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SCHULDENREPORT SCHULDENREPORT SCHULDENREPORT SCHULDENREPORT SCHULDENREPORT 2011 ENTSCHÄRFT DIE SCHULDENKRISE

erlassjahr.de Schuldenreport 2011

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Der Schuldenreport 2011 stellt die aktuellsten Verschuldungszahlen aus über hundert Ländern vor und analysiert die Auswirkungen der globalen Krise vor allem auf die Entwicklungsländer. Nach wie vor ist die Tendenz bei vielen Niedrig- aber auch Mitteleinkommensländern alarmierend, deren Probleme werden jedoch von der politischen Debatte um bankrotte Volkswirtschaften in Europa überschattet.

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2011

ENTSCHÄRFT DIE SCHULDENKRISE

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IMPRESSUMSchuldenreport 2011

Eine gemeinsame Publikation vonerlassjahr.de - Entwicklung brauchtEntschuldung e.V. und Kindernothilfe e.V.

Redaktion:Jürgen KaiserJana ZwernemannKristina RehbeinFrank Mischo

© Copyright 2011

Layout und Satz:Kristina RehbeinJana Zwernemann

Fotos:©S. Hofschläger/PIXELIO’ (S. 6),©Oikocredit (S. 18), ©Robson/PIXELIO’ (S.19), ©Lothar Henke/PIXELIO’ (S. 259, ©Reuters/Philomon Bulawayo (S.25),©Reuters/Philomon Bulawayo (S. 26),©Thorsten Freyer/PIXELIO' (S. 29), ©Oikocredit (S. 34), ©erlassjahr.de (S. 37)

Druck:Knotenpunkt Offsetdruck GmbH, Buch/Hunsrück

Bestellung und Information:erlassjahr.de - Entwicklung brauchtEntschuldung e. V.Carl-Mosterts-Platz 140477 DüsseldorfTel.: 0211 / 4693-196Fax.: 0211 / 4693-197e-Mail: [email protected]

Schutzgebühr

AUTORENJürgen Kaiser ist politischer Ko-ordinator von erlassjahr.de. Davor warer zehn Jahre in der entwicklungs-bezogenen Bildungsarbeit der Evan-gelischen Kirche tätig.

Irene Knoke ist wissenschaftlicheMitarbeiterin bei SÜDWIND - Institutfür Ökonomie und Ökumene in Sieg-burg mit den ArbeitsschwerpunktenVerschuldung und Armutsbekämpf-ung. Sie vertritt SÜDWIND im Bünd-nisrat von erlassjahr.de.

Frank Mischo arbeitet im BereichLobby- und Öffentlichkeitsarbeit derKindernothilfe und ist u.a. als Bündnis-rat für erlassjahr.de und in der VENROAG Internationale Finanzinstitutionenund Armutsbekämpfung tätig.

Dr. Walter Ulbrich ist Vorsitzenderdes Oikocredit Förderkreises Bayerne.V. und Mitarbeiter im Koor-dinierungskreis von erlassjahr.de inBayern. Er engagiert sich seit 40Jahren ehrenamtlich in der Ent-wicklungszusammenarbeit, u.a. beiCampo Limpo, Solidarität mit Brasiliene.V.

Dr. Florian Grohs ist Geschäftsführervon Oikocredit Deutschland. Vorherwar er der Oikocredit Regional-betreuer für Osteuropa und für dieKreditvergabe an Agrargenossen-schaften und MFIs in Osteuropazuständig. Er ist studierter Agrar-ökonom und hat vorher bei der DZBANK und der Weltbank gearbeitet.

Jana Zwernemann arbeitet fürerlassjahr.de in den BereichenKampagnen- und Öffentlichkeitsarbeit.Sie ist Mitglied im Koordinierungskreisder internationalen Kampagne„Defuse the Debt Crisis“.

Kristina Rehbein ist Mitarbeiterin beierlassjahr.de und zuständig für dieAnalyse länderspezifischer Ver-schuldungsindikatoren und die Be-gleitung des HIPC-Informations-programms.

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INHALT

Vorwort - Ein faires und transparentes Schiedsverfahren - Warum gerade jetzt?

Staatsschuldenkrise im 21. JahrhundertSchuldenkrisen sind kein Ding der VergangenheitWoran erkennt man eine Schuldenkrise?Gefährdete LänderAktuelles Update zur Umsetzung der HIPC-Initiative

Wie wirken sich Klimawandel und andere externe Schocks auf die Schuldentragfähigkeit aus?

Simbabwe, das erste Land für ein faires und transparentes Schiedsverfahren?Simbabwe auf dem Weg in die internationale GesellschaftAuslandsschulden belasten den NeuanfangDie beste Möglichkeit: Ein faires und transparentes Schiedsverfahren für SimbabweEin faires und transparentes Staaten-Insolvenzverfahren (FTAP): Schritt für Schritt

Deutschland als Gläubiger - Bedeutung und Einnahmen nehmen abDeutschland und ODA

Herausforderungen im Mikrofinanzbereich - Führt Mikrofinanz zur Überschuldung?

Vom deutschen Koalitionsvertrag zu einer weltweiten EntschuldungsinitiativeÜberraschender Vorstoß in der EUWichtiger sind die G20Die Suche nach dem Ausweg aus der SchuldenfalleEntschärft die Schuldenkrise: Die Kampagne

Glossar

Ausgewählte internationale Literaturhinweise

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VORWORT

Ein faires und transparentesSchiedsverfahren – Warumgerade jetzt?

1 United Nations Conference on Trade andDevelopment (UNCTAD): The Least Devel-oped Countries Report 2010: Towards a NewInternational Development Architecture forLDCs. 2010, http://www.unctad.org/en/docs/ldc2010_en.pdf, S. 39 f.

2 Ebd., S. 170 ff.Außerdem in: International Monetary Fund(IMF): The Implications of the Global Finan-cial Crisis for Low-Income Countries. März2009, http://www.imf.org/external/pubs/ft/books/2009/globalfin/globalfin.pdf.

erlassjahr.de und Kindernothilfe e.V.bringen in diesem Jahr den drittengemeinsamen Schuldenreportheraus. Angesichts der Verschul-dungskrise in Europa, wo die Insol-venz von Griechenland und Irlandund in Zukunft von weiteren Ländernhauptsächlich durch den europäi-schen Rettungsschirm aufgefangenwird, bekommt das Thema einernachhaltigen Lösung einer Staaten-insolvenz eine neue Dynamik. DerSchuldenreport beschäftigt sich vorallem mit einer Lösung für dieStaaten, die leider nicht über einenRettungsschirm verfügen. In Europaund weltweit wird ein sinnvollesVerfahren gesucht. Einzelentschul-dungen führen langfristig nur zuweiterer Unsicherheit statt Entwick-lungsperspektiven.

Der Schuldenreport beschäftigt sichmit den aktuellen Entwicklungen inStaatsschuldenkrisen, mit demThema Schuldentragfähigkeit inZusammenhang mit verwandtenThemen wie Klimawandel undNahrungsmittelkrise, mit Simbabweals einem Beispielland für die ersteUmsetzung eines fairen undtransparenten Schiedsverfahrensund mit der Situation von Deutsch-land als Gläubiger, die gegenüberdem letzten Schuldenreportaktualisiert wurde. Die aktuelleDiskussion zu Problemen beiMikrofinanzierungen wird außerdemgenauso eingebracht, wie derpolitische Prozess, der für dieEinführung des internationalenInsolvenzverfahrens vor uns liegt.

Schuldenkrisen verschärfen Wirt-schaftskrisen. Steuerzahler werdendoppelt belastet. Sie zahlen dieZinsen an die Finanzinstitutionenund erleben eine Reduzierung derstaatlichen Grundversorgung als

Folge der fehlenden Finanz-ressourcen. In mehr als der Hälfteder Niedrigeinkommensländerhaben sich die Staatsschulden imVerhältnis zum Bruttonationalein-kommen seit 2007 fast verdoppelt.Besonders osteuropäische Staatenwurden durch die Finanzkrise hartgetroffen. Hochverschuldete ärmereStaaten zahlen deutlich mehr für denSchuldendienst, so dass sie nichtmehr über die Mittel für dieVerwirklichung der Millenniums-entwicklungsziele verfügen1.

Der Generalsekretär der Kommis-sion für Handel und Entwicklung(UNCTAD) Supachai Panitchpakdiwarnte vor einer Zunahme derAuslandsverschuldung der Entwick-lungsländer um 17% im Jahr 2009.Das hat nicht nur die wirtschaftlichenWachstumsmöglichkeiten geschä-digt, es verringerte auch die Anstren-gungen zur Erfüllung der Millenni-umsentwicklungsziele (MDGs) zurHalbierung der Armut weltweit. 49der am wenigsten entwickeltenStaaten waren 2009 in einerkritischen Verschuldungssituation2.Der Internationale Währungsfonds(IWF) sah den Rückgang derstaatlichen Mittel der Entwicklungs-zusammenarbeit, der Direktin-vestitionen und der Rücküber-weisungen in der Zeit von 2008 imVerhältnis zu 2009 voraus. Diefehlenden Finanzmittel für dieärmsten Staaten wurde durch Kredi-te in Höhe von zusätzlichen 4% desBruttonationaleinkommens derStaaten ersetzt. Allein der IWF hat170 Milliarden US-$ an Krediten an32 Staaten vergeben. Davon waren167,5 Milliarden Kredite mitFinanzmarktzinsen und nur 2,5Milliarden US-$ wurden zu gün-stigen Kreditbedingungen verge-ben3. Die nicht-konzessionären

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Kredite belasten dadurch langfristig,durch hohe Schuldendienste undSchuldenstände, die ohnehin wenigleistungsfähigen Staatshaushalteder ärmeren Staaten.

Ein faires und transparentes Ver-fahren verhindert nicht nur zukünf-tige Überschuldungen, es hilft demverschuldeten Staat auch sich zureorganisieren und eine nachhal-tigere wirtschaftliche und sozialeStruktur aufzubauen. Entschul-dungsverfahren müssen neben demwirtschaftlichen Effekt auch lang-fristige Entwicklungsaspekte be-rücksichtigen.

10 Punkte sind notwendig, um einfaires und transparentes Schieds-verfahren erfolgreich durchzuführen:

1. Schiedsgericht:

Die Einrichtung einer unabhängigenInstanz für Entschuldungsverhand-lungen, ob als institutionalisierteoder ad-hoc Instanz.

2. Unabhängigkeit:

Eine unabhängige Entscheidungs-kommission, die alle Interessen miteinbezieht.

3. Vollständigkeit:

Die umfassende Einbeziehung allerSchuldenforderungen.

4. Souveränität:

Die Souveränität, unberechtigteForderungen (z.B. in Form vonillegitimen Schulden) zurückzu-weisen.

5. Pfändungsschutz:

Sobald das Verfahren eingeleitetwird, müssen Schuldendienst-zahlungen sofort und für dieVerhandlungszeit eingestellt wer-den.

6. Realistische Berechnungs-grundlage:

Es wird eine Gesamtübersicht derSchuldenforderungen und der

voraussichtlichen langfristigenWirtschaftsleistung erstellt, um dieRückzahlung von Schulden zuberechnen.

7. Grundversorgung als Priorität:

Die überlebensnotwendigen Bedürf-nisse und Grundversorgungsdienstegelten dabei als Existenzminimum,welches sichergestellt sein muss,bevor Schuldendienst geleistetwerden muss.

8. Transparenz:

Die Verhandlungen finden für alleSeiten transparent statt.

9. Partizipation:

Geber, Nehmer und betroffeneMenschen im Nehmerland werdenin alle Entscheidungsfindungen miteinbezogen.

10. Durchsetzbarkeit:

Das Schuldenschiedsverfahrenmuss als international rechtskräf-tiges Verfahren verankert werden,um die aktuellen willkürlichen undohne Berücksichtigung der realenSituation stattfindenden Verfahrenzu ersetzen.

Dieses Verfahren ermöglicht einefaire Verteilung der Lasten aufKreditgeber und –nehmer, sowie dievon den Folgen betroffene Zivil-gesellschaft.

In den G20-Staaten sind Geber,Nehmer und vor allem auch Staatenmit der Erfahrung eigener Verschul-dungskrisen vertreten.

Neue Akteure wie China, Brasilienund Indien verändern auch diegeschaffenen Rahmenbedingungenfür Kredite. Deshalb hat die Suchenach einem berechenbarem Ver-fahren Konjunktur. Deutschland unddas 2011 den G20-Vorsitz inneha-bende Frankreich sollen gemein-sam eine verbindliche Lösung imSinne eines solchen Verfahrenssuchen. Dieses Verfahren mussentwickelt sein, bevor eine neue

weltweite Schuldenkrise dasWeltwirtschaftsystem langfristigschwächen kann. Zum G20-Gipfel inCannes im November 2011 ist esdeshalb höchste Zeit, eine nach-haltige Lösung in Form einesSchuldenschiedsverfahrens zu prä-sentieren. Vor allem für die am meis-ten durch Finanz- und Verschul-dungskrisen betroffenen Menschenund insbesondere Kindern in ärms-ten Staaten.

Dr. Jürgen Thiesbonenkamp

Vorstandsvorsitzender der

Kindernothilfe e.V.

3 International Monetary Fund (IMF): The Im-plications of the Global Financial Crisis forLow-Income Countries. March 2009, http://www.imf.org/external/pubs/ft/books/2009/globalfin/globalfin.pdf

Außerdem in: The World Bank: Global De-velopment Finance. Charting a Global Re-covery. Washington DC 2009, http://site-resources.worldbank.org/INTGDF2009/Re-sources/gdf_combined_web.pdf

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Staatsschuldenkrise im 21. Jahrhundert

Schuldenkrisen sind keinDing der Vergangenheit

Von Jürgen Kaiser

und Kristina Rehbein

Die globale Finanzkrise hat nicht nurEntwicklungsländer und damit diearmen Länder, die die multilateraleEntschuldungsinitiative durchlaufenhaben (HIPC – Heavily IndebtedPoor Countries Initiative), hartgetroffen: Vor allem Mittelein-kommensländer und sogar Hoch-einkommensländer wurden von derKrise stark in Mitleidenschaft ge-zogen. Im Schuldenreport 2010haben wir die Mechanismen, durchwelche sich die Krise des US-Immobilienmarktes in eine Krise deröffentlichen Finanzen ärmerer Staa-ten übersetzt, ausführlich besch-rieben. Das Jahr 2010 hat durch denFast-Bankrott von EU-Mitglieds-ländern gezeigt, dass die Staats-pleite als ein strukturelles Phäno-men einer kapitalistischen Weltwirt-schaft niemals verschwunden,sondern in der Boomphase von 2002bis 2007 lediglich aufgeschobenwurde.

Durch die zeitweise hohenWachstumsraten in den wichtigen

wirtschaftlichen Bezugsgrößen wieBruttoinlandsprodukt (BIP) und Ex-porteinnahmen sind die anstei-genden absoluten Schuldenständein Ländern aller Einkommens-kategorien nicht als Problem wahr-genommen worden. SteigendeSchuldendienste konnten in sounterschiedlichen Ländern wieIrland, Argentinien und Tansaniaohne allzu große Anstrengungenaufgebracht werden, weil auf derSeite der öffentlichen Einnahmenund der Devisenzuflüsse in diePrivatsektoren der betroffenenLänder die Nenner der wichtigenVerschuldungsindikatoren stärkerwuchsen als die ebenfalls wach-senden Zähler. Verschuldungschien unter diesen Umständennicht nur tragbar – sie war es.

Mit dem Ausbruch der Krise Ende2007 bzw. im Sommer 2008 fielendie Nenner der relevanten Indika-toren - also BIP und Exporteinnah-men - abrupt, während ein Zusam-menbruch der öffentlichen Banken-systeme in reichen und aucheinigen armen Ländern durch mas-sive öffentliche Investitionen

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4 Ausführlich beschrieben in: Kaiser, Jürgen:Die Folgen der Finanzkrise: Eine neueLandkarte der Verschuldung; erlassjahr.deund Kindernothilfe e.V.: Schuldenreport 2010.

Woran erkennt man eineSchuldenkrise?

• Indikatoren

Schulden sind nicht absolutgesehen problematisch. Ob Zah-lungsverpflichtungen gegenüberinländischen oder ausländischenGläubigern ein Problem darstellen,

abgewendet werden musste. DieFolge war, dass die Verschuldung,also der Zähler der relevantenIndikatoren, anstieg. Die vonPolitikern und Internatio-nalenFinanzinstitutionen explizit oderimplizit nicht mehr für möglichgehaltene Staatsschulden-Krise warwieder da.

Dieses Kapitel des Schuldenreport2011 soll nicht mehr die Frage be-antworten, wie und warum es zueiner erneuten Überschuldungskrisekommen konnte4. Uns interessiertdie Frage, in welchen Ländern undin welchen Ländertypen die Über-schuldung von Staaten ein beson-ders akutes Problem sein wird. Umdiese Frage beantworten zu können,müssen wir uns zunächst mit derFrage auseinandersetzen, was ei-gentlich unter einer kritischen Über-schuldung zu verstehen ist (siehenächstes Kapitel, S. 7 ff.). Dabeilässt es sich nicht vermeiden, dasswir uns ausführlicher mit derDatenlage und mit den methodi-schen Aspekten von Schulden-tragfähigkeitsanalysen, insbe-sondere denjenigen der Weltbankund des IWF als den Quasi-Monopolisten in diesem Themen-feld, auseinandersetzen.Wer sich für solche Technika nichtinteressiert, sondern wissen will, woauf der Welt es denn nun besondersbrenzlig wird, kann diesen Teilgetrost überschlagen, und ab Seite12 weiterlesen, wo die letzten zurVerfügung stehenden Länderdatengezeigt, kommentiert, und Länderentsprechend ihrem Risiko kate-gorisiert werden. Es sei hier nurdarauf hingewiesen, dass dernächste Abschnitt allerlei unver-meidliches Kleingedrucktes enthält,welches die nackten Zahlen desLänderüberblicks durchaus rela-tiviert.

hängt von ihrem Verhältnis zurwirtschaftlichen Leistungsfähigkeitdes Schuldners ab. Das heißt:davon, wie sich der Schuldenstandbeziehungsweise der laufendeSchuldendienst aus Tilgungen undZinsen zu den Einnahmen verhält.Drei Indikatoren werden zur Beur-teilung von Schuldentragfähigkeitmeistens herangezogen:

- Schuldenstand im Verhältniszum Bruttoinlandsprodukt

- Schuldenstand im Verhältniszu den jährlichen Exporteinnahmen

- Schuldendienst im Verhältniszu den jährlichen Exporteinnahmen.

Das heißt zwei Zähler und zweiNenner werden auf unterschiedlicheWeise zueinander ins Verhältnisgesetzt, um Gefährdungen erken-nen zu können: Im Zähler beschreibtder Schuldenstand die gesamtenausstehenden Verpflichtungen einesStaates bzw. einer Volkswirtschaft,während der jährliche Schulden-dienst erkennen lässt, ob - unab-hängig vom gesamten Schulden-stand - aktuelle Zahlungsverpflich-tungen die aktuelle Leistungsfähig-keit einer Volkswirtschaft in einemgegebenen Jahr überfordern odernicht. Im Nenner ist das BIP einIndikator für die gesamte Leistungs-fähigkeit einer Volkswirtschaft,während der Bezug zu den Export-einnahmen wichtig ist, da Auslands-schulden im allgemeinen nicht inLandeswährung zurückbezahltwerden können, sondern die Erwirt-schaftung von Devisen durch Ex-porte, Überweisungen von Migrant/innen oder gar neue Verschuldungvoraussetzen.

• Grenzwerte

Die von Weltbank und IWF für jedender Indikatoren gewählten Grenz-werte haben bei den bisherigenSchuldenerlassen im Pariser Cluboder im Rahmen der Entschul-dungsinitiativen HIPC und MDRIeine entscheidende Rolle gespielt.Nur Länder die sie überschrittenhaben, konnten in den Genuss vonSchuldenerleichterungen kommen.Und im Falle der HIPC-Initiativewurde der Erlass auch so gestaltet,

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• Noch mal einen Schrittzurück: Welche Schulden werdenüberhaupt berücksichtigt?

IWF und Weltbank berücksichtigenin ihrer Schuldentragfähigkeitsana-lyse nur einen Teil der Gesamt-schulden eines Landes: die öffent-lichen und öffentlich garantiertenAuslandsschulden. Auch wenn pri-vate, öffentlich nicht abgesicherte

6 Die beiden auf Exporteinnahmenbezogenen Werte stimmen weitgehend mitWerten der Weltbank für Niedrigein-kommensländern überein. Der Indikator, derauf dem Bruttoinlandsprodukt basiert,entstammt der ex-post-Analyse vonSchuldenkrisen in Mitteleinkommensländernmit Zugang zu Kapitalmärkten. DerSchuldendienst-Indikator von 15 % stimmt mitdem niedrigsten Wert der Weltbank fürNiedrigeinkommensländer überein. Er wirdgenutzt, um bewusst vorsichtig zuargumentieren. Unsere Standardgrenzwerteindizieren nicht notwendigerweise einenSchuldenerlassbedarf, sondern dienen dazu,Gefährdungen aufzuzeigen. Siehe S. 11:"Gefährdungen identifizieren und klassi-fizieren".

7 Reinhart und Rogoff konstatieren einedrastisch ansteigende Schulden-Intoleranz,d.h. Schwierigkeiten bei der regulärenBedienung öffentlicher Schulden bei einerQuote von 30-35% des Bruttoinlands-produkts. Von daher verwenden sie in ihrerAnalyse der Geschichte staatlicherÜberschuldungen einen Grenzwert von 40%,den wir auch hier zugrunde legen. Siehe:Carmen Reinhart and Kenneth Rogoff: ThisTime is Different: Eight Centuries of Finan-cial Folly. 2009; S. 25.

8 Gibt es Garantie, fällt der Kredit in die PPG-Kategorie. In der Regel macht eine solcheGarantie den Kredit für das Unternehmeneines ärmeren Landes günstiger, aber es sindnatürlich nicht für alle Vorhaben solcheGarantien zu bekommen.

Schulden durchaus veröffentlichtwerden und damit auch der Gesamt-schuldenstand einsehbar ist, so wirdkurioserweise nur der öffentlich ab-gesicherte Teil in die eigentlicheAnalyse miteinbezogen. Ein bestür-zender Umstand, da aus dieser Ana-lyse letztendlich die Einschätzungdes Verschuldungsrisikos resultiert.

Im Detail:

Abgesehen von den kurzfristigenSchulden von weniger als einemJahr Laufzeit, welche bei der Ana-lyse von Schuldenproblemen unbe-rücksichtigt bleiben, weil sie in gän-gigen statistischen Erfassungszeit-räumen, nicht sinnvoll dargestelltwerden können, gibt es drei Kate-gorien von Schulden, die Berück-sichtigung finden können.Die öffentlichen und öffentlichgarantierten Schulden (Public andPublicly Guaranteed = PPG) lassensich in die Auslands- und dieInlandsschulden unterteilen (Exter-nal & Domestic).Dazu kommen die privaten nichtöffentlich garantierten Auslands-schulden (Private non-guaranteed =PNG), also etwa Schulden von

Unternehmen des betreffendenLandes bei ausländischen Banken,für die der Staat keine Garantieübernommen hat8.In der jüngeren Geschichte sindsowohl bei der Analyse vonVerschuldungssituationen als auch

5 Anhand des sogenannten „Country Policyand Institutional Assessment“ Index (CPIA)der Weltbanktochter International Develop-ment Association (IDA) werden Länder nachder Qualität ihrer Institutionen und nationalenRegierungsführung anhand verschiedenerIndikatoren mit einem Index versehen und indrei verschiedene Kategorien eingeteilt. FürMitteleinkommensländer oder gar Hoch-einkommensländer werden keine festenGrenzwerte benutzt.

Graphik 1: Schuldenzusammensetzung

dass ein bestimmtes als “tragfähig"definiertes Schuldenniveau erreichtwurde.In unserer Analyse haben wir keineländerspezifischen Tragfähigkeits-grenzwerte gewählt, so wie esWeltbank und Internationaler Wäh-rungsfonds für Niedrigeinkom-mensländer tun5. Stattdessenwurde je ein Standardgrenzwert fürjeden Indikator gewählt, egal ob fürNiedrig-, Mittel-, oder Hocheinkom-mensland.

Nämlich6:

- 40% Schuldenstand imVerhältnis zum Bruttoinlands-produkt7

- 150% Schuldenstand imVerhältnis zu den jährlichenExporteinnahmen

- 15% Schuldendienst imVerhältnis zu den jährlichenExporteinnahmen.

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9 Bei der Einschätzung von Verschuldungs-risiken wird diese jedoch nicht miteinbezogen,auch wenn in immer mehr Ländern dieöffentliche Schuldenlast bedenklich wächst.Die Finanzinstitutionen weisen in ihrenRichtlinien für Schuldentragfähigkeits-analysen ihre Mitarbeiter zwar durchausdarauf hin, die Einschätzung von Ver-schuldungsrisiken nicht mechanischanzugehen, sondern flexibel auch möglichemassive Tragfähigkeitsrisiken durch z.B.inländische Schuldenlast miteinzubeziehen;bisher hat dies jedoch die Einteilung in dieRisikokategorien niedriges, mittleres, hohesVerschuldungsrisiko selten beeinflusst. Dabeiist es bezeichnend, dass laut IWF einjährlicher Anstieg der öffentlichenVerschuldung von 5- 7 % des BIP Grund zurBesorgnis gibt.Siehe: International Monetary Fund (IMF): Ap-plying the Debt Sustainabilty Framework forLow-Income-Countries Post Debt Relief.2006, http://www.imf.org/external/np/pp/eng/2006/110606.pdf

bei der Definition von Schulden-erlassen zur Wiederherstellung vonSchuldentragfähigkeit diese einzel-nen Kategorien in unterschiedlicherZusammensetzung berücksichtigtbzw. nicht berücksichtigt worden.

Logisch und sinnvoll sind, wenn esdarum geht, das Risiko von Über-schuldung zu identifizieren, zweimögliche Herangehensweisen:

(1) Es kann auf die fiskalischeGefährdung abgehoben werden. Indiesem Fall müssen alle Schuldenberücksichtigt werden, welche denStaatshaushalt des Schuldner-landes belasten. Das sind dann allePPG-Schulden, also die beidenoberen Kästen in der Graphik 1.

(2) Es kann auf die Zahlungsbilanz-Relevanz abgehoben werden, alsoalle Schulden, die einen Ressour-cenabfluss aus dem betreffendenLand - und damit eventuell eineGefahr für die Währung und diewirtschaftliche Stabilität - bedeutenkönnen. Das betrifft dann die beidenKategorien in der linken Spalte derGraphik. Also sowohl die öffentlichen(PPG) als auch die privaten (PNG)Auslandsschulden.

In der Diskussion um Schulden-tragfähigkeit wurde traditionell mitder Option (2) gearbeitet. Seitjüngster Zeit erstellt der IWFsinnvollerweise zusätzlich eine Ana-lyse der öffentlichen Schulden-tragfähigkeit (also Option 1)9.

Nicht nur in der Praxis der Schulden-erlasse wurde allerdings in den letz-ten Jahren von dieser Logik abge-wichen. Sowohl der HIPC-Erlass alsauch die Definition von kritischenGrenzen bei der Definition vonSchuldentragfähigkeit wurde wederdie Option (1) noch die Option (2)angewandt, sondern es wurde ledig-lich die externe öffentlich garantierteSchuld zugrunde gelegt (dasoberste linke Viertel in Graphik 1).Begründet wird dies vom IWF aufzweierlei Weise:

• Es sei extrem schwierig, inNiedrigeinkommensländern ver-lässliche Daten über die privateAuslandsverschuldung zu erhalten.Im Gespräch mit erlassjahr.de

schätzten Experten des IWF, dassim Durchschnitt aller Niedrigein-kommensländer nur etwa 60-80%aller privaten Auslandsschuldenüberhaupt bekannt seien.

• Die privaten nicht öffentlichgarantierten Schulden stelltenbislang keine Bedrohung für dieStaatshaushalte dar.

Schwierigkeiten bei der Daten-beschaffung sind in vielen Ländernkaum von der Hand zu weisen –wenn es auch seltsam anmutet,dass der IWF Zahlen über privateAuslandsschulden veröffentlicht,diesen aber gleichzeitig selbst nichttraut. Vor allem aber rechtfertigenDatenunsicherheiten keinesfalls dieIgnorierung von Gefährdungen.

Dass Gefährdungen auch von (for-mal) nicht staatlich garantierten (alsoz.B. privaten) Schulden ausgehenkönnen, haben die jüngsten Finanz-krisen von Indonesien 1998 bisGriechenland 2010 vor Augengeführt. In allen Fällen bestandenForderungen, die nicht durch denStaat garantiert waren, für welchedie Staaten also eigentlich keineZahlungsverpflichtungen hatten.Trotzdem wurden in großem Stilöffentliche Schulden aufgenommen,um die Gläubiger der privaten Schul-den bedienen zu können. Das Motivdafür war die Befürchtung vonRegierungen, dass die eigentlichschon eingetretene Pleite von pri-vaten Schuldnern zu einem Flä-chenbrand der gesamten Volks-wirtschaft führen könnte. Damitwurden private Schulden also zueinem öffentlichen Problem.

In Niedrigeinkommensländern neh-men die privaten Verbindlichkeitenhäufig die Form von Schulden beiebenfalls privaten oder öffentlichenSchwellenländer-Geldgebern fürgroße Infrastruktur- oder Rohstoff-projekte an. An diesen Projektenhängen sowohl die (vom IWF eherüber- als unterschätzten) Erwar-tungen an Wachstumserfolge in derZukunft, als auch ein hoher Teil derin der Regel politisch gut vernetztenArbeitsplätze in den fortgesch-rittensten Industrien. Der Gedanke,Dritte-Welt-Regierungen würden

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10 International Monetary Fund (IMF) and TheWorld Bank: A Review of Some Aspects ofthe Low-Income-Country Debt SustainabiliyFramework. August 2009, http://www.imf.org/external/np/pp/eng/2009/080509a.pdf, Punkt55 und 56.

11 http://data.worldbank.org/data-catalog/glo-bal-development-finance

12 Die (im Verhältnis zur Wetbank) sehrübersichtliche IWF-Website bietet alleaktuellen Analysen auf einen Klick unter: http://www.imf.org/dsa

13 http://www.cia.gov

14 Auch muss beachtet werden, dass esdurchaus Fehler in der Datenübermittlunggeben kann, so wie im Falle Mosambiks: DieSchuldentragfähigkeitsanalyse für 2009 gibteinen Schuldendienst im Verhältnis zuExporteinnahmen von über 50 % an. Daswürde bedeuten, dass Mosambik die Hälfteseiner gesamten Exporteinnahmen an seineexternen Gläubiger für die Begleichung vonSchulden gezahlt hätte. In der Schulden-tragfähigkeitsanalyse von 2010 wiederumbeträgt die Zahlung für das gleiche Jahrplötzlich nur noch knapp 19 %. SolcheDateninkonsistenzen in Berichten des IWFtreten nicht selten auf!

ihren Privatsektor in die Pleiterutschen lassen, während sogar diekonservativ-liberale Bundesregie-rung ganze Banken verstaatlicht, isteinigermaßen weltfremd.

Und doch ist sie gängige Praxis beider Bestimmung von Schulden-tragfähigkeit durch den IWF. Mehrnoch: es wächst sogar der Druck aufdie Internationalen Finanzinsti-tutionen, selbst die PPG-Kategorienoch restriktiver zu handhaben,indem zum Beispiel bislang einbe-zogene Verbindlichkeiten halbstaat-licher Unternehmen wieder herausgerechnet werden10.

Wenn der IWF darauf beharrt, dieprivaten Schulden bei der Tragfähig-keitsanalyse weiterhin unberück-sichtigt zu lassen, müsste er kon-sequenterweise jegliche Rettungprivater Schuldner durch die öffent-liche Hand in Ländern, für die er Ana-lysen anstellt, eigentlich aussch-ließen. Interessanterweise lehntenIWF-Mitarbeiter im Gespräch miterlassjahr.de im Oktober 2010 diesausdrücklich ab. Sie konnten nichteinmal versichern, dass der IWF denbetroffenen Ländern von einerÜbernahme solcher Eventualver-bindlichkeiten (contingent liabilities)abraten oder eine Sozialisierungprivater Schulden im Interesse vonSchuldentragfähigkeit gar sanktio-nieren würde.

Letzteres wäre im Blick auf diemöglichen Situationen einzelnerSchuldnerländer auch nicht sinnvoll.Es unterstreicht aber, wie dringendeigentlich eine umfassende Berück-sichtigung aller Auslandsschuldenbei der Identifizierung von Über-schuldungs-Risiken ist. Und genaudies tun wir bei unserer eigenenEinschätzung von Ländergefähr-dungen ab Seite 12.

• Schwache Datenbasis

Noch immer gibt es keine alleinige„globale Datenbasis“, die aktuellewirtschaftliche Daten für alle Länderdieser Welt umfasst. Den größtenDatenbestand besitzen Weltbankund IWF: Die Weltbank hat ihr

Standardwerk Global DevelopmentFinance mittlerweile für jedermannzugänglich ins Internet gestellt11 undbietet dort zu einer unübersichtlichgroßen Zahl von wirtschaftlichenIndikatoren Daten. Allerdings rei-chen diese zur Zeit nur bis zum Ende2008. Da uns hier vor allem dieAuswirkungen der 2008 einset-zenden Krise interessieren, müssenwir Daten zu 2009 aus anderenQuellen beschaffen. Die wichtigstedavon sind Länderanalysen des IWFim Rahmen der jährlichen Artikel IV-Konsultationen für jedes Mitglieds-land. Für Entwicklungsländer wer-den im Zuge eines HIPC-Erlassesoder eines neuen Kreditprogrammsaußerdem besondere und umfas-sende Schuldentragfähigkeits-analysen angefertigt12.

Auch andere Möglichkeiten gibt es,an Schuldendaten zu kommen: sozum Beispiel Zentralbanken derverschiedenen Länder, nationaleMedien oder das „World Fact Book“der CIA13.

Ein massives Problem ist in diesemZusammenhang die unterschied-liche methodische Vorgehensweiseder datensammelnden Institutionenim Hinblick auf die Berechnung derverschiedenen Indikatoren. Sobezieht die Weltbank z.B. in derBerechnung der, für viele Länderwichtigsten Bezugsgröße Schulden-stand im Verhältnis zu jährlichenExporteinnahmen gleich auchRücküberweisungen in die Exportemit ein, der IWF berechnet denIndikator in den meisten Fällen ohneRücküberweisungen. In diesemBeitrag beziehen wir uns deshalbweitgehend nur auf die obengenannten IWF-Quellen.

Trotz der Fülle an Informationen undDaten, die der IWF bereithält, gibtes (bis Redaktionsschluss) für nurinsgesamt 86 von 100 möglicher-weise überschuldungsgefährdetenLändern Daten für 2008 zu irgend-einem der drei Indikatoren, 2009 für56 Länder. In den Tabellen sindLeerstellen gegebenenfalls mit „N/A“ (Not available) markiert14.

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15 Siehe mehr dazu unter: http://web.world-bank.org/WBSITE/EXTERNAL/EXTABOUTUS/IDA/,,contentMDK:21359477~menuPK:2626968~pagePK:51236175~piPK:437394~theSitePK:73154,00.html

16 http://web.worldbank.org/WBSITE/EXTER-NAL/PROJECTS/STRATEGIES/EXTLICUS/0,,contentMDK:22016739~menuPK:4448982~pagePK:64171531~piPK:64171507~theSitePK:511778,00.html

• Gefährdungen identi-fizieren und klassifizieren

Auf der Grundlage der oben besch-riebenen Indikatoren und ihrerGrenzwerte liefert der nächsteAbschnitt ab Seite 12 eine Ein-schätzung der länderspezifischenRisiken von (erneuter) Überschul-dung. Wir heben dabei auf zweiFragestellungen ab:

• Werden die als kritisch identi-fizierten Grenzwerte der genanntenIndikatoren erreicht, überschrittenoder gar deutlich überschritten?

• Ist durch die Krise - ausge-drückt durch die Veränderung derIndikatoren von 2008 auf 2009 - eindeutlicher Verschlechterungstrendzu erkennen?

Im Hinblick auf diese Kriterienzeigen die Tabellen 1-4 ab Seite 12die länderspezifischen Werte, soweitverfügbar, sowie ausgedrückt durchdie Farbgebung der einzelnen Zelleneine mögliche Gefährdung erneuterÜberschuldung.

• Das umfassendere Bild:Weitere Gefährdungen

Die Gefahr erneuter Überschuldungresultiert aber nicht nur aus derMomentaufnahme aktueller Schul-denindikatoren und einem überdiessehr kurzzeitig gemessenen Trend.Ebenso wichtig ist es, die Ent-wicklung von Verschuldung in ihremjeweiligen Kontext zu sehen:Betrachtet man die Schuldenindi-katoren der Länder rein „mecha-nisch“, schaut man also nur auf dieangegebenen Zahlen, so fallen ei-nige Länder bei der Interpretationvon Verschuldungsrisiken über-haupt nicht ins Auge. So gibt eseinige Länder, die die Folgen derFinanzkrise durch internationaleZuschüsse abfedern konnten.Dadurch sind die Schulden-indikatoren möglicherweise nicht sodramatisch angestiegen, wie beiLändern, die keinen Zugang zunichtrückzahlbaren Entwicklungs-hilfemitteln haben. Trotzdem sind

diese Länder dadurch zukünftignicht weniger überschuldungs-gefährdet. Und es heißt nicht, dasssie dadurch von den Folgen derWirtschaftskrise völlig „verschont“wurden: aufgrund verschiedener„Verletzlichkeiten“, wie z.B. hoherSchockanfälligkeit und Exportkon-zentration, reduzierten Währungs-reserven, die als „Notgroschen“dienen usw. sind sie „verwundbar“(vulnerable) oder „fragil“ und könnendie nächsten Kandidaten bei einererneuten Krise sein.

Fragilität oder „Verletzlichkeit“ vorallem in Niedrigeinkommensländernist daher durchaus als eine Risiko-kategorie für Schuldentragfähigkeitzu definieren. Für die Weltbank gibtes zwei Merkmale, die „Fragilität“begründen.

Entweder

• die politische Instabilitätund das Vorkommen von Gewaltund Konflikt in einem Land, welcheanhand von Einsätzen der UN odervon nationalen Organisationen zurFestigung oder Wahrung vonFrieden in diesem Land „gemessen“werden

oder

• die Einschätzung derQualität von u.a. öffentlichenInstitutionen, Regierungsführungund Wirtschafts- und Sozialpolitikin einem Land durch den soge-nannten „CPIA-Index“ (siehe Fuß-note 5). So ist ein Land dann derKategorie „fragil“ zuzuordnen, wennein „schwacher“ Wert von unter 3,2gemessen wurde15.

Fragilität von Staaten ist also imSinne der Weltbank vor allempolitisch und im Zusammenhang mitvergangenen oder gegenwärtigenKonfliktsituationen definiert. Durchfehlende oder schwache öffentlicheInstitutionen und, damit verbunden,bei Niedrigeinkommensländernauch schwache wirtschaftlicheStrukturen, sind diese Länderbesonders anfällig für externeSchocks16.Wir halten das Weltbank-Konzept

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der „Fragilität“ für hilfreich, wendenes jedoch umfassender an. So stu-fen wir auch Länder als „verwund-bar“ ein, die nicht von Krieg undGewalt gekennzeichnet und damitpolitisch einigermaßen „stabil“ sind.Faktoren sind dabei z.B. Klima-verletzlichkeit, Inlandsverschuldungund die Exportstruktur. „Fragile“ bzw.verwundbare Länder, die also trotztragbarer Auslandsverschuldungaufgrund bestimmter Stressfaktorengefährdet sind, werden in Tabelle 5auf Seite 16 behandelt. Irene Knokebefasst sich in diesemSchuldenreport außerdem allge-meiner mit exogenen Schocks wie

Klimaverletzlichkeit und Nahrungs-mittelkrise.

Gefährdete Länder

Welche Länder wurden mit in dieUntersuchung genommen?

100 Länder aus Afrika, Asien,Europa (hauptsächlich Osteuropa)und Latein-, Mittel-, und Südamerikawurden auf die Entwicklung ihrer(externen) Verschuldung hin in denJahren 2008 und 2009 untersucht.Davon sind 38 Niedrigein-kommensländer, 59 Mittelein-kommensländer und 3 Hocheinkom-

Tabelle 1: Region Afrika

mensländer. In den folgenden Tabel-len 1-4 sind nur die Länder aufge-nommen, die eine Verschlechte-rung mindestens eines Indikatorsüber den gesetzten Grenzwertaufweisen.Das heißt nicht, dass sich die Indi-katoren anderer, hier untersuchterLänder im Zuge der Finanzkrisenicht auch verschlechtert haben,jedoch hat diese Verschlechterungdann nicht zu einer Überschreitungder Grenzwerte geführt. Weitere,nach Ansicht von erlassjahr.de ge-fährdete Länder sind in Tabelle 5aufgenommen.

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Tabelle 2: Region Asien/Pazifik

Tabelle 3: Region Osteuropa

Legende zu den Tabellen

1. Die „Kategorisierung von Weltbank/IWF“ umfasst:

- die Einteilung in Niedrigeinkommensland (N, Länder, die ein BIP von bis zu 995 US $ pro Kopf aufweisen),Mitteleinkommensland (M, Länder, die ein BIP zwischen 996 und 12195 US $ pro Kopf aufweisen) undHocheinkommensland (H, Länder die ein BIP ab 12196 US $ pro Kopf aufweisen);

- den Entschuldungsstatus: - steht für „keine Entschuldung unter der HIPC-Entschuldungsinitiative“, Pre dafür, dass einLand für einen Schuldenerlass unter der multilateralen Entschuldungsinitiative in Betracht kommt, Interim dafür, dass einLand den Decision Point zum Einstieg in die multilaterale Entschuldungsinitiative erreicht hat und damit auf den CompletionPoint / den vollständigen, zugesagten Erlass zustrebt, Post dafür, dass das Land bereits entschuldet wurde und damit keineweitere Möglichkeit mehr hat, erneut unter der HIPC-Initiative entschuldet zu werden. [Fortsetzung S. 14]

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- die Risikokategorien niedrig, mittel, hoch, in Zahlungsverzug, soweit der IWF und die Weltbank eine Einteilung vorgenommenhaben.

- das Symbol * bezieht sich auf die Länder, die speziell für einen Wachstumsschock (also einen ausbleibenden oder nur geringenglobalen Aufschwung) vom IWF als höchst verwundbar eingestuft werden:Kurz vor Redaktionsschluss ist eine Studie des IWF erschienen („Emerging from the Global Crisis: Macroeconomic Challenges

Facing Low-Income Countries“. 5. Oktober 2010), in welcher bestimmte Niedrigeinkommensländer aus den Regionen Asien, Europa/Mittlerer Osten, Subsahara-Afrika, Lateinamerika/Karibik im Hinblick auf ihre Verletzlichkeit nach der Finanzkrise untersucht wurden.Diese Verwundbarkeit bezieht sich dabei auf ein bestimmtes Schockszenario, nämlich dass der erwartete globale Aufschwung unddamit das Wirtschaftswachstum geringer ausfallen als angenommen. Die Verwundbarkeit wird daran gemessen, ob im Falle einesWachstumsschocks noch genügend „fiskalischer Spielraum/Kapazität“ besteht, um diesen Schock abfedern zu können. Alsverwundbarste Kategorie hat der IWF dabei vor allem Länder aus der Region Lateinamerika/Karibik benannt.

- für den Fall, dass ein Land bereits entschuldet worden ist („Post“), jedoch von IWF und Weltbank trotzdem erneut mit einem„hohen Überschuldungsrisiko“ eingestuft wurde, ist das Feld rot markiert.

- in Tabelle 5 bezieht sich die Kategorisierung „fragil“ auf die Fragilitätsdefinition der Weltbank (siehe Seite 11).

2. Farbgebung

Die Farbe orange indiziert einen Wert, der den tragfähigen Grenzwert überschritten hat. Die Farbe rot zeigt nicht nur einen Wertüber der Tragfähigkeitsgrenze an für 2009 an, sondern soll die Verschlechterung des Wertes zum Vorjahr 2008 verdeutlichen.Grau steht für einen Wert unter der Tragfähigkeitsgrenze, dunkelgrau zeigt eine Verschlechterung zu 2008, auch wenn derWert noch immer tragbar ist. In Tabelle 5 wurde auf eine tendenzweisende Farbgebung verzichtet.

3. PV

Vor allem für Niedrigeinkommensländer, die Zugang zu konzessionären und damit zinsgünstigen Krediten haben, geben IWF/Weltbank den Indikator „Schuldenstand zu jährlichen Exporteinnahmen“ oft nur im Barwert („Present Value“ = PV) an. Dieser istmeist niedriger, als der „nominale“ Schuldenstand, da er die Zinsvergünstigungen bei Entwicklungshilfekrediten widerspiegelt. Fürden Fall, dass nur Datenangaben zum „Present Value“ des Schuldenstandes zu jährlichen Exporteinnahmen verfügbar sind, ist dies

mit „PV“ in der Tabelle gekennzeichnet.

4. N/A

Für viele Länder sind nicht für alle Indikatoren Daten verfügbar (siehe Unterpunkt „Schwache Datenbasis“ oben). FehlendeDatenangaben sind mit „N/A“ für „Not available“ gekennzeichnet.

Tabelle 4: Region Latein-/ Süd-/ Zentralamerika

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Nach der Untersuchung im Hinblickauf 2008 bzw. 2009 sind 9 Ländernicht überschuldungsgefährdetund haben kein Auslands-schuldenproblem. Dabei handelt essich u.a. um ehemalige HIPC-Länder wie Nigeria, Uganda undMali. Sie tauchen deshalb in derTabelle gar nicht auf.

Mehr als die Hälfte deruntersuchten Länder haben mind.einen Indikator jenseits derkritischen Grenzwerte in 2008 oder2009; signifikante Verbesserungenin 2009 zum Vorjahr 2008 gibt esdabei nur in absoluten Aus-nahmefällen wie zum Beispiel beiLiberia, Burundi und der Zentral-afrikanischen Republik, was jedochnicht auf eine Verbesserung derwirtschaftlichen Bedingungen undLeistungsfähigkeit zurückzuführenist, sondern auf einen kürzlichenSchuldenerlass unter der HIPC-Ini-tiative. 34 Länder verzeichnenmassiv verschlechterte Werte in2009 im Vergleich zu 2008. Dabeisind 4 Länder, die 2008 keinenkritischen Wert verzeichnet haben(u.a. weil Daten zum Teil fehlten),jedoch in 2009 nicht nur versch-lechterte, sondern auch untragbareWerte aufweisen: Armenien, Mon-golei, Nepal und Tonga.

Dabei sind drei kritische Gruppenauszumachen, die eine potentielleSchuldenkrise „in sich tragen“17:

• Post -Comple t ion-Poin t -HIPCs, die entweder wieder kritischhohe Indikatoren aufweisen oderdurch länderspezifische strukturelleBegebenheiten ein naheliegendesÜberschuldungsrisiko aufweisen,welches durch die Finanzkriseverschärft wurde.

• osteuropäische Länder,deren Volkswirtschaften erst in den90er Jahren im Zuge ihrer Transfor-mation liberalisiert wurden

• kleine Inselstaaten, die nebenbesonderen Verwundbarkeiten vorallem eine hohe inländischeVerschuldung aufweisen, die diegesamte Schuldentragfähigkeitbedroht18

Risikokategorien im Einzelnen:

Gemäß den oben beschriebenen Kriterien lassen sich fünf Länderrisiko-Kategorien unterscheiden. Dabei muss berücksichtigt werden, dass wegenfehlender Daten für 2009 in zahlreichen Ländern eine Tendenz von 08 zu 09nicht identifiziert werden konnte – was natürlich nicht bedeutet, dass keineVerschlechterung stattgefunden hätte. In absteigender Reihenfolge ergebensich folgende Länderrisiken:

9 Länder, bei denen alle drei Indikatoren über den Grenzwerten liegen,und die überdies eine Verschlechterung von 2008 zu 2009 aufweisen.Georgien, Tadschikistan / Grenada / Mosambik, Senegal, Simbabwe / Kroatien,Moldawien, Polen

4 Länder, bei denen alle drei Indikatoren über den Grenzwerten liegenSt. Kitts & Nevis / Guinea-Bissau, Sudan, Zentralafrikanische Republik

11 Länder bei denen zwei Indikatoren über den Grenz-werten liegen, unddie überdies eine Verschlechterung von 2008 zu 2009 aufweisen.Armenien, Kasachstan / El Salvador, Jamaika / Bulgarien, Lettland, Litauen,Rumänien, Serbien, Türkei, Ukraine

11 Länder bei denen zwei Indi-katoren über den Grenzwerten liegen.Bhutan, Laos / Chile, Uruguay / Burundi, Eritrea, Gambia, DR Kongo, Komoren,Togo / Mazedonien

25 Länder mit einzelnen Indikatoren über den Grenz-werten.Kirgistan, Libanon, Malediven, Mongolei, Nepal, Pakistan, Sri Lanka, Tonga /Belize, Bolivien, Dominica, Guayana, Haiti, Kolumbien, Mexico, Panama, Peru/ Ghana, R.Kongo, Kapverden, Lesotho, Liberia, Mauretanien, Sao Tomé &Principe, Tunesien / Bosnien-Herzegowina

Eine separate sechste Risikokategorie stellen besonders verwundbareLänder dar, die noch keine untragbare Auslandsverschuldung aufweisen19, diejedoch aufgrund von strukturellen Schwächen und fehlender wirtschaftlicherWiderstandskraft in Schwierigkeiten geraten können.

Wie in Abschnitt 2 erwähnt, reicht esnicht aus, sich nur allein auf Schul-denindikatoren zu beziehen umSchuldentragfähigkeit zu beurteilen.Auslandsverschuldung kann reinanhand der Indikatoren unpro-blematisch erscheinen; Schul-dentragfähigkeit kann aber durchdas Zusammenspiel von ver-schiedenen Faktoren und Gefähr-dungen trotzdem „in Gefahr“ sein. Inder folgenden Tabelle 5 soll daherein Überblick über einige kritischeLänder und ihre Risikofaktorengegeben werden, die keine untrag-baren Schuldenindikatoren aufwei-sen, wo es jedoch wahrscheinlichist, dass die Schuldensituation nichttragfähig bleibt. Dabei müssen diemöglichen Auswirkungen dieserRisikofaktoren jedoch im Zusam-menhang der von Land zu Land un-terschiedlichen Ausgangssituationbetrachtet werden. Am BeispielÄthiopien soll dies veranschaulichtwerden.

17 Der Schuldenreport 2010 weist bereits aufdiese drei kritischen Gruppen und ihre hoheVerletzlichkeit für die Auswirkungen derFinanzkrise hin. Nicht nur sind Vorahnungendurch die gestiegenden Indikatoren „bestätigt“worden, auch ist die Anzahl der kritischenLänder innerhalb dieser Gruppen gestiegen.

18 Siehe mehr dazu: United Nations Devel-opment Programme (UNDP), Hurley, Gail:„Discussion Paper: Achieving DebtSustainability and the MDGs in Small IslandDeveloping States“, October 2010.

19 Und damit auch nicht in den Tabellen 1 bis4 verzeichnet sind.Die Einstufung der Länder in „fragil“, bzw.„höchst verletzlich“, basiert bei 8 Ländern aufder Einschätzung und Schuldentrag-fähigkeitsanalyse von IWF und Weltbank, beiallen anderen Ländern auf der Einschätzung

von erlassjahr.de.

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Tabelle 5: Verwundbare Länder

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Äthiopien

Äthiopien als eines der ärmsten Länder der Welt weist für viele Entwicklungsländertypische Strukturmerkmale auf: So zum Beispiel die Konzentration der Wirtschafts-leistung auf wenige Exportgüter, dabei gleichzeitig jedoch die extreme Abhängigkeitvon der Exportwirtschaft, um Devisen erwirtschaften zu können. Wenn wenig Güterins Ausland verkauft werden, das Exportwachstum also niedrig ist, wird wenigausländisches Geld eingenommen, was den Schuldendienst erschwert.

Die Landwirtschaft ist dabei das wichtigste Standbein Äthiopiens, sowohl für dieWirtschaft als auch als Lebensgrundlage für die Bevölkerung. Aufgrund des„Exportzwangs“ wird jedoch ein Großteil der landwirtschaftlich nutzbaren Flächen fürden Anbau der Exportgüter genutzt, wie zum Beispiel Kaffee. Wichtige Lebensmittelfür die Eigenversorgung der Bevölkerung müssen daher importiert werden. Auch hierwird deutlich, warum Exportwachstum so wichtig ist: Muss man viele Lebensmittelaus dem Ausland einkaufen, während man weniger Geld durch Exporte einnimmt, istlogischerweise der Haushalt des Landes sehr belastet.

Die Landwirtschaft Äthiopiens basiert dabei auf dem „Regenfeldbau“, der, wie derName schon sagt, von klimatischen Bedingungen abhängt. Damit ist die Landwirtschaftsehr anfällig für exogene Schocks, wie z.B. Wetterschwankungen. Durch denKlimawandel nehmen Dürren immer mehr zu, was direkte Auswirkung auf die Ernteund damit die verfügbare Exportmenge hat21. Erst 2009 hat Äthiopien neben derWeltwirtschaftskrise eine Dürreperiode erlitten. Das massive Zahlungsbilanzdefizit,das durch beide Krisen entstanden ist, konnte Äthiopien durch externe Hilfeeinigermaßen abfedern. Diese zusätzliche Unterstützung, die das Budget von 2008/2009 gestützt hat, fallen in Zukunft jedoch vollständig weg22. Die Reduktion von dieserUnterstützung stellt jedoch Risiken für den Haushalt Äthiopiens und damit auch fürseine Zahlungsfähigkeit dar23.

Wenn nun auch noch das Exportwachstum jedoch durch Wetterextreme undSchwankungen auf dem Weltmarkt gering ausfällt, kann Äthiopien Kreditemöglicherweise nicht mehr bedienen. Da das Land bereits unter HIPC entschuldetworden ist, hat es keine Perspektive mehr auf einen weiteren Erlass. IWF und Weltbankhalten Äthiopiens Verschuldungsrisiko für gering, trotz offensichtlicherVerwundbarkeiten.

21 Siehe Knoke, Irene: Wer soll dasbezahlen? Klimakrise. Nahrungsmittel-krise. Finanzmarktkrise, SÜDWIND e.V.,

Siegburg, August 2010.

22 IMF: The Federal Democratic Repub-lic of Ethiopia: Request for a 14-MonthArrangement under the ExogenousShock Facility, September 2009, S. 5,Punkt 7.

23 Ebd. S. 12, Punkt 28.

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Aktuelles Update zurUmsetzung der HIPC-Initia-tive24

Von diesen 32 massiv entschul-deten Ländern haben jedochbereits wieder sieben Länder (unddamit knapp ein Viertel der bereitsentschuldeten Länder) ein hohesVerschuldungsrisiko (Burundi,Burkina Faso, Gambia, Afghani-stan, Haiti, Sao Tomé & Principe,DR Kongo).

Von diesen haben Burundi, Afghani-stan, die Demokratische RepublikKongo und Haiti erst kürzlich einenErlass erhalten. Dabei hat die DRKongo nicht mal ein niedrigesVerschuldungsrisiko durch dieEntschuldung erreicht, sondern istdirekt mit einem hohen Ver-schuldungsrisiko aus der Initiativeentlassen worden. Dies war auch beiAfghanistan der Fall, das erst imJanuar 2010 seinen Erlass erhaltenhat.

Neun Länder von den noch übrigen25 entschuldeten Ländern weisenbereits wieder ein mittleresVerschuldungsrisiko trotz Ent-schuldung auf (Ghana, Benin,Republik Kongo, Malawi,Mauretanien, Nicaragua, Ruanda,Sierra Leone und Zentral-afrikanische Republik).

Im Jahr 2008 waren es noch vierLänder, die ein hohes Risikoaufwiesen: Burkina Faso, Ruanda,Sao Tomé & Principe und Gambia.

Vor allem bei den „Neu-Entschuldeten“ hat der HIPC-Me-chanismus damit überhaupt nichthelfen können, das Verschul-dungsrisiko auch nur ansatzweisezu verringern.

24 Siehe: IDA/IMF: HIPC and MDRI Status of

Implementation; Sept. 14th 2010.

Seit 1996 können arme hochverschuldete Länder in den Genussvon Schuldenstreichungen bei ihrenmultilateralen und bilateralenGläubigern im Rahmen der HeavilyIndebted Poor Countries Initiative(HIPC) kommen. Diese Initiativewurde 1999 überarbeitet, 2002erweitert und 2005 um dieMutilateral Debt Relief Initiative(MDRI) ergänzt. Durch letzterekönnen die Länder, die HIPCerfolgreich durchlaufen haben, fastalle Schulden bei Weltbank, IWF,Afrikanischer und Interamerika-nischer Entwicklungsbank erlassenbekommen.

32 Länder haben die Initiativeerfolgreich durchlaufen, also denCompletion Point erreicht und somitSchuldenerlass erhalten. Guinea-Bissau ist dabei der jüngsteKandidat: der Completion Pointwurde im Dezember 2010 erreicht.

Afghanistan, Benin, Bolivien,Burkina Faso, Burundi, Kamerun,Zentralafrikanische Republik,Republik Kongo, DemokratischeRepublik Kongo, Äthiopien, Gambia,Ghana, Guyana, Haiti, Honduras,Liberia, Madagaskar, Malawi, Mali,Mauretanien, Mosambik, Nicaragua,Niger, Ruanda, Sao Tomé &Principe, Senegal, Sierra Leone,Tansania, Uganda, Sambia, Guinea-Bissau und Togo sind die Länder, diebereits entschuldet wurden.

Noch acht Länder stehen aus,davon haben vier Länder den Deci-sion Point erreicht und warten somitauf einen Schuldenerlass (Tschad,Komoren, Elfenbeinküste undGuinea).

Vier Länder kommen noch alspotenzielle zukünftige Kandidaten inFrage: Eritrea, Somalia, Kirgistanund Sudan.

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Wir wirken sich Klimawandel und andere externeSchocks auf die Schuldentragfähigkeit aus?

Schuldentragfähigkeit spielt vonjeher eine große Rolle in der Arbeitvon erlassjahr.de. Die Befassung mitdem Thema bestand dabei imWesentlichen in der Auseinan-dersetzung mit den internationalenFinanzinstitutionen, die Schul-dentragfähigkeit ganz anders undsehr viel technischer definierten, alses die internationalen Entschul-dungskampagnen und -bündnissetaten und tun. So war die bei IWFund Weltbank definierte Schul-dentragfähigkeit z.B. maßgeblich fürdie Erlasshöhe, die den hoch-verschuldeten armen Ländern(Heavily Indebted Poor Countries)im Rahmen der HIPC-Initiativezugesprochen wurde. Am soge-nannten Entscheidungszeitpunkt(Decision Point) wird dabei dieErlasshöhe anhand der Schul-dentragfähigkeit bestimmt. Dabeiwird die Erlasshöhe in der Regelnach der Schulden-Export-Quoteberechnet. Sie setzt den Schul-denstand in Beziehung zu denExporterlösen und darf den Wert von150 % nicht überschreiten. Einegroße Schwäche dieses Konzeptesbesteht darin, dass diese Quotenicht das Ergebnis einer wissen-schaftlichen Untersuchung ist,sondern eher ein politischesVerhandlungsergebnis, das reflek-tiert, was die Gläubiger bereit sindzu zahlen.

Eine weitere wichtige Schwäche, dieauch von erlassjahr.de immer wieder

kritisiert wurde, ist, dass sich dieseIndikatoren lediglich auf wirt-schaftliche Daten beziehen undsoziale Indikatoren, die ja gerade inden ärmsten Ländern von großerBedeutung sind, weitgehend außenvorgelassen werden. Daher werdenbei alternativen Vorschlägen alsGrundlage für Berechnungen derSchuldentragfähigkeit, z.B. auch imRahmen des geforderten Fairen undTransparenten Schiedsverfahren(FTAP), die Bedürfnisse derBevölkerung in den Vordergrundgestellt. Denn zu den Ver-pflichtungen einer Regierunggegenüber seinen Staatsange-hörigen gehören die Bekämpfungvon Armut und als Minimalziel dieErreichung der Millenniumentwick-lungsziele, d.h. die Bereitstellungöffentlicher Dienstleistungen imBildungs- und Gesundheitswesen,der Zugang zu sauberem Trink-wasser für alle Bevölkerungsteile,hygienische Abwasser- undMüllbeseitigung, aber auch dieAufrechterhaltung öffentlicherOrdnung und die Bereitstellung undInstandhaltung von Infrastruktur. Ingewisser Weise kann man diesenotwendigen Ausgaben – auch inAnlehnung an das nationaleKonzept von Unternehmens- oderprivater Insolvenz – als eine Art„Existenzminimum für Staaten“bezeichnen25.

Nach einem solchen Konzept sollalso – für jedes Land individuell –

von Irene Knoke

25 Das so definierte Konzept vonSchuldentragfähigkeit und verschiedeneAnsätze, wie dies zu erreichen ist, findet sichim Handbuch Schuldentragfähigkeit(„Schulden müssen tragbar sein“) vonerlassjahr.de, 2006.

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zunächst berechnet werden, wie vielGeld das Land braucht, um bei-spielsweise die Erreichung derMillenniumentwicklungsziele sicherzu stellen. Dann wird geschaut, wieviel Geld ein Land maximal auseigenen Anstrengungen (Steuern,Exporteinnahmen etc.) aufbringenkann. Hiervon müssen die laufendenfesten Ausgaben, z.B. für Löhne undGehälter, für Infrastruktur etc. ab-gezogen werden. In den ärmstenLändern bleibt nach Abzug dieserAusgaben noch nicht einmal genugübrig, um die Erreichung derMillenniumentwicklungsziele sicherzu stellen. Diesen Ländern müssendann logischerweise nicht nur alleSchulden gestrichen werden. Siebräuchten zusätzlich auch nochweiteres Geld in Form von Zu-schüssen, um in die Armutsbe-kämpfung zu investieren. Diese Situ-ation ist in Graphik 1 dargestellt.

Für einige Schuldnerländer gilt aberauch, dass sie nach Abzug derlaufenden Ausgaben und dem„Existenzminimum“ noch einigefinanzielle Spielräume haben. Hierwäre dann zu entscheiden, wie vielsie von diesen freien Mitteln fürSchulden aufbringen können undsollen. Der Rest muss auch hiererlassen werden. Diese Situation istin Graphik 2 dargestellt.

So weit, so gut. Nach diesemKonzept von Schuldentragfähigkeitwird also den Bedürfnissen derBevölkerung Vorrang eingeräumtvor den Ansprüchen der Gläubiger.Bleibt zu erwähnen, dass die MDG,die hier gerne als Referenzpunktgenannt werden, weil ihnen eine in-ternational anerkannte Verein-barung zugrunde liegt, allenfalls einMinimalziel sein können. Es werdengewissermaßen die Bedürfnisseweiter Teile der Bevölkerung aufexistentiell niedrigem Niveauberücksichtigt. Dennoch wäre einesolche Definition von Schulden-tragfähigkeit ein entscheidenderFortschritt vor allem in derDenkweise. Denn hier würde nichtmit Zahlen, Brüchen und Quotientenjongliert, die anhand fragwürdiger

Ausgaben Einnahmen

Haushalts-einnahmen

(Steuern, Exporte, etc.)

laufende Ausgaben(Gehälter,

Infrastruktur, etc.)

benötigte Mittel zur Erreichung der

Millennium Entwicklungsziele

Schuldendienst:muss vollständig erlassen werden

zusätzliche Zuschüsse nötig

Graphik 1: Manche Länder brauchen nicht nur einen kompletten Schuldenerlass,

sondern auch noch weitere Zuschüsse, um die Millennium Entwicklungsziele zu

erreichen

Graphik 2: Manche Länder können Teile ihres Schuldendienstes bezahlen, ohne die

Erreichung der Millennium Entwicklungsziele zu gefährden

Ausgaben Einnahmen

Haushaltseinnahmen(Steuern, Exporte, etc.)

laufende Ausgaben(Gehälter,

Infrastruktur, etc.)

benötigte Mittel zur Erreichung der Millennium

Entwicklungsziele

zu erlassender Schuldendienst

zu leistender Schuldendienst

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Prognosen über die wirtschaftlicheEntwicklung irgendwie festgelegtwerden. Vielmehr würde eineZielmarke über die menschlicheEntwicklung festgelegt, an der sichdiese Zahlen orientieren müssenund für den Fall, dass sich die oftviel zu optimistischen Prognosennicht bewahrheiten, eben angepasstwerden. Ein solches „Exis-tenzminimum für Staaten“ zurErreichung der MDG wäre zudemeine für alle Gläubiger nachvoll-ziehbare Grundlage. Der benötigteSchuldenerlass wird nicht mehranhand von bestimmten Quotientenund willkürlich berechneten Export-entwicklungen bestimmt, sondernorientiert sich klar nachvollziehbaram Finanzierungsbedarf des Schul-dnerlandes.

Wie wichtig es sein kann, ggf.Anpassungen an die tatsächlichenEntwicklungen in der Beurteilungeiner Schuldensituation vorzu-nehmen, haben allein die Aus-wirkungen der Finanzmarktkrise aufdie Entwicklungsländer und ihreHaushaltslage gezeigt. MassiveEinbrüche bei den Exporten im Zugeeines globalen Nachfragerückgangsgekoppelt mit niedrigeren Welt-marktpreisen und weniger Rück-überweisungen von emigriertenArbeiterinnen und Arbeitern in ihreHeimatländer waren mindestensmittelfristig in den Haushalten vielerLänder deutlich zu spüren. Auch dieDirektinvestitionen gingen zunächstzurück. Massenentlassungen undverschlechterte Arbeitsbedingungenwaren die Folge für viele Menschen,vor allem die, die in denExportindustrien Asiens arbeiteten26.Hinzu kamen verschlechterteBedingungen für die Aufnahmeneuer Kredite auf dem Kapitalmarkt,um diese Ausfälle zu kom-pensieren27. Gleichzeitig verloreneinige Währungen an Wert, so dasssich das Ausmaß der Aus-landsverschuldung automatischerhöhte, da solche Kredite in derRegel in ausländischer Währungnotiert sind. Insgesamt schätzte derIWF, dass die Haushaltsdefizite indrei Viertel aller armen Länder imZuge der Finanzkrise steigen undbenennt selbst das Risiko, dasseinige dieser Länder erneut in eine

kritische Verschuldungssituationgeraten könnten28.

Gegenwärtig sieht es zwarinsbesondere für die Schwel-lenländer, aber auch für die meistenEntwicklungsländer so aus, alsseien die dramatischsten Aus-wirkungen erst einmal überwunden.Die Talfahrt der Exporte undRohstoffpreise kehrte sich schon2009 glücklicherweise wieder umund schon bald wurden auch in denExportindustrien Afrikas und Asienswieder Menschen eingestellt. Diesgeschah in den allermeisten Fällenaber zu schlechteren Bedin-gungen29. Zudem wurden viele Län-der auch durch die nur vorüber-gehenden Einbußen in ihremBemühen um die Erreichung derMDG zurückgeworfen. Kinderwurden von der Schule genommenund Mangelernährung bei Schwan-geren oder Kleinkindern kann auchdann schon langfristige Aus-wirkungen haben, wenn sie vorüber-gehend ist.

Eine Berücksichtigung der MDGhätte demnach sowohl in der Kriseals auch in der Nachfolge eineKurskorrektur beim Schul-denmanagement bedeutet. Bei derKrisenbewältigung hatten sich dieGläubiger seinerzeit jedoch nicht aufein Schuldenmoratorium einigenkönnen. Stattdessen reagierte dieinternationale Gemeinschaft u.a.zwar auch mit riesigen Finanz-paketen für die Entwicklungsländer.Diese aber standen überwiegend inForm von Krediten zur Verfügung,für Länder, die zur Verursachung derKrise nichts beigetragen hatten.Gleichzeitig steht zu erwarten, dassangesichts der sehr engenHaushaltslage und zunehmendenÜberschuldung auch in denIndustrienationen, die Mittel für dieEntwicklungszusammenarbeit nichtwie vereinbart steigen werden,sondern bestenfalls stagnieren.Gleichzeitig soll nach dem Willen derinternationalen Finanzinstitutionenauch in den Entwicklungsländernder Gefahr einer drohendenNeuverschuldung mit einer „umsich-tigen Fiskalpolitik“ begegnet werden.Im Klartext heißt das, dass auch hierkünftig gespart werden muss.

26 Vgl.: Schneeweiß, Antje: Wer spannt denRettungsschirm für die Armen?, Südwind e.V.,Siegburg, 2010.

27 Vor allem unmittelbar nach der Krisewurden die Länder mit mittleren Einkommenzu Nettozahlern auf den Anleihemärkten, d.h.sie zahlten mehr Schulden ab, als sie sicherneut ausleihen konnten. Das bedeutete eineUmkehr der Situation von vor der Krise, alsvor allem die bedeutenden Schwellenländerbeliebte Anlageobjekte waren. (Vgl. BIZ: 79.Jahresbericht.2009, S. 95).

28 International Monetary Fund (IMF): TheImplications of the Global Financial Crisis forLow-Income-Countries. Washington DC 2009

29 Vgl. Schneeweiß, 2010.

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Erfahrungen zeigen, dass solcheSparmaßnahmen eher mitKürzungen im Sozialbereicheinhergehen als mit Steigerungen,die aber dringend notwendig wären,wenn die MDG noch fristgerechterreicht werden sollen.

Die Nichtberücksichtigung solchernicht vorhergesehenen Ereignisse(auch externe Schocks genannt) beider Berechnung einer tragfähigenSchuldenlast im gegenwärtigenTragfähigkeitsmodell wurde vonerlassjahr.de schon lange kritisiert.Einen weiteren solchen Schock gabes unmittelbar vor der Finanz-marktkrise, der in ähnlicher Weisevon der Zügellosigkeit weit offenerFinanzmärkte und dadurch begüns-tigte spekulative Machenschaftenmindestens teilweise verursachtwurde: Die dramatisch steigendenWeltmarktpreise für Nahrungsmittelund andere Rohstoffe, vor allemmetallische Rohstoffe und Erdöl,stellten für viele Länder, die solcheRohstoffe vorwiegend importierenmüssen, eine erhebliche Mehr-belastung dar. Binnen kürzester Zeit(zwischen Januar 2005 und Mitte2008) verdreifachten sich beispiels-weise die Preise für Mais undWeizen, der Preis für Reis ver-vierfachte sich30. Auch der Ölpreiswar bereits seit der Jahrtausend-wende stetig gestiegen undexplodierte nach 2006 regelrecht aufeinen neuen Höchststand.Insgesamt stellt die steigendeVolatilität, das längerfristigeÜberschießen von Preisen auf demWeltmarkt sowohl nach oben alsauch nach unten einen nur sehrschwer kalkulierbaren Faktor in derHaushaltsplanung sowohl für dieExporteure als auch für dieImporteure dar.

Die Armen, die insgesamt mit 50 %bis 80 % ihres Einkommens deutlichmehr für Nahrungsmittel aufbringenmüssen als wohlhabendere Men-schen, litten unter dieser Ent-wicklung besonders stark. TraurigerHöhepunkt war die Meldung, dasserstmals in der Geschichte mehr alseine Milliarde Menschen an Hungerleiden. Das waren 100 Mio. mehr alsnoch ein Jahr zuvor und entsprichtmehr als einem Sechstel der Welt-

bevölkerung. Auch wenn dieseMarke in der Folgezeit wiederunterschritten wurde, leben nochimmer mehr Menschen in Hungerund Armut als vor der Nahrungs-mittelkrise31. All das zeigt, wie wichtiges ist, bei der Wirkungsorientierungsämtlicher Maßnahmen in derEntwicklungszusammenarbeit, unddazu gehören auch Entwicklungs-finanzierung und Schuldenerlass,eine qualitative Zielgröße vor Augenzu haben, die sich an menschen-rechtlichen Maßgaben orientiert undeben nicht nur technische Moment-aufnahmen wie wirtschaftlicheIndikatoren und Quoten. Die MDGstellen hier sicher nur eineunbefriedigende Minimalvorgabedar, aber sie umreißen immerhineine international abgestimmteOrientierungsgröße.

Wie wichtig ein solcher Para-digmenwechsel ist, wird sich vorallem auch in der Zukunft im Zugedes immer weiter voranschreitendenKlimawandels zeigen. Obwohl vorallem die ärmsten Länder pro Kopfeinen CO2 Ausstoß haben, der nichtnur weit unter dem Weltdurchschnittliegt, sondern auch weit unter dem,was für die Erdatmosphäre tragbarist, leiden sie oft heute schon sehrviel stärker unter den Folgen derErderwärmung als deren Haupt-verursacher im Norden. SteigendeMeeresspiegel, zunehmende Was-serknappheit, sich ändernde Wetter-phänomene, die Zunahme vonHurrikans, Trockenheit einerseitsund Überschwemmungen anderer-seits, all diese heute schon zubeobachtenden Phänomene stellennicht nur eine zusätzliche Heraus-forderung für die Erreichung derMDG dar. Im jeweiligen Katas-trophenfall können die volkswirt-schaftlichen Verluste erheblich sein.So zerstörte Hurrikan Ivan 2004 aufGrenada fast 90% aller Häuser,betroffen waren davon auch 70%der Hotelzimmer mit entsprech-enden Einbußen in der Tourismus-branche. Insgesamt beliefen sich dieSchäden auf 200% des BIP vomvorangegangenen Jahr32. Vor allemnach 2015, dem Stichjahr zurErreichung der MDG, ist derFortbestand des bis dahin Erreich-ten immer stärker gefährdet, denn

30 Vgl. The World Bank: A note on rising foodprices; Policy Research Working Paper 4682.Washington DC, 2008.

31 Vgl. Food and Agriculture Organization ofthe United Nations (FAO): The State of FoodInsecurity in the World. Rome, 2010.

32 Buchheit, Lee C. und Mitu Gulati: The Coro-ner’s Inquest: Ecuador’s Sovereign BondDefault. International Financial Law ReviewSeptember 2009. Und Karpinski, Elizabeth:Grenada's Innovations. Journal of Interna-tional Banking and Regulation, Issue 4 2006.S. 227 - 231.

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die Auswirkungen des Klimawandelstreten mit zeitlicher Verzögerung auf,selbst dann, wenn wir sofortumfassende Klimaschutzmaß-nahmen einleiten würden.

In den Entwicklungsländern sinddaher heute schon umfassendeAnpassungsmaßnahmen (Adapta-tion) nötig. Die Kosten hierfürwerden in den kommenden Jahrenauf 50 bis 86 Mrd. US$ jährlichgeschätzt33. Auch wenn Entwick-lungszusammenarbeit, Anpassungund Klimaschutz zukünftig sehr vielenger miteinander verzahnt werdenmüssen, ist es wichtig, dass dieserBetrag zusätzlich zu der offiziellenEntwicklungszusammenarbeit bereitgestellt wird, d.h. er muss auch überdie lange gemachte, nie erreichte0,7%-Zusage hinausgehen. Aberdamit nicht genug: Um dasWeltklima zu retten, werden auch dieEntwicklungsländer schon sehr bald- trotz ihres niedrigen Entwick-lungsniveaus - zu der weltweitenReduzierung an Treibhausgasenbeitragen müssen (Mitigation).Hierfür sind umfassende Tech-nologietransfers und –kooperationnötig.

Dies stellt möglicherweise die größteBedrohung für die nationalenHaushalte vieler Entwicklungsländerdar, denn bleiben die Investitionenaus, dürften die Folgekosten imEinzelfall sehr viel höher liegen, alsdie Anpassungskosten selbst. Danndroht eine Zunahme hohermenschlicher und volkswirt-schaftlicher Kosten durch externeregional auftretende Klimaschocks,aber auch mittel- und langfristigeAuswirkungen auf den Lebens-standard, das Wirtschaftswachstumund damit auf die Anstrengungen imBereich der Armutsbekämpfung34 .Gegenwärtig sind aber dieseHerausforderungen deutlich unter-finanziert, und nur ein Teil derbereitgestellten Gelder stehentatsächlich als Zuschüsse zurVerfügung. Die kargen Haushalts-einnahmen der Entwicklungsländerkönnen aber nur einmal aus-gegeben werden: Entweder für dieAnpassung an den Klimawandel,den Klimaschutz, Armutsbekämp-fung oder eben für den Schulden-

dienst an die Gläubiger.

Eine umfassende und an Entwick-lungszielen orientierte Definition vonSchuldentragfähigkeit darf daherdiese Dimension nicht außer Achtlassen. Anders als unvorherge-sehen auftretende externe Schocks,wie beispielsweise Wechselkurs-schwankungen, Preisschocks odergar kombiniert in einer Finanzmarkt-und Weltwirtschaftskrise, sindzukünftige Kosten für Anpassungs-maßnahmen länderspezifisch relativverlässlich zu berechnen. In erstenAnsätzen wird das bereits für dieärmsten Länder im Rahmen derKlimarahmenkonvention der Ver-einten Nationen über die NationalenAktionsprogramme zur Anpassungumgesetzt. Neben einer ganzenReihe möglicher innovativer Finan-zierungsinstrumente können hierauch Schuldenerlasse einen wich-tigen Beitrag leisten zur Finan-zierung von Anpassung undKlimaschutz. In den vergangenenJahrzehnten war die Logik eherumgekehrt: Zur Erwirtschaftung vonDevisen haben viele Länder oftmalsfür den Preis hoher sozialer undökologischer Kosten ihre Exportegesteigert. Für unser Land ausGraphik 2 könnte demgegenüber dieSchuldentragfähigkeit ganz andersaussehen, wenn diese Faktorenberücksichtigt würden. Das Geld,das zuvor noch in den Schul-dendienst fließen konnte, muss nunfür Anpassungsmaßnahmen auf-gebracht werden. In unseremBeispiel hier müssten die restlichenSchulden erlassen werden undsogar noch zusätzliche Klimafi-nanzierung ins Land fließen.

33 Vgl. z.B. Oxfam: Adapting to climate change– What’s needed in poor countries, and whoshould pay. Oxfam briefing paper 104, 2007.Oder United Nations Development Pro-gramme (UNDP): Bericht über diemenschliche Entwicklung – Den Klimawandelbekämpfen, 2007.

34 So hat beispielsweise der ehemaligeWeltbankökonom Nicolas Stern im Auftrag derbritischen Regierung die zukünftigen Kostendes Nichtstun eindrücklich beziffert: DerVersuch, die Erderwärmung auf 2° zubegrenzen würde demnach die Welt-gemeinschaft rund 1% des globalen BIPkosten. Schaffen wir das nicht, könnten sichdie Kosten mittelfristig auf bis zu 5% belaufen.(Vgl. Stern: Stern Review Report on the Eco-nomics of Climate Change, 2006).

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Ausgaben Einnahmen

Haushalts -e innahm en

(Steuern, Exporte, etc.)

Klim afinan-zierung

zusätzlich nötig

benötigte Mittel zur Erreichung der Millennium

Entw ick lungszie le

laufende Ausgaben(Gehälter,

Inf rastruktur, etc.)

Schuldendienst: muss vollständig erlassen w erden

benötigte Mittel zur Anpassung an den

Klim aw andel

Graphik 3: Unter Berücksichtigung von Klimafinanzierung verringern sich die

Spielräume der Schuldnerländer weiter

Dies ist natürlich eine sehrschematische Darstellung, dieWirklichkeit ist sehr viel komplexer.Angesichts der sehr unter-schiedlichen Herausforderungen beider Armutsbekämpfung und der sehrunterschiedlichen Verwundbarkeitgegenüber dem Klimawandel, isteine länderspezifische Berechnungnötig. Die Logik aber sollte deutlichgeworden sein. Schulden-tragfähigkeit muss anhandqualitativer und menschenrechtlichorientierter Messgrößen ausge-richtet sein. Da der fortschreitendeKlimawandel eine ernst zunehmende Gefahr für die Armuts-bekämpfung darstellt und außerdemein zusätzlicher Kostenfaktor ist,müssen auch diese Kosten in dieBerechnung von Schulden-tragfähigkeit eingerechnet werden.Und da es bei der Finanzierung vonAnpassungsmaßnahmen nicht umeinen Akt der Nächstenliebe,sondern um Wiedergutmachungangerichteter Schäden geht, kannes auch nicht sein, dass diese„Reparationszahlungen“ in Form vonweiteren Krediten bereit gestelltwerden. Wenn überall über innova-tive Finanzierungsinstrumente nach-gedacht wird, die zusätzliche Geldermobilisieren sollen, um die globalenHerausforderungen zu stemmen,dann sollten Schuldenerlasse dabeieine wichtige Rolle spielen.

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SCHULDENREPORT2011SCHULDENREPORT2011SCHULDENREPORT2011SCHULDENREPORT2011SCHULDENREPORT2011 2525252525

von Frank MischoTimothy wartet in einer Notküche auf

Simbabwe, das erste Land für ein faires und transparentesSchiedsverfahren?

etwas zu Essen. Er hat oft Angst undschon die Vertreibung seiner Familievon ihrer Farm während der Gewaltbei den Präsidentenwahlen 2007erlebt. Jetzt erlebt er, wie seineGeschwister nicht zur Schule gehenkönnen, weil es kaum Lehrer gibt, dadiese kaum ihre Gehälter bekommen.Und seine Mutter ist krank und kannsich einen Arztbesuch im fernenBulawayo nicht leisten. TimothysGeschichte ist typisch für diehunderttausender Familien inSimbabwe: Die Menschen sind vonder extremen Armut und Gewalt derVergangenheit verunsichert und esfehlt an dem Nötigsten und anstaatlichen funktionierenden Ein-richtungen, um wieder in die Norma-lität zurück zu kehren.

Simbabwe ist ein Land im Umbruch.Lange war die Arbeit als inter-nationale, für die Verwirklichung vonKinderrechten aktive Hilfsorganisationnicht möglich. 1996 musste sich dieKindernothilfe aus Simbabwe zurück-ziehen. Aus der Kornkammer dessüdlichen Afrikas mit relativ gutenBildungseinrichtungen ist durchKorruption und Misswirtschaft einesder ärmsten und hochverschuldetenStaaten geworden. 2008 stand dasLand kurz vor dem Staatszerfall. Der

Präsidentwahl folgte der Zusam-menbruch der öffentlichen Einrich-tungen. Seit 2009 gibt es durcheine Koalition aus Regierungs- undgrößter Oppositionspartei eineMachtteilung mit einer „Regierungder Nationalen Einheit”35.

35 EURODAD Newsletter, Development Fi-nance Watch Nr. 59: Global Week of Actionagainst Debt and IFIs: Act now for Pakistanand Zimbabwe, 7. Oktober 2010.

Simbabwe auf dem Wegin die internationaleGemeinschaft

Simbabwe konnte so nacheiner langen Zeit der vollstän-digen Isolation wieder Teil derinternationalen Staatenge-meinschaft werden. Dadurchwurden Veränderungen mög-lich. Der US-Dollar löste alsZahlungsmittel den wertlosenZimbabwe-Dollar ab. Die un-glaublichen Inflationsratenwurden dadurch zwar ge-stoppt, doch das Gros derFamilien kann auch heutenoch weder ihre Kinder zurSchule schicken, nochdie Gebühren für eine medizi-nische Behandlung aufbringen.Ende 2009 fehlten z.B. 400.000Menschen der Zugang zu täglichbenötigten Aidsmedikamenten36.Ausbeuterische Kinder-arbeit, vorallem auf Farmen, nimmt durch dieextreme Armut zu.

36 Kindernothilfe: Gemeinsam gegen Hungerund Unrecht – Kindernothilfe engagiert sichwieder in Simbabwe, September 2010, S.2 .

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Seit 2010 ist es für die Kindernothilfeund viele andere Organisationenwieder möglich, mit simbabwischenOrganisationen zu kooperieren. Fürden schrittweisen Wiederaufbaustärkt die Kindernothilfe mit ihrenPartnern Kinderrechte mit Hilfe vonWorkshops, es gibt psychosozialeUnterstützung für Gewaltopfer, Aids-prävention und Unterstützung dervon HIV/Aids-Betroffenen und vorallem werden Selbsthilfeinitiativenunterstützt, z.B. zehntausendeMütter der Frauenrechtsorga-nisation WOZA und tausendeJugendliche des JugendnetzwerksZIYON. Ohne eine externe Unter-stützung fehlt Simbabwe die Chanceauf einen erfolgversprechendenNeuanfang. Staaten, wie Simbabwe,die lange keinen Schuldendienstentrichtet haben, müssen erst ihrenVerpflichtungen nachkommen,bevor sie neue Kredite bekommen.Die vollständig am Boden liegendeWirtschaft und das mangelndeVertrauen in die Politik desPräsidenten Mugabe machen eszusätzlich schwer, einen Neuanfangzu schaffen.

Auslandschulden belasten denNeuanfang

Und dann drücken Simbabwe die inseiner Regierungszeit aufgelau-fenen Schulden in Höhe von 7Milliarden US-Dollar (2010) beigleichzeitig geringer Wirtschafts-kraft. Simbabwe hat 2010 einenSchuldenstand von 166% desBruttoinlandsprodukts (BIP) und von320% der jährlichen Export-einnahmen. Das durchschnittlichePro-Kopf-Einkommen ist auf 320US-$ pro Jahr gesunken37. DerInternationale Währungsfonds (IWF)schätzt, das sich die Auslands-verschuldung wegen fehlenderRückzahlungen durch die bankrotteWirtschaft bis zum Jahr 2013 auf13,4 Milliarden US-Dollar weiter-entwickeln wird38. Gleichzeitig fehltauch jede Möglichkeit die Ausgabenfür die Erreichung der Millenniums-entwicklungsziele zu finanzieren.Staaten, die lange die Schulden-forderungen nicht bedient habenmüssen erst diese Verpflichtungenerfüllen, um frisches Kapitalbekommen zu können. Der

Internationale Währungsfonds hatdeshalb schon im Mai 2009festgestellt: „Simbabwe ist inZahlungsverzug und wird für übereine Dekade vom Überhang derAuslandsschulden aus der Ver-gangenheit belastet und hat großenFinanzmittelbedarf. Simbabwebraucht deshalb eine spürbareGeberunterstützung und einenSchuldenerlass“39.

Die Suche nach einer Lösung fürSimbabwes Schuldenkrise

Die Indikatoren Verschuldungsgradund Pro-Kopf-Einkommen entspre-chen den Voraussetzungen zurTeilnahme an der HIPC/MDRI-Initia-tive. Aber es fehlt für eine Finan-zierung der Entschuldung noch diepolitische Bereitschaft der inter-nationalen Gebergemeinschaft:Simbabwes Finanzminister TendaiBiti erklärte schon im Februar 2010im Parlament, dass es nur nochwenige Tage dauern würde, bisSimbabwe in eine umfassendeEntschuldungsmaßnahme einbe-zogen würde. Darauf wartet diesimbabwische Bevölkerung aller-dings bis heute.

Der simbabwische Finanzministerstellte vier verschiedene Strategienzur Entschuldung vor:

- Die internen Ressourcen sollengrößtmöglich mobilisiert werden.- Die beträchtlichen Diamanten-vorkommen sollen für einelängerfristige Lösung verpfändetwerden.- Der Pariser Club soll Simbabweeinen Entschuldungsvorschlagmachen.- Und Simbabwe soll nach HIPC-Kriterien (Heavily Indebted PoorCountries Entschuldungsinitiative)entschuldet werden40.

Das kurzfristige Mobilisieren voninternen Ressourcen und dieVerpfändung der Diamanten-vorkommen bieten nur übergangs-weise Entlastung und sind keinelangfristig sinnvolle Lösung. DerPariser Club und das HIPC-Verfah-ren machten Simbabwe weiterhinvon den Konditionen der Geberabhängig. Finanzmittel im HIPC

Treffen von Großmüttern mit ihren

Enkelkindern, um in Harare für die

Kinderrechte Bildung und Gesundheit zu

kämpfen.

37 Zimbabwe Coalition on Debt and Develop-ment (ZIMCODD): Zimbabwe Debt Profile,September, 2010. www. zimcodd.org.zw undInternational Monetary Fund: IMF Board Con-cludes 2010 Article IV Consultation with Zim-babwe, IWF Public Information Notice (PIN)No. 10/62, Mai 2010.

38 Hurley, Gail: Zimbabwes External Debt:Current Situation and Possible Strategies.EURODAD, November 2009, S.2.

39 International Monetary Fund: IMF BoardConcludes 2010 Article IV Consultation withZimbabwe. IMF Public Information Notice(PIN) No. 10/62, Mai 2010.

40 ZIMCODD Policy Brief No.1: Understand-ing the Heavily Indebted Poor Countries(HIPC) Initiative and Its Implications for Zim-babwe, February 2010.

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Trust Fund für einen Schuldenerlassunter HIPC-Kriterien sind nochvorhanden, da sie für Somalia undSudan nicht ausgezahlt wurden.Mittlerweile ist es beschlosseneSache, dass Simbabwe nicht füreine Entschuldung nach HIPC-Kriterien in Frage kommt, weilSimbabwe nicht auf der Liste derursprünglich vorgesehenen Staatensteht. ZIMCODD (Zimbabwean Coa-lition on Debt and Development)hätte die HIPC-Initiative wegen dergefürchteten Strukturanpassungs-programme von InternationalemWährungsfonds und Weltbankohnehin kritisch gesehen:

1. Der HIPC-Prozess würdemindestens zwei Jahre dauern. Diedurchschnittliche Zeit für dasDurchlaufen des HIPC-Prozessesbis zur vollständigen Schulden-streichung beträgt sechs bis siebenJahre.

2. Simbabwe müsste seinenSchuldendienstverpflichtungennachkommen und den Schulden-dienst für die Rückzahlung derAuslandsschulden noch erhöhen.

3. Simbabwe müsste neue Kreditezur Bedienung der aufgelaufenenSchulden aufnehmen, die nicht indem Entschuldungsprozess vonHIPC und MDRI (Multilateral DebtRelief Initiative) berücksichtigtwerden. Nur Kreditvereinbarungenaus den Jahren vor 2004 könnendabei erlassen werden41.

Simbabwes Regierung müsstevoraussichtlich ein Zeichen desguten Willens gegenüber Weltbankund IWF abgeben. Liberia zahlte vorseiner Entschuldung aus diesemGrund zum Beispiel 50.000 US-Dol-lar pro Monat als Schuldendienst.Die Schuldendienstquote für dieAuslandsschulden vollständig zubedienen, ist bei einer Bevölkerungvon 75% unter der extremenArmutsgrenze und bei einerArbeitslosigkeit von 90% höchstunmoralisch42.Die internationale Geberge-meinschaft würde eine Mischungaus Zuschüssen und Krediten zurBedienung der aufgelaufenenSchulden an Simbabwe vergeben.

Diese Finanzmittel würden alsGelder für staatliche Entwicklungs-zusammenarbeit (ODA) angerech-net, obwohl Simbabwe davon nieetwas für den Wirtschaftsaufbausieht. Neue Kredite würden dieSchuldenkrise langfristig erhaltenund Simbabwe dauerhaft vollständigvon den Geberentscheidungenabhängig machen.

Für Simbabwe kommt nur eineandere Lösung als die HIPC-Initia-tive in Frage:Das EntschuldungsnetzwerkZIMCODD überlegt eine Begut-achtung der Gesamtschulden, umeinen Überblick zur Entstehung derVerschuldung und zur Schulden-struktur im Hinblick auf die inMugabes Regierungszeit aufge-laufenen Auslandsschulden Sim-babwes zu bekommen43. DieAuslandsschuldenübersicht kannauch Auskunft darüber gebenwelche Geber unverantwortlichKredite an Robert MugabesRegierung vergeben haben, dienicht für Regierungsaufgabenverwendet wurden. Diese Krediteführen zu illegitimen Schulden. Umdie Bereitschaft der Geber imHinblick auf die Streichung dieserSchulden zu erhöhen muss einegemeinsame Kampagne der Schul-dennetzwerke vor allem Europasund Afrikas die Verantwortungs-losigkeit der Geber bei derKreditvergabe deutlich machen.

Die beste Möglichkeit: Ein fairesund transparentes Schieds-verfahren für Simbabwe

Für das simbabwische Schulden-netzwerk ZIMCODD, wie für dassimbabwische Parlament ist eineSchuldenschiedsverfahren eineChance für einen Wiederaufbau. Einfaires und transparentes Schieds-verfahren, sowie ein Gesetz zurRegelung zukünftiger verantwort-licher Kreditaufnahme könnte,zusammen mit der Bestimmung derSchuldenstruktur und der wirtschaft-lichen Trägfähigkeitsgrenze nacheinem Schuldenabbau, eine nach-haltige Lösung für den Wieder-aufbau und vor allem für funk-tionierende soziale Grunddienste,wie Bildungs- und Gesund-

41 Zimbabwe Coalition on Debt and Develop-ment (ZIMCODD) September 2010: Zimba-bwe Debt Profile, www. zimcodd.org.zw; Hur-ley, Gail: Zimbabwes External Debt: CurrentSituation and possible Strategies, EURODAD,November 2009, S.6.

42 Hurley, Gail: Zimbabwes External Debt:Current Situation and possible Strategies,EURODAD, November 2009, S.5.

43 Zimbabwe Coalition on Debt and Develop-ment (ZIMCODD) 2010: National Debt Audit– What is Debt and why should we care?www.zimcodd.org.zw; The Standard Zimba-bwe will audit external debt, 14.12.2009: ,http://www.thestandard.co.zw/business/22559-state-to-audit-external-debt.html

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heitseinrichtungen, sein44. Dafürmuss zuerst eine unabhängigeInstanz mit der Funktion einesSchiedsgerichts aufgebaut werden.Simbabwe hilft nur eine umfassendeEntschuldung unter Einbeziehungaller Geber. Deshalb muss dieneutrale Instanz von allen Beteiligtenanerkannt sein. Eine festeEinrichtung eines Schulden-schiedsgerichts kommt dabeigenauso in Frage, wie eine z.B. mitHilfe der Afrikanischen Unionzusammengestellte Gruppe vonanerkannten unabhängigen Persön-lichkeiten. Zentral ist, das dieGrundversorgung als Priorität vordem Schuldendienst anerkannt wird:Die überlebensnotwendigen Be-dürfnisse und Grundversorgungs-dienste werden also berechnet undvorrangig bedient, um nachhaltigeRessourcen für eine langfristigfunktionierende Wirtschaftsleistungaufbauen zu können. Während diesimbabwische Regierung, Vertreterder Zivilgesellschaft und Vertreteraller Geber mit den Vermittlern aneinem Tisch sitzen, müssen vorallem aus humanitären Gründeneine schnelle und vollständigeStreichung aller bilateralen undmultilateralen Schulden vereinbartwerden45. Wenn die Geberregie-rungen auf das Bedienen der altenSchuldenverpflichtungen bestehen,müssen sie dafür Zuschüsse zuVerfügung stellen. Neue Kreditedürfen dafür nicht vergeben werden,um den Wiederaufbau nicht durchlangfristige Verpflichtungen zubelasten.

Entschuldung ist die einzige Chance auf

einen Weg aus der extremen Armut für

zukünftige Generationen.

Ein faires und transparentes Staaten-Insolvenzverfahren (FTAP)Schritt für Schritt

Ausgangslage: Durch eine umfassende Begutachtung erweist sichdie Auslandsverschuldung eines Landes als nicht mehr tragbar.Das Land beschließt, in einem Internationalen Insolvenzverfahrenseine Schuldenlast zu reduzieren.

1. Der Finanzminister identifiziert alle Gläubiger des Landes undalle ausstehenden Forderungen. Er gibt die Insolvenz und damitdie Einstellung von Schuldenrückzahlungen bekannt.

2. Der Finanzminister kontaktiert und informiert einzelne Kreditgeber.Durch die vorübergehende Einstellung der Zahlungen sind diesezum raschen Handeln motiviert.

3. Das Schuldnerland nominiert zwei oder drei unabhängigeVertreter. Auch die Gläubiger werden gebeten, die gleiche Zahl vonunabhängigen Vertretern zu benennen. Bei ihrem ersten Treffenbenennen diese Vertreter noch eine weitere unabhängige Personfür das Schuldenschiedsgericht.

4. Das Schuldnerland muss bereit sein, die Kosten des Schieds-gerichtsprozesses zu tragen. Es legt einen Zeitplan der Verhandlun-gen vor.

5. Das Schiedsgericht beauftragt eine neutrale und kompetente In-stitution mit der Erstellung einer Schuldentragfähigkeitsanalyse.Diese ist die Grundlage der weiteren Beratungen.

6. Die Verhandlungen über einen Schuldenerlass beginnen, zumBeispiel in der Hauptstadt des Schuldnerlandes. DieForderungsansprüche werden auf ihre Legitmität und Gültigkeitüberpfüft.

7. Das Schuldnerland verpflichtet sich, die Einsparungen durcheinen Erlass von Schulden für prioritäre Entwicklungsaufgaben zunutzen. Alle betroffenen Interessensgruppen, auch die eigeneBevölkerung, haben ein Anhörungsrecht.

8. Unter Berücksichtigung aller Aspekte der Verhandlungen wirddas Schiedsurteil ausgesprochen. Die Schulden werden auf einentrag- fähigen Verschuldungsgrad reduziert.

9. Das Finanzministerium erarbeitet einen Rückzahlungsplan, dervom Schiedsgericht bestätigt werden muss. Das Verfahren ist somitabgeschlossen und der Rückzahlungsplan muss eingehaltenwerden.

44 Schulden müssen tragbar sein. HandbuchSchuldentragfähigkeit, erlassjahr.de, 2006.

45 Kwenda, Stanley: Debt ArbitrationMechanism Demanded, AFRODAD 2009,www.afrodad.org/index.php?option=com_contentv&view=article&id=336:fta&catid=7:news

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Deutschland als Gläubiger – Bedeutung und Einnahmennehmen ab

Das Bundesministerium derFinanzen ist dafür verantwortlich,den Bestand an Forderungen, denDeutschland gegenüber demAusland und dabei auchEntwicklungs- und Schwellen-ländern hat, regelmäßig zuaktualisieren und für die Öffent-lichkeit zugänglich zu machen. Dafürstellt das Ministerium normalerweiseeine Übersicht auf seine Homepage.Die momentan aktuellsten Angabenentsprechen dem Stand Ende 2009,dabei handelt es sich um die ersteAktualisierung nach der Forderungs-übersicht von Ende 2007.

Dabei schlüsselt das BMF die For-derungen nach zwei Forderungs-typen auf:

1. Forderungen aus derfinanziellen Zusammenarbeit, alsoEntwicklungshilfe-Kredite, die zugünstigen Zinssätzen und langenLaufzeiten vergeben werden;

2. Forderungen aus Handels-geschäften von nichtstaatlichenExporteuren, die mit so genanntenHermes-Bürgschaften abgesichertund nach einer Entschädigungwegen Nichtzahlung des Importeursauf den Bund übergegangen sind.

Handelsforderungen sind dabei fürEntwicklungs- und Schwellenländerteurer als Kredite aus derEntwicklungszusammenarbeit, da

sie zu marktüblichen Konditionenvergeben werden. Diese Kreditewerden dabei von deutschenExporteuren vergeben, die eine sogenannte Hermesbürgschaft inAnspruch nehmen. DieForderungen gehen auf dieBundesregierung über, wenn derSchuldner zahlungsunfähig wird undden Schuldendienst an dendeutschen Exporteur nicht bedienenkann.Kredite aus der finanziellen Ent-wicklungszusammenarbeit hin-gegen sind zinsgünstiger und damitgerade für Entwicklungsländerleichter zu tragen.

Die Angaben in der folgendenTabelle sind in Millionen Euro.Forderungen aus der finanziellenZusammenarbeit und damit aus derEntwicklungshilfe belaufen sich auf14.626 Mio. Euro. Handelsforderun-gen belaufen sich auf insgesamt6.954 Mio. Euro. Damit besteht einGesamtforderungsbestand von21.580 Mio. Euro. Abschließend gibtdas Ministerium auch die Verän-derungen der Forderungsbeständezum Jahr 2007 an.

Die Tabelle46 zeigt, dass die For-derungen Deutschlands gegenüberdem Ausland im Vergleich zu 2007erneut gesunken sind47 und auch dieAnzahl der Schuldner von 105 auf100 leicht gefallen ist

46 Quelle: Bundesfinanzministerium; http://www.bundesfinanz-ministerium.de/nn_2386/DE /W i r t s c h a f t _ _ u n d _ _ Ve r w a l t u n g /I n t e r n a t i o n a l e _ _ B e z i e h u n g e n /I n t e r n a t i o n a l e _ _ S c h u l d e n -s t r a t e g i e _ _ u n d _ _ U m s c h u l d u n g /Internationale_20Schuldenstragie.html?__nnn=true

47 Rückgang Forderungen aus derEntwicklungszusammenarbeit: 1,164 Mill.,Rückgang Handelsforderungen: 973 Mill.Euro.

Von Kristina Rehbein

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Land Forderungen FZA HF48 Gesamt Veränderungen ggü. 2007

Afghanistan — 12 12 1Ägypten 2313 268 2581 27Albanien 109 — 109 13Algerien 15 — 15 -4Antigua+Barbuda — 1 1 -2Argentinien 57 1795 1852 328Armenien 100 100 34Aserbaidschan 53 53 0Bermuda 3 3 -2Bolivien 66 66 4Bosnien-Herzegowina 59 46 105 1Botsuana — — -19Brasilien 33 88 121 1Bulgarien 12 115 127 -22Chile 55 47 102 -1China VR 1523 12 1535 -68Costa Rica 15 15 6Elfenbeinküste 300 85 385 -27Dominik. Republik 33 6 39 -9Dschibuti — 4 4 —Dubai, VAE — 1 1 -1Ecuador 11 22 33 -11El Salvador 106 106 -6Gabun 12 98 110 -63Georgien 139 139 30Ghana 75 2 77 48Griechenland — 5 5 2Guatemala 57 57 -5Guinea — 3 3 -1Guinea-Bissau — 1 1 —Honduras 15 15 11Indien 2254 160 2414 -152Indonesien 912 399 1311 -275Irak — 865 865 -732Iran — 4 4 —Israel 410 1 411 -96Jamaika 32 32 -17Jemen — 1 1 —Jordanien 263 263 -58Kambodscha — 2 2 —Kamerun 21 6 27 -306Kasachstan 24 9 33 2Kenia 189 6 195 46Kirgistan 47 5 52 6Kolumbien 57 7 64 -18Kongo 41 65 106 -25Kongo, DR 136 337 473 4Korea DVR (Nord) — 116 116 —Korea R. Süd 3 66 69 -35Kroatien — 5 5 -40Kuba — 95 95 -6Libanon — — -1Liberia — 38 38 -191Libyen — 1 1 —Malaysia — 43 43 4Marokko 387 18 405 -21

Forderungen des Bundes gegenüber dem Ausland (31.12.2009)

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Mauretanien — 1 1 —Mauritius 3 3 -1Mazedonien 27 27 11Mexiko — 36 36 -19Moldau 7 12 19 4Mongolei 73 73 1Montenegro 13 28 41 13Myanmar 449 319 768 41Namibia 85 85 -3Nikaragua 15 15 7Nigeria — — —Pakistan 1124 232 1356 40Palästina 1 1 2 1Papua-Neuguinea 13 13 -3Paraguay 21 1 22 -8Peru 248 1 249 -47Philippinen 260 2 262 -9Polen — 34 34 24Polynesien — 8 8 —Portugal 3 1 4 -10Rumänien 11 1 12 2Russland — 30 30 28Saudi Arabien — 35 35 -2Serbien 209 230 439 -43Seychellen 3 3 0Simbabwe 311 73 384 18Singapur — 243 243 -6Sri Lanka 311 311 -32Sudan — 231 231 13Südafrika 89 1 90 20Syrien 140 185 325 -152Tadschikistan — 1 1 -1Taiwan — 13 13 -7Thailand 139 48 187 -45Togo — 14 14 -13Tonga 2 2 -1Tschechische Republik — 4 4 —Tunesien 155 1 156 -51Türkei 664 74 738 -230Uganda — 1 1 —Ukraine 3 176 179 -42Uruguay 7 7 -4Usbekistan 124 124 17Venezuela — 20 20 -33Vietnam 174 32 206 42Weißrussland — 1 1 —Zentralafr. Republik — 1 1 -2Gesamt 14626 6954 21580 -2137

Land Forderungen FZA HF Gesamt Veränderungen ggü. 2007

Auch wenn Forderungen aus derfinanziellen Zusammearbeit undForderungen aus Handelsgeschäf-ten um einen ungefähr gleichenBetrag gesunken sind, so ist derRückgang bei den Zinseinnahmenaus den Handelsforderungen imBundeshaushalt stärker spürbar. Beiden Handelsschulden sind im Jahr

2008 4,6 Mrd. Euro und im Jahr2009 4,3 Mrd. Euro auf den Bundübergegangen. In beiden Jahrenwurde allerdings der Anstieg durchdie Rückgänge in Folge vonRückzahlungen und Schuldenerlas-sen überkompensiert, so dass sichunterm Strich der deutscheForderungsbestand gegenüber den

48 Der hier dargestellte Forderungsbestanddes Bundes ist nicht zu verwechseln mit derHöchsthaftung des Bundes. Letztere beträgtfür alle besicherten Exporte in Schwellen- undEntwicklungsländer Ende 2009 79,9 Mrd. •.Erfahrungsgemäß tritt von diesen aber nur beieinem Teil der versicherte Schadentatsächlich ein, so dass Hermes/der Bund denExporteur tatsächlich auszahlen muss.

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Es handelt sich dabei um Ägypten,Argentinien, China, Indien, Indo-nesien und Pakistan. Doch auchdiese Bestände gehen zurück – sohat China einen großen Teil seinerHandelsschulden zurückgezahlt,Indien einen Teil seiner Entwick-lungshilfekredite, Indonesien beides.Der Irak und die Türkei fallen mitdeutlich geringeren Forderungen alsnoch in 2007 aus dieser Kategorieheraus; wobei der Irak nurHandelsschulden bei der BRDaufweist und diese in den letztenzwei Jahren durch Rückzahlungenund die dritte Stufe der Pariser Club-Umschuldung von 2004 um dieHälfte reduziert wurde.

Auch hohe Forderungsrückgängebei Syrien (152 Mio.), Indien (152Mio.), Kamerun (306 Mio.) undIndonesien (275 Mio.) haben zu dermassiven Verringerung des ge-samten Forderungsbestandesbeigetragen. 20 der insgesamt 100Schuldnerländer sind ehemalige,gegenwärtige und zukünftigeKandidaten der HIPC-Entschul-dungsinitiative; damit drei Ländermehr als noch 2007. Von diesen sindbereits 12 entschuldet worden oderhaben gegenwärtig den „CompletionPoint“ und damit eine Entlastung

erreicht. Jedoch weisen nur wenigeder 12 bereits entschuldeten HIPC-Länder überhaupt eine Neuver-schuldung gegenüber 2007 bei derBRD auf: Afghanistan mit 1 MillionEuro (Handelsforderungen), Bo-livien mit 4 Mio. Euro (Forderungenaus der Entwicklungszusammen-arbeit), Ghana mit 48 Mio. Euro(hauptsächlich EZ-Forderungen),Kenia mit 46 Mio. Euro (vor allemEZ-Forderungen) und Nicaragua mit7 Mio. Euro (EZ-Forderungen).Auffällig ist hierbei, dass an dieehemaligen HIPC-Länder haupt-sächlich Neukredite aus derfinanziellen Entwicklungszu-sammenarbeit vergeben wurden,nicht also im Bereich derExportkreditvergabe und somitteuren Handelskreditgeschäften.

Dass Argentinien, Simbabwe undMyanmar höhere Verpflichtungenaufweisen, als im Jahr 2007, liegtschlicht daran, dass sie keinenSchuldendienst mehr geleistethaben und Verzugszinsen auf diebestehenden Forderungen berech-net wurden. Dass Liberia 191Millionen Euro weniger Zahlungs-verpflichtungen hat als noch 2007,liegt nicht etwa daran, dass dasLand plötzlich 191 Millionen Euro fürden Schuldendienst auftreibenkonnte, was ca. ein Drittel desgesamten Bruttoinlandprodukts desLandes entsprochen hätte50. DerGrund ist viel mehr, dass Liberia erstkürzlich durch die multilateraleHIPC-Entschuldungsini t iat ivegelaufen ist – und damit auch einenErlass seiner Schulden gegenüberDeutschland erhalten hat. DiesesGeld hat der Finanzminister alsonicht in die Staatskasse fließensehen. Ähnlich wird es ihmmöglicherweise mit Sudan undMyanmar ergehen, die beide für dieHIPC-Initiative und damit für einezukünftige Schuldenstreichung inBetracht kommen, sobald diepolitischen Gegebenheiten dafürvorliegen. Im Hinblick auf den Su-dan dürfte die mögliche Streichungder Forderungen die BRDbesonders schmerzen, da das Landnur mit Handelsforderungen bei derBRD in der Kreide steht. Simbabweist hoffnungslos überschuldet undwird ebenfalls in naher Zukunft wohl

Entwicklungs- und Schwellen-ländern verringert hat49.

Der hohe Rückgang liegt zum Teilschlicht daran, dass trotz Wirt-schaftskrise und für viele Länderengeren finanziellen Spielräumenviele der Schuldner meist regulärihre Schulden bedient haben. Dabeihaben Botsuana und der Libanonihre Restschulden nach 2007vollständig beglichen. Nur ein Drittelder verbleibenden Forderungenentfällt noch auf hoch verzinsteHandelsschulden, die durch dieBürgschaft auf die Bundesregierungübergegangen sind; im Vergleich zuden Entwicklungshilfekrediten, diemit 14,6 Milliarden die restlichenzwei Drittel bilden. 25 Länder weisendabei nur kleine Schuldenständevon bis zu 8 Millionen Euro auf. Nurnoch sechs Großschuldner, diemehr als 1 Milliarde Euro anVerbindlichkeiten aufweisen, zähltdas BMF; Ende 2007 waren es nochacht.

49 Euler-Hermes Kreditversicherung:Exportkreditgarantien der Bundesrepublik

Deutschland, Jahresbericht 2009.

50 Liberias BIP betrug Ende 2009 ca. 876Millionen Dollar (siehe https://www.cia.gov/li-brary/publications/the-world-factbook/geos/li.html); umgerechnet zum Wechselkurs vom31.12.2009 damit 611 Millionen Euro.

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auch weiterhin keine Kreditschuldenzahlen können. Übrigens musstenbereits 2007 bei Ländern wieArgentinien, Sudan, Myanmar undLiberia Verzugszinsen erhobenwerden, da diese ihren Schulden-dienst nicht begleichen konnten. ImFalle Liberias dürfte dies für dieBundesregierung in der Hinsicht vonVorteil gewesen sein, als dass diegewährte Entschuldung unter HIPCletztendlich auf die Leistung derEntwicklungshilfe angerechnet wirdund damit auch auf die Entwick-lungshilfequote51.

Deutschland ist eines der letztenGeberländer, welches im Rahmender Entwicklungszusammenarbeitüberhaupt noch Kredite stattverlorener Zuschüsse vergibt –allerdings nur an Mittel-einkommensländer. 2008 und 2009gehörten dazu u.a. Vietnam,Südafrika, Albanien, Costa Rica,Mongolei, Armenien, Honduras,Georgien, Usbekistan und Pakistan.Eine Zunahme von Handelskrediten,die von der BRD übernommenwerden, ist dagegen eher gering:Russland mit 28 Millionen zähltdabei als bedeutendster, Grie-chenland mit 2 Millionen und Malay-sia mit 4 Millionen hingegen zähleneher kleine Beträge.

Deutschland und ODA

Deutschland ist nicht unbedingtvorbildlich im Hinblick auf dieEinhaltung seiner ODA-Ver-pflichtungen: So verzeichnete dieRegierung im Jahr 2009 nicht nurden größten ODA-Rückgang imVergleich zu allen anderenBeteiligten, auch hat es sichursprünglich verpflichtet, 2010 mind.0,51 % des BIP zur Verfügung zustellen; aktuell werden gerade mal0,4 % in 2010 als realistischprognostiziert. Das bedeutet eineLücke von 2,7 Milliarden Euro – einegewaltige Summe. Im letzten Jahrwies die deutsche Entwicklungs-hilfequote bereits einen historischniedrigen Wert von 0,35 % des BIPauf, im Vergleich zum ebenfalls rechtniedrigen Wert in 2008 von 0,38 %des BIP. Doch nicht genug: Von den9,693 Millionen Euro ODA, dieDeutschland im Jahr 2008 locker

gemacht hatte, wurden 2,281Millionen Euro gleich durchSchuldenerlasse geschluckt. Damitsind 24 %52, also knapp ein Viertelder gesamten Entwicklungshilfe-leistung 2008 auf Schuldenerlasseangerechnet worden; 24 % voneiner bereits geringeren Leistung alsversprochen, wovon kein einzigerCent in die Empfängerländergeflossen ist.

51 Beim Erlass von Entwicklungshilfeschuldenerhöht sich die ODA-Quote nur dadurch, dassdie ausfallenden Rückflüsse die Netto-Entwicklungshilfe nicht mehr vermindern.Während diese Praxis logisch undnachvollziehbar ist, kann die Anrechnung desErlasses von Handelsforderungen auf dieODA-Quote nur als Skandal bezeichnetwerden, da durch sie Leistungen, die mitEntwicklungszusammenarbeit ursprünglichnichts zu tun haben – oder gar aus dezidiertentwicklungsfeindlichen Exporten, z.B. vonmilitärischen Gütern, stammen, dieEntwicklungshilfebilanz des "Gebers"aufbessern. Ausführlicher dazu: "Alle Parteiennoch immer für Entwicklungshilfe an Saddam,Mobutu & Co" in: http://www.erlassjahr.de/blog/2009/09/

52 Vgl.: Deutsche Welthungerhilfe e.V., terredes hommes Deutschland e.V.: DieWirklichkeit der Entwicklungshilfe.Achtzehnter Bericht 2010: Eine kritischeBestandsaufnahme der deutschenEntwicklungspolitik. Profitable Partnerschaft?Entwicklungszusammenarbeit mit derdeutschen Wirtschaft.

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Herausforderungen im MikrofinanzbereichFührt Mikrofinanz zur Überschuldung?

von Dr. Walter Ulbrich und

Dr. Florian Grohs

Seit Muhammad Yunus 2006 denFriedensnobelpreis erhielt, istMikrofinanzierung populär gewor-den. Mikrokredite gelten als einwirkungsvolles Mittel, um Armut imSinne der Millenniumsentwick-lungsziele nachhaltig zu lindern.Millionen armer Menschen habenein Konzept, wie sie ihre unter-nehmerischen Fähigkeiten nutzenkönnen. Nur fehlt ihnen dasStartkapital!

Doch immer mehr Banken undFonds haben den jungen Markt mitweltweit rund 60 Mrd. US-Dollar und1500 registrierten Mikrofinanz-instituten (MFI) als lukrativesAnlageziel entdeckt. Kürzlich gingdas indische Unternehmen SKS, mit6 Millionen Kund/innen eine dergrößten MFI der Welt, an die Börse.Bei 14-facher Überzeichnung wurdeein Erlös von 350 Mio. US-Dollarerzielt. Yunus sieht sein Lebenswerkin Gefahr: „Wir schufen Mikrokreditenicht, um neue Kredithaie anzu-locken“.

Heute haben weltweit etwa 100Millionen Menschen einen Mikro-kredit, doch wird das Potential aufeine Milliarde Kreditnehmergeschätzt. Die Mehrzahl sindKunden von großen etablierten MFIsan der Spitze der Pyramide. Vieledieser MFIs wurden ursprünglich alsNGOs oder Dorfbanken gegründet.Die meisten MFIs sind ihrem Auftragarmen Menschen zu helfen, treugeblieben und vergeben verantwor-tungsbewusst Mikrokredite. Docheinige MFIs haben sich in einegewinnorientierte Finanzgesell-schaft umgewandelt, privateKaptalgeber an der MFI beteiligt, dasBusinessmodell auf Profit aus-gerichtet, hohe Gehälter an dieTopmanager ausgezahlt, und dabeiihren ursprünglichen sozialenAuftrag aus den Augen verloren. Diedadurch geschaffene Unter-nehmenskultur hat dabei gerade indem indischen Bundesstaat AndhraPradesh zu einem unkontrolliertemWachstum und Vergabe vonMikrokrediten geführt, wobei jedochdie notwendige Beratung während

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der ganzen Laufzeit des Kreditsvernachlässigt wird. Weiterhin sindjedoch vieleländliche Regionenaufgrund des höheren Be-treuungsaufwandes unterversorgt.Jüngste Berichte von Journalisten53

zeigen auf, dass eine unkontrollierteVergabe von Mikrokrediten zurÜberschuldung der MFI Kund/innenführen kann. Eine Studie vonJohnson und Meka (2010)54 zeigt,dass 83% der indischen Haushaltein Andhra Pradesh mehrere Kreditesowohl von informellen Geld-verleihern, als auch von MFIs auf-genommen haben.

Gerade arme Menschen sind oft aufKredite angewiesen, da ihr Ein-kommen gering ist, und sie nochdazu nicht regelmäßig jeden Tagetwas verdienen. Neuste For-schungen55 zeigen, dass armeMenschen sehr aktiv das wenigeGeld, das sie haben, managenmüssen. Wie gut sie das machenbeeinflusst entscheidend, ob und zuwelchem Grad sie ihre Lebens-umstände verbessern können. UmPhasen ohne Einkommen zuüberbrücken, bei großen Ausgabenwie für Hochzeiten, Beerdigungenoder bei plötzlichen Ausgaben fürmedizinische Versorgung nehmensie Kredite bei Freunden,Verwandten, bei Geschäften,Geldverleihern oder Mikrofinanz-organisationen auf oder greifen aufErsparnisse zurück, die sie ininformellen Spargruppen oder sogarteilweise bei MFIs oder Bankengespart haben. Doch viele armeMenschen leiden unter derUnzuverlässigkeit, den hohenZinsen oder der schlechtenVerfügbarkeit der ihnen zugäng-li-chen in der Regel informellenFinanzinstrumente, um ihr mageresEinkommen zu verbessern. Diezentrale Schlussfolgerung vonCollins et al. ist, dass angepassteMikrokredite, Mikrosparangeboteoder Mikroversicherungen von MFIssehr viel beitragen können, um dieLebensumstände armer Menschenzu verbessern. Im Vergleich zuvielen informellen Kredit- oderSparangeboten bieten MFIs in derRegel bessere und zuverlässigereFinanzprodukte.

Doch wenn zuviele MFIs den

gleichen Kunden ohne aus-reichende Prüfung und Beratungleichtfertig Mikrokredite anbieten, diedie Rückzahlungskapazität derMenschen übersteigen, könnenMenschen in die Schuldenfallegeraten. Sie geraten in Versuchung,mit neuen Krediten die altenSchulden abzulösen. Die Folgensind mitunter verheerend und es gibtinzwischen vereinzelt Berichte überaggressive Eintreibungspraktikenund von Kreditnehmerinnen, dieOpfer von Bedrohung und Be-schimpfung von MFIs wurden. InIndien schließen sich die Kredit-nehmerinnen in kleinen Gruppenvon Frauen zusammen, die gegen-seitig die Rückzahlung der Kreditegarantieren. In der Regel bietendiese Gruppen den FrauenSolidarität und stärken dasgemeinsame Verantwortungs-bewusstsein. Der dabei entstehende„soziale Druck“, kann aber inmanchen Situationen in seinGegenteil umschlagen und dieGruppenmitglieder können einen zuhohen Druck auf eine säumigeSchuldnerin ausüben.

Ein weiterer Kritikpunkt sind dierelativ hohen Zinsen, die weltweit imDurchschnitt bei 25% pro Jahrliegen. Die Erreichung ländlicherGebiete, die Vergabe kleinerDarlehen und die Kreditvergabe anjunge, oft risikoreiche Organi-sationen haben allerdings ihrenPreis. Eine seriöse MFI musskostendeckend arbeiten und diemeisten MFIs machen nur wenigGewinn. Die Zinssätze müssenjedoch fair und ihre Begründungmuss transparent sein. Verantwor-tungsbewusste MFIs und Mikro-finanz-Investoren haben deshalbbereits 2008 eine Erklärung der Ini-tiative MFTransparency unter-schrieben und verpflichten sich darinzu einer offenen Kommunikation undzu branchenweiten Kundenschutz-grundsätzen.

Als Folge sowohl der Finanzkriseaber auch der zu leichtfertigenKreditvergabe in Bosnien hat sichder Anteil der ausfallgefährdetenKredite im Vergleich zum Jahr 2008vervielfacht. Daher haben die MFIsauch ein großes Eigeninteresse, dieMehrfachkredite in Zukunft zu

55 Collins, Daryl; Morduch, Jonathan; Ruther-ford, Stuart, Ruthven; Orlanda : Portfolios ofthe Poor, How the world’s poor live on $2 aday. Princeton University Press; 2009:

Seit 2005 ist ASA (Activists for Social Alter-

natives) Partner von Oikocredit. ASA nutzt

die Mikrofinanzierung von Oikocredit zur

Unterstützung von wirtschaftlich und sozial

benachteiligten Frauen in Indien.

53 DIE ZEIT, 18.11.2010.

54 Johnson, Doug and Sushmita Meka: Ac-cess to Finance in Andhra Pradesh. IFMR Re-search Paper, 2010.

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kontrollieren. Bosnische MFIs undBanken arbeiten inzwischen mit derZentralbank zusammen, um eine ArtSCHUFA zu gründen. Einige derbosnischen MFIs haben mitfinanzieller Unterstützung vonOikocredit und anderen Orga-nisationen ein Schuldnerberatungs-zentrum in Tuzla gegründet, umMikrounternehmer, die überschuldetsind, zu beraten und Wege aus derSchuldenfalle aufzuzeigen.

Die ökumenische Entwicklungs-genossenschaft Oikocredit(www.oikocredit.de) mit 35 JahrenErfahrung warnte schon vor einemJahr vor einer zunehmendenÜberschuldung von Kreditnehmern.Als einer der größten privatenMikrofinanzinvestoren unterhältOikocredit ein Netz von lokalenMitarbeitern in den Länder- undRegionalbüros in 35 Ländern, die soauf lokales Wissen über die MFIszurückgreifen können. Kreditewerden nur an solche Organi-sationen vergeben, die soziale Zieleverfolgen und verantwortungs-bewusst handeln. Der ländlicheRaum wird bevorzugt.

Aufgrund des breit gestreuten Port-folios mit Finanzierungen in 70Ländern und größeren Direkt-krediten an landwirtschaftlicheGenossenschaften, Fair TradeOrganisationen u.a. kann Oikocredit

den wachsenden Zuspruch vonAnlegern gut verkraften. Je stärkersich nämlich ein Mikrofinanz-Inves-tor auf eine bestimmte Regionkonzentriert, umso stärker unterliegter der Gefahr der Überfinanzierungvon MFIs.

Mikrofinanz steht an einemScheideweg! VerantwortungsvolleMikrofinanzprodukte können armenMenschen helfen, ihre Lebens-umstände zu verbessern. Doch dieVerminderung der Armut bedarfmehr als der Entwicklung vonangepassten Finanzinstrumenten.Zugang zu guten Arbeitsplätzen,Wirtschaftswachstum und einegleichmäßigere Verteilung desVolkseinkommens, bessere sozialeSicherungssysteme und der Ausbauder Infrastruktur sind weiterewichtige Voraussetzungen. Durchinternationale Vereinbarungen allerBeteiligten muss es gelingen, eineÜberhitzung in diesem Sektor zuvermeiden und arme Menschen vorder Schuldenfalle zu schützen.

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Seit dem Regierungswechsel 2009ist ein Internationales Insol-venzverfahren zu einem Top-Themain den relevanten Bundesministeriengeworden. Zunächst hatte – auch fürerlassjahr-Aktive überraschend -ausgerechnet die FDP das Themader Wimpelkampagne vom 2009aufgegriffen und mit einigemGeschick im schwarz-gelbenKoalitionsvertrag verankert.

Überraschender Vorstoß in derEU

Unabhängig davon hat allerdingsdas Finanzministerium denVorschlag einer geordnetenStaateninsolvenz in einem ganzanderen Zusammenhang für sichentdeckt: Im April 2010 musste dieBundesregierung zur Abwehr einerumfassenden Bankenkrise inDeutschland in großem Stilöffentliche Mittel zur Rettung der inGriechenland exponierten deut-schen Banken bereitstellen. Weil derRest Europas sich mit derInstitutionalisierung eines haupt-sächlich von Deutschland undFrankreich finanzierten Euro-päischen Rettungsfonds für

insolvente Staaten sehr gutanfreunden konnte, war die Bundes-kanzlerin unter erheblichem Druck,Alternativen zu einem permanentenBail-out europäischer Staaten –genauer gesagt: von derenGläubigern – zu finden.Sie tat dazu das einzig Richtige,indem sie auf die Schaffung einesgeordneten Insolvenzverfahrensdrängte, welches im Ernstfall auchzu Verlusten für die in denbetroffenen Ländern engagiertenGläubiger führen würde. Allerdingstrat die Bundesregierung dabei sotollpatschig auf, dass sie selbsterhebliche Widerstände gegen ihrenVorschlag produzierte: Als in dereigens eingerichteten Arbeitsgruppeder EU-Finanzminister unter Vorsitzdes Ratspräsidenten van Rompuydie Frage eines Insolvenzverfahrenszum Tragen kam, gab es nichteinmal einen schriftlichen Vorschlagder Deutschen, sondern lediglichSprechzettel des Finanzministers.Im Juni wurden dann sehrallgemeine Leitsätze auf derHomepage des BMF veröffentlicht.Und erst im September wurde derdeutsche Vorschlag erstmals ineinem (vertraulichen) Papier so

Von Jürgen Kaiser

und Jana Zwernemann

Vom deutschen Koalitionsvertrag zu einer weltweitenEntschuldungsinitiative

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dingfest gemacht, dass andereRegierungen und eine Öffentlichkeit(die das Papier - weil vertraulich -aber eigentlich gar nicht kennendurfte), sich dazu verhalten konnten.Bis Ende November 2010 wurdenvom BMF beinahe im Wochen-rhythmus neue Varianten desVorschlags produziert, was auchdaran lag, dass es Deutschlandaußerordentlich schwer fiel, einespürbare europäische Unter-stützung für seinen Vorschlag zumobilisieren.

Im Kern lief der deutsche Vorschlagauf ein zweistufiges Verfahrenhinaus. Die erste Stufe bestand auseinem Tausch der Staatsanleiheneines potenziell zahlungsunfähigenEU-Mitglieds gegen geringerbewertete Papiere. Dieser "Haircut"soll den Gläubigern dadurch versüßtwerden, dass die neuen Papieredurch EU-Mittel abgesichert werden.Wie schon beim "Brady-Plan", dereine wichtige Rolle bei derBewältigung der lateinameri-kanischen Schuldenkrise in den80er Jahren spielte, sollen dieGläubiger Nennwert gegenSicherheit tauschen. Damals hat daseidlich gut funktioniert – allerdingsbetrugen die Abschläge in einigenLändern mehr als 50% desNennwerts, was heutzutage im EU-Kontext kaum vorstellbar ist.

In der zweiten Stufe soll dann - wenndie erste Stufe die Tragfähigkeit derSchulden des betreffenden Landesnicht wiederherzustellen vermag -ein eigentliches Insolvenzverfahrenfolgen, d.h. die Reduzierung allerVerbindlichkeiten des betreffendenLandes in einem Planverfahren.Anders als die erste Stufe ist diezweite in dem Papier derBundesregierung aber noch höchstvage formuliert.

Beim EU-Gipfel Ende Oktobersetzten die Deutschen dieBefassung mit ihrem Vorschlag inder zweiten Arbeitsphase der Van-Rompuy-Arbeitsgruppe durch. DieKanzlerin machte sich, als sie dieGrundlage dafür in trauterZweisamkeit mit Präsident Sarkozyschuf, nicht nur Freunde in Europa,aber sie bekam ihren Willen.Allerdings blieben einige ihrer

ohnehin nicht sonderlich durch-dachten Lieblingsideen dabei aufder Strecke:

1. "Berliner Club" wird die neueInstitution nicht heißen. Das kam inFrankreich, wo man auf dieungeschmälerte Kompetenz desbereits bestehenden "Pariser Clubs"allergrößten Wert legt, nicht gut an.

2. Auch der Begriff "Insolvenz-verfahren" ist aus dem Sprach-gebrauch verschwunden. Statt-dessen spricht man nun von "derEinbeziehung des Privatsektors".Gemeint ist, wie Berliner Ministerialeversichern, aber dasselbe.

3. Überschuldete Staaten mitdem Entzug ihrer EU-Stimmrechteunter Druck zu setzen, wie von denDeutschen propagiert, war nicht nurökonomisch eine kontraproduktiveSchnapsidee. Es demonstrierteüberdies eine vordemokratischeDenkweise, welche Mitbestim-mungsrechte am wirtschaftlichenStatus festmacht. Zum Glück ließ derRest Europas sich das von Berlinnicht bieten.

Die Diskussion im Europäischen Ratbrachte dann Mitte Dezember denBeschluss über den EuropäischenRettungsmechanismus. Nach denverschiedenen Verwässerungendessen, was mal ein "Staaten-insolvenzverfahren" genannt wor-den war, wird es hauptsächlich dieFortschreibung des Refinanzie-rungsmechanismus und nur alsvage zweite Option die Möglichkeiteiner Schuldenrestrukturierungenthalten, die überdies nur nacheiner Beschlussfassung euro-päischer Gremien möglich sein soll.Mit einem Mechanismus, derverlässlich und vorausberechenbarLasten im Insolvenzfall verteilt, unddamit Beruhigung an den Märktenschafft, hat das nichts mehr zu tun.

Wichtiger sind die G20

Es darf gehofft werden, dass unterden besonderen Bedingungen desEuro-Raumes eine nächsteGriechenland-Krise mit demmodifizierten europäischen Ret-tungsmechanismus im Ansatzentschärft werden kann. Ein

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Staateninsolvenzverfahren, dasnicht nur Fälligkeiten umstrukturiert,sondern dem betreffenden Landeinen tatsächlichen Neuanfangermöglicht, ist dagegen regionalnicht umsetzbar. Schließlich istGriechenland nicht nur bei solchenGläubigern verschuldet, die sichdirekt oder indirekt auf derGrundlage der Verträge vonLissabon zu einer Schulden-Restrukturierung zwingen lassen.Von anderen essenziellenElementen wie unparteiischerEntscheidungsfindung und unpar-teiischer Begutachtung des Erlass-bedarf es gar nicht zu reden.Im Sommer 2010 kündigtenStaatssekretär Asmussen aus demBMF und der Deutsche G20-"Sherpa" Weidmann aus demKanzleramt in Briefen anerlassjahr.de deutsche Initiativen imKreis der G20 an. Das allerdingserwies sich als nicht mehr als einAusweichmanöver, nachdem eszwischenzeitlich so aussah, alswürde jegliche EU-interne Initiativeam Widerstand der Franzosenscheitern. Ende Oktober teilte derStaatssekretär dann mit, mankonzentriere sich nun ganz auf denEU-internen Prozess. Bei G20werde man sich "zu einemgeeigneten Zeitpunkt" damit weiterbefassen. Dass eine sichabzeichnende Schuldenkrise inGUS-Ländern, in der Karibik oderafrikanischen Ex-HIPC-Ländern inder Berliner Wilhelmstrasseniemanden aufregten, hätte nichtdeutlicher demonstriert werdenkönnen als durch diese fliegendeKehrtwende.

In der Sache sind es tatsächlich dieG20, deren positives Votum zueinem umfassenden und fairenStaateninsolvenzverfahren sounabdingbar ist, wie 1996, 1999 und2005 das Votum der G7/G8 für dieSchaffung der Entschuldungs-initiativen HIPC und MDRI.Leider tauchte das Thema auf derAgenda der südkoreanischenPräsidentschaft für den G20-Gipfelin Seoul im November 2010 abernicht auf. erlassjahr.de konzentriertsich deshalb mit der Kampagne“Entschärft die Schuldenkrise” aufden im November 2011 in Cannes(Frankreich) stattfindenden näch-

sten Gipfel.Neben einer anhaltenden Erin-nerung der Bundesregierung anihren eigenen Koalitionsvertrag unddie warmen Worte in Sachen G20gehört deshalb der Dialog mitanderen Regierungen innerhalb undaußerhalb der EU auf dieTagesordnung.Neben den Regierungen spielenüberdies einige internationaleOrganisationen eine positive undpro-aktive Rolle:

• UNCTAD (Die Kommissionder Vereinten Nationen für Handelund Entwicklung) unterstützt dieForderung nach einem Staateninsol-venzverfahren im Rahmen seinesKonsultationsprozesses zu verant-wortlicher Kreditvergabe.

• UNDP (Entwicklungs-programm der Vereinten Nationan)berät kleine Inselstaaten, die zu denhöchstverschuldeten der Weltgehören und fordert für sie ein weitgehendes und umfassendesEntschuldungsverfahren.

• Das Commonwealth-Sekre-tariat tut das Gleiche für seineMitglieder besonders aus dem Kreisder erneut überschuldeten HIPCs.

• Die britische NRO Debt Re-lief International setzte dieForderung auf die Tagesordnung derHIPC-Finanzminister aus demfrankophonen Afrika.

• Mit der Friedrich-Ebert-Stiftung zusammen hat erlassjahr.deeine Studie zum Staateninsolvenz-verfahren für verschuldete Re-gierungen herausgegeben. DiePublikation beschreibt die Schritteeiner geordneten Staateninsolvenzaus der Perspektive einesFinanzministers.

• Und schließlich ist die For-derung nach einem InternationalenInsolvenzverfahren erstmals seit2000 Gemeingut der meistenNichtregierungsorganisationen, diezum Thema Verschuldung arbeiten.Mit den kontinentalen NetzwerkenEURODAD, AFRODAD und LATIN-DADD arbeitet erlassjahr.de sowohlauf die Meinungsbildung unter denG20-Staaten, als auch bei den-

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jenigen Regierungen hin, denen einFaires und Transparentes Schieds-verfahren zugute kommen soll.Keine Rolle spielen in der aktuellenDebatte bislang IWF und Weltbank,und das ist sehr gut so. Diewichtigste Lehre aus dem Scheiterndes vom IWF vor knapp zehn Jahrenvorgeschlagenen Staateninsolvenz-verfahren ist, dass dieses von denbetroffenen Regierungen selbstentwickelt werden muss und nicht"von oben eingeführt" werden kann.Aber Regierungen ihrerseitsbrauchen die ständige Mahnung ausder Zivilgesellschaft.

Die Suche nach dem Ausweg ausder Schuldenfalle

Wenn auch die Initiative derdeutschen Bundesregierung füreinen Insolvenzmechanismus fürStaaten nicht alle Aspekteeinschließt, die von zivilgesell-schaftlichen Organisationen für einefaire Lösung bei Staatspleitenverlangt werden, ist sie ein wichtigerSchritt in die richtige Richtung. Inseiner Position als stärksteWirtschaft Europas (und als dergrößte Nettozahler der EU) hatDeutschland erkannt, dass einezufällige und ungeordnete Lösungfür Staateninsolvenzen unter demStrich sogar teurer sein kann als eingeordnetes Staateninsolvenz-verfahren und außerdem nichtnahhaltig wirkt. Wie oft würde manwohl in der Zukunft hoch-verschuldete Staaten aus einerInsolvenz freikaufen müssen? DieSpannung von Rettungsschirmenund Gründung von immer neuenRettungsfonds und Clubs kann zwarkurzfristig Wirkung zeigen – diesebleibt aber eben kurzfristig.Zahlungskrisen dagegen kehrenimmer wieder zurück.

Deswegen suchen Politikerinzwischen auch aus eigener Initia-tive nach systemischen Lösungen,um einer wiederholten teurenRettung von insolventen Volks-wirtschaften vorzubeugen. Im Zugeder Finanzkrise haben bereits einige

europäische Regierungen Schritteeingeleitet, an deren Ende einRahmenwerk für den Fall einerStaateninsolvenz stehen soll.

Niederlande: Internationaler Ge-

richtshof für Staatsschulden

In den Niederlanden überprüft manin dem Projekt „Permanent Court ofArbitration“ (PCA) eine zentralisierteund institutionalisierte Lösung fürdas Staatspleiten-Problem. DerAuftrag stammt aus dem Jahr 2008und wurde von dem damaligen Min-ister für Entwicklungszusammen-arbeit Koenders vergeben. Ähnlichwie in dem bewährten Modell desInternationalen Gerichtshofs in DenHaag könnte ein „PermanenterSchiedsgerichtshof“ eingerichtetwerden, an den sich ein über-schuldetes Land wenden könnte,um über einen Schuldenerlass zuverhandeln. Somit wäre dieentscheidende Instanz neutral undnicht von den Gläubigern dominiert,wie es bis dato bei den wenigerformalisierten Verhandlungen derGläubigerclubs in Paris oder Londonder Fall ist. Für diese Lösungsprechen die systematischeErfassung von Staateninsolvenzenund die Verlässlichkeit der Stan-dards durch ein zentralesSekretariat.

Slowakei: Keine Kredite für die

Griechen

Das kleine Land zwischen derDonau und den Karpaten hat imEuropäischen Rat in der erstenJahreshälfte 2010 für Stirnrunzelngesorgt: Die Slowakei hat alseinziges Euro-Land die Rettungs-kredite an das bankrotte Griechen-land verweigert. An dem System derGarantien, dem sogenanntenRettungsschirm, beteiligt sich dieSlowakei allerdings. Trotzdem kamder Akt von mangelnder Solidaritätden Euro-Politikern ganzunpassend. Statt Rettungskrediteverlangt die im Juni 2010 gewählteRegierung der MinisterpräsidentinIveta Radicová die Einführung einesgeordneten Staateninsolvenz-verfahrens und beruft sich dabei aufdie Initiative der deutschenBundesregierung. Den Kommen-taren der Medien konnte man

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entnehmen, dass dabei die Minis-terpräsidentin einen Standpunktvertritt, der durchaus mehr Unter-stützer in Europa hat – doch diesewollten ihn aus strategischen unddiplomatischen Gründen nichtöffentlich machen.

Optimistische Signale kommen aberauch aus anderen Ländern. Nochnie seit der Gründung vonerlassjahr.de ist unser zentrales Ziel,ein Staateninsolvenzverfahren, sooft und so intensiv unter politischenEntscheidungsträgern diskutiertworden wie 2010. Das globale Fo-rum, das zu seiner internationalenUmsetzung jetzt einen ent-scheidenden Beitrag leisten sollte,sind die G20. Deswegen schlossensich (wie schon zu Erlassjahr-2000-Zeiten) Organisationen aus vieleneuropäischen, aber auch afri-kanischen und lateinamerikanischenLändern zusammen und fordern imJahr 2011 von den G20 unter demMotto „Defuse the Debt Crisis –Entschärft die Schuldenkrise“ einenpositiven Beschluss zumInternationalen Insolvenzverfahren.

Entschärft die Schuldenkrise: DieKampagne

Die Kampagne ist ähnlich wie vorschon elf Jahren weltweit vernetzt.Sie wird von erlassjahr.de, AktionFinanzplatz Schweiz, SLUG (N),Jubilee Netherlands, Jubilee DebtCampaign (UK) und von demeuropäischen Entschuldungs-netzwerk EURODAD koordiniert.Unterstützung haben auch diekontinentalen Netzwerke LATIN-DADD und AFRODAD zugesagt,und die Liste der Unterstützerwächst jeden Tag. Mit gemeinsamenForderungen und Aktionen untereinem einheitlichen Logo wollenEntschuldungsbewegungen welt-weit im Jahr 2011 den internatio-nalen Durchbruch für das Faire undTransparente Schiedsverfahrenerreichen.Aus den G8, die zu Erlassjahr-2000-Zeiten das relevante Gremiumwaren, sind inzwischen die G20geworden. Das ist eine neue,spannende Situation: Staaten, die inder Vergangenheit mit Überschul-dung gekämpft haben (Mexiko,Argentinien, Indonesien), sitzen jetzt

am Verhandlungstisch, währendLänder wie Spanien plötzlichwomöglich vor der eigenen Staats-pleite stehen. Deswegen ist dieinternationale Beteiligung an derKampagne besonders wichtig und inForm von an die G20 gerichtetenPartner-Briefen auch das zentraleElement der Kampagne „Entschärftdie Schuldenkrise“ von erlass-jahr.de. Mitträger des Bündnisseswenden sich im Kampagnenjahr2011 an die Finanzminister undBotschafter der G20-Länder, umdiese von der Notwendigkeit einesInternationalen Insolvenzverfahrenszu überzeugen. Die Kampagne setztder Vernetzung der Gläubiger in denG20 die Vernetzung von Kirchen undBasisgruppen entgegen. Vielerortsgibt es Partnerschaften mit Gruppenoder Entwicklungsorganisationenzu den nördlichen oder südlichenG20- Ländern. Die Partner für einegemeinsame Initiative zu motivierenist der entscheidende Schritt dieserKampagne.

Das Ziel: Der G20-Gipfel im Novem-

ber 2011 in Frankreich

Ziel der weltweiten Kampagne ist es,einen Vorschlag für einInsolvenzverfahren für souveräneStaaten auf die Tagesordnung desG20-Gipfels zu setzen, der am 3.-4.November 2011 in Cannesstattfinden wird. Frankreich hat imJahr 2011 den Vorsitz bei den G20und ist das Gastgeberland dergrößten Gipfeltreffen der G20-Vertreter. Doch nicht nur dieFinanzminister und Botschafter derG20 werden zum Handelnaufgefordert: Der französischePräsident Nicolas Sarkozy kann sichzwischen Februar und November2011 auf reichlich Post aus aller Weltfreuen: An der Postkartenaktion„gepfändet“ mit einem vonGläubigern gepfändeten Eiffelturmals zentralem Motiv wollen sichDutzende von Organisationenbeteiligen. Dem Schuldendienstmüssen klare Regeln gesetztwerden – die Lösungen liegen seitlangem auf dem Tisch.

Nun müssen diese dringen auf denVerhandlungstisch der G20 nachCannes gebracht werden.

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GLOSSARAFRODAD (African Network onDebt and Development)Das „Afrikanische Netzwerk zuSchulden und Entwicklung“ wurde1994 gegründet und vereint Ent-schuldungsinitiativen in zehnafrikanischen Ländern. Es sprichtsich für einen formal und permanentinstitutionalisierten Schiedsge-richtshof für Auslandsschulden aus,der bei den Vereinten Nationenangesiedelt werden soll.

Barwert (auch „Gegenwartswert“):Der Barwert eines Kredits ist dieSumme der abgezinsten, künftigenSchuldendienstzahlungen. Je höherder Zinssatz im Verhältnis zu einemweltweiten Referenzzinssatz ist,desto höher liegt der Wert heutigerGeldeinkünfte im Vergleich zukünftigen Geldeinkünften. Bei einemZinssatz von 10 Prozent und einemBerechnungszeitraum von einemJahr sind 1.100 Euro, die ich in ein-em Jahr erhalte, zum jetzigen Zeit-punkt nur 1.000 Euro wert (Barwert).Das heißt, dass ich heute einen Kre-dit von 1.000 Euro aufnehmen könn-te, um in einem Jahr ebenfalls einenBetrag von 1.100 Euro zu erhalten.Der Barwert von 1.100 Euro, den ichin einem Jahr erhalte, beträgt also1.000 Euro. Wenn ich diesen Betragvon 1.100 Euro erst in zehn Jahrenerhalte, beträgt der Barwert heutelediglich 424 Euro. Der Barwert istalso um so niedriger, je länger derBetrachtungszeitraum und je höherder Zinssatz ist. Als Diskontsatzdient im Rahmen der HIPC-Initiativeein gewichteter CIRR-Zinssatz(Commercial Interest ReferenceRate), den die OECD als Referenz-zinssatz für öffentlich unterstützteExportfinanzierungen vorgibt. DieBerechnung des Barwerts dient da-zu, die Kredite verschiedener Gläu-biger mit zum Teil sehr unterschied-lichen Konditionen (Zinsen, Laufzeit,Freijahre) vergleichbar zu machen.

BIP - Bruttoinlandsprodukt: Esentspricht der Summe aller Erwerbs-und Vermögenseinkommen, die inder Berichtsperiode im Inland erzieltwurden.

BMZ Bundesministerium für Wirt-schaftliche Zusammenarbeit undEntwicklung

Bottom-up-Ansatz: Nach diesemAnsatz, der vom europäischen Ent-schuldungsnetzwerk EURODADentwickelt wurde, soll in einem ver-schuldeten Land zunächst festge-stellt werden, wie viel Geld es benö-tigt, um die Existenzsicherung derBevölkerung sicher zu stellen(Pfändungsfreigrenze). Dann nochvorhandene Ressourcen könneneventuell für den Schuldendiensteingesetzt werden.

Completion Point (Abschluss-zeitpunkt): Zeitpunkt, an dem einLand den am Decision Point (Ent-scheidungszeitpunkt) zugesagtenErlass im Rahmen der HIPC-

Initiative tatsächlich erhält.

Cut-off-date: Historisches Datum,welches alte Schulden, die in eineUmschuldung einbezogen werden,von neuen, diee regulär beglichenwerden müssen, trennt. In der Regelist dies der Zeitpunkt der erstenUmschuldung eines Landes imPariser Club. Entsprechend sindpost-cut-off-date-Schulden dieSchulden, die einem Land nach demZeitpunkt der ersten Umschuldungvor dem Pariser Club entstandensind und pre-cut-off-date-Schuldendie Schulden, die ein Land vordiesem Datum gemacht hat.

Decision Point: Zeitpunkt, an demIWF und Weltbank nach Abschlusseiner Schuldentragfähigkeitsanalyseüber die Höhe einer Entschuldungim Rahmen der HIPC-Initiative

entscheiden. Damit der Erlass auchvollzogen wird, muss dasSchuldnerland von IWF und Welt-bank vorgeschriebene Reformendurchführen. Gewährt wird derbeschlossene Erlass dann amCompletion Point.

DSF – Debt Sustainability Frame-work. Rahmenwerk der Weltbank fürSchuldentragfähigkeit. Das DSFsetzt Grenzwerte für die nach

Ansicht der Weltbank tragfähigeVerschuldung von Ländern fest.Staaten, die über diese Grenzehinaus internationale Krediteaufnehmen, müssen mit Kürzungenihrer zinsgünstigen Kredite vonSeiten der Weltbanktochter IDA

rechnen.

ECF – Extended Credit Facility. ImJanuar 2010 geschaffenes Kredit-fenster des IWF für Länder mitniedrigem Einkommen.

ECRM – European Crisis ResolutionMechanism. Vorschlag desBrüsseler Think Tanks Bruegel fürein Staateninsolvenzverfahren fürLänder der Eurozone auf derGrundlage der EuropäischenVerträge.

EURODAD European Network onDebt and Development:Das Europäische Netzwerk zuSchulden und Entwicklung wurde1990 gegründet, und schließtinzwischen 56 Nichtregierungs-organisationen und Netzwerke aus18 europäischen Ländern ein;erlassjahr.de und die Kindernothilfesind Mitglieder von EURODAD. DerSitz des Sekretariats ist Brüssel.

FTAP - Fair and TransparentArbitration Process: Ein konkreterVorschlag von erlassjahr.de undanderen Organisationen für ein„faires und transparentesSchiedsverfahren“ als eine möglicheOption für ein Staateninsolvenz-verfahren.

G7/8 - Group of Seven/Eight: In-formeller Zusammenschluss der sie-ben größten Industrieländer derWelt: Deutschland, Frankreich,Großbritannien, Italien, Japan, Ka-nada und die USA. 2002 ist Russ-land als Vollmitglied dazu ge-kommen. Die G8 treffen sich einmaljährlich zum Weltwirtschaftsgipfel.

G20 – 1999 als Forum fürNotenbanker und Finanzministergegründetes finanz- undwährungspolitisches Koordinations-

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gremium. In der Folge derWeltfinanzkrise 2008 wurden dieMinistertreffen durch Treffen derStaats- und Regierungschefsergänzt. Damit haben die G20 defacto die weltwirtschaftlicheSteuerungsrolle der G8 über-nommen. Mitglieder sind außer denG8 noch Brasilien, Argentinien,Mexiko, Südafrika, die Türkei, Saudi-Arabien, Indien. China, Indonesien,Südkorea und Australien. Alszwanzigstes Mitglied kommt nochdie Europäische Union dazu. DieG20 halten einmal im Jahr einenGipfel der Staats- und Regierungs-chefs im Lande der jeweiligenjährlichen Präsidentschaft ab. 2011ist dies Frankreich, 2012 Mexiko.

G77 - Offiziell: „Gruppe der 77 undChina“: Informeller Zusammen-schluss von Entwicklungsländerninnerhalb der Vereinten Nationen zurbesseren Kooperation zwischen denEntwicklungsländern und zurbesseren Abstimmung in inter-nationalen Verhandlungen. Beiseiner Gründung 1964 gehörten 77Länder dazu, heute haben die G77insgesamt 134 Mitglieder.

HIPC - Heavily Indebted Poor Coun-tries: Hoch verschuldete arme Län-der. HIPCs qualifizieren sich imGrundsatz für die gleichnamigeEntschuldungsinitiative.

HIPC I, auch HIPC-Initiative ge-nannt: Weltbank und IWF ermög-lichten den HIPC-Ländern mit dieserInitiative 1996 erstmals einenTeilerlass ihrer multilateralenSchulden.

HIPC II, auch Kölner Schuldeninitia-tive genannt: Beim G8-Gipfel 1999in Köln wurde eine deutliche Erwei-terung gegenüber HIPC I beschlos-sen. Die Belastbarkeitsgrenzen derLänder für die Rückzahlung ihrerSchulden wurden gesenkt.Außerdem wurde eine Reform derBedingungen für Schuldenerlasseangestoßen: Schuldenerlasse wur-den zusätzlich zur traditionellenStrukturanpassung an die Durch-führung von Armutsbekämpfungs-programmen gebunden. DieseProgramme basieren auf einem imjeweiligen Land zu erarbeitendenPoverty Reduction Strategy Paper –

PRSP.

IDA - International DevelopmentAgency: Die Internationale Ent-wicklungsagentur IDA gehört zurWeltbank-Gruppe und vergibtKredite zu besonders günstigenKonditionen an die ärmsten Ent-wicklungsländer. Eine Voraussetz-ung für die Aufnahme in die HIPC-

Initiative ist der IDA-only-Status.Das bedeutet, dass ein Land aus-schließlich Kredite von der IDA undkeine Weltbank-Kredite zu Markt-konditionen erhält. Ein Land erhältnur dann einen IDA-only-Status,wenn es ein Pro-Kopf BIP von we-niger als 1.165 US-Dollar (Stand2011) aufweist.

IFI - Internationale Finanzinstitutio-nen: Informeller Sammelbegriff fürdie regionalen Entwicklungsbankensowie die Weltbank und denInternationalen Währungsfonds.

IWF - Internationaler Währungs-fonds (englisch: IMF – InternationalMonetary Fund): Der IWF wurde1944 mit dem Ziel gegründet, dieinternationale Währungsstabilität zusichern, indem er Ländern mitZahlungsbilanzschwierigkeitenÜberbrückungskredite zur Ver-fügung stellt. Darüber hinaus hat ersich zu einem wichtigen Think Tankin internationalen Finanzfragenentwickelt. Im Jahr 2011 hat er 187Mitgliedsstaaten, deren Stimmrechtsich nach ihrem Kapitalanteil richtet.

Londoner Club: InformelleInteressengemeinschaft von rund1.000 international agierendenBanken und Fondsgesellschaften,bei Verhandlungen mit Regierungenvon Schuldnerländern. DerLenkungsausschuss des Clubsbesteht aus den gegenüber demjeweiligen Schuldnerland amstärksten exponierten Banken. Ertritt bei Bedarf zusammen undverhandelt über die Umschuldungvon Krediten seiner Mitglieder anden jeweiligen öffentlicherSchuldner.

Millenniumsentwicklungsziele -Millennium Development Goals(MDGs): Im September 2000 hat dieUNO-Vollversammlung in New Yorkdie Millenniumserklärung beschlos-

sen. Zu ihrer Umsetzung wurdenacht Ziele formuliert (u.a. die Hal-bierung der Armut und Senkung derKindersterblichkeit), die bis zum Jahr2015 verwirklicht werden sollen.

Niedrigeinkommensländer: Län-der mit niedrigem Einkommen lautDefinition der Weltbank. Dazu zäh-len Länder mit einem Bruttonational-einkommen pro Kopf von wenigerals 935 US-Dollar.

NRO/NGO: Nicht-Regierungsorga-nisation/Non Governmental Organi-sation.

Odious Debts – „verabscheuens-würdige Schulden“: JuristischeBezeichnung für Schulden, dieallgemein für illegitim und dahernicht eintreibbar betrachtet werden.Anders als der weitere Begriff der"illegitimen Schulden“ beziehen sich"Odious Debts" auf eine klardefinierte Kategorie von Schulden,nämlich solche, die gegen denWillen der betroffenen Bevölkerungaufgenommen wurden, derselbenkeinen Nutzen gestiftet haben, undbei deren Aufnahme der Kreditgeberüber diese beiden Umständen imBilde war.

Pariser Club: Informeller Zusam-menschluss von derzeit 19 Gläu-bigerregierungen, der seit 1956 be-steht. Im Pariser Club werden Um-schuldungen und Schuldenerleicht-erungen von Entwicklungshilfedar-lehen und staatlich garantierten Ex-portkrediten für einzelne Schuldner-länder ausgehandelt. Nach einerEinigung im Pariser Club werden dierechtlich bindenden Abkommen aufbilateraler Ebene von jedemeinzelnen Club-Mitglied mit derSchuldnerregierung geschlossenwerden. Über „Gleichbehandlungs-klauseln“ versucht der Club auchnicht beteiligte Gläubiger zuzwingen, sich an den von ihmbeschlossenen Umschuldungen zubeteiligen.

PRGF - Poverty Reduction andGrowth Facility: Die Armutsre-duzierungs- und WachstumsfazilitätPRGF ist eine günstige Kreditliniedes IWF für Niedrigeinkommens-länder, die 1999 die „Enhanced

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Structural Adjustment Facility“(ESAF) ersetzte. Die Ziele undProjekte der mit der PRGFfinanzierten Programme sollen sicham PRSP des betreffenden Landesorientieren. 2010 wurde die PRGFihrerseits durch die „Extended CreditFacility“ (ECF) ersetzt.

PRSP - Poverty Reduction StrategyPaper: Strategiepapiere zur Redu-zierung der Armut, die seit 1999 vonden Regierungen der IDA-only-Länder in Zusammenarbeit mit derWeltbank, dem IWF sowie der Zivil-gesellschaft und weiteren Gebernerstellt werden müssen. Sie erset-zen die Policy Framework Papers,in denen früher die Maßnahmen derStrukturanpassungsprogramme(SAP) festgelegt wurden. Die Pa-piere sind Vorbedingung für günstigeKredite sowie für Entschuldungen imRahmen der HIPC-Initiative. Sie de-finieren die makroökonomischen,strukturellen und sozialen Maß-nahmen, die ein Land in Angriff neh-men will, um eine Förderung desWirtschaftswachstums und eine Be-kämpfung der Armut zu erreichen.Ferner werden der Finanzbedarfund die wichtigsten Finanzierungs-quellen beschrieben. Vor der Verab-schiedung eines endgültigen PRSP,dessen Erarbeitung oft über ein Jahrdauert, kann zunächst ein so ge-nanntes Interims-PRSP erstellt wer-den.

Schulden-Export-Quote (auchSchuldenquote): Verhältnis vonSchuldenstand zu den jährlichen Ex-porteinnahmen. Rechnerisch wirdder Schuldenstand durch die jähr-lichen Exporteinnahmen geteilt. Die-se Quote wird als Indikator für Trag-fähigkeitsanalysen verwendet. Hatein Land also einen Schuldenstandin Höhe von 30 Millionen Euro undExporteinnahmen in Höhe von 20Millionen Euro, so beträgt dieSchulden-Export-Quote 150Prozent; der Schuldenstand istanderthalb mal so groß wie dieExporteinnahmen.

Schulden-BIP-Quote: Verhältnisvon Auslandsschuldenstand zumBIP eines Landes.

Schulden-Fiskaleinnahmen-Quo-

te: Verhältnis von Schuldenstand zuallen Staatseinnahmen.

Schuldenbarwert-Export-Quote:Verhältnis des Barwertes derSchulden eines Landes zu seinenjährlichen Exporteinnahmen.

Schuldendienstquote: Verhältnisdes jährlichen Auslandsschulden-dienstes (Zinsen und Tilgungen) zuden jährlichen Exporterlösen einesLandes. Dieses Verhältnis ist wie dieSchulden-Export-Quote ein Indi-kator für eine Tragfähigkeitsana-lyse.

Terms of Trade:Austauschverhältnisse im inter-nationalen Handel: Darstellung derBeziehungen zwischen den durch-schnittlichen Ausfuhr- und Ein-fuhrpreisen eines Landes oder einerGruppe von Ländern. Die Terms ofTrade eines Landes verbessernsich, wenn die im Export erlöstenDurchschnittspreise steigen und/oder die für Importgüter bezahltenPreise sinken. Verhält es sichumgekehrt, so spricht man von einerVerschlechterung der Terms ofTrade. Es müssen dann mehr Güterexportiert werden, um die diegleichen Importe bezahlen zukönnen.

World Bank/ Weltbank: Sie wurde1944 zusammen mit dem IWF alsinternationale Entwicklungsbank(International Bank for Re-construction and Development –IBRD) gegründet und hat 187Mitgliedsstaaten. Ein Land kann nurdann Mitglied der Weltbank werden,wenn es auch Mitglied des IWF ist.Ziel der Weltbank ist es, durchlangfristige Kreditvergabe undBeratung die wirtschaftliche undsoziale Entwicklung zu fördern.Dabei vergibt sie sowohl Kredite zumarktnahen Konditionen als auchzinsgünstige Kredite an die ärmstenEntwicklungsländer durch ihrWeichkreditfenster IDA. NebenIBRD und IDA gehören zurWeltbankgruppe noch dieFinanzierungsfazilität für privateInvestittionen in Entwicklungs-ländern IFC (International FinanceCorporation) sowie das Streit-schlichtungsinstitut für Auslands-investititonen "International Center

for the Settlement of InvestmentDisputes" – ICSID sowie derInvestitionsversicherung MIGA(Multilateral Investment GuaranteeAgency).Zusammen mit dem IWF hat sie1996 die HIPC-Initiative gegründet.Die Weltbank ist mittlerweile für vieleärmere Entwicklungsländer dergrößte Kreditgeber.

WSK-Rechte - Wirtschaftliche,soziale und kulturelle Rechte: Dasist unter anderem das Recht jedesMenschen auf einen angemessenenLebensstandard für sich und die Fa-milie, einschließlich ausreichenderErnährung, Bekleidung und Unter-bringung, sowie auf eine stetige Ver-besserung der Lebensbedingungen(Artikel 11 Absatz 1 des Internationa-len Pakts über wirtschaftliche, so-ziale und kulturelle Rechte -„Sozialpakt“, 1966); das Recht einesjeden auf das für ihn erreichbareHöchstmaß an körperlicher undgeistiger Gesundheit (Artikel 12),das Recht eines jeden auf Bildung(Artikel 13) sowie das Recht einesjeden, am kulturellen Lebenteilzunehmen und an den Errungen-schaften des wissenschaftlichenFortschritts und seiner Anwendungteilzuhaben (Artikel 15). DieAchtung, der Schutz und dieFörderung der bürgerlichen, politi-schen, wirtschaftlichen, sozialen undkulturellen Rechte für alle sind auchTeil der UN-Millenniumserklärungaus dem Jahr 2000 (Ziffer 25).

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Weiterführende Links

NROs und Netzwerke:

http://www.erlassjahr.dehttp://www.eurodad.orghttp://www.latindadd.orghttp://www.afrodad.orghttp://www.defusethedebtcrisis.org

UN-Institutionen:

http://r0.unctad.org/dmfas/http://www.uncitral.org/

Permanent Court of Arbitration(Den Haag, Niederlande):

http://www.pca-cpa.org/

Akademiker:

http: / /homepage.univie.ac.at /Kunibert.Raffer/

Internationale Berater imSchuldenmangement:

http://www.hipc-cbp.orghttp://www.fpc-cbp.orghttp://www.development-finance.org

Internationale Finanzinstitu-tionen:

Weltbank:http://www.worldbank.org/

Internationaler Währungsfonds:http://www.imf.org

G20:Die G20 haben bis 2010 jeweilsunterschiedliche Websites gehabt,die von dem vorsitzenden Landverwaltet wurden.

Im Jahr 2011 hat Frankreich denVorsitz. Die zentrale Seite:http://www.g20.org

Ausgewählte internationale Literaturhinweise

Neuerscheinungenzum ThemaSchuldenmanagement

Kaiser, Jürgen: Resolving Sover-eign Debt Crises. Towards a fairand Transparent Arbitration Pro-cess. FES / Dialogue on Globali-zation, 2010

erlassjahr.de hat mit der Friedrich-Ebert-Stiftung eine Studie zumStaateninsolvenzverfahren fürverschuldete Regierungen heraus-gegeben. Die Publikation „Resolv-ing Sovereign Debt Crises“beschreibt die Schritte einergeordneten Staateninsolvenz ausder Perspektive eines Finanzmin-isters.

http://www.erlassjahr.de/dev2/cms/

upload/2010/Study/

Debt_Crisis_Study2010.pdf

Gianviti, François; O Krueger,Anne; Pisani-Ferry, Jean; Sapir,André; von Hagen, Jürgen: A Eu-ropean mechanism for sovereigndebt crisis resolution: a proposal.Bruegel, 2010

„A European mechanism for sover-eign debt crisis resolution: a pro-posal" wurde von fünf Hoch-schullehrern aus Europa und denUSA verfasst, zwei von ihnen warenin der Vergangenheit hochrangigeMitarbeiter des IWF.Herausgegeben von dem BrüsselerThink-Tank Bruegel.

h t t p : / / w w w. b r u e g e l . o r g / pd f -

download/?pdf=uploads/

tx_btbbreugel/101109_BP

_as_jpf_jvh_A_European

_mechanism_for_sovereign

_debt_crisis_resolution_a

_proposal.pdf

Herman, Barry; Ocampo, JoséAntonio; Spiegel, Shari (Hrsg.):Overco-ming Developing CountryDebt Crises. Oxford UniversityPress, News York, 2010

Top-Ökonomen wie Joseph Stiglitzsowie Entschuldungsexperten -auch erlassjahr.de ist vertreten -erläutern die Chancen eines faireninternationalen Entschuldungs-verfahrens. Eine empfehlenswerteSammlung von Beiträgen aus allerWelt.

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SCHULDENREPORT 2011eine gemeinsame Publikation von erlassjahr.de - Entwicklung braucht Entschuldung e.V. und Kindernothilfe e.V.

www.erlassjahr.de www.knh.de