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72 Fortschritte der Kieferorthop/~die Bd. 22 H. 1 (1961) Aus der Universit/~tsklinik und Poliklinik fiir Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten (Direktor: Prof. Dr. Dr. K. Schuehardt), Hamburg ErbeinfluB und GebiBanomalien Yon Prof. Dr. Erich Hausscr, Hamburo' Mit 20 Abbildungen Die Erforschung der biogenetischen Zusammenh/~nge und die Kl/irung des Einflusses yon Erbmasse und Umwelt bei der Entwicklung des Kauorgans bereiten auBerordentlich groge Schwierigkeitem da eine Vielzahl yon endogenen und exo- genen Faktoren zur Entstehung yon Gebi•anomalien zu fiihren vermag und zur Feststellung des idiotypischen Anteils nicht ohne weiteres aus dem Ph/inotypus auf den Genotypus zu schliegen ist. Bei der Klfirung der Entstehung der GebiB- anomalien besteht somit die Aufgabe, die genotypischen Grundlagen aus dem Ph~notypus unter Beriicksichtigung des modifizierenden Einflusses des Paratypus zu bestimmen. Die Grundlage ffir die Ermittlung der genotypischen Bedingtheit eines Merk- reals bilden die Mendelschen Gesetze. Die meisten menschlichen Merkmale sind jedoch nicht monomer, sondern komplex bedingt, wodurch die Klfirung des Erb- :~anges erschwert wird. Die Erfbrschung der biogenetischen Zusammenh/inge des Kauorgans ist weiterhin dadurch besonders schwierig, dab bei der Vergfinglichkeit des Gebisses und der geringen M6glichkeit zur Untersuchung yon GenerAtions- folgen cine stammbaumm/iBige Forschung kaum durchffihrbar ist. Der Familien- forschung haftet auch der Nachteil an, dab die H/iufung eines Merkmals nicht unbedingt einen Anhaltspunkt ffir eine endogene Bedingtheit abgibt, da gleiche Merkmale bei einzelnen Familienangeh6rigen auch dutch gMehe Umweltfaktoren entstanden sein k6nnen. Nach neueren erbbiologischen Erkenntnissen (v. Verschuer) sind im Erb- gang Dominanz und Rezessivit/it eines Merkmals nut extreme Manifestationen einander entsprechender Gene und erweisen sich die meisten Erbanlagen im Erbgang als intermedi/ir. Das Erscheinungsbild einer dominanten Erbanlage kann auch durch eine rezessive Anlage im heterozygoten Zustand im Sinne einer Ab- s('hw/ichung beeinflugt werden. ])as einzelne ]ndividuum besitzt unz/ihlige Erb- anlagen, die unter bestimmten Bedingungen und unter dem EinfluB der Umwelt manifest werden oder verborgen bleiben k6nnen. Die Summe der latenten Erb- anlagen bezeichnet Saller als Kryptotypus, durch diesen wird eine fortgesetzte Umweltpr/igung der Konstitution ermSglicht und ist nach A. M. Schwarz auch die unterschiedliche Manifestation einzelner Merkmale bei der Gebil3entwicklung und der Entstehung yon GebiBanomalien zu erkl~ren. Zur Klfirung idiotypischer Merkmale hat sich neben der Familienforschung (tie Zwillingsforschung als ganz besonders geeignet erwiesen (Curtius, Kork- haus, Lundstr6m, Praeger, Ritter, Siemens, v. Verschuer, Weitz), da aus einem Vergleich konkordanten bzw. diskordanten Verhaltens eines Merkmals, bei eineiigen und zweieiigen Zwillingen mittels korrelations-st ati stischer Methoden eine endogene Bedingtheit ermittelt werden kann. Zur K1/irung der Vererbungs- ti'agen ist es allerdings notwendig, die Ergebnisse beider Forschungsrichtungen zu berficksichtigen.

Erbeinfluß und Gebißanomalien

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72 Fortschritte der Kieferorthop/~die Bd. 22 H. 1 (1961)

Aus der Universit/~tsklinik und Poliklinik fiir Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten (Direktor: Prof. Dr. Dr. K. Schuehardt), Hamburg

ErbeinfluB und GebiBanomalien

Yon Prof. Dr. Erich Hausscr, Hamburo'

Mit 20 Abbildungen

Die Erforschung der biogenetischen Zusammenh/~nge und die Kl/irung des Einflusses yon Erbmasse und Umwelt bei der Entwicklung des Kauorgans bereiten auBerordentlich groge Schwierigkeitem da eine Vielzahl yon endogenen und exo- genen Faktoren zur Entstehung yon Gebi•anomalien zu fiihren vermag und zur Feststellung des idiotypischen Anteils nicht ohne weiteres aus dem Ph/inotypus auf den Genotypus zu schliegen ist. Bei der Klfirung der Entstehung der GebiB- anomalien besteht somit die Aufgabe, die genotypischen Grundlagen aus dem Ph~notypus unter Beriicksichtigung des modifizierenden Einflusses des Paratypus zu bestimmen.

Die Grundlage ffir die Ermit t lung der genotypischen Bedingtheit eines Merk- reals bilden die Mende l schen Gesetze. Die meisten menschlichen Merkmale sind jedoch nicht monomer, sondern komplex bedingt, wodurch die Klfirung des Erb- :~anges erschwert wird. Die Erfbrschung der biogenetischen Zusammenh/inge des Kauorgans ist weiterhin dadurch besonders schwierig, dab bei der Vergfinglichkeit des Gebisses und der geringen M6glichkeit zur Untersuchung yon GenerAtions- folgen cine stammbaumm/iBige Forschung kaum durchffihrbar ist. Der Familien- forschung haftet auch der Nachteil an, dab die H/iufung eines Merkmals nicht unbedingt einen Anhaltspunkt ffir eine endogene Bedingtheit abgibt, da gleiche Merkmale bei einzelnen Familienangeh6rigen auch dutch gMehe Umweltfaktoren entstanden sein k6nnen.

Nach neueren erbbiologischen Erkenntnissen (v. V e r s c h u e r ) sind im Erb- gang Dominanz und Rezessivit/it eines Merkmals nut extreme Manifestationen einander entsprechender Gene und erweisen sich die meisten Erbanlagen im Erbgang als intermedi/ir. Das Erscheinungsbild einer dominanten Erbanlage kann auch durch eine rezessive Anlage im heterozygoten Zustand im Sinne einer Ab- s('hw/ichung beeinflugt werden. ])as einzelne ]ndividuum besitzt unz/ihlige Erb- anlagen, die unter best immten Bedingungen und unter dem EinfluB der Umwelt manifest werden oder verborgen bleiben k6nnen. Die Summe der latenten Erb- anlagen bezeichnet S a l l e r als Krypto typus , durch diesen wird eine fortgesetzte Umweltpr/igung der Konsti tut ion ermSglicht und ist nach A. M. S c h w a r z auch die unterschiedliche Manifestation einzelner Merkmale bei der Gebil3entwicklung und der Entstehung yon GebiBanomalien zu erkl~ren.

Zur Klfirung idiotypischer Merkmale hat sich neben der Familienforschung (tie Zwillingsforschung als ganz besonders geeignet erwiesen ( C u r t i u s , K o r k - h a u s , L u n d s t r 6 m , P r a e g e r , R i t t e r , S i e m e n s , v. V e r s c h u e r , Wei t z ) , da aus einem Vergleich konkordanten bzw. diskordanten Verhaltens eines Merkmals, bei eineiigen und zweieiigen Zwillingen mittels korrelations-st ati stischer Methoden eine endogene Bedingtheit ermittelt werden kann. Zur K1/irung der Vererbungs- ti'agen ist es allerdings notwendig, die Ergebnisse beider Forschungsrichtungen zu berficksichtigen.

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Naeh diesen Untersuehungen gilt entgegen der Auffassung yon S i e m e n s eine auffallende Gleiehheit asymmetriseher Merkmale im Gebig als vererbt ( K o r k - h a u s und v. V e r s e h u e r). Insbesondere weist K o r k h a u s aueh auf die endogene Verankerung yon Sehfidelasymmetrien, yon denen der Rhomboidseh/idel eine besondere Form darstellt, hin. I m Bereieh der Kiefer und der Zahnb6gen sind bei diesen F/illen meist gleiehsinnige, mit der Seh/idelform fibereinstimmende Asymmetrien zu finden. Die Asymmetrien k6nnen aueh spiegelbildlieh auftreten, wie die Ergebnisse der Zwillingsforsehung gezeigt haben. Nieht selten fiihrt tin asymmetriseher Seh/idelaufbau zu Okklusionsabweiehungen in Form eines ein- 'seitigen Kreuzbisses. Als ein Beispiel eines asymmetrisehen Seh~tdelaufbaus und einseitigem KreuzbiB, die bei der Mutter und den beiden Kindern spiegelbild- lieh vorhanden sind, veransehaulieht die Familie R. diese Zusammenhfinge (Abb. 1 bib 3).

Abll. 1 Abb. 2 Abb. 3

Abb. 1 bis 3. Ein~eitigcr Kreuzbis bei 5Iut ter ml(t 2 Ktndern. Fron ta laufnahmen der Mutter und dcr beiden Kinder, (lie gleiche Schiidelasymmetrien aufweiscn

Sieherlieh weitgehend erblich gebunden sind die Form der Zahnkronen und die Zahngr613e ( K o r k h a u s , D o e k r e l l ) . Eine Zahnunterzahl als Auswirkung einer phylogenetisehen Reduktion wird als heteroph/ine Vererbung mit wahr- beheinlieh dominantem Erbgang ( K o r k h a u s , P r a e g e r ) angesehen, wenn aueh R i t t e r bei seinen Zwillingsuntersuchungen eine h/iufige Diskordanz fand. Die erbliche Bedingthei~ der Zahnunterzahl mit starken Manifestationssehwankungen konnte die Stammbaumforsehung best/itigen (Nie o 1 a s).

Von dieser endogen bedingten Unterzahl best immter Zahne bind die mit behweren Entwieklungsst6rungen der ektodermalen Bildungen verbundenen, regellosen Niehtanlagen zu unterseheiden, obwohl aueh diese multiple Niehtanlage yon Z/ihnen, wie bei dem Bild der gesehleehtsgebundenen, dominant erbliehen Ineontinentia pigmenti, gleiehfalls im Genotyp verankert ist.

Weiterhin unterliegen die Wurzelform und -gr6f3e einer idiotypisehen Gebun- denheit ( K o r k h a us). Die erste Dentition und der Zahnweehbel zeigen eine ein- deutige Abh/ingigkeit yon Erbanlagen, die yon B a y als genotypiseh fixierter I tormonmeehanismus gedeutet wird. Einer endogenen Steuerung unterliegen

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freilieh alle Waehstumsvorggnge (Brodie) , und De C o s t e r weist auf ihre ver- sehiedenartige Bedingtheit hin.

Bei der endogenen Steuerung der Wachstumsvorg~nge handelt es sich be- kanntlieh um auBerordentlieh komplizierte Vorg/~nge, deren vielf/tltige Zusam- menh~nge nur schwer zu kl/iren sind. Von besonderem Interesse dtirfte daher ein eineiiges Zwillingspaar sein, yon dem der eine Partner (Chr.) an einer Hypothyreose bei Zungensehilddrfise leidet (Abb. 4 bis 10). Sehon bald naeh der Geburt fiel den Eltern auf, dab alle Lebens/iul3erungen im Vergleieh mit dem gesunden Zwilling verlangsamt abliefen. Trot.z einer im Alter yon 2 Jahren einsetzenden t.herapeu- tischen Beeinflussung (Thyreoidin) ist die Entwieklung im Vergleieh zu dem ge- sunden Zwilling zuriiekgeblieben. So sind das Knoehen- und das Zahnalter der beiden Zwillinge um etwas fiber 1 Jahr versehieden, wobei der gesunde Zwilling mit seinem Knoehenalter dem ehronologisehen Alter gleieh nnd mit dem Zahn- alter 3~ Jahre voraus ist. Abweiehungen in der Durehbruehsfolge der Z~hne sind nieht vorhanden. Bei dem gest6rten Zwilling ist jedoeh im oberen und unteren Frontzahngebiet ein st~rkerer Engstand festzustellen als bei dem gesunden Zwilling.

Abb. 4 Abb. 5

Abb. 4 und 5. EZ. Te. Der eine Par tner (Chr.) leidet an einer t typothyreose bei Zungensehilddrfise

Die Fernr6ntgenaufnahmen und der Vergleieh ihrer Durchzeiehnungen zeigen eine weitgehende l~bereinstimmnng. Nut die Aehsenstellun'g der unteren Front- z/~hne ist bei dem gestSrten Zwilling um 5 0 mehr nach distal geneigt. Weiterhin ist bei einem Vergleieh naeh der NS festzust.ellen, dab das Vert.ikalwachstum bei dem gesunden Zwilling etwas mehr ausgepr/~gt ist als bei dem erkrankten.

In s tarkem Mage erblieh gebunden ist weiterhin die Form des harten Gaumens mit dem Verlauf der Raphe und der Ausbildung und Anordnung der Rugae. Die Gestaltung der Zahnb6gen mit den Alveolarforts~tzen unterliegt dagegen naeh der genetisehen Analyse im Sinne der Ph~inogenetik in entseheidender Weise paratypisehen Einfliissen, wobei L u n d s t r 6 m ffir das Lutsehen eine erbliehe Disposition als gegeben ansieht, und H o v e l l ffir die Form und das Verhalten der Weiehteile eine genotypisehe Best immung annimmt.

Ftir das eehte Diastema gilt ein dominanter Erbgang als erwiesen und wird als Vererbungsfaktor ein dominantes autosomales Gen angenommen. Naeh W e n i n g e r soll f/ir das hKufigere Vorkommen beim weibliehen Gesehleeht ein im Gesehleehtsehromosom lokalisierter Hemmungsfaktor verantwortlieh zu maehen sein.

Der Bigtypus ist naeh P r a e g e r bei eineiigen Zwillingen regelm/~Big gleieh, und A. M. S e h w a r z glaubt, dab aueh der Ablauf der Kaufunktion im Geno-

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t ypus verankert ist. F/ir die Entstehung eines Distalbisses wird allgemein eine gewisse Abh/tngigkeit von den Erbanlagen angenommen, obgleich K o r k h a u s

Abb. 6

Abb. 7

Abb. 6 uml 7. Gebif,~befund der EZ. Te. im Alter yon 8 5ahren

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auf Grund seiner Zwillingsbefunde den EinfluB niehterblieher Momente ffir aus- sehlaggebend h/ilt. Naeh S t e i n , K e l l e y und W o o d soll der Distalbil] ein rezessiv

erbliehes Merkmal sein, und A.M. S e h w a r z ist der Ansieht, daB die genotypisehe Anlage einer groBen Unterkieferr/iek- lage des Neugeborenen heute oftmals infolge mangelnder Funktion mit der Verzahnung der Milehz/ihne eine Fixierung erfiihrt. Aueh ffir den wghrend des Zahnweehsels entstehenden DistalbiB h'glt A. M. S e h w a r z einen erbliehen Einflug fiir ge- geben, wenn eine Drehung der ersten Molaren, eine Gr6Ben- differenz der Milehmolaren, eine ungfinstige Dentitionsfolge oder Durehbruehsriehtung die Ur- saehen sind. Vielfaehe Zeiehen ffir einen erbliehen Zusammen- hang in Form von waehstums-

Abb. 8 m/igigen sagittalen Unstimmig- keiten der Kiefer und Gr6Ben- differenzen der Zahnkeime sind insbesondere bei dem genuinen DistalbiB (DistalbiB ohne Kom- pression und ohne DeekbiB- eharakter) vorhanden ( R u b - b r e c h t , K o r k h a u s , A.M. S e h w a r z , J o r d a n - W i n k l e r ) .

Als sieher erblieh bedingt kann die Entst.ehung best.imm- ter Formen des Kreuzbisses auf Grund abwegiger Keimlage an- gesehen werden, doeh dfirften im allgemeinen paratypisehe Einfliisse im Vordergrund ste- hen.

Ftir die Progenie, bei der sieh der idiotypisehe Einflug auf ein vermehrtes L~ingen- waehstum des Unterkiefers wie aueh auf eine Unterentwieklung des Oberkiefers und Mittelge- siehtes auswirken kann, konnte

Abb. 9 die angenommene dominance

Abb. 8 Ulld 9. Fernr6ntgenprofilaufllahn~en der EZ. Te. Vererbung mit Manifestations-

sehwankungen weiterhin best/itigt werden. So besteht in einer Familie beim Vater eine ausgeprfigte Progenie, alle 5 Kinder haben einen unteren VorbiB weehselnder

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Auspragung und der Grol~vater soll ebenfalls einen unteren Vorbig gehabt haben (Abb. 11). Bei einer anderen Familie mit progener Verzahnung konnte bei allen befallenen Familiemnitgliedern eine weitgehende fd'bereinstimmung im Aufban des Mittelgesiehtes im Sinne einer sagittalen Entwieklungshemmung naehgewiesen werden. Die Auswirkung modifizierender paratypiseher Einfliisse auf eine idio- typiseh gebundene Progenie konnte K o r k h a u s bei einem eineiigen Zwillingspaar mit gleieher Miiehgebil~progenie, bei dem sieh sp/iter bei einem Zwitling ein kor- rekter Frontzahniiberbil3 entwiekette, zeigen.

Inwieweit besondere Einfl/isse sieh zu einer versehiedenartigen Manifestation einer Erbanlage auszuwirken vermSgen, demonstriert das eineiige Zwillingspaar P. (Abb. 12 und 13). h n A l t e r yon 12 gahren ist bei dem einen Zwilling eine Pro- genie mit MesialbiB und bei dem anderen Zwilling ein knapper Sehneidezahn- iiberbiB bei Neutralokklusion im Molarengebiet vorhanden, obwohl der Platz fiir

Abb. 10. Durchze ichmmgen der Fc rn rbn tgenau fnahmen der EZ. To, ~laeh der XS zur Deckung gebracht

die oberen Eekz~hne bei dem einen Partner nur teilweise und bei dem anderen ganz verlorengegangen ist. Die FernrSntgenaufnahmen und der Vergleieh ihrer Durehzeiehnungen lassen eine vollkommene l~bereinstimmung im Aufbau des Mittelgesiehtes und eine weitgehende Gleiehheit der Seh~idelkalotte erkennen. Aueh die Form des Unterkiefers zeigt, keine wesentliehe Abweichung, versehieden ausgepr'agt sind jedoeh die Kieferbasiswinkel sowie die Aehsenstellung der oberen und unteren Frontz/ihne. I m Zusammenhang mit der versehiedenen Frontzatm- verzahnung ist aueh der Profilverlauf im Untergesieht untersehiedlieh.

i2"ber die Art des genetisehen Einflusses besteht bei der Progenie mit einer Unterentwieklung des Oberkiefers, soweit es sieh nieht um eine Niehtanlage der oberen seitliehen Sehneidez/ihne handelt, noeh weitgehende Unklarheit. Der Seh~tdelaufbau weist bei diesen F~tllen eine gewisse -ghnliehkeit mit den Bildern der yon K a n t o r o w i e z mitgeteilten F.alle C r o u z o n s e h e r Krankheit , der erb- lichen 8ynostosis eranialis, auf. In/ ihnlieher Riehtung deutet aueh die Beobaeh-

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tung von Progenien mit extremer Oberkieferunterentwicklung bei Kindern, deren Vater auf Grund einer Entwieklungshemmung im Oberkiefer in Form einer Lippen-Kiefer-Gaumenspalte eine progene Frontzahnokklusion hat. Es liegt der Verdaeht nahe, dag bei beiden Waehst,umsst6rungen ein genetischer Zusammen- hang besteht, der sieh im Phgnotypus in so verschiedener Weise manifestiert.

Ffir die Bildung der Lippen-Kiefer-Gaumenspalt.etl n immt K r e b s auf Grund der A s t elsehen Sippschaftstafelmethode einen polyhybrid rezessiven Erbgang

Abb. 11. Gebigbeflu~dc der Fami l ie V. Der Vate r und alle 5 Kinde r haben cine progen(7 Anlage

an, und R i t t e r glaubt, dab eine Spaltbildung vom Zusammenspiel verschieden lokalisierter autosomaler Gene abh/ingig ist, wobei peristatische Einflfisse zu- s/itzlieh beitragen k6nnen. Der peristat.isehe EinfluB soll zur Manifestation des Erbmerkmals beitragen, wenn eine genotypische Bereitsehaft zur Entstehung der Migbildung vorhanden ist. Die genotypisehe Bereitschaft. wird auf eine Mutation der normalen Lippen-Kieferanlage zur/ickgefiihrt, die dutch peristatische Ein- fl/isse entstehen kann und (lie sich fortlaufend vererbt (5[ulle r).

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Als ein wiehtiges Merkmal der Progenie wird neben den genotypiseh bedingten sagittalen Wachstumsdifferenzen aueh die Steilstellung der oberen Sehneidezahn- keime angesehen. A. M. S e h w a r z unterseheidet daher aueh zwei versehiedene Formen endogen bedingter Progenien. Die invertierte Aehsenstellung gibt aueh die Erkl/irung f/Jr das Vorkommen yon Progenie und Deekbift in einer Familie und fiir die genetisehe Verwandtsehaft bes t immter Arten beider, im Ph/~notypus so sehr versehiedenen Krankheitsbilder.

Auch f/ir den Deekbif~ wird eine dominante Vererbung mit gelegentliehen Manifestationssehwankungen angenommen ( B a l l a r d , K a n t o r o w i e z , K o r k - h a u s). Das eharakteristisehe idiotypisehe Merkmal ist die Steilstellung der oberen Frontz/ihne; es ist aber noeh ungekl/irt, ob der typisehe Aufbau des DeekbiB- seh/idels ebenfalls endogen gesteuert ist, oder ob es sich hierbei mehr um eine

Abb. 12 Abb. 13

Abb. 12 und 13. Fernr6ntgenaufnahmen der EZ. Pa.

Anpassung auf Grund exogener Einflfisse handelt. Die Ents tehung des halb- seitigen Deekbisses erkl/irt R e i e h e n b a e h dureh eine Verdr/ingung der Front- z/ihne, er glaubt im Gegensatz zu B i m l e r nieht an eine halbseitige Vererbung. Zweifellos idiotypiseh gebunden ist der SehaehtelbiB des Neugeborenen, er stellt die Vorstufe des genuinen Deckbisses dar. Der beim DeekbiB als vorwiegend alveol/ire Retrusion sieh darstellende DistalbiB weist auf die relative Unabh~ngig- keit des Waehstums des Unterkieferk6rpers hin.

In l)bereinstimmung mit R u b b r e e h t werden yon Muzj die ,,untere Retro- gnathie" und ,,obere Prognathie" als vorwiegend erbliehe Anomalien angesehen. Eine Beeinflussung durch vorwiegend erbliehe Faktoren soll aueh bei der Pro- gnathie sowie bei der bimaxillfiren Protrusion und Retrusion vorhanden sein ( S a l z m a n n , L e b o w , Sawin) .

Eine Disharmonie yon Zahn- und Kiefergr6ge fiihren A s b e l l und ~iuzj auf ein Zusammentreffen nieht passender erblieher Faktoren zurfiek, wie aueh A. M. S c h w a r z der Ansieht ist, dab nicht etwa eine geschleehtsgebundene Ver-

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erbung yon Zahn- und Kiefergr613e, sondern ein Rassenuntersehied der Eltern (Berger) die Ursache f/it das Mif~verh/iltnis darstellt.

A b h . 14 A b b . 15

Abb . 14 l l nd 15. GeloilT~beftlnde t ier I~]Z. Kn . i m _a_lter yon i 1 J a h r e n

Als Voraussetzung fiir eine Auswirkung ursgehlieher exogener Faktoren wird bei der l~aehitis, der wiehtigsten Grundlage fiir die Entstehung eines eehten oft'enen Bisses, eine keimgegebene Krankheitsdisposition angenommen, an deren

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idiotypiseher Gebundenheit nieht zu zweifeln ist (Zieseh, B a u w e n s , K o r k - haus). Eine besondere Form yon offenem Big auf erblieher Orundlage im Zu- sammenhang mit genotypisehen Sehmelzhypoplasien h/fit S e h u l z e dureh ein polyphgnes Gen fiir gegeben. Der Erbgang soll unregelmgBig dominant sein, da der offene Big stets bei Mgnnern vorhanden ist, er bei Frauen dagegen dureh das gesunde Allel verhindert werden kann.

Bei den Kompressionsanomalien stehen naeh K o r k h a u s niehterbliehe Mo- mente ursgehlieh im Vordergrund, ohne dab sie jedoeh als rein erworben anzu- sehen wgren. Aueh bei den Folgen vorzeitigen Zahnverlustes auf Grund eines vorzeitigen Zahnverfalls darf ein, wenn aueh geringer, erblieher Anteil angenom- men werden ( K o r k h a u s ) , obgleieh ungfinstige Umweltseinflfisse zweifellos vor- herrsehend sind (A. M. S e h w a r z , Wei tz ) . Oerade diese beiden grogen Gruppen yon Anomalienkomplexen zei- gen die besonderen Sehwierig- keiten bei der Seheidung der idiotypisehen Anlage yon den paratypisehen Einflfissen auf und veransehauliehen, da6 es bei der komplexen Bedingtheit der GebiBanomalien nut/iugerst selten m6glieh ist, zwisehen rein erbliehen und rein erwor- benen Merkmalen zu unter- seheiden.

Das eineiige Zwillingspaar K. (Abb. 14 bis 16) stellt ein Beispiel au6erordentlieh weit- gehenderl~bereinstimmung aller eharakteristisehen Merkmale idiotypiseher Anlage und nahe- zu gleieher Auswirkung para- typiseher Einfl/isse dar. So sind die Zahnformen und dis Aus- bildung des H6eker-Fissuren- Reliefs bei beiden Kindern wei- testgehend gleieh, die Stellung

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Abb. 16. Durehze iehnungen der Fernr611tgenprofi lauflmhmen der EZ Ka. naeh der NS zur Deekung gebraeht

der unteren Frontz~hne ist gleiehartig, und bei beiden Partnern ist der reehte obere zweite Pr/imolar palatinal verdr/ingt zum Durehbrueh gekommen. Im Oberkiefer bestehen auf der linken Seite insofern gewisse Untersehiede, als bei dem einen Zwilling der zweite Pr/imolar keinen Platz zum Durehbrueh in der Zahnreihe findet und der Eekzahn bereits zum Durehbrueh zwisehen dem seitliehen Sehneide- zahn und dem ersten Pr~molaren gekommen ist, w/ihrend bei dem anderen Partner sieh der zweite Pr/tmolar in den Zahnbogen einreihen konnte und der Eekzahn aul3erhalb der Zahnreihe zum Durehbrueh kommt. Diese Versehieden- heit d/irfte mit dem Ablauf des Zahnweehsels im Zusammenhang stehen, indem der zuerst durehkommende Zahnkeim den zu seiner Einstellung erforderliehen Platz t'iir sieh in Ansprueh genommen hat und bei dem gegebenen Platzmangel der sp/iter durehbreehende Zahn augerhalb der Zahnreihe durehbrieht. Bei der Drehung der oberen seitliehen Sehneidez~hne ist ein gradueller Untersehied vorhanden, bei dem einen Zwilling sind sie fast ganz hinter der unteren Zahnreihe verfangen, (i ,For t sehr i t t e der Kieferor thop/ idie Bd. 22 H . 1

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wfihrend sie bei dem anderen Zwilling noeh Okklusionskontakt mit den unteren Frontz/ihnen finden. Die Profilaufnahmen veransehauliehen die weitgehende l~ber-

Abb. 17 Abb. 18

Abb. 17 und 18. Gebil3befllnde der ZZ Bu. im Alter yon 1 2 � 8 8 J ah ren

einstimmung im Aussehen der beiden M/idchen, die Fernr6ntgenaufnahmen und der Vergleieh ihrer Durehzeiehnungen zeigen, dab aueh der Aufbau des Kiefer- gesiehtssch/idels eine iiberaus groBe Td~bereinstimmung aufweist.

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Im Gegensatz hierzu weist das zweieiige Zwillingspaar B. (Abb. 17 bis 20) sowohl im Kauorgan als aueh im Seh/idelaufbau fiberaus groBe Untersehiede auf. Weder die Form der Z/ihne oder ihre Stellung im Zahnbogen, noeh die okklusalen Beziehungen der Zahnreihen zueinander geben einen Hinweis auf gleiehe idio- typisehe Bedingtheit. Aueh der Aufbau und die Form des Kiefergesichtsseh/idels sind sehr versehieden, wie die Fernr6ntgenaufnahmen und tier Vergleieh ihrer Durehzeiehnungen demonstriert.

Abb. 19 Abb. 20

Ab},. 19 mid 20. Fe rn rOntgenauhmhmen der ZZ Bu.

Die grogen Schwierigkeiten, die bei der Seheidung des Anteils der idiotypi- schen Anlage yon dem Anteil der paratypisehen Beeinflussung bestehen, ersehwe- ren besonders die K1/irung der -~tiologie und Genese der grogen Gruppe der Kom- pressionsanomalien und der Folgen vorzeitigen Zahnverlustes. Zur K1/~rung der vielfiiltigen Zusammenh/inge erseheint jedoch die Zwillingsforsehung ganz be- sonders geeignet.

So hat die Erforsehung der "-~tiologie und Genese der Gebif3anomalien in den letzten Jahren zur Erkennung vieler im Genot.yp verankerter Fehlbildungen fiihren k/~nnen, es sind jedoeh noch zahlreiehe Fragen iiber das Zusammenwirken yon Erbmasse und Umwelt im Entwieklungsgesehehen des Kauorgans und Gesiehtsseh/idels ungeklfirt.

A n s e h r i f t d. Verf . : H a m b u r g 20, Lenhar tzs t r . .q

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