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422 Ernährungs Umschau | 8/10 Fort- & Weiterbildung | Ernährungserhebungen Ernährungserhebungen werden durch- geführt, um Informationen über die Er- nährung von Individuen, bestimmten Personengruppen oder ganzen Natio- nen zu erhalten. Mit verschiedenen Me- thoden wird der Lebensmittelverzehr er- mittelt, aus dem die Energie- und Nähr- stoffzufuhr mit Hilfe von Nährstoff- datenbanken berechnet werden kann. Die Ergebnisse sollen das Verzehrsver- halten der Zielgruppe abbilden und die- nen dazu, z. B. Ernährungstrends oder den Nahrungsmittelverbrauch bzw. Le- bensmittelverzehr von Bevölkerungs- gruppen zu beschreiben. Sie geben zu- sätzlich Hinweise auf den Ernährungs- status einer Person, zu dessen Beur- teilung jedoch weitere Parameter wie z. B. Blutwerte oder anthropometrische Daten erforderlich sind. Jede Ernäh- rungserhebungsmethode weist spezifi- sche Vor- und Nachteile auf und birgt entsprechende Fehlerquellen. Die Methoden zur Erfassung des Le- bensmittelverzehrs lassen sich in indirekte und direkte, letztere wieder in retrospektive und prospektive Methoden untergliedern ( Abbildung 1). Indirekte Methoden beruhen auf Daten, die eigentlich für andere Zwecke erhoben wurden. Dazu zählen Agrarstatistiken und die Einkom- mens- und Verbrauchsstichprobe. Bei den direkten Methoden wird „direkt“ der Verzehr von Einzelpersonen erho- ben, entweder der zurückliegende Ver- zehr (retrospektiv) durch Verzehrshäu- figkeitenfragebogen oder 24-h-Erinne- rungsprotokolle oder der aktuelle Ver- zehr (prospektiv) über z. B. Verzehrs- protokolle. Indirekte Methoden Durch die Agrarstatistiken und die Ein- kommens- und Verbrauchsstichprobe werden in Deutschland regelmäßig Daten zu Lebensmittelproduktion und -verbrauch erhoben. Diese können be- grenzt für Aussagen zur Entwicklung des Ernährungsverhaltens genutzt werden. Zum Beispiel ging der Pro-Kopf- Verbrauch von Kartoffeln in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich zurück, der von verarbeiteten Kartoffelprodukten stieg dagegen an. Aussagen wie diese die- nen der Einschätzung von Lebensmit- teltrends und der Erarbeitung von Emp- fehlungen in der Ernährungsaufklä- rung. Agrarstatistiken Für Agrarstatistiken werden Daten über die Menge an produzierten Grundnah- rungsmitteln genutzt. Um zu einem durchschnittlichen Pro-Kopf-Verbrauch zu kommen, werden inländische Pro- duktion und der Import addiert, davon Export und weitere Verluste abgezogen. Die berechneten Mengen werden dann durch die Bevölkerungszahl geteilt ( Abbildung 2). Solche Nahrungsbi- Ernährungserhebungen dienen der Erfassung des Lebensmittelverzehrs von Personen und/oder Gruppen und werden sowohl im Rahmen der Ernährungs- beratung als auch für wissenschaftliche Studien durchgeführt. Sie bedienen sich je nach Untersuchungsumfang, Untersuchungsziel und Zielgruppe einer Reihe von unterschiedlichen Erhebungsmethoden. Der folgende Beitrag stellt die verschiedenen Methoden mit ihrem Einsatzgebiet und den jeweiligen Vor- und Nachteilen sowie Fehlerquellen vor. Ernährungserhebungen Methoden und Instrumente Dr. Andrea Straßburg Max Rubner-Institut Institut für Ernäh- rungsverhalten Haid-und-Neu-Str. 9 76131 Karlsruhe E-Mail: andrea.strass burg@mri.bund.de Interessenkonflikt Die Autorin erklärt, dass kein Interessen- konflikt im Sinne der Richtlinien des Inter- national Commitee of Medical Journal Editors besteht. Beleg/Autorenexemplar! Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronische Systeme.

Ernährungserhebungen Methoden und Instrumente · nicht reaktive Methode hohe Compliance Interviewer kann nachfragen PC-gestützte Erfassung möglich Nachteile des 24-h-Recalls gutes

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422 Ernährungs Umschau | 8/10

Fort- & Weiterbildung | Ernährungserhebungen

Ernährungserhebungen werden durch-geführt, um Informationen über die Er-nährung von Individuen, bestimmtenPersonengruppen oder ganzen Natio-nen zu erhalten. Mit verschiedenen Me-thoden wird der Lebensmittelverzehr er-mittelt, aus dem die Energie- und Nähr-stoffzufuhr mit Hilfe von Nährstoff-datenbanken berechnet werden kann.Die Ergebnisse sollen das Verzehrsver-halten der Zielgruppe abbilden und die-nen dazu, z. B. Ernährungstrends oderden Nahrungsmittelverbrauch bzw. Le-bensmittelverzehr von Bevölkerungs-gruppen zu beschreiben. Sie geben zu-sätzlich Hinweise auf den Ernährungs-status einer Person, zu dessen Beur-teilung jedoch weitere Parameter wie z. B. Blutwerte oder anthropometrischeDaten erforderlich sind. Jede Ernäh-rungserhebungsmethode weist spezifi-sche Vor- und Nachteile auf und birgtentsprechende Fehlerquellen.Die Methoden zur Erfassung des Le-bensmittelverzehrs lassen sich in indirekteund direkte, letztere wieder in retrospektiveund prospektive Methoden untergliedern(� Abbildung 1). Indirekte Methodenberuhen auf Daten, die eigentlich fürandere Zwecke erhoben wurden. Dazuzählen Agrarstatistiken und die Einkom-mens- und Verbrauchsstichprobe. Beiden direkten Methoden wird „direkt“der Verzehr von Einzelpersonen erho-ben, entweder der zurückliegende Ver-zehr (retrospektiv) durch Verzehrshäu-

figkeitenfragebogen oder 24-h-Erinne-rungsprotokolle oder der aktuelle Ver-zehr (prospektiv) über z. B. Verzehrs-protokolle.

Indirekte Methoden

Durch die Agrarstatistiken und die Ein-kommens- und Verbrauchsstichprobewerden in Deutschland regelmäßigDaten zu Lebensmittelproduktion und -verbrauch erhoben. Diese können be-grenzt für Aussagen zur Entwicklung desErnährungsverhaltens genutzt werden.Zum Beispiel ging der Pro-Kopf-Verbrauch von Kartoffeln in den letztenJahrzehnten kontinuierlich zurück, dervon verarbeiteten Kartoffelproduktenstieg dagegen an. Aussagen wie diese die-nen der Einschätzung von Lebensmit-teltrends und der Erarbeitung von Emp-fehlungen in der Ernährungsaufklä-rung.

Agrarstatistiken

Für Agrarstatistiken werden Daten überdie Menge an produzierten Grundnah-rungsmitteln genutzt. Um zu einemdurchschnittlichen Pro-Kopf-Verbrauchzu kommen, werden inländische Pro-duktion und der Import addiert, davonExport und weitere Verluste abgezogen.Die berechneten Mengen werden danndurch die Bevölkerungszahl geteilt(� Abbildung 2). Solche Nahrungsbi-

Ernährungserhebungen dienen der Erfassung des Lebensmittelverzehrs vonPersonen und/oder Gruppen und werden sowohl im Rahmen der Ernährungs-beratung als auch für wissenschaftliche Studien durchgeführt. Sie bedienensich je nach Untersuchungsumfang, Untersuchungsziel und Zielgruppe einerReihe von unterschiedlichen Erhebungsmethoden. Der folgende Beitrag stelltdie verschiedenen Methoden mit ihrem Einsatzgebiet und den jeweiligen Vor-und Nachteilen sowie Fehlerquellen vor.

ErnährungserhebungenMethoden und Instrumente

Dr. Andrea StraßburgMax Rubner-InstitutInstitut für Ernäh-rungsverhaltenHaid-und-Neu-Str. 976131 KarlsruheE-Mail: [email protected]

Interessenkonflikt Die Autorin erklärt,dass kein Interessen-konflikt im Sinne derRichtlinien des Inter-national Commitee of Medical JournalEditors besteht.

Beleg/Autorenexemplar!Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronische Systeme.

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423Ernährungs Umschau | 8/10

Abb. 1: Übersicht über Ernährungserhebungsmethoden

Ernährungserhebungsmethoden

Indirekte Methoden

� Agrarstatistiken

� Einkommens- undVerbrauchsstichprobe (EVS)

� 24-h-Recall

� Diet History Interview

� Food FrequencyQuestionnaire

� Verzehrsprotokoll(Wiegeprotokoll,Schätzprotokoll)

� Duplikatmethode

� Beobachtungs-methoden

Direkte Methoden

RetrospektiveMethoden

ProspektiveMethoden

lanzen (Food Balance Sheets) gebenHinweise auf die pro Kopf zur Verfü-gung stehenden Nahrungsmittel undsind somit Bestandteil volkswirt-schaftlicher Planungen [1]. Agrarsta-tistiken werden in Deutschland inden Statistischen Jahrbüchern [2]und Berichten zur Marktanalyse ver-öffentlicht [3]. International könnenDaten zu Agrarstatistiken von derFAO bezogen werden [4]. Die unein-heitlichen Erfassungsmethoden er-schweren jedoch den Länderver-gleich [1].

Vorteile von Agrarstatistiken■ jährliche Erfassung ermöglicht

einen Vergleich des Pro-Kopf-Verbrauchs im Zeitverlauf

■ Ergebnisse beruhen nicht aufeiner Stichprobe, sondern bezie-hen sich auf die Gesamtbevölke-rung

Nachteile von Agrarstatistiken■ keine individuellen Aussagen,

keine Aussagen über Teilgruppen ■ beschreiben nur die verfügbaren,

nicht die tatsächlich verzehrtenLebensmittel

■ der tatsächliche Lebensmittelver-zehr wird überschätzt

Einkommens- und Verbrauchs-stichprobe (EVS)

In Deutschland werden alle fünfJahre etwa 0,2 % der privaten Haus-halte zu ihren Einnahmen und Aus-gaben, zur Vermögensbildung, zurAusstattung mit Gebrauchsgüternund zur Wohnsituation befragt. Diezehnte EVS fand im Jahr 2008 statt.

Die Durchführung der EVS erfolgt inZusammenarbeit von StatistischemBundesamt und den StatistischenLandesämtern. Von einem Fünftelder teilnehmenden Haushalte wer-den Informationen über gekaufteNahrungsmittel, Getränke und Ta-bakwaren über einen Monat in einemAufzeichnungsheft gesammelt. Ver-derb oder verworfene Lebensmittelwerden nicht erfasst, deshalb wird dietatsächliche Nahrungsmittelzufuhrüberschätzt. Daten der EVS wie auchder Agrarstatistik werden für die Fort-schreibung zur Ernährungssituationin Deutschland im alle vier Jahre er-scheinenden Ernährungsbericht ge-nutzt. Veröffentlichungen zur EVSstehen beim Statistischen Bundesamtzur Verfügung [2]. Da solche Erhe-bungen auch in anderen Länderndurchgeführt werden, ist ein interna-tionaler Vergleich möglich.

Vorteile der EVS■ großer Stichprobenumfang er-

laubt differenzierte Auswertun-gen, z. B. nach Haushaltstypen,nach Einkommen und nach Re-gionen

■ regelmäßige Erhebungen erlau-ben Zeitvergleiche

■ für Deutschland repräsentative Er-gebnisse

Nachteile der EVS■ keine individuellen Aussagen■ Außer-Haus-Verzehr wird nur in

monetären Angaben notiert [5]■ das Verfahren liefert Verbrauchs-

daten eines Haushalts, es kannaber nicht direkt auf den Lebens-mittelverzehr geschlossen werden

Direkte Methoden

Direkte Methoden liefern im Ver-gleich zu den indirekten genauereAussagen zum Lebensmittelverzehr,da nicht der Verbrauch von Perso-nengruppen Untersuchungsgegen-stand ist, sondern der direkte Verzehreinzelner Personen. Sie werdendaher je nach Untersuchungsauf-wand und Zielgruppe in Studien zumErnährungsverhalten oder in der Er-nährungsberatung und Ernährungs-therapie eingesetzt.

Ein gemeinsamer Nachteil direkterMethoden besteht darin, dass Befra-gungen wie auch das ProtokollführenReaktionen bei den Teilnehmernhervorrufen. Es kommt zu einer be-wussteren Wahrnehmung der eige-nen Ernährungsweise. Dieser in derErnährungsaufklärung erwünschteEffekt stellt bei einer Erhebung einemögliche Fehlerquelle dar. Lebens-mittel, von denen angenommen wird,dass sie vom Untersucher positiv be-

Abb. 2: Ermittlung des Pro-Kopf-Nah-rungsmittelverbrauchs

Pro-Kopf-Verbrauch = (Inländische Nahrungsmittelproduktion+ Importe– Vorratssaldo– Saatgut– Umwandlung in andere Produkte– Schwund und Verderb– Futtermittel– Export): Bevölkerungszahl

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424 Ernährungs Umschau | 8/10

Fort- & Weiterbildung | Ernährungserhebungen

urteilt werden (Gemüse, Obst, Ge-tränke), werden von der Menge hereher überschätzt oder sogar währendder Protokolltage vermehrt konsu-miert. Andere Lebensmittel, die alsunerwünscht gelten (Süßwaren, alko-holische Getränke), werden dagegeneher unterschätzt oder weniger ver-zehrt. Diese Phänomene direkter In-strumente werden als Under- undOverreporting bzw. Under- undOvereating bezeichnet.

Retrospektive Methoden

In retrospektiven Methoden werdenTeilnehmer nach ihrem zurücklie-genden Ernährungsverhalten befragt,entweder durch einen geschulten In-terviewer oder anhand eines Frage-bogens. Der zurückliegende Zeit-raum kann aus einem Tag (24-h-Recall) bis hin zu mehreren Wochenoder Monaten bestehen (Diet HistoryInterview, Food Frequency Question-naire). Ein bedeutender Vorteil retrospekti-ver Methoden liegt darin, dass das Er-nährungsverhalten selbst nicht durchdie Befragung beeinflusst werdenkann, daher handelt es sich nicht umreaktive Methoden. Ein Nachteil be-steht in der Abhängigkeit der Ergeb-nisse vom Erinnerungsvermögen derTeilnehmer.

24-h-Recall (24-h-Erinnerungs-protokoll)

Ein geschulter Interviewer befragt dieteilnehmende Person detailliert überdie am Vortag verzehrten Lebensmit-tel. Diese Methode wird häufig beiStudien mit großen Teilnehmerzah-len eingesetzt und kann auch telefo-nisch durchgeführt werden.

Mit dem Ziel, die bei Verzehrserhe-bungen in Europa eingesetzten Me-thoden zu harmonisieren, wurde imRahmen des Projektes „EuropeanFood Consumption Survey Methods“(EFCOSUM) eine Empfehlung für

den Einsatz von 24-h-Recalls undhierbei insbesondere für die Nutzungder Computersoftware Epic-Soft odereiner vergleichbaren Software ausge-sprochen [6, 7]. Epic-Soft wurde fürdie EPIC-Studie (European Pro-spective Investigation into Cancerand Nutrition) von der InternationalAgency for Research on Cancer(IARC) in Lyon entwickelt [8, 9, 10].Die Software ermöglicht eine struk-turierte und standardisierte Vorge-hensweise bei der Erfassung von 24-h-Recalls1. Epic-Soft wurde neben weiteren Er-nährungserhebungsmethoden auchin der Nationalen Verzehrsstudie II(NVS II) eingesetzt [11, 12] und er-leichtert so den Vergleich der deut-schen Daten mit internationalen Er-hebungen. Auch im Rahmen der Ex-positionsschätzung wird auf euro-päischer Ebene von der Europäi-schen Behörde für Lebensmittel-sicherheit (European Food SafetyAuthority, EFSA) für Erhebungen beiErwachsenen die Verwendung vonEpic-Soft in Kombination mit der Er-fassung von Verzehrshäufigkeitenempfohlen [13].

Bei der Befragung mittels Epic-Softwerden zunächst allgemeine Anga-ben wie Geschlecht und Alter erfasst.Anschließend werden Informationenzum Befragungstag erhoben, z. B. obein besonderer Tag in Form von Fei-erlichkeiten, Reise oder Krankheitvorlag. Zur Erfassung der verzehrtenLebensmittel werden zunächst dieMahlzeiten des erfragten Tages no-tiert und diese Mahlzeiten mit denverzehrten Lebensmitteln in Formeiner sogenannten Quickliste gefüllt.In der Quickliste werden die Lebens-mittel noch nicht näher beschrieben.Sie dient dazu, bei der anschließen-den detaillierten Erfassung nach Artund Menge keine Lebensmittel zuvergessen.

Die Beschreibung der Lebensmittelerfolgt mit Hilfe von so genannten

Abb. 3: Beschreibung der Lebensmittel mit Hilfe von Facetten und Deskriptorenim Programm Epic-Soft (Quelle: International Agency for Research on Cancer, Lyon)

Abb. 4: Beispielseite aus dem Fotobuch der Epic-Studie (Quelle: International Agency for Research on Cancer, Lyon)

1Die IARC hält die Rechte für die Nutzung von Epic-Soft

vor und ist Ansprechpartner bei Interesse an der Nut-

zung des Programms.

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425Ernährungs Umschau | 8/10

Facetten und Deskriptoren (� Abbil-dung 3). Die Facetten stellen Fragendar, die dem Teilnehmer gestellt wer-den, um ein Lebensmittel zu be-schreiben, z. B. Fragen nach der Zu-bereitungs- oder Konservierungsart.Für jede Facette erscheint im Inter-view eine Reihe von Deskriptoren alsAntwortmöglichkeit, z. B. bei der Zu-bereitungsart die Deskriptoren „ge-kocht“, „gegrillt“ oder „gebraten“.Die Quantifizierung erfolgt mit Hilfeeines Fotobuchs, Stückangaben,Haushaltsmaßen oder Grammanga-ben. In � Abbildung 4 ist eine Bei-spielseite aus dem Fotobuch derIARC dargestellt. Modifizierte Versio-nen dieses Fotobuchs wurden in derBayrischen Verzehrsstudie und in derNVS II eingesetzt.

Für Berechnungen zur Energie- undNährstoffzufuhr müssen die erfasstenLebensmittel mit einer Nährstoffda-tenbank verknüpft werden. DiesesVerfahren hat den Vorteil, jeweils ak-tuelle Versionen von Nährstoffdaten-banken verwenden zu können, istaber unter Umständen mit erhebli-chem Aufwand bei der Lebensmittel-zuordnung verbunden.

Die Genauigkeit der Abschätzung desLebensmittelverzehrs hängt von derAnzahl an Tagen ab, an denen 24-h-Recalls bei einer Person durchge-führt werden. Bei nur einem 24-h-Recall pro Person ist davon auszuge-hen, dass nicht alle Lebensmittel, dievon einer Person üblicherweise ver-zehrt werden, an diesem Tag auf demSpeiseplan standen. Die Wahrschein-lichkeit, Lebensmittel zu erfassen, dieselten verzehrt werden, steigt folglichmit der Anzahl an Tagen, für die ein24-h-Recall durchgeführt wird. Auf-grund der Kosten und der möglichstzu minimierenden Belastung für dieProbanden können in Studien aller-dings meist nur wenige 24-h-Recallspro Person durchgeführt werden. Fürdie Auswertung epidemiologischerStudien bieten statistische Verfahren,mit deren Hilfe der übliche Verzehrabgeschätzt werden kann, einen Aus-weg aus dem Dilemma zwischen Kos-ten und Genauigkeit. Verfahren wie

das Nusser-Verfahren oder die Mul-tiple Source Method verfolgen dasZiel, die intraindividuelle Varianz, diebei Kurzzeitbefragungen wie 24-h-Recalls auftritt, zu vermindern [14,15, 16]. Der arithmetische Mittelwertdes Kollektivs für das betroffene Le-bensmittel verändert sich durch dieAnwendung solcher Verfahren nicht.Insbesondere bei Lebensmitteln, dienicht täglich verzehrt werden, z. B.Fisch, zeigt sich nach Anwendungeines solchen Verfahrens eine gerin-gere Streuung. Dies wird vor allembei den hohen Perzentilwerten wiez. B. dem 95. Perzentil augenschein-lich.

Vorteile des 24-h-Recalls■ geringe Belastung des Befragten ■ geringer Zeitaufwand für die Be-

fragung (im Mittel etwa 30 Minu-ten pro Interview)

■ Befragung großer Stichprobenmöglich

■ nicht reaktive Methode■ hohe Compliance■ Interviewer kann nachfragen■ PC-gestützte Erfassung möglich

Nachteile des 24-h-Recalls■ gutes Erinnerungsvermögen des

Befragten notwendig■ Probleme bei Portionsabschät-

zung, deshalb sind Fotobuch und -schablonen notwendig

■ selten verzehrte Lebensmittel wer-den bei geringer Anzahl an Befra-gungen pro Person möglicher-weise nicht erfasst

■ sehr gut geschulte Interviewer er-forderlich

■ Einfluss des Interviewers auf dasAntwortverhalten möglich

■ Under- und Overreporting mög-lich

Abb. 5: Diet History Interview in einem Studienzentrum der NVS II(Quelle: Max Rubner-Institut)

Abb. 6: Beispielseite des Diet History Interviews der EsKiMo-Studie [20]

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426 Ernährungs Umschau | 8/10

Fort- & Weiterbildung | Ernährungserhebungen

Diet History Interview (Ernährungsgeschichte)

Mit dieser Methode wird der üblicheVerzehr einer Person in den letztenWochen oder Monaten erfasst. Zurstandardisierten Erfassung wurdevom Robert Koch-Institut das Com-puterprogramm DISHES (Diet Inter-view Software for Health ExaminationStudies) entwickelt [17]. Die Softwarewurde im Ernährungsteil des Bun-desgesundheitssurveys 1998 [18, 19]und in einer modifizierten Versionauch im Rahmen der Ernährungsstu-die (EsKiMo) des Kinder- und Ju-gendgesundheitssurveys [20] sowieder NVS II [12, 21] eingesetzt (� Ab-bildung 5).

Mit DISHES wird der gewohnheits-mäßige Verzehr der letzten vier Wo-chen erfragt (� Abbildung 6). Der In-terviewer erfasst zunächst die übli-cherweise verzehrten Mahlzeiten.Dabei sind Unterscheidungen nachWochentagen möglich, z. B. Früh-stück nur montags bis freitags, an Wo-chenendtagen dagegen nicht. Imnächsten Schritt werden die zu denMahlzeiten verzehrten Lebensmittelin Form von Häufigkeiten erfasst, z. B. sechsmal in der Woche morgensMüsli, einmal Brötchen. Über ver-schiedene Listen können die Lebens-mittel ausgewählt werden. Sie werdenanhand von Fotobuch, Modellge-schirr, Stückangaben oder Gramm-

angaben quantifiziert (� Abbildung5). In DISHES ist der Bundeslebens-mittelschlüssel (BLS)2 integriert, so-dass nach Abschluss des InterviewsNährstoffberechnungen vorgenom-men werden können.

Vorteile des Diet History Interviews■ mittlerer Zeitaufwand für die Be-

fragung (im Mittel etwa 45 Minu-ten pro Interview)

■ Befragung großer Stichprobenmöglich

■ kann die Ernährung von sehr un-terschiedlichen Zeiträumen wider-spiegeln (z. B. vier Wochen oderdrei Monate)

■ nicht reaktive Methode■ relativ hohe Compliance■ Interviewer kann nachfragen■ sowohl spezielle Lebensmittel als

auch der Gesamtverzehr könnenerfasst werden

■ PC-gestützte Erfassung möglich■ spiegelt den üblichen Verzehr

wider

Nachteile des Diet History Interviews■ sehr gutes Erinnerungsvermögen

des Befragten notwendig■ aufgrund des langen Zeitraums oft

unpräzise Schätzung der Portions-größen

■ Lebensmittel können nicht detail-liert beschrieben werden

■ sehr gut geschulte Interviewer not-wendig

■ Einfluss des Interviewers auf dasAntwortverhalten möglich

■ Under- und Overreporting mög-lich

■ Zeitperiode oft unscharf abzu-grenzen

■ durch direkt vorangegangeneNahrungsaufnahme Verzerrungenmöglich

Food Frequency Questionnaire(FFQ, Verzehrshäufigkeitenfrage-bogen)

Bei dieser Methode werden ebenfallsdie üblichen Verzehrshäufigkeiten, z. B. während der letzten Monateoder des letzten Jahres, erfragt. Aller-dings gibt ein Fragebogen eine Listemit Lebensmitteln und Möglichkei-ten zum Ankreuzen vor. Der Teilneh-mer kann seinen Ernährungsge-wohnheiten entsprechend aus denvorgegebenen Lebensmitteln aus-wählen (� Abbildung 7). Die Lebens-mittelliste kann sich je nach Frage-stellung auf ausgewählte Lebensmit-telgruppen (z. B. nur Gemüsesorten)oder den gesamten Verzehr beziehenund muss den Ernährungsgewohn-heiten der Zielgruppe angepasst sein.Soll der Gesamtverzehr erfasst wer-den, können in der Regel aus Platz-gründen nicht alle in Frage kom-menden Lebensmittel in der Liste be-rücksichtigt werden. Falls nicht einezusätzliche Zeile für Angaben durchden Teilnehmer vorgesehen ist, kannder Teilnehmer von der Liste abwei-chende Lebensmittel nicht angeben. Sind zusätzlich zur Verzehrshäufig-keit auch Mengenangaben vorgege-ben, können Einschätzungen zurNährstoffzufuhr vorgenommen wer-den. In diesem Fall wird von einemsemiquantitativen Fragebogen ge-sprochen. FFQs können zur verbes-serten Abschätzung des üblichen Ver-zehrs als Ergänzung bei 24-h-Recallseingesetzt werden [23, 24]. Da dieFragebögen maschinenlesbar oder alsComputerversion erstellt werdenkönnen, eignen sie sich für Studien

Abb. 7: Ausschnitt aus einem Food Frequency Questionnaire des National Cancer Institutes, USA [22]

2Der BLS ist eine Nährstoffdatenbank, die als Standard-

instrument für ernährungsepidemiologische Studien

und Verzehrserhebungen in Deutschland entwickelt

wurde. Die neueste Version (3.0) enthält 14 814 Le-

bensmittel und Rezepte mit jeweils 131 Nährstoffen.

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427Ernährungs Umschau | 8/10

mit großen Teilnehmerzahlen. Bei-spiele für die Verwendung sind z. B.die Studie zur Gesundheit Erwachse-ner in Deutschland (DEGS), der Kin-der- und Jugendgesundheitssurvey(KiGGS), die EPIC-Studie sowie dieamerikanische NHANES-Studie.

Vorteile des Food Frequency Questionnaires■ geringe Belastung des Befragten■ oft selbst ausfüllbar, daher keine

Interviewer notwendig ■ PC-gestützte Erfassung möglich

bzw. maschinell einlesbar■ Befragung großer Stichproben

möglich■ nicht reaktive Methode■ kein Einfluss des Interviewers■ relativ hohe Compliance■ sowohl spezielle Lebensmittel als

auch der Gesamtverzehr könnenerfasst werden

■ spiegelt den üblichen Verzehrwider

Nachteile des Food Frequency Questionnaires■ sehr gutes Erinnerungsvermögen

des Befragten notwendig■ oft unpräzise Schätzung der

Portionsgrößen■ geschlossenes Instrument (= indi-

viduelle Abweichungen könnennicht erfasst werden)

■ Under- und Overreporting mög-lich

■ Zeitperiode oft unscharf abzu-grenzen

Prospektive Methoden

Mit prospektiven Methoden wirdüber einen begrenzten Zeitraum deraktuelle Lebensmittelverzehr erfasst,z. B. über Protokolle, Duplikate oderFoto- bzw. Videoaufnahmen. Abhän-gig von der jeweils verwendeten Me-thode ergibt sich eine unterschiedli-che Genauigkeit der Ergebnisse.Prospektive Methoden zeichnen sichdadurch aus, dass die Gedächtnisleis-tung des Teilnehmers bei der Befra-gung keine Rolle spielt. Die Erhe-bungen und Datenauswertungen sindjedoch zeitaufwändig und die Ergeb-nisse können durch Under- und

Overreporting bzw. Under- undOvereating verfälscht sein. Eine in-tensive, möglichst persönliche Ein-weisung der Teilnehmer ist nötig.Deshalb sind diese Methoden v. a. fürStudien mit geringen Teilnehmer-zahlen sowie als Anamnese-Instru-ment für die Ernährungsberatung ge-eignet.

VerzehrsprotokollBeim Verzehrsprotokoll wird die Artund Menge der verzehrten Lebens-mittel über einen Zeitraum von einbis sieben Tagen protokolliert. Beider so genannten Wiegemethode sollendie verzehrten Lebensmittel bei derZubereitung bzw. vor dem Verzehrgenau beschrieben und gewogen wer-den. Nicht verzehrte Reste werden„zurückgewogen“. Die detaillierte Be-schreibung der Lebensmittel umfasstAngaben wie Sorte, Fettgehaltsstufe,Zubereitung, Conveniencegrad, Mar-kenname und gegebenenfalls auchAngaben zur Verpackung. Problema-tisch wird das Abwiegen beim Außer-Haus-Verzehr.

Wiegeprotokolle galten lange Zeit als„Goldstandard“ unter den Ernäh-rungserhebungsmethoden, sie wer-den auch zur Validierung andererMethoden eingesetzt. Die Einschät-zung darüber, welche die am bestengeeignete Methode ist, sollte jedochvon der Fragestellung und Ziel-gruppe abhängen. � Abbildung 8zeigt einen Ausschnitt aus dem in der

NVS II verwendeten Wiegeprotokoll. Eine vereinfachte Protokollmethodeist die Schätzmethode. Hierbei werdendie verzehrten Lebensmittel anhandvon Haushaltsmaßen oder Stückzah-len geschätzt. Zusätzlich kann derAufwand für den Teilnehmer durcheine vorgegebene Lebensmittellistereduziert werden. Je nach Protokollkann diese Liste durch eigene Anga-ben ergänzt werden. Schätzproto-kolle wurden bzw. werden z. B. in derGießener Vollwert-Ernährungs-Studie

Abb. 8: Ausschnitt aus dem (Muster-)Wiegeprotokoll der NVS II(Quelle: Max Rubner-Institut)

Abb. 9: Ausschnitt aus dem Schätzprotokoll derGießener Senioren Langzeitstudie [25]

Wochentag: Mo Di Mi Do Fr Sa So

(bitte ankreuzen)

Datum: 20.12.2005

kg, g, mg bzw. L, mL

Uhrzeit

Ort

Lebensmittel und Getränke

(Produktbezeichnung, Markenname (ggf. Discounter z. B. Aldi), Fettgehalt,

Vitaminzusätze etc.)

Verpa -

ckung bei Einkauf*

Zustand bei

Einkauf*

Zuberei-tungsver-

fahren

Ver-

zehrs-

fertige Menge

Rest-menge/Abfall**

7:30 zu Hause

Weizen-Roggen-Mischbrot mit Sonnenblumenkernen lose frisch ____ 112 g

Halbfettbutter „Du darfst“ K gekühlt ____ 42 g

Erdbeermarmelada, selbst gemacht G _ ____ 65 g

Kaffee (Filterkaffee), „Jacobs“ M getrock-net

____ 254 g

T ultra-hoch -

erhitzt ____ 84 g

10:15 im Büro

Apfel, Jona gold U frisch ____ 220 g 23 g A

H-Milch, 3,5 % Fett „Milbona“

Brot, Brötchen So Mo Di

Mischbrot Mischbrötchen

Scheibe Stück

45 g

Schwarz-, Vollkornbrot Vollkornbrötchen

Scheibe Stück

50 g

Weißbrot, Toast Scheibe 20 g Wasserbrötchen Stück 45 g Knäckebrot Zwieback

Scheibe Stück

10 g

Rosinenbrötchen, Butterhörnchen

Stück 45 g

Süße Brotaufstriche So Mo Di

Konfitüre, Marmelade Teelöffel 10 g Honig, Sirup Teelöffel 10 g Nuß-Nougat-Creme Teelöffel 10 g

Fette, Öle So Mo Di

Butter, Schmalz Teelöffel 4 g Margarine Teelöffel 4 g Halbfettmargarine Teelöffel 4 g Speiseöl Esslöffel 10 g

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428 Ernährungs Umschau | 8/10

Fort- & Weiterbildung | Ernährungserhebungen

und in der Gießener Senioren Lang-zeitstudie (GISELA) eingesetzt (� Ab-bildung 9).

Da das Protokollieren der verzehrtenLebensmittel für die Teilnehmer sehraufwändig ist, nimmt die Genauigkeitder Angaben mit zunehmenderDauer ab. Somit sind Protokollme-thoden nur für kurze Zeiträume ge-eignet. Wird jedoch nur über wenigeTage protokolliert, kann der üblicheVerzehr einer Person nicht ermitteltwerden, da die Nahrungsaufnahmevon Tag zu Tag stark variieren kann.In der Regel werden Protokolle überdrei oder vier aufeinander folgendeTage geführt. Keinesfalls sollten esmehr als sieben Tage sein. Bei derAuswahl der Tage sollten Wochentagewie auch Tage am Wochenende be-rücksichtigt werden.

Insbesondere Wiegeprotokolle geltenals kosten- und zeitintensive Erhe-bungsmethode. Besonderes Augen-merk ist auf die Einweisung der Teil-nehmer zu legen, da hierdurch dieQualität der Erhebung beeinflusstwird. Das ausführliche Erklären desAbwiegens erfordert gut geschultesErhebungspersonal. Die erforderli-che Waage sollte den Teilnehmernnach Möglichkeit gestellt werden, umeine Vergleichbarkeit der Ergebnissezu ermöglichen. Besonders zeitauf-wändig ist die Dateneingabe und -auf-bereitung der protokollierten Ver-zehrsangaben.

Verzehrsprotokolle sind häufig ein-gesetzte Instrumente in der Ernäh-rungsberatung und -therapie. Je nachIndikation (z. B. Essstörung) könnenhier auch Angaben wie Uhrzeiten/Dauer der Mahlzeit und Befindlich-keiten vor und nach dem Lebensmit-telverzehr im Protokoll eingebautwerden.

Vorteile von Verzehrsprotokollen■ unabhängig vom Erinnerungsver-

mögen des Teilnehmers■ sehr genaue Erfassung der Art

und Menge der verzehrten Le-bensmittel beim Wiegeprotokoll

■ Schätzen ist für den Teilnehmerweniger aufwändig als Wiegen

■ bei mehrtägiger ProtokolldauerErfassung der üblichen Ernäh-rung

Nachteile von Verzehrsprotokollen■ reaktive Methode, Under-/Over-

reporting und Under-/Overeatingmöglich

■ hohe Belastung für den Teilneh-mer und dadurch hohe Ausfall-quoten

■ in der Regel bei der Wiegeme-thode nur kleine Stichprobenmöglich

■ keine Erfassung der üblichen Er-nährung bei kurzer Protokoll-dauer

■ kosten- und zeitaufwändig■ gut geschultes Fachpersonal erfor-

derlich■ Erfassung des Außer-Haus-Verzehrs

beim Wiegeprotokoll ungenau

Duplikatmethode (Doppelportions-technik)

Bei der Duplikatmethode werden alleLebensmittel, die der Teilnehmer ver-zehrt, in gleicher Menge im Laboranalysiert. Diese Methode ermöglichteine sehr genaue Ermittlung derEnergie- und Nährstoffzufuhr einerPerson, ist aber aufgrund des hohenAufwandes nur bei wenigen Teilneh-mern und nur über einen kurzenZeitraum durchführbar. Die Doppel-portionstechnik wird auch zur Vali-dierung anderer Methoden einge-setzt.

Vorteile der Duplikatmethode■ sehr genaue Methode für die Er-

mittlung der Energie- und Nähr-stoffzufuhr

■ unabhängig vom Erinnerungsver-mögen des Teilnehmers

Nachteile der Duplikatmethode■ reaktive Methode, Under- und

Overeating möglich■ sehr kosten- und zeitaufwändig ■ Analyse meist nur auf wenige

Nährstoffe beschränkt■ spiegelt nicht den üblichen Ver-

zehr wider■ sehr gut geschultes Fachpersonal

erforderlich

■ nur bei wenigen Teilnehmern undnur über kurzen Zeitraum durch-führbar

Beobachtungsmethoden durchFoto/Video

Die Bilderfassung des Essens (Fotosoder Videoaufnahmen) gehört zuden Beobachtungsmethoden der Er-nährungsverhaltensforschung. In denletzten Jahren haben sich digitaleBildanalysen bzw. entsprechendeSoftware-Programme rasant entwi-ckelt [26]. Eingesetzt werden dieseMethoden z. B. im Forschungsprojekt„Restaurant der Zukunft“ der Univer-sität Wageningen, Niederlande. Ineinem Schnellrestaurant filmen Ka-meras an der Decke die Restaurant-besucher beim Essen.

Einsatz von FotohandysEine neue Möglichkeit, den Lebens-mittelverzehr zu erfassen, besteht imEinsatz von Fotohandys [27–29]. DasZiel ist hierbei, die Belastung des Teil-nehmers beim Aufschreiben der Spei-sen zu vermindern. Die Teilnehmernehmen digitale Fotos von den ver-zehrten Speisen und Getränken aufund senden diese zum Studienperso-nal. Für die Abschätzung von Porti-onsgrößen muss allerdings ein Maß-stab mit abgebildet sein oder speziel-les Geschirr verwendet werden.Zusätzlich können weitere Angabenzu den verzehrten Speisen vom Teil-nehmer übermittelt werden. Die Me-thode eignet sich v. a. für jüngere Per-sonen, die mit dem Umgang mitHandys vertraut sind und bei denendadurch eine höhere Motivation zurTeilnahme erzeugt wird.

Vorteile von Fotohandys■ unabhängig vom Erinnerungsver-

mögen des Teilnehmers■ direkte Datenübertragung■ verbessert die Teilnahmebereit-

schaft bestimmter Bevölkerungs-gruppen, z. B. Jugendliche

Nachteile von Fotohandys■ hohe technische Ausstattung er-

forderlich■ geschultes Personal erforderlich ■ kostenintensiv

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■ Datenauswertung zeitintensiv■ Schwierigkeiten bei der Erfassung

von Portionsgrößen

Die Auswahl der geeignetenMethode

Welche Ernährungserhebungsme-thode ist nun die optimale Methode?Eine allgemeingültige Antwort aufdiese Frage kann nicht gegeben wer-den. Denn für jede Erhebung geltenunterschiedliche Bedingungen. Dieentsprechenden Möglichkeiten undGrenzen, Vor- und Nachteile müssenindividuell abgewogen werden. DieEignung einer Methode ist dabei vomUntersuchungsziel, der jeweiligenZielgruppe und ihrer Teilnahmebe-reitschaft, dem Budget, der vorhan-denen Zeit sowie von den vom Un-tersucher akzeptierten Fehlerquellenabhängig.

Untersuchungsziel, Budget und Zeit

Die Formulierung der Ziele und Studien-bedingungen stehen am Anfang jeder Methodenwahl.

Soll das Verzehrsverhalten einer gan-zen Bevölkerung untersucht werdenoder geht es darum, die Nährstoffzu-fuhr eines Klienten in der Beratungabzuschätzen? Wie viel Geld und Zeit,welches Personal stehen für die Un-tersuchung zur Verfügung? DieseFaktoren sind grundsätzlich entschei-dend für die Wahl des Erhebungsin-struments.

Teilnahmebereitschaft

Die Motivation für die Teilnahme an Er-nährungserhebungen ist häufig gering.Der Ausfall nicht interessierter Personenkann zur Verzerrung der Stichprobe füh-ren.

Die Erfassung des Ernährungsverhal-tens erfordert von der untersuchtenPerson eine gute Kooperation. Alledirekten Methoden bedeuten einenmehr oder weniger großen Zeitauf-wand und unter Umständen eine er-hebliche Belastung des Teilnehmers

zum Beispiel durch das Abwiegen vonLebensmitteln. Dies führt in derRegel dazu, dass sich besonders Per-sonen mit Interesse an Gesundheits-und Ernährungsfragen zur Teil-nahme an wissenschaftlichen Studienbereit erklären. Die Absage von nichtinteressierten Personen kann zur Ab-weichung vom ursprünglich ausge-wählten Kollektiv und damit zur Ver-zerrung der Stichprobe führen. Mög-licherweise kann die Teilnahmebe-reitschaft durch kleine Geschenkeoder Aufwandsentschädigungen ver-bessert werden.

Zielgruppe

Die für ein Untersuchungsziel optimaleMethode hängt vom Alter, der zumutbarenBelastung und den Fähigkeiten der Ziel-gruppe ab.

Bei Kindern muss abgewogen wer-den, ob die Eltern bzw. geeignete Be-treuungspersonen befragt werdensollen oder das Kind selbst an der Be-fragung teilnehmen kann. 24-h-Recalls können mit Kindern etwa abdem Alter von zehn Jahren geführtwerden. Altersgemäß aufbereiteteFFQs können etwa ab dem Alter vonzwölf Jahren selbstständig ausgefülltwerden [6]. Bei retrospektiven Befragungsmetho-den spielt das Erinnerungsvermögeneine wichtige Rolle. Dies ist bei Un-tersuchungen mit älteren Menschenzu berücksichtigen, da das Kurzzeit-gedächtnis im Alter nachlässt. Aucheine verminderte Hörfähigkeit imAlter sollte bei der Wahl einer Methode bedacht werden.

Fehlerquellen

Fehler bei der Erfassung des Verzehrver-haltens können in verschiedenen Ebenenauftreten. Sie können durch fehlerhafteAngaben der befragten Person, durch Feh-ler bei der Datenerfassung und -bearbei-tung sowie durch Fehler in der verwende-ten Nährstoffdatenbank bedingt sein.

Angaben der TeilnehmerBereits erwähnt wurde die Möglich-keit des Under- und Overreportings

bzw. Under- und Overeatings als Re-aktion der Teilnehmer auf subjektivvon ihnen vermutete Erwartungender Untersucher (sozial erwünschtesVerhalten). Aber auch Erinnerungs-lücken und Konzentrationsproblemebei Befragungen sowie Ungenauig-keit, Flüchtigkeitsfehler und Verges-sen bei der Protokollführung könnendie Angaben von Teilnehmern verfäl-schen.

Dauer bzw. Zeitpunkt der VerzehrserhebungÜber wie viele Tage der Verzehr er-fasst werden soll, hängt u. a. von derVariation in der Lebensmittelauswahlder zu untersuchenden Person ab.Personen mit von Tag zu Tag stark va-riierendem Verzehr erfordern einelängere Erhebungsdauer als Perso-nen mit einer eher monotonen Er-nährungsweise. Aber auch saisonaleEinflüsse verändern die Ernährung.Die meisten Menschen verzehren imWinter andere Lebensmittel als imHochsommer. Wenn Saisoneinflüssemit abgedeckt werden sollen, müssenBefragungen zu verschiedenen Zei-ten im Jahr stattfinden.

DatenauswertungBei der Codierung oder Datenaufbe-reitung können zufällige Fehler ent-stehen, beispielsweise durch Tipp-fehler oder falsche Zuordnungen. BeiVerwendung von Computerprogram-men sind automatische Warnmel-dungen bei der Überschreitung vonfestgelegten Höchstmengen einesinnvolle Hilfestellung während derDateneingabe. Systematische Fehlerkönnen auftreten, wenn die Porti-onsgrößen, die in Programmen hin-terlegt oder auf Bildern dargestelltsind, die tatsächliche Portion über-oder unterschätzen.

NährstoffdatenbankAuch die verwendete Nährstoffdaten-bank hat bei der Berechnung vonNährstoffen einen entscheidendenEinfluss auf die erzielten Ergebnisse.Die Energie- und Nährstoffwerte ver-schiedener Datenbanken unterschei-den sich, da diese verschiedene Quel-len heranziehen. Fehler können

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Fort- & Weiterbildung | Ernährungserhebungen

durch eine falsche Zuordnung bzw.Auswahl von Lebensmitteln aus derNährstoffdatenbank entstehen. Mehr-fach erklärten sich beispielsweise er-höhte Ballaststoffgehalte im Auswer-tungsergebnis durch die fälschlicheAuswahl von Kaffeepulver (58 g Bal-laststoffe/100 g) statt des tatsächlichkonsumierten Kaffeegetränks (0 gBallaststoffe/100 g). Ein anderes Bei-spiel ist die doppelte Berücksichti-gung von Fett bei der Zubereitung:Wenn der Teilnehmer Fett zur Zube-reitung angibt (z. B. 1 Essl. Bratfett),bei dem in der Nährstoffdatenbankangegebenen Gericht das Zuberei-tungsfett aber bereits einberechnet ist(z. B. „Schnitzel, paniert und gebra-ten“). Um Missverständnissen vorzu-beugen, sind in der neuen Versiondes Bundeslebensmittelschlüssels(BLS 3.0) Speisen entsprechend ge-kennzeichnet: Beispielsweise lässt dieBezeichnung „frittiert“ eine Fettzu-gabe erwarten. Wenn das berechneteLebensmittel lediglich Berechnungs-faktoren für den Verarbeitungsschritt„Frittieren“ beinhaltet, jedoch keinFett addiert wurde, erfolgt eine Kenn-zeichnung.

Validität

Bei der Validierung soll überprüft werden,ob die gemessenen Werte mit den wahrenWerten übereinstimmen.

Das Problem dabei ist, dass die wah-ren Werte unbekannt sind und mitkeiner Methode exakt ermittelt wer-den können. Behelfsweise könnenzwei Wege beschritten werden:

Bei der abhängigen Validierung wer-den die Ergebnisse der geplanten Me-thode mit einer weiteren Ernäh-rungserhebungsmethode verglichen.Die klassische Referenzmethode isthier das Sieben-Tage-Wiegeproto-koll. Eine weitere Möglichkeit ist dieDuplikatmethode.

Bei der unabhängigen Validierungwird mit Hilfe biochemischer Markerauf bestimmte Nahrungskomponen-ten geschlossen. Zum Beispiel gibtdie Stickstoffausscheidung im 24-h-

Urin Hinweise auf die Proteinzufuhr[30]. Der Vorteil der unabhängigenValidierung liegt in den unterschied-lichen Fehlerquellen der Erhebungs-und Validierungsmethode [31]. ZurErmittlung von Underreporting kanndie mit der Methode ermittelte Ener-giezufuhr mit dem berechneten odergemessenen Ruheenergieumsatz bzw.dem Gesamtenergieumsatz vergli-chen werden [32, 33].

Vor dem Einsatz einer Ernährungser-hebungsmethode sollte die Qualitätder Ergebnisse unbedingt in Formeiner Validierung an einer Stich-probe überprüft werden.

Fazit

Aus den Ausführungen wird deutlich,dass es nicht EINE einzige Ernäh-rungserhebungsmethode für alleFälle gibt. Je nach Fragestellung undZielsetzung (Interessieren mich alleLebensmittelgruppen oder nur einige we-nige? Sollen die Ergebnisse mit denen an-derer Studien verglichen werden?), der zuuntersuchenden Zielgruppe (Wird dieErnährung von Kindern, Erwachsenenoder Senioren erhoben? Von Einzelperso-nen oder einer Gruppe?) sowie zur Ver-fügung stehendem Budget, Kostenund Personal muss überlegt werden,welche Methode am besten geeignetist [1, 6]. Wenn Studienergebnissevergleichbar mit denen anderer Stu-dien sein sollen, empfiehlt es sich, aufeinheitliche Erhebungsmethoden zuachten.

Entscheidend ist die Frage, ob dasVerzehrsverhalten von einzelnen Per-sonen erfasst werden soll oder derVerzehr einer Gruppe. Auf Gruppen-ebene reicht eine kürzere Anzahl anErfassungstagen, da sich intraindivi-duelle Variationen zwischen verschie-denen Tagen im Kollektiv z. T. aus-gleichen. Wird dagegen die Ernäh-rung einer einzelnen Person be-trachtet, wie in der Ernährungsbera-tung und -therapie, sind einzelneoder wenige Tage zur Beurteilungnicht ausreichend. Auch hier müssenje nach Fragestellung die Vor- undNachteile der in Frage kommenden

Methoden abgewogen werden: EinWiegeprotokoll bietet eine große Ge-nauigkeit, führt aber beim Teilneh-mer nach mehreren Tagen zu Ermü-dungserscheinungen und bedeutetsowohl für den Teilnehmer als auchfür das Personal großen Aufwand. EinDiet History Interview ist für den Teil-nehmer im Vergleich zum Wiege-protokoll mit geringem Aufwand ver-bunden, allerdings beeinflusst der In-terviewer möglicherweise das Ergeb-nis. Zudem ist es für den Teilnehmerschwierig, Verzehrsmengen übereinen längeren Zeitraum korrekt ein-zuschätzen. Für eine schnelle Ein-schätzung des Ernährungszustandesim klinischen Umfeld können auchKurzfragebögen, Checklisten oderein Methoden-Mix hilfreich sein [1,34, 35].

Generell liefern die mit Hilfe einerErnährungserhebungsmethode er-mittelten Daten zur Energie- undNährstoffzufuhr einen ersten Hinweisauf den Ernährungsstatus einer ein-zelnen Person. Für eine verlässlicheBeurteilung müssen die Ergebnissejedoch mit weiteren Erhebungsme-thoden untermauert werden. Dazugehören beispielsweise eine ausführ-liche Anamnese, anthropometrischeMessungen oder die Erfassung klini-scher Parameter.

Die perfekte Methode für alle Fälle existiertnicht. Die Auswahl hängt von der Frage-stellung und Zielsetzung, der zu untersu-chenden Zielgruppe, der erforderlichenMessgenauigkeit, dem geplanten Zeitraumund nicht zuletzt dem zur Verfügung ste-henden Budget ab. Dabei gilt es nicht zuvergessen, dass der tatsächliche „wahre“Verzehr mit keiner Methode ermittelt wer-den kann. Die genannten Ernährungser-hebungsmethoden bieten jedoch – mit ihrenspezifischen Vor- und Nachteilen – eineChance, sich dem tatsächlichen Verzehr zunähern.

Die Literatur zu diesem Artikel finden Sie im Internetunter www.ernaehrungs-umschau.de/service/literaturverzeichnisse/