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„Erfolg im Konzern ist vergleichbar mit Mannschaftssport“ Die Gestaltung von Anreizsystemen in Unternehmen ist keine reine Aufgabe von Personalabteilungen, auch das Controlling spielt eine entscheidende Rolle. Dr. Richard Lutz, CFO der Deutschen Bahn AG und DB Mobility Logistics AG, ist überzeugt von der Notwendigkeit, mit variabler Vergütung nicht die individuelle Fixierung auf eine einzelne Ergebnisgröße, sondern den Mannschaftsgedanken im Unternehmen zu transportieren. Richard Lutz im Dialog mit Jürgen Weber 14 Controlling & Management Review 1 | 2014 Schwerpunkt | Im Dialog

„Erfolg im Konzern ist vergleichbar mit Mannschaftssport“

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Page 1: „Erfolg im Konzern ist vergleichbar mit Mannschaftssport“

„Erfolg im Konzern ist vergleichbar mit Mannschaftssport“Die Gestaltung von Anreizsystemen in Unternehmen ist keine reine Aufgabe von Personalabteilungen, auch das Controlling spielt eine entscheidende Rolle. Dr. Richard Lutz, CFO der Deutschen Bahn AG und DB Mobility Logistics AG, ist überzeugt von der Notwendigkeit, mit variabler Vergütung nicht die individuelle Fixierung auf eine einzelne Ergebnisgröße, sondern den Mannschaftsgedanken im Unternehmen zu transportieren.

Richard Lutz im Dialog mit Jürgen Weber

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Herr Lutz, bei der Bahn als öffentlichem Unternehmen er-wartet man nicht unbedingt leistungsbezogene Anreize. Wie ist Ihr heutiges Anreizsystem entstanden?Mit der Bahnreform 1994, die demnächst übrigens 20-jähri-ges Jubiläum hat, wurden die beiden Behörden Deutsche Bun-desbahn und Deutsche Reichsbahn zusammengeführt und in eine Aktiengesellschaft ausgegründet. Das Grundgesetz pos-tuliert ausdrücklich, dass die DB AG als Wirtschaftsunterneh-men in privatrechtlicher Form zu führen ist. Wir haben zwar eine „behördliche Historie“, können aber unsere Tarifverträ-ge für Mitarbeiter und die Gehaltsbedingungen der Füh-rungskräfte an industrieüblichen Maßstäben orientieren. Für ein im Markt und Wettbewerb agierendes Unternehmen ist das auch gut so. Trotz allem ist auch unser „behördliches Erbe“ noch an einigen Stellen zu spüren. Wir stoßen beispiels-weise bei den zugewiesenen Beamten an unsere Grenzen, wenn es um Stellenbewertung und Beförderung sowie die Höhe leistungsabhängiger Vergütungsbestandteile geht. Das kann dazu führen, dass bei einem beamteten Mitarbeiter we-niger Geld ankommt als bei einer Tarifkraft, obwohl beide die gleiche Verantwortung tragen bzw. eine gleich hohe variable

Vergütung bekommen. Das ist natürlich ein Problem, denn wir wollen Menschen angemessen und fair bezahlen. Und dazu gehört, gleiche Sachverhalte auch gleich zu vergüten. Solche beamtenrechtlichen Verwerfungen sind schwer zu ver-mitteln und werden von den beamteten Mitarbeitern auch als ungerecht empfunden. Unser heutiges Anreizsystem hat sich über die Jahre entwickelt. Die Vergütungspolitik für Füh-rungskräfte wird regelmäßig auf Angemessenheit und Indus-trieüblichkeit überprüft.

Wie hoch ist in Ihrem Konzern der Anteil variabler Vergü-tung? Orientieren Sie sich dabei an Industriestandards oder entwickeln Sie Ihr Anreizsystem aufgrund Ihrer Historie unabhängig davon weiter? Wir haben unser System sowohl an externen Standards als auch an internen Anforderungen ausgerichtet. Da wir natür-lich auch Führungskräfte von außen akquirieren, ist es wich-tig für uns, markt- und anschlussfähig zu sein. Wir bezahlen ein Grundgehalt sowie verschiedene variable Vergütungs-bestandteile. Höhe und Struktur gleichen wir mit professio-neller Unterstützung mindestens alle zwei Jahre ab und auch,

Dr. Richard Lutzwurde 1964 in Landstuhl/Pfalz geboren. Nach einem BWL-Studium in Saarbrü-cken und einer Assistenzzeit an der Uni-versität Kaiserslautern begann er 1994 im Konzern-Controlling der DB AG. Nach verschiedenen Stationen in der Finanz-funktion des DB Konzerns übernahm er im April 2010 das Ressort Finanzen und Controlling im Vorstand der Deutsche Bahn AG und DB Mobility Logistics AG. Der DB Konzern ist assoziiertes Mitglied im Internationalen Controller Verein (ICV). Dr. Richard Lutz ist stellvertreten-der Vorsitzender des Kuratoriums des ICVs, das von Herrn Professor Weber ge-leitet wird.

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ob unser Gehaltsgefüge noch in den Markt passt. Letztend-lich müssen wir aber unseren eigenen Weg finden. Wenn wir unser System weiterentwickeln, muss es zu uns und zu den Dingen passen, die uns wichtig sind. Unser Anreizsystem ein-fach nur von anderen zu kopieren, wäre zu kurz gesprungen.

Wer treibt bei Ihnen im Haus diese Entwicklung? Sie als CFO oder mehr der HR-Bereich?Das Thema „Anreizsysteme“ ist wesentliches Element von Tarif- und Vergütungspolitik und deshalb im Personalbe-reich angesiedelt. Wenn es um konzeptionelle Fragen geht, diskutieren wir allerdings gemeinsam, und zwar im gesam-ten Vorstand.

Eine wesentliche Idee von Anreizsystemen ist, Mitarbeiter langfristig zu beteiligen, um Engagement und Bindung an das Unternehmen zu erzeugen. Was sind dahingehend Ihre Position und Ihre Erfahrung?Von der Grundidee bin ich zutiefst überzeugt. Engagement und Bindung an ein Unternehmen entstehen aber nicht nur über Gehalt und Anreizsysteme. Eine sinnstiftende und über-zeugende Vision gehört ebenso dazu wie eine gute Führungs-kultur und ein anspornendes Arbeitsklima im unmittelbaren

Umfeld. Bei den Gehaltsbestandteilen für Führungskräfte haben wir die üblichen Elemente: Grundgehalt als Ausdruck der Stellenverantwortung, einen Short Term Incentive (STI), der individuelle Leistung und Anteil am Unternehmenserfolg reflektiert, und einen auf Langfristziele ausgerichteten Long Term Incentive (LTI). Offen gesprochen haben wir mit lang-fristigen Erfolgsbeteiligungen aber noch nicht sehr viel Erfah-rung. Unser jetziger LTI existiert erst seit ein paar Jahren und ist begrenzt auf die Top 200 des Konzerns.

Denken Sie über Lösungsmöglichkeiten nach, wie langfris-tige Komponenten gestaltet werden können?Ja, das tun wir. Unser jetziger LTI ermittelt über Ergebnis-größen und Multiples einen virtuellen Enterprise Value und leitet dann über den Abzug bilanzieller Verschuldungspositi-onen einen Equity Value ab, der als Hilfsindikator für eine Aktienkursentwicklung dient. Wenn man von methodischen Schwächen absieht, die jedes System hat, das versucht, Reali-täten zu simulieren, dann gibt es eine sehr grundsätzliche Dis-kussion, die man meines Erachtens führen muss. Wenn man Nachhaltigkeit nicht nur an finanziellen Zielen festmacht, sondern alle drei Dimensionen der Nachhaltigkeit im Blick hat – nämlich „Ökonomie“, „Ökologie“ und „Soziales“ –, dann sollte sich das eigentlich auch in einem auf Langfristigkeit aus-gerichteten Gehaltsbestandteil wie dem LTI niederschlagen. Wir können uns derzeit vorstellen, dass wir genau diese drei Säulen in einem LTI verankern, um die Nachhaltigkeit des Geschäftsmodells und die langfristige Potenzialentfaltung noch stärker zu betonen.

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„Unser jetziger LTI ist begrenzt auf die Top 200 des Konzerns.“

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Glauben Sie nicht, dass Sie mit einer Ausweitung von LTIs auf Mitarbeiterebene mehr Probleme in der Operationali-sierung schaffen? Mitarbeiter wechseln den Arbeitsplatz und sind dadurch eventuell gar nicht so lange für bestimm-te Dinge verantwortlich, dass sie die Früchte ihrer Arbeit ernten können. Bei unseren Forschungsprojekten beobach-ten wir daher eher eine Tendenz zurück zu kurzfristigen Anreizen.Diese Tendenz würde ich für bedauerlich halten. Die gesell-schaftliche Akzeptanz von Geschäftsmodellen wird heute von der Öffentlichkeit sehr viel stärker hinterfragt als frü-her – meines Erachtens zu Recht. Das gilt gerade in Bezug auf ökologische Aspekte und den ressourcenschonenden Umgang mit „Mutter Erde“. Insoweit sollten Nachhaltig-keitsaspekte eher stärker in den Fokus der Unternehmen rücken. Operationalisierung und Zurechenbarkeit von Leis-tung zu Ergebnissen sind natürlich immer ein Thema bei Anreizsystemen. Ich glaube, man muss sich damit abfinden, dass es kein gerechtes System geben kann, sondern maximal eines, das einfach und transparent ist und in der Führungs-mannschaft als einigermaßen fair und angemessen akzep-tiert wird. Das Zuordnungsproblem von individueller An-strengung zu Ergebnissen und Resultaten wird natürlich umso schwieriger, je weiter man die Hierarchiestufen nach unten geht. Deshalb muss man sich gut überlegen, wie tief gestaffelt man mit ergebnisorientierten Anreizsystemen unterwegs sein will. Wir sind hier gerade am Umdenken. Denn in einem so verflochtenen Konzern wie der DB, wo Wertschöpfungsstufen teilweise über Geschäftsfeldgrenzen

hinweg organisiert sind, kann man auch falsche Anreize setzen. Erfolg im Konzern ist vergleichbar mit Mannschafts-sport. Wenn der Mittelstürmer danach bezahlt wird, wie viele Tore er schießt, wird er sich im Zweifel egoistisch verhalten. Wenn aber jedem klar ist, dass es um den Erfolg des Teams geht, dann gibt er den Ball auch mal ab, wenn sich die Torchancen dadurch vergrößern. Wenn im Unterneh-men gesagt wird, dass Zusammenarbeit wichtig ist, die Be-zahlung am Ende des Tages aber an der Leistung des Einzel-nen festgemacht wird, so wird Ersteres immer ein reines Lippen bekenntnis bleiben.

Wie sollten die individuellen und die Team-Anreize ge-wichtet sein? Vermutlich sind die individuellen Anreize auf Ihrer Ebene stärker als an anderen Positionen im Unter-nehmen?Von der Grundidee ist es immer so, dass es eine individu elle Leistung braucht, damit jemand bewertet werden kann. Manchmal hadere ich allerdings mit den SMART-Kriterien. Es ist toll, über spezifische, messbare, akzeptierte, realisti-

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„Wenn wir alle nur noch das machen würden, was an konkreten Zielen in unserer Zielvereinbarung steht, ginge es dem Konzern schlecht.“

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sche und terminierbare Ziele zu verfügen. Aber diese Grund-idee artet teilweise in Messbarkeits-Fetischismus aus. Ich bin überzeugt, dass bei der Beurteilung individueller Leistung auch ein Stück weit „Willkür im positiven Sinne“ vonnöten ist, damit in der Beziehung zwischen Führungskraft und Mitarbeiter nicht nur entlang von SMART-Kriterien gerech-net, sondern entlang von Gesamteindruck zu Engagement, Leistung und Führungsverhalten auch bewertet und beur-teilt wird. Wenn wir alle nur noch das machen würden, was an konkreten Zielen in unserer Zielvereinbarung steht, dann ginge es dem Konzern schlecht. Bei den ergebnisorientier-ten Zielen muss man ebenfalls aufpassen. Auch hier sind wir gerade am Umdenken. Die Grundfrage ist, welche Signale wir mit diesem variablen Gehaltsbestandteil setzen wollen. Wenn wir sehr spezifische Ergebnisgrößen im unmittelba-ren Einflussbereich der Führungskraft incentivieren, dann schaffen wir genau jene Anreize, die bereichsübergreifende Zusammenarbeit und Mannschaftsspiel vielleicht verhin-dern. Ein alternatives Modell könnte so aussehen, dass wir auf sehr hoch aggregierte Ergebnisgrößen gehen und weni-ger auf Planerreichung als auf die Entwicklung im Zeitab-lauf abstellen. Das ist dann eine „Schicksalsgemeinschaft“ in guten und schlechten Zeiten – eine Beteiligung am gemein-sam erzielten Erfolg. Wenn mehr erwirtschaftet wird, kann auch mehr verteilt werden. Hier ist dann auch Anschluss-fähigkeit für eine Erfolgsbeteiligung von Mitarbeitern ge geben, weil die Beeinflussbarkeit von Ergebnissen hier ohnehin nicht mehr gegeben ist.

Passt dieser Ansatz zu den Motivationsstrukturen der Mit-arbeiter?Ja, das denke ich schon. Aber es lohnt sich, diese Frage etwas genauer zu beleuchten und eine grundsätzliche Antwort dar-auf zu finden, bevor man über die konkrete Ausgestaltung von Anreizsystemen nachdenkt. Also: Welches Menschenbild haben wir eigentlich von unseren Mitarbeitern und Führungs-kräften? Müssen wir wirklich über Gehaltsstrukturen und An-reizsysteme sicherstellen, dass die richtigen Ziele verfolgt und die notwendigen Dinge gemacht werden? Ich glaube, dass die Frage von Gehalt und variablen Vergütungsbestandteilen dabei nicht die entscheidende ist! Natürlich müssen wir unse-re Mitarbeiter und Führungskräfte fair und angemessen be-zahlen. Aber hohes Engagement und die Bereitschaft, wirk-lich Außergewöhnliches zu leisten, hängen meines Erachtens von ganz anderen Faktoren ab. Menschen arbeiten gerne, wenn sie Teil eines sinnvollen Ganzen sind, die konkrete Auf-gabe Spaß macht und fordert, wenn sie autonom und selbst-ständig agieren dürfen, wenn sie Verantwortung übernehmen können und etwas bewegen dürfen und wenn Fehler als wich-tiger Bestandteil einer lernenden und sich entwickelnden Or-ganisation begriffen werden. Gehalt und Anreizsysteme sind ein „Hygienefaktor“, aber nicht die entscheidende Vorausset-zung für motivierte Mitarbeiter und Führungskräfte. Im Ge-genteil: Man muss eher aufpassen, dass man mit Anreizsyste-men, die über einen längeren Zeitraum wirken, nicht Demo-tivation schafft, weil sie als nicht gerecht empfunden werden.

Wie schaffen Sie es letztlich, sowohl die persönliche als auch die Mannschaftsmotivation aufzubauen? Haben Sie eine Transparenz über die Beiträge der Einzelnen, was dann wiederum die Mannschaft voranbringt?Sagen wir mal: Zumindest die Resultate der Einzelnen sind deutlich erkennbar. Sie sprechen hier aber noch eine andere Dimension im Themenbereich „Management“ und „Anreiz-systeme“ an, nämlich die Frage, wie man eine Führungsmann-schaft betrachtet. Haben wir den besten Linksaußen oder sind wir insgesamt nur Durchschnitt? Durchschnitt reicht eigent-lich nicht, wir müssen einer der drei Besten der Liga sein. Sind wir dann auch konsequent genug, jemanden auszutauschen? Schauen wir auch nach der Team-Effizienz? Denn es kommt ja nicht darauf an, die besten elf Einzelspieler zu haben, sondern die elf, die am besten zusammenspielen. Ich würde zumindest sagen, dass wir gerade in den letzten zwei oder drei Jahren aufmerksamer geworden sind bei den Themen „Mann-schaft“ und „Einzelspieler“. Wir sind als Führungskräfte ja

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Deutsche Bahn AG und DB Mobility Logistics AG

Der Deutsche Bahn Konzern ist ein internationaler Anbieter von Mobilitäts- und Logistikdienstleistungen und agiert weltweit in über 130 Ländern. Rund 300.000 Mitarbeiter, davon rund 194.000 in Deutschland, setz-ten sich täglich dafür ein, Mobilität und Logistik für die Kunden sicherzustellen und die dazugehörigen Verkehrsnetze auf der Schiene, der Straße, zu Wasser und in der Luft effizient zu steuern und zu betreiben. Im Geschäftsjahr 2012 betrug der Umsatz des DB-Konzerns rund 39,3 Milliarden Euro und das um Son-dereffekte bereinigte operative Ergebnis (EBIT) rund 2,7 Milliarden Euro.

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nicht nur Sachbearbeiter, sondern es ist ein Teil unserer Ver-antwortung, Mitarbeiter zu fördern, zu entwickeln, die Mann-schaft immer optimal aufzustellen. So sollte es zumindest sein. Teil unserer Aufgabe ist es deshalb, aufmerksam zu be-obachten, wer Potenzial hat. Die richtigen Menschen auf den richtigen Plätzen – das ist letztlich ein entscheidender Erfolgs-faktor und ein wichtiges Differenzierungskriterium im Wett-bewerb. Wenn einer vielleicht ein guter Linksaußen, aber ein besserer Mittelstürmer ist, dann müssen wir dies erkennen und ihn dahin entwickeln. Das bedeutet auf Mitarbeiterseite allerdings auch, sich selbst zu reflektieren und bereit für Ver-änderungen zu sein. Dieses Streben nach Verbesserung, diese innere Haltung ist enorm wichtig. Das ist sicherlich ein ande-res Element als Entlohnung, aber nicht minder bedeutend.

Sie hatten vorhin von einem gewissen Maß an „Willkür“ ge-sprochen, die erforderlich sei, um eine Person insgesamt einzuschätzen. Ließe sich diese Subjektivität, wenn ich es mal positiver ausdrücke, nicht ein Stück objektivieren, indem man Beurteilungen in einer Runde aus mehreren Führungskräften durchführt?Im Moment arbeiten wir für eine Beurteilung auf zwei Ebe-nen. Zuerst gibt es auf der „Mikroebene“ das Gespräch zwi-schen Vorgesetztem und Mitarbeiter. Er beurteilt dessen Leis-tung, Führungsverhalten, die Zusammenarbeit, den Grad der Reflektiertheit, die Kommunikation. Diese Bewertung wird dann in sogenannten Management-Konferenzen besprochen, in denen eine größere Gruppe an Führungskräften diese Ein-schätzung mit ihren eigenen Eindrücken abgleicht, harmoni-siert und validiert. Im Moment fühlen wir uns mit dieser Vor-gehensweise, in der natürlich Subjektivität enthalten ist, ganz wohl. Allerdings ließe sich das Verfahren noch stärker objek-tivieren, wenn wir auch das Umfeld dieser Führungskraft sys-tematischer miteinbeziehen. Das alle zwei bis drei Jahre obli-gatorische 360-Grad-Feedback wird dafür noch nicht heran-gezogen, weil es im Moment vor allem der Führungskraft selber zur Selbstreflexion und zum Abgleich zwischen Eigen-einschätzung und Fremdbild dient. Aber das kann ein nächs-ter Schritt sein. Aus eigener Erfahrung und eigenem Erleben heraus denke ich allerdings, dass wir heute weniger mit zu viel Subjektivität als vielmehr mit zu viel Formalismus und zu we-nig Inhalt und Reflexion zu kämpfen haben. Die Bewertung darf nicht verkommen zu einem formalen Abarbeiten von Punkten. Ich habe mir mittlerweile angewöhnt, in einem ers-ten Schritt die ganzen Formblätter wegzupacken und mit den mir zugeordneten Mitarbeitern einfach bewusst und offen ins

Gespräch zu kommen. Ist die Führungsbeziehung noch robust, wie offen und ehrlich gehen wir miteinander um, wie reflek-tiert geben wir Feedback und so weiter? Natürlich entlang der relevanten Inhalte, aber ohne Formalismus. Das tut gut, und hinterher kann man dann immer noch seine Kreuzchen auf den Bewertungsbögen machen und Unterschriften leisten.

Wie sehen Sie Anreizsysteme in zehn Jahren? Was wird sich verändern? Meiner Meinung nach werden wir eine Tendenz sehen, in der sich auf der einen Seite das Thema „variable Vergütung“ ein Stück weit in der absoluten Größe relativieren und auf der an-deren Seite die „Beteiligung am gemeinsamen Erfolg“ stärker betont werden wird. Systeme werden in Zukunft den Blick auf das große Ganze, auf Zusammenarbeit und Team richten. Zumindest für unseren Konzern wäre das etwas, was wir uns wünschen und an dem wir bereits arbeiten. Auch das Verhält-nis von Grundvergütung zu variabler Vergütung wird sich verschieben, um die Mitarbeiter nicht zu sehr auszurichten auf ihr Gehalt, sondern vielmehr auf das Geschäft. Da wird in Zukunft das Thema Grundgehalt eine stärkere Rolle spielen, durchaus anerkennend, dass es in bestimmten Branchen an-dere Mechanismen in den Märkten gibt. Diese müssen wir zur Kenntnis nehmen und beachten. Der generelle Trend wird aber dahin gehen, etwas weniger Extreme im variablen Be-reich und einen größeren Blick auf das große Ganze zu haben. Es kommt keine Revolution, mehr eine Evolution. Sie, lieber Herr Professor Weber, berichten von den Ergebnissen Ihrer Forschungsprojekte, nach denen die langfristige Anreizset-zung aktuell zurückgedrängt wird zugunsten von kurzfristi-gen Anreizen. Ich hoffe und erwarte, dass sich das in der Langfristperspektive wieder ändert, weil es auf nachhaltige Geschäftsmodelle und nachhaltige Entwicklungen sowie Potenzialentfaltung ankommt. Wenn uns das wichtig ist – und das sollte es uns sein –, dann sollte sich diese Ausrichtung auch in den Anreizsystemen wiederfinden.

Herr Lutz, herzlichen Dank für das Gespräch.

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„Systeme werden in Zukunft den Blick auf das große Ganze, auf Zusammen-arbeit und Team richten.“