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Epileptische Anf~ille nach Schiideltrauma mit besonderen Stirnhirnmechanismen. Von Dr. Georg Herrmann und Dr. Ernst Wodak. (Aus der Deutschen Psychiatrischen Klinik [Prof. O. PStzl] in Prag.) (Eingegangen am 5. Mai 1925.) In der Innsbrucker Jahresversammlung berichtete O..Foerster 1) fiber Hyperventilationsversuehe bei Epilepsie, wobei auf die Hyper- ventilation mehr als die Hi~lfte der so Untersuchten mit einem epilep- tischen Anfall reagierte. J~hnlich wie bei der Carotidenkompression konnte auch hier die Feststellung gemacht werden, dab im einzelnen Falle das ~uBere Gepri~ge des durch die Hyperventilation erzeugten epileptischen Anfalles bis ins Detail das des bei diesen Kranken spontan auftretenden Anfalles widerspiegelte. Dabei zeigte sich, dab oft selbst bei sog. genuinen Epileptikern sowohl der Anfang wie der Ablauf der Anfi~lle auf einen ganz bestimmten corticalen Fokus oder an ganz bestimmte Rindenfelder als Ausgangspunkt des zur Entladung fiihren- den Rindenvorganges hinweist. O. Foerster hat auf Grund dieser Beob- achtungen die Horsleysche Operation ausgefiihrt und damit be- merkenswerte Resultate erzielt. Im folgenden soll fiber einen derartigen Fall yon Rindenexstirpation nach Horsley berichtet werden, bei dem das Rindenzentrum yon anderen Gesichtspunkten ausgehend bestimmt wurde. Wir haben schon auf die bekannte Tatsache einmal hingewiesen, dab ein ~ul~erer l~eiz, wenn er so trifft, dab er einer innerlich gegebenen Situation ent- gegenkommt, anfallsauslOsend wirkt2). Der hier geschilderte Fall zeigte eine derartige BeeinfluBbarkeit durch Vestibularisreizung. Da aber andererseits durch das Trauma und die anderweitige Symptomato- logie die Lokalisation im Stirnhirn gegeben war, ergaben sich uns hier bisher unbekannte Stirnhirnmechanismen. 1) Verhandlungen der Gesellschaft deutscher Nerveni~rzte, 14. Jahresver- sammlung, S. 155. 2) Med. Klinik 1924, Nr. 44.

Epileptische Anfälle nach Schädeltrauma mit besonderen Stimhirnmechanismen

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Page 1: Epileptische Anfälle nach Schädeltrauma mit besonderen Stimhirnmechanismen

Epileptische Anf~ille nach Schiideltrauma mit besonderen Stirnhirnmechanismen.

Von

Dr. Georg Herrmann und Dr. Ernst Wodak.

(Aus der Deutschen Psychiatrischen Klinik [Prof. O. PStzl] in Prag.)

(Eingegangen am 5. Mai 1925.)

In der Innsbrucker Jahresversammlung berichtete O..Foerster 1) fiber Hyperventilationsversuehe bei Epilepsie, wobei auf die Hyper- ventilation mehr als die Hi~lfte der so Untersuchten mit einem epilep- tischen Anfall reagierte. J~hnlich wie bei der Carotidenkompression konnte auch hier die Feststellung gemacht werden, dab im einzelnen Falle das ~uBere Gepri~ge des durch die Hyperventilation erzeugten epileptischen Anfalles bis ins Detail das des bei diesen Kranken spontan auftretenden Anfalles widerspiegelte. Dabei zeigte sich, dab oft selbst bei sog. genuinen Epileptikern sowohl der Anfang wie der Ablauf der Anfi~lle auf einen ganz bestimmten corticalen Fokus oder an ganz bestimmte Rindenfelder als Ausgangspunkt des zur Entladung fiihren- den Rindenvorganges hinweist. O. Foerster hat auf Grund dieser Beob- achtungen die Horsleysche Operation ausgefiihrt und damit be- merkenswerte Resultate erzielt.

Im folgenden soll fiber einen derartigen Fall yon Rindenexstirpation nach Horsley berichtet werden, bei dem das Rindenzentrum yon anderen Gesichtspunkten ausgehend bestimmt wurde. Wir haben schon auf die bekannte Tatsache einmal hingewiesen, dab ein ~ul~erer l~eiz, wenn er so trifft, dab er einer innerlich gegebenen Situation ent- gegenkommt, anfallsauslOsend wirkt2). Der hier geschilderte Fall zeigte eine derartige BeeinfluBbarkeit durch Vestibularisreizung. Da aber andererseits durch das Trauma und die anderweitige Symptomato- logie die Lokalisation im Stirnhirn gegeben war, ergaben sich uns hier bisher unbekannte Stirnhirnmechanismen.

1) Verhandlungen der Gesellschaft deutscher Nerveni~rzte, 14. Jahresver- sammlung, S. 155.

2) Med. Klinik 1924, Nr. 44.

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Der Fal l wurde seines Ver le tzungsmechanismus wegen (Carbid-

lampenexplosion) zusammen mi t anderen solchen F~llen yon H o m e r 1) aus der Chirurgischen Kl in ik verSffentl icht; die dort angeffihrte K r a n k e n -

geschichte sei hier mi t Riicksicht auf die Wicht igkei t des anfi~nglichen Nervenbefundes wiedergegeben :

A.Z., 15j~hriger G~rtnerlehrling, aufgenommen 17. II. 1920. Die Begleit- person des im somnolenten Zustande eingelieferten Knaben sagt aus, dal3 die Ver- letzung vor 2 Tagen durch Explosion einer Acetylenlampe entstanden sei, wobei der Knabe umgefallen und durch mehrere Minuten bewuBtlos gewesen sei. Neben ihm lag der Brenner der Lampe, w~hrend die fibrigen Bestandteile derselben intakt waren. Der Knabe hatte mit der brennenden Lampe gespielt, als die Explosion erfolgte. Bei der Einbringung benommen. Etwa 2 cm fiber der linken Margo supraorbitalis und oberhalb des inneren Augenwinkels findet sich eine fast rund- liche 1 : 0,6 cm grol3e perforierende Hautwunde mit darunterliegendem erbsen- groi3en Defekte des Stirnbeines. Die Umgebung der Wunde zeigt einen schmalen Verbrennungssaum. Aus der Wunde selbst entleeren sich einzelne Hirnpartikel- chen. Temperatur friih 38, abends 39,2 ~

Neurologischer Befund: Leichte Nackenstarre. Facialis im Mundast rechts etwas schw~cher als links. Sowohl die erhobenen oberen wie auch die unteren Extremit~ten fallen schlaff herab, doch rechts kraftloser. Diagnose: Meningitisches Zustandsbild mit rechtsseitiger Hemiparese. Lumbalpunktion ergibt h~morrha- gisch getriibten Liquor, Zellvermehrung. Keine Mikroorganismen, kulturell steril. Die Einwilligung der Eltern zu dem beabsichtigten Debridement war nicht zu erlangen, weshalb wir uns zun~chst zu konservativem Verhalten gezwungen sahen. 19. II. Befinden besser. Pat. reagiert auf Anruf, Parese im reehten Arm und Bein etwas gebessert. Okulistisch: Beiderseits Fundus und Papillen normal. RSntgen- bild zeigt weder einen FremdkSrper noch Knochensplitter. 23. II. Pat. noch immer etwas schlafstichtig, L~hmungserscheinungen betr~tchtlich zuriickgegangen, dabei der Arm mehr betroffen als das Bein. Schw~che des rechten Mundfacialis, die gegenw~rtig die sti~rkste Sch~digung darstellt. Im weiteren Verlaufe wird das Sensorium immer freier, und es bleibt nur die geringe Facialisdi//erenz bestehen. 2. III. In h~usliche Pflege entlassen.

Neuerliche Aufnahme am 13. IV. wegen Kopfschmerzen und epileptiformen Anfallen, die etwa 3 Wochen nach der Entlassung auftraten. In den 7 Tagen yon der Aufnahme bis zur Operation werden 5 Anf~lle leichterer Natur beobachtet, die in tonischen Krampfen des linken Armes und weniger des linken Beines yon 3--5 Min. langer Dauer mit Bewu]tlosigkeit bestehen. Der An/allstypus war also schon in der Phase der traumatischen Fri~hepilepsie ein homolateraler zur Seite der Verletzung. Temperatur normal. Puls zwischen 80 und 100. Elschnig land ophthalmoskopisch eine Neuritis n. optici links. 21. IV. Operation (Schlo//er): Er- 5ffnung des Seh~dels etwas nach aul3en yore EinschuB, um die StirnhShle zu ver- meiden. Bei Erweiterung der Knochenliicke gegen den Einschu[3 hin entleert sich Eiter. Es handelt sich um einen am vorderen Pole des Stirnhirns sitzenden klcinnul3gro]en AbsceB. Drainage der AbsceBh0hle. Der Knabe erholt sich bei glattem Wundverlaufe. Die epileptischen Anf~lle haben sich bis zur Ent- lassung (2. VI. 1920) nicht mehr wiederholt.

Zu erg~nzen ist hier noch die erst bei einer spiiteren Beobachtung gegebene Schilderung seines ersten Anfalles: Gleich nach der Ver- le tzung habe er gedacht, er sei im Himmel , er habe Verstorbene gesehen,

1) Bruns' Beitr. z. klin. Chir. 124, 198. 1921.

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Heilige usw. Beim ersten Anfall habe er das Geffihl gehabt , dal~ das

Ende der Wel t komme. Es sei dunkel gewesen (bei Tag), er sei u m

einen k le inen Teich vielleicht 6rea l herumgelaufen, habe nu r immer

Ti t i t i sprechen kOnnen und dazu drohende Bewegungen mi t der rechten

H a n d gemacht . D a n n sei er zusammengest i i rzt . Auffal lend ist, da$

diese psychische StOrung nach der Verletzung stark an den gewOhn-

lichen I n h a l t eines epileptischen Delir iums e r inner t ; andererseits ent- h~lt sie in der SprachstOrung doch Hinweise auf den Ort der L~sion.

Vielleicht zeigt sich so bereits, dal~ hier eine konst i tu t ionel le Dispo-

sit ion mi twirkt , die dar in gegeben ist, da$ ein mi t 16 J ah ren vers torbener Bruder an Epilepsie l i t t .

Im selben Jahre (1920) wurde der Kranke ein 3. Mal wegen neuerlicher Anfalle zur Klinik aufgenommen. Die Anf~lle traten ohne Aura auf. Zuerst Krampfe in beiden Handen, die sich auf Unter- und Oberarm fortsetzten, zuletzt die Ge- sichtsmuskulatur betrafen. Auf Brom-Luminalbehandlung blieben die Anf~lle aus.

Im Januar 1921 und Mai 1921 kam Pat. auf ktirzere Zeit in Beobaehtung der Chirurgischen Klinik. Er hatte wSehentlich 1--2 Anf~lle, die Frequenz der Anfalle wechselte sehr; die vorgeschriebene Behandlung hielt er nicht ein. Beim 2. Aufenthalt wurde eine Operation in Aussicht genommen; er entlief jedoch, und zwar, wie er spater behauptete, aus Angst vor der Operation. Die Anf~lle be- standen weiter, und zwar nach seiner Angabe bei seiner neuerliehen Aufnahme 1--2 mal wSchentlich. Sic begannen immer mit der Unf~higkeit, zu spreehen.

Am 12. VI. 1923 wurde er wieder zur chirurgischen Klinik aufgenommen. Er gab an, dab er in der letzten Zeit die Anf~lle h~nfiger habe (2--3 real wOchent- lich). Die Anfalle beginnen so, dal~ er ganz langsam die Fahigkeit, zu sprechen, verliere. Ein am 16. VI. 1923 beobaehteter Anfall hatte folgenden Verlauf: Pat. begann sich auszuziehen. Au/gefordert, etwas zu sprechen, konnte er es nicht. Er legt sich nieder, wendet den Kop/ nach rechts. Dana begannen Zuckungen im Kopf, dann in den Extremitaten. Babinski w~hrend und nach dem Anfall positiv; Pupillen maximal weit und reaktionslos.

Damals wurde Pat. zum erstenmal dutch einige Tage auf der Psychiatrischen Klinik beobachtet. (16. VI.) Cleich am Tage der Aufnahme hatte Pat. einen Anfall: Er winkte den anwesenden Arzt zu sich und sagte ihm, es sei ihm schlecht, er werde einen Anfa11 bekommen. Er ist hochrot im Gesicht und versucht weiter- zusprechen, bringt aber nur einzelne paraphasische Worte heraus, dann nur ein- zelne stotternde Laute. P15tzlich wir/t es den mittlerweile aufs Bert gelegten Pat. nach links, und im selben Augenblick macht er mit allen 4 Extremitditen Streck- und Beugebewegungen. Pat. ist im iibrigen reaktionslos. P15tzlich wirft er sieh mit einem Ruck naeh rechts herum, ohne dab die beschriebenen Bewegungen unterbrochen werden. Nach einigen Minuten hSren die Zuckungen ganz auf. Unterdessen hat er sich wieder nach links gedreht. Die Extremiti~ten sind ganz schlaff, nur ira Bereiche des linken Mund/acialis sind noeh regelmaBig isolierte Zuckungen zu beobachten, die in regelm~l~igen Zeitabst~nden folgen. Nach dem Anfall keine Pyramidenzeiehen. Am selben Tag wurde noeh ein 2. Anfall beob- achtet, der einen etwas anderen Verlauf hatte:

Ungefi~hr 10--15 Min. lang Zuckungen im Mundast des linken VII . , Pat. ist dabei vollst~ndig bei Bewu]3tsein, spricht verst/~ndlich (nach Name gefragt, wie es ihm gehe u. a.), antwortet auf Fragen, die Zuckungen erfolgen in geringen Zeitintervallen, naeh Art wie bei Reizung mit elektrischem Strom. Darauf dreht sich Pat. auf die rechte K5rperseite, es kommt zu Herumwerfen der Extremit~ten

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und des K6rpers, das bald einseitig (rechts) an Hemiballismus erinnert, bald wieder die Extremit~ten beider Seiten und den KSrper ergreift und so zu Schiittel- und W~lzbewegungen des ganzen K6rpers fiihrt, dazwischen klonische Zuckungen der Extremitaten, tonischer Krampf in der Kaumuskulatur (krampfhaftes Aufreil]en und SchlieBen des Mundes), krampfhafter LidschluI~ w~hrend des ganzen Anfalles; auf sensible Reize keine Reaktion. Nach Aufh6ren der motorischen Unruhe sind die Pupillen sehr weit, scheinen bei der ersten Priifung auf Licht nicht zu reagieren, um aber bei den darauffolgenden sofort prompte ausgiebige Reaktion zu geben. PSR., BDR. beiderseits sehr ]ebhaft ohne Differenz, kein Babinski.

Es wurde die Ind ika t i on zur Operat ion gestellt, da mi t Rficksicht

auf die motorische Aphasie und das aphasische S to t te rn als Aura- erscheinung eine loka.le Schi~digung in der N~he der 1. Fa zu ver-

m u t e n war.

Die Operation wurde am 2. VII. 1923 yon Schlo//er ausgefiihrt. Umschneiden eines nach oben konvexen zungenfSrmigen Weiehteillappens auf der linken Stirn- seite, dessen 31/2 Querfinger breite Basis 2 Querfinger fiber dem Augenbrauen- bogen liegt. Der hintere Rand des Weichteilschnittes verl~tuft knapp vor der Synostose zwischen Os ffontale und parietale. Nach Auseinanderziehen der Wund- r~nder und Beiseiteschieben des Periostes werden mit dem Martellschen Instru- ment 2 Bohrl6cher angelegt, yon denen aus ein kleinhandtellergroBer, nach oben konvexer Knochenlappen mit der Fri~se umschnitten wird. Die Basis des Knochen- lappens wird yon beiden Seiten mit dem MeiBel eingekerbt, worauf der Haut- Periostknoehenlappen nach unten umgebrochen wird. Im Bereiche der alten Trepanations6ffnung ist die Dura verdickt und mit den Knochenr~ndern fest verwaehsen. Die Verwachsungen werden scharf durchtrennt. Die iibrige sichtbare Dura scheint unver~ndert und zeigt normlae Spannung und geringe Pulsation. Umschneiden eines nach oben konvexen Durallappens und Abziehen desselben yon der Hirnoberfl~che, an derer stellenweise durch zarte Fi~den haftet. Die Hirnober- fl~che 6dematOs, in den Hirnfurchen finden sieh stellenweise weiflgraue Verdickungen oder Auflagerungen. Es scheint sieh aber um keinen spezifischen Prozefl zu han- deln. Nach Unterbinden einiger blutender Piavenen wird erst mit einer zarten, dann mit einer st~rkeren Hohlnadel nach links unten gegen das Brokasche Zen- trum punktiert. Man spfirt nirgends einen Widerstand, der auf einen Abscel3 oder eine AbsceBmembran schlieBen lieBe, auch kann kein Eiter aspiriert werden. Nun wird die im Bereiehe der alten Narbe gelegene verdickte Dura in der Aus- dehnung eines Daumennagels exstirpiert. Sie ist mit der darunterliegenden Hirn- oberfli~che innig verwachsen. Nach Freilegen zeigt diese eine besonders matsche Konsistenz und stellenweise rostbraune Verf~rbung (alte Blutung). Um einem Wiederverwachsen der Dura mit der Oberfl~che vorzubeugen, wird ein kinder- handtellergrol~er, 1--11/2 cm dicker, der vorderen Bauchwand entnommener Fett- lappen implantiert. Er wird allseits unter die Durarander geschoben und in dieser Lage durch eine Anzahl zarter Knopfni~hte festgehalten. Der nach unten ge- klappte zungenf6rmige Duralappen wird zuriick nach oben geschlagen, der Li~nge nach bis zu seiner Basis gespalten, worauf die beiden I-I~lften durch je eine zarte Naht an die seitlichen Wundr~nder der Dura befestigt werden. Dureh dieses Verfahren wird der implantierte Fettlappen in seiner Lage fixier~. Nach exak- tester Blutstillung wird der Haut-Periost-Knochenlappen nach oben zuriick- geschlagen und durch eine Anzahl yon Hautn~hten fixiert.

Nach der Operation eine .Blickliihmung, hauptsdchlich nach rechts und epileptische An/dlle. Dabei wurde folgendes beobachte t :

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3. VII. Pat. kann auf Kommando nicht nach reehts schauen, macht dann doch einen Ansatz, naeh rechts dem Finger zu folgen, aber nach kurzem ~ber- winden werden die Augen zurtickgedreht. Er spricht von einem elektrisehen Sehlag dabei. Nach links geht er nicht tiber die Mittellinie. Die Untersuchung wird mit der Lampe wiederholt und ergibt folgendes: Nach rechts geht der Bliek bis in die EndsteUung, etwas spi~ter kann er aueh den Bliek nach links wenden. In beiden Blickrichtungen /einwelliger Nystagmus (undulierend oder horizontal?). Nach 3 solchen Priifungen wird der Insult ausgelSst, AugenschluI~ und Rechts- drehung des Kopfes als Beginn. Beim Anfall Erheben der Hande in Adduktions- und Supinationsstellung.

10. VII. Pat. hatte heute um 5 Uhr naehmittags einen starken Anfall. Er stShnte erst und neigte den Kopf auf die linke Seite, dann hatte er durch ungefahr 1/2--1 Min. tonische Kr~mpfe, wobei er den Kopf auf die rechte Seite wendete. Sodann setzten einige klonisehe Zuckungen ein, und dann war der Anfall vortiber. Er hatte hernach noch eine Zeitlang immer ein Zucken im linken Facialisgebiet; zweimal ging dieses Zucken fiber die ganze linke K6rperhalfte. Er war ganz kurze Zeit ohne Bewul~tsein und klagte nach dem Anfall fiber Schmerzen an der ope- rierten Stelle. Von dem Anfall selbst wul]te er nichts.

Pat. bekam Nachmittag pl6tzlich Schmerzen in der Wunde und hernach ganz leiehte Klonismen in der rechten Hand, die 1/2 Stunde andauerten.

Die nach der Operat ion am 2. VII . aufgetretene Bliclcldhmung ging rasch zuri~ck und hinterlieB e inen/e inwel l igen Nystagmu8, der besonders

deut l ich beim Blick nach rechts auft ra t . Seiner Anfalle wegen wurde er am 15. VII. neuerlieh der Psychiatrischen

Klinik fibergeben. I-Iier hatte er durehschnittlich jeden 2. Tag einen Anfall. Die Anfalle zeigten folgenden Typus:

15. VII. Um 41/2 Uhr nachmittags: Zuerst ungef~hr in einem Intervall yon 1/2--1 Min. schnelle Zuckungen am linken Mundwinkel, die sich 4--5 real wieder- holen. Pat. l~l~t den Arzt rufen, sagt, er werde jetzt einen Anfall bekommen. Beim Erscheinen des Arztes ist Pat. bei vollem Bewul~tsein, antwortet auf Fragen korrekt. (Ob er die Zuckungen spfire ?) Gibt zur Antwort, dal~ er sie nieht sptire, verlangt, man solle ihn nach Hause entlassen; dort wtirden die Anfglle sieher weniger haufig auftreten. Sagt dann, er spi~re wie ein Ameisenlau/en au/der ganzen linken Zungenhdl/te. P16tzlich fi~ngt Pat. ganz unverstandlieh zu spreehen an wie ,,ta ta", das dauert einige Sekunden, dann dreht er den Kopf und K6rper nach reehts, so dab er auf der rechten K6rperseite zu liegen kommt. Die Augen sind dabei fest geschlossen. Darauf erhebt er den linken Arm in einem Winkel von ungefahr 70 ~ halt ihn so in tonischem Krampf, den Mund halt er krampfhaft ge6ffnet. Zwischendurch, wahrend er den Kopf immer mehr nach rechts dreht, so dal3 er mit dem w~hrend der ganzen AnfaUsdauer aufgerissenen Munde auf das Polster zu liegen kommt, kommt es in langeren Intervallen (10--15 Sek.) zu kurzen, blitzartigen Klonismen im linken Arm, dann zu rasch aufeinander- folgenden Schtittelbewegungen im Kopf und den Armen, am intensivsten im Kopf und in beiden Handgelenken, in letzteren zu sehr rasch aufeinanderfolgenden Volar- und Dorsalflexionen, geringe motorische Unruhe, strampelnde Bewegung in den unteren Extremitaten. W~hrend dieser Bewegungen, die nur wenige Sekunden dauern, liegt er verh~ltnismaBig ruhig auf der reehten K6rperseite. Pupillen rea- gieren beim Nachlassen der Unruhe auf Licht prompt und ausgiebig. Pat. f~ngt an zu sprechen, wiederholt mehrmals etwas monoton: ,,j~ pfid js ju domu". Naeh seinem Namen gefragt, antwortet er mit monotoner Stimme richtig, ebenso gibt er sein Alter an. Dann kommt er vollstandig zu sich, ist etwas erstaunt, dal~ er den Arzt neben sich sitzen sieht, erinnert sieh nieht, dal~ er kurz vorher nach

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etwas gefragt wurde, oder dab er etwas gesagt hiitte; weiB, dab er einen Anfall hatte.

Dieser Anfall weist einen hyster i formen Typus auf. Auch im fol- genden zeigte sich ein Zustand, der wohl kaum anders als hys ter i form bezeichnet werden kann, und der allem Ansehein nach psyehogen aus- gel6st worden ist.

6. VIII. liegt er zu Bette, dreht sich links, schlieBt den Mund, st6Bt einen Schrei aus, zuckt mit den Hi~nden. Als nach 5 Min. der Arzt hinzukommt, f/~hrt eine Zuckung durch den ganzen K6rper, eine Art Schiitteln, ganz abweichend yon der Art seiner sonstigen Anfiille. Nach Bericht des beobachtenden W/~rters begann der heutige Anfall nicht mit Zuckungen im Facialis, sondern gleich mit unregelm/~Bigen Zuckungen in den GliedmaBen. Dann hat es den ganzen K6rper gehoben.

Nach dem Anfall berichtet er, dab er tags vorher von einem Mitpatienten ge- ~chlagen worden sei, so dab er nicht mehr habe gehen kSnnen. Bald darauf bekam er wieder einen Anfall: Lief pl6tzlich ins Zimmer, waft sich aufs Bett, hatte dabei starke Schiittelbewegungen und konnte nicht sprechen, auch nicht die Zunge herausstreeken. Dieser Zustand von Mutismus bestand auch noch am n~chsten Tage: Er hatte den Mund halb often, machte 1/~chelnd Gesten und braehte die Zunge nicht vor die Zahnreihe. Er deutete durch eine Geste an, dab er nicht sprechen und die Zunge nicht herausbringen k6nne. Dieser Zustand wird zun~chst absichtlich nicht beeinflu6t, sondern weiter beobachtet; er bleibt am n~chsten Tage unver/~ndert.

Die Aufforderung, zu sprechen, beantwortet er nur mit den Gesten wie friiher. Zum Elektrisierapparat gefiihrt, /~uBert er zun/~chst Angst, 1/~6t sich aber dann willig elektrisieren. Es wird mit ganz schwachen Str6men der Hals ]aradisiert. Er beginnt so/oft nach ~]berwindung einer kleinen An/angsschwierigkeit zu spredhen.

Dieser hyster iforme Zus tand erinnert uns an friihere Beobach- tungen, die uns zeigten, auf welche Weise zuweilen psychische Elemente in den epileptischen Anfall hineinbezogen werdenl).

Andererseits ist es nach der yon Freud fiir die Neurosen nachge- wiesenen Tatsache des En tgegenkommens der Organe versti~ndlich, daI~ die psychogenen Krankheits/~ui~erungen nach einem psychischen Insul t die organisch vorgebildete Bahn besehreiten.

Es ist aber kaum anzunehmen, dai~ in diesen Vorg~ngen eine ge- w6hnliche Hysterie vorliegt. Aueh Feuchtwanger 2) (S. 63) spricht sich so aus, dab das psychisehe Verhalten bei St i rnhi rnerkrankung eine hysterische Note erh~lt, ohne dal~ man deshalb von einer hyster ischen (~berlagerung sprechen k6nnte. Er bezeichnet diesen Zus tand als hysteroid, weft t rotz der Ahnlichkeit der Erscheinungen mit echter Hyster ie weder rein ideagene (Wunseh!) noeh thymogene (Affekt!) Zfige nachweisbar seien. Die letztere Ansicht li~l~t sich auf das Verhal ten unseres Falles kaum ohne weiteres anwenden. Ahnlich sind auch die Ausffihrungen Poppelreuters, nach dem bei den St i rnhirnverletzten die produkt ive Hyster ie fehle (Anf/~lle, Sprachst(irung oder L/~hmungen).

1) Med. Klinik 1924, Nr. 44. ~) Die Funktionen des Stirnhirns. Springer.

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nach Schiideitrauma mit besonderen Stirnhirnmechanismen. 65

Dagegen hat P6tzl z) einen Fall von hysterischem Mutismus und hyste- rischer Astasie-Abasie nach Stirnhirnschul3 beschrieben.

Das Verhalten unseres Falles ist wohl eine psychische Fixierung und Verarbeitung des sonst als Aura auftretenden Zustandes. Es ver- wischt sich hier die scharfe Grenze zwischen NichtwollenkSnnen und NichtkSnnenwollen [Wagner-Jauregg~)]. In dieser Beziehung zeigen sich Verhi~ltnisse, die wir auch sonst bei Hirnkranken sehen, wie z. B. den StSrungen nach Encephalitis.

I m fibrigen mui~ man aber often lassen, wicweit die wie hysterisch aussehenden Anfalle gedeutet werden sollen. Jedenfalls sind sic in ihrem ganzen Verlauf und ihrer Erscheinungsweise analog aufgebaut den nachgewiesenerma~en epileptisehen. Sic zeigen manchmal ein ~hnliches Verhalten, wie es auch O. Foerster bei der Hyperventi lat ions- epilepsie beschreibt, der Anf~lle ablaufen sah, die nur in schwerster tonischer Streckstarre aller 4 Extremiti~ten und ausgesprochenem Opisthotonus von Kopf und Rficken und schwerem Trismus bestanden, die ~ul3erlich durchaus das Gepri~ge eines schweren hysterischen Anfalles trugen3).

Seit diesem scheinbar psychogen ausgelSsten 2t~gigem Mutismus vom 6. bis 8. VI I I . 1924 hat te Pat ient bis zu seiner Entlassung am 27. VI I I . an der Klinik keinen Anfall mehr.

Bei der subjektiven Beschreibung der Anfi~lle gibt er spontan an, er habe ein Kribbeln in der Zunge und ein Zittern in der rechten Hand gespiirt, w~hrend objektiv yore Zittern der H~nde in dieser Phase der Beobachtung nichts gesehen wurde.

Nach der Entlassung aus der Psychiatrisehen Klinik t ra ten die An- fi~lle wieder auf, zuerst ungefi~hr wOchentlich einmal, wurden aber sp~ter h~ufiger und sti~rker, bis sic zuletzt jeden 2. oder 3. Tag auf- traten. Er verlangte selbst eine neuerliche Operation. Die vom 25. IX. bis 6. XI I . erfolgte Beobachtung an der Psychiatrischen Klinik ergab ein Beobachtungsmaterial, das auf den FuB der 2. Frontalwindung als fokales Krampfzent rum hinwies:

28. IX. Um z/29 Uhr vormittags gab Pat. an, er glaube, es werde ein Anfall kommen, er spiire das an einem Schwindel. Sparer gab er an: Es sei ihm wie schlecht geworden, wie wenn er erbrechen miiBte; die Gegenst~nde seien immer auf einem anderen Ort, es sei alles wie umgekehrt gewesen, wenn er z. B. auf die Bilder der einen Seite geschaut habe, da seien die Bilder nicht dort gewesen, wie er z. B. auf die Tiire geschaut habe, da sei es ihm so geschienen, als ob die Tiire sehr weir entfernt gewesen sei, alles sei ihm sehr entfernt vorgekommen4).

1) Jahrbticher 1917. ~) Wien. med. Wochenschr. 1917. a) Ein analoger Anfall wurde iibrigens auch bei diesem Pat. durch Popper

und Sittig nach der Foersterschen Hyperventilationsmethode ausgelSst. 4) Metamorphopsie-i~hnliche Erscheinungen usw. einer Phase von Hemmung

des Nystagmus ? Z. f. d. g. Neur. u. Psych. XCVII I . 5

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66 G. Herrmann und E. Wodak: Epileptische Anfalle

Nach ca. 5 Min. bekam Pat. schnelle Zuckungen im linken Facialis, dann stie2 er unartikulierte Laute aus, wie t a t a , das dauert eine geraume Zeit an, auch wieder ca. 1--2 Min. Hierauf Streckung des rechten Armes, die passiv nicht allzu schwer zu iiberwinden ist, die rechte Hand wird zur Faust geballt, der Kopf etwas nach rechts gedreht, keine Blickdeviation, hierauf Streckung des linken Armes, dann tonische St.arre der unteren Extremitaten, die passiv schwer zu iiberwinden ist. W~hrend der ganzen Zeit stO•t Pat. diese Laute etwas krampfhaft aus, dann wird der Mund plStzlich weit aufgerissen, er dreht den ganzen KSrper nach rechts, und es erfolgen klonische Zuckungen am ganzen KSrper, die rasch hintereinander folgen und deu KSrper in heftige Schtittelbewegungen bringen. Am intensivsten ist die Halsmuskulatur betroffen; es kommt hier zu rasch aufeinanderfolgenden Niclcbeweg~ngen. Nach AufhSren der klonischen Zuckungen zeigt die sofort vor- genommene neurologische Untersuchung ziemlich weite Pupillen; bei Beleuchtung geht der Bulbus nach oben; die linke Pupille, die zuerst gepriift wird, zeigt eine ctwas trage und wenig ausgiebige Lichtreaktion; die darauf geprtifte rechte Pu- pille reagiert promptest und ausgiebig, ebenso dann die linke. Babinski rechts, BDR. rechts < links.

Von Anfang N o v e m b e r 1924 gab er an, dal~ er wiederhol t spiire, da[] ein Anfal l k o m m e n wird, dal~ der An/all sich aber nicht einstelle, sondern nut ein Zittern der rechten Hand, das o/t 10 Min. dauere, au/trete.

Als D a u e r s y m p t o m bes t and seit der l e tz ten Opera t ion ein mi t t e l - schl~igiger N y s t a g m u s be im Bl ick nach rechts .

Es war nun bemerkenswer t , daft man m a n c h m a l beobach ten konnte ,

daft der N y s t a g m u s dann , wenn der Tremor des rech ten Armes au f t r a t , grobsehl~igig und l angsamer wurde.

Vestibularapparat ( W. ). Der V e s t i b u l a r a p p a r a t des P a t i e n t e n war im ganzen norma l erreg-

bar , zeigte aber gewisse besondere Einze lhe i ten , die Schliisse pr inzi- piel ler Ar t , vor a l lem vom neurologischen S t a n d p u n k t e , ges t a t t e t en .

Von spon tanen ves t ibu la ren S y m p t o m e n bes t and hor izonta l - ro ta to r i seher Nys t agmus , mi t te lschlggig , besonders be im Bl ick naeh rechts . Wei te r s spon tane Abweich reak t ion [AbR.1)] im rech ten A r m nach l inks, im l inken A r m nach rechts , also ein dem N o r m a l e n ent- gegengese tz ter Typus2). Es gel ingt , durch Ka l t sp i i l ung des r ech ten

Ohres die spon tane AbR. des rech ten Armes naeh l inks zu ve rmindern , jedoch nicht , sie ins Gegentei l zu verwandeln . Die R o t a t i o n nach

1) Darunter verstehen wir das spontane symmetrische Auseinanderweichen der parallel vorgestreckten und ruhig sich selbst tiberlassenen Arme. Siehe dar- fiber Ngheres bei Mittelmann (Pfltigers Arch. f. d. ges. Physiol. 196, 531ff; 1922); Goldstein, (Zeitschr. f. d. ges. Neurol. u. Psychiatrie $9, 383); Goldstein-Riese (Klin. Wochenschr. 1923, S. 1201); Wodal~-M. H. Fischer (Monatsschr. f. Ohren- heilk, u. Laryngo-Rhinol. 1924, ~r. 5, S. 12) und Woda/c (Monatsschr. f. Ohren- heilk, u. Laryngo-Rhinol. 1925, Nr. 3).

2) Normalerweise pflegen die Arme nach au~en auseinander zu weichen. Der bei unserem Falle bcschriebene Typus kommt wohl auch bei Normalen vor, ist aber hier aus sparer zu erSrternden Griinden nicht als normaler, nur inver- tierter Typus anzusehen.

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nach Schlideltrauma mit besonderen Stirnhirnmechanismem 67

rechts, auch 10mal im schnellsten Tempo durchgeffihrt, vermag nicht, diese spontane Abl~. nach links zu fiberkompensieren.

Die hier zutage tretende spontane AbR. des rechten Armes nach links (innen) dtirfte etwa folgendermal]en zu erkl~rcn sein: Normaler- weise diirfen wir beim Halten der ruhig vorgestreckten Arme (Daumen nach oben) ein leichtes (~berwiegen des Streckertonus annehmen, das ja dann zur spontanen symmctrischen AbR. (Auseinanderweichen) der Arme ffihrt. Tr i t t nun ein vestibularer Reiz (z. B. Kaltspiilung rechts) hinzu, so bewirkt dieser Reiz an sich eine abnorme Verteilung des Tonus, u. a. in beiden oberen Extremiti~ten: 1Jberwiegen des Strecker- tonus im rechten, des Beugcrtonus im linken Arme. Diese Verteilung superponiert sich auf den bestehenden Tonus und fiihrt auf dem linken Arme zu Subtraktionscffekten (spontaner Auitentonus minus vesti- bularer Innentonus), auf dem rechten Arme zu Additionseffekten (spontaner Aul~entonus plus vestibularer Au3entonus). Hierdurch er- kli~rt sich die stiirkere AbR. des gleichseitigen Armes (Gi~ttich). Da nun in unserem Falle infolge der rechtsseitigen Halbseitenerscheinungen bereits eine andere abnorme Tonusverteilung in der rechten oberen Extremiti~t bestand, die zu einer besonders starken Innervation der Beuger des rechten Armes ffihrte, war der vestibulare Reiz nicht mehr imstande, diese Tonusverteilung wie normal zu beeinflussen. Es kam daher nurmehr zu einer algebraischen Summierung beider Effekte, niimlich Schw~chung des spontanen Innentonus im rechten Arme.

Bemerkenswert ist weiter, da[t trotz der bestehenden spontanen AbI~. des rechten Armes nach innen der Patient nach der Kaltspiilung der rechtes Ohres nach rechts yorbeizeigte, also in der normalerweise zu erwartenden Richtung. Spontan zeigte dagegen Patient im rechten Arme nach innen vorbei, also im Sinne der spontanen Abtr Dieses spontane Vorbeizeigen im rechten Arme nach innen ist wohl mit Sicher- heit auf die spontane AbR. zurfickzuffihren, ist daher rein extra- labyrinth~irer Natur und diagnostisch keineswegs verwendbar. Es ist eine neuerliche Besti~tigung der Ansichtl), dalt die spontane AbR. am Zustandekommen des spontanen Vorbeizeigens hauptsi~chlich be- teiligt ist. Es ist dies hier ein weiterer Spezialfall des von einem yon uns (Wodak) vertretenen Standpunktes, dal] man aus dem Ausfall des Zeigeversuches bei Hemiparesen keine generalisierenden Schlfisse ziehen dfirfte.

Dal~ es nach der Vestibularisreizung trotz Unkompensierbarkeit der spontanen AbR. trotzdem zum Vorbeizeigen in der typischen Richtung kam, ist vielleicht darauf zurtickzufiihren, dal~ beim Willkiirakt des

1) S. dariiber bei Wodak-M. H. Fischer (Monatsschr. f. Ohrenheilk. u. Laryngo- Rhinol. 1924, Nr. 5 u. 12); Wodak (Monatsschr. f. Ohrenheilk. u. Laryngo-Rhinol. 1925, Nr. 3).

5*

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68 G. Herrmann und E. Wodak: Epileptische Anfalle

Zeigens die Pr~valenz des spon tanen Innen tonus im rechten A r m e durchbrochen werden kSnnte .

Die R ich t igke i t de r hier ge~uBerten Ans ich t fiber die spon tane AbR. des rech ten Armes erfi~hrt eine wesent l iche Stf i tze im Befunde nach der Opera t ion . Dann war n~mlich die spon tane A b R . zum al ler- grSBten Teile ve rschwunden und es t r a t nach Ves t ibular i s re izung die typ i sche zu e rwar tende A b R . auf.

Von ganz besonderem In te resse is t abe r hier das Verh~l tnis des spon tanen N y s t a g m u s nach rechts zum spon tanen Sch i i t t e l t r emor der rech ten H a n d einersei ts und die Beziehungen be ider zum epileptisehen Anfal le anderersei ts . Bei den verschiedenen Un te r suchungen des P a t i e n t e n konn t en u . a . folgende h ierher gehSrende Befunde e rhoben werden :

31. X. 1924 spontaner Nystagmus nach rechts - - kein Schiitteltremor der rechten Hand.

17. XI.: Starker Tremor der reehten Hand - - kein Spontannystagmus! Spiilung des rechten Ohres erst mit 40, dann mit 100 ccm kalten (18 ~ Wassers bewirkt einen typischen epileptischen Anfall yon ca. 3 Min. Dauer mit Bewu~t- seinsst5rungen. Nach dem Anfall ist der Spontannystagmus wieder vorhanden, der Tremor dagegen verschwunden.

21. XI.: Spontannystagmus nach rechts - - kein Tremor! Kaltspiilung des reehten Ohres (100 cem): typischer Nystagmus nach links, der Nystagmus naeh rechts gehemmt. Starker Schiitteltremor der rechten Hand, einzelne Schmeck- bewegungen.

24. XI. : Kri~ftiger Spontannystagmus nach reehts - - kein Tremor. Kalt- spiilung des rechten Ohres mit 100 ccm Wasser: typischer hTystagmus. Einzelne Schmeckbewegungen. •ach 2 Min. feinschlagiger Tremor der reehten Hand. Neuerliche Kaltspiilung des rechten Ohres (100 ccm): Idem, Tremor kr~ftiger. Kaltspiilung des linken Ohres (100 ccm): Nystagmus nach rechts, Tremor bleib~ bestehen. Epileptischer Anfall!

3. XII. : Spontannystagmus nach rechts - - kein Tremor. Wiederholte Spii- lungen des linken Ohres mit kaltem Wasser rufen keinen Anfall hervor. Massen- spiilung des rechten Ohres (300 ccm) mit 18 ~ Wasser verursachen einzelne Schmeck- bewegungen sowie leichte Benommenheit des Pat. Kein Anfall! Dagegen Tremor der rechten Hand.

Auf die wi~hrend der Operation (9. XII. 1924) aufgetretenen Erscheinungen soil spater genauer eingegangen werden.

Der vestibulare Befund 5 Woehen nach der Operation war folgender: 12. I. 1925: Spontannystagmus in allen Endstellungen ohne Betonung einer

bestimmten Seite. Kein Tremor der rechten Hand. Es geling~ nicht, durch Kalt- spiilung irgendeiner Seite Tremor, Schmeckbewegungen oder einen epileptischen Anfall auszul5sen. Pat. ist vestibular in allen Qualiti~ten normal erregbar.

Zusammen/assung: Bei den e r s t e n Un te r suchungen fiel es auf, daft der Spontannystagmus nach rechts und der Tremor der rechten Hand niemals zusammen angetro//en werden konnten, sondern daI3 das eine S y m p t o m fehl te , wenn das andere vo rhanden war. D a n n liel~ sich wei ter feststel len, dal~ es durch Kal t sp f i lung des rech ten Ohres wieder- ho l t gelang (24. XI . , 3. X I I . ) , au/ der H6he der Vestibularisreizung,

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nach Schiide|trauma mit besonderen Stirnhirnmechanismen. 69

wenn der Nystagmus naeh rechts gehemmt war, den Schiitteltremor tier rechten Hand auszulSsen. Damit schien nachgewiesen zu sein, dab zwischen dem Spontannystagmus nach rechts und dem Tremor der rechten Hand ein innerer Zusammenhang besteht. Da wir den Tremor der rechten Hand aus den anamnestischen Angaben des Patienten als Aquivalent seiner epileptischen Anf~lle kennen, ist es uns auch erkl~r- lich, daB es durch weitere Steigerung der Reize (Kaltspiilung!) schlieB- lich zu einem solchen Anfall kam (17. XI.). Hervorzuheben ist, dab nach dem An/all der Tremor wieder verschwunden war, wdhrend der Spontannystagmus neuerlich au/trat.

Dcr Zusammenhang k6nnte folgendermaBen vermutet werden: Der Spontannystagmus nach rechts k6nnte prdepileptisch yore Stirn- hirn aus (Verletzung des Stirnhirns links!) so beeinfluBt werden, dab er gehemmt wird. Die Massenspiilung des rechten Ohres wirkte eben- falls in dem Sinne, dab der Nystagmus nach rechts gehemmt wird. Dadurch k6nnte es m6glicherweise zu einer Summierung yon Reizen und damit zur Ausl6sung eines epileptischen Anfalles kommen, der vielleicht bereits im Anzuge war. DaB hierzu nicht nur die Kaltspfilung des rechten Ohres, sondern einmal die daran angeschlossene des linken Ohres ffihrte (24. XI.), muB nicht gegen diese Ansicht sprechen. Denn es ist die M6glichkeit gegeben, dab hier ein analoges Verh~ltnis besteht, wie bei der Spiegelbildlichkeit mancher epileptischer Anf~lle. Wir k6nnen fiberdies annehmen, dab die Kaltspiilung links -- nach vorangegangener Kaltspfilung rechts -- als richtungsunspezi/ischer Reiz (Kobrak) wirken k6nne, und es daher auf diesem Wege zu einer Summierung der Reize kommen k6nnte. Dagegen ist es wichtig, dab diese vestibuli~re Ausl6sung der epileptischen Anf~lle nach der Excision des bezeichneten frontalen Zentrums nich~ mehr zu erzielen war.

Bei der Untersuchung des Vestibularapparates hat sich also er- geben, dab ein Reiz den Anfall ausl6st, der dieselbe Wirkung hat wie die vor dem Anfall bestehende innere Situation: Hemmung des Rechts- nystagmus. W~hrend Hyperventilation (0. Foerster) oder Carotiden- kompression trotz der allgemeinen Wirkung auf das Gehirn den spezi- fisch-individuellen Anfall ausl6sen, sehen wir hier eine elektive Ab- stimmung des epileptogenen Reizes auf die Aurasymptome. Wird die sonst pr~epileptisch als Aura erscheinende Situation durch i~uBere Einwirkungen geschaffen, dann zieht diese den Anfall nach sich.

Weiter ergab sich ein Mechanismus, der in seiner Sch~rfe ffir das Stirnhirn bisher nicht bekannt ist: Der (Jbergang der Erregung vom Auge auf die Hand. Im Sinne Uexkiills, der ein Zentrum ein Organ nennt, das Erregungsverschiebungen bewirkt, kSnnen wir hier das in Frage kommende Stirnhirnzentrum als ein Organ auffassen, das Er- regungsmengen vom Auge zur Hand transformiert. Ein anderes der-

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70 G. Herrmann und E. Wodak: Epileptische Anfiille

artiges Gebiet ist uns schon bekannt geworden im Occipitallappen. Es ist die Stelle, wo die 2. Occipitalwindung an den Gyrus angularis angrenzt, welches Gebiet Agraphie auslSstl).

Was hier zeitlich eng zusammen einander abl6st: Nystagmus beim Blick nach rechts, Tremor der rechten Hand, zeigt der Fall yon Stirn- hirnverletzung von B. Miiller 2) im groBen zeitlichen Intervall. Am 14. X. 1916 hatte er als einziges neurologisches Symptom einen starken Nystagmus beim Blick nach rechts, am 6. III. 1917 als einziges neuro- logisches Symptom einen Tremor der rechten Hand. Mi~llers Fall zeigt auch, dab es sieh bei der Transformation Nystagmus-Tremor nieht allein um eine einfache Uberleitung der epileptischen Erregung vom Fun der 2. Frontalwindung auf das Armzentrum der vorderen Zentralwindung handelt, da dieser Fall nie epileptische Anf~lle zeigte. Auch die am 10. VII. 1923 bei unserem Fall beobaehteten leichten Klonismen der rechten Hand, die 1/2 Stunde anhielten, entspreehen nicht einer (Jberleitung epileptischer Erregung, da sie ja ganz isoliert begannen und isoliert blieben. Es zeigte sich vielmehr gleieh nach der damaligen Operation das spczifisch Zusammengeh6rige der Blick- l~hmung nach rechts und der motorischen St6rungen im rechten Arm. Mi~llers Fall hat weitcr auch durch seine motorische Aphasie und deren rasche Rfickbildung Beziehungen zu unserem Fall. Es handelt sich um eine doppelseitige Stirnhirnverletzung, die nach der Lage yon Ein- schuB und Aussehul3 am ehesten rechts mehr die Polgegend, links mehr die Brocagegend und 2. Frontalwindung betroffen hat.

Der Verlauf der in unserem Falle durch die Vestibularisreizung aus- gel6sten 2 Anfi~lle war folgender: Nach dem Verschwinden des Nystag- mus und dem Auftreten des Tremors der rechten Hand kam es zun~chst zu einem feinschli~gigen Schfitteltremor des Kopfes, dann traten pl6tz- lich Facialiszuckungen links auf, Kopfdrehung zuerst kurz nach links, dann Drehung des Kopfes und der Augen nach rechts und anschlieBend allgemeine Kr~mpfe. Zu Beginn des Anfalles Erblassen; w~ihrend des ganzen An/alles reagieren die Pupillen prompt au] Licht.

Bei einem epileptischen Anfall ist dieses Verhalten der Pupillen besonders merkwfirdig. Eine Deutung dieser Erscheinung kann vor- 1/~ufig nicht gegeben werden. Bei dem nahezu identischen Anfall bei der sp~ter erfolgten Operation konnte aus ~ui3eren Grfinden die Pu- pillenreaktion nicht gepr/ift werden. Aber bei den frfiher ausffihrlich geschilderten Anfi~llen war auch gelegentlich die Pupillenreaktion erhalten gewesen, und gerade diese Erscheinung machte die Anf~lle hysterischen so iiberaus i~hnlich.

Weiter zeigten die Anfi~lle naeh dem Tremor der rechten Hand

1) Med. Klinik, Prager Ausgabe 1924, Nr. 43, S. 1529. ~) Arch. f. Psych. 64, 206.

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nach Schadeltrauma mit besonderen Stirnhirnmechalfismen. 71

linksseitige (homolaterale) Zuckungen. Wir kennen schon aus frf iheren St i rnhirnf~l len Beziehungen dieser Groi~hirnteile zu homola te ra l en StOrungen.

Auf Grund dieser Symptoma to log i e wurde fiir den p rak t i s chen Zweck eines Eingriffes bei der Opera t ion die I n d i k a t i o n in der Weise formulier t , dal3 n ich t die Stelle der cerebra len Li~sion, sondern die Stelle, v o n d e r de r Anfa l l smechanismus , d. i. der 2. F ron t a lw indung , seinen Ausgang n immt , ffir eine E x s t i r p a t i o n in Be t r ach t kommt .

Die wi~hrend der Opera t ion beobach te t en Ersche inungen haben die

theore t i sche Auffassung des Fal les bes t~ t ig t und abgerunde t . Die Ope- ra t ion wurde yon Schlo//er a m 9. X I I . 1924 ausgefi ihr t .

Lokalani~sthesie und allgemeine Narkose. Umschneidung eines yon der linken Schl/~fe her gestielten Haut-Periost-Knochenlappens, dessen Grenzen etwa, auf das Gehirn projiziert, Iolgendermai3en verlaufen: vordere Grenze verl/~uft durch die Mitre der I., II. und des angrenzenden Teiles der III. Frontalwindung. Hintere Grenze Fri~zentralfurche. Gegen die Mittellinie hin etwa 2 Querfinger yon der- selben entfernt. Anlegen mehrerer BohrlScher durch den Knochen und Aus- schneiden des Knochenlappens. In dem vorderen Viertel seiner Circumferenz schneidet er die ursprtingliche Durchtrennungslinie des Knochens (yon der frfiheren Operation). Nun wird der Knochendeckel mit Elevatorien vorsichtig gehoben und dabei geringe Adhi~sionen zwischen Dura und Knochen im Bereiche des alten Operationsgebietes gelSst. Herausbrechen des Knochendeckels. Eine kleine Zacke, die an seiner unteren Umrandung besteht, wird mit dem Liston weggenommen. In der vorliegenden Durafl/~che sieht man eine nach hinten leicht konvex ver- laufende zarte Narbe, welche der alten Naht zwischen Dura und Implantat (Fascien- Fettlappen) entspricht. Die Dura selbst ist hier leicht verdickt, Umschneiden des Duralappens etwas tiber 1 cm entfernt vom Knochenwundrand, bogenfSrmig yon hinten nach vorn. Der Duralappen ist mit der Pia an 3 Stellen leicht verwachsen, und zwar am FuSe der lI . Frontalwindung und an 2 weiteren kleineren, etwas tiefer gelegenen Stellen. In diese Adh~sionen ziehen sehr feine Piagefi~Be hinein, welche ligiert und durchtrennt werden. An dem freiliegenden Gehirn f/~llt auf, dab es hyper/~misch und gegen die II. Frontalwindung hin etwas sulzig dureh- tri~nkt ist.

Reizung mit bipolarer Elektrode am Furl der II. Frontalwindung, dort, wo die Adh/~sionen waren. Dabei beobachtet man am Pat. Blickwendung der Augen nach rechts mit grobschlr streng horizontalem Nystagmus. Beim Nachlassen der Reizung beateht der Nystagmus welter, dazu tritt zundichst ein Lidnystagmus rechts yon unge/~ihr derselben Frequenz, wie der horizontale Augennystagmus war, Kramp/zuckungen des rechten Oberlides, dann des rechten Mu~d/acialis und Aus- breitung zu einem allgemeinen epileptischen Kramp/. Dabei beobachtet man im Gehirn ein Hervortreten der Hirnmasse aus der TrepanationsSffnung und Stauung der Venen. Diese Schwellung war dauernd, nicht abh/~ngig von den Krampf- zuckungen und ging mit dem Nachlassen der Kr/~mpfe wieder zurtick. Der Krampf- anfall dauerte etwa 3 Min. Nach Abklingen des Krampfes wird weiter gereizt, und zwar im Facialiszentrum: man beobachtet am Fat. Innervation des Stirn- /acialis au/ beiden Seiten gleichm~fiig. Reizung in der Brocagegend ergibt: Verziehung des rechten Mundwinkels nach unten, links angedeutet. Beidemal /ehlt eine Verall- gemeinerung der Krdmp/e. Nun wird fiber der Stelle, vonder aus durch die elek- trische Reizung der Nystagmus ausgelSst worden war (Blickzentrum) durch Be- spritzen mit Kelen eine Abkfihlung erzeugt, und zwar in der Weise, da8 ein mit

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einem Gummifingerling versehenes kurzes, daumenstarkes Drain, auf die Stelle aufgesetzt, die Umgebung abgedeckt und nun ins Drain eingespritzt wird. Am Pat. beobachtet man ein langsames Abweichen der Augen nach links. Der Pat. kann fiber Aufiorderung sowohl nach rechts wie nach links spontan blicken, dabei kein Nystagmus. Die abgekiihlte Stelle zeigt naehher keine pathologischen Ver- ~nderungen. Nun wird dieselbe Stelle in einer Ausdehnung von 1 : 11/2 cm und etwa 2 mm Dicke excidiert. Die Blutung ist eine minimale und steht alsbald yon selbst. W~hrend der Excision 8ieht man am Pat. einc l~nger dauernde Zuckung des linken Mundwinkels nach oben. Was wi~hrend dieser Zeit an den linken Augen- lidern vorgegangen ist, konnte wegen der Verdeckung nicht beobachtet werden. Blutstillung aus einer kleinen Piavene unten und rfickw~rts durch Umstechung und Blutstillung aus der umschnittenen Dura. Heraufschlagen des Duralappens. Naht der Durar~nder. Einzelne kleinere Blutungen aus der Dura werden noeh dureh Umstechung gestillt. Blutstillung der Weichteilwunde. Heraufschlagen des ganzen Lappens und lockere Hautnaht. Verband.

Da der Pat. schon zu Beginn der Operation sehr unruhig war, mul~te Narkose eingeleitet werden, die aber noeh vor dem Reizversuch wieder ausgesetzt worden war, und wahrend desselben war Pat. wieder wach gewesen. Zu Beginn der Ope- ration und ebenso nach dem Anfall ist der Pat. sehr unruhig, johlt und ist Zureden nicht zugi~nglich. Gleich nach der Operation ist Pat. auffalleild lebhaft und frisch, euphorisch. Dieser Zustand halt weiterhin an.

Die Operationsgeschiehte ergibt also einerseits die Best~tigung unserer Auffassung, dab das Bliekzentrum im Ful~ der 2. Stirnwindung in unserem Falle dasjenige Zentrum ist, yon dem aus die Krampf- anfalle ausgehen, da nur bei der elektrischen Reizung dieses Hirn- gebietes allgemeine Kr~mpfe ausgelSst werden, w~ihrend Reizung anderer Gebiete nur lokale Erscheinungen erzeugt. Welter zeigt die w~hrend der Operation gemachte Beobachtung das Bindeglied, warum bei der linksseitigen Verletzung in einer gro!~en Reihe der Anf~tlle die Zuckungen bei Beginn eines epileptischen Anfalles im linken Facialis beginnt. Es ist das ein weiterer Beweis ffir die bereits an friiheren Stirnhirnf~llen nachgewiesene Beziehung dieses Gehirnteiles zu homolateralen StO- rungen.

Der Verlauf nach der Operation bot an neurologischen Symptomen bekannte Erscheinungen: Gleich nach der Operation war Patient iiu[3erst lebha/t, singt und ldrmt. Er bot das Bild einer Manie.

Am Tage nach der Operation trat unter leichter Temperatursteige- rung eine rechtsseitige Hemiparese und eine motorische Aphasie auf. In der Hemiparese fiberwiegt die Facialissch~digung die der Extremi- ti~ten.

Schon am Tage nach der Operation, deutlicher am n~chsten Tage zeigte sich Nackensteifigkeit und eine Schwellung der linken Augen- lider. Die Aphasie halt an, die Temperatur stieg auf 38,5.

Da nach dem ganzen Verhalten des Patienten und diesen alarmieren- den Symptomen der Verdacht einer Meningitis gerechtfertigt war, wurde am 12. XI I . von Schlo//er der Schmiedensche Suboccipitalstich vorgenommen.

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nach Schiideltrauma mit besonderen Stirnhirnmechanismen. 73

Da der Zwischenraum zwischen Hinterhauptsschuppe und Atlas sehr schmal ist, wird vorerst mit dem MeiSel yon der Hinterhauptsschuppe ein etwa 1 cm breites Stfick weggenommen und hierauf die Membran incidiert. Es entleert sieh sofort im Strahle Liquor, der allerdings etwas mit Blur yon der Muskulatur vermischt ist. Sodann wird ein Fenster in die Membran geschnitten. Knapp unter- halb des Fensters ist der Boden des IV. Ventrikels. - - 0ffene Wundbehandlung.

Bakteriologisehe Untersuehung des Liquors (im Institute Prof. Ghon): XuBerst spi~rlich grampositive, lange plumpe St/~bchen sowie gramnegative kleine Sti~b- chert. Kulturell: In der direkten Aussaat spi~rlieh Kolonien eines gramnegativen Sti~bchens (augenseheinlich Saprophyt).

Am 13. XII. hatte Pat. yon ~/~7--1/28 Uhr friih einen epileptiformen Anfall: Zuckungen des rechten Mundwinkels, des rechten Armes und der rechten Augen- lider. Dabei grobschli~giger Nystagmus. Wi~hrend dieses ganzen AnfaUes BewuBt- losigkeit. Am ni~ehsten Tage sank die Temperatur, Pat. wurde lebhaft, reagierte auf alle Fragen, dabei motorisch-aphasisch.

17. XII. Bewegt seit heute wieder die rechte Hand, allerdings etwas ungesehickter als links, brummt halblaut Melodien vor sich hin, meist mit haha. Sprachverst~ndnis ist, wie aus den Reaktionen zu sehen, erhalten.

Bezeichnen yon Gegenstiindbn: Bleistift: Ha ha mit Betonung auf der ersten Silbe. Nachsprechen: a richtig,

e: a, i: o, i: cha, o: richtig, u: o, u: u. Praha: Praeha. Milenka: hahaha, nach- dem er es wiederholt versucht und dabei immer Bewegungen mit dem Mund und der Zunge maeht, wie wenn er etwas aus dem Mund entfernen wollte.

Bleistift: ha ha. Vorgesagt: tu~ka: to-cha. Myh: b o a . . , mho, mhu. Skle- nice: to~echa. I6t mit der linken Hand gut (keine Apraxie).

Zeigen der eigenen KSrperteile fiber Aufforderung richtig. Nur einmal zeigt er rechts statt links, lacht aber dann und zeigt yon da ab

rechts und links richtig. Drohen, Winken, Kaffeemiihle-Drehen prompt und richtig, die ersten 2 Reaktionen mit der linken Hand, die anderen mit der rechten Hand. Zi~hnezeigen, AugenschlieBen und -Sffnen prompt, beim Zi~hnezeigen 5ffnet er den Mund, spitzt ihn manchmal wie eine Fischschnauze, bringt abet die Zunge meist erst auf wiederholte Aufforderung heraus. Spi~ter zeigt er sie fiber Aufforderung prompt.

Im weiteren Verlauf artikuliert Pat. immer besser, die Ungeschicklichkeit des rechten Armes geht raseh zuriiek.

E i n Befund ist abe t aus dieser Zei t auffal lend, und wenn aueh seine hier versuchte Erkli~rung n ich t ganz e indeut ig e inwandfre i ist, so mu6 doch da rau f geaeh te t werden, um bei re ineren de ra r t igen Fi~llen viel- le icht dieses S y m p t o m isol ier t beobach ten zu kSnnen.

Es war ni~mlich jedesmal be im Verbandwechse l besonders auffi~llig, alas de r P a t i e n t in s i tzender Ste l lung mi t herabhi~ngenden Beinen entse tz l ich zu j a m m e r n begann. Auch als er schon wieder spreehen konn te (24. XI I . ) , k l ag te er fiber hef t ige Schmerzen. E r bog dabe i den Rf icken i~hnlieh e inem hys te r i schen Arc de eercle, so da$ der Rficken hohl wurde und k r a m p f h a f t e Muske lcon t rac tu ren zu sehen waren.

Diese k r a m p f h a f t e Cont rac tu r war dabe i schmerzhaf t . Es k a m im Si tzen wei te r zu e inem K r a m p f der Beuger der Oberschenkel , de r tonisch anhie l t , schmerzhaf t war und auch be im Umlegen nachdaue r t e .

I m Liegen t r a t , wenn das Bein n u t wenig naeh vorn gebeugt wurde ,

i~hnlieh dem Kern ig eine Schmerz reak t ion ein, m i t l ebhaf te r Anspan-

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n u n g d e r rfickwi~rtigen Muskulatur des Obersehenkels. Der Unter- schied gegeniiber dem Kernig semen darin zu bestehen, dab die Stellen der Muskelcontracturen als schmerzhaft gezeigt wurden, und dab die Schmerzen sofort nachlieBen, wenn eine Stellung gewonnen wurde, in der die Muskelspannung nachlieB. Sofort mit dem Naehlassen der Muskelcontraetur hSrten aueh die Schmerz~uBerungen auf. Dabei war auffallend, dab er die Beine selbst nicht aus der ihm unangenehmen Stellung brachte, sondern einfach jammerte, ohne dab man aber am tibrigen KSrper irgend etwas yon Ataxie bemerken konnte. Ffir ge- wShnlich lag er mit ausgestreckten Beinen im Bert. In dieser Stellung schien er keinen Schmerz zu haben.

Hier bleibt es fraglich, ob dies n u r meningitische Erscheinungen waren, oder auch Spannungen derselben Art mit im Spiele waren, wie sie als ffontale Herderscheinungen gelten kSnnenl).

Aus dem weiteren Verlauf sei noch hervorgohoben, dab Pat. bis zum 30. XII. keinerlei meningitische Erscheinungen und keinerlei Temperatursteigerungen hatte. An diesem Tage sehr unruhig, Temperatur 39,8 o, leicht benommen, Naeken- steifigkeit. Lumbalpunktion ergibt etwas triiben Liquor; bakteriologische Unter- suchung ergab:

Cytologisch: Sehr reichlich Eiterzellen und vereinzelte Rundzellen nebst Fibrin. Bakterioskopiseh: KeineMikroorganismennachweisbar. Kulturell: Direkte Aussaat nach 48 Stunden steril.

Unter dem Einflul~ weiterer Lumbalpunktionen sank die Temperatur, und es treten die bedrohlichen Erseheinungen zurtick.

Es ist von Bedeutung, dab die neuerliche Verschlimmerung des Zustandes sich mit dem Trockenwerden des Verbandes der Occipital- wunde einstellte. Durch den Suboccipitalstich wurden zuni~chst sofort alle bedrohlichen Erscheinungen aufgehoben; als ~ber am 16. Tage kein Liquor mehr abfloB, t ra ten neuerliche meningitische Erscheinungen auf. Es scheint das yon Wiehtigkeit, da es uns den Wert und die Grenzen des Suboceipitalstiches augenfgllig erkennen l~tBt. Aus diesem Grunde wurde auch dieses Detail aus dem postoperativen Verlaufe hier angefiihrt, obwohl es nicht in den yon uns verfolgten Zusammen- hang gehSrt.

Am 5. I. 1925 wurde Pat. zur Psychiatrisehen Klinik transferier~. Er war bis zu seiner Entlassung am 17. I. anfallsfrei.

Hervorgehoben zu werden verdient, dal~ in der ersten Zeit nach der Operation noch Nystagmus bestand, aber mit dem Zuriickgehen der Lokalerscheinungen der Nystagmus versehwand und sich nieht wieder einstellte. Von kSrperlichen Sym- ptomen bestand bei der Entlassung noch eine geringe Faeialisdifferenz, die be- sonders den Mundast betraf (zuungunsten der rechten SeRe), und zwar nur bei willkiirlicher Innervation, nicht bei mimiseher. Zunge weicht etwas nach rechts ab. Bauchdeckenreflex reehts schwacher als links. Reehts Andeutung yon Ba- binski.

1) PStzl, Wien. med. Wochenschr. 1924, Nr. 5, S. 8.

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Bezfiglich seiner Aphasie gibt er katamnestisch an, dab er keinerlei Sensationen in der Zunge oder den Lippen versptirte, die Worte habe er gewul~t, er habe sie nur nicht aussprechen kSnnen, tJber Befragen bejaht er, dal~ er auch gewul~t, wieviel Silben die einzelnen Worte gehabt (tatsachlich hat te sich ja auch bei der Untersuchung ergeben, dal~ er die verlangten Gegenst~nde in der aphasischen Weise so be- zeichnet, dab er sein to to so vielsilbig brachte, als das Wort war, wobei er auch diejenige Silbe, die zu betonen war, richtig betonte. Es zeigte sich hier, dal~ die inhere Sprache, was die Silbenzahl anbelangt wenigstens, nachweislich erhalten war). Er meint auch, wenn er die rechte Hand in Ordnung gehabt, so hi~tte er schreiben kSnnen. Tat- si~chlich hatte er yon dem Tage an, als er mit der rechten Hand bereits etwas bewegen konnte, zwar ungeschickte, aber richtige Schreibver- suche gemacht. Schreibversuche mit der linken Hand mil~langen; Patient gab an, er habe das nie geiibt. Weiter ist zu erw~hnen, dab er w~hrend seiner Aphasie die Melodien richtig brummte oder mit seinem to to sang. Die Aphasie verschwand ziemlich plStzlich.

Eines Morgens zum Verbandwechsel gefiihrt, sprach er, nachdem er vorher noch nicht gesprochen, als er warten mul~te, plOtzlich: ,,To je doba" (bedeutet ungef~hr: Das dauert aber lange). Dann sagte er ebenso unerwartet : ,,Ui to jde" (jetzt geht es schon), als er an die Reihe kam. Vorgesprochen ,,vojs konnte er aber nicht naehsprechen.

Am 17. I. 1925 wurde er entlassen. Einige Wochen sp~ter berichtete er, dait er 2 Tage nach der Entlassung an einem Tage 2 Anfalle ge- habt habe. Vor diesen Anf~llen habe er iiberhaupt nichts gesptirt. Beim ersten schwereren Anfall habe er sich ben~itt (das erstemal w~h- rend seiner Anf~lle).

Am 17. III . wird er neuerlich zur Klinik aufgenommen, weil er am 15. 1 und am 16. 3 Anf~lle hatte. Vor den Anf~llen habe er nichts gesptirt.

18. III . Am Morgen ein isoliertes Zucken des lin]cen Facialis und der rechten Hand. Die Zuckungen sind synchron, aber nicht rhyth- misch. Patient ist dabei bei Bewui~tsein, versteht alles, was gefragt wird, antwortet aber nicht. Aufgefordert, zu sprechen, s tot tert er zun~chst etwas; dann wird er aufgefordert, ordentlich auszusprechen, es werde der Anfall aufh6ren. Beginnt die einzelnen Daten aus seinem Leben (danach befragt) zu beantworten. Die Zuckungen im Gesicht lassen nach; jene im Arm dauern etwas l~nger. Nachher, beim Lachen, eine ausgesprochene Facialisdifferenz zuungunsten der linken, bei willkiirlicher Innervation der rechten Seite. Im rechten Arm noch vereinzelt Zuckungen. Der ganze Anfall dauerte 3 Min.

Am 27. III . 1/21 Uhr Nachm. ein Anfall. Vor dem Anfall spiirte er iiberhaupt nichts. Friiher habe er immer gespiirt, dab der Anfall

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kommt, jetzt spfire er nichts. Beim 1. Anfall am 20. I. und ebenso bei den Anfi~llen am 17. III . habe er, wie ihm seine Angeh6rigen be- riehteten, auch tototo gesagt, er selbst habe es aber nicht bemerkt, so wit friiher. Weiter wisse er vom Anfall nichts. Er selbst habe vor dem Anfall nur gespfirt, dab er nicht ausatmen k6nne.

Die Anf~lle sind also wiedergekommen. Sie treten jetzt ohne Aura auf. Wenn wir auch fiber den Verlauf dieser Anf~lle objektiv nichts wissen, so steht diese Tatsache doch in auffallendem Gegensatz zu seinem friiheren Zustand. Wir hat ten Gelegenheitl), schon einmal auf die Anderung des Anfallstypus hinzuweisen : Betrachten wir in dieser Beziehnng die Anfiille unseres Patienten, so merken wir auch hier, da~ w~hrend der 4 Jahre, die die Erscheinungen bestehen, der Anfalls- typus sich weitgehend i~ndert. Die beiden einschneidendsten Ver- imderungen sehen wir nach den beiden Operationen im Jahre 1923 und 1924. Nach der ersten derselben zeigte sich eine Blicklahmung nach rechts, die als Dauersymptom einen Nystagmus nach rechts zurfickliel~. Die Beziehung dieses Nystagmus zu den Anf~llen wurde bereits aus- fiihrlich dargestellt. Nach der Operation im Jahre 1923 gibt er an, er spfire beim Anfall ein Zittern der rechten Hand. Objektiv war da- reals niehts derartiges zu bemerken. Es ist aber in diesem Zittern der sp~ter als -~qaivalent auftretende Tremor der rechten Hand ent- halten. Nach der 2. Operation bestanden Anfi~lle mit Zuckungen im rechten Faeialisgebiet. Als Dauersymptome blieben Faeialisparese rechts nnd Babinski. Bei dem Anfalle nach der Entlassung fehlte die Aura. Es entspricht ja einer h~ufig zu beobachtenden Erscheinung, dal3 die Aura in manchen Fallen yon Epilepsie immer ktirzer wird, bis sie schliel31ieh ganz im Anfall aufgeht. Wir konnten in einem Falle zeigen, da{~ psyehische Momente oder Erlebnisse, die vor dem Anfalle zufitllig eintreten, in den Anfallsmechanismus mit hineingenommen wurden.

Welter konnte in einem Falle gezeigt werden, dal3 durch eine Hirnoperation eine vorher nicht bestehende Aura, die der lokalen Hirnsch~digung entsprach, sieh zu den Anf~llen hinzugesellt. In unserem Falle sehen wir, wenn auch nicht gerade besonders eindring- lich, ebenfalls diese Ver~nderungen des Anfallsbildes. In diese Be- trachtung geh6ren auch die Anfi~lle, die wahrend einer Periode der Beobachtung ganz den Eindruck hysteriseher Anf~lle machten.

Ob die Erfolglosigkeit der Horsleyschen Operation prinzipiell zu verwenden ist oder nicht, mu~ dahingestellt bleiben, da ja die Menin- gitis in der Zeit der Rekonvaleszenz sie kompliziert hat. Es erfibrigt sich daher, den negativen therapeutischen Effekt noch besonders zu

~) Med. Klinik 1924, Nr. 44.

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nach Schiideltrauma mit besonderen Stirnhimmechanismen. 77

besprechen. Wir haben den Fall lediglich mit Rficksicht auf die aus den Anfallsmechanismen ablesbaren zentralen Wechselwirkungen dar- gestellt.

Zusammen/assung: In einem Falle yon Verletzung der linken Stirn- seite mit folgendem oberfli~chlichen Absce[t und epileptischen Anf~llen fanden sich 1. Anfi~lle, die in einer Periode der Beobachtung von hyste- rischen nicht zu unterscheiden waren und weiter eine ~nderung des Anfallstypus dieser Anf~lle. 2. Es fand sich eine vestibuli~re Beeinflu[t- barkeit yon Stirnhirnvorgi~ngen (Verbindung des Augenzitterns mit dem Tremor der Hand) mit AuslSsung der typisehen Anfatle durch vestibul~re Reizung. Es bestand eine elektive Abstimmung des beob- achteten Stirnhirnmechanismus, der als Aura auftrat, auf kalorische Reize.

3. Es zeigte sich eine gegenseitige Verwandelbarkeit zwischen Augen- zittern und Handzittern. Dies entspricht mSglicherweise einer physio- logisehen Leistung des Fuites der 2. Stirnwindung: Transformation yon Erregungen, die den Augenbewegungen zugeh5ren, auf den Arm.

4. Dieser Fall ist ein weiteres Beispiel der mit der Stirnhirnfunktion verbundenen homolateralen Innervationen.

Anhang: Es eriibrigt noch dem im vorangehenden geschilderten Fall ganz kurz den bisherigen Stirnhirnbefunden anzugliedern:

Seit PStzl 1) bei 2 Fi~llen yon Stirnpolerkrankung zeigen konnte, da~ L~sionen dieses Gebietes mit eigenartigen StSrungen der Be- wegungsformel des Gehens zusammenh~ngen, wurde an einer Reihe yon weiteren F~llen von Stirnhirnerkrankungen Beobachtungen ge- macht, die die gesamte Funktion des Stirnhirns in einzelne Kompo- nenten zu zerlegen gestatten. PStzl und Schlo//er ~) haben an einem weiteren Falle wahrscheinlich gemacht, dait eine Sch~digung des Ge- bietes der 2. Frontalwindung finks in ihrem mittleren Anteil StSrungen verursacht, die in der Schwierigkeit bestehen, den KSrper aus der verti- kalen in die horizontale Lage zu bringen. In einem weiteren Falle konnte gezeigt werden, wie sich diese StOrung gelegentlich auch ira epileptischen Anfalle ausdriiekt. Der eine yon uns (H.) konnte gemein- sam mit Rudo/s]cy 3) eine Art Negativbild der Mannschen Hemiplegie- stellung nachweisen: Es land sieh eine sehmerzhafte Kontraktion im Quadriceps des rechten Beins bei Beugung im Hiiftgelenk und Kniegelenk, gepaart mit einer Spannung und Schmerz bei Streckung des Armes derselben Seite. Die StSrung war zu beziehen auf eine L~sion der rechten F~ in ihrem vorderen Drittel, mehr medial gegen F 1. Die Erscheinungen dieses Falles waren rein homolateral. In

1) Zeitschr. f. d. ges. Neurol. u. Psychiatrie 91, 147. 2} Med. Klinik 1925, Nr. 1. 8) Zeitschr. f. d. ges. Neurol. u. Psychiatrie 96, 747.

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den P6tz lschen F~l len von S t i r n p o l e r k r a n k u n g - w a r e n die Ersche i - nungen ha lbgekreuz t . Ha lbgek reuz t e H y p e r t o n i e wurde an e inem Fa l l e yon S t i rnh i rnver le tzung 1) mi t l e ta lem Ausgang nachgewiesen.

Einschlhgige Beobach tungen k o n n t e n an 2 wei teren F~l len yon S t i rnh i rnver le tzung gemach t werden. (F~lle der Chirurgischen Kl in ik . )

1. J. J. scho] sieh in selbstm6rderischer Absicht mit einem Dienstrevolver durch den harten Gaumen gegen das Gehirn. Ausschul~ in der Mittellinie knapp hinter der Stirnhaargrenze. Einige Stunden nach der Stirnhirnverletzung land sich (6. II. ]925) neben dem Fehlen der Bauchreflexe eine Hypotonie des linlcen Armes und rechten Beines, ausgesprochener im linken Arm. Die rechte Hand zeigt dagegen eine Andeutung einer Contrac~ur. Sonst keine pathologischen Reflexe. Exitus nach wenigen Stunden. Die am n~ehsten Tage vorgenommene gerichtliche Obduktion ergab: Die mediale Fl~iche beider Stirnlappen in verhaltnis- m~l~ig kleinem Umfange oberfl~chlich zertrfimmert. Links reieh~ die Zertriimme- rung etwas tiefer als rechts. In der Umgebung der Zertrtimmerung linden sich in der Rinde punktf6rmige Blutaustritte. Der Balken war nicht verletzt.

I n d iesem Fa l le fand sich also eine H y p o t o n i a c ruc ia ta , ansche inend als f ronta les S y m p t o m . W i r konn t en schon e inmal an e inem Fa l l e nachweisen, dab halbse i t ige H y p o t o n i e mi t H y p e r t o n i a c ruc ia t~ ab- wechselte. Die H y p o t o n i e war das nach der Ver le tzung zuers t in E r -

scheinung t r e t ende S y m p t o m gewesen. 2. S.A. wurde am 2. II. auf der StraBe blutend aufgefunden, nachdem er

12 Glas Bier und 3 Kognak getrunken. Wie er zu Fall gekommen, kann Pat. night angeben. Es ~and sich ein 0dem beider Augenlider und Wangen bis zum Joehbein. Eine vertikale RiBquetschwunde von ungefahr 4 cm L~nge yon der Stirn gegen den Nasenriieken in der Medianlinie. Im R6ntgenbilde ist eine Fraktur des Os nasale nachweisbar. Eine weitere Ril3quetschwunde mit der Konvexitgt nach oben, bogenf6rmig verlaufend, 5 - 6 em lang in der Mitre zwischen Augenbrauen und ttaargrenze. Eine 3. Wunde fiber dem rechten Stirnbein ca. 2 cm lang. Neuro- logiseh land sich beiderseits Babinski links ~ reehts. Eigentfimliehe Spannungen im Quadriceps bei passiven Bewegungen mit Schmerzen im Kniegelenk, beiderseits gleich. Am 3. II. zeigte sich eine Differenz in den Spannungen und den Sehmerzen. Sie waren reehts starker als links. Beim Kneifen des Quadriceps schiel3t eine Kontraktion in den Quadriceps, reehts mehr als links. Babinski nurmehr links. Am 7. II. fanden sich nur schmerzhafte Spannungen im rechten Bein, die haupt- s~ehlieh in die Wadenmuskulatur verlegt wurden. Die ~berempfindlichkeit des Quadriceps auf Kneifen besteht nnrmehr rechts und nur, wenn vorher passive Bewegungen ausgefiihrt wurden. Wghrend in den ers~en Tagen das Gehen nichts Charakteristisches zeigte, sondern nur ein au~erordentlich starkes Torkeln war, fiberkreuzte er heute gelegentlich mit dem rechten Bein. Mit geschlossenen Augen Abweichen beim Gang nach links.

Es h a t sich also, nach dem zuers t beidersei t igen, sp~ter nur l inks- sei t igen Babinsk i zu schlie3en, um eine doppelse i t ige L~sion im Sinne einer Commot io cerebri gehandel t , d ie rechts s t a rke r gewesen sein dfirfte. I n der raschen Ri i ckb i ldung t r e t en d a n n die homola t e r a l en Wirkungen , wie in den Pgtz lschen F~,llen yon S t i rnpo lver le tzung , als schmerzhaf te Spannungen s tgrker hervor .

~) Zeitschr. f. d. ges. Neurol. u. Psychiatrie 96, 747.

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In den bisher angeftihrten Fallen zeigt sich, in wie mannigfacher Weise -- jedenfalls abh~ngig von Verschiedenheiten der Lokalisation -- sich die StOrungen der Bewegungsformel i~u~ern. So ist z.B. in dem P6tzlschen Falle mit [~berkreuzen des rechten Beins fast kein Ab- weichen nach links, in den Falle von Verf. und Rudol/sky fiberhaupt kein Abweichen nachweisbar. In der gegenseitigen Abstimnung zwischen Bein, K6rper und H~nde bestehen jedenfalls noch korrigie- rende Einstellungen. In dem eben geschilderten Falle war eine ganz betr~chtliche Abweichung. Vielleicht steht die Abweichung bein Gehen n i t einer doppelseitigen Wirkung in Zusammenhang, etwa mit einer ungleichmi~ig starken Schadigung beider Stirnlappen. Wi~h- rend in den bisherigen Fallen die gegenseitige Abstimnung zwischen Beinen, K6rper und H~nden in den Vordergrund trat, haben wir in dem geschilderten Hauptfalle als wichtigstes und auffallendstes die Beziehung zwischen Auge und Hand. Diese Beziehung hat PStzl 1) in einem Falle von Tumor der 2. Occipitalwindung rechts an der Grenze gegen den Gyrus angularis hin zeigen k6nnen. In diesen Falle stand die bezeichnete Stelle mit Agraphie in engster Beziehung. Auch in unserem Falle entspricht das fragliche Gebiet (Fui~ der 2. Frontal- windung) bekanntlich dem Exnerschen Schreibzentrun, das allerdings gegenw~rtig fast allgemein abgelehnt wird. Immerhin scheint diese Stelle -- wie die Ergebnisse des hier besprochenen Falles zeigen -- gleichfalls einen Mechanismus der (~bertragung yon Bewegungsforneln vom Auge zur Hand in sich zu enthalten; daran i~ndert auch der Urn- stand nichts, dal] in diesem Fall neben der rechtsseitigen Hemiplegie und der notorischen Aphasie nach der Exstirpation eine isolierte moto- rische Agraphie nicht nachgewiesen werden konnte; die agraphischen St6rungen hatten sich gleichzeitig mit dem Zurfickgehen der Hemi- plegie und der aphasischen Erscheinungen zuriickgebildet.

Der Fall von PStzl und Schlo//er zeigte St6rungen der Bewegungs- formel beim Lagewechsel yon der auffechten Haltung zum Nieder- legen. In unserem Falle bestand eine durch schmerzhafte Spannungen bedingte Unf~higkeit des Sitzens. Diese entsprechen vielteicht einem analogen Mechanismus, wie er in den gemeinsan mit Rudo/sky be- schriebenen Falle bestanden hat: Denervationsvorgi~nge im Sinne yon L. Mann bleiben aus, im Sinne der hier verwerteten Anschauungen von P6tzl wird tonische Erregung nicht abgesaugt, und so bleibt die Muskulatur beim Sitzen in einer Art yon schmerzhaftem tonischen Krampfe fixiert.

1) Med. Klinik, Prager Ausgabe Nr. 43, S. 1529.