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ESSBARE WILDPFLANZEN PARKS Pflücken erlaubt 61 2/2019 WECK LandJournal REPORTAGE 2000er-Jahre die Reißleine zog und aus- stieg. Und wenn einer wie Strauß aus- steigt, dann richtig: Er zog sich auf einen Hof in Thüringen zurück und führte dort ein autarkes Leben. Selbstversorgung aus der Natur für alle, das wurde seine Vision. Ein Pionierthema, das zu seiner Lebens- aufgabe geworden ist. „Für mich ist wich- tig“, so Dr. Strauß, „dass wir die Geschenke der Natur wieder wertschätzen und uns der Natur wieder zuwenden, weil sie uns wirkliche Powerpakete an Gemüse, Bee- ren, Nüssen und Kräutern zu bieten hat. ir treffen den Biologen und Buchautor Dr. Markus Strauß in den „Hollerhöfen“, einem Hotel in Waldeck. Hier in und um Waldeck ist sein erster Ewilpa entstanden, und der Hausherr der Hollerhöfe, Leonhard Zintl, war maßgeblich daran beteiligt. Drei Jah- re dauerte es von den ersten Gesprächen bis zur Eröffnung. Jetzt ist es so weit und Dr. Strauß strahlt. Aber was sind Ewilpas eigentlich genau? Was ist ein Ewilpa? Essbare Wildpflanzen Parks sind moder- ne Allmenden, also eine Form des ge- meinschaftlichen Eigentums: Die Park- flächen kann jeder nutzen und sich mit den dort wachsenden Kräutern, Beeren, Früchten und Nüssen versorgen. Dr. Markus Strauß hatte die Idee und gründete 2015 die Ewilpa-Stiftung. Die Idee wurde ihm aber nicht einfach in die Wiege gelegt, sondern entstand als Folge seines Berufslebens. Nach dem Studium der Geologie, Geografie und Biologie ar- beitete er eine Zeit lang als Entwicklungs- helfer, dann sattelte er um und ging in die Finanzwirtschaft. Aus viel Geld noch mehr Geld zu machen – sein Leben spiel- te sich einige Jahre zwischen Singapur und New York ab, bis er Anfang der Ich kann meine ganze Arbeit mit einem Satz zusammenfassen: Ich möchte die essbaren Wildpflanzen in die heutige All- tagskultur re-integrieren.“ Alle profitieren davon Strauß hat das Grundmodell eines Ewilpa erstellt, seine Wunschvorstellung einer optimal gestalteten Naturlandschaft mit unterschiedlichen Bereichen von feucht bis trocken, von waldig bis offen. Die möglichen Einzelteile bestehen im Grun- de aus allem, was einen englischen Ewilpa??? Ist das ein neugezüchtetes Gemüse oder doch eher eine exotische Frucht, die unseren Speiseplan bereichern soll? Weder noch! Ewilpas sind naturbelassene Landschaftsgärten, in denen essbare Wildpanzen allen zur Verfügung stehen. Die Idee, in ganz Deutschland „Essbare Wildpanzen Parks“, also Ewilpas, einzurichten, hatte Dr. Markus Strauß. Im oberpfälzischen Kemnath-Waldeck haben Renate Heß und Heidi Deutschmann ihn getroffen, viele Informationen bekommen und manches auch schon probiert ▶▶ Schautafel des ersten Ewilpa im oberpfälzischen Waldeck W Natternknopf ▶ www. ewilpa.de | www.ewilpa.markt-waldeck.de | www.naturpark-steinwald.de WECK LandJournal 2/2019 – S. 60-66 © J. WECK GmbH u. Co. KG Erntevorbereitungen Knackiger Genuss Haselnüsse aus dem eigenen Garten Hallesche Riesen Zellernuss Lambertsnuss

EPORTAGE ESSBARE WILDPFLANZEN PARKS Natternknopf …€¦ · der Geologie, Geografie und Biologie ar-beitete er eine Zeit lang als Entwicklungs-helfer, dann sattelte er um und ging

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Page 1: EPORTAGE ESSBARE WILDPFLANZEN PARKS Natternknopf …€¦ · der Geologie, Geografie und Biologie ar-beitete er eine Zeit lang als Entwicklungs-helfer, dann sattelte er um und ging

ESSBARE WILDPFLANZEN PARKS

Pflücken erlaubt

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612/2019 WECK LandJournal

REPORTAGE

2000er-Jahre die Reißleine zog und aus-stieg. Und wenn einer wie Strauß aus-steigt, dann richtig: Er zog sich auf einenHof in Thüringen zurück und führte dortein autarkes Leben. Selbstversorgung ausder Natur für alle, das wurde seine Vision.Ein Pionierthema, das zu seiner Lebens-aufgabe geworden ist. „Für mich ist wich-tig“, so Dr. Strauß, „dass wir die Geschenkeder Natur wieder wertschätzen und unsder Natur wieder zuwenden, weil sie unswirkliche Powerpakete an Gemüse, Bee-ren, Nüssen und Kräutern zu bieten hat.

ir treffen den Biologen undBuchautor Dr. Markus Straußin den „Hollerhöfen“, einem

Hotel in Waldeck. Hier in und um Waldeckist sein erster Ewilpa entstanden, und derHausherr der Hollerhöfe, Leonhard Zintl,war maßgeblich daran beteiligt. Drei Jah-re dauerte es von den ersten Gesprächenbis zur Eröffnung. Jetzt ist es so weit undDr. Strauß strahlt. Aber was sind Ewilpaseigentlich genau?

Was ist ein Ewilpa?Essbare Wildpflanzen Parks sind moder-ne Allmenden, also eine Form des ge-meinschaftlichen Eigentums: Die Park -flächen kann jeder nutzen und sich mitden dort wachsenden Kräutern, Beeren,Früchten und Nüssen versorgen. Dr. Markus Strauß hatte die Idee undgründete 2015 die Ewilpa-Stiftung. DieIdee wurde ihm aber nicht einfach in dieWiege gelegt, sondern entstand als Folgeseines Berufslebens. Nach dem Studiumder Geologie, Geografie und Biologie ar-beitete er eine Zeit lang als Entwicklungs-helfer, dann sattelte er um und ging in dieFinanzwirtschaft. Aus viel Geld nochmehr Geld zu machen – sein Leben spiel-te sich einige Jahre zwischen Singapurund New York ab, bis er Anfang der

Ich kann meine ganze Arbeit mit einemSatz zusammenfassen: Ich möchte dieessbaren Wildpflanzen in die heutige All-tagskultur re-integrieren.“

Alle profitieren davonStrauß hat das Grundmodell eines Ewilpaerstellt, seine Wunschvorstellung eineroptimal gestalteten Naturlandschaft mitunterschiedlichen Bereichen von feuchtbis trocken, von waldig bis offen. Diemöglichen Einzelteile bestehen im Grun-de aus allem, was einen englischen

Ewilpa??? Ist das ein neugezüchtetes Gemüse oder doch eher eineexotische Frucht, die unseren Speiseplan bereichern soll? Wedernoch! Ewilpas sind naturbelassene Landschaftsgärten, in denenessbare Wildp/anzen allen zur Verfügung stehen. Die Idee, inganz Deutschland „Essbare Wildp/anzen Parks“, also Ewilpas,einzurichten, hatte Dr. Markus Strauß. Im oberpfälzischenKemnath-Waldeck haben Renate Heß und Heidi Deutschmannihn getroffen, viele Informationen bekommen und manches auchschon probiert

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Schautafel des ersten Ewilpa imoberpfälzischen Waldeck

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Natternknopf ▶

www. ewilpa.de | www.ewilpa.markt-waldeck.de | www.naturpark-steinwald.de

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WECK LandJournal2/2019 – S. 60-66

© J. WECK GmbH u. Co. KG

Erntevorbereitungen Knackiger Genuss Haselnüsse aus dem eigenen Garten Hallesche Riesen Zellernuss Lambertsnuss

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REPORTAGE

hatte von der Idee gehört und 2015 Kon-takt zu Dr. Markus Strauß aufgenommen.In Zusammenarbeit mit dem NaturparkSteinwald, dem Bezirk Oberpfalz und derStadt Kemnath wurde das Konzept entwi-ckelt, den landschaftlichen Gegebenhei-ten angepasst und auch finanziert. Dennetwa 60 000 Euro hat die Einrichtung desParks gekostet. Strauß lacht: „Ein Klacks,wenn man die Rüstungsausgaben oderGesundheitskosten betrachtet.“

Landschaftspark ausmacht. In ihm sollendie Menschen wieder einen Zugang zu‚ehrlichen’ Lebensmitteln bekommen.Ehrlich deshalb, weil sie keine Hochleis-tungszüchtungen sind, die ohne Dünger,ohne Agrarchemie und ohne ökonomi-sches Interesse wachsen können. Sie sindimmer frisch, immer saisonal und immerregional. „Das sind die allerbesten Le-bensmittel“, betont der Biologe. „Wirbrauchen ein Gegengewicht zu den in-dustriell hergestellten Nährmitteln, unddas in Form von 4000 solcher Parks inganz Deutschland, die zwischen Kon-stanz und Kiel und zwischen Aachen undCottbus verteilt sein sollen. Also genau soviele Parks, wie die großen Discounter inDeutschland Filialen haben.“ Die Parks sollen zugleich Bildungsstätten,soziale Treffpunkte, Bodenschutz, Insek-tenparadiese und naturnahe Erholungs-orte sein. Natürlich muss das Grundmo-del eines Ewilpas an jedem neuen Stand-ort an die eigentumsrechtlichen und vorallem an die natürlichen Gegebenheitenangepasst werden.

Der Anfang ist gemachtDer allererste Ewilpa ist im Juni 2018 imNaturpark Steinwald rund um Waldeckeröffnet worden. Leonhard Zintl, Hotelier,Bankkaufmann und zweiter Vorsitzenderdes Heimat- und Kulturvereins Waldeck,

13 Themenflächen hat der Rundweg aufder Waldecker Gemarkung, davon gehö-ren elf der Stadt, eine der katholischenKirchengemeinde und eine, die Ackerbra-che, Familie Zintl. Unter blühenden Lin-den stehen wir mit Markus Strauß vor derÜbersichtstafel am Sportplatz, dem emp-fohlenen Beginn des Themenweges. Einstrategisch geschickt gewählter Platz,denn zum einen gibt es hier Parkplätze,zum anderen hat man von hier eine guteSicht hinauf zum Ort und zum Schloss-berg mit der Burgruine. Hier zeigt unsDr. Strauß, wie er bei der Planung vorhan-

1 Reife Walderdbeeren am Wegrand2 Das Mutterkraut steht in voller Blüte3 Die Haselnuss-Sträucher haben gut

angesetzt

4 Markus Strauß zeigt uns auf der Info -tafel, wie weit wir schon gewandert sind

5 Auch die Waldecker Burgruine ist inden Ewilpa integriert

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REPORTAGE

Das Feld muss einmal im Jahr geeggtoder gepflügt werden, damit die Naturwieder von vorne anfangen kann und daseinjährige Kraut aus den eigenen Samenwieder wächst. Die wichtigsten Arten derAckerbegleitkräuter, die man auch kuli-narisch nutzen kann, werden auf einer Ta-fel erklärt. Hier wächst sehr viel Beifuß,der mit seiner kerzenartigen Form gleichins Auge fällt. Der Biologe lässt uns dieBlätter probieren – sie schmecken ange-nehm bitter. „Beifuß ist besonders ge-sund, da wir ‚bitter‘ in unserer Ernährungkaum mehr haben.“ Wir sind begeistertvon der Vielfalt der Pflanzen auf diesemAcker, die sich, so Strauß, aber mit der Zeitnoch weiter entwickeln wird.Strauß entdeckt auf der Brache einenHohlzahn. Die Samen dieses Lippblütlersmit vierkantigem Stängel kann man es-sen, sie gelten als ‚einheimische Chia-Sa-

dene Wege und bestehende Vegetations-elemente kombinieren konnte. An der al-ten Landstraße, die durch das historischeScheunenviertel hinauf zum Ort führt,stehen noch ein paar alte Obstbäume, dieReste einer Obstbaumallee (auf dem PlanS. 61 Punkt 3). Diese Allee wurde wiedermit jungen Bäumen alter Sorten aufge-füllt. Links vor uns, oben auf dem Hügel,wurde ein bestehendes kleines Wäldchenmit neu gepflanzten Büschen an dieObstbaumallee „angebunden“. So ist mitwenig Planungsaufwand ein Biotop-Ver-bund entstanden. Zur ersten Station (1), der Ackerbrache, istes nicht weit. Hier wachsen Melde, Malve,Kamille, Beifuß und viele weitere Kräuter.Dieses Stück Land gehört zum Hotel „Hol-lerhöfe“ und aus den darauf wachsendenKräutern wird sich neben den Parkbesu-chern auch die Hotelküche versorgen.

men‘. Die Wolfsmilch, die ebenfalls hierwächst, ist allerdings giftig! Deshalb auf-gepasst, nicht alles sammeln, was in Waldund Flur wächst. Damit aber nichts pas-siert, haben Strauß und seine Mitstreitervorgesorgt.

Gut informiertIn jede Themenfläche haben die Initiato-ren eine große Informationstafel aufge-stellt. In liebevollen Zeichnungen werdendie jeweiligen Pflanzen vorgestellt undanhand einer kurzen Beschreibung er-fährt der Wanderer die Besonderheitenund Einsatzmöglichkeiten. So kann

1 Bis zur Ernte dauert es noch ein biss-chen: Himbeeren

2 Wenn man die Blüten zerreibt, färbtdas echte Johanniskraut die Finger rot

3 Der Geschmack der Wildkirschen istunvergleichlich

4 Hohlzahn wächst auf der Ackerbrache

Ziegen und Schafe halten den Schlossbergfrei, damit nicht alles verwaldet

▶▶

„Die Natur muss gefühlt werden,

wer sie nur sieht und abstrahiert,

kann (...) Pflanzen und Tiere zer-

gliedern, er wird die Natur zu

beschreiben wissen, ihr aber

selbst ewig fremd sein.“

Alexander von Humboldt, Begründer der modernen Geografie, 1769 − 1859,

in einem Brief an Goethe, 1810

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REPORTAGE

ren zu lassen. Die „Hollerhöfe“ (AdresseS. 66) haben deshalb die NaturerlebnisAkademie ins Leben gerufen. Hier kön-nen auch Workshops und Kochkursedurchgeführt werden.

Starke AromenIm Ewilpa soll der Natur freier Lauf gelas-sen werden. Damit die Besucher abernicht irgendwo durch die Wiesen laufenund sie zertrampeln, mähen Gemeinde-mitarbeiter schmale Wege ins Gras: Jetztkommen die Spaziergänger ohne Proble-me an die Obstbäume und können na-schen und probieren. Wir betrachten diejungen Walnussbäume, die für denPark neu gepflanzt worden sind.„Walnussbäume sind richtige Le-bensversicherungen. Wenn manfrüher so einen Baum hatte, da warman versorgt.“ Es ist entspannend, hier zu wan-dern. Und spannend. Am Weges-rand wachsen auch Schneeball,Weißdorn, Haselnüsse und Eber-eschen. An einer Stelle stehen mehrerealte Wildkirschbäume, die viele Früchtetragen. Markus Strauß pflückt und pro-biert sie auch gleich: „Diese Kirschen –Prunus avium, die wilde Kirsche – habenviel mehr Aroma als die gezüchteten. Dashier sind die Kirschen, aus denen man frü-her das Schwarzwälder Kirschwasser ge-brannt hat. Das wird eigentlich gar nichtaus Kulturkirschen gemacht. Diese Kir-schen haben das echte Mandel aromaund bekommen, wenn sie dunkel sind, ei-nen leichten Amarettogeschmack. Sie

jeder sehen, wie Blüte, Blatt und Fruchtaussehen, auch wenn die Pflanze geradenicht blüht oder Früchte trägt. Wenn mansich sicher ist, genau die richtige Pflanzegefunden zu haben und sie auch zu Hau-se verwenden kann, darf man sie gernefür den Eigenverbrauch pflücken.„Mit diesen Tafeln haben Interessierte einHilfsmittel draußen in der Landschaft. Auf jeder Tafel finden Sie auch noch einenQR-Code zum Einscannen mit demHandy. Damit können die Tafelinhalteund das Ewilpa-Begleitbuch herunterge-laden werden. Die Leute, die hierherkom-men, haben ja meistens schon ein Be-stimmungsbuch, dazu die Tafeln in derLandschaft. Aber viele brauchen trotz-dem noch mehr Sicherheit.“ Dr. Straußempfiehlt deshalb, eine Führung vor Ortzu buchen und mit einer Kräuterpädago-gin oder mit einem Fachberater eine Run-de zu laufen und sich die Pflanzen erklä-

haben wenig Fruchtfleisch und sindschön aromatisch.“ In der Nähe steht einBaum mit Kulturkirschen, die wir zum Ver-gleich probieren: Ihr Aroma kommt wirk-lich nicht an das der wilden Art heran.„Alle wilden Lebensmittel schmecken in-tensiver. Alle!“Von jedem Kraut und jeder Pflanze kenntStrauß den lateinischen Namen, die Her-kunft und weiß meist noch ein Rezeptdazu. So schwärmt er von den Schlehen,die er in Salzlake einlegt und daraus fal-sche Oliven macht. Er selbst isst jeden Tagetwas ‚Wildes‘. Da er jedoch viel unter-wegs ist, schafft er es zu seinem Bedauern

nicht, sich fast ausschließlich von Wild-kräutern zu ernähren, was durchaus mög-lich wäre. Ein Blick zur Burgruine und zum Ort zeigteine schön gegliederte Parklandschaftmit vielen Hecken, mit Streuobstwiese,kleinen Wäldern und dazwischen Wiesen.„In so einer Landschaft kann man schonLandwirtschaft betreiben, denn hier hatauch die Natur noch ihr volles Recht.“ Auf einer nahen Wiese wächst nicht mehrbesonders viel. Sie ist „runtergeackert“und enthält nur noch wenig Humus. Aberdurch den Park kann sie der Natur wiederzurückgegeben werden.

Wir haben nicht nur zwei Generationen

übersprungen im Wissen, sondern auch

in der Landschaft. Zwei Generationen

haben keine Bäume gepflanzt.

Dr. Strauß

Wiesen-Bärenklau im „Fenchel-Stadium“

Gemähte Wege durch die Wiesen: Der Weg führt genau zum NaschenAuf den Informationstafeln erfährtman, wie Blüte, Blatt oder Frucht derP4anzen, hier Kornelkirsche, aussehen

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REPORTAGE

Die Dreifachnutzung ist in diesem Park-bereich deutlich zu erkennen: unten dieKrautschicht, dann die Strauchschichtund oben die Baumschicht. Wir kommenin den verwilderten Obstgarten aus den1820er-Jahren (Punkt 8 auf dem PlanS. 61) und laufen ein paar Meter in dieObstwiese hinein. Dort wachsen auchSchlehenbüsche, ausladende Fichtenund über 200 Jahre alte Birnbäume. DieNatur ist hier noch intakt und der Biologegerät beim Betrachten der alten Bäumeins Schwärmen. Der fast schwarze Bodenhier oben ist sehr humusreich und beson-ders fruchtbar. Strauß zeigt uns einen his-torischen Birnbaum, der verwildert istund mit dornigen Ästen ausschlägt. Hierist die wilde Birne schon wieder heraus-gekommen. Auf der Weide steht auch einstattlicher Apfelbaum. Der bemoosteStamm und die vielen wild wachsenden

Der Rundweg führt uns hinauf zumSchlossberg, einem Basaltkegel. Straußweist uns am Burghang auf die überwu-cherten Mauerreste des ursprünglichenMarktes Waldeck hin. Dieser ist 1794durch ein Gewitter abgebrannt. Späterwurde der Ort bei der etwas weiter ent-fernten Wallfahrtskirche als geplanteSiedlung feuersicher wieder aufgebaut.

Ein mystischer OrtInzwischen gehört der Hang unterhalbder Burgruine den Schafen und Ziegen.Einerseits neugierig, andererseits scheubeobachten uns die Tiere, die hier Land-schaftspflege betreiben. Durch die Be-weidung können Weißdorn und andereBüsche nicht überhand nehmen. „Sie fres-sen lieber Bäume als Büsche und Gras. Siewissen, die sind nährstoffreich, da sindviele Mineralien drin.“

Äste geben ihm ein mystisches Aussehen.Hier wurde seit 100 Jahren kein Pflanzen-schnitt mehr durchgeführt. Diese Bäumesind echte Naturerlebnisse!

Hinauf zur BurgAuf dem Weg zur Burgruine entdecktStrauß am Wegrand saftige Brennnesselnund Giersch. Er pflückt begeistert: seinAbendessen ist gesichert! Von der kleinenwilden Petersilie probieren wir gerne eini-ge Blättchen. Dann macht uns MarkusStrauß auf eine Besonderheit aufmerk-sam: Wiesenbärenklau im „Fenchel-Stadi-um“. Der Blütenstand sieht aus wie einekleine Fenchelknolle. Vorsichtig drückt erdas Gras rings um die Pflanze beiseiteund zeigt die Fenchelstruktur der Blatt-scheiden. „Diese Knollen schmecken auchwie Fenchel“, erklärt er uns. „Man kann sie2 Minuten im Dampf garen und dann et-was Olivenöl und Parmesan drüberge-ben. Sie schmecken super.“ Wiesen-Bä-renklau wächst auf feuchten, nährstoffrei-chen Wiesen.Am Steilhang unterhalb des Burgtoresbewundern wir Königskerze, Schafgarbe,Bilsenkraut, Natternkopf und Labkraut.„Diese Farbkombination könnte keinStaudengärtner schöner erfinden“, freutsich Strauß. Allerdings ist das

„Die intensive Landwirtschaft mit

ihren Monokulturen hat keine

Zukunft mehr. Das rechnet sich nur

in unserem EU-Subventionswahn-

sinn. Wenn ich die Grundlage der

Landwirtschaft, den Boden, kaputt

mache, dann war’s das. Die Böden

sind ein Geschenk der Natur seit

der Eiszeit.“ Dr. Strauß

Auch auf Steinen gedeihen P4anzen

Information ganz einfach: So sieht Gierschaus und das kann man damit machen. Diebeschriebenen Kräuter, Sträucher undBäume sind alle essbar.

Dr. Strauß im verwilderten Birnbaum ▶

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REPORTAGE

den Naturpark Steinwald. Wir genießendie Aussicht auf Waldeck und die umlie-genden Orte. Der Himmel ist wolkenver-hangen und der Rauhe Kulm liegt hintereinem Wolkenschleier. Der Blick von hier oben zeigt die Vielfaltdes Parks: oben Felsen, unten Bachaue,Streuobstwiesen und Nadelwald, Laub-wald und Hohlwege, sonnige und schat-tige, feuchte und trockene, nährstoffarmeund nährstoffreiche Flächen. Eine un-glaubliche Vielfalt auf kleinem Raum.An der Nordseite der Burg soll noch eineGehölzsammlung entstehen. Die Stadt-gärtnerei wird dort im Frühjahr undHerbst junge Pflanzen setzen, die in dasEwilpa-Konzept passen. So kann man sichhier Ideen holen, welche Bäume am bes-ten in den eigenen Garten passen. Die Burg ist auf einen schwarzen Basalt-felsen gebaut, der dicht bewachsen istmit Schafgarbe, Echtem Mauerpfeffer,Wermut und einer Sedum-Art. Auch diesePflanzen kann man alle essen. Ihre leuch-

Bilsenkraut eine Giftpflanze. Der Biologeweist deshalb noch einmal darauf hin, nurdas zu sammeln und zu essen, was mansicher kennt. Auch was schön aussiehtkann giftig sein! Im Burgareal wurde ebenfalls neu ange-pflanzt. Mispeln, Felsenbirnen, Mehlbee-ren, Quitten und eine Rambler-Rose, allenoch ganz jung, sie brauchen noch etwasZeit, bis sie sich in voller Pracht zeigen.Über einen Felsenweg und einen Holz-steg gelangen wir auf den Aussichts-punkt, eigentlich Reste eines Burgturmes.Von hier haben wir einen weiten Blick in

tenden Farben kommen auf dem dunk-len Stein besonders gut zur Geltung. Essieht fast aus wie auf Lanzarote!Auf dem Weg von der Burg zurück insDorf kommen wir am alten Friedhof vor-bei. Hier wurden Wildrosen für den Parkgerade erst gepflanzt. Strauß kontrolliertdie Pflanzen und Blütenansätze und istsehr zufrieden: sie wachsen.

Die Idee kommt anDie Reaktion auf den Waldecker Park istunglaublich positiv, weiß Markus Straußzu berichten. Weitere Ewilpa-Projektesind in Baden-Württemberg, in Bayernsowie in Bernau bei Berlin in Planung. „Der Klimawandel, die Agrarindustrie, diedie Natur zerstört, das Finanzsystem. Sokann es nicht weitergehen. Deshalb habeich die Ewilpa-Stiftung gegründet undhoffe, dass sich innerhalb von 20 − 30Jahren ein kultureller Wandel vollzieht.Dann ist das Land begrünt, die Menschensind glücklicher, die Landschaft ist schö-ner, das Insektensterben ist beendet. Ichbin da sehr zuversichtlich und freue michüber Spenden für die Stiftung. Und wennich den tausendsten Park eröffne, binauch ich glücklich.“

Ewilpa in Kemnath-WaldeckStart und Ziel: Parkplatz am Sport-

platz WaldeckLänge: 5 km, nicht alle Wege sind

kinderwagengeeignetInformationen:Touristinfo, Verwaltungsgemein-schaft Kemnath, Stadtplatz 38,95478 Kemnath, Tel.: 09642 707-24,www.kemnath.dewww.ewilpa.markt-waldeck.de

Dr. rer.nat. Markus Straußist am Bodensee aufgewach-sen, studierte in HeidelbergGeografie, Geologie und Bio-logie. Nach der Promo tionarbeitete er einige Jahre alsBerater in der freien Wirt-schaft. Später lebte er autark auf einem Hof im Südharz. Er ist Ex-perte für Wildpflanzen u. a. im SWR.Seit 2013 bietet er an der Hochschulefür Wirtschaft und Umwelt (HfWU) inNürtingen einen Zertifikatslehrgangzum „Fachberater/-in für Selbstversor-gung mit essbaren Wildpflanzen“ an.

Die EWILPA-Stiftung grün-det er 2015. Der Autor, Bera-ter und Dozent lebt heuteim Allgäu.

Buchauswahl: Die 12 wichtigsten essbaren Wildpflanzen:

bestimmen, sammeln und zubereiten(aus der Reihe Natur & Genuss), Taschenbuch, Hädecke-Verlag, ISBN 978-3-7750-0768-9, 9,80 €Die Wald-Apotheke,Verlag Droemer Knaur, ISBN 978-3-426-65804-8, 19,99 €

Lindenblüten am Baum und ...... getrocknet als Tee

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Heidi Deutschmann und Renate Heßwaren mit Dr. Markus Strauß auf Tour

Ewilpa-Stiftung:www.ewilpa.net www.dr-strauss.net

Seminare, Hotel:Naturerlebnis-Akademie im HotelHollerhöfe, Unterer Markt 35a, 95478 Waldeck bei Kemnath, Tel.: 09642 7043-10, www.naturerlebnis-akademie.dewww.hollerhoefe.de

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