Agrarminister“ der De-facto-Regierung inKiew, Igor Schwajka, der extrem rechten Partei „Swoboda“ angehört?

Die entwicklungspolitische Zusammenarbeit der Bundesregierung und der Ukraine bezieht sich zueinem geringen Anteil auf den Bereich der Agrarwirtschaft. Die bilateralen Kooperationsprojekte imAgrarsektor werden bereits seit Jahren erfolgreich durchgeführt. Sie dienen der notwendigen Un-terstützung der Entwicklung des ukrainischen Agrarsektors sowie der Förderung des Bioenergie-

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sektors und laufen ungeachtet der derzeitigen politischen Leitung des Agrarministeriums fort.

15. Haben die GIZ, die Bundesregierung und/oder andere Regierungsinstitutionen mit „Agrar-minister“ Igor Schwajka bereits Gespräche geführt, und wenn ja, mit welchem Inhalt? Sindweitere konkrete Gespräche geplant, und wenn ja, mit welchem Inhalt?

Im Rahmen einer Vorstellungsveranstaltung des ukrainischen Agrarministeriums zur Neuorientie-rung der ukrainischen Agrarpolitik und zur bilateralen Zusammenarbeit gab es eine Begegnungzwischen Botschafter Dr. Weil und Agrarminister Igor Schwajka. An dieser Veranstaltung, die am15. April 2014 in der Diplomatischen Akademie der Ukraine abgehalten wurde und die sich an dasdiplomatische Corps richtete, nahmen u. a. auch die Botschafter der Vereinigten Staaten von Ame-rika, Frankreichs, der Niederlande und Norwegens teil. Der GIZ sind keine Kontakte zum Landwirt-schaftsminister, Igor Schwajka, bekannt.

Das von der GIZ im Auftrag des BMZ durchgeführte Projekt „Reform des ländlichen Finanzwe-sens“ wird am 15. Mai 2014 seine Abschlusskonferenz durchführen. Eingeladen sind u.a. Vertreterder Arbeitsebene des Landwirtschaftsministeriums.

Aus formalen Gründen wurde die Einladung an Minister Igor Schwajka adressiert. Das Landwirt-schaftsministerium ist kein offizieller Partner des Projektes. Inhaltlich ist das Ministerium für denkreditgenossenschaftlichen Sektor relevant.

Darüber hinaus gab es bisher keine Kontakte mit Minister Igor Schwajka. Konkrete Gespräche sindderzeit nicht geplant.

16. Welche Unternehmen sind vor Ort vertreten, und wie bilanziert die Bundesregierung in die-sem Zusammenhang die seit dem Jahr 2006 laufende Arbeit des „Deutsch-UkrainischenAgrarpolitischen Dialogs“, der unter anderem die Industrialisierung der ukrainischen Land-wirtschaft befördern (http://tinyurl.com/kuclvyf) will?

Aufgabe des seit dem Jahr 2006 im Auftrag des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirt-schaft durchgeführten Deutsch-Ukrainischen Agrarpolitischen Dialogs (APD) ist es, die Ukraine inÜbereinstimmung mit marktwirtschaftlichen und ordnungspolitischen Grundsätzen bei der Entwick-lung einer nachhaltigen Landwirtschaft, einer effektiven Verarbeitungsindustrie und bei der Steige-rung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit zu beraten und zu unterstützen. Zur Umsetzungseiner Ziele arbeitet der APD mit einer Vielzahl von Kooperations- und Projektpartnern zusammen(http://apd-ukraine.de/nashipartneri/).

Der APD ist kein wirtschaftsgetragenes Kooperationsprojekt, weshalb Aussagen über die Tätigkeitvon Unternehmen in der Ukraine in diesem Zusammenhang nicht getroffen werden können.

17. Inwieweit zielt nach Kenntnis der Bundesregierung die Arbeit des Deutsch-UkrainischenAgrarpolitischen Dialogs darauf ab, den Zugang für ukrainische Agrarprodukte auf dendeutschen und/oder EU-Markt zu fördern und damit zu nachhaltigen Konsolidierung der uk-rainischen Landwirtschaft beizutragen?

Der Deutsch-Ukrainische Agrarpolitische Dialog (APD) leistet Hilfestellung bei der Gestaltung undUmsetzung von Rechtsvorschriften und Verwaltungsstrukturen, die den deutschen bzw. europäi-schen Vorgaben entsprechen. Ein Schwerpunktthema des APD ist u. a. die Beratung über europä-ische Produkt-, Qualitäts- und Sicherheitsstandards, die für die Implementierung eines wirkungs-vollen Verbraucherschutzes in der Ukraine sinnvoll und für den Zugang ukrainischer Agrarproduktezum deutschen bzw. EU-Markt erforderlich sind.

18. Inwieweit steht das derzeit verhandelte Assoziierungsabkommen zwischen der EU und derUkraine nach Kenntnis der Bundesregierung diesem Marktzugang entgegen?

Der Agrarhandelsteil des Assoziierungsabkommens hat das Potential, die Handelsbarrieren zwi-schen der Europäischen Union und der Ukraine deutlich zu senken und damit neue Marktchancen

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zu eröffnen. Der EU-Markt für die Güter der Ukraine ist von der EU bereits vorab einseitig geöffnetworden (ABl. L/2014/118/1). Die EU hat damit für nahezu alle Tariflinien die Zölle abgeschafft; fürdie übrigen Produkte wurden zollfreie Tarifquoten eröffnet. Nach einer Studie des Deutsch-Ukrainischen Agrarpolitischen Dialogs im Auftrag des Deutschen Bundestages (http://apd-ukraine.de/wp-content/uploads/2013/11/PolPap-01-2013-DCFTA_eng.pdf) wird die Ukraine in derLage sein, etwa 20 Prozent mehr Agrarprodukte als bisher in die EU zu exportieren. Das Abkom-men steht daher dem Marktzugang der Ukraine nicht entgegen, sondern kann diesen deutlich be-fördern.

19. Welche Konsultationen mit gesellschaftlich relevanten Organisationen, vor allem Oppositi-onsparteien und Gewerkschaften, haben im Zuge des hier beschriebenen Verfahrens inGeorgien nach Kenntnis der Bundesregierung stattgefunden, und ist damit nach ihrer An-sicht die demokratische Teilhabe aller relevanten Gruppen garantiert?

Für die Östliche Partnerschaft (ÖP) der EU besitzt die aktive Beteiligung der Zivilgesellschaft hohePriorität. Von Seiten der Zivilgesellschaft wird diese Beteiligung in den sechs ÖP-Partnerstaaten, inunterschiedlichem Ausmaß, vom sogenannten Zivilgesellschaftsforum (Civil Society Forum) derÖP koordiniert, das regelmäßig an den Beratungs- und Entscheidungsprozessen innerhalb der ÖPbeteiligt ist. Die Beteiligung der Zivilgesellschaft ist aus Sicht der Bundesregierung grundsätzlicheine zentrale Politikaufgabe für die Regierungen der Partnerländer. Seitens der georgischen Re-gierung ist vor allem seit dem Regierungswechsel im Herbst 2012 eine Zunahme des Dialogs mitder Zivilgesellschaft zu erkennen. Dabei zeigt sich, dass Interesse an einer echten inhaltlichen Be-teiligung der Zivilgesellschaft an Reformvorhaben besteht.

Die EU unterstützt vor Ort in Georgien die zivilgesellschaftliche Beteiligung ebenfalls. Die EU-Delegation, wie auch die Deutsche Botschaft, stehen in einem kontinuierlichen Dialog mit einembreiten Spektrum an Vertretern von Parteien und Zivilgesellschaft. Hierzu werden vor allem Auf-enthalte von EU-Verhandlungsdelegationen aus Brüssel genutzt. Im Mittelpunkt steht der Kontaktmit den im Parlament vertretenen Parteien, aber auch einzelnen nicht-parlamentarischen Kräften,sowie zu den führenden Gruppen in den Bereichen Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, inklusiveMenschen- und Minderheitenrechte. Darüber hinaus finden Gespräche mit Gewerkschaften undArbeitgeberverbänden statt sowie mit Meinungsforschungsinstituten und sog. Denkfabriken. DieEU-Informations- und Öffentlichkeitsarbeit in den Partnerländern wurde kontinuierlich verstärkt.

20. Mit welchen Maßnahmen begleiten BMZ und GIZ diese Annäherung Georgiens an die EU?

Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit mit Georgien orientiert sich eng an den Themen derEU-Assoziierungsagenda. Die Zusammenarbeit erfolgt dabei im Rahmen der Kaukasusinitiativeder Bundesregierung in einem regionalen Ansatz, der Georgien, Armenien und Aserbaidschan um-fasst. Die gemeinsam mit den Partnerländern entwickelten Schwerpunkte der Zusammenarbeitsind die Bereiche nachhaltige Wirtschaftsentwicklung, Energie und Umwelt sowie Demokratie,Kommunalentwicklung, Rechtsstaat. Insbesondere im Schwerpunkt „Demokratie, Kommunalent-wicklung und Rechtsstaat“ unterstützen die von der GIZ durchgeführten Programme „Kommunal-entwicklung im Südkaukasus“, „Management öffentlicher Finanzen im Südkaukasus“ und „Rechts-und Justizreformberatung im Südkaukasus“ ihre georgischen Partner bei der Durchführung vonReformen zur Erfüllung der im Assoziierungsabkommen und im vertieften und umfassenden Frei-handelsabkommen vorgesehenen Verpflichtungen.

Das Programm zur Kommunalentwicklung im Südkaukasus berät die georgische Regierung z. B.bei der Implementierung von Reformen zur Stärkung der lokalen Selbstverwaltung. Ziel der Refor-men ist eine Anwendung des Subsidiaritätsprinzips auch in Georgien. Regionale und kommunaleDemokratie sollen gestärkt und die Leistungsfähigkeit der lokalen Verwaltungen und Kommunengesteigert werden. Im Rahmen des Programms „Management öffentlicher Finanzen im Südkauka-sus“ unterstützt die GIZ die georgische Regierung bei der Einführung einer internen Finanzkontrol-le nach internationalen und von der EU anerkannten Standards in den einzelnen Ministerien undBehörden. Auch den georgischen Rechnungshof berät sie bei der Anpassung seiner Tätigkeit aninternationale Standards. Das Programm unterstützt die georgische Regierung ferner bei der An-passung des Zollgesetzes und des Zollverfahrens an die in der EU geltenden Regelungen. Das

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Programm zur Rechts- und Justizreform im Südkaukasus zielt auf eine Stärkung des Rechtsstaatsund des Schutzes von Menschenrechten in Georgien. Hierzu führt die GIZ u. a. Schulungen fürRichterinnen und Richter in der Anwendung von Gesetzen und Seminare für junge Juristinnen undJuristen zu Themen aus dem Bereich Rechtsstaatlichkeit durch. In Bezug auf die EU-Annäherungberät die GIZ die georgische Regierung ferner bei der Ausarbeitung neuer und der Überarbeitungbestehender Gesetze zur Angleichung des georgischen Rechts an den EU-Acquis.

Besonderes Augenmerk legt die GIZ dabei auf die Einbeziehung der georgischen Zivilgesellschaft.Die Beratungen der GIZ beziehen sich derzeit insbesondere auf die Bereiche Verbraucherschutz,Arbeitsrecht, Baurecht und Wettbewerbsrecht. Zudem unterstützt das Programm den Beitritt Geor-giens zu internationalen Abkommen in den Bereichen Zivil- und Handelsrecht.

Auch das von der GIZ durchgeführte Programm „Privatwirtschaftsentwicklung im Südkaukasus“begleitet die Annäherung Georgiens an die EU. Schulungen für Firmeninhaber und -Manager zurEinhaltung von EU-Standards sollen insbesondere kleine und mittlere Unternehmen (KMU) befähi-gen, vom verbesserten Zugang zum europäischen Binnenmarkt im Zuge der EU-Annäherung zuprofitieren. In Kooperation mit dem Programm zur Rechts- und Justizreformberatung unterstütztdas Programm die georgische Regierung zudem bei der Einführung einer neuen Wettbewerbsbe-hörde.

21. Inwieweit reagieren BMZ und GIZ auf den beschleunigten Abschluss der genannten Ab-kommen?

Dem Wunsch Georgiens nach beschleunigtem Abschluss des Assoziierungsabkommens mit derEU wurde vom Europäischen Rat am 20./21. März 2014 entsprochen. Die Unterzeichnung soll „bisspätestens Juni 2014“ erfolgen. Das BMZ und die GIZ unterstützen Georgien in verschiedenenBereichen mit Bezug auf die Annäherung Georgiens an die EU und Angleichung an EU-Standards(siehe auch Antwort zu Frage 20), unabhängig von der Terminierung der Unterzeichnung der ge-nannten Abkommen.

22. Inwieweit ist die sogenannte Kaukasus-Initiative, die im Zuge des Teilbereichs „Demokratie,Kommunalentwicklung und Rechtsstaat“ auch auf die innenpolitische Entwicklung der ge-nannten Staaten Bezug nimmt, Teil des politischen Dialogs mit der russischen Regierung?

Die Kaukasusinitiative der Bundesregierung soll die Zusammenarbeit zwischen Armenien, Aser-baidschan und Georgien fördern sowie die wirtschaftliche, soziale und politische Ent-wicklung derRegion unterstützen und somit zum Abbau von Konflikten beitragen. Die Situation im südlichenKaukasus, insbesondere die Notwendigkeit, bei der Lösung der Konflikte um Berg-Karabach(Aserbaidschan) sowie Süd-Ossetien und Abchasien (Georgien) Fortschritte zu erzielen, wird re-gelmäßig anlässlich von politischen Gesprächen mit der russischen Seite erörtert.

23. Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus der eingangs erwähnten Einschät-zung des georgischen Präsidenten Giorgi Margwelaschwili, nach der Georgien sich aus-schließlich der EU annähern sollte und demzufolge diese Annäherung im Widerspruch zurEinbindung in den postsowjetischen Raum stehe?

Die Bundesregierung weist kontinuierlich darauf hin, dass es jedem Land der Östlichen Partner-schaft freisteht, über die Zukunft seiner außenpolitischen Ausrichtung frei und ohne Einmischungvon außen zu bestimmen. Die Bundesregierung macht dabei auch deutlich – so etwa der Bun-desminister des Auswärtigen, Dr. Frank-Walter Steinmeier, bei seinem Besuch in Tiflis am 24. April2014 –, dass enge Bindungen zur Europäischen Union und gleichzeitig enge Beziehungen zuRussland in keinem Widerspruch zueinander stehen.

24. Ist eine Ausweitung des Programms „Staat und Demokratie“ des Tiflis-Büros der GIZ inGeorgien geplant, das in drei Einzelprogramme zu öffentlichen Finanzen, Kommunalent-wicklung und Justizreformen unterteilt ist, und, wenn ja, um welche Initiativen soll es erwei-tert werden?

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Ein Programm mit diesem Namen gibt es nicht. Unter dem BMZ-Schwerpunkt „Demokratie, Kom-munalentwicklung und Rechtsstaat“ laufen drei Vorhaben der GIZ: (1) Management öffentlicherFinanzen, (2) Kommunalentwicklung und (3) Justizreformberatung. Im Rahmen der üblichen inhalt-lichen Weiterentwicklung bestehender Vorhaben ist bei (1) eine Ausweitung auf die Beratung zuProgrammhaushalten und zur steuerpolitischen Ausrichtung im Einklang mit den Entwicklungsstra-tegien Georgiens und bei (3) eine stärkere Kooperation mit der EU-Delegation und dem Europaratbeabsichtigt. Eine Erweiterung des Schwerpunktes darüber hinaus ist nicht vorgesehen.

25. Um welche Strategien geht es bei der Beratung, die nach Darstellung des GIZ-Programms„Kommunalentwicklung im Südkaukasus“ (http://tinyurl.com/n5qjvqx) in drei georgischeRegionen geleistet wird?

Es geht um die Regionalentwicklungsstrategien der drei Regionen Shida Kartli, Kakheti undSamtskhe-Javakheti.

26. Um welche Organisationen der „Zivilgesellschaft“ handelt es sich, die laut Eigenbeschrei-bung des GIZ-Programms „Staat und Demokratie“ beraten wurden (bitte auflisten)?

Siehe Antwort zu Frage 24. Das Vorhaben zur Justizreform arbeitet mit folgenden Organisationender „Zivilgesellschaft“ zusammen: Georgian Young Lawyers Association (GYLA), Artikel 42, Stif-tung für Unterstützung der juristischen Ausbildung, Transparency International Georgien.

Das Vorhaben zur Kommunalentwicklung arbeitet mit folgenden Organisationen der „Zivilgesell-schaft“ zusammen: Samoqalaqo sazogadoebis kvlevisa da ganvitarebis centri, Satemo organizaciaNukriani, Elkana, Akhalqalaqis biznes centri, Kavkasiis garemosdacviti organizacia(Dedoplistskaro, Sagaredjo), Kavshiri Nafareuli, Moqalaqeta sainiciativo jgufi Nadikvari, Kakhetisregionuli veterinaruli asociacia (Akhmeta, Qvemo Alvani), Kakhetis samoqalao liga, Satemoganvitarebis centri, Fermerta profkavshiri fermerta asociacia, Tsitsernak.

Soweit weitere Organisationen unmittelbar durch die Gouverneure der Regionen zu Veranstaltun-gen dieses Vorhabens eingeladen wurden, sind sie der GIZ bzw. dem BMZ nicht namentlich be-kannt.

27. Welche deutschen parteinahen Stiftungen sind nach Kenntnis der Bundesregierung in Ge-orgien aktiv, und inwieweit koordinieren sie ihre Arbeit mit Programmen des BMZ und derGIZ (Programme und Aktivitäten bitte aufführen)?

In Georgien sind aktuell fünf der sechs politischen Stiftungen aktiv: Konrad-Adenauer-Stiftung(KAS), Friedrich-Ebert-Stiftung (FES), Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit (FNF), Heinrich-Böll-Stiftung (HBS) und Rosa-Luxemburg-Stiftung (RLS). Die Politischen Stiftungen sind Trägereiner eigenständigen, gesellschaftlichen Entwicklungszusammenarbeit, die im Einklang mit denentwicklungspolitischen Grundlinien der Bundesregierung steht. Die Umsetzung von Maßnahmenerfolgt im Rahmen zuwendungsrechtlicher Verfahren und Maßgaben und schließt insoweit erfor-derliche Abstimmungen ein. Folgende Aktivitäten werden aktuell durchgeführt:

Die Stiftungen koordinieren ihre Arbeit mit der GIZ zu den Themen: Rechtsstaatsförderung (KAS),Arbeitsrecht (FES) sowie Gesetzgebung und Juristenfortbildung (HBS). Daneben erfolgt eine all-gemeine gegenseitige Information des BMZ und/oder der GIZ zu relevanten Themen und den je-weils umgesetzten Finanzmitteln.

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Träger Projektbezeichnung

FNF Förderung von Demokratie, Rechtsstaat, Pluralismus und Marktwirtschaftin Südost- und Osteuropa, Südkaukasus und Zentralasien - Nicht-EU-Staaten

KAS Regionalprogramm Russische Föderation, Weißrussland, Ukraine, Süd-kaukasus

FES Regionalprojekt: Gesellschaftspolitische Beratung in Zentralasien und imKaukasus (Alt: Titel 686 12 – PN: 1993 07 737)

HBS Regionalprogramm Südosteuropa/Osteuropa/Südlicher Kaukasus

RLS Soziale Gerechtigkeit und regionale Integration in Ländern des postsow-jetischen Raums

28. Inwieweit wird die Bundesregierung, vor allem über das BMZ und die GIZ, auf die jüngstepolitische Entwicklung in der Ukraine reagieren und ihre Regionalprogramme im osteuropä-ischen und kaukasischen Raum anpassen bzw. sogar ausweiten?

Die Bundesregierung hat in Reaktion auf die politische und wirtschaftliche Entwicklung in der Ukra-ine eine ressortübergreifende Arbeitsgruppe Ukraine eingesetzt, die sich über die Entwicklung inder Ukraine austauscht und bilaterale Unterstützungsmaßnahmen der einzelnen Ministerien zu-sammenführt. Bundesminister Müller hat zudem bereits angekündigt, 20 Mio. Euro für die Ukrainein diesem Jahr zusätzlich bereit zu stellen. Bezüglich des konkreten zusätzlichen BMZ-Engagements in der Ukraine siehe Antwort zu Frage 8.

29. Inwieweit ist die militärische Kooperation nach Kenntnis der Bundesregierung Teil des As-soziierungsprozesses zwischen Tiflis und Brüssel?

Das Assoziierungsabkommen der Europäischen Union mit Georgien sieht u. a. einen verstärktenpolitischen Dialog zur Förderung der schrittweisen Annäherung in außen- und sicherheitspoliti-schen Fragen vor. Es enthält unter anderem Bestimmungen zur Intensivierung des Dialogs im Be-reich der Außen- und Sicherheitspolitik, einschließlich der Gemeinsamen Sicherheits- und Vertei-digungspolitik (GSVP), die Förderung des Friedens und der internationalen Gerichtsbarkeit durchRatifizierung und Umsetzung des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs(IStGH), gemeinsame Anstrengungen zur Förderung der regionalen Stabilität, der Konfliktverhü-tung, Krisenbewältigung, Bekämpfung des Terrorismus, Nichtverbreitung von Massenvernich-tungswaffen sowie Abrüstung und Rüstungskontrolle. Das Abkommen regelt keine konkretenMaßnahmen in diesen Bereichen.

30. Welche Auswirkungen hat nach Ansicht der Bundesregierung diese NATO-KooperationGeorgiens – vor allem im Zusammenhang mit der EU-Annäherung – auf das Verhältnis derBeteiligten zu Russland?

Der Annäherungsprozess zwischen der NATO und Georgien erfolgt im Rahmen der NATO-Georgien-Kommission, die in verschiedenen Gremien auf mehreren Ebenen regelmäßig zusam-mentritt. Der sicherheitspolitische Dialog und die praktische Zusammenarbeit zwischen der NATOund Georgien dienen in erster Linie der Reform und Demokratisierung der georgischen Streitkräfte.

Die nach den Parlamentswahlen im Jahr 2012 gebildeten georgischen Regierungen bemühen sichgleichzeitig um die Verbesserung der Beziehungen Georgiens zu Russland. Diese Bemühungen

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sind unabhängig von der Zusammenarbeit in der NATO-Georgien-Kommission zu sehen.

31. Sind die genannten militärischen Kooperationen Teil des EU-russischen und/oder desdeutsch-russischen Dialogs?

In den Gesprächen zwischen der EU oder Deutschland mit Russland wird die gesamte Bandbreiteder Themen gemeinsamen Interesses thematisiert, darunter auch sicherheitspolitische Fragen.Deutschland hat dabei, wie die EU insgesamt, stets die Gelegenheit genutzt, den russischen Ge-sprächspartnern darzulegen, dass die Kooperation der EU mit den Ländern der Östlichen Partner-schaft nicht gegen russische Interessen gerichtet ist.

32. Wirkt die Bundesregierung und vor allem das BMZ im Rahmen des bilateralen Dialogs aufeine Umwidmung des Militäretats und/oder auf stärkere sozialpolitische Maßnahmen hin,und, wenn ja, mit welchen Ergebnissen?

Die Haushaltsmittelverwendung liegt in der souveränen Verantwortung Georgiens und ist nichtGegenstand unserer Zusammenarbeit, wenngleich Themen, die entwicklungsrelevant sind impartnerschaftlichen Dialog nicht ausgespart werden.

Jeder der drei sich gegenseitig zudem verstärkenden Bereiche der Kaukasus-Initiative (siehe auchAntwort zu Frage 20) bietet bedeutende und grundlegende Beiträge zur Entwicklung Georgiensund seiner Nachbarstaaten.

Entschließungsantrag, 4.6.2014

„Nur Verhandlungen und die friedliche Einigung auf gemeinsame Lösungen könnendie Konflikte in der Ukraine deeskalieren.“

Entschließungsantrag der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, Christine Buch-holz, Sevim Dagdelen, Diether Dehm, Annette Groth, Heike Hänsel, Inge Höger, Andrej Hun-ko, Katrin Kunert, Stefan Liebich, Niema Movassat, Alexander Neu, Alexander Ulrich undder Fraktion DIE LINKE

zu der Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin zu den Ergebnissendes informellen Abendessens der Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedsstaaten am27. Mai 2014 in Brüssel sowie zum G7-Gipfel am 04./05. Juni in Brüssel

BT-Drucksache 18/1623

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Beratungen im G8-Format hatten bereits in der Vergangenheit keine demokratische Legitima-tion. Aus G8 ist über Nacht G7 geworden. Russland wurde mit der Nichteinladung zu diesem Gip-feltreffen abgestraft. Sanktionen und die Isolierung Russlands sind nicht tauglich, um den Ukraine-Konflikt zu lösen. Alle Konfliktparteien, so zum Beispiel die NATO, die Europäische Union, die US-Administration und die russische Regierung, müssen jegliche weitere Eskalation des Konfliktesvermeiden.

Die blutige Eskalation im Osten und Süden der Ukraine im Mai 2014 hat zu einem Kriegszustandgeführt. Berichte sprechen von Hunderten von Toten, darunter viele Zivilisten. Der neue Präsidentder Ukraine Poroschenko setzt auf eine gewaltsame Lösung des Konflikts in der Ukraine. Er wirddarin von Verantwortlichen der Bundesregierung, der EU und der NATO unterstützt.

Der so genannte Anti-Terroreinsatz und der Einsatz der ukrainischen Armee, bei dem schon vieleMenschen getötet worden sind, müssen beendet und die Nationalgarde sofort aufgelöst werden.

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Nur Verhandlungen und die friedliche Einigung auf gemeinsame Lösungen können die Konfliktedeeskalieren.

Mit dem mörderischen Anschlag auf das Gewerkschaftshaus in Odessa am 2. Mai 2014, bei demmindestens 46 Menschen getötet wurden, hat die Gewalt rechtsgerichteter Gruppen in der Ukrainegegen Mitglieder linker und antifaschistischer Organisationen einen neuen Höhepunkt erreicht.Linke Aktivistinnen und Aktivisten müssen um ihr Leben fürchten und können sich in Kiew und derWestukraine nicht mehr frei bewegen. Gegen die Kommunistische Partei der Ukraine wurde einVerbotsantrag im ukrainischen Parlament eingereicht.

Der Bundestag verurteilt die gewaltsamen Übergriffe und die Eingriffe in politische Betätigungs-rechte der Opposition und erklärt seine Solidarität mit allen demokratischen und antifaschistischenKräften in der Ukraine.

Die Beteiligung von Faschisten an der ukrainischen Regierung hat international heftige Kritik aus-gelöst. Die Zusammenarbeit mit faschistischen, neofaschistischen und rechtspopulistischen Par-teien darf nicht enttabuisiert werden. Es darf keine Finanzhilfen von der Bundesregierung und ausder EU geben, solange Faschisten an der Regierung beteiligt sind.

Die Interessen der USA, Russlands und der Europäischen Union im Konflikt um die Ukraine sindnicht identisch mit den Interessen der Bürgerinnen und Bürger dort. Alle Konfliktparteien, auch dieNATO, die Bundesregierung, die EU, die US-Administration und die russische Regierung, sindaufgefordert, auf eine weitere Eskalation zu verzichten.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

die Anwendung von Gewalt auszuschließen und auch bei ihren Bündnispartnern dafür zuwerben, dass auf militärische Drohungen verzichtet wird;

auf die ukrainische Regierung einzuwirken, damit sie den Einsatz der Nationalgarde unddes Militärs im Ostteil der Ukraine sofort beendet;

auf die US-Regierung einzuwirken, die Lieferung von Waffen an die Ukraine zu beenden;

auf die russische Regierung einzuwirken, die Lieferung von Waffen und den Zustrom von„Freiwilligen“ über die russisch-ukrainische Grenze in die Ostukraine zu unterbinden;

die Truppenverstärkung von Bundeswehr und NATO in ehemaligen Mitgliedstaaten desWarschauer Vertrags, großangelegte Manöver in diesen Ländern und weitere Schritte zurAufrüstung auszuschließen;

darauf hinzuwirken, dass die Stationierung von Einheiten der NATO und der Bundeswehr inNachbarstaaten Russlands rückgängig gemacht wird und auf die Installierung des Rake-tenabwehrschirms in Europa verzichtet wird;

sich für eine Verhandlungslösung im Konflikt um die Ukraine einzusetzen, an der auf inter-nationaler Ebene neben den Ländern des „Budapester Memorandums“, USA, Großbritan-nien, Russland und Frankreich, auch Polen und Deutschland beteiligt werden und in derenRahmen verbindlich festgehalten wird, dass weder Georgien noch die Ukraine als Mitglie-der in die NATO aufgenommen werden;

durch eine neue Ost- und Entspannungspolitik die Voraussetzungen für eine Überwindungder Konfrontation und für ein neues kollektives Sicherheitssystem unter Beteiligung Russ-lands zu schaffen, das die NATO überwindet und auf Abrüstung zielt;

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sich für eine neue Helsinki-Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa unddie Stärkung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) ein-zusetzen. Die bindende Wirkung des Völkerrechtes für alle Staaten muss nach den Völker-rechtsbrüchen bei der Abtrennung des Kosovo von Serbien, den militärischen Interventio-nen im Irak und in Libyen und beim russischen Vorgehen zur Aufnahme der Krim in dieRussische Föderation wieder hergestellt werden;

sich für die Freilassung der festgesetzten OSZE-Mitarbeiter und für die sichere und unge-störte Arbeit der OSZE-Teams einzusetzen;

sich gegenüber der ukrainischen Regierung für die Einbeziehung der „Aufständischen“ inder Südostukraine und der demokratischen Kräfte des Maidan in die Suche nach Lösungendes Konflikts und für den Ausschluss faschistischer Kräfte wie der Partei Swoboda und des„Rechten Sektors“ einzusetzen;

Verhandlungen über internationale Abkommen mit der Ukraine erst nach der Bildung einerlegitimen Regierung zu führen;

finanzielle Hilfen für die Ukraine vom Ausscheiden der Faschisten und des „Rechten Sek-tors“ aus der Übergangsregierung, von der Beendigung der militärischen Offensive sowievon der Einstellung des Verbotsverfahrens gegen die Kommunistische Partei abhängig zumachen;

bei der Bearbeitung der sozialen Probleme der Ukraine die Heranziehung des Vermögenssämtlicher Oligarchen anzuregen, die mit ihrer Politik der rücksichtslosen Bereicherunggroßen Anteil an der Verelendung weiter Teile der Bevölkerung hatten;

auf die Umsetzung der Kernpunkte des Abkommens vom 21. Februar 2014 zu bestehen;

bei Finanzhilfen von EU und Internationalem Währungsfonds (IWF) bzw. bei einer Strei-chung von Auslandsschulden keine Konditionen zuzulassen, die in Richtung Sozialabbaugehen;

im Rahmen der Konfliktlösung auf das Verbot von faschistischen Organisationen in der Uk-raine, die Entwaffnung aller inoffiziellen bewaffneten Formationen und die Auflösung derNationalgarde zu drängen;

auf die sorgfältige und transparente Aufklärung der Gewaltakte im Zusammenhang mit denMaidan-Protesten, dem Massaker von Odessa und den Tötungen in Mariupol durch eineunabhängige, internationale Untersuchungskommission zu bestehen.

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Nachhaltige Entwicklung

Antrag, 7.5.2014

Nachhaltige Entwicklungsziele der Vereinten Nationen – soziale Ungleichheit welt-weit überwinden

Antrag der Abgeordneten der Abgeordneten Heike Hänsel, Niema Movassat, WolfgangGehrcke, Jan van Aken, Karin Binder, Christine Buchholz, Sevim Dağdelen, Dr. Diether Dehm, Annette Groth, Inge Höger, Andrej Hunko, Katrin Kunert, Sabine Leidig, Stefan Lie-bich, Dr. Alexander Neu, Alexander Ulrich und der Fraktion DIE LINKE.

BT-Drucksache 18/1328

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Die Millenniumsentwicklungsziele (MDGs) der Vereinten Nationen (VN) für das Jahr 2015 wareneine ehrgeizige Agenda für die internationale Entwicklungszusammenarbeit seit 2001. Ein Jahr vordem Auslaufen der MDGs ist jedoch festzustellen, dass die Bilanz nicht durchweg positiv ausfällt.Einerseits konnten in vielen Ländern große Fortschritte in der menschlichen Entwicklung erzieltwerden. Andere Länder bleiben jedoch in der Zielerfüllung weit zurück. Insgesamt bleibt die Be-kämpfung von Hunger und Armut als zentrale Herausforderung auch für die Zeit nach 2015 beste-hen. Insofern offenbaren sich mit der durchwachsenen Bilanz auch Konstruktionsfehler der MDGs:Die Ziele waren nur auf Veränderungen in den Ländern des Südens ausgerichtet, Veränderungs-bedarf an der Politik der Länder des Nordens war nicht formuliert worden, Faktoren, die strukturellauf globaler Ebene die Bedingungen für Entwicklung vorgeben, waren ebenfalls nicht Gegenstandder MDGs.

Der Bundestag begrüßt deshalb, dass im Folgeprozess, der zu einem neuen Zielkatalog der VNmit „Nachhaltigen Entwicklungszielen“ (SDGs) führen soll, eine breitere Themenpalette angespro-chen wird. Die Ziele sollen so universell formuliert werden, dass sie auf den Süden ebenso wie aufden Norden angewandt werden können, die Verantwortung des Nordens soll verstärkt und es sol-len strukturelle Veränderungen angestrebt werden, um Armutsbekämpfung, Entwicklung und denSchutz der natürlichen Lebensgrundlagen zu ermöglichen.

Insofern bietet der Post-2015-Prozess die Chance, eine breite Debatte über die Zukunft unsererGesellschaften zu initiieren – auch in Deutschland. Die Wirtschafts- und Finanzmarktkrisen dervergangenen Jahre haben deutlich gemacht, dass diese Debatte dringend notwendig ist. Voraus-setzung dafür ist, dass die Diskussion der Nachhaltigkeitsziele über die zuständigen VN-Gremienwie die Open Working Group und die Financing Group hinausgetragen wird. Der Bundestag setztauf den aktiven Einsatz der deutschen Vertreterinnen und Vertreter in diesen Gremien für einemöglichst breite Öffnung der Debatte.

Neue global geltende Nachhaltigkeitsziele müssen mit breiter Beteiligung der Zivilgesellschaft imNorden und Süden entwickelt werden. In Deutschland sollen bundesweit öffentliche Foren unterBeteiligung von Entwicklungsorganisationen, Gewerkschaften, sozialen Bewegungen, Umweltver-bänden, Schulen, Universitäten, Städte- und Gemeindetag organisiert werden, um die SDGs insöffentliche Bewusstsein zu rücken und Ideen, Vorschläge und Handlungsoptionen zu sammelnund aufzugreifen.

2. Viele Zielsetzungen, über die im Rahmen des Post-2015-Prozesses verhandelt wird, werdenheute bereits durch die reale Politik unterminiert. Die Europäische Union (EU) bereitet Freihan-delsabkommen mit den USA, mit Indien und anderen Ländern sowie Wirtschaftspartnerschaftsab-kommen (EPA) mit afrikanischen Ländern vor. Diese Abkommen werden nachhaltige Entwicklungverhindern, denn sie setzen auf dieselbe exportorientierte Wachstumsstrategie, die in der EU be-reits zu einer tiefen Krise geführt hat. Sie setzen zugleich die entwicklungspolitischen Strategien

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fort, die in den 1990er Jahren als Strukturanpassungsprogramme in den Ländern des Südensdurchgesetzt wurden und dort seither eine selbstbestimmte Entwicklung verhindern und durch denAbbau staatlicher Basisversorgung und Infrastruktur staatliche Fragilität befördern.

Die Wirtschafts- und Finanzmarktkrisen seit 2008 verdeutlichen, wie sehr die Entfesselung derMärkte die politischen Handlungsspielräume eingeengt hat. Die soziale Ungleichheit wächst so-wohl im internationalen Maßstab als auch innerhalb vieler Länder. Neoliberale Wirtschaftsstrate-gien haben den gesellschaftlichen Reichtum, den die Lohnabhängigen erwirtschaften, von untennach oben und von der öffentlichen in private Hände umverteilt. Während die Armut in den Län-dern des Südens immer noch groß ist, hält sie nun auch in die Länder des Nordens Einzug.Gleichzeitig wachsen die privaten Vermögen: Die 85 reichsten Menschen der Welt verfügen überdasselbe Vermögen wie die gesamte ärmere Hälfte der Menschheit. Damit verbindet sich eineMachtkonzentration, die die demokratischen Fundamente weltweit massiv bedroht.

3. Einige Länder in Lateinamerika haben die Abkehr von neoliberaler Politik vollzogen und begin-nen, ihre Gesellschaften umzugestalten. Im Rahmen demokratisch organisierter Verfassungspro-zesse wurden beispielsweise in Venezuela, Bolivien und Ecuador neue Formen der politischenTeilnahme und soziale Rechte verankert. Der Staat übernimmt dort wieder die Kontrolle über stra-tegische Wirtschaftszweige wie Energieversorgung oder Transport. Diese Länder organisieren so-lidarische Handelsbeziehungen und damit eine praktische Alternative zur Freihandelspolitik derEuropäischen Union. Der Bundestag erkennt in diesen Prozessen wichtige Anstöße, die in die De-batte um die SDGs und den Post-2015-Prozess aufgenommen werden sollen.

Die globalen wirtschaftlichen und politischen Kräfteverhältnisse spiegeln sich im Verlauf der Debat-te genauso wider wie die unterschiedlichen Interessenslagen. Der Bundestag begrüßt vor diesemHintergrund, dass sich die Mitglieder der Gruppe 77 und die VR China im Juni 2014 in Bolivienversammeln, um eine abgestimmte entwicklungspolitische Agenda zu formulieren. Eine verstärkteSüd-Süd-Kooperation muss unter entwicklungspolitischen Gesichtspunkten begrüßt und befördertwerden. Der Bundestag appelliert an die Verhandlungsdelegationen aus den Industrieländern, dieVorschläge aus dem Süden wohlwollend aufzunehmen.

4. Der Bundestag sieht die dringende Notwendigkeit, die internationalen Beziehungen zu demokra-tisieren und damit friedlich und entwicklungsförderlich zu gestalten. Selbstmandatierte Zirkel wieG7 oder G8, Weltwirtschaftsforum oder Nato-Sicherheitskonferenz, in denen Wirtschafts- und Rüs-tungslobbyisten den Ton angeben, sind nicht legitimiert, politische Weichenstellungen von globalerTragweite vorzunehmen. Stattdessen müssen die wirtschafts-, finanz- und sozialpolitischen Kom-petenzen der Vereinten Nationen gestärkt werden. Der Bundestag erinnert an die Vorschläge, diedie Stiglitz-Kommission der VN nach Ausbruch der Finanzmarktkrise unterbreitet hat, und bedau-ert, dass viele der damaligen interessanten Anstöße zur Reform und Stärkung der VN nicht weiter-verfolgt wurden. Diese Vorschläge müssen nun im Rahmen des Post-2015-Prozesses wieder auf-genommen werden.

5. Entwicklungspolitik muss Teil einer aktiven Friedenspolitik sein. Rüstungsexporte tragen zurVerschärfung von krisenhaften Entwicklungen in vielen Ländern der Welt bei. Der Bundestag plä-diert dafür, im Rahmen des Post-2015-Prozesses konkrete Abrüstungsziele zu formulieren unddabei die Anregung von Nobelpreisträgern zum Rio+20-Gipfel aufzunehmen, finanzielle Einspa-rungen durch Reduktion der Rüstungsausgaben über die Vereinten Nationen der globalen Ent-wicklungszusammenarbeit zuzuführen.

6. Die Bundesregierung hat ihre Vorschläge in einem Eckpunktepapier formuliert, mit dem sie sichin die Open Working Group der VN einbringen will. Fragen nach sozialer Gerechtigkeit, Umvertei-lung und Regulierung, die elementar sind für die Ermöglichung nachhaltiger Entwicklung, greift dieBundesregierung in ihrem Eckpunktepapier nicht oder nur unzureichend auf. In diesem Sinne istdas Eckpunktepapier ungenügend und bedarf der grundsätzlichen Neuausrichtung – insbesonde-re, um den selbst gesteckten Anspruch von universellen Zielen zu verwirklichen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

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1. ihr Eckpunktepapier neu zu formulieren und dabei folgende Aspekte hervorzuheben:

a. Als Leitbilder sollen Frieden, soziale und ökologische Gerechtigkeit verankert wer-den.

b. Im Zentrum aller Bemühungen muss der Kampf gegen Hunger und Armut stehen.

c. In den SDGs muss eine allgemeine Pro-Kopf-Obergrenze für die Inanspruchnahmeglobaler Gemeinschaftsgüter wie Luft, Wasser und Ressourcen festgelegt werden.

d. d. Die globalen Gemeinschaftsgüter sind vor Privatisierung zu schützen.

2. sich dafür einzusetzen, dass die Herstellung sozialer Gleichheit und gerechter Wirtschaftsstruk-turen zentrales Anliegen der SDGs wird, und dabei folgende Aspekte in die SDG-Debatte einzu-bringen:

a. Spitzeneinkommen, Vermögen und Gewinne sind weltweit angemessen zu besteu-ern, Steuerschlupflöcher zu schließen, Steueroasen auszutrocknen.

b. Die Schulden der Länder des Südens bei OECD-Staaten sollen einem entwick-lungspolitischen Audit unter Heranziehung der UNCTAD-Prinzipien für eine verant-wortungsvolle Kreditvergabe unterzogen und auf dieser Grundlage als illegitim be-wertete Schulden erlassen werden.

c. Der Aufbau sozialer Sicherungssysteme und die Durchsetzung von angemessenenMindestlöhnen sowie von verbindlichen Sozial-, Arbeits- und Umweltstandards wer-den prioritäre SDGs. Globale Unternehmen müssen sich strafrechtlich verantwor-ten, wenn sie die Standards nicht einhalten. Verbraucherinnen und Verbraucher er-halten einen Informationsanspruch gegenüber Unternehmen, zu welchen sozial-ökologischen Bedingungen ihre Produkte und Dienstleistungen entlang der gesam-ten Lieferkette hergestellt werden.

d. Die Staaten verabreden sich darauf, alle bestehenden und neu entwickelten Fi-nanzprodukte einer Zulassungspflicht durch einen Finanz-TÜV zu unterwerfen undriskante Finanzinstrumente und Kreditverbriefungen sind zu verbieten.

e. Transaktionssteuern auf den Handel mit Wertpapieren und Devisen sind weltweiteinzuführen und ihre Aufkommen in nachhaltige Entwicklung zu investieren.

f. Auf internationaler Ebene wird die Reform des Währungssystems vorbereitet mitdem Ziel, die Abhängigkeit der Wechselkurse von spekulativen Kapitalbewegungenzu beenden.

g. Spekulation mit Nahrungsmitteln muss weltweit verboten werden. Dazu müssen dieAgrarmärkte mittelfristig von den Finanzmärkten getrennt und muss ein nicht-marktbasiertes Verteilungssystem für Nahrungsmittel aufgebaut werden.

h. Staatliche, international koordinierte und kontrollierte Nahrungsmittelreserven sollenaufgebaut werden, um der Volatilität auf den Agrarmärkten zu begegnen und aufNahrungskrisen reagieren zu können.

3. sich dafür einzusetzen, dass Geschlechtergerechtigkeit und die Gleichstellung der Frau als un-abhängiges Ziel aufgenommen werden, die Geschlechterperspektive in alle Ziele der Post-2015-Agenda einbezogen wird und dabei folgende Aspekte besondere Beachtung finden:

a. die Bekämpfung und Überwindung aller Formen gesellschaftlicher und individuellerGewalt gegen Frauen, einschließlich in Kriegs- und Krisengebieten,

b. die Verwirklichung der vollen Gleichberechtigung der Geschlechter beim Zugang zu

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den öffentlichen Gütern,

c. die Beseitigung der strukturellen Diskriminierung von Frauen in allen Bereichen despolitischen, wirtschaftlichen und öffentlichen Lebens,

d. die explizite Förderung frauenspezifischer Ansätze im Bereich Entwicklung und Ge-sundheit.

e. Die Implementierung geschlechtsspezifischer Ziele soll mit Hilfe konkreter Indikato-ren überprüft und Mindeststandards sollen erarbeitet werden.

4. sich für eine Neuausrichtung der Entwicklungszusammenarbeit im internationalen Maßstab ein-zusetzen, die sich an folgenden Prämissen orientiert:

a. Technologietransfer soll nicht in Form von Vermarktung und Wettbewerb erfolgen,sondern neue, insbesondere effiziente und ressourcenschonende Technologien sol-len den Ländern des Südens zur Verfügung gestellt werden.

b. Bei den VN wird ein Kompensationsfonds eingerichtet, der den Transfer klima-freundlicher Technologien organsiert und einen volkswirtschaftlichen Ausgleich fürkoloniales Unrecht ermöglicht. Die Finanzierung muss von Seiten der besondersressourcenverbrauchenden Staaten und ehemaligen Kolonialmächten erfolgen.

c. Die Entwicklungszusammenarbeit wird nicht länger mit wirtschaftspolitischen Kondi-tionen verbunden. Das unilaterale Konzept von „Good Governance“ wird aufgege-ben. Priorität muss die Rechenschaftspflicht der Empfängerländer gegenüber dereigenen Bevölkerung im Sinne nachhaltiger Entwicklung haben und nicht gegen-über den Gebern.

d. Die Entwicklungszusammenarbeit muss auf die Herstellung von Ernährungssouve-ränität ausgerichtet sein. Andere Politikbereiche, wie die Handelspolitik, sind eben-falls darauf auszurichten.

e. Die Weiterverarbeitung von Rohstoffen in den Ländern des Südens muss gefördertwerden. Entsprechende Maßnahmen der Länder des Südens, einschließlich derBeschränkung von Rohstoffexporten durch Zölle oder Quoten sind zu unterstützen.

5. sich für demokratische und friedliche internationale Beziehungen einzusetzen und dabei folgen-de Reformen anzustoßen:

a. Der Wirtschafts- und Sozialrat der VN (ECOSOC) wird zu einem Weltwirtschaftsratim selben Range wie der Weltsicherheitsrat weiterentwickelt.

b. Bei den VN wird eine Kartellbehörde eingerichtet, Weltbank und InternationalerWährungsfonds werden vollständig in das VN-System integriert und die Stimm-rechtsverteilung radikal demokratisiert.

c. In allen internationalen Gremien wird der Einfluss von Wirtschafts- und Rüstungs-lobbyisten radikal begrenzt.

d. In den SDGs werden konkrete Abrüstungsziele vereinbart. Die eingesparten finan-ziellen Mittel werden in nachhaltige Entwicklung und zivile Krisenprävention inves-tiert. Der Export von Rüstungsgütern wird verboten. Die internationalen Beziehun-gen werden entmilitarisiert, politische Konfliktlösungen und zivile Konfliktbearbei-tung werden in den Mittelpunkt internationaler Politik gestellt.

e. Die ODA-Steuerung (Finanzierung und Festlegung von Kriterien und Anrechenbar-keit) geht von der OECD an die VN über, um die Empfängerländer von entwick-lungspolitischen Transferleistungen enger an den strategischen Entscheidungen,

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die die Entwicklung in ihren Ländern betreffen, zu beteiligen.

6. alle Verhandlungen über Freihandelsabkommen sowie über die Wirtschaftspartnerschaftsab-kommen zu stoppen und neue entwicklungsförderliche Mandate zu formulieren.

Rede, 8.5.2014

Voraussetzung für eine nachhaltige Entwicklung ist eine aktive Friedenspolitik

Zu Protokoll gegebene Rede von Heike Hänsel zur Einbringung des SDG-Antrags derLinksfraktion (BT-Drucksache 18/1328)

Die Linke hat einen Antrag zur nachhaltigen Entwicklungsagenda eingebracht, die die VereintenNationen im Jahr 2015 verabschieden will, nach Ende der Millenniumsentwicklungsziele. Neuenachhaltige Entwicklungsziele für die Welt, sogenannte Sustainable Development Goals, SDGs.Nach viel Kritik am Zustandekommen und Charakter der Millenniumsziele sollen nun Ziele so uni-versell formuliert werden, dass sie auf den Süden ebenso wie auf den Norden angewandt werdenkönnen, die Verantwortung des Nordens soll verstärkt, und es sollen strukturelle Veränderungenangestrebt werden, um Armutsbekämpfung, Entwicklung und den Schutz der natürlichen Le-bensgrundlagen zu ermöglichen.

Insofern bietet dieser Prozess die Chance, eine breite Debatte über die Zukunft unserer Gesell-schaften zu initiieren – auch in Deutschland. Genau deshalb haben wir nun einen Antrag einge-bracht, weil diese breite Debatte bisher fehlt. Die Wirtschafts- und Finanzmarktkrisen der vergan-genen Jahre haben aber deutlich gemacht, dass diese Debatte dringend notwendig ist. Neue glo-bal geltende Nachhaltigkeitsziele müssen mit breiter Beteiligung der Zivilgesellschaft im Nordenund Süden entwickelt werden.

Deshalb schlagen wir ja auch vor, bundesweite öffentliche Foren unter Beteiligung von Entwick-lungsorganisationen, Gewerkschaften, sozialen Bewegungen, Umweltverbänden, Schulen, Univer-sitäten, Städte- und Gemeindetag zu organisieren, um die SDGs ins öffentliche Bewusstsein zurücken und Ideen, Vorschläge und Handlungsoptionen zu sammeln und aufzugreifen. Diese Wo-che, 5. bis 11. Mai, gibt es zum Beispiel eine weltweite Internetkampagne der Vereinten Nationen,sich mit Statements, Videoclips etc. zu den SDGs einzubringen. Doch wer weiß schon davon?Wenn wir aber unsere Lebens- und Wirtschaftsweise diskutieren wollen, dann geht das nur mitbreiter Beteiligung der Gesellschaft.

Wir haben den Antrag aber auch deshalb jetzt eingebracht, weil wir verhindern wollen, dass malwieder abstrakt über hehre Zukunftsziele diskutiert wird, währenddessen jetzt bereits neoliberaleWeichenstellungen getroffen werden, die weitreichende negative ökologische und soziale Auswir-kungen haben werden und die die Bevölkerung massiv bewegen. Ich spreche von den zahlreichengeplanten Freihandelsabkommen mit den Ländern Afrikas, Asiens und dem EU-USA-Freihandels-abkommen TTIP. Dazu gab es in den letzten Wochen zahlreiche Demonstrationen in verschiede-nen Städten.

Diese Abkommen werden nachhaltige Entwicklung verhindern, denn sie setzen auf dieselbe ex-portorientierte Wachstumsstrategie, die in der EU bereits zu einer tiefen Krise geführt hat.

Sie setzen zugleich die entwicklungspolitischen Strategien fort, die in den 1990er-Jahren als Struk-turanpassungsprogramme in den Ländern des Südens durchgesetzt wurden und dort seither eineselbstbestimmte Entwicklung verhindern und durch den Abbau staatlicher Basisversorgung undInfrastruktur staatliche Fragilität befördern.

Die bisherigen Vorschläge der Bundesregierung, die in die Open Working Group eingebracht wer-den sollen, sind uns bei weitem nicht ausreichend; auch dafür haben wir im Antrag einige konkreteVorschläge gemacht. Es geht uns generell darum, das Leitbild von Frieden, sozialer und ökologi-scher Gerechtigkeit zu verankern. Im Zentrum aller Bemühungen muss der Kampf gegen Hungerund Armut stehen, der Kampf um soziale Gleichheit. Hier unterstützen wir auch die Forderungen

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von Ländern wie Bolivien, die für eine weltweite Umverteilung von Gütern und Ressourcen eintre-ten.

Voraussetzung für eine nachhaltige Entwicklung ist eine aktive Friedenspolitik. Deshalb fordern wirim Antrag den Abbau von Rüstungsproduktion und -exporten und ferner, die Ausgaben für Rüs-tung zur Finanzierung dieser Entwicklungsziele in den Ländern des Südens heranzuziehen. Wirwollen die globalen Gemeinschaftsgüter, die sogenannten „commons“, für alle Menschen gleichverteilen. Dafür bedarf es in allererster Linie einer Veränderung unserer Lebensweise im Norden,und genau deshalb brauchen wir eine breite Beteiligung und Diskussion hier und jetzt.

Antrag, 21.5.2014

Hunger bekämpfen, Recht auf Nahrung stärken

Antrag der Abgeordneten Niema Movassat, Heike Hänsel, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken,Karin Binder, Christine Buchholz, Sevim Dağdelen, Dr. Diether Dehm, Annette Groth, Inge Höger, Andrej Hunko, Katrin Kunert, Stefan Liebich, Dr. Alexander Neu, Alexander Ulrichund der Fraktion DIE LINKE.

BT-Drucksache 18/1482

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Unterernährung und Hunger zählen nach wie vor zu den drängendsten Problemen der Mensch-heit. Auch wenn der Anteil der Hungernden an der Weltbevölkerung seit den 1990er Jahren zu-rückgeht, leiden nach aktuellem Welthungerindex der Ernährungs- und Landwirtschaftorganisationder Vereinten Nationen (FAO) noch immer 842 Millionen Menschen Hunger. Legt man der Be-rechnung einen der Lebensrealität der Menschen in Entwicklungsländern angemessenen Kalo-rienbedarf zugrunde, steigt diese Zahl auf 1,3 Milliarden, das sind mehr als 18 Prozent der Weltbe-völkerung. Zudem verläuft die Entwicklung regional höchst unterschiedlich. Während in Südostasi-en und Lateinamerika die Zahl der Hungernden zwischen 1990 und 2013 zurückgegangen ist, istsie in Subsahara-Afrika von 173 auf 223 Millionen Menschen angestiegen. Daher begrüßt derDeutsche Bundestag die Ankündigung der Bundesregierung, die Hungerbekämpfung zumSchwerpunkt ihrer entwicklungspolitischen Bemühungen zu machen.

1. Um die wachsende Weltbevölkerung ernähren zu können, hat die Bundesregierung dieSteigerung der landwirtschaftlichen Produktion in den Entwicklungsländern als zentraleHerausforderung identifiziert. Dabei setzt sie vor allem auf Technologietransfer und eineModernisierung der Landwirtschaft in den Entwicklungsländern. Dieser Fokus schlägt sichu.a. in der steigenden Bedeutung von Public-Privat-Partnership (PPP) Projekten – wie derGerman Food Partnership (GFP) und der G8 New Alliance – im Rahmen der deutschenEntwicklungszusammenarbeit nieder. Während deutsche Unternehmen den Kampf gegenden Hunger dazu nutzen können, ihre Geschäftsfelder auszuweiten und neue Absatzmärk-te zu erschließen, ist der Erfolg von PPP-Projekten bei der nachhaltigen Hungerbekämp-fung bisher jedoch weder belegt noch gesichert. Sie drohen vielmehr den vom Bundesmi-nisterium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) formulierten An-spruch, „Entwicklungsländer dabei zu unterstützen, eigene Strukturen aufzubauen“ zu kon-terkarieren.Wer das Menschenrecht auf Nahrung zum Ausgangspunkt seines Handels macht, mussdemgegenüber die Zusammenarbeit mit marginalisierten Gruppen, die besonders vonHunger bedroht sind, forcieren. Dazu zählen nicht zuletzt die Frauen, die den Großteil derlandwirtschaftlichen Arbeit verrichten und gleichzeitig besonders stark unter Hunger leiden.Eine nachhaltige Hungerbekämpfung muss die Bedürfnisse der lokalen Bevölkerung vorOrt in den Mittelpunkt stellen und lokal vorhandene Initiativen sowie an deren Ansprücheadaptierte Technologien fördern. Dies ist eine zentrale Schlussfolgerung des Weltagrarbe-

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richtes, den die Bundesregierung leider immer noch nicht unterzeichnet hat.

2. Kleinbäuerinnen und Kleinbauern, Kleinfischerinnen und Kleinfischer, Pastoralistinnen undPastoralisten stellen nach wie vor die Ernährung eines Großteils der Weltbevölkerung si-cher – so stammen in Asien und Afrika rund 80 Prozent der Nahrungsmittel aus kleinbäuer-licher Produktion. Zudem sichern kleinbäuerliche Strukturen wertvolle Arbeitsplätze in denLändern des Südens, auch da es an alternativen Beschäftigungsmöglichkeiten mangelt.Daher ist deren Aufwertung im Rahmen der deutschen Entwicklungszusammenarbeit prin-zipiell zu begrüßen.Allerdings stehen bisher vor allem Bemühungen im Zentrum, Kleinbäuerinnen und Klein-bauern ein westliches, agrarindustrielles Modell aufzuzwingen. Teil dieser Strategie ist dieweitflächige Verbreitung von mineralischen Düngemitteln und kommerziellem Saatgutebenso wie die Einbindung der Kleinbäuerinnen und Kleinbauern in mehrstufige globaleWertschöpfungsketten, die an der Spitze von wenigen multinationalen Konzernen kontrol-liert werden. Dieser Weg einer Modernisierung der Landwirtschaft führt aber für viele Klein-produzentinnen und Kleinproduzenten zu einer Negativspirale aus Abhängigkeit undSchulden. Zudem ist er auch aus ökologischen Gründen nicht gangbar. Die industrielleLandwirtschaft verbraucht nach Berechnungen der ETC-Group (Action Group on Erosion,Technology and Concentration) bereits jetzt 70 Prozent der in der Landwirtschaft einge-setzten Energie, obwohl sie nur 30 Prozent der Nahrungsmittel produziert.Demgegenüber hat der Weltagrarbericht die Förderung einer ökologischen Landwirtschaftund den Aufbau kurzer Betriebswege als sinnvolle Lösung für kleinere bäuerliche Struktu-ren mit geringen Ressourcen sowie die aktuellen ökologischen und klimatischen Heraus-forderungen angeführt. Dieser Ansatz wurde zuletzt in einem Bericht des Ausschusses fürBildung, Forschung und Technologiefolgenabschätzung des Deutschen Bundestags bestä-tigt. Eine ökologische Produktion mit ihrem erhöhten Arbeitskräfteeinsatz kann zudem ei-nen wichtigen Beitrag zur Arbeitsplatzsicherung in den Entwicklungsländern leisten.

3. Bei der Hungerbekämpfung ist ein Fokus auf die Steigerung globaler Produktionsmengennicht zielführend. Bei einer effektiven und vollständigen Verteilung würden die weltweitenErntemengen nach Berechnungen der FAO bereits heute ausreichen, um 12 bis 14 Milliar-den Menschen zu ernähren. Eine wesentliche Herausforderung besteht daher darin, denZugang der ärmeren und mittellosen Bevölkerung zu Nahrungsmitteln sicherzustellen. Da-zu müssen lokale Infrastruktur und soziale Sicherungssysteme aufgebaut werden.Die meisten Hungernden befinden sich zudem nicht am Ende der Nahrungsmittelkette,sondern an ihrem Anfang. Es handelt sich meist um Menschen, die selbst im landwirt-schaftlichen Sektor oder der Fischerei tätig sind, jedoch nicht genügend Nahrungsmittelproduzieren oder Einkommen erzielen, um sich und ihre Familien zu ernähren. Für sie istdie Sicherung von Zugangsrechten zu Ressourcen wie Land, Saatgut und Wasser sowieder Aufbau lokaler Markstrukturen zentral, die ihnen ein regelmäßiges und verlässlichesEinkommen garantieren.Die Hungerbekämpfung darf drittens nicht auf die Losung „Hauptsache satt“ beschränktwerden. Ebenso wichtig ist der Zugang der Menschen zu nährstoffreicher, vitamin- und mi-neralhaltiger Nahrung, denn chronische Mangelernährung schränkt die physische und psy-chische Entwicklung ein.

4. Wie die Förderung von kleinbäuerlicher Landwirtschaft und Hungerbekämpfung zusam-mengebracht werden können, zeigen erfolgreiche staatliche Programme aus den Schwel-lenländern wie das „Fome Zero“ (Null-Hunger)-Programm in Brasilien, in dessen Ausarbei-tung die dortige Zivilgesellschaft stark eingebunden wurde. Der Aufbau sozialerSicherungsungssysteme und lokaler, kurzer Vertriebswege zwischen Produzierenden undKonsumierenden sind Kernstück dieses Programms. Die deutsche Bundesregierung sollteauch andere Staaten dabei unterstützen, ähnliche Programme in ihren Ländern aufzubau-en.

5. Anstatt eine stabile und nachhaltige Entwicklung des Agrarsektors in den Entwicklungslän-dern zu fördern, greifen Deutschland und die EU jedoch in vielerlei Hinsicht negativ in die

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Landwirtschaft von Entwicklungsländer ein:

a) Auch wenn die Exportsubventionen der EU-Agrarpolitik (GAP) abgebaut wurden, die-nen Nahrungsmittelexporte nach wie vor dazu, die strukturell angelegte und in vielfa-cher Hinsicht staatlich geförderte Überproduktion der deutschen und europäischenLandwirtschaft abzubauen. Exportorientierung ist zudem seit etlichen Jahren ein zentra-ler Bestandteil deutscher Agrarpolitik. Damit tragen Deutschland und die EU zur Zerstö-rung heimischer Märkte in den Ländern des Südens bei, die mit den Dumpingpreisender europäischen Fleisch- und Milchindustrie nicht konkurrieren können. Hier ist eineradikale Kehrtwende in der internationalen Handelspolitik notwendig. Lokale Märkte imSüden müssen vor Importfluten aus der Europäischen Union geschützt, das Recht derEntwicklungs- und Schwellenländern, Förderprogramme für die heimische Landwirt-schaft zu initiieren, gegen die neuen Vereinbarungen der Welthandelsorganisation ver-teidigt werden.

b) Wie das Statistische Bundesamt ermittelt hat, war der Flächenverbrauch Deutschlands2010 im Ausland höher als im Inland (18,2 Mio. ha vs. 14,7 Mio. ha). Einen wesentli-chen Anteil daran hat der Import von Futtermitteln und Agrartreibstoffen. Die Auswei-tung von Monokulturen im globalen Süden, die den ständigen Ausbau der deutschenFleischindustrie sichern und den Energiehunger Europas stillen sollen, führen zur Flä-chenkonkurrenz mit der dortigen Nahrungsmittelproduktion, zu Vertreibungen vonKleinbäuerinnen und Kleinbauern sowie Indigenen und zur Zerstörung der dortigenÖkosysteme.

c) Agrarmarktspekulationen und großflächige Landnahme (Landgrabbing) sind in den letz-ten Jahren stark in die öffentliche Kritik geraten. Dennoch beteiligen sich nicht nur deut-sche Unternehmen, Banken und Pensionskassen, sondern auch ausführende Organeder deutschen Entwicklungszusammenarbeit wie die Deutsche Investitions- und Ent-wicklungsgesellschaft mbH (DEG) nach wie vor an solchen Spekulationen und demmassiven Aufkauf von Land in Entwicklungsländern.

6. Bei der Hungerbekämpfung lassen sich grob zwei Zugänge unterscheiden: Ein Zugang fo-kussiert auf die Steigerung der globalen Produktionsmengen und ist von einer starken top-down Perspektive geprägt: Expertinnen und Experten sollen gemeinsam mit Regierungenund Unternehmen die Ernährung der Welt sicherstellen. Veränderungen sollen innerhalbexistierender (Weltmarkt-)Strukturen erfolgen, deren einzige sichere Gewinner (westliche)Konzerne sind. Demgegenüber setzt eine Politik, die dem Leitbild der Ernährungssouverä-nität und dem Recht auf Nahrung verpflichtet ist, darauf, Nahrungsmittel dort zu produzie-ren, wo sie auch benötigt werden. Sie will Entwicklungsländer dabei unterstützen, einen ei-genständigen Landwirtschaftssektor aufzubauen. Eine enge Zusammenarbeit mit der Zivil-gesellschaft ist dafür unabdingbar, gleichzeitig müssen strukturelle Veränderungen (bei-spielsweise bei der Regulierung des Welthandels aber auch der Ausrichtung der GAP) er-folgen. Diese notwendigen Veränderungen führen nicht zu einer Win-Win-Situation für alleAkteure und mögen auch die Profitmöglichkeiten deutscher Unternehmen in manchen Fäl-len einschränken, sie sind jedoch für eine erfolgreiche Bekämpfung des Hungers, den Auf-bau einer nachhaltigen, sozial inklusiven Nahrungsmittelversorgung und der Verwirklichungdes Menschenrechts auf Nahrung unabdingbar.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. Ernährungssouveränität zum Leitbild der deutschen Entwicklungs- und Agrarpolitik zu ma-chen und in diesem Sinne:

a) die Kleinbäuerinnen und Kleinbauern, Kleinfischerinnen und Kleinfischer,Pastoralistinnen und Pastoralisten sowie Landlose und nicht die deutschen Konzerneals Partner der deutschen Entwicklungszusammenarbeit zu verstehen,

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b) Projekte der Privat-öffentlichen Partnerschaft (PPP) wie die German Food Partnership(GFP) kritisch zu evaluieren, bis dahin zu stoppen und aus der „G8 New Alliance“ aus-zusteigen,

c) die Selbstversorgung in den Partnerländern und nicht ihre Integration in internationaleWertschöpfungsketten als oberstes Ziel anzusehen,

d) die Rechte von Frauen weltweit zu stärken,e) von Schwellen- und Entwicklungsländern zu lernen, die bereits jetzt durch staatliche

Programme wie „Fome-Zero“ in Brasilien kleinbäuerliche Produktion und Hungerbe-kämpfung auf lokaler Ebene zusammen bringen,

f) den Weltagrarbericht zu unterzeichnen, sich an seiner Fortschreibung finanziell zu be-teiligen und dessen Empfehlungen bezüglich einer Neuorientierung von Agrarpolitik undAgrarforschung umzusetzen,

g) das Committee on World Food Security (CFS) als das bisher demokratischste undpartizipativste globale Gremium für Ernährungssicherungsfragen zu stärken und ge-genüber anderen Organisationen wie der WTO aufzuwerten;

h) die Mittel für ländliche Entwicklung in der Entwicklungszusammenarbeit deutlich zu er-höhen.

2. kleinbäuerliche Strukturen in den Entwicklungsländern nachhaltig zu stärken und in diesemSinnea) die lokalen Bedürfnisse der Kleinbäuerinnen, Kleinbauern, der Kleinfischerinnen und

Kleinfischer, der Pastoralistinnen und Pastoralisten sowie der Landlosen ins Zentrumder Hungerbekämpfung zu stellen,

b) lokalen Lösungen wie der Förderung angepassten Saatguts Vorrang vor groß-technischen Interventionen zu geben und den Einsatz von gentechnisch verändertenOrganismen (GMOs) in der Entwicklungszusammenarbeit zu verbieten,

c) den Austausch von Know-how zu verstärken und vor Ort zugleich lokales Wissen zunutzen und zu fördern,

d) insgesamt agrarökologischen Ansätzen den Vorrang vor agro-industriellen Lösungen zugeben, Förderungs- und Forschungsgelder im landwirtschaftlichen Bereich in diesemSinne massiv umzuleiten,

e) Initiativen zum Aufbau kollektiver Strukturen wie Produktions- und Vertriebs-Genossenschaften zu unterstützen,

f) sowohl die individuellen als auch die kollektiven Rechte von Kleinbäuerinnen undKleinbauern, von Kleinfischerinnen und Kleinfischer, von Pastoralistinnen undPastoralisten sowie von Indigenen in ihren Ländern zu stärken und dazu beizutragen,dass ihre gesellschaftspolitische Marginalisierung und rechtliche Benachteiligung been-det werden;

3. stabile Rahmenbedingungen für den Aufbau eigenständiger landwirtschaftlicher Strukturenin den Entwicklungsländern herzustellen und in diesem Sinnea) sich für die Stärkung der Landrechte von Kleinbäuerinnen und Kleinbauern sowie Indi-

genen in diesen Ländern einzusetzen und – wenn nötig – für Landreformen einzutreten,b) dem Aufbau lokaler Märkte hohe Priorität einzuräumen,c) Landgrabbing-Praktiken durch und unter Beteiligung deutsche(r) Unternehmen zu be-

enden, z.B. durch die Einrichtung von Monitoring-Stellen in den jeweiligen Botschaften,und sich dafür einzusetzen, dass diese die „Voluntary Guidelines on the ResponsibleLand Tenure of Land, Fishery and Forests“ der FAO verpflichtend einführen,

d) dafür zu sorgen, dass die DEG ihre Verträge mit Geschäftspartnern offenlegt und ihreArbeit strikt an die Einhaltung von Menschenrechts- und Umweltstandards bindet,

e) auf die Stabilisierung der Weltmarktpreise für agrarische Rohstoffe und die Beendigungder Spekulation mit Nahrungsmitteln hinzuwirken;

4. zu vermeiden, dass die entwicklungspolitische Zielsetzung, den Hunger in der Welt zu be-seitigen, durch Maßnahmen in anderen Politikbereichen (wie Agrar-, Energie- oder Han-delspolitik) kontrakariert werden, und in diesem Sinne

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a) den Import von Futtermitteln aus Drittstaaten schrittweise zu reduzieren,b) Exportfördersubventionen und Exportförderinitiativen insbesondere in Entwicklungslän-

der ersatzlos abzuschaffen,c) sich für ein EU-Importverbot von Biomasse, die neben der Agrar-treibstroffproduktion in

immer mehr Wirtschaftszweigen ihren Einsatz findet, einzusetzen,d) sich in der EU für den Stopp der Verhandlungen über Freihandels- und Wirtschaftspart-

nerschaftsabkommen einzusetzen und grundsätzlich vor dem Abschluss von Handels-abkommen sicherzustellen, dass diese die Partnerländer nicht daran hindern, Pro-gramme zur Förderung der heimischen Landwirtschaft zu etablieren und ihre Agrar-märkte vor Importwaren zu schützen,

e) innerhalb der EU für die Einrichtung einer Beschwerdestelle einzutreten, in der Dritt-staaten Klagen einbringen können, wenn sie ihr Recht auf Ernährungssicherung durchdie EU verletzt sehen,

f) sich im Rahmen UNO für eine Monitoring-Stelle einzusetzen, die darüber wacht, dassinternationale Verträge und Abkommen den Prinzipien der Ernährungssouveränität unddem Recht auf Nahrung nicht zuwider laufen,

g) eine Kehrtwende in der Klimapolitik voranzutreiben.

Antrag, 4.6.2014

Verhandlungen über die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (EPA) – Neustart oh-ne Drohungen und Fristen

Antrag der Abgeordneten Heike Hänsel, Niema Movassat, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken,Christine Buchholz, Sevim Dağdelen, Dr. Diether Dehm, Annette Groth, Inge Höger, Andrej Hunko, Katrin Kunert, Stefan Liebich, Dr. Alexander Neu, Thomas Nord, Azize Tank, Ale-xander Ulrich und der Fraktion DIE LINKE.

BT-Drucksache 18/1615

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Europäische Union (EU) will bis Herbst 2014 die Verhandlungen, die sie seit 2002 mit afrikani-schen Ländern über Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (engl. Economic Partnership Agree-ments, EPAs) führt, abschließen. Mit dem Abschluss der EPAs sollen sich die afrikanischen Län-der u. a. zum Abbau von Import- und Exportzöllen und zur Liberalisierung ihrer öffentlichen Be-schaffungsmärkte verpflichten. Damit würden wichtige entwicklungspolitische Steuerungsmöglich-keiten der afrikanischen Regierungen zugunsten des freien Marktzugangs für europäische Kon-zerne preisgegeben.

Um dies zu erreichen, setzt die EU erheblichen wirtschaftlichen Druck ein: Länder, die bis zum 1.Oktober 2014 kein Abkommen abschließen, verlieren für ihre Exportprodukte den bisherigen präfe-renziellen Zugang zum EU-Markt, sofern ihnen nicht andere Präferenzen wie in der InitiativeEverything but arms für die am wenigsten entwickelten Länder eingeräumt werden.

Der Druck wurde für die Länder mittleren Einkommens (nach Weltbank-Kategorisierung) zusätzlichdadurch erhöht, dass erst vor kurzem eine Reform des Allgemeinen Präferenzsystems (APS) derEU die Einkommensschwelle für Handelspräferenzen deutlich herabgesenkt hatte. Diese Staatenwürden also eine erhebliche Verteuerung ihrer Waren auf ihrem wichtigsten Absatzmarkt, der EU,riskieren, wenn sie nicht fristgerecht EPAs abschließen.

Dieser Zusammenhang verdeutlicht das wesentliche Merkmal der EPA-Verhandlungen: die großeAsymmetrie zwischen den Verhandlungspartnern, die es der EU ermöglicht, auch auf solchen For-derungen zu bestehen, die bei den afrikanischen Regierungen auf erhebliche Ablehnung stoßen.

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Ein Bespiel dafür ist die Forderung der EU nach Beseitigung bestehender bzw. Verbot künftigerExportsteuern, mit denen die afrikanischen Länder den Export ihrer Rohstoffe verteuern, um sie inden Aufbau der einheimischen Industrie zu lenken. Entsprechend ihrer Rohstoffstrategie will dieEU auf diese Weise ihren Konzernen den ungehinderten Zugriff auf die Rohstoffe in Afrika ermög-lichen.

Damit unterläuft die EU die Industrialisierung in Afrika. Die Folge ist, dass die kolonial entstandeneStruktur der internationalen Arbeitsteilung zwischen industrialisierten Ländern im Norden auf dereinen und Rohstofflieferanten im Süden auf der anderen Seite konserviert wird. Betroffen sind da-von gerade solche Länder, die bereits eine zaghafte Industrialisierung in Gang setzen konnten. Sieverlieren nun entweder Marktzugangserleichterungen in der EU oder die Souveränität über denEinsatz ihrer Rohstoffe.

Die afrikanischen Länder befürchten außerdem dass die Vielzahl der unterschiedlichen Abkom-men, die die EU entweder bereits abgeschlossen hat oder anstrebt abzuschließen, eine Bedro-hung für die regionale wirtschaftliche Integration auf ihrem Kontinent darstellt.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, sich in der Europäischen Union dafüreinzusetzen, dass

die Handelspolitik der EU an dem Ziel ausgerichtet wird, die selbstbestimmte Entwicklung,industrielle Wertschöpfung, Ernährungssouveränität und regionale Integration in den Län-dern des Südens zu unterstützen,

die Reform des Allgemeinen Präferenzsystems und unilaterale Fristsetzungen, mit denendie afrikanischen Staaten vor die Wahl gestellt werden, ein für sie schädliches Abkommenzu unterzeichnen oder Marktzugang zur EU zu verlieren, rückgängig gemacht werden undder präferenzielle Marktzugang für alle AKP-Staaten (Staaten Afrikas, der Karibik und desPazifik) über den 1. Oktober 2014 hinaus sichergestellt wird, unabhängig davon, ob sie einEPA abschließen oder nicht,

alle Möglichkeiten geprüft werden, wie den afrikanischen Staaten weiterhin Handelspräfe-renzen ohne Gegenseitigkeit eingeräumt werden können,

die Verhandlungen über die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen gestoppt und neue ent-wicklungsförderliche Verhandlungsmandate formuliert werden, die auf Liberalisierungs- undPrivatisierungsforderungen ebenso verzichten wie auf den Abbau von Exportbeschränkun-gen und die einen Mechanismus verankern, der fortlaufend die Auswirkungen der Abkom-men auf die Achtung der Menschenrechte kontrolliert.

Begründung:

Die afrikanischen Staaten als Teil der AKP-Staaten (Afrika, Karibik, Pazifik) waren nach ihrer Un-abhängigkeit zunächst durch das Abkommen von Lomé und ein einseitiges Präferenzabkommenmit der EU verbunden. Sie konnten ihre Produkte zu vergünstigten Bedingungen auf den EU-Marktexportieren, ohne der EU dieselben Vergünstigungen einräumen zu müssen.

Nach dem Jahr 2000 machten neue Vorgaben der Welthandelsorganisation (WTO) eine Neurege-lung der Handelsbeziehungen zwischen der EU und den AKP-Staaten notwendig. Gefordert warvon der WTO die weitgehende Gegenseitigkeit von Präferenzen. Das Abkommen von Cotonouzwischen EU und AKP aus demselben Jahr formulierte den Auftrag, WTO-konforme Wirtschafts-partnerschaftsabkommen (EPAs) zu verhandeln.

Die EU formulierte in ihrem Verhandlungsmandat allerdings wesentlich weitergehende Forderun-gen, die nicht von der WTO vorgegeben waren, etwa hinsichtlich der Liberalisierung von öffentli-chen Beschaffungsmärkten oder der Beseitigung bzw. Verbot von Exportsteuern.

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Während die karibischen Staaten im Jahr 2007 mit der EU ein vollständiges EPA abschlossen,waren die afrikanischen Staaten lediglich zum Abschluss von Interimsabkommen bereit, die dieAbsenkung der Importzölle regeln, andere Forderungen der EU aber außen vor ließen. In der da-rüber hinausgehenden Verhandlungsagenda der EU sehen die afrikanischen Länder einen Angriffauf ihre politische Souveränität.

Zuletzt hatten sich die Mitgliedstaaten der Afrikanischen Union (AU) auf ihrem Gipfel im Januar2014 kritisch zu den EPAs geäußert. Entgegen ihrem ausdrücklichen Wunsch wurden die EPAsnicht auf die Tagesordnung des EU-Afrika-Gipfels im April 2014 gesetzt. Die EU setzt anstatt aufDialog weiterhin auf Druck. Sie hat eine Frist gesetzt, bis zu der EPAs abgeschlossen werden sol-len. Anderenfalls drohen einige afrikanische Länder Handelspräferenzen auf dem EU-Markt zu ver-lieren. Auch diese Maßnahme ist seitens der afrikanischen Verhandlungspartner auf Kritik gesto-ßen.

Dennoch hat der wirtschaftliche Druck Wirkung erzielt. Nach der Vereinbarung eines EPAs mit ei-ner Gruppe von vier ostafrikanischen Staaten im Jahr 2011 hatte zuletzt die WestafrikanischeWirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS) angekündigt, ein Abkommen abzuschließen. Allerdings istder Abschluss noch keineswegs gesichert. Umso weniger, als dem Bundestag noch kein para-phierter Text des Abkommens vorliegt.

Währenddessen verweisen entwicklungspolitische Organisationen auf alternative Möglichkeiten,den afrikanischen Staaten WTO-konform Handelspräferenzen ohne Gegenseitigkeit zu gewähren,etwa durch die Anwendung der Kriterien für die Everything but arms Initiative auf ganze Regionenanstatt auf einzelne Staaten. Solche Möglichkeiten wurden bislang seitens der EU ohne Prüfungverworfen.

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Der Entwicklungspolitische Rundbrief wird herausgegeben von:

Heike Hänsel, MdB Niema Movassat, MdB

Entwicklungspolitische Sprecherin der Frak-tion DIE LINKE und Vorsitzende des Unter-ausschusses Vereinte Nationen, internatio-nale Organisationen und Globalisierung

Sprecher für Welternährung, Obmann derFraktion DIE LINKE im Ausschuss für Wirt-schaftliche Zusammenarbeit und Entwick-lung

Deutscher Bundestag

Platz der Republik 1

11011 Berlin

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Telefon: 030 227-73179

Fax: 030 227-76179

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Fax: 030 227-76663

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Mitarbeiter/innen:

Carlos Hainsfurth

Harald Neuber

Henning Zierock

Mitarbeiter/innen:

Dr. Birgit Bock-Luna

Andreas Grünewald

Manuel Faber

Nicolai Röschert

Dr. Alexander King, Referent für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

Telefon: 030 227-52802

[email protected]