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erlassjahr.de Hintergrundpapier Griechenland: Die Kosten der Insolvenzverschleppung © Dieter Schütz, pixelio.de

erlassjahr.de Hintergrund - Griechenland: Die Kosten der Insolvenzverschleppung

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In den Hintergrundpapier "Griechenland: Die Kosten der Insolvenzverschleppung" vergleicht Jürgen Kaiser, politischer Koordinator von erlassjahr.de, Kosten und Nutzen eines Schuldenschnittes für Griechenland im April 2010 mit den im Februar 2012 beschlossenen Rettungsmaßnahmen.

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Hintergrundpapier

Griechenland: Die Kosten der Insolvenzverschleppung

© Dieter Schütz, pixelio.de

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Hintergrund – Die Kosten der Insolvenzverschleppung

Erschienen: 23.02.2012

erlassjahr.de - Entwicklung braucht Entschuldung Carl-Mosterts-Platz 1 40477 Düsseldorf Tel.: +49 (0) 211 - 46 93 - 196 Fax: +49 (0) 211 - 46 93 – 197 E-Mail: [email protected] Website: www.erlassjahr.de

Autor: Jürgen Kaiser

V.i.S.d.P Sebastian Bonse Öffentlichkeitsarbeit Tel.: +49 (0) 211 - 46 93 - 211 E-Mail: [email protected] Bildnachweis:

Titel: Dieter Schütz, pixelio.de

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Nicht zum ersten Mal nähren die Mitglieder der Troika die Erwartung, mit dem zweiten Ret-tungspaket für Griechenland werde die griechische Krise nun eingedämmt werden können. Die Griechen müssten hohe Opfer bringen - sicherlich. Auch könne man ihnen inzwischen nicht mehr die finanzielle Selbstbestimmung zugestehen. Vielmehr sei es – über die dauer-hafte Präsenz externer Aufseher in der Finanzverwaltung hinaus – nötig, den griechischen Schuldendienst vorab auf ein Treuhandkonto einzuzahlen. Dieses müsse dem Zugriff der gewählten Regierung entzogen sein und direkt den Gläubigern zugute kommen.1 Die Meinungen gehen auseinander, ob die getroffenen Maßnahmen die Staatspleite Grie-chenlands tatsächlich dauerhaft abwenden können. Es gibt gute Gründe, die dagegen spre-chen, die hier aber nicht diskutiert werden sollen. Vielmehr wollen wir hier den Blick auf die zeitliche Dimension der Griechenland-Rettung lenken.

Zeit ist Geld

Nehmen wir einen Moment an, die Rechnung der Troika würde aufgehen. Es spricht eine Menge dafür, dass das nicht der Fall sein wird. Aber nehmen wir mal für den Moment an, Griechenland könnte durch die getroffenen Neu-Finanzierungen verbunden mit einer nie da gewesenen Austerity-Politik und der dramatischen Beschneidung parlamentarisch-demokratischer Rechte tatsächlich eine Staatspleite verhindern, und irgendwann nach dem magischen Jahr 2020, bis zu dem den Hellenen2 auf jeden Fall Blut, Schweiß und Tränen bevorstehen, tatsächlich wirtschaftlich einen Neu-Anfang hinbekommen.

Dann stellt sich immer noch die Frage, ob dieses Ergebnis nicht schneller und zu geringeren sozialen und fiskalischen Kosten zu haben gewesen wäre. Um das herauszufinden, stellen wir im Folgenden einige überschlägige Rechnungen an. Wir stützen uns dabei – so weit nicht anders angegeben auf Daten aus dem Bericht der letzten Artikel-IV-Konsultation des IWF und die Schuldentragfähigkeitsanalyse vom 15.Februar 2012.3

Wir nehmen modellhaft an, die gleiche Entlastung, die als "freiwillige" Privatsektorbeteiligung (PSI) am 20.2.2012 als Teil des zweiten Rettungspakets von den Europäischen Finanzminis-tern dekretiert wurde, sei bereits unmittelbar nach Ausbruch der Krise umgesetzt worden. Wir datieren dies auf den 1.5.2010 an, also den nächsten Monatsanfang nach der spektaku-lären Bankrotterklärung des damaligen Premierministers Papandreou vor malerischer Ägäis-Kulisse. Gemäß dem heutigen (23.2.2012) Kenntnisstand nehmen wir weiterhin an, dass es dabei bei 109 Mrd. Euro Nominalwert-Verlust geblieben ist – auch, wenn zwischenzeitlich schon von einem höheren Betrag die Rede ist.

Die folgende überschlägige Berechnung bezieht sich ausschließlich auf Nominalwerte, auch, wenn die faktische Entlastung über einen längeren Zeitraum und – im Interesse der Gleich-behandlung unterschiedlich ertragsstarker Anleihen in Barwerten erfolgen muss.

Ergänzend zur Modellrechnung mit den Jahreswerten für 2010 haben wir eine Berechnung auf der Grundlage der Jahreswerte für 2009 und dem Schuldenstand am 31.12.2009 hinzu-gefügt. Eine schnelle Entlastung im Mai 2010 hätte im Ergebnis irgendwo zwischen den bei-

1 Der spektakuläre Eingriff in dieses besondere Grundrecht einer parlamentarischen Demokratie erinnert an die klassische Kanonanboot-Politik in der Zeit des Imperialismus. Spektakulär im Jahr 1903, als eine deutsch-britische Flotte venezolanische Häfen beschoss um die Abtretung der Zolleinnahmen des südamerikanischen Landes zur Besicherung der Ansprüche privater Gläubiger aus ihren Ländern zu erzwingen. Einige Jahre zuvor war auch Griechenland selbst unter die Zwangsverwaltung eines Gläubigerausschusses gestellt worden. Siehe: "Das Trauma der Fremdbestimmung" FTD 22.2.12 2 Zumindest denjenigen, die keinen Zugriff auf die bislang seit Beginn der Krise außer Landes geschafften 32 Mrd. Euro Privatvermögen haben 3 IMF Country Report CR 11/351; Dec. 2011

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den genannten Werten für die Jahre 2009 und 2010 gelegen, da in dieser Zeit der Schulden-stand Griechenlands beständig weiter gewachsen ist.

Geschätzt können wir deshalb davon ausgehen, dass der gleiche nominale Verlust der Pri-vatgläubiger wie er nun bis zum März umgesetzt werden soll, die Schulden bei einer soforti-gen Umsetzung auf rund 90% des Bruttoinlandsproduktes (BIP) reduziert hätte. Das damit die Schulden des Landes mittelfristig tragfähig geworden wären, kann keinesfalls als sicher gelten. Allerdings wäre die Wahrscheinlichkeit dafür deutlich höher als bei dem laut IWF nun für das Jahr 2020 zu erwartenden Niveau von 129%.

Tabelle: Fiktive und Reale Entlastung Griechenland

Zeitpunkt der Entlastung März 2012 Mai 2010 Dezember 2009

Schuldenstand in Mrd. € 360 329 299

Schuldenstand/BIP in % 166 145 129

Entlastung in Mrd € 109 109 109

resultierender Schuldenstand (Mrd. €)4 251 210 190

BIP (Mrd. €) 217 227 232

Schuldenstand/BIP in % nach Entlastung 116 92 82

Private Forderungen (Mrd. €) 206 297 297

Verlust Privatsektor in % des gesamten priv. Forderungsbestandes

53 37 37

Quellen: Schuldentragfähigkeitsanalyse des IWF (Review vom Dezember 2011; CR 11/351. IMF: Greece: Preli-minary Debt Sustainability Analysis; Feb. 15, 2012; FTD 22.2.2012; Eigene Berechnungen.

Deutlich wird, dass die Verschleppung der Insolvenz Griechenlands den inzwischen unver-meidlichen Schuldenschnitt für alle Beteiligten zu einer teureren Angelegenheit gemacht hat:

• Für die Griechen bedeutet die verspätete Entlastung, dass bei gleichem absolutem Entlastungsvolumen das erreichte Schuldenniveau – immer unter der Voraussetzung, dass die Umsetzung so glatt und problemlos verläuft, wie von der Troika angenom-men – deutlich niedriger gewesen wäre als bei der Entlastung am März 2012. Das hätte die Notwendigkeit der wachstumsgefährdenden Einsparungen im öffentlichen Sektor zumindest ein wenig abgemildert und es hätte das Zeitfenster für eine Steuer-flucht der wohlhabenden Griechen deutlich verkleinert. Die Erfahrung anderer weit reichender Schuldenerlasse legt nahe, dass Hellas bis heute bereits wieder einen vorsichtigen Aufschwung erleben würde.5 Auch stand im Frühjahr 2010 die inzwi-schen beschlossene Einschränkung der griechischen Demokratie noch gar nicht zur Debatte.

• Für die Steuerzahler in den Gläubiger/Geberländern bedeutet sie, dass das Risiko einer weiteren Entlastungsnotwendigkeit und weiteren Finanzierung des griechischen Schuldendienstes heute erheblich höher ausfällt als sie damals ausgefallen wäre.

4 De facto und in den Darstellungen der Schuldentragfähigkeitsanalyse sinkt der Schuldenstand erheblich weni-ger als hier angenommen. Der Grund besteht hauptsächlich in der Neukreditaufnahme aus dem öffentlichen Sektor, welcher hier zur isolierten Beschreibung des Entlastungseffekt ausgeblendet wurde. Durch den weiter gehenden Erlass wäre allerdings auch die Neuverschuldungs-Dynamik deutlich geringer gewesen als bei der verspäteten Entlastung im März 2012. 5 Beispiele für einen raschen Beginn der Erholung nach einem drastischen Schuldenschnitt sind u.a. Deutschland 1953, Argentinien 2002 und die meisten – wenngleich nicht alle - Länder im Rahmen der so genannten HIPC-Entschuldungsinitiative, nachdem ihnen ab 2005 endlich eine fast vollständige Entschuldung (MDRI) gewährt worden war.

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Und es bedeutet natürlich, dass sie selbst inzwischen mit insgesamt mehr als 100 Mrd. Euro ins Risiko treten mussten6.

• Für die Privatinvestoren, welche sich nicht zwischen April 2010 und März 2012 erfolg-reich aus Griechenland zurückgezogen haben, bedeutet das gleiche Entlastungsvo-lumen einen um 16 Prozent-Punkte höheren individuellen Haircut als sie bei einer zeitigen Entlastung hätten hinnehmen müssen.

• Verloren, wenn auch auf eine andere Weise hat auch die Idee der westlichen parla-mentarischen Demokratie, zu deren Grundpfeilern die Budgethoheit des Parlaments gehört. Die Beiläufigkeit, mit der Brüssel und Berlin im Mutterland der Demokratie die Außerkraftsetzung dieses Prinzips dekretieren ist politisch der beängstigendste As-pekt der griechischen Tragödie.

Gewonnen haben mithin allein diejenigen Privatinvestoren, welche sich entgegen der Zusi-cherung des IIF-Präsidenten Ackermann gegenüber dem Bundesfinanzminister7 zeitig aus Griechenland zurückgezogen haben. Alle anderen Beteiligten haben durch die Verschlep-pung verloren.

Wäre die Alternative überhaupt möglich gewesen?

Es wird von der Bundesregierung darauf hingewiesen, dass ein Konsens für einen Haircut im Sinne der oben beschriebenen Modellrechnung im April 2010 von den anderen Mitgliedern der Eurozone nicht zu bekommen gewesen wäre. Das ist richtig, wenn man ein Verfahren annimmt, wie wir es tatsächlich in den letzten 24 Monaten erlebt haben. Anders hätte es ausgesehen, wenn die Bundesregierung damals bereit die Griechen ermutigt hätte, die Kon-ditionen ihrer Schuldverschreibungen einseitig mit Collective Action Klauseln zu versehen, wie Athen es nun auch tun wird, um eine möglichst umfassende Beteiligung des Privatsek-tors zu erreichen.

Hätte Griechenland nach einem solchen Schritt alle Zahlungen eingestellt und einen offenen konsultativen Prozess unter Federführung einer anerkannten unparteiischen Institution auf den Weg gebracht, wäre ein Ergebnis wie das oben beschriebene erreichbar gewesen. An seriösen Stimmen, welche bereits vor zwei Jahren das Land faktisch in der Insolvenz gese-hen haben, hat es bereits damals jedenfalls nicht gefehlt.8

Die wichtige Frage in diesem Moment ist deshalb weniger, wer für das desaströse Krisen-management seit 2010 die Verantwortung trägt. Wichtig ist vielmehr, wie Deutschland und die Eurozone sich auf die nächste Krise vorzubereiten gedenken9. Collective Action Clauses sind eine nützliche Reißleine für Überschuldungssituationen mit den Charakteristika, die wir in Griechenland angetroffen haben. Aber nicht in jeder Krise ist die Schuldenstruktur mit dem Übergewicht der unter nationalem Recht begebenen Staatsanleihen so einlinig wie dort.

Der chaotische Prozess von der Leugnung der Krise über ihre schrittweise Anerkennung, dann Mittelmobilisierung zu ihrer Bekämpfung, dann Eingeständnis der Notwendigkeit eines Schuldenschnitts, und dann wiederum dessen schrittweise Ausweitung auf eine Größenord-

6 durch direkte öffentliche Finanzierungen, wie etwa durch die deutsche KfW, durch die Rettungsschirme EFSF und (demnächst) ESM, die IWF-Finanzierungen und schließlich den Anleihekauf der Notenbanken 7 "Wie die Banken sich um die Rettung drücken“; FAZ.NET 13.6.2011. 8 Siehe z.B.: "Die Gläubiger Athens müssten verzichten." Interview der Badischen Zeitung mit DIW-Direktor Mi-chael Hüther; 30.4.2010. Die Stellungnahmen von Wirtschaftsminister brüderle und Finanzminister Schäuble sprechen sich ähnlich aus. Siehe: http://www.erlassjahr-blog.de/blog/2010/04/21/finanzminister-schaeuble-fordert-staateninsolvenzverfahren/. Etwas später veröffentlichte der Brüsseler Think Tank Bruegel seinen Vor-schlag für eine geordnete Staateninsolvenz in der Eurozone; siehe: Gianviti, Krueger et al: A European Mecha-nism for Sovereign debt Crisis resolution. A proposal. 2010. 9 Statt erneut dem "Dieses-Mal-ist-alles-anders"-Syndrom anheimzufallen, welches notorisch davon ausgeht, die jeweils aktuelle Staatschuldenkrise die allerletzte in der Geschichte der Menschheit ist; siehe: Rogoff,K,, C. Rein-hart: This time is different. 200 years of financial folly. Oxford 2009.

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nung, von der wir bis heute nicht wissen können, ob sie ausreichend wird, hat einen hohen Preis gefordert. Entscheidend ist, dass vor und unabhängig von der nächsten Krise ein Ver-fahren vereinbart wird, welches schnelle und ausreichend tiefe Schuldenschnitte in einem von allen Beteiligten als fair empfundenen Verfahren ermöglicht. Die im Koalitionsvertrag enthaltene Verpflichtung zur Schaffung eines Staateninsolvenzverfahrens böte dafür eine exzellente Grundlage. Und die griechische Katastrophe einen ebenso exzellenten Anlass.