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Netzwerkerin Die Rheinländerin Margit Wennmachers wandert mit 26 nach Kalifornien aus. Und erfindet den Mythos des Silicon Valley SEITE 8 Poster Wo sitzen die innovativsten Konzerne der Welt? Zahlen, Daten und Fakten auf einer Doppelseite zum Herausnehmen SEITE 4 Was ist das denn für ein Zausel?! Ist das Einstein? Dir ist schon klar, dass wir 2018 haben, nicht 1918? Auf dem Cover will ich was Frischeres! Okay, Jobs. Ganz nett. Aber irgend- wie ein bisschen zu naheliegend, findest du nicht? Du willst die Zeitung mit einer Dampfmaschine aufmachen? Gähn! Warum nicht gleich mit einem Faustkeil? Okay, das war ein cooles Cover. Aber das Thema hier ist Inno- vation – nicht Einfallslosigkeit. Das ist es! Leg los! Wie sieht's mit dem Cover für die Zeitung aus? Wir brauchen was zum Thema „Innovation". Illustration: Malte Knaack; Laif; dpa Ideen sind der wichtigste Rohstoff der deutschen Wirtschaft. Wie man Kreativität fördert und den Geist zum Fliegen bringt: Ein Schwerpunkt zum Thema Innovation. Es werde Licht! Liebe Leserin, lieber Leser, was ist das wichtigste Thema in Wei- terbildungsangeboten für Unterneh- menslenker und Führungskräfte? Ganz klar: Innovation. Denn die Fähigkeit, sich zu erneuern, seine Produkte und Dienstleistungen zu optimieren oder sich gar neu zu erfinden, entscheidet über die Zukunft eines Unternehmens. Über Wachstum und Wohlstand. „Wer als Unternehmer heute nicht inno- vativ denkt, ist morgen Geschichte“, bringt es Marco Gardini auf den Punkt, Wirtschaftsprofessor und Koordinator des Masterstudiums Innovation an der Hochschule Kempten. Gerade in NRW erleben wir, dass der Strukturwandel aus den alten Energie- industrien in moderne, technologisch geprägte Dienstleistungsunternehmen schmerzhaft sein kann, wenn neue Märkte und Rahmenbedingungen nicht erkannt werden. Produkte zu verbessern war schon immer Kern des Erfolgsmodells „Made in Germany“. Die Gretchenfrage ist, wie sich Innova- tion organisieren lässt in den Mühlen des unternehmerischen Alltags. Wie zieht Kreativität in die Arbeitsabläufe ein? Gibt es Methoden, die man kennen sollte? Als wir über die Themen für die zehnte Ausgabe unserer Wirtschafts- zeitung diskutiert haben, war daher schnell klar, dass Innovationen einen eigenen Schwerpunkt bilden müssen. Deshalb schauen wir auf den folgen- den 24 Seiten besonders genau in die Zukunftslabore hiesiger Unternehmen. Wir sprechen mit der neuen Chefin der „Innovation Company“ 3M, Christiane Grün, über die Institutionalisierung des Erfindertums. Wir fragen die Rheinlän- derin Margit Wennmachers, die zu den führenden Investoren im Silicon Valley zählt, wie das eigentlich geht mit den neuen Geschäftsmodellen. Wir schil- dern im Branchencheck die Digitalisie- rung der Finanzinstitute, wir erklären das Smarthome der Zukunft, wir klop- fen die einstige Seidenwebermetropole Krefeld auf ihre heutige Innovationsfä- higkeit ab, und wir verraten Ihnen, wie Ehen zwischen kreativen Start-ups und etablierten Unternehmen gelingen. Na, wenn das nicht innovativ ist! Viel Spaß beim Erneuern! Und beim Lesen natürlich. Michael Bröcker, Chefredakteur EDITORIAL Laborwerte Erfindungen in Serie: Wie die F&E-Abteilungen die Zukunft der Konzerne in Nordrhein-Westfalen garantieren SEITE 3 WIRTSCHAFT IN NORDRHEIN-WESTFALEN Nr. 10 | JUNI 2018

Erfindungen in Serie: WIRTSCHAFT - rp-media.de · Unter „ferner liefen“ Ausgaben für Forschung und Entwicklung 2016 in % des Bruttoinlandsprodukts* Hochschulen Wirtschaft Staat

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Page 1: Erfindungen in Serie: WIRTSCHAFT - rp-media.de · Unter „ferner liefen“ Ausgaben für Forschung und Entwicklung 2016 in % des Bruttoinlandsprodukts* Hochschulen Wirtschaft Staat

NetzwerkerinDie Rheinländerin

Margit Wennmachers wandert mit 26 nach

Kalifornien aus. Und erfindet den Mythos des Silicon Valley

SEITE 8

Poster Wo sitzen die innovativsten Konzerne der Welt? Zahlen, Daten und Fakten auf einer Doppelseite zum Herausnehmen SEITE 4

Was ist das denn für ein

Zausel?! Ist das Einstein?

Dir ist schon klar, dass wir

2018 haben, nicht 1918?

Auf dem Cover will ich was

Frischeres!

Okay, Jobs. Ganz

nett. Aber irgend-

wie ein bisschen

zu naheliegend,

findest du nicht?

Du willst die Zeitung mit einer Dampfmaschine aufmachen? Gähn!

Warum nicht gleich mit einem Faustkeil?

Okay, das war ein cooles Cover. Aber das Thema hier ist Inno-vation – nicht Einfallslosigkeit.

Das ist es! Leg los!

Wie sieht's mit dem Cover für die Zeitung aus? Wir brauchen was zum Thema „Innovation".

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Ideen sind der wichtigste Rohstoff

der deutschen Wirtschaft. Wie man

Kreativität fördert und den Geist zum

Fliegen bringt: Ein Schwerpunkt

zum Thema Innovation.

EswerdeLicht!

Liebe Leserin, lieber Leser,was ist das wichtigste Thema in Wei-terbildungsangeboten für Unterneh-menslenker und Führungskräfte? Ganz klar: Innovation. Denn die Fähigkeit, sich zu erneuern, seine Produkte und Dienstleistungen zu optimieren oder sich gar neu zu erfinden, entscheidet über die Zukunft eines Unternehmens. Über Wachstum und Wohlstand. „Wer als Unternehmer heute nicht inno-vativ denkt, ist morgen Geschichte“, bringt es Marco Gardini auf den Punkt, Wirtschaftsprofessor und Koordinator des Masterstudiums Innovation an der Hochschule Kempten.

Gerade in NRW erleben wir, dass der Strukturwandel aus den alten Energie- industrien in moderne, technologisch geprägte Dienstleistungsunternehmen schmerzhaft sein kann, wenn neue Märkte und Rahmenbedingungen nicht erkannt werden. Produkte zu verbessern war schon immer Kern des Erfolgsmodells „Made in Germany“. Die Gretchenfrage ist, wie sich Innova-tion organisieren lässt in den Mühlen des unternehmerischen Alltags. Wie zieht Kreativität in die Arbeitsabläufe ein? Gibt es Methoden, die man kennen sollte? Als wir über die Themen für die zehnte Ausgabe unserer Wirtschafts-zeitung diskutiert haben, war daher schnell klar, dass Innovationen einen eigenen Schwerpunkt bilden müssen.

Deshalb schauen wir auf den folgen-den 24 Seiten besonders genau in die Zukunftslabore hiesiger Unternehmen. Wir sprechen mit der neuen Chefin der „Innovation Company“ 3M, Christiane Grün, über die Institutionalisierung des Erfindertums. Wir fragen die Rheinlän-derin Margit Wennmachers, die zu den führenden Investoren im Silicon Valley zählt, wie das eigentlich geht mit den neuen Geschäftsmodellen. Wir schil-dern im Branchencheck die Digitalisie-rung der Finanzinstitute, wir erklären das Smarthome der Zukunft, wir klop-fen die einstige Seidenwebermetropole Krefeld auf ihre heutige Innovationsfä-higkeit ab, und wir verraten Ihnen, wie Ehen zwischen kreativen Start-ups und etablierten Unternehmen gelingen. Na, wenn das nicht innovativ ist! Viel Spaß beim Erneuern! Und beim Lesen natürlich.

Michael Bröcker, Chefredakteur

EDITORIAL

Laborwerte Erfindungen in Serie: Wie die F&E-Abteilungen die Zukunft der Konzerne in Nordrhein-Westfalen garantieren SEITE 3

WIRTSCHAFTIN NORDRHEIN-WESTFALEN Nr. 10 | JUNI 2018

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RHEINISCHE POST | WIRTSCHAFT NR. 10JUNI 20182 | INHALT

MENSCH & WIRTSCHAFTBRANCHENCHECK

9 Arbeitszeit Vormittags am Schreib-tisch, nachmittags frei, und das bei vollem Gehalt: Ein Unternehmen in Bielefeld macht vor, wovon andere Angestellte träumen. Die Erfahrungen sind gut – nur beim Chef funktioniert das Modell noch nicht.

10 Standortcheck Krefeld zehrt noch immer von seiner Vergangenheit als „Seidenstadt“. Doch spätestens seit die Krawattenindustrie darbt, braucht die Stadt ein neues Geschäftsmodell. Mit einem Masterplan soll der jetzt gefunden werden.

12 Kontaktlos zahlen Die Technik exis-tiert seit Jahren, spielt aber bislang kaum eine Rolle: Warum Finanzinsti-tute und Einzelhändler glauben, dass sich der Einsatz von Funkchips in Girokarten jetzt durchsetzen wird.

9Arbeitszeit Fünf Stunden am Tag sind genug, findet der Chef einer IT-Agentur

PERSONEN- UND FIRMENINDEXUNTERNEHMEN3M ...................................................................... 10, 11ABB ..........................................................................13Airbnb .................................................................. 8, 19Amazon ........................................................ 16, 17, 19Andreessen Horowitz ................................................8Apple ...................................................7, 12, 16, 17, 19Arthur D. Little .................................................. 16, 17Bauhaus ............................................................. 10, 11Bayer ........................................................ 3, 10, 11, 24BMW ...................................................................... 3, 6Canon ................................................................ 10, 11Codeatelier ........................................................ 16, 17Daimler ............................................................ 3, 6, 13DB Schenker Art ......................................................14Delivery Hero ..........................................................23Deutsche Bahn ...........................10, 11, 14, 16, 17, 21Deutsche Bank .................................................. 10, 11Deutsche Post ...................................................... 3, 24Deutsche Telekom ..............................3, 16, 17, 18, 21Ebay ................................................................... 10, 11Edeka .......................................................................23Ergo .................................................................... 16, 17Evonik ............................................................ 3, 10, 11Facebook ..............................................7, 8, 16, 17, 19Fanuc .......................................................................13Fastems ....................................................................13Faun Umwelttechnik ................................................6Ford ............................................................................6Fressnapf ........................................................... 10, 11Glase Fintech ...........................................................12Google ...................................................... 3, 16, 17, 19Grohe ................................................................. 16, 17Groupon ....................................................................8Hasenkamp .............................................................14Henkel .................................................................. 3, 20HSBC Deutschland .................................................24Huawei ............................................................... 16, 17Hyundai .....................................................................6IOX ...........................................................................20Irobot ................................................................. 16, 17Ista ..................................................................... 16, 17Jagenberg ........................................................... 10, 11Kaiser’s Tengelmann ...............................................23Karstadt ............................................................. 10, 11Kettelhack Riker ........................................................7Kik ............................................................................23Kirchhoff ....................................................................6Kleinewefers ...................................................... 10, 11KLM..........................................................................14Lanxess .............................................................. 10, 11LEG Immobilien ................................................ 16, 17Mannesmann ..........................................................18Märkisches Werk .....................................................13Mastercard ...............................................................12McKinsey ........................................................... 13, 23Mercedes-Benz Herbrand ................................ 10, 11Metro .......................................................................20

Miele .................................................................. 16, 17Monsanto ................................................................24Nest Labs ........................................................... 16, 17Nestlé .......................................................................23Netatmo ............................................................. 16, 17Netflix ................................................................ 16, 17Nokia .................................................................. 16, 17NRW.Bank ................................................................23Obi ...........................................................................23Osram ................................................................ 16, 17Outcast Communications ........................................8Outokumpu Nirosta .......................................... 10, 11 Panasonic ..................................................................6Philips ................................................................ 16, 17Plus ..........................................................................23Pneumotec ..............................................................13Prognos ......................................................................3Rewe ...........................................................................3Rheingans Digital Enabler ........................................9Rheinmetall ................................................... 3, 10, 11Salesforce ...................................................................8Schulhoff Haustechnik ...........................................24Siemens ....................................................... 10, 11, 22Siempelkamp .................................................... 10, 11Signa .................................................................. 10, 11Sky Deutschland ............................................... 16, 17SMP .................................................................... 16, 17Sparkasse Krefeld .............................................. 10, 11Spotify ................................................................ 16, 17Sprint .......................................................................18Streetscooter ....................................................... 3, 24Techstars ..................................................................20Telefónica Deutschland .................................... 16, 17Tengelmann .............................................................23Thyssenkrupp................................................ 3, 10, 11Toyota ........................................................................6Twitter .................................................................... 3, 8Uber .........................................................................19Unitymedia .................................................. 16, 17, 18Vattenfall .................................................................21Vodafone ...........................................16, 17, 18, 20, 24Volkswagen ................................................................3Vorwerk .............................................................. 16, 17Wirecard Card Solutions .........................................12XCMG Europe .................................................... 10, 11Zalando ....................................................................23

NAMENAndreessen, Marc ......................................................8Arbeiter, Dirk ...........................................................14Armutat, Sascha ........................................................9Banovetz, John ..........................................................7Bär, Dorothee ..........................................................21Bavaj, Paolo .............................................................20Becker, Johannes .....................................................19Bell, Andreas ............................................................20Benko, René ....................................................... 10, 11Brandt, Walter.................................................... 10, 11Buhr, Thomas de .......................................................3Bylen, Hans Van.........................................................3Cook, Tim .......................................................... 16, 17Czermin, Hans Martin ...................................... 16, 17Doll, Julia .................................................................20Dudek, Sylvia ...........................................................20Dudenhöffer, Ferdinand ...........................................6Einstein, Albert ..........................................................1Fechner, Hans.................................................... 10, 11Fettweis, Gerhard .............................................. 16, 17Finette, Pascal ...........................................................3Fröhlich, Klaus ..........................................................6Gardini, Marco ..........................................................1Gerpott, Torsten ......................................................18Grün, Christiane........................................................7Grzimek, Bernhard............................................ 10, 11Güllmann, Peter ......................................................23Hammerstein, Rolf ..................................................13Haub, Christian .......................................................23Haub, Karl-Erivan ...................................................23Heinemann, Gerrit ............................................ 10, 11Heinen-Esser, Ursula ..............................................24Heinig, Jost-Stefan ..................................................23Heise, Stephanie......................................................12Hessling, Heinz .......................................................24Hessling, Martina ....................................................24Hofmann, Benjamin-Novalis .................................24Horowitz, Ben ............................................................8Höttges, Tim ............................................................18Hübinger, Peter ................................................. 16, 17Jacobfeuerborn, Bruno .............................................3Jarass, Lorenz ..........................................................19Jauch, Günther .................................................. 10, 11Jeschke, Sabina ........................................................21Jobs, Steve ..................................................................1Kampker, Achim ......................................................24Kerkeling, Hape ................................................. 10, 11Kirchhoff, Johannes ..................................................6Kleist, Heinrich von ................................................22Kress, Rahmyn ...........................................................3Kulenkampff, Hans-Joachim ............................ 10, 11Kullmann, Stefan .......................................................3Laschet, Armin ........................................................24Legere, John .............................................................18Liefers, Jan Josef ................................................ 10, 11Lind, Hera ..................................................................7Lindner, Christian ...................................................24

Linssen, Helmut ......................................................24Loriot .......................................................................20Lunde Larsen, Esben...............................................24Magel, Stefan .............................................................3Maske, Henry .................................................... 10, 11Merkel, Angela .........................................................19Merkes, Christian ....................................................14Merkes, Rolf .............................................................14Mies van der Rohe, Ludwig............................... 10, 11Nemat, Claudia ....................................... 3, 16, 17, 21Neuer, Manuel ................................................... 10, 11Östberg, Niklas ........................................................23Pinkwart, Andreas .....................................................6Preen, Eckart ..................................................... 10, 11Rheingans, Lasse .......................................................9Robinius, Martin .......................................................6Roos, Birgit ........................................................ 10, 11Rüter, Horst .............................................................12Saint-Exupéry, Antoine de ......................................20Samwer, Oliver ........................................................23Schäfer, Wolfgang .............................................. 10, 11Scheel, Walter .................................................... 10, 11Schmettow, Carola Gräfin vonSchön, Helmut .................................................. 10, 11Schouten, Carola .....................................................24Schulhoff-Wilmes, Esther .......................................24Schulze, Svenja ........................................................24Schulze Föcking, Christina ......................... 16, 17, 24Seidel, Axel ................................................................3Stegmann, Sebastian ..............................................15Stelter, Bernd ...........................................................20Südekum, Jens .........................................................19Summa, Harald ................................................. 16, 17Thelen, Frank ..........................................................21Thürmer, Christine .................................................22Toeller, Torsten .................................................. 10, 11Trump, Donald ..........................................................7Uyttenhoven, Alain ...................................................6Vandieken, Marcel ............................................ 16, 17Verne, Jules ................................................................6Wapnewski, Peter ....................................................22Weintritt, Holger .......................................................3Wennmachers, Margit ..............................................8Winter, Christian .....................................................23Wössner, Dirk .................................................... 16, 17Zahn, Patrick ...........................................................23Zuckerberg, Mark ....................................................19

22Aussteigerin Eine Ex-Managerin wandert Tausende Kilometer über vier Kontinente

STRATEGIEUNTERNEHMEN

13 Industrie 4.0 Bei Fastems am Nieder-rhein sprechen sie die Sprache der Roboter: Der Automatisierungs-spezialist vernetzt die Fabriken von Konzernen wie Daimler – und macht sie damit fit für den internationalen Wettbewerb.

14 Kunstlogistik Er verhandelt mit mürrischen Beamten am kambod-schanischen Zoll und reist durch Taliban-Land: Ein Düsseldorfer Spedi-teur transportiert Skulpturen und Gemälde rund um den Globus.

15 Büroklima Zufriedene Mitarbeiter sind produktiver und bleiben ihrem Arbeitgeber länger treu. Aber wie schafft man die richtige Atmosphäre?

16 Smarthome Schon bald werden wir mit unseren Häusern reden, sie werden auf uns aufpassen und unsere Krankenpfleger sein: Ein Blick in die Zukunft des Wohnens.

18 Telekommunikation Zwei Milliarden-zukäufe verschieben die Gewichte in der Branche. Gut für Düsseldorf, schlecht für Bonn.

19 Digitalsteuer Facebook und Google sollen mehr Steuern zahlen. Mit einer Sonderabgabe will die EU den Inter-netriesen beikommen. Doch der Plan hat Tücken – für Deutschland.

20 Accelerator-Programme Wenn sich Konzerne mit Start-ups zusammen-tun, können beide Seiten profitieren – vorausgesetzt, sie lassen sich auf die Kultur des anderen ein.

3 F&E Sie sorgen dafür, dass die Produktpipeline niemals leerläuft: die Forschungsabteilungen von Konzernen wie Bayer und Evonik. Ein Blick in die Labore nord-rhein-westfälischer Unternehmen.

4 Poster Mit Amazon, Alphabet und Intel stehen im Ranking der inno- vativsten Konzerne weltweit Namen aus den USA vorn. Dennoch sind die Forschungsbedingungen in anderen Ländern besser, wie unsere große Infografik zeigt.

6 Brennstoffzelle Ein Autozulieferer aus dem Sauerland setzt auf Fahrzeuge, die mit Wasserstoff angetrieben werden. Und steht damit ziemlich allein. Denn bei den großen deut-schen Autobauern fristet das Thema nur ein Nischendasein.

7 3M Christiane Grün leitet das Deutschlandgeschäft eines der inno-vativsten Unternehmen überhaupt: ein Gespräch über das Rezept für Kreativität und die Rolle von Frauen im Berufsleben.

8 Porträt Sie stammt aus einem Dorf in NRW und ist eine der einflussreichs-ten Personen im Silicon Valley: Margit Wennmachers hat maßgeblich zum Aufstieg von Unternehmen wie Salesforce beigetragen.

21 Porträt Technik ist Frauensache: Die Physikerin Sabina Jeschke bringt der Bahn den digitalen Wandel bei.

22 Aussteigerin Sie war eine harte Firmensaniererin, dann fand sie ihr Glück im Wandern: Christina Thürmer über das Leben im Hier und Jetzt.

23 Tengelmann Das Verschwinden von Karl-Erivan Haub trifft die Eigentümer des Handelskonzerns hart. Wie es bei den Mülheimern weitergeht.

24 Wir in NRW Wirtschaften heißt immer auch Netzwerken, Tag und Nacht. Unsere Bildergalerie ist der Beweis.

IMPRESSUMHerausgeber Dr. Karl Hans Arnold, Dr. Manfred Droste, Florian Merz-Betz, Irene Wenderoth-Alt

Geschäftsführung Johannes Werle, Patrick Ludwig, Hans Peter Bork, Tom Bender (verantwortl. Anzeigen)

Chefredakteur Michael Bröcker

Stellv. Chefredakteure Horst Thoren, Stefan Weigel

Redaktion Antje Höning (Leitung), Reinhard Kowalew-sky, Birgit Marschall, Maximilian Plück, Mi-lena Reimann, Florian Rinke, Georg Winters

Konzeption Volker Kühn

Layout Malte Knaack, Kamila Ramezani

Grafik Andreas Mohrmann, Benedikt Grotjahn

Lektorat Minke Zimmermann

Anzeigen Melanie von Hehl Verkauf: Jana Steinig, 0211 505 2430, [email protected]

Verlag Rheinische Post Verlagsgesellschaft mbH Pressehaus, Zülpicher Straße 10, 40196 Düsseldorf Telefon 0211/5050 I Telefax 0211/5052575 [email protected]

Druck Rheinisch-Bergische Druckerei GmbH & Co. KG Zülpicher Straße 10, 40196 Düsseldorf

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14Kunstlogistik Warum der Transport von Gemälden ein echtes Abenteuer ist

6Brennstoffzelle

Verpassen deut-sche Hersteller

den Antrieb der Zukunft?

Mithilfe künstlicher Intelligenz geht dasWas Sabina Jeschke mit der Deutschen Bahn vorhat: Seite 7

Page 3: Erfindungen in Serie: WIRTSCHAFT - rp-media.de · Unter „ferner liefen“ Ausgaben für Forschung und Entwicklung 2016 in % des Bruttoinlandsprodukts* Hochschulen Wirtschaft Staat

Unter „ferner liefen“Ausgaben für Forschung und Entwicklung 2016 in % des Bruttoinlandsprodukts*

WirtschaftHochschulenStaat u. private Institutionen ohne Erwerbszweck

* BIP Stand: März 2018;Quelle: DestatisSachsen-Anhalt

Schlesw.-Holst.

Saarland

Brandenburg

Meckl.-Vorp.

Nordrhein-Westfalen

Thüringen

Hamburg

Rheinland-Pfalz

Sachsen

Bremen

Hessen

Bayern

Niedersachsen

Berlin

Baden-Württemberg 4,92

3,49

3,31

3,17

2,88

2,84

2,71

2,44

2,22

2,05

1,98

1,85

1,73

1,55

1,49

1,46

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RHEINISCHE POST | WIRTSCHAFT NR. 10 | JUNI 2018 | SEITE 3

Patentierter Erfolg

Wenige Konzerne melden so viele Erfindungen an wie 3M. Woher diese Kreativität kommt.

SEITE 7

Unternehmen

VON REINHARD KOWALEWSKY

W o hinkt Nordrhein-Westfalen den wirtschaftlich führenden Ländern Bayern und Baden-Württemberg am weitesten hinterher? Bei den

Ausgaben für Forschung und Entwicklung. Die hiesigen Unternehmen investieren auf diesem Feld deutlich weniger – auch weil die traditionell innovative Autoindustrie in NRW nicht so stark ist. Und deshalb mahnt Axel Seidel, Leiter des Forschungsinstituts Pro-gnos in NRW: „Bei Ausgaben des Staates für Forschung und Entwicklung steht das Land gut da. Aber die privaten Unternehmen müs-sen mehr in Zukunftsprojekte stecken.“

Doch es gibt auch eine andere Art, diese Geschichte zu erzählen. Denn eine ganze Rei-he prominenter NRW-Unternehmen wider-legt den Trend.

Da wäre etwa die Post, die als weltweit füh-render Logistikkonzern in einem Forschungs-zentrum bei Troisdorf neue Ideen entwickelt. Das Spektrum reicht vom Transport per Drohne über Paketbriefkästen bis zu Roboter-rollwagen, die dem Briefträger auf seiner Tour folgen. In ihrem wohl wichtigsten Innovati-onsprojekt hat sich die Post mit einem Start-up in Aachen zusammengetan: Der Elektro-lieferwagen Streetscooter ist so begehrt, dass nun eine zweite Produktionslinie in Düren hochgezogen wird. In Großbritannien soll künftig sogar Milch per Streetscooter ausge-liefert werden. „Geht nicht, gibt’s nicht“, heißt es im Konzern.

Doch während die Post als Dienstleistungs-konzern nicht einmal ein Prozent des Umsat-zes in F&E steckt, spielt Bayer aus Leverkusen in einer ganz anderen Liga. Zehn Prozent des Umsatzes investiert der Konzern in neue Pro-dukte – da kommen selbst Autobauer nicht mit. Noch beeindruckender ist die absolute Summe: Bayer gab 2017 fast fünf Milliarden Euro für das Erforschen und Entwickeln neu-er Medikamente aus.

Im Zentrum stehen die Arbeiten im Wup-pertaler Forschungszentrum Aprath mit 1400 exzellent bezahlten Wissenschaftlern, die sich auf Mittel gegen Herz-Kreislauf-Er-krankungen spezialisiert haben. Auch der Gerinnungshemmer Xarelto als wichtigster Blockbuster von Bayer wurde in der Denk-, Ideen- und Innovationsfabrik in Wuppertal entwickelt. Das zahlt sich aus: Xarelto bringt einen Jahresumsatz von rund drei Milliarden Euro. Im nächsten Schritt helfen Screenin-groboter, neue Wirkstoffe zu identifizieren. In kleinen Versuchsreihen werden die Mittel ausprobiert. Im Ergebnis rechnet der Wup-pertaler Standortleiter Holger Weintritt mit vielen weiteren Erfolgen: „Wir verfügen in al-len klinischen Entwicklungsphasen über eine große Zahl an Arzneimittelkandidaten.“

Auf jeweils sehr spezifische Innovationen setzen die Deutsche Telekom, Thyssenkrupp, Rheinmetall, Henkel und Evonik. Die Tele-kom investiert rund 300 Millionen Euro für neue Entwicklungen. Innovationsvorstand Claudia Nemat will insbesondere die globa-len Mobilfunknetze auf den neuen Standard 5G vorbereiten und die Datenzentren vor Ha-ckerangriffen schützen.

Thyssenkrupp investiert als großer Auto-zulieferer traditionell viel in die Technologie- entwicklung. Daneben glänzt die Aufzugs-parte mit der Erfindung eines seillosen Lifts – auch wenn der Testturm dafür nicht in NRW, sondern in Baden-Württemberg steht.

Rheinmetall gibt 224 Millionen Euro für Forschung und Entwicklung per annum aus – denn sowohl als Autozulieferer wie auch als Rüstungsanbieter hat das Unternehmen ohne modernste Technologien keine Chance.

Dies sieht auch Henkel-Vorstandschef Hans Van Bylen so. Um sich dem Preisverfall bei vielen Konsumgütern entgegenzustellen, soll das Innovationstempo der Düsseldorfer weiter steigen. Schon bisher kommt fast die Hälfte des Umsatzes bei Waschmitteln und Schönheitsmitteln aus nur drei Jahre alten

Entwicklungen. Jetzt sollen weitere Ideen den Verkauf ankurbeln. 19.000 Kunden ha-ben schon den Persil-Service abonniert. Da werden Hemden abgeholt und gereinigt zu-rückgebracht. Persil selbst wurde zu einer Produktfamilie mit vielen Varianten weiter-entwickelt – für dunkle Wäsche gibt es mit Persil Black-Gel ebenso eine Variation wie für sehr feine Wäsche.

Als neuesten Schritt baut der von einer Beratungsfirma abgeworbene Digitalchef Rahmyn Kress ein Netzwerk mit mehr als 100 Partnern auf, um digitale Ideen anzusaugen. Experten wie der Rewe-Bereichsvorstand Ste-fan Magel oder der frühere Twitter-Manager Thomas de Buhr geben Ratschläge, wie mit digitaler Vernetzung neue Dienstleistungen entstehen können. „So kann Henkel sich ganz neuen Welten öffnen“, lobt der Gründungs-experte Pascal Finette, ein früherer Goo- gle-Manager.

Ganz neue Wege geht auch Evonik. Der Spezialchemiekonzern aus Essen hat mit ei-nem Partner ein Verfahren entwickelt, um aus Algen statt aus Fischmehl wertvolle Ome-ga-3-Fettsäuren herzustellen. Das macht die Lachszucht künftig viel umweltfreundlicher. Selbst Greenpeace lobt das Projekt. In Marl wird eine Anlage geplant, die überschüssiges Kohlendioxid aus der Atmosphäre zieht und es als Grundstoff für wertvolle Chemikali-en nutzt – Ökostrom soll dabei helfen. „Wir wollen zeigen, dass künstliche Fotosynthese möglich ist“, sagt ein Manager.

Und natürlich setzt Evonik auch auf digi-tale Ideen: Techniker sollen bei der Wartung von Anlagen durch Virtual-Reality-Brillen erfahren, welchen Arbeitsschritt sie am bes-ten als Nächstes machen sollten. Damit auch Privatkunden die vielen Substanzen wie ein Extrakt aus Blaubeeren kaufen können, baut Evonik einen digitalen Marktplatz auf. Vor-standschef Christian Kullmann ist zufrieden: „In unserer Branche ist Evonik bei der Digita-lisierung ganz vorn dabei.“

Das Bayer-For-schungszentrum in Wuppertal (gr. Bild) hat Blockbuster wie Xarelto entwickelt. Der Streetscooter (o. r.) ist das Ge-meinschaftswerk eines Start-ups und der Deutschen Post. Jüngst wurde eine zweite Fertigungslinie für den Elektrowagen aufgebaut. Evonik arbeitet an verbes-serten Methoden zur Lachszucht (Mitte) und das Haarlabor (u. l.) von Henkel an besseren Kosmetika. Bei der Telekom treiben Bruno Jacobfeuerborn und Claudia Nemat den Mobilfunk- standard 5G voran.

FORSCHERDRANG

Die Investitionen in F&E sind in Bundesländern mit einer starken Autoindustrie besonders hoch. Konzerne wie Daimler, BMW und Volkswagen pumpen Milliarden in neue Technologien. Entsprechend rangieren Baden-Württemberg, Niedersachsen und Bayern weit vorn im Länderranking. In NRW liegen zwar die öffentli-chen Ausgaben auf einem soliden Niveau, die der Unternehmen aber sind unterdurchschnittlich – von prominenten Ausnahmen abgesehen.

Labore des Westens

dpa

Auch wenn die nackten Zahlen ein

anderes Bild zu zeichnen scheinen: Nordrhein-Westfalens Entwicklungsabteilungen müssen sich nicht verstecken. Zwar sind die Forschungsausgaben anderer Ländern höher. Doch eine Reihe NRW-Konzerne entwickelt herausragende Produkte.

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Quelle: PwC: 2017 Global Innovation 1000 Study, Cornell University/INSEAD/WIPO: Global Innovation Index 2017

ContinentalHitachi LG Toshiba SAP Airbus Fiat Chrysler Ericsson Denso Amgen Panasonic Sony Abbvie Nissan Celgene BMW Boeing Nokia General Electric Bayer Bristol-Myers Squibb Exor

Qualcomm

Eli Lilly

Oracle

DaimlerFordPfizerGeneral MotorsToyotaNovartisAppleMerck & Co.

RocheMicrosoftVolkswagenSamsungIntelAlphabet

(Google)Amazon

Gilead Sciences

Sanofi

Siemens

IBM

Facebook

Honda

CiscoSystems

Astra-Zeneca

GlaxoSmithKline

Johnson & Johnson

16,09

11,8 %

13,95

15,5 % 21,5 %

12,74

7,6 % 5,3 %

12,1512,72

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11,3511,99

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5,89

5,9221,4 %

25,6 %

5,46

5,53

5,757,2 %

6,2 %

14,9 %

5,10

5,15

5,24

21,9 %

24,7 %

16,8 %

4,93 4,94 5,08

3,4 %25,4 %

10,0 %

4,63 4,66 4,79

4,0 %18,7 %

4,9 %

4,47 4,48 4,53

4,6 %13,0 %

39,8 %3,91 4,01 4,37 4,40

4,2 %17,0 %5,9 %5,9 %

3,49 3,67 3,84

16,7 %9,0 %14,2 %

3,21 3,21 3,36 3,46

3,0 %4,8 %13,8 %6,4 %2,90 3,03 3,10

6,7 %7,1 %3,5 %

Die Top-Elfaus Nordrhein-Westfalen

731. Lanxess0,14

(1,7 %)

777. Metro0,13

(0,2 %)

416. Covestro0,27

(2,2 %)

414. Rheinmetall0,27

(4,6 %)

399. RWE0,29

(0,6 %)

278. Evonik0,46

(3,4 %)

270. Thyssenkrupp0,47(1,1 %)

259. Henkel0,49

(2,5 %)

203. Hella0,69

(9,8 %)

Rang unter den weltweiten Top-1000

Ausgaben für F&E 2017 in Mrd. $

Anteil Forschung und Entwicklungam Gesamtumsatz 2017(%)

127. DeutscheTelekom

1,10(1,4 %)

30. Bayer4,93

(10,0 %)

1. Schweiz | 67,69

18. Kanada | 53,65

22. China | 52,54

7. Singapur | 58,69

14. Japan | 54,7211. Südkorea | 57,70

21. Neuseeland | 52,87

23. Australien | 52,87

4. USA | 61,40

2. Schweden 63,8

5. Großbritannien 60,9

6. Dänemark 58,7 8. Finnland 58,5

9. Deutschland 58,410. Irland 58,1

12. Luxemburg 56,4

13. Island 55,8

3. Niederlande 63,4

16. Hongkong 53,9

17. Israel 53,9

19. Norwegen 53,1

20. Österreich 53,1

25. Estland | 50,93

24. Tschechien 51,0

15. Frankreich 54,2

Unternehmen mit den höchsten Ausgaben für Forschung und Entwicklung 2017 in Mrd. US-Dollar

Anteil der Ausgaben für Forschung undEntwicklung amGesamtumsatz

Branche

Technologie/Elektronik

Automobil/Zulieferer

Pharma

Biotechnologie

Luftfahrt

sonstige

Top-50-UnternehmenAusgaben für Innovationen

RANG Land Wert

unter 127 untersuchten Ländern

auf einer Skala von 0 bis 100. Den höchsten Wert erreicht die Schweiz (67,69 Punkte), den niedrigsten Jemen (15,64).

Top-25-StaatenWeltweiter Innovationsindex 2017Die Studien

Die „Global Innovation 1000 Study“ des Wirtschaftsprüfers PwC listet jedes Jahr die 1000 börsennotierten Unternehmen mit den größten Budgets für Forschung und Entwicklung auf.

Der „Global Innovation Index“ ist eine Liste, auf der jährlich die Innovationsfähigkeit und -erfolge einzelner Länder dargestellt werden. Herausgeber sind die französische Business- School Insead, die Cornell Universiy (USA) und die UN-Organisation für geistiges Eigentum (WIPO).

Lippstadt

EssenDüsseldorf

LeverkusenKöln

BonnGeld schießt keine Tore, heißt es im Fußball. Und doch stehen in der Tabelle die Vereine oben, die am meisten in ihre Spieler investieren. Ähnlich verhält es sich in der Wirtschaft: Dort sind die Konzerne am erfolgreichsten, die den größten Etat für Forschung und Entwicklung haben — und zugleich aus Ländern kommen, in denen die Strukturen für Innovationen stimmen. Geld macht vielleicht nicht kreativer, aber es schafft ein Umfeld, in dem Erfindungen gedeihen und Produkte zur Marktreife kommen. Von Benedikt Grotjahn

Champions der Forschungswelt

RHEINISCHE POST | WIRTSCHAFT NR. 10JUNI 20184 | UNTERNEHMEN

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VON FLORIAN RINKE

Wenn bei den Spie-len 2020 in Tokio die Olympiasieger auf dem Treppchen ste-

hen, kann es gut sein, dass ihnen Teile alter Smartphones um den Hals baumeln. Denn Tokio will ein umweltfreundlicher Gast-geber sein, weshalb Bronze-, Silber- und Goldmedaillen aus recycelten Rohstoffen bestehen werden – gewonnen zum Beispiel aus Mobiltelefonen.

Aber die Medaillen sind natür-lich längst nicht alles. Auch die Energie soll bei Olympia aus sau-beren Quellen kommen. Hierzu-lande würde man an Windräder und Solaranlagen denken. Doch die Japaner setzen auf eine ande-re Technologie: Brennstoffzellen, die Wasserstoff in Strom umwan-deln. Sie werden nicht nur das olympische Dorf mit Energie ver-sorgen, sondern auch mehr als 100 Busse und Hunderte Autos antreiben. Auf diese Weise will Japan der Welt einen Weg in eine Zukunft ohne schmutzige Koh-lekraftwerke oder Dieselabgase weisen.

Der Traum vom sauberen An-trieb ist nicht neu. „Wasser ist die Kohle der Zukunft“, schrieb Jules Verne schon 1874. Brennstoffzel-lenbefürworter in aller Welt pre-digen fast mantraartig die Vor-züge dieser Technologie, deren wichtigster Rohstoff Wasser prak-

stark von chinesischen und ko-reanischen Unternehmen domi-niert. Zwar gibt es mit Panasonic auch einen japanischen Herstel-ler, mit dem Toyota kooperiert. Doch schon jetzt ist absehbar, dass der Konkurrenzkampf um die für die Zellproduktion be-nötigten Rohstoffe zunehmen dürfte, wenn auch in Europa und Amerika die Nachfrage nach E-Autos steigt.

Bei Kirchhoff im Sauerland ist man sicher: Der Wasserstoffan-trieb wird sich durchsetzen „Die Batterie allein wird für die Abbildung der Massenmobili-tät schwierig sein. Ich bin über-zeugt, dass wir 2030 nicht mehr über reine batteriebetriebene Fahrzeuge diskutieren werden“, sagt daher Johannes Kirchhoff, Chef der Umweltsparte der sau-erländischen Kirchhoff-Gruppe. Die Nachteile von E-Autos sind aus seiner Sicht offensichtlich: begrenzte Reichweite, schwere

und teure Batterien, endliche und teilweise nur schwer

zu beschaffende Roh-stoffe für die Pro-

duktion.Der Automo-

bilzulieferer aus Iserlohn setzt daher auf den Wa s s e r s t o f f -antrieb – mo-mentan spe-ziell bei seiner Tochter Faun, dem führenden

Hersteller von Müll- und Kehr-

fahrzeugen. Auf der Entsorgungs-

messe Ifat stellte das Unternehmen zuletzt

ein Konzept vor, bei dem ein Entsorgungsfahrzeug auf Basis eines Mercedes-Lkw mit Brennstoffzellentechnik ausge-stattet ist. „Mit batteriebetrie-benen Fahrzeugen können wir Tagestouren bestreiten, wenn die Sammelstellen in der Stadt sind“, sagt Kirchhoff: „Im Bayeri-schen Wald wären die Touren mit E-Fahrzeugen aber beispielswei-se schon nicht mehr möglich.“

Gleichzeitig wünschten sich Kunden wie Kommunen und private Entsorger emissionsfreie Fahrzeuge für den urbanen Be-reich. „Wenn wir als Anbieter überleben wollen, müssen wir uns also frühzeitig Gedanken machen, wie wir die Zukunft ge-stalten“, sagt Kirchhoff. Seit 2005 diskutiert man daher bereits über den Einsatz von Brennstoff-zellen – und schafft nun Fakten. Denn die großen deutschen Her-steller sind weiterhin sehr zu-rückhaltend.

BMW will nicht vor Anfang des nächsten Jahrzehnts eine Klein-serie mit Brennstoffzellenan-trieb auf den Markt bringen, vo-

raussichtlich nur in zweistelliger Stückzahl. Erst nach 2025 könnte der Antrieb in Serie gehen, heißt es im Unternehmen. „Was wir im Augenblick sehen, ist, dass sich der Anwendungsfall für Brenn-stoffzellen zu immer größeren Fahrzeugen verschiebt“, sagte zuletzt Entwicklungsvorstand Klaus Fröhlich. Grund sei die steigende Energiedichte von Bat-terien. „Wenn diese Entwicklung fortschreitet, liegt der Hauptein-satzzweck der Brennstoffzelle nur noch bei Nutzfahrzeugen, die wir nicht herstellen.“

Beim Rivalen Daimler sieht das anders aus. Er baut sehr wohl Lkw – doch auch in Stuttgart liegt der Fokus aktuell auf dem Elek-troantrieb. Daimler stellte zwar bereits 1994 einen Mercedes-Lie-ferwagen mit Wasserstofftanks vor, Serienfahrzeuge mit Brenn-stoffzelle gibt es jedoch bis heute nicht. In diesem Jahr soll es im-merhin eine Kleinserie des Mit-telklasse-SUV GLC geben.

Kirchhoff hat dafür sogar Ver-ständnis: „Natürlich haben wir mit den großen Herstellern ge-sprochen, aber für die werden manche Konzepte erst ab einer gewissen Größenordnung in-teressant. Wir gehen deswegen voran und versuchen, sie zu be-geistern, in die Produktion ein-zusteigen.“

Die Infrastruktur ist teuer. Doch ab einer gewissen Größenord-nung rechnet sich der AusbauDie Konkurrenz in Fernost scheint den Deutschen daher da-vonzuziehen. Toyota hat mit dem Mirai inzwischen ein eigenes Serienfahrzeug auf dem Markt und dabei erhebliches Wissen aufgebaut. „Der Konzern ist bei der Brennstoffzellentechnologie führend“, müssen selbst Mitar-beiter deutscher Konkurrenten zugeben.

Doch was ist, wenn sich die Strategen in den Chefetagen der deutschen Autobauer irren? Wis-senschaftler des Forschungszen-trums Jülich warnten zuletzt, es sei ein Fehler, sich allein auf die Elektromobilität und nicht zu-sätzlich auf die Brennstoffzelle zu konzentrieren: „Setzen wir alles auf nur eine Karte, dürfte es schwierig werden, das System umzustellen, wenn sich die Rah-menbedingungen verändern“, sagte Martin Robinius vom For-schungszentrum.

In einer Studie fanden die Wis-senschaftler heraus, dass der Auf-bau einer Ladeinfrastruktur für E-Autos kurzfristig günstiger ist – ab einer gewissen Marktdurch-dringung jedoch die Brennstoff-zelle vorn liege. Das wissen auch die deutschen Hersteller. Deswe-gen gehen die Experimente auch weiter. Zum Beispiel bei BMW – die Technologie kommt dafür von Toyota.

Die Brennstoffzelle gilt als Antrieb der Zukunft. Warum setzen deutsche Hersteller dann voll auf das Elektroauto?

Wasserstoffmarsch!tisch unerschöpflich zur Verfü-gung steht. Trotzdem setzen mit Ausnahme von Toyota oder auch Hyundai die meisten Autobauer vor allem auf die Elektromobili-tät – auch in Deutschland.

Verschläft die deutsche Auto-mobilindustrie etwa gerade den neusten Megatrend?

Nein, ist Autoexperte Ferdi-nand Dudenhöffer von der Uni Duisburg-Essen überzeugt: „Toyota setzt nur so stark auf die Brennstoffzelle, weil sie den Trend zum reinen Elektroauto verschlafen haben.“ Er bleibt skeptisch, was das Potenzial des Wasserstoffantriebs angeht. Aus demselben Grund wie viele an-dere Experten: Er sei zu teuer.

In Deutschland gibt es 43 Wasserstofftankstellen. Die Ausbauziele sind bescheidenIns gleiche Horn stößt Andreas Pinkwart: „Ich hatte schon vor zehn Jahren als Wissen-schaftsminister die Ehre, bei Ford in Köln ein Brennstoffzellen-fahrzeug Probe zu fah-ren – das sollte damals allerdings 300.000 Euro kosten“, sagt der heutige NRW-Wirtschaftsminister. Für die Landesregierung ist die Brennstoffzelle eine Tech-nologie, die grundsätzlich Sinn ergeben könnte. „Die Produkte müssen allerdings auch markt-fähig sein“, sagt Pinkwart.

Das Problem ist nicht nur, dass die Fahrzeuge mehr kosten als vergleichbare mit konventio-nellem Antrieb. Der Ausbau der Infrastruktur ist zudem deut-lich teurer und aufwendiger als etwa der für Elektroautos. Auch deshalb gibt es deutschlandweit momentan nur 43 Wasserstoff-tankstellen, bis Ende 2019 sollen es 100 sein.

Diese Argumente kennen sie natürlich auch in Japan, aber was ist ihre Alternative? Elek- troautos? Und woraus soll deren Strom gewonnen werden? Japan hat kaum eigene Ressourcen, Rohöl und Kohle müssen impor-tiert werden. Auch Atomenergie scheidet langfristig aus.

Für Toyota ist Tokio 2020 daher eine perfekte Gelegenheit. Denn der Autohersteller setzt seit Jah-ren auf den Wasserstoffantrieb und will die Spiele nutzen, um dafür zu werben – als bessere Al-ternative zu E-Autos. Auf kurzen Strecken ergäben die zwar Sinn, sagte Toyotas Deutschlandchef Alain Uyttenhoven zuletzt bei einer Veranstaltung im japani-schen Generalkonsulat in Düs-seldorf. „Auf langen Strecken und für schwere Lasten hat die Wasserstofftechnologie aber kla-re Vorteile.“

Hinzu kommt: Die Batterie-technologie wird mittlerweile

Zum Wohl! Der Plastikstrohhalm ist vermutlich das umweltschädlichste Objekt auf diesem Bild: Bei Fahrzeugen mit Brennstoffzellenantrieb kommt Wasserdampf aus dem Auspuff.

HOFFNUNG STRÄGER H 2

Der Toyota Mirai ist das erste in Großserie gefertigte Wasserstoff- auto. Reichweite: 500 Kilometer.

Den Mercedes GLC F-Cell baut Daimler seit dem vergangenen Jahr in kleiner Stückzahl.

Klare Aussichten Weltweite Produktion von Fahrzeugen mit Wasserstoffantrieb, Prognose in tsd.

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RHEINISCHE POST | WIRTSCHAFT NR. 10JUNI 20186 | UNTERNEHMEN

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VON ANTJE HÖNING

Christiane Grün war für den Technologiekon-zern 3M jahrelang an vielen Orten der Welt tä-

tig: in der Schweiz, in Österreich sowie in Großbritannien und Ir-land. Doch das Familienhaus in Klein Reken im Kreis Borken hat die 57-Jährige immer behalten. Jetzt kann sie es wieder regel-mäßig nutzen: Seit knapp einem Jahr führt die Münsterländerin die deutschsprachige Region des US-Konzerns.

Sie löste John Banovetz ab, der für 3M in die USA zurückging. Grün ist damit für 7300 Mitarbei-ter zuständig. Ihr Büro hat sie in der Zentrale in Neuss. „Ich freue mich sehr, dass ich nach vielen Jahren im Ausland wieder in mei-ne Heimat zurückkehren kann“, sagt Grün.

Diese Karriere war nicht ab-zusehen, als Grün Lebensmit-teltechnologie in Detmold und Lemgo studierte. Ihre erste Stelle trat sie als Laborantin beim Phar-mahersteller Kettelhack Riker an, einem westfälischen Famili-enunternehmen. „3M kam 1951 nach Deutschland, das Unter-nehmen war uns in Borken lange unbekannt“, erinnert sich Grün. Bis sich der Senior von Kettel-hack zurückzog und seine Fir-ma an die Amerikaner verkaufte. Da wurde vieles anders. Grün ging dorthin, wo der Konzern sie brauchte: erst in die Techno-logieentwicklung, dann in den kaufmännischen Bereich, zu-letzt als Managing Director nach Großbritannien und Irland. Bis das Unternehmen, das sich gern einen „Erfinderkonzern“ nennt, so innovativ war, eine Frau an die Spitze es Geschäfts in den deutschsprachigen Ländern zu stellen, dauert es aber noch bis zum vergangenen August. Dass ihre Mitarbeiter Job und Fami-lie gut miteinander verbinden können, ist Grün ein Anliegen, genauso wie die Förderung von Frauen. Bei aller Weltgewandt-heit ist die Managerin boden-ständig geblieben. Ihre liebste Freizeitbeschäftigung ist Jäten und Pflanzen im eigenen Garten. Auf dem Nachttisch liegt als Lek-türe gerade Hera Lind.

Frau Grün, was machen Sie an-ders als Ihr Vorgänger?Christiane Grün (lacht): Ich fand es zum Beispiel überflüs-sig, dass es für das Management eine eigene Kantine gab, obwohl dort an manchen Tagen nur eine Handvoll Manager aßen. Nun es-sen die Führungskräfte mit der Belegschaft in der Kantine. Das ist ein wichtiges Zeichen, und auf diese Weise erfährt man ganz nebenbei, was die Mitarbeiter beschäftigt.Deshalb sollen jetzt auch Ihre Auszubildenden dem Manage-ment erklären, wie die Digitali-sierung geht …Grün: Dieses „Reverse Mento-ring“ ist eine feine Sache. 40 Azu-bis werden den Führungskräften zeigen, wie Facebook geht, was man mit Instagram und Snap-chat alles machen kann und wie junge Leute arbeiten und ein-kaufen wollen. Ich bin gespannt.Wie gut ist 3M insgesamt bei der Digitalisierung aufgestellt?Grün: Wir haben hier richtig Fahrt aufgenommen. Es gibt bei uns immer mehr digitale Lösun-gen. Das hilft unseren Kunden, sich schnell und zuverlässig zu informieren. Und uns hilft es, auf Knopfdruck alle wichtigen Infor-mationen auf dem Bildschirm zu haben. Zugleich hält die Di-gitalisierung in die Produktion Einzug. Ein großes Thema ist hier zum Beispiel der 3-D-Druck. Wir haben eine Technologie zum Druck vollfluorierter Polymere entwickelt.Sie können Moleküle drucken?Grün: Ja, in gewisser Weise schon. Gerade sehr komplexe Strukturen aus Hochleistungs-kunststoffen wie PTFE können so mit Hilfe eines 3-D-Druckver-fahrens und auf Abruf, also Print-on-Demand, gefertigt werden.Viele fürchten, dass die Digita-lisierung Arbeitsplätze vernich-

Grün: Für uns war es immer wichtig, unabhängig von po-litischen Strömungen unsere Wertvorstellungen im Unter-nehmen umzusetzen, denn hier können wir konkret gestalten. Wir haben klare Regeln zu To-leranz und Vielfalt. Das war, ist und bleibt für uns oberste Pri-orität.

Sie haben in Großbritannien ge-arbeitet, als die Briten über den Brexit abstimmten. Haben Sie damit gerechnet?Grün: Wie viele haben auch wir geglaubt, dass es schon gut ge-hen wird. Es war eine Abstim-mung Jung gegen Alt, und viele Junge sind leider nicht zur Wahl gegangen. Uns ist es wichtig,

dass Genehmigungsverfahren in Zukunft nicht noch kompli-zierter werden. Wenn wir ne-ben den Genehmigungen der EU auch noch parallel die aus Großbritannien einholen müs-sen, dann könnte das langwie-riger werden. Wir werden in jedem Fall das Beste daraus ma-chen.

tet. Haben Sie Abbaupläne für die Region?Grün: Wir wollen die Zahl unse-rer Beschäftigten – aktuell 6700 in Deutschland – konstant hal-ten. An manchen Stellen fallen Arbeitsplätze weg, so haben wir jüngst zwei kleine Standorte ge-schlossen. Aber an anderer Stelle entstehen auch neue Arbeits-plätze.Wer bei 3M arbeitet, hat oft et-was erfunden. Worauf haben Sie ein Patent?Grün: Ich habe in jungen Jahren, als ich noch in der Entwicklung gearbeitet habe, ein Pflaster ent-wickelt, das Entzündungen hem-men kann. Der Inhaltsstoff war Flurbiprofen. Aber es nicht auf den Markt gekommen, weil an-dere Produkte vielversprechen-der waren.Was ist Ihr Lieblingsprodukt von 3M?Grün: Das ist unsere Hightech-flüssigkeit Novec, die als Feu-erlöschmittel eingesetzt wird, aber auch zur Direktkühlung von Batteriezellen. Sie sorgt durch ein verbessertes Wärme-management für mehr Leistung der Batterie. Novec ist seit vielen Jahren auf dem Markt, durch die steigende Zahl an Elektroautos wächst der Absatzmarkt.Wie weit ist 3M mit der Gleich-berechtigung?Grün: Im oberen Management der DACH-Region von 3M sind 23 Prozent der Stellen von Frauen besetzt. Das ist für einen Techno-logiekonzern ganz ordentlich.Nun arbeiten wir daran, auch den Anteil der Frauen im mitt-leren Management zu erhöhen. Was raten Sie jungen Frauen?Grün: Trauen Sie sich mehr zu! Und wenn Sie Familie haben: Haben Sie nicht den Anspruch, überall perfekt zu sein. Gerade hier, bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, sind auch die Unternehmen gefordert.Was bietet 3M?Grün: Verschiedene Arbeitszeit-modelle, einen Betriebskinder-garten, Homeoffice-Tage und Telearbeit. Ein Familienservice unterstützt bei Fragen rund um die Kinderbetreuung oder die Pflege von Angehörigen. Wir stellen unseren Mitarbeitern 15 Prozent der Arbeitszeit zur freien Verfügung. Das hilft auch, neue Ideen zu entwickeln.In Neuss geht es voran. In der Politik scheint sich vieles zu-rückzuentwickeln. Was sa-gen Sie zur Handelspolitik des US-Präsidenten?Grün: Als Unternehmen, das ei-nen Großteil seiner Produkte ins Ausland exportiert, wissen wir den Wert des freien Handels zu schätzen.Apple und Co. beziehen deutlich Stellung gegen Trumps Han-dels- und Einwanderungspoli-tik. Warum tut 3M das nicht?

Der Technologiekon-zern 3M produziert Erfindungen in Serie. Deutschlandchefin Christiane Grün verrät ihr Rezept für Kreativität und gibt Frauen im Beruf einen wichtigen Rat.

„Trauen Sie sich mehr zu!“

DIE PATENTKÖNIGE

3M wurde 1902 in Minnesota unter dem Namen Minnesota Mining and Manufacturing als Hersteller von Schleifpapier gegründet. Heute ist 3M mit mehr als 90.000 Mitarbei-tern in 200 Ländern vertreten und erzielt einen Jahresumsatz von gut 30 Milliarden Dollar. 3M hält über 25.000 Patente und macht rund ein Drittel seines Umsatzes mit Produkten, die weniger als fünf Jahre auf dem Markt sind. Zu den Marken gehören Post-it, Scotch-Brite und Nexcare.

In der DACH-Region (Deutsch-land/Österreich/Schweiz) beschäf-tigt 3M rund 7300 Mitarbeiter, die zuletzt einen Umsatz von 2,9 Milliarden Euro erwirtschafteten. Der Hauptsitz wurde 1973 von Düs-seldorf nach Neuss verlegt, hier sitzt auch das größte europäische Forschungszentrum. Die Werke Hilden und Kamen liefern unter an-derem reflektierende Materialien, Schleifmittel und Medizinproduk-te. In Meerbusch werden Hochleis-tungsschleifmittel entwickelt und produziert. Jüchen beheimatet das europäische Logistikzentrum des Unternehmens.

Die erste Frau an der Spitze: Christiane Grün leitet bei 3M das Geschäft in den deutschsprachigen Ländern. Ihre Karriere begann die 57-Jährige als Pharmalaborantin.

RHEINISCHE POST | WIRTSCHAFT NR. 10JUNI 2018 UNTERNEHMEN | 7

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Laif

VON FLORIAN RINKE

Irgendwo zwischen Brüxgen und der Bay Area ist etwas mit Margit Wennmachers passiert. Denn natürlich hätte ihre Ge-schichte auch einen ganz anderen Ver-

lauf nehmen können, das weiß die 53-Jährige selbst. „Meine ganze Biografie ist ein Zufalls- produkt. Es haben sich immer wieder Chan-cen ergeben, die ich ergriffen habe“, sagte sie mal. Und so wurde aus der Tochter eines Landwirts im äußersten Westen von Nord-rhein-Westfalen eine der einflussreichsten Frauen im Tech-Mekka Silicon Valley.

Wennmachers arbeitet für Andreessen Ho-rowitz, eine der berühmtesten Investmentfir-men aus dem Silicon Valley. Die Firma liegt an der legendären Sand Hill Road, dort, wo aus vielen Träumen Unternehmen werden. Andreessen Horowitz half beim Aufbau des Kurznachrichtendienstes Twitter, des Gut-scheinportals Groupon oder der Wohnungs-plattform Airbnb – und investierte auch in das soziale Netzwerk Facebook. Mit dem Geld und den Kontakten von Andreessen Horowitz werden Unternehmen geschaffen, die nicht weniger wollen, als die Welt zu verändern.

Und mittendrin: die gebürtige Deutsche aus dem Kreis Heinsberg.

Wenn sie von der Digitalisierung spricht, von den Chancen durch neue Technologien, dann spürt man: Das sind nicht nur PhrasenDie Geschichte von Margit Wennmachers beginnt in Gangelt-Brüxgen, einem kleinen Örtchen nahe der niederländischen Grenze. Es gibt hier nicht viel, ein Naturschutzgebiet in der Nähe des Saeffeler Bachs, überhaupt reichlich Natur, Start-ups dagegen weniger. Und während in Margit Wennmachers neu-er Heimat, dem kalifornischen San Fran-cisco, mehr als 7000 Einwohner auf einem

Margit Wennmachers wuchs als Tochter eines Schweinebauern in einem kleinen Dorf an der niederländischen Grenze auf. Heute gehört sie zu den einflussreichsten Frauen im Silicon Valley. Wie hat sie das gemacht?

Die Brückenbauerin

STILPRÄGEND

Barfuß in Flower-Pow-er-Hose vor der Golden Gate Bridge: Margit Wennmachers ist längst von ihrer neuen Heimat Kalifornien geprägt – das zeigt sich in ihrem Kleidungsstil ebenso wie in ihrem Akzent. Doch auch sie hat der Region ihren Stempel auf-gedrückt: Die heute 53-Jährige gilt als Erfinde-rin des Silicon-Valley- Mythos. Als Chefin einer PR-Agentur trug sie maß-geblich zum sympathi-schen Image zahlreicher Start-ups bei.

leinerziehende Mutter zu edlen Sechs-Gän-ge-Menüs zu sich nach Hause ein, wo sich dann eine handverlesene Gästerunde diskret austauschen kann, unter ihnen Geschäfts-führer und millionenschwere Investoren. Smartphones oder Tablets müssen vorher mit der Jacke abgegeben werden. Dieses Talent, verriet sie mal dem „Manager Maga-zin“, habe sie sich antrainieren müssen: „Ich bin eigentlich introvertiert, aber als Mauer-blümchen kommst du in diesem Land nicht weiter.“

Und andererseits ist sie gleichzeitig eine erfolgreiche Gründerin. Denn die von ihr mitgegründete PR-Agentur wurde 2005 für zehn Millionen US-Dollar von einem briti-schen Kommunikationskonzern gekauft.

Drei Jahre später begann nach dem Leben in Deutschland und dem Leben als PR-Be-raterin das dritte Leben von Margit Wenn-machers: 2008 traf sie Marc Andreessen und Ben Horowitz in einem Café in Palo Alto. Die beiden waren damals auf der Suche nach ei-ner PR-Agentur, um für ihren neuen Fonds die Werbetrommel zu rühren. Denn mitten in der Finanzkrise wollten sie von Investoren 300 Millionen Dollar einsammeln – und sich endgültig neben den großen Wagniskapital-gebern im Silicon Valley einen Namen ma-chen. Wennmachers half.

Der Rest ist Geschichte. 2010 stieg sie bei dem Risikokapitalgeber Andreessen Horo-witz als Partnerin ein. Ein Investment in den Videotelefoniedienst Skype wurde zum Er-folg, später kamen Beteiligungen unter an-derem an Facebook und Twitter hinzu. Und parallel arbeitete Wennmachers an der Mar-ke des Venture-Capital-Gebers. Die Gründer traten in den Medien als Techexperten auf, kommunizierten und wirkten damit so ganz anders als die verschwiegene Konkurrenz.

Man sei anders als die Konkurrenz, sagte sie mal. „Wir halten die Augen auf nach al-lem, was ein bisschen neben der Spur ist“, beschrieb sie den Fokus der Firma mal im „Handelsblatt“. Man suche nach dem Uner-warteten. Dabei investiert man gern in Fir-men in der Frühphase, also in Seed-Runden oder Series A. Da ist das Risiko zu scheitern, noch besonders hoch – allerdings gleichzei-tig auch die Aussicht auf Gewinn.

Margit Wennmachers hat daher eine Stra-tegie entwickelt, um die guten Gründer von den Möchtegern-Machern zu unterschei-den. Bevor sie in ein Start-up investiere, erzählte Wennmachers mal, stelle sie eine entscheidende Frage: „Wie hoch ist der Preis, zu dem Sie verkaufen würden?“ Es ist eine Fangfrage, denn nennen die Gründer eine Summe, zeigen sie damit aus Sicht der ge-bürtigen Deutschen, dass es ihnen nicht in erster Linie um das Produkt geht, sondern darum, Geld zu verdienen. Wer falsch ant-wortet, verspielt seine Chance.

Margit Wennmachers hat ihre ergriffen.

Das Land passt zu meinen

AmbitionenMargit Wennmachers

über die Gründe, ihr Glück in Amerika zu suchen

Quadratkilometer leben, sind es im ge-samten Ortsteil Brüxgen gerade einmal knapp 500.

Ihr Vater war Landwirt, ein Schwei-nebauer, weil das mit dem Pilzezüch-ten nicht geklappt hat. „Die Stadt ist so klein, dass die Telefonnummer meines Vaters aus drei Ziffern bestand“, erzählte sie mal dem „San Francisco Chronicle“ scherzhaft. „Jetzt hat sie vier.“

Wennmachers lebte das normale Le-ben eines Mädchens vom Dorf, ging zur Schule, traf sich mit Freundinnen – und machte 1984 am Gymnasium St. Ursula im nahe gelegenen Geilenkirchen ihr Abi- tur. Die Abschlussnote war nicht son-derlich spektakulär, aber sie reichte, um im zweieinhalb Autostunden ent-fernten Lippstadt einen Studienplatz zu ergattern. In Ostwestfalen studierte sie gemeinsam mit ihrer besten Freundin Fremdsprachen. Sie hatte ein Talent da-für.

Wer sie heute reden hört, kann ihre deutschen Wurzeln nur mit Mühe erah-nen. Die langen Jahre in den Vereinigten Staaten haben sich nicht nur in ihrem Akzent bemerkbar gemacht, sondern auch einige deutsche Vokabeln aus ih-rem Gedächtnis getilgt. Besucher der Di-gitalkonferenz DLD in Deutschland be-grüßte sie vor einiger Zeit aber trotzdem mit einem Lächeln und einem „Grüß Gott“. Dennoch spricht Margit Wennma-chers lieber Englisch als Deutsch. Aber ist das ein Wunder? Inzwischen lebt die 53-Jährige länger in ihrer neuen als in ih-rer alten Heimat.

Dass sie 1991 in die USA ausgewandert ist, bezeichnet sie rückblickend als ihre wichtigste Entscheidung. „In Deutsch-land hätte ich nicht die Möglichkeit

gehabt, meinen eigenen Weg zu gehen und unabhängig zu werden. Das Land passt zu meinen Ambitionen“, sagte Wennmachers mal in einem Interview. Das Land der unbe-grenzten Möglichkeiten hat sich für die Frau aus NRW tatsächlich als solches erwiesen. Und so spricht sie nicht nur wie eine Ame-rikanerin, sondern tickt auch so. Wer ihr zu-hört, wie sie über die Digitalisierung redet, über die Chancen durch neue Technologien, der merkt, dass die PR-Expertin hier nicht nur Phrasen drischt.

Wobei – würde man es wirklich merken? Immerhin versteht es kaum jemand so gut wie Wennmachers, Geschichten zu erzählen. Sie gilt als Erfinderin des Silicon-Valley-My-thos, weil sie Gründern mit ihrer Kommuni-kationsagentur dabei half, sich ein sympa-thisches Image zuzulegen.

Eine gute Geschäftsidee allein reicht nicht, glaubt Wennmachers. Man muss eine Geschichte erzählen. Darin ist sie perfekt1997 gründete sie ihre Firma, deren Name das Selbstverständnis ihrer Arbeit auf den Punkt brachte: Outcast Communications. Damals existierte das Silicon Valley zwar be-reits, aber es hatte längst nicht diesen magi-schen Ruf, den es heute genießt. Outcasts, Ausgestoßene, das waren die Nerds, die Wennmachers beriet, die lange keiner ernst nahm. Wennmachers tat es – und half ihnen dabei, eine Geschichte um ihre Idee herum zu entwickeln.

Denn die gebürtige Deutsche wusste: Eine gute Idee konnte aus ein paar Codezeilen bestehen, doch für ein gutes Unternehmen, das vielleicht gar Investoren an der Bör-se überzeugen sollte, brauchte es mehr. So wurde Outcast Communications zu einer der einflussreichsten Stimmen der Techbranche, das Unternehmen begleitete unter ande-rem den Cloudsoftwareanbieter Salesforce bei seinem Aufstieg – und Wennmachers Co-Gründerin wurde später Kommunikati-onschefin bei Facebook.

Im Laufe der Zeit wurde die gebürtige Deutsche so immer mehr zur Start-up-Ex-pertin. Das Wissen eignete sie sich über den Job an – und manchmal half auch der Zufall. Ihr technisches Know-how, verriet sie ein-mal, habe sie von ihrem ersten Freund ver-mittelt bekommen, einem amerikanischen Ingenieur. Dieser habe ihr die Computerar-chitektur erklärt. Jungen Frauen rät sie trotz-dem, sich frühzeitig mit technischen Beru-fen auseinanderzusetzen, sich ein Netzwerk aufzubauen. Nur so lässt sich aus ihrer Sicht der Frauenanteil in der männerdominierten Techbranche steigern.

Sie selbst kann für viele junge Frauen da-bei zum Vorbild taugen. Denn einerseits gilt Wennmachers als exzellente Netzwerke-rin. Regelmäßig, schrieb der „San Francisco Chronicle“ vor einigen Jahren, lade die al-

RHEINISCHE POST | WIRTSCHAFT NR. 10JUNI 20188 | DAS PORTRÄT

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RHEINISCHE POST | WIRTSCHAFT NR. 10 | JUNI 2018 | SEITE 9

Kontaktlos an der Kasse

Neue Girocards sollen das Bezahlen beschleunigen: Handel

und Banken setzen auf NFC-Chips.SEITE 12

Branchencheck

VON MILENA REIMANN

Ein Dienstagnachmittag, kurz nach 16 Uhr, und Lasse Rheingans telefo-niert noch immer. Nicht ungewöhn-lich für den Chef einer IT-Agentur –

wäre Rheingans nicht auch der Vorreiter des Fünf-Stunden-Arbeitstags und hätte eigent-lich seit 13 Uhr Feierabend. „Ich muss zuge-ben: Bei mir persönlich klappt das alles nicht so gut“, sagt er. Acht bis zehn Stunden pro Tag arbeitet er nach wie vor. Doch bei seinen Mit-arbeitern sieht das ganz anders aus.

Seit Oktober 2017 läuft das Experiment: Die Angestellten der IT-Agentur Rheingans Digi-tal Enablerin Bielefeld arbeiten jeden Tag nur fünf Stunden – bekommen aber acht bezahlt. Ihr Chef Lasse Rheingans hat die 40-Stun-den-Woche abgeschafft. Seither arbeitet das Team konzentriert von acht bis 13 Uhr. Wenn andere in die Mittagspause starten, haben sie bei der Agentur schon Feierabend. Rheingans sagt, seine Mitarbeiter schaffen fast die glei-che Arbeitsmenge wie früher.

Wie kann das funktionieren? Das will Pro-fessor Sascha Armutat von der Uni Bielefeld herausfinden. Er begleitet das Experiment wissenschaftlich, eine Bachelor- und eine Masterarbeit sind geplant. Die Ausgangsfrage sei, was alles in einem normalen Acht-Stun-

Vormittags konzentriert am Schreibtisch, nachmittags frei — eine Bielefelder IT-Agentur erprobt ein revolutionäres Arbeitszeitmodell. Und sammelt viele positive Erfahrungen.

Fünf Stunden Arbeit, acht Stunden Gehalt

den-Tag drin ist – und was davon in einen Fünf-Stunden-Tag passt. Neben der eigent-lichen Arbeit sind da ja auch noch die Kaf-feepause, der Griff zum Privathandy oder der Blick in die Onlinenachrichten.

Und genau hier setzt Rheingans an. Kon-ferenzen werden in der Agentur seit Oktober meist auf 15 bis 30 Minuten begrenzt. Die Smartphones lassen die Mitarbeiter nun am Vormittag in der Tasche. E-Mail-Benachrichti-gungen werden ausgeschaltet, die Mails checkt jeder nur noch zweimal am Tag. Wer sich beim Kaffeeholen in der Küche trifft, hält die Gesprä-che kurz – „auch aus Respekt vor der Arbeit des anderen“, sagt der 37-Jährige.

Aufgekommen ist die Idee, als sich Rhein-gans in seiner ehemaligen Agentur zwei Nachmittage pro Woche freinahm, um mehr Zeit mit seiner jungen Familie zu verbringen. „Ich habe gemerkt, dass ich vom Ergebnis her das Gleiche schaffe wie vorher – und ab da ging’s los.“ Als er dann eine neue Agentur mit einem Teil der Mitarbeiter aus der früheren Firma gründete, wollte er den „harten Bruch“ nutzen, um das Konzept des Fünf-Stunden-Tags auszuprobieren.

Ohne Probleme läuft die Umstellung je-doch nicht. „Wir haben eine Art Minikrise ausgelöst“, sagt Rheingans und erklärt, dass durch die Reduzierung der Arbeitszeit klar

Seit er im Oktober den Fünf-Stunden-Tag eingeführt hat, stapeln sich bei Agenturchef Lasse Rheingans die Bewerbungen. Ganz reibungslos klappt das Modell aber noch nicht.

Herr Dr. Gottschalk, was verbirgt sich hinter dem Erfolg von Post-con?Gottschalk: Die erste Frage im Kundengespräch ist immer die nach dem Preis. Und gerade hier können wir punkten. Denn mit Postcon lässt sich täglich Briefporto sparen, angefangen beim Basis-Porto. Je nach Sendungsart und -volumen kommen Extra-Rabatte hinzu. Unsere Kunden berichten über Por-to-Einsparungen von zehn Prozent und mehr. Das allein lohnt meist für Geschäftskunden schon, um über einen Wechsel des Briefdienstleis-ters nachzudenken.

Günstiger zu versenden, ist der Grund für die Wechselbereit-schaft?Gottschalk: Auch, aber nicht nur. Das wissen wir aus einer eigenen Studie. Neun von zehn Befragten sind offen für einen Wechsel, wenn es um den Versand von Geschäfts-post geht. Das Thema „Einspa-rungen“ steht natürlich ganz oben auf der Agenda. Dicht gefolgt von „Professionali-tät“ und „Lösungsorientie-rung“.

Es geht um das Gesamtpaket?Gottschalk: Ja, genau. Der Preis ist eine Hürde, dann aber geht es sehr schnell um Zuverlässigkeit und Zusatzleistungen. Auch hier haben wir gute Argumente. Wir holen die Ausgangspost zum vereinbarten Termin beim Kunden ab. Gerne auch unfrankiert, das übernehmen wir dann.

Was genau ist denn Ausgangs-post?Gottschalk: Im Grunde alles, was in den Briefkasten passt. Das kön-nen Geschäftsbriefe, Rechnungen oder Mailings sein. Genauso wie Kataloge bis 300 Gramm, Einschrei-ben oder kleine Warensendungen. Unsere Kunden müssen auch nichts vorsortieren. Dafür haben wir hoch-moderne Maschinen in unseren Sortierzentren.

Das sind Knotenpunkte, um die Briefströme zu organisieren?

Gottschalk: Ja, sozusagen unser Rückgrat. Einer der

größten von bundesweit zehn Knotenpunkten ist unser Sortierzentrum

Essen. Dort haben wir erst jetzt wieder in eine weitere Hochgeschwin-

digkeitsanlage investiert. Bis zu 500.000

Sendungen täglich schafft

allein diese Anlage. Das Besondere: Sie sortiert die Briefe

automatisch in die Reihenfolge der Adressen auf der jeweiligen Zustell-route.

Die Zusteller bekommen die Briefe also in einer vorgepackten Tasche?Gottschalk: Ja, so in etwa können Sie sich das vorstellen. Bisher muss-ten die Kolleginnen und Kollegen im Depot morgens selbst Hand anlegen und sortieren. Mit dem Effekt, das bis zu 25 Prozent der Arbeitszeit darauf entfiel. Jetzt haben die Zustellerinnen und Zusteller mehr

Zeit für die Zustellung und können entsprechend mehr Briefe an Emp-fänger überbringen.

Wird das von Kunden honoriert?Gottschalk: Zuverlässige und zeit-nahe Zustellung ist eine Grunderwar-tung. Die erfüllen wir offensichtlich, wie unsere Kundenbefragung zeigt. Neun von zehn Großkunden würden Postcon sogar weiterempfehlen, so zufrieden sind sie mit unserer Beratung und dem Preis-Leistungs-verhältnis.

Trotzdem erstaunlich, dass es Briefe überhaupt noch gibt.Gottschalk: Sie spielen sicherlich auf die Digitalisierung an? Das sehe ich entspannt. Immerhin empfangen laut dem Deutschen Institut für Ver-trauen und Sicherheit im Internet 71 Prozent der Bundesbürger wichtige Dokumente lieber in Papierform. Vor allem von Unternehmen, Behörden, Ärzten, Rechtsanwälten, Banken und Versicherungen. Und genau das ist unser Geschäft.

Wir punkten mit dem Preis – und unsere Kunden mit entsprechenden Einsparungen

Unternehmerlounge Postcon Anzeige

Postcon CEO Dr. Rüdiger Gottschalk: Mehrere Gründe sprechen bei B2B-Kun-den für einen Wechsel des Briefdienst-leisters.

Die Zusteller haben bei Postcon mehr Zeit für ihre eigentliche Arbeit, denn die Geschäftsbriefe werden nach Adressaten automatisch vorsortiert.

Der Briefmarkt ist bunt. Jeder dritte Geschäftsbrief wird hier-zulande von privaten Briefdienstleistern verarbeitet. Oder anders formuliert: Neben den gelben Briefträgern prägen auch Zusteller in andersfarbigen Outfits das Straßenbild. Allein auf die „Orangenen“ entfallen über eine Milliarde Sendungen im Jahr. Dahinter steckt Postcon, Deutschlands zweitgrößter Brief-dienstleister. Chef des Ratinger Unternehmens, einer Tochter der niederländischen Post NL, ist Dr. Rüdiger Gottschalk.

Rheingans gibt zu: „Ein bisschen hat uns das auch auseinander gebracht, man ver-bringt weniger Zeit miteinander.“ Um das aufzufangen, wird nun freitags nach der Ar-beit zusammen gekocht und gequatscht. Und immer wieder wird darüber geredet, was schon gut läuft, was man optimieren könnte und was nicht geht. „Man wird dadurch als Team besser“, sagt Rheingans.

Auch wenn es stressiger sei, fünf Stunden am Stück konzentriert zu arbeiten – seine Mitarbeiter wollen nicht zurück zum Acht-Stunden-Tag, betont er. Nun hätten sie mehr Zeit für persönliche Dinge wie Arzttermine oder um das Auto in die Werkstatt zu bringen. Und nicht nur das. Einige würden nun mehr Sport treiben, Instrumente lernen – oder sich freiwillig in der Freizeit weiterbilden. „Wer zehn Stunden arbeitet, hätte auf so was keine Lust mehr“, sagt Rheingans.

Daraus zu schließen, dass die Generation des 37-Jährigen und seiner teils jüngeren Mit-arbeiter keine Lust mehr aufs Arbeiten hat, sei aber falsch. „Die Generation hat schon richtig Bock“, sagt er. Sie wollten nur nicht in miesen Jobs arbeiten. Wenn das einzige Ziel einer Firma sei, reich zu werden, würden vie-le junge Leute nicht mitziehen. Sie brauchten Werte und Visionen.

Die technischen Möglichkeiten der Digita-lisierung werden in wenigen Jahren ohnehin zu einer Arbeitsreduzierung beitragen, glaubt Rheingans – nicht nur in seinem Unterneh-men, sondern grundsätzlich. „Der Fünf-Stunden-Tag ist eine Vorschau auf das, was passieren wird.“ Er will das Experiment auf unbestimmte Zeit weiterführen.

Obwohl Rheingans betont, dass er das Ar-beitszeitmodell nicht eingeführt hat, um neue Mitarbeiter anzuwerben: Bewerbun-gen bekommt er seit Oktober fast jeden Tag. „Da können andere neidisch sein“, sagt er mit Blick auf den Fachkräftemangel in der IT-Branche. Nur seinen eigenen Arbeitstag muss der Agenturchef noch in den Griff be-kommen. Damit er künftig nicht mehr um 16 Uhr noch Diensttelefonate führt.

wurde, wer zu viele Aufgaben zu schultern hatte – und wer eher zu wenig. Die Arbeit wurde dann neu verteilt. „Ich bin froh, dass wir das heraus-gefunden haben. Wahrscheinlich hätte die hohe Belastung bei einigen dazu geführt, dass sie um-gefallen wären oder gekündigt hätten.“

Für Professor Armutat spiegelt das Experiment den Zeitgeist wider: „Es gibt einen Wertewandel mit Fokus auf das Private.“ Die Work-Life-Balan-ce spiele eine immer größere Rolle. „Die Kehrsei-te des Konzepts ist allerdings die Arbeitsverdich-tung. Man muss sehen, bis wohin das möglich ist“, sagt er. Und noch etwas sieht er kritisch: Wenn die Kollegen weniger miteinander spre-chen, findet auch weniger Wissensaustausch zwischen Mitarbeitern und Abteilungen statt.

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20.820 € verfügbares Einkommenje Einwohner im Jahr 2015(NRW: 21.336 €)

68.780 €Bruttoinlandsproduktpro Erwerbstätigen 2015,zum Vergleich: NRW 70.542 €

44,9 %Dienstleistungen

23,4 %Handel, Verkehr

Gastgewerbe31,1 %

produzierendes Gewerbe

0,6 %Land- und Forstwirtschaft

91.220sozialversicherungspflichtig Beschäftigte**

* Stand: 2016, ** Stand: 30.6.2017Quellen: IT NRW, Bundesagentur für Arbeit

226.812Einwohner,davon 15 % Nichtdeutsche(NRW: 12,4 %) *

Kennziffern der Stadt

Krefeld

228.730Übernachtungen 2017(Tourismusbranche)

10,3 % Arbeitslosenquote im Mai 2018(NRW: 6,8 %), das sind 0,2 Prozentpunkte weniger als im Mai 2017.

Rhein

8,140 Mrd. €Bruttoinlandsprodukt 2015

VON GEORG WINTERS

Jedes Jahr verleiht das Deutsche Krawat-teninstitut einem Schlipsträger den Titel „Krawattenmann des Jahres“. Die Liste derer, die ausgezeichnet wurden, liest

sich wie ein Who's who aus allen Lebens-bereichen: Politiker wie Willy Brandt und Walter Scheel gehören dazu, Fernsehstars wie Hans-Joachim Kulenkampff und Günter Jauch, die Sportgrößen Helmut Schön, Hen-ry Maske und Manuel Neuer, dazu Bernhard Grzimek, Hape Kerkeling oder zuletzt Jan Jo-sef Liefers. Und, und, und.

Immer, wenn die Auszeichnung verliehen wird, bekommt man wieder ein Gefühl für die Bedeutung, die die Textilwirtschaft mal für Krefeld gehabt hat. Heute stellt dieser Be-reich mit 5,3 Prozent aller Beschäftigten nur noch die fünftstärkste Branche in der Stadt. Den industriellen Ton geben andere an – die Chemie mit dem Chempark in Uerdingen so-wie Standorten von Lanxess und Evonik etwa. Oder der finnische Stahlkonzern Outokum-pu, der vor sechs Jahren das Edelstahlwerk von Thyssenkrupp übernahm. Auch Siemens, das im Stadtteil Uerdingen Hochgeschwin-digkeitszüge und andere Schienenfahrzeuge baut, zählt dazu. Genauso der Anlagen- und Maschinenbauer Siempelkamp. Und der Kre-felder Hafen ist immerhin der viertgrößte in Nordrhein-Westfalen.

Noch immer kommen zwar zwei Drittel aller in Deutschland entworfenen, konfek-tionierten und gehandelten Krawatten aus Krefeld, doch es gibt nur noch wenige Be-triebe. In vielen Fällen ist die Fertigung der industriellen Logik gefolgt und an billigere Standorte in Fernost verlagert worden. Die Textilwirtschaft, die Krefeld im 18. Jahrhun-dert aufblühen ließ, ist heute nur noch eine Randerscheinung in der Stadt, die alte Be-zeichnung „Seidenstadt“ im Grunde ein Re-likt aus glorreichen Zeiten.

Als glorreich gilt Krefeld an manchen Stel-len ohnehin nicht mehr. Besonders hart klingt das Urteil aus dem Mund von Gerrit Heinemann: „Krefeld ist eine stolze Stadt, die

mal sehr wohlhabend war. Aber ich kenne nur wenige Städte, die einen so abschrecken, wenn man reinfährt“, sagt der Professor für Betriebswirtschaftslehre, Management und Handel an der Hochschule Niederrhein. Krefeld habe große Infrastrukturprobleme, urteilt er und umschreibt seine Eindrücke so: „Wenn man von der A 44 auf die Stadt zu-fährt, sieht man Outokumpu Nirosta und hat den Eindruck einer maroden, leerstehenden Industrieanlage. Und so sieht es an vielen Stellen aus.“

Natürlich würden die Vertreter der Stadt das ganz anders beurteilen. Auf der Website der Wirtschaftsförderungsgesellschaft wird Krefeld als „leistungsstarker Wirtschafts- und Industriestandort“ gepriesen. Aber auch die Stadtvorderen sehen die Notwendigkeit, das Image des Standorts aufzupolieren. Deshalb haben sie gemeinsam mit der Industrie- und Handelskammer Mittlerer Niederrhein einen „Aktionsplan Wirtschaft für Krefeld“ gestar-tet.

Beim Masterplan für die Zukunft setzt die Stadt auf ihre gute Anbindung: den Hafen, die Autobahnen und Düsseldorfs AirportDas Ziel: konkrete Projekte zu finden, die den Standort attraktiver machen sollen – für Un-ternehmen, für Investoren, für Konsumen-ten, für potenzielle Zuzügler und Pendler, die in Krefeld in Immobilien investieren könn-ten. Im Juli soll der Aktionsplan vorgestellt, in eineinhalb Jahren sollen die Ergebnisse ein-zelner Arbeitsgruppen bei einem „Krefelder Zukunftskongress“ präsentiert werden.

Aus Sicht von Eckart Preen, Geschäftsführer der Krefelder Wirtschaftsförderungsgesell-schaft, ist die Stadt gleichzeitig an manchen Stellen schon gut aufgestellt: „Wir haben eine hervorragende Lage mit der Anbindung an die Autobahnen A 57 und A 44, vom Europark Fichtenhain ist man in 15 Minuten am Düs-seldorfer Flughafen, unser Hafen hat Anbin-dung an die großen Seehäfen.“ Die Gewer-begebiete seien in den vergangenen Jahren deutlich gewachsen, sagt Preen, der als Bei-spiele die Ansiedlungen von Bauhaus, Ama-

Große Vergangenheit, triste Gegenwart: Mit diesem Urteil will sich die Stadt nicht abfinden. Beim Projekt Imagewandel setzt sie auf die zahlreichen Niederlassungen

großer Konzerne. Doch viele strukturelle Probleme sind ungelöst.

Krefeld kämpft

2016 war Krefeld ernsthaft in Gefahr. Damals erwog Canon, den Standort aufzugeben. Am Ende fiel die Ent-scheidung doch zugunsten des Euro-parks Fichtenhain. Zehn Monate lang wurde umgebaut, jetzt steht dort ein fünfgeschossiges Hauptquartier, in dem auf 12.000 Quadratmetern 600 Mitarbeiter Platz haben – ein Viertel der Canon-Belegschaft. Es ist ein mo-dernes Kommunikationszentrum für den weltgrößten Kamerahersteller, der in Deutschland vor 45 Jahren an den Start ging, und dessen Tochter Canon Copylux in den 70er- und 80er-Jahren unweit des heutigen Standorts saß.

Jagenberg feiert 2018 den 140. Geburts-tag. Das 1878 als Papiergroßhandel ge-gründete Unternehmen ist heute eine Managementholding mit verschiede-nen Tochtergesellschaften und Betei-ligungen im In- und Ausland in den Bereichen Maschinenbau, technische Textilien sowie Immobilien. Ende 2017 beschäftigte die Gruppe 1400 Mit-arbeiter. Seit Beginn der 80er-Jahre gehörte Jagenberg zum Düsseldorfer Rheinmetall-Konzern, der seine Toch-ter aber peu à peu zerlegte und an verschiedene Interessenten verkaufte. Heutiger Alleineigentümer ist die Klei-newefers-Gruppe, selbst eine mittel-ständische Beteiligungsgesellschaft.

Uerdingen steht nicht nur für einen fri-schgebackenen Fußball-Drittligisten und einen ehemaligen Bayer-Standort. Der Krefelder Stadtteil beherbergt seit Oktober 2014 auch eine Siemens-Spar-te. Und die sorgte jüngst mit einem Milliardenauftrag für Furore: Der Kon-zern baut für die Deutsche Bahn 119 Hochgeschwindigkeitszüge der Reihe ICE 4 mit 1335 Wagen im Wert von 5,3 Milliarden Euro. Es ist der größte Auf-trag der Konzerngeschichte. Bis ins Jahr 2023 soll das Paket abgearbeitet werden. Der Hauptteil der Fertigung wird im Siemens-Werk an der Duisbur-ger Straße in Uerdingen erledigt.

Wer sich auf die Suche nach den größ-ten privaten Arbeitgebern in Krefeld macht, kommt am Spezialchemie-konzern Lanxess nicht vorbei. Das Unternehmen, 2004 durch eine Aus-gliederung aus dem Bayer-Konzern entstanden, beschäftigt im Uerdin-ger Chempark etwa 1700 Mitarbei-ter. Damit ist Krefeld der zweitgrößte Standort von Bayer – und er soll wei-ter wachsen: Lanxess hat Ende 2017 angekündigt, den Zinkoxid-Betrieb um eine dritte Produktionslinie zu er-weitern. Dafür sind Investitionen von rund neun Millionen Euro geplant. An-visierter Fertigstellungstermin ist der Herbst dieses Jahres.

RHEINISCHE POST | WIRTSCHAFT NR. 10JUNI 201810 | BRANCHENCHECK

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zon, Mercedes-Benz Herbrand und XCMG Europe nennt. In den vergangenen beiden Jahren seien allein durch die Wirtschaftsför-derung 110.000 Quadratmeter Gewerbeflä-che vermarktet worden, die Zahl der sozial-versicherungspflichtigen Jobs sei von 83.000 im Jahr 2010 auf mittlerweile 91.000 gestie-gen. Es gebe weitere Ausbaupläne. Ab Herbst sollten 25 weitere Hektar im Businesspark Fichtenhain auf den Markt gebracht werden.

Dennoch liegt einiges im Argen. Eines der großen Probleme der Stadt ist die Beschäf-tigungssituation. „Die hohe strukturelle Arbeitslosigkeit ist eine Schwäche unseres Standorts“, räumt Wirtschaftsförderer Preen ein. Rund 12.400 Arbeitslose hat die Stadt derzeit, 70 Prozent davon sind Langzeitar-beitslose, deren mangelnde Qualifikation es schwierig macht, sie im ersten Arbeitsmarkt unterzubringen. Darüber hinaus hat die Stadt Fachkräftebedarf etwa in den Ingeni-eursberufen sowie im Bereich Pflege und Ge-sundheit. Immerhin: Die Frauenerwerbsquo-te habe vor fünf Jahren noch bei 43 Prozent gelegen, jetzt seien es schon 48 Prozent, sagt Preen.

In der nahen Landeshauptstadt sind die Mieten hoch. Aber Krefeld schlägt daraus bisher kaum KapitalDie Steigerung ist nicht zuletzt ein Ergebnis verbesserter Kinderbetreuungsmöglichkei-ten – beispielsweise im Stadtteil Fischeln, dessen Wohnqualität weiter aufgewertet werden soll. Fischeln liegt im Krefelder Sü-den und gilt wegen seiner guten Anbindung an die A 44 als Anziehungspunkt auch für Arbeitnehmer, die ihrem Job in Düsseldorf nachgehen, dort aber nicht wohnen wollen, weil die Landeshauptstadt ihnen zu teuer ist. „Krefeld macht bisher zu wenig aus dem Standortfaktor Wohnen, da müssen wir stär-ker ran“, räumt Preen ein.

Sehr deutlich zeigen sich die Prob-leme der Stadt in ihren Einkaufsstra-ßen. Der Ostwall galt in den großen Zeiten der 70er- und 80er-Jahre als Pracht- straße Krefelds. Dann zeigte er immer mehr Verfallserscheinungen, je weiter es Richtung Hauptbahnhof ging. Vieles ist seither verän-dert worden, wie zum Beispiel die neue Stra-ßenbahnhaltestelle in der Mitte des Ostwalls. Aber Krefeld kämpft wie andere Städte gegen Ladensterben, obwohl laut Preen die Zahl der leerstehenden Ladenlokale am Ostwall binnen eines Jahres von 30 auf 20 gesunken

ist. Auch die mit einem Glasdach überzogene Königstraße, in der die Werbegemeinschaft der Einzelhändler im vergangenen Jahr die aus ihrer Sicht überzogenen Forderungen von Immobilienvermietern beklagte, ist nicht von Problemen frei. Der wachsende Druck durch E-Commerce ist auch hier zu spüren.

Auf der anderen Seite hat Krefeld viele Niederlassungen großer Unternehmen mit entsprechender Wirtschaftskraft. Müsste die Stadt nicht stärker davon profitieren? „Stimmt“, sagt Professor Heinemann. „Aber die Unternehmen sind alle schon seit Jah-ren oder Jahrzehnten da. Es kommt nichts Neues.“ Ein Hemmnis aus der Sicht des Han-delsexperten ist die Verwaltung. Sie zeige zu wenig Engagement, wenn es darum gehe, Projekte an Land zu ziehen. Heinemanns Pa-radefall: Vor Jahren, als Ebay einen lokalen Onlinemarktplatz für stationäre Einzelhänd-ler in Mönchengladbach gründete, habe es ein zweites Projekt an einem anderen Stand-ort in Deutschland geben sollen. Aus NRW hatte es Oberhausen in der Ausschreibung immerhin auf den zweiten Platz geschafft. Krefeld habe sich nicht mal beworben.

Wenigstens im Fußball hat Krefeld jüngst einen Sieg errungen. Der sportlich bereits qualifizierte KFC Uerdingen bekam nach ta-gelanger juristischer Diskussion darüber, wer für die verspätete Einzahlung einer Liquidi-tätsreserve verantwortlich war, die Lizenz für die Dritte Liga. Ein Schritt, um an bessere Zeiten anzuknüpfen. Groß ist die Sehnsucht nach solchen magischen Tagen wie jenem 1986, an dem das damalige Bayer Uerdingen im Uefa-Cup Dynamo Dresden mit 7:3 vom Platz fegte. Im Jahr zuvor hatte der Verein be-reits den Pokal gegen die großen Bayern ge-holt. Wolfgang Schäfer, Schütze des Siegtors, machte der Triumph nahezu unsterblich.

Auch von solchen Dingen zehrt der Ruf ei-ner Stadt. Aber Erinnerungen sind eben kein dauerhafter Standortfaktor. „Der Aufstieg des KFC bringt unsere Stadt bundesweit stär-ker auf die Landkarte. Aber allein darauf kann man nicht zählen. Deshalb setzen wir bei den weichen Standortfaktoren auch auf andere Sportarten wie Galopprennen und Hockey und ansonsten natürlich auf Kultur – mit den Krefelder Kunstmuseen einschließlich her-ausragender Bauhausarchitektur von Ludwig Mies van der Rohe an der Spitze“, sagt Wirt-schaftsförderer Preen.

Und dann gibt es ja noch die Auszeichnung des „Krawattenmanns des Jahres“.

Im Vergleich zur Deutschen Bank sind Deutschlands Spar-kassen natürlich klei-ne Nummern. Aber:

Mit rund achteinhalb Milliarden Euro Bilanzsumme, 74 Niederlassungen und fast 1700 Mitarbeitern steht die Sparkasse Krefeld in diesem Kreis bun-desweit auf Rang 23, in NRW sogar auf Rang sechs. Träger sind Krefeld und der Kreis Viersen. Beide Regionen ge-hören zum Geschäftsgebiet der Spar-kasse, dazu kommen südliche Teile des Kreises Kleve. 2017 hat das von Birgit Roos geführte Unternehmen rund 7,4 Millionen Euro verdient. Die Historie ist lang: Am 9. März 1840 nahm die Städtische Sparkasse zu Crefeld ihre Geschäfte auf.

Die Edelstahlproduktion von Thyssen-krupp Nirosta in Krefeld hatte große Tradition. Sie entstand zwar erst 1995, als Thyssen und Krupp ihre Edelstahl-fertigung zusammenlegten, doch hat-ten beide Konzerne da schon mehr als 80 Jahre Geschichte hinter sich. Der Erfolg blieb jedoch aus: 2012 wurde die Thyssenkrupp Stainless AG an den finnischen Konzern Outokumpu ver-äußert. Die Überkapazitäten in der Branche hatten das Geschäft aus Sicht der Deutschen zu schwierig gemacht. Die Finnen konnten allerdings auch keine Wunder vollbringen und bauten Hunderte Jobs ab. Danach gelang die Rückkehr in die Profitabilität.

1378 Märkte, davon 879 in Deutsch-land, mehr als 10.000 Mitarbeiter – das Franchise-Unternehmen ist Europas größte Fachhandelskette für Tier-nahrung und -zubehör. Der Umsatz beträgt knapp zwei Milliarden Euro. Fressnapf ist auch in der Schweiz, Belgien, Frankreich, Ungarn, Däne-mark, Italien, Luxemburg, Polen und Irland vertreten. Gründer Torsten To-eller steht mit einem Vermögen von 1,7 Milliarden Dollar auf Platz 1118 der reichsten Menschen der Welt. Und er gehört zu den Geschäftspartnern des schillernden Immobilienunterneh-mers René Benko, dessen Gesellschaft Signa Eigentümer von Karstadt ist.

Zu Siempelkamp zählen 23 Unterneh-men in den Bereichen Maschinen- und Anlagenbau, Engineering und Service und Gusstechnik. Im Bereich Holzwerkstoffanlagen sind die Krefel-der Weltmarktführer. Nach der Atom-katastrophe im japanischen Fukushi-ma baute Siempelkamp die Gruppe so um, dass sie heute als Spezialist für den Reaktorrückbau gilt. Hinter die-ser Neuausrichtung stand maßgeblich Hans Fechner, der das Unternehmen 16 Jahre geführt hat und zum Ende des Jahres in den Ruhestand geht. Sein aktuell größtes Problem ist die Diskus-sion um den Ausstieg der Gießerei aus dem Flächentarif.

RHEINISCHE POST | WIRTSCHAFT NR. 10JUNI 2018 BRANCHENCHECK | 11

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Die Technik existiert seit Jahren, jetzt soll sie den Durchbruch feiern: das kontaktlose Zahlen per NFC-Chips in der Girokarte. Warum Finanzinstitute und Einzelhandel auf den Einsatz drängen — und was Verbraucherschützer davon halten.

Flugs bezahlt

Mobile Schnellzahllösung Für Menschen, die am Bargeld

hängen, ihre Rechnung aber trotzdem kontaktlos begleichen möchten

Nehmen Sie einen Geldschein, der über der fälligen Summe liegt. Ver-zichten Sie ggf. auf Wechselgeld.

Knicken Sie die Note längs, um einen Falz zu erhalten. Falten Sie sie dann quer.

Falten Sie erst das linke obere Ende und dann ...

Falten Sie die oberen En-den zum Falz in der Mitte.

... das rechte zum Mittelfalz.

Falten Sie das Gebilde entlang seiner Längsachse.

Bei kleinen Noten wird

es frickelig.

Falten Sie die Tragflächen pa-rallel herunter und knicken Sie den Rumpf hinten ein (ae-rodynamische Gründe). An-schließend werfen.

a l l e m bei kleinen

Beträgen Zeit, die vie-le bisher in bar bezahlen“,

sagt auch Stephanie Heise, Be-reichsleiterin Verbraucherfinan-zen und Mitglied der Geschäfts-leitung der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen. Das Ganze sei eine echte Alternative zum Bar-geld, ist die Expertin überzeugt. In Skandinavien sei das Verfahren längst üblich.

Auch für Branchenkenner lie-gen die Vorteile klar auf der Hand: „Während ein kontaktbehafte-ter Zahlungsvorgang im Durch-schnitt deutlich über 20 Sekun-den dauert, ist das kontaktlose Bezahlen innerhalb von zehn bis zwölf Sekunden abgewickelt“, schreibt das EHI in einer aktuel-len Studie. Das dient dem Kunden und dem Händler, der sich wo-möglich nicht mal technisch neu aufstellen muss. „Alle Lesegeräte, die in den vergangenen drei bis vier Jahren gekauft wurden, kön-nen kontaktlose Zahlungen verar-beiten“, schätzt Rüter.

Mastercard drängt auf den Einsatz der Chips – mit Gebüh-ren gegen unwillige HändlerEin neues Gerät koste heute etwa 300 bis 400 Euro. Derzeit stellen etwa zwei Drittel aller Handels- unternehmen, die mindestens 30 Millionen Euro im Jahr umset-zen, eine entsprechende Technik zur Verfügung. Wer das nicht tut, läuft übrigens schon jetzt Gefahr, abgestraft zu werden – zumin-dest beim Kreditkartenanbieter Mastercard, der in solchen Fällen eine Zusatzgebühr vom Händler verlangt.

Wie erkennt der Verbraucher, ob seine Karte NFC-fähig ist? Ganz einfach, am Wellenzei-chen auf der Karte. Das ähnelt dem WLAN-Symbol, das jeder von seinem Laptop oder Tablet kennt. Das gleiche Zeichen müs-sen auch die Lesegeräte in den Ladenlokalen haben. So kann jeder Kunde mit NFC-Chipkarte sofort erkennen, ob er kontaktlos zahlen kann.

Verliert der Verbraucher die Karte (oder wird sie gestohlen), muss er sie umgehend sperren lassen – das ist nicht neu. Oh-nehin sind die Beträge, die man kontaktlos ohne Geheimnum-

mer zahlen kann, limitiert: „Nicht mehr als 25 Euro bei einem Zah-lungsvorgang, höchstens 100 Euro insgesamt. Danach muss man erst einmal wieder die Pin einsetzen, ehe man erneut ohne Geheimzahl kontaktlos zahlen kann“, erklärt ein Sprecher des Bundesverbands der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenban-ken (BVR).

Die Technik funktioniert auch per Smartphone-App. Bislang sind zwei Anbieter am MarktBei den Volksbanken haftet der Kunde nach Angaben des Spre-chers bei kontaktlosen Zahlun-gen unter 25 Euro nicht. „Bei Zahlungen mit Pin gelten andere Regelungen: Hier ist grundsätz-lich von einer Transaktion des Kunden auszugehen, denn nur er kennt seine Pin. Daher muss der Kunde im Schadensfall beweisen können, dass er die Transakti-on nicht ausgelöst hat“, so der Sprecher. Wie oft man ohne Pin zahlen kann, entscheidet der He-rausgeber der Karte.

Apropos Datenschutz: Viele Verbraucher fürchten auch beim kontaktlosen Zahlen, dass Betrü-ger mit entsprechenden Geräten ihre Daten auslesen könnten. Allerdings lässt sich die Prüfzif-fer auf der Rückseite der Karte so nicht feststellen. Verliert man sein Plastikgeld allerdings, kann der Finder damit Kleinbeträge kontakt- und problemlos zahlen. Wenn Verbraucher feststellen, dass jemand mit ihrer Karte ein-kauft, sollten sie diese schnellst-möglich sperren lassen und den Umsatz umgehend beim Händler reklamieren.

Natürlich funktioniert das Be-zahlverfahren auch mit dem Smartphone. Was man dafür braucht: ein NFC-fähiges Handy und eine passende App – eine sogenannte Wallet, in der die Kontodaten gespeichert sind. In Deutschland werden dafür aber bisher nur zwei angebo-ten: „Boon“ von der britischen Wirecard Card Solutions und „Glase“ vom schwedischen An-bieter Glase Fintech. Beide sind sowohl auf iOS (Apple) als auch auf Android einsetzbar. Ein ein-heitliches Verfahren fürs Bezah-len mit iPhone und Co. gibt es in Deutschland noch nicht.

VON GEORG WINTERS

Stellen Sie sich vor, Sie ste-hen am Samstagmorgen in der Kassenschlange. Wie üblich haben Sie die

falsche, weil langsamste ausge-sucht. Entweder geht es nicht voran, weil jemand mit Bargeld zahlen will, dies aber passend zu tun gedenkt und minutenlang in der Geldbörse herumkramt. Oder jemand nimmt die Gi-rocard, braucht aber Ewigkeiten, bis er im dritten Versuch die Pin richtig eingetippt hat. Alles all-täglich im Supermarkt.

Noch jedenfalls. Denn viel-leicht werden Kunden in fünf Jahren über solche Anekdoten nur noch lachen. Dann nämlich könnte längst eine neue Form des Bezahlens mit der Girocard die Staus an den Kassen aufge-löst haben: das kontaktlose Zah-len im Vorbeigehen.

Die Technik, die das sicher-stellen kann, heißt Near-Field Communication (NFC), über-setzt: Nahfeldkommunikation. Gemeint ist ein Abstand von we-nigen Zentimetern zwischen Gi-rocard und Zahlterminal, der per Funkleitung überbrückt wird. Die Technik ist eigentlich schon seit Jahren im Einsatz, beispiels-weise bei Sparkassen, die unter dem Namen Girogo eine Karte mit Bargeldaufladung zur Verfü-gung stellen. Auch Universitäten geben oft Studentenausweise aus, die über integrierte NFC-Chips verfügen und mit denen sich kleinere Beträge zahlen las-sen. Kreditkartenanbieter setzen ebenfalls darauf, und in Smart-phones ist die NFC-Technik oh-nehin längst üblich.

Aber der große Durchbruch für das kontaktlose Bezahlen im deutschen Einzelhandel soll erst noch kommen. Nach Angaben des Kölner Handelsforschungs-instituts EHI werden in Deutsch-land derzeit fünf Prozent aller Zahlungen, die mit der Girocard erfolgen, kontaktlos abgewi-ckelt. „Das ist noch ein zartes, aber zurzeit schnell wachsendes Pflänzchen“, sagt Horst Rüter, Leiter des Forschungsbereichs Zahlungssysteme beim EHI und Mitglied der Geschäftsleitung des Instituts.

Zum Vergleich: Jeder dritte

Euro wechselt noch immer mit-hilfe von Pin oder Sepa-Last-schriftverfahren den Besitzer, und drei von vier Einkäufen wer-den immer noch bar beglichen. Das gilt vor allem für kleinere Einkäufe – beim Bäcker etwa, beim Metzger oder am Kiosk. Zielgruppe des kontaktlose Zah-lens sind daher auch eher die Kunden im Supermarkt, in der Drogeriekette oder im Baumarkt. Eben „über-all da, wo es eine hohe Kundenfre-quenz gibt“, sagt E H I - E x p e r t e Rüter.

Ohnehin hat noch nicht jeder Kunde eines Geldhauses eine Karte, die das kontaktlose Zah-len möglich macht. „Aktuell ist das etwa jeder zweite. Vor allem bei Sparkassen und Volksbanken gilt das schon“, sagt Rüter.

Erstere haben angekündigt, dass sie die Ausgabe entspre-chender Girokarten bis Mitte des kommenden Jahres abgeschlos-sen haben wollen. Die Volksban-ken wollen spätestens ein Jahr später ihre Klientel komplett versorgt haben. Das heißt: etwa 27 Millionen Girocard-Inhaber. Bis Ende des vergangenen Jah-res war die Hälfte geschafft, in diesem Jahr sollen weitere zwei Millionen hinzukommen.

Bald verfügen alle Girokarten über NFC-Chips. Die Funktion lässt sich aber deaktivierenNatürlich wird niemand gezwun-gen, kontaktlos zu bezahlen. Bei den Sparkassen seien neue Kar-ten mit dem Verfahren Girocard kontaktlos „erst nach einmali-gem kontaktbasierten Einsatz durch den Kunden aktiviert, zum Beispiel an einem Geldau-tomaten oder an einem, an ei-nem POS-Terminal im Handel“, erklärt ein Sprecher des Bun-desverbands DSGV. Der Kunde könne die Kontaktlosfunktion deaktivieren lassen. Bei den Volksbanken ist das genauso.

Aber: Allein der Geschwindig-keitsvorteil könnte Zeitgenossen, die keine Zeit haben, den Einkauf zu genießen, von der Vorteilhaftig-keit überzeugen. „Kontaktlos be-zahlen ist bequem und spart vor Ill

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RHEINISCHE POST | WIRTSCHAFT NR. 10JUNI 201812 | BRANCHENCHECK

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sagt auch Stephanie Heise, Be-reichsleiterin Verbraucherfinan-zen und Mitglied der Geschäfts-leitung der VerbraucherzentraleNordrhein-Westfalen. Das Ganze sei eine echte Alternative zum Bar-geld, ist die Expertin überzeugt. In Skandinavien sei das Verfahren längst üblich.

Auch für Branchenkenner lie-gen die Vorteile klar auf der Hand: „Während ein kontaktbehafte-ter Zahlungsvorgang im Durch-schnitt deutlich über 20 Sekun-den dauert, ist das kontaktlB h

mer zahlen kann, limitiert: „Nicht mehr als 25 Euro bei einem Zah-lungsvorgang, höchstens 100 Euro insgesamt. Danach mussman erst einmal wieder die Pin einsetzen, ehe man erneut ohne Geheimzahl kontaktlos zahlen kann“, erklärt ein Sprecher desBundesverbands der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenban-ken (BVR).

Die Technik funktioniert auch per Smartphone-App. Bislang sind zwei Anbieter am MarktBei den Volksbanken haftet der Kunde nach Angaben des Spre-chers bei kontaktlosen Z hl

chselt noch immer mit-n Pin oder Sepa-Last-rfahren den Besitzer, von vier Einkäufen wer-

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RHEINISCHE POST | WIRTSCHAFT NR. 10JUNI 2018

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FÜNF VERBREITETE FEHLER AUF DEM WEG ZUR INDUSTRIE 4.0

von Drittanbietersoftware individuell anpassen. Die Unternehmensberatung rät dazu zu definieren, welche Anwendun-gen entscheidend sind, und Partnerschaf-ten einzugehen – und nicht zu versuchen, alles allein zu machen. Auf diese Weise kann Zeit eingespart werden.

V. Unterschätzter Kulturwandel Die Umstellung auf neue Arbeitsabläufe und die Einführung neuer Techniken funktionieren nur, wenn die Angestellten eines Unternehmens diese Prozesse mit-tragen. Deswegen ist es laut der McKins-ey-Studie eine der wichtigsten Aufgaben des Managements, die Belegschaft für Veränderungen zu begeistern.

Die Einführung von Industrie-4.0-Tech-niken ist kein Selbstläufer. Die Unter-nehmensberatung McKinsey nennt in einer Studie fünf Gründe, warum es da-bei zu Schwierigkeiten kommen kann:

I. Mangelnde Aufmerksamkeit Die Umfragen von McKinsey haben ergeben, dass nur in einem Drittel der Unternehmen die Geschäftsleitung für die Industrie-4.0-Strategie verantwort-lich ist. Eine fundamentale Transfor-mation sollte allerdings von der Spitze vorangetrieben werden, glaubt die Unternehmensberatung.

II. Fehlende Vision Knapp 60 Prozent

der Befragten geben an, dass es in ihren Unternehmen keine klare Vision gebe – doch das ist laut McKinsey Voraussetzung für eine erfolgreiche Transformation.

III. Angst vor Verlusten Ein Großteil der Befragten schätzt, dass mehr als ein Drittel der Maschinen für die digitale Produktion ersetzt werden müsste. Gleichzeitig haben fast zwei Drittel der Unternehmen die Sorge, dass sich ein solches Investment am Ende nicht rechnen könnte.

IV. Bindungsangst Mehr als 40 Prozent der Unternehmen entwickeln ihr IT-Sys-tem selbst oder lassen es sich auf Basis

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RHEINISCHE POST | WIRTSCHAFT NR. 10 | JUNI 2018 | SEITE 13

Kunst in Kisten

Wie ein Düsseldorfer Speziallogistiker Gemälde und Statuen rund

um den Globus transportiert.SEITE 14

Strategie

VON MILENA REIMANN

Ein wenig rätselhaft ist das Logo der Firma schon: Links neben dem ein-fachen Fastems-Schriftzug steht ein großer roter Punkt. Und darin die

Zahl 8760. Etwa eine dieser alten Postleitzah-len? Dann ginge es in dieser Geschichte aller-dings um Miltenberg in Bayern – und nicht um Issum im Kreis Kleve. Oder ist es eine fer-ne Jahreszahl, die auf jene Zukunft verweist, für die Fastems stehen will? Auch das nicht. Eine Erklärung auf der Homepage des Unter-nehmens gibt Aufschluss: Es ist die Zahl der Stunden, die Fastems jährlich im Dienst ist. 24 Stunden mal 365 Tage macht 8760 Arbeits-stunden.

Und die braucht Fastems. Denn das Unter-nehmen aus Finnland, das seit einigen Jahren einen wichtigen Produktionsstandort in Is-sum hat, ist einer der Modernisierungstreiber der Industrie. Automation heißt das Feld, auf dem Fastems unterwegs ist. Wo früher Fabrik- arbeiter ein Werkstück von einer Maschine zur nächsten brachten, es dort festschraub-ten und die Maschine in Gang setzten, über-nimmt das heute oft moderne Robotertech-nik kombiniert mit smarter Software.

Industrie 4.0 ist ein Wachstumstreiber –nicht nur für die Hersteller von Robotern, sondern auf für die, die sie einsetzenDie Automationsbranche tut nicht weniger, als deutsche Unternehmen fit für die Indus-trie 4.0 zu machen. Das Idealziel dabei sind Fabriken, in denen Maschinen so digital und vernetzt sind, dass kaum noch ein Mensch in den Werkshallen herumläuft. „Nach Dampf-maschine, Fließband und Computer stehen wir nun mit intelligenten Fabriken vor der vierten industriellen Revolution“, schreibt das Bundeswirtschaftsministerium zur In-dustrie 4.0 auf seiner Homepage.

Das Ministerium geht von 153 Milliar-den Euro zusätzlichem volkswirtschaft-lichen Wachstum durch die Industrie 4.0 bis zum Jahr 2020 aus. Denn nicht nur die Automationsbetriebe wachsen – durch Vernetzung werden Fabriken auch pro-duktiver. „Wer wettbewerbsfähig bleiben will, kommt daran nicht vorbei“, erklärt Rolf Hammerstein, Marketingleiter von Fas-tems.

Der Fachverband VDMA Robotik + Auto-matik vermeldete kürzlich für das Jahr 2017 Rekordumsätze für seine Branche. 14,5 Milli-arden Euro setzten die deutschen Unterneh-men im vergangenen Jahr um – ein Plus von 13 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Getrie-ben wurde das Wachstum im Jahr 2017 vor allem durch den Export, insbesondere nach Asien.

Fastems selbst kann mit einem Umsatz von rund 80 Millionen Euro zwar nicht mit den ganz Großen der Branche wie etwa dem Schweizer Konzern ABB oder dem japani-schen Unternehmen Fanuc mithalten, doch

Die Vernetzung von Maschinen ist ein entscheidender

Wettbewerbsvorteil in Hochlohnländern. Vom Standort Issum

aus treibt die finnische Firma Fastems die Automatisierung

der Fabriken ihrer Kunden voran.

Roboterflüsterer vom Niederrhein

Selbst bei der Ferti-gung von Einzelteilen werden Roboter eingesetzt – wie dieser mit Fastems-Technik in einem Daimler-Werk (gr. Bild). „Wer wett-bewerbsfähig bleiben will, kommt daran nicht vorbei“, sagt Fastems-Manager Rolf Hammerstein. Auch der Maschinenbauer Kempf (links) ist Kunde der Issumer.

ren Maschinenbauunternehmen, Teile der Luft- und Raumfahrtindustrie, Hersteller von Baumaschinen oder Firmen aus der Zuliefe-rerindustrie. Vom Niederrhein aus wurde be-reits etwa an Daimler geliefert oder auch an den Zylinderkopfhersteller Märkisches Werk. „Deutschland wird bei der Industrie 4.0 von Jahr zu Jahr besser“, sagt Hammerschmidt. Allerdings sei vor allem Skandinavien viel weiter. „Hochlohnländer wären ohne Auto-mation nicht wettbewerbsfähig“, glaubt der Manager.

Für Fastems könnte es auch in den kom-menden Jahren gut laufen. Der VDMA Ro-botik + Automation geht davon aus, dass der weltweite Trend zur Automatisierung und die Digitalisierung der Fertigung für anhaltendes Wachstum sorgen werden. Vor allem in der Autoindustrie sieht der Branchenverband große Potenziale: Wenn nun vermehrt Antrie-be vom Verbrennungsmotor auf Elektro- und Hybridmotoren umgestellt werden, könnten neue Fertigungsanlagen etwa für Akkus nötig werden. Und somit weitere Automationsan-lagen. Auch bei metallverarbeitenden Betrie-ben, auf die Fastems spezialisiert ist, sieht Hammerstein Potenzial. „Der Standort Issum ist auf Wachstumskurs“, sagt er.

auch aus dem niederrheinischen Issum wer-den Roboterarme und Softwarelösungen in neun europäische Länder, in die USA, nach Japan und China exportiert. Überall dort hat Fastems auch Mitarbeiter vor Ort.

Von den insgesamt 400 Mitarbeitern der finnischen Firma sitzen fast 100 in Issum. Am Niederrhein hat Fastems den Einstieg in den deutschen Markt geschafft. 2014 kaufte das Unternehmen die Issumer Firma Pneumotec. „Das ergänzte sich sehr gut“, sagt Hammer-stein. Dabei muss man wissen: „Jede Werk-zeugmaschine muss mit den zu bearbeiten-den Werksstücken be- und entladen werden.“ Das Werkstück wird an einem sogenannten Spannturm befestigt und fährt auf einer Pa-lette von Maschine zu Maschine. Oder Robo-ter bringen die Werkstücke etwa über Arme in die einzelnen Maschinen ein und holen sie später bearbeitet wieder heraus. Im Werk im finnischen Tampere wurden bereits Pa-lettenlösungen gefertigt. Mit dem Werk in Is-sum kamen dann Roboterlösungen mit Soft-waresteuerung hinzu. „Bei manchen Kunden braucht man beides“, erklärt Hammer- stein.

Fastems ist vor allem in der metallverarbei-tenden Industrie tätig. Zu den Kunden gehö-

* Umfrage unter 553 Industrieunternehmen; Quelle: Bitkom

Automaten im Netz Anteil der Maschinen die online sind in deutschen Fabriken 2018 in %*4keine Angabe

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5420 bis 50 %

00 bis 5 %

125 bis 10 %

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Hohe Investitionskosten72

Datenschutz58

Anforderungen an Datensicherheit56

Fachkräftemangel49

Komplexität des Themas45

Zwei Drittel sind skeptisch

* Umfrage unter 553 Industrieunternehmen; Quelle: Bitkom

Die größten Hemmnisse bei der Einführung von Industrie-4.0-Anwendungen, in %*

Quelle: Bitkom

Rosige Aussichten Umsatz mit Industrie-4.0-Lösungenin Deutschland in Mrd. €

4,06

2015

4,86

2016

5,87

2017

Prog-nose

7,19

2018

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VON MAXIMILIAN PLÜCK

Als sie durch die belebten Straßen der nordpakistanischen Metropole Peschawar fuhren, allesamt in lan-destypischer Kleidung, die Vorhänge

im Bus geschlossen, um ja nicht zu sehr auf-zufallen, da stieg schon ein beklemmendes Gefühl in ihnen hoch. Nicht ganz unschuldig daran war die Polizeieskorte, die den Bus be-gleitete. Pick-ups mit aufgepflanzten Maschi-nengewehren – das schrie ja geradezu: Seht her, hier fährt ein lohnenswertes Ziel durch die Gegend.

Der Konvoi war auf dem Weg zur Universi-tät von Peschawar. „Wir hatten den Auftrag, dort riesige Steinfragmente abzuholen“, erin-nert sich Dirk Arbeiter, Chef der Düsseldorfer Niederlassung von DB Schenker Art. Er und sein Team sind die Spezialisten auf dem Ge-biet der Kunstlogistik. Die Museen rufen sie, wenn es darum geht, wertvolle Kunstwerke rund um den Planeten zu transportieren.

Während sie die Steinfragmente im Uni-versitätsgebäude fachgerecht verpackten, ka-men bärtige Pakistaner dazu. Sie schüttelten den Deutschen die Hand, beobachteten den Einpackvorgang eine Weile interessiert und verschwanden dann wieder. „Unser Agent hat uns erst später gesagt, dass das Taliban waren“, berichtet der Logistiker. Das Hotel, in dem sie untergebracht waren, sei drei Mo-nate nach ihrem Besuch Ziel eines Anschlags geworden.

Es sind abenteuerliche Geschichten, die der Diplom-Ingenieur erzählt, während er der da in der schmucklosen Halle eines Düssel-dorfer Industriegebiets steht, legeres Hemd, Jeans und Turnschuhe, lange blonde Haare. „Wir sind nur eine ganz kleine Schenker-Ein-heit und bieten ein Nischenprodukt an“, sagt Arbeiter. Für dieses Produkt haben sie in Düsseldorf ein Team aus vier Kaufleuten und acht gewerblichen Kräfte, sogenannten Fach-lageristen. Seit rund 30 Jahren ist Schenker im Geschäft mit Kunstlogistik tätig – und hat sich nach Angaben von Arbeiter einen guten Platz im Windschatten des Marktführers Ha-senkamp aus Frechen erarbeitet. Das zurück-liegende Geschäftsjahr war das ertragreichste der Firmengeschichte.

Einmal holen sie Altäre aus Afrika. Als sie die Kisten in Düsseldorf öffnen, kommen ihnen Scharen von Insekten entgegenWer an Logistik denkt, der hat Hochregalla-ger vor Augen und Roboter, die durch lange Gänge sausen, um Waren im Sekundentakt zu konfektionieren. Doch im Bereich der Kunstlogistik geht es um echte Handarbeit. Rolf und Christian Merkes sind gerade dabei, ein Kunstwerk sachgerecht in eine spezielle Box zu packen. Vorsichtig gehen sie die Sache an, sehr vorsichtig. Beide tragen Handschu-he, während sie das Madonnengemälde zu-nächst in einen speziellen Rahmen hängen und ihn anschließend in einer speziellen Box verstauen. Der Anblick ist nichts für Unge-duldige. Jedem Handgriff ist der Respekt vor dem Kunstwerk anzumerken.

Der Transportrahmen und die Kiste kosten zusammen zwischen 1500 und 2000 Euro. Bei jedem Stück handelt es sich um eine Maß-anfertigung, die Schenker Art bei einer Düs-seldorfer Schreinerei ordert. Für eine Kiste mit Lackierung und allem Pipapo benötigt der Schreiner eine gute Woche. „Flachware“, nennt Dirk Arbeiter scherzhaft die Gemälde, die für die Lageristen keine große Heraus-forderung darstellen. Sie sind vergleichs-weise schnell verpackt und werden aufrecht transportiert – es sei denn, es gibt spezielle Anforderungen. „Wir haben beispielswei-se Mack-Bilder transportiert, bei denen der Künstler mit Sand gearbeitet hat. Das muss dann natürlich liegend gefahren werden“, sagt Arbeiter.

In Deutschland gibt es drei Möglichkeiten für die Versendung eines solchen Gemäldes: als Beiladung, als Kombinationsfahrt oder als Direktfahrt ohne Zwischenstopp. Für eine Fahrt zwischen Düsseldorf und München kommen für den Kunden je nach gewählter Transport- und Fahrzeugart zu den Kosten für Rahmen und Kiste noch einmal zwischen 250 und 1300 Euro hinzu. Einige Museen lehnen es nämlich ab, dass die Kunstwerke per Sprin-ter transportiert werden. „Dabei haben die Bullis Luftfederung, Vollklimatisierung und GPS-Überwachung“, sagt Arbeiter. „Zudem sind alle Sprinter geschwindigkeitsreguliert – ab 130 Kilometer pro Stunde ist Schluss.“ Ne-ben Sprintern setzt der Kunstspediteur noch einen Zwölf- und einen 23-Tonner ein.

Auch wenn Schenker eine Tochter der Deutschen Bahn ist – per Zug wird nicht transportiert. Und per Schiff nur in absolu-ten Ausnahmen. „Sie haben keinen Einfluss darauf, wo an Bord der Container steht. Bei starkem Seegang kann dann durchaus eine Welle über Bord schwappen. Und Feuch-tigkeit ist tödlich.“ Vor zehn Jahren haben sie eine Ausnahme gemacht. „Da hatten wir aber auch einen mehrmonatigen Vorlauf für

Mindestens genauso aufregend wie das, was in den Museen hängt, ist der Job von denen, die es dorthin bringen: Ein Düsseldorfer Spediteur erzählt von tonnenschweren Standbildern, winzigen Elfenbeinfiguren — und sehr speziellen Momenten mit dem kambodschanischen Zoll.

Die Kunstbewegung

Gemälde wie dieses Madonnenbild sind Routine für Packer wie Christian (links) und Rolf Merkes. Trotzdem gehen sie behutsam vor – Handschuhe sind Pflicht.

eine afrikanische Ausstellung.“ Auf dem ge-samten Kontinent sammelten sie Altäre für die Stiftung Museum Kunstpalast ein. Als der Container in Düsseldorf ankam und geöffnet wurde, sei ihnen eine riesige Wolke Insekten entgegengeflogen. „Den haben wir dann erst einmal auslüften lassen.“

Ohnehin wird die Ladung stets exakt inspi-ziert. Zu groß ist die Sorge, ein mit Holzwür-mern kontaminiertes Kunstwerk in einem Museum abzuladen. 80 Prozent der Auftrag-geber sind Arbeiter zufolge Museen, dann folgen Galeristen und zuletzt Privatleute. Wenn ein Bild ein Museum verlässt und als Leihgabe an ein anderes weitergereicht wird, fertigen die Restauratoren zunächst ein Zu-standsprotokoll an. Darin wird alles erfasst, was schon vorher an Makeln vorhanden ist. Am Zielort bekommt der Leihnehmer das Protokoll. Es sei nicht unüblich, dass Restau-ratoren dann mit der Lupe jeden Millimeter überprüften. Für auf der Fahrt entstandene Schäden müsste Schenker haften.

Die Verpackungen unterscheiden sich im Übrigen je nach Kunstwerk. Große Skulptu-ren werden gar nicht verpackt, sondern auf Paletten abgelegt und dann mit einem Staub-schutz und einer Luftpolsterfolie versehen, auf Anfrage allenfalls noch mit einem kleinen Verschlag. Auf die ganz schweren Objekte hat sich die Niederlassung in Dresden spezi-

alisiert. Die Kollegen setzen Luftkissen, mit denen ein einzelner Arbeiter eine tonnen-schwere Stalin-Skulptur bewegen könnte – so schon geschehen für eine Ausstellung im Haus der Geschichte.

Nur ganz selten sagt Arbeiter einem Kun-den: „Lassen Sie das mal lieber stehen, zu fra-gil!“ Manchmal sind gerade die kleinen Ob-jekte die größte Herausforderung. Für eine Iran-Ausstellung in der Bundeskunsthalle bediente sich die Schenker-Abteilung einfach bei der Zahntechnik: Die klitzekleinen Elfen-beinfigürchen wurden in sogenannte Mem-branboxen verstaut. In den durchsichtigen Boxen, die frappierend an Burgerverpackun-gen erinnern, sind zwei Folien gespannt, die genau aufeinanderliegen. Dazwischengelegt und zusammengeklappt scheint das Objekt wie im Raum zu schweben. Bis auf die Mem-branberührung, die von den Restauratoren abgesegnet wurde, haben die Materialien keinerlei Kontakt. Gerade bei Metallen sei das wichtig, sagt Arbeiter. Polizeischutz brauchen sie auf ihren Touren nur noch selten. Zu schaffen macht ihnen heute etwas anderes: der ZeitdruckDie Digitalisierung spielt im Übrigen für Kunstspediteure keine große Rolle. „Eine Zeitlang waren RFID-Chips in Mode“, erklärt Arbeiter. Das sei inzwischen aber wieder vor-bei. „Die meisten Häuser wollen nicht, dass hinten etwas aufgeklebt wird.“ Einzig beim Umzug der Kollektion Tamm, einer der größ-ten Schifffahrtssammlungen Europas, seien die Funkchips um Einsatz gekommen. Der Grund: Es gab bis dahin keinerlei Katalogi-sierung des Bestands. Die Stücke wurden deshalb einzeln durch sogenannte RFID-Ga-tes getragen und dabei automatisch erfasst. So ließ sich am Ende nachweisen, dass alle Stücke im neuen Haus ankamen.

Sicherheit ist ein großes Thema. „Insbe-sondere in Ost- und Südeuropa werden da Experten angefordert“, sagt Arbeiter. Zeiten, in denen Kunsttransporte von der Polizei es-kortiert worden seien, sind Arbeiter zufolge längst vorbei. Heute übernähmen das private Wachdienste.

Um den Transport zu organisieren, haben er und seine Kollegen immer weniger Zeit. Bei einem Projekt wie der Schau „Iran – Frü-he Kulturen zwischen Wasser und Wüste“ für die Bundeskunsthalle hatte sein Team eine Vorlaufzeit bis zum Transport von nur sechs Wochen. „Die Taktungen von den Ausstellun-gen werden immer kürzer.“

Die Grenzen der Branche sind Kriegsge-biete oder geächtete Länder wie Nordkorea. „Da kommen wir nicht rein“, sagt Arbeiter. Und wo liegt die persönliche Schmerzgrenze? „Hab ich nicht. Ich transportiere Ihnen alles.“ Reizvoll seien vor allem die Länder, in denen es bislang überhaupt keine Spezialisten für Kunsttransporte gebe.

Bei religiösen Gegenständen ist Fingerspit- zengefühl gefragt. Da werden metergroße Statuen schon mal stehend transportiertFragt man Arbeiter nach der aufregendsten Geschichte, ist es nicht Pakistan, sondern der Trip nach Kambodscha. Für die Schau „Angkor – Göttliches Erbe Kambodschas“ war Arbeiter mit seinem Team ins Land ge-flogen. Ein aufwendiges Projekt, bei dem sie schon zu Beginn ins Schwitzen kamen, weil die Ausrüstung viel zu lange beim Zoll hän-gen geblieben und erst im letzten Moment eingetroffen war. Die nächste Schwierigkeit: Die Skulpturen mussten allesamt aufrecht stehend transportiert werden, weil sie noch bei religiösen Zeremonien im Einsatz waren. „Deshalb sind die Stücke auch, bevor die Kis-ten geschlossen wurden, von einem Mönch gesegnet worden.“

Darunter waren bis zu 2,60 Meter hohe Statuen und ein bronzener Vishnu, der noch nie das Land verlassen hatte. Zwei Wochen dauerte das Einpacken. Nach getaner Arbeit reiste das Packteam zurück nach Deutsch-land. Dann kam der kambodschanische Zoll: „Alle Kisten aufmachen. Alles auspacken.“ Arbeiter stellte auf stur. „Mein Agent hat mich aufgeregt zur Seite genommen. ,So kannst du doch nicht mit denen reden.‘ Mir war das in dem Moment völlig egal. Da muss man auch abgezockt sein. Ich hab dann so getan, als würde ich alles platzen lassen. Stur-preu-ßisch festgehalten. Und irgendwann habe ich meinen Willen bekommen.“

Erschlagen saßen sie anschließend in ei-nem Schnellrestaurant am Flughafen von Phnom Penh über dampfenden Schalen mit Nudeln, als plötzlich ein ohrenbetäuben-der Lärm den Himmel erfüllte: Die gewalti-gen Antonow-Flugzeuge, die sie eigens für den Transport der tonnenschweren Ladung gechartet hatten, setzten gerade zur Landung an. Von Kambodscha ging es nach Schanghai, wo die Statuen wiederum in einen Jumbo von KLM mit Ziel Amsterdam umgeladen wur-den. „Das war der Wahnsinn“, sagt Arbeiter. Und sieht dabei so aus, als könne er gar nicht genug davon bekommen.

Unser Agent hat uns erst später gesagt, dass das Taliban warenDirk Arbeiter, Niederlassungsleiter von DB Schenker Art, über eine heikle Begegnung in Pakistan

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RHEINISCHE POST | WIRTSCHAFT NR. 10JUNI 201814 | STRATEGIE

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Ausweitung der Wohlfühlzone: Arbeitgeber tun eine Menge,

um ihren Angestellten die Zeit am Schreibtisch zu versüßen.

VON MILENA REIMANN

Was versprechen sie nicht alles: Den „Bü-roalltag ein bisschen bunter“ macht ein

Obstlieferant. Ein Massageun-ternehmen will den Firmen „Mit-arbeiterbegeisterung“ bringen. Und ein Blumendienst glaubt, dass man mit einem farbenfro-hen Strauß auf dem Schreibtisch die „Arbeit entspannter ange-hen“ kann. Die Anbieter, die mit ihren Produkten und Dienstleis-tungen die Zufriedenheit von Mitarbeitern verbessern wollen, sind zahlreich – und die Nach-frage aufseiten der Arbeitge-ber ist groß. Die Frage dabei ist nur: Reichen Sportprogramme und frischer Kaffee wirklich aus, um das Arbeitsklima zu verbes-sern?

Ganz einfach ist die Antwort darauf nicht. Sicher ist aller-dings, dass es sich für den Arbeit-geber auszahlt, wenn sich seine Angestellten im Unternehmen wohlfühlen. „Je zufriedener die Mitarbeiter sind, desto besser ist ihre Leistung“, sagt Sebastian Stegmann. Er ist wissenschaftli-cher Mitarbeiter am Institut für Psychologie der Goethe-Univer-sität Frankfurt und erforscht das Thema Arbeitszufriedenheit seit Jahren.

Stegmann führt noch einen weiteren Punkt an: Wer zufrie-den ist, bleibt seinem Unterneh-men länger treu. Ein großes Plus für Arbeitgeber: „Neue Leute zu rekrutieren und einzuarbeiten bedeutet für die Firma hohen Aufwand“, erklärt der Wissen-schaftler. Aber selbst wenn unzu-friedene Mitarbeiter nicht gleich kündigen – im Interesse des Un-

Kaffee und Sportkurse gibt es kostenlos, ein Feelgood-Manager umsorgt das seelische Wohl: Von einem guten Betriebsklima versprechen sich Firmen produktivere Mitarbeiter. Das funktioniert durchaus, meinen Experten — vorausgesetzt, die Chefs stehen wirklich dahinter.

All inclusive im Büro

ERSTE-HILFE-MASSNAHMEN FÜR DAS KLIMA

Anerkennung zeigen Wer gute Arbeit leistet, will dafür auch belohnt werden. Dabei geht es nicht nur um Gehalt und Boni, auch ein Lob gehört dazu – sofern es ernst gemeint ist.

Rückendeckung geben In Ausein-andersetzungen mit höherrangigen Stellen sollten Führungskräfte die berechtigten Interessen ihrer Unter-gebenen schützen. Das schweißt das Team zusammen.

Abwechslung bieten Es gibt Men-schen, die feste Abläufe schätzen. Für viele aber ist nichts ist nervtöten-der, als tagein, tagaus dieselben Jobs erledigen zu müssen. Wann immer es möglich ist, sollten sie aus der Routine ausbrechen können.

Verantwortung übertragen Für Entscheidungen, die Angestellte selbst treffen, setzten sie sich mit größerer Überzeugung ein.

dern erkundigen, fragen, was die Mitarbeiter umtreibt. Zu diesem Sichkümmern könnten durch-aus auch Faktoren wie kosten-loser Kaffee oder frisches Obst zählen.

Gerade in Zeiten des von vielen Branchen beklagten Fachkräf-temangels versuchen Firmen, Mitarbeiter über einen All-in-clusive-Service anzulocken. Vor einigen Jahren hat dieses Credo sogar neue Berufsbilder geschaf-fen. So gibt es inzwischen Fir-

men – nicht selten sind es hippe Start-ups –, die eigens Mitarbei-ter anstellen, die sich um das Wohlergehen der Kollegen küm-mern sollen. Sie heißen Feel- good-Manager oder auch Chief Happiness Officer. Ein Großteil davon sind Frauen mittleren Alters. Wenn die eigenen Kin-der gerade aus dem Haus sind, kümmern sie sich um eine Hor-de junger Uniabsolventen: Sie backen Kürbis-Quiche zum Mit-tagessen, sorgen für unendlichen

Latte-macchiato-Nachschub, dekorieren die Büroräume mit Pflanzen – oder hören den Mitar-beitern einfach mal zu.

Erforscht sind die kleinen Wohlfühlgesten vom kostenfrei-en Kaffee bis zum Yoga im Büro noch nicht abschließend. Steg-mann glaubt allerdings: Wenn der Haussegen in der Firma so-wieso schon schief hängt, hel-fen auch frisches Obst und ent-spannende Massagen nur selten: „Wenn Mitarbeiter das Gefühl

haben, sie werden gemolken, und dann stellt der Chef eine Schüssel Obst hin – wie kommt das an?“

Auf der anderen Seite würden solche Maßnahmen durchaus auf fruchtbaren Boden fallen, wenn die Art der Arbeit und die Führungskultur im Lot seien. „Ein frischer Blumenstrauß sollte auch nicht unterschätzt werden, denn es geht am Ende ja um die Wertschätzung, die damit ausge-drückt wird.“

ternehmens sollte es trotzdem sein, ihr Wohlbefinden zu ver-bessern. Denn sie sind anfällig für psychische Krankheiten vom Burn-out bis zu Depressionen. „Die Leute werden verbittert und schrauben ihr Arbeitspensum zurück. Das ist für keine Seite gut“, sagt der Forscher.

Wie also kann der Büroalltag so gestaltet werden, dass er die An-gestellten zufrieden macht und gesund hält? Die grundlegenden Faktoren kennt die Arbeitspsy-chologie schon lange. „Es kommt als Erstes auf die Gestaltung der Arbeit an sich an“, sagt Steg-mann. Wer sich einbringen darf, Handlungsspielräume hat und nicht jeden Tag die gleiche Auf-gabe erledigen muss, der sei zu-friedener. „Auch wenn jemand merkt, dass seine Arbeit wichtig ist für andere Menschen, dann macht das zufriedener“, sagt Stegmann.

Menschen brauchen Wertschätzung. Das gilt im Beruf genauso wie privat Großer Einfluss kommt dabei der Führungskultur in einem Unter-nehmen zu. Vor allem zwei Dinge müssen aus Stegmanns Sicht für die Zufriedenheit der Mitarbeiter gegeben sein. Erstens: Es braucht feste Strukturen. „Es muss klar sein, was zu tun ist, und warum man als Mitarbeiter wie bewertet wird“, sagt Stegmann. Zu erklä-ren, was die Ziele der Firma sind, wie die Lage am Markt ist und warum eine Aufgabe zielführend ist, könne dabei ebenfalls helfen. Zweitens: Chefs sollten sich um die Mitarbeiter kümmern. „Es geht vor allem ums Zuhören“, erklärt Stegmann – mal ein Lob aussprechen, sich nach den Kin-

RHEINISCHE POST | WIRTSCHAFT NR. 10JUNI 2018 STRATEGIE | 15

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Eine Such-App spürt entlaufene Haustiere auf.

Ein intelligenter Briefkasten sorgt dafür, dass Post bei längerer Abwesenheit später zugestellt wird.

Türen öffnen sich automatisch, wenn sich ein Bewohner nähert.Bei Unbefugten geben sie Alarm.

Waschmaschine und Trockner

laufen nur, wenn vom Dach oder vom Versorger preisgünstiger

Ökostrom verfügbar ist.

Über Smart Speaker lassen sich unterschiedlichste Funktionen im Haus steuern. Auch Onlineeinkäufe oder Pizzabestellungen sind möglich.

Sensoren an den Fenstern warnen bei Einbruchsversuchen. Die Jalousien werden von Lichtsensoren oder einer App gesteuert.

Die Heizung fährt hoch, wenn das Smartphone eines Bewohners meldet,

dass er auf dem Weg nach Hause ist.

Der Mähroboter hält automatisch

den Rasen auf Länge.

Die Mülltonne meldet, wenn sie geleert werden muss.

Der Kühlschrank meldet direkt an einen Lieferanten, wenn frische Lebensmittel geliefert werden müssen.

Einfache Untersu-chungen von Kranken sind per Video möglich – ein Pflegeroboter kann Medikamente geben.

Superschnelles Internet kommt mit der neuen Mobilfunkgenera-tion 5G vom Laternenmast in viele Häuser auf dem Land.

Vernetzte Sensoren rufen bei einem Brand die Feuerwehr.

Vernetzte Überwachungskameras

schützen vor Einbrüchen. Bewohner werden durch

Gesichtserkennung identifiziert.Eine

Fotovol-taikanlage

auf dem Dach speist Strom ein. 5G

Sensoren erfassen die Bewegung im Haus. Verlassen die Bewohner ein Zimmer, schaltet sich das Licht aus.

Eine intelligente Luftregulierung sorgt

für angenehmes Klima in den Räumen.

VON REINHARD KOWALEWSKY

Als am Abend des 15. März plötzlich von ihr nicht aufgerufene Bilder über ihren Fernseher flimmern, wähnt Landwirtschaftsministerin Christina

Schulze Föcking radikale Tierschützer am Werk: Die hätten ihr privates WLAN geknackt und eine Debatte über die „Schweinestal-laffäre“ auf ihrem Bauernhof auf ihren Bild-schirm gestreamt, um sie einzuschüchtern. Und mit einem Mal erscheint das voll ver-netzte, digitale Eigenheim, in dem alle Gerä-te miteinander kommunizieren, nicht mehr als die technologische Verheißung, als die es sonst gepriesen wird, sondern vor allem als eines: angreifbar. Als Cyberexperten jedoch feststellen, dass keineswegs Hacker hinter dem ungewollten TV-Erlebnis stecken, son-dern schlicht ein falsch bedientes iPad, ist die Peinlichkeit groß. So groß, dass die Ministerin sie erst geheim hält – und später zurücktritt.

Schulze Föcking dürfte nach dieser Episo-de eher kein Fan des Smarthomes sein. Der Kabelnetzbetreiber Unitymedia und die gro-ße NRW-Wohnungsfirma LEG dagegen sehen darin eine gewaltige Chance. In noch gehei-men Projekten arbeiten sie daran, Tausende Wohnungen zu digitalisieren. Ferngesteuerte Waschmaschinen, digitale Rauchmelder oder Einbruchschutzsensoren – all das könnte bald schon zum Alltag der Mieter gehören. Die sicheren Datenleitungen dazu sollen von Unitymedia kommen.

In diesen Tagen startet ein Pilotprojekt mit einigen Hundert Wohnungen in Mon-heim, doch der Konzern hat längst größere Ambitionen: „Wir haben das Ziel, künftig Hunderttausende Haushalte zu digitalisie-ren“, sagt Hans Martin Czermin, der den Un-ternehmensbereich Wohnungswirtschaft und Geschäftskunden leitet. „Wir sehen die Anwendungsmöglichkeiten für Smartbuil-ding-Lösungen als grenzenlos an.“

Tatsächlich fängt der Siegeszug des digita-len Hauses erst richtig an. Laut einer Studie der Unternehmensberatung Arthur D. Little für den Branchenverband Eco steigt der Um-satz mit Vernetzungsanlagen für private Häu-ser in den nächsten fünf Jahren im Schnitt um 26,4 Prozent. Der Umsatz mit Smart- homes springt demnach von aktuell 1,3 Milli-arden Euro bis 2022 auf 4,3 Milliarden.

Was Amazons Alexa kann, soll auch ein Sprachassistent der Deutschen Telekom leisten. Datenschutz gibt's obendraufHeute nutzten zwei Millionen Haushalte Sys-teme zur digitalen Kontrolle und Steuerung ihrer Wohnung, in fünf Jahren sei mit mindes-tens acht Millionen zu rechnen, so die Studie. Damit wäre rund jeder fünfte Haushalt ver-netzt. „Im Smarthome sind alle Geräte im und ums Haus vernetzt und agieren intelli-gent“, sagt Eco-Geschäftsführer Harald Sum-ma. „Das Internet bildet dafür die Grundlage, denn es verbindet die Geräte untereinander und ermöglicht den Datenaustausch.“

Ein Vorreiter ist die Deutsche Telekom. Sie erhöhte die Zahl der Kunden, die den Service Connected Home nutzen, in einem Jahr um 80 Prozent auf 283.000. Mit im Paket kann die Steuerung der Heizung oder einer Hi-Fi-An-lage sein. Laut Telekom lassen sich 250 Ge-räte oder Dienste verschiedener Hersteller mit dem System verknüpfen. So sind Lampen von Osram per App dimmbar, bei einem Ein-bruch ruft der Partner Ergo die Polizei, bei einem Wasserschaden den Installateur, wenn die Hausbewohner nicht erreichbar sind.

Dabei zählt die Telekom die Vermarktung von Smarthome-Produkten zum Kern ih-rer Strategie: So entwickelt sie einen eige-nen Sprachassistenten, mit dem die Geräte gesteuert werden können. Was Alexa von Amazon bereits kann, soll es also auch von Europas größtem Telefonkonzern geben – Datenschutz inklusive. „Wir setzen auf In-novation“, sagt Dirk Wössner, Deutschland-chef der Telekom. „Im vernetzen Zuhause mit Magenta-Smarthome spielen Geräte und Dienste automatisch und nahtlos zusam-men.“

Dabei sind Allroundlösungen wie bei der Telekom oder künftig Unitymedia nur Teil des Trends zur Automatisierung des Hauses. Pa-rallel zum Siegeszug des Smartphones setzen

Es kocht Kaffee auf Zuruf, lässt die Rolläden herunter, wenn die Sonne blendet, und verständigt die Polizei bei einem Einbruch: Das Smarthome ist längst keine Vision mehr. Viele Unternehmen aus NRW mischen in dem Milliardenmarkt mit. Doch in den Internetgiganten aus den USA haben sie harte Konkurrenz.

Das Haus, dein Freund und Helfer

Wir sehen die Mög-lichkeiten für Smart-building-Lösungen als grenzenlos anHans Martin Czermin, Leiter des Bereichs Wohnungswirtschaft bei Unitymedia

VON REINHARD KOWALEWSKY

Herr Hübinger, eine Reihe Ihrer Geräte werden mit Alexa von Amazon unterstützt.

Macht sich Miele abhängig von dem US-Konzern?Peter Hübinger: Nein, dieser Zusammenhang lässt sich nicht herstellen. Zunächst einmal ist es die Entscheidung eines jeden Kunden, ob er sich zum Beispiel Alexa in seine Wohnung stellt. Die erste Anwendung ist dabei übri-gens meist das sprachgesteuerte Musikhören, erst dann kommen typische Smarthome-Funktio-nen wie das Bedienen von Licht oder Rolladen hinzu. Wenn der Kunde über Alexa dann auch seine Hausgeräte steuern möch-te, bietet ihm Miele die Chance dazu. Im Übrigen ist Alexa für uns nur der erste Schritt, Schnitt-stellen zu anderen relevanten Playern werden folgen.Sind Google und Apple für Sie Wettbewerber oder Partner?Hübinger: Für die Sprachsteu-erung unserer Produkte sind es potenzielle Partner, denn eige-ne Sprachmodule anzubieten ist nicht unsere Kernkompetenz. Stattdessen setzen wir hierfür auf die Expertise und kurzen Entwicklungszyklen anderer Un-ternehmen, um für unsere Kun-den so den größtmöglichen Nut-zen zu erzielen. Demgegenüber sind wir den Digitalmultis bei

der Verfahrenstechnik unserer Geschäftsfelder Küche, Wäsche- und Bodenpflege weit voraus – und sehen sie insoweit auch nicht als Wettbewerber.400 Ihrer Geräte lassen sich di-gital steuern unter anderem per App. Nutzen Kunden das wirk-lich, oder ist das Imagepflege?Hübinger: Inzwischen nutzen immer mehr Kunden die digi-talen Dienste. Wer per Smart- phone Kontoauszüge abruft oder

die zahlreichen Anwendungen der US-Internetkonzerne nutzt, steuert zunehmend auch Haus-geräte von unterwegs oder ruft Rezepte und Zubereitungstipps ab. Und so, wie man heute nicht mehr in eine Bücherei geht, um etwas nachzuschlagen, so schät-zen es Kunden, wenn die Wasch-maschine selbstständig meldet, dass das Waschmittel zur Neige geht und per App bequem nach-bestellt werden kann. Und das ist erst der Anfang.Was mögen die Deutschen be-sonders, was läuft zum Beispiel in den USA am besten?

Hübinger: Hier wie dort stehen Anwendungen hoch im Kurs, die einen Mehrwert in Richtung Convenience bieten, Komplexi-tät reduzieren oder helfen, Bedi-enfehler zu vermeiden. Deutlich voraus sind uns die Amerikaner aber bei den Lebensmittelliefe-rungen und auch bei digitalen Sicherheitsfeatures, von „smar-ten“ Türschlössern und Anwe-senheitssensoren bis hin zur Nannycam die den Babysitter im Blick behält. Generell sind die US-Konsumenten digital expe-rimentierfreudiger. Auch beim Umgang mit den eigenen Daten ist man dort weniger empfind-lich als in Europa. Wie offen ist Miele für die Idee, ein intelligentes Haus ganz aus einem System zu steuern? Hübinger: Kein Unternehmen wird in der Lage sein, alle Funk-tionen gleichermaßen verfüg-bar zu machen. Deshalb wird es immer mehrere geben, die ihr jeweiliges Kerngeschäft wie zum Beispiel die Hausgeräte mit er-gänzenden Produkten und di-gitalen Services so verbinden, dass sie ein eigenes Eco-System bilden, wie wir es nennen. Dafür wiederum braucht man starke Partner, beispielsweise in Form von herstellerunabhängigen Plattformen. Miele allein wird auf absehbare Zeit keine kom-plette Haussteuerung anbieten – mit einer solchen kompatibel zu sein, ist dagegen sinnvoll.

Beim vernetzten Haus kooperieren deutsche Firmen mit Digitalriesen aus den USA. Zum Vorteil beider Seiten, ist man bei Miele überzeugt.

„US-Konsumenten sind experimentierfreudiger“

Apple hat die Plattform Homekit entwi-ckelt, die Geräte miteinander verknüpfen soll. Vorstandschef Tim Cook demonstrierte jüngst auf der Entwicklerkonferenz des Kon-zernes, wie das Spracherkennungssystem Siri auch Befehle zur Steuerung des Hauses aus-senden soll. Wenn ein Berufstätiger Siri im Auto mitteile, er fahre nach Hause, soll die Heizung automatisch hochfahren. Er selbst,

erzählt Cook, nutze das System, um den Tag stressfreier zu starten: „Wenn ich zu

Siri Guten Morgen sage, läuft die Kaf-feemaschine und das Licht geht an.

Und wenn ich gehe, reicht ein Klick auf dem iPhone, um das

Licht zu löschen und die Tür zu verriegeln.“

Mit besonders hohen Investitionen drängt Google vor. Der Kon-zern hat 2014 die Spezialfirma Nest für 3,2 Milliarden Euro erworben. In Deutschland werden Überwachungskameras, Thermosta-te, Türklingeln mit Videokontrolle sowie per Funk überwachte Rauch- und Kohlenmono-xidmelder angeboten.

Dabei handelt es sich nicht um eine ab-geschottete Lösung. So kann ein per Funk gesteuertes Wasserventil von Grohe auto-matisch geschlossen werden, wenn der Be-wohner das Haus verlässt, die Geräte lassen sich sowohl mit der Telekom-App für Magen-ta-Smart-Home wie per Digitalassistent Alexa von Amazon bedienen.

„Viele Unternehmen versuchen, zentrale Elemente der Wertschöpfung im Smarthome für sich zu beanspruchen – darunter Groß-konzerne, Start-ups und natürlich die vier Internetriesen Google, Amazon, Facebook und Apple“, sagt Unternehmensberater Van-dieken. „Während einige Produkte intelligent miteinander verbunden werden können und so für den Kunden echten Mehrwert schaf-fen, schotten sich andere Systeme noch von-einander ab.“

Ein Beispiel dafür ist das Verhältnis von Nest (Google) und Apple. Nutzer können die Nest-Geräte auch mit einer App auf dem iPhone steuern, doch integriert in die Platt-form Homekit von Apple sind sie bisher nicht.

Selbst an Haustiere haben die Strategen des Smarthomes gedacht: Hunde bekommen ihren Fressnapf automatischWeil neue Funksensoren extrem klein sind und wenig Energie brauchen, bietet Vodafo-ne an, Schulranzen oder Haustiere damit zu bestücken – das erleichtert die Suche. Die Monatsgebühr dafür liegt bei 6,99 Euro. Für die Deutsche Bahn hat Vodafone Sensoren entwickelt, die melden, wenn ein Mülleimer in einem Bahnhof geleert werden sollte – nach diesem Modell lässt sich natürlich auch managen, wann der Müll von Privathaus-halten abgeholt wird. Noch weiter geht die Telekom: Mit Funkchips ausgestattete Fuß-matten sollen berufstätigen Eltern melden, wenn die Kinder zu Hause ankommen. Beim Hund kommt ein Fressnapf automatisch an-gerollt – so Visionen des Konzerns. „Die Mög-lichkeiten beim Internet der Dinge sind fast unbegrenzt“, sagt Claudia Nemat, Technik-vorstand der Telekom.

Den nächsten großen Sprung nach vorn auch für das vernetzte Haus wird die Mobil-funkgeneration 5G bringen, weil sie nicht nur deutlich mehr Kapazitäten liefert, son-dern auch Daten mit einer Geschwindigkeit von einer Tausendstelsekunde übertragen kann.

Huawei aus China und Nokia aus Finn-land haben Minifunkzellen für die ab 2020 startende nächste Mobilfunkgeneration 5G entwickelt, mit denen Privathäuser bestrahlt werden sollen. Telekom, Telefónica Deutsch-land und Vodafone planen den Einsatz. Ein mögliches Projekt könnte dann sein, so der Technikprofessor Gerhard Fettweis, dass Ärz-te kleine Roboter bei älteren Leuten in Echt-zeit steuern und überwachen, damit die Pati-enten dann zu Hause gut mit Medikamenten und Getränken versorgt sind. Fettweis weiß, wovon er spricht: Er leitet in Dresden das 5G Lab, die wichtigste Forschungseinrichtung zur Zukunft des Mobilfunks in Deutschland. Seine Vision: „Mit 5G können wir Kranke viel besser zu Hause betreuen. Das Internet wird taktil, also fühlend.“

Peter Hübinger leitet den Ge-schäftsbereich Smarthome des Hausgerä- teherstellers Miele aus Gütersloh.

sich viele Einzelangebote für vernetzte Pro-dukte im Haus durch. Gerade bei Unterhal-tungselektronik ist dieser Trend klar. Netflix hat in Deutschland mittlerweile wohl mehr Kunden als der eher über Satellit übertragene Videodienst Sky – so werden TV, Internet und Handy verknüpft. Musikfreunde kaufen sich keine CDs mehr, sondern abonnieren Spotify oder Google-Music. Neue Hi-Fi-Anlagen in-tegrieren diese Dienste oder die Funktech-nik Bluetooth direkt, aber auch für Be-sitzer älterer Anlagen gibt es Rettung: Philips verkauft neuerdings für 50 Euro einen Bluetooth-Adapter zum Anbinden des Smartpho-nes an eine ältere Hi-Fi-An-lage. „Digitale Technik verändert das Zusam-menspiel vieler Geräte im Haus“, sagt dazu der Unternehmensberater Marcel Vandieken von der Düsseldorfer SMP AG. „je einfacher die Lösungen sind, umso größer die Erfolgs-chance.“

Der Essener Dienstleister Ista liest den Wärmeverbrauch Hundertausender Heizun-gen bereits per Funk von der Straße aus ab. Jetzt entwickeln Digitalexperten Ideen, wie Ista auch ganze Häuser mit Sicherheitstech-nik ausrüsten könnte. Der Thermomix von Vorwerk lädt passende Rezepte per WLAN aufs Display – auch eine schlaue Einzellö-sung. Und deutlich mehr als 500 Euro teure Saugroboter wie der Roomba 980 von Irobot oder der Kobolt VR200 von Vorwerk lassen sich vom Handy aus aktivieren – ebenso wie autonom fahrende Rasenmäher. Minisicher-heitskameras wie Welcome von Netatmo für knapp 200 Euro oder die ähnlich teure No-kia-Home-HD-Kamera melden unerwarte-ten Besuch im Wohnzimmer an das Smart-phone. Die Wohnungsbesitzer können so gegebenenfalls die Polizei rufen und auch gleich Fotos der Einbrecher liefern.

Dabei hält auch das Landeskriminalamt einiges von intelligenter Haustechnik. Die Behörde betont zwar auf Anfrage, dass gute Türschlösser und gegen Aufhebeln gesicher-te Fenster der wichtigste Schutz sind. Doch gegen eine digitale Alarmanlage mit Raum-beobachtung haben die Kriminalisten nichts. „Wenn so eine Warnung vor Einbrechern in Echtzeit möglich ist“, heißt es auf Anfrage, „kann das eine interessante Ergänzung zum physischen Absichern des Hauses sein.“

Intelligent das Haus sichern, aus dem Netz die Musik streamen oder das Licht einschal-ten – per App nutzbare Einzellösungen da-für gibt es hundertfach. Gleichzeitig können die Nutzer aus einer Vielzahl von Kombina-tionsangeboten wählen. So glänzt das Tele-kom-System Magenta Home dadurch, dass es auf der Qivicon-Technik basiert. Auf diese Plattform haben sich mehr als 40 Unterneh-men geeinigt – Geräte können also auch un-tereinander kommunizieren und mit einer einzigen App gesteuert werden. „Ein Schritt in die richtige Richtung“, sagt Unterneh-mensberater Vandieken.

Bei besonders anspruchsvollen Nutzern liegt das System Homee der süddeutschen Spezialfirma Codeatelier im Trend. Es er-laubt die Verknüpfung von WLAN mit einer Reihe weiterer Funktechniken. So nutzt es Vandieken, um sein gerade im Bau befind-liches Einfamilienhaus am Rande von Düs-seldorf zu vernetzen. „Der modulare Ansatz erlaubt zahlreiche Einzelkomponenten, wie die Jalousie- und Lichtsteuerung trotz un-terschiedlicher Technologien einfach und drahtlos zu vernetzen“, freut sich der Bau-herr. „Das macht das aufwendige Verlegen von Kabeln unnötig.“

Natürlich spielen gerade die US-Online-giganten eine große Rolle beim Kampf um die Marktanteile beim intelligenten Haus. Amazon verknüpft seinen mit künstlicher Intelligenz arbeitenden digitalen Assistenten Alexa mit weit mehr als 100 Geräten wie fern-steuerbaren Steckdosen, einem Babyphone, Dutzenden Lampen und einer Kaffeemaschi-ne, die auf Sprachkommando den Espresso zubereitet. Und um die Einkäufe der Kunden anzuregen, verteilt der größte Onlinehänd-ler der Welt an seine Prime-Mitglieder zum Stückpreis von 4,99 Euro mit WLAN ausge-stattete Bestellknöpfe etwa für Windeln, Kaf-fee, Waschmittel oder Tierfutter.

RHEINISCHE POST | WIRTSCHAFT NR. 10JUNI 201816 | STRATEGIE

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John Legere, schillernder Chef von T-Mobile USA.

dpa

VON REINHARD KOWALEWSKY

Es sind gewaltige Sum-men, die da auf den Tisch kommen: Mit einem Ak-tientausch im Volumen

von rund 22 Milliarden Euro will sich die Deutsche Telekom bis Mitte 2019 den US-Mobilfunker Sprint einverleiben – ein gewal-tiger Machtzuwachs für John Legere, den markanten Chef des Amerikageschäfts der Telekom. Fast gleichzeitig hat die Londo-ner Vodafone Group angekün-digt, über ihren Düsseldorfer Ableger Vodafone Deutschland den Kölner Kabelnetzbetreiber Unitymedia schlucken zu wollen. Kostenpunkt: 15 Milliarden Euro, immerhin rund ein Viertel des aktuellen Werts der gesamten Gruppe an der Londoner Börse.

Es sind zwei der größten Zu-käufe in der Geschichte von Europas wichtigsten Telekom-munikationskonzernen. Aber sie werden nicht nur für einen Wachstumsschub sorgen, son-dern auch die internen Macht-verhältnisse grundlegend neu verteilen.

Geradezu extrem fällt diese Verschiebung bei der Telekom aus: Der Ableger T-Mobile USA wird nach dem Sprint-Kauf einen Jahresumsatz von 63 Milliarden Euro einfahren – fast zwei Drittel des gesamten Konzernumsatzes. Mit aktuell 25 Milliarden Euro kommt die Telekom in Deutsch-land nicht einmal auf die Hälfte des US-Umsatzes.

Und auch bei den Gehältern der Chefs ist zu fragen, wer Koch und wer Kellner ist: Tele-kom-Chef Tim Höttges, der in Solingen aufwuchs, kommt auf ein Jahressalär von 4,8 Millio-nen Euro. John Legere erreicht als Leiter des USA-Geschäfts rund 17 Millionen Euro – und sitzt nicht einmal im Weltvor-

Zwei Milliardenübernahmen verschieben die Koordinaten der Mobilfunkwelt: FürVodafone wird Düsseldorf mit dem Kauf von Unitymedia zum wahren Zentrum der Macht. Und bei der Telekom stellt die US-Tochter die Mutter in den Schatten.

Bonn liegt am Pazifik

nach einer Übernahmeschlacht für mehr als 100 Milliarden Euro erworbenen Mobilfunkgeschäfts von Mannesmann. Je wichtiger das Deutschlandgeschäft wird, umso mehr ist zu fragen, ob Düs-seldorf nicht künftige Konzern-zentrale sein sollte. Schon jetzt hat London wichtige Funktionen wie die Prüfung neuer Handys und viele weitere Projekte nach Düsseldorf delegiert. Deutsch-landchef Hannes Ametsreiter sitzt im Gegensatz zu seinen Vorgängern auch im erweiter-ten Weltvorstand. Gefragt, ob die Zentrale nach dem Brexit an den Rhein wechseln sollte, meint er nur: „Das kann ich nicht kommentieren. Solche Entschei-dungen werden von unserem Group-CEO und dem Aufsichts-rat getroffen.“

* nach Übernahme von Unitymedia bzw. Sprint;Quelle: Unternehmen, eigene Berechnung

Im Ausland groß Umsatzprognose für 2018 nach Sparten in %* Konzernheimat

Vodafone14,3sonstige

10,5Indien

10,2Spanien

10,2Südafrika

28,6Deutschland

13,9Groß-

britannien12,3

Italien

Telekom13,7sonstige

24,5Deutsch-land

61,8USA

Gesamt44

Mrd. €

Gesamt102

Mrd. €

stand. Stattdessen führt er T-Mobile äußerst selbstbewusst von Seattle an der US-Pazifik-küste. „Deutschland ist zehn Flugstunden weg und T-Mobile USA extrem erfolgreich“, spot-tet ein Telekom-Manager. „Wäre nicht der deutsche Staat unser Hauptaktionär, könnte uns die Übernahme durch unsere eige-ne Tochterfirma drohen.“ Der Duisburger Wirtschaftsprofessor Torsten Gerpott sagt: „Wegen des höheren Wachstumspoten-zials des USA-Geschäfts ist rich-tig, wenn dort besonders viel investiert wird. Nun bleibt Bonn zwar die Konzernzentrale, aber eine hohe Eigenständigkeit des US-Managements rund um Le-gere ist unverkennbar.“

Bei Vodafone gewinnt derweil die deutsche Tochter immer grö-

ßere Bedeutung. Mit Unityme-dia kommt sie auf einen Umsatz von rund 12,6 Milliarden Euro – knapp 30 Prozent des Geschäfts der ganzen Gruppe. Doch das ist nicht alles. Vodafone macht im britischen Heimatmarkt nur halb so viel Geschäft wie künftig in Deutschland. Zudem setzt der Konzern strategisch besonders auf den Ausbau des Festnetzes als Ergänzung zum Mobilfunk – und da nimmt der Deutschlandable-ger dank des künftigen Kabelge-schäfts mit bis zu 25 Millionen Kunden eine Kernfunktion ein, wogegen Vodafone in Großbri-tannien kein Festnetz besitzt.

Noch dazu spielt Düsseldorf traditionell eine besondere Rolle im Konzern: Vodafone Deutsch-land ist nichts weiter als die Nachfolgefirma des im Jahr 2000

RHEINISCHE POST | WIRTSCHAFT NR. 10JUNI 201818 | STRATEGIE

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VON BIRGIT MARSCHALL

In Brüssel und Berlin gibt es ein heißes Thema. Es kursiert unter dem Begriff „Gafa-Steuer“. Die Abkürzung steht für Google, Apple, Facebook und Amazon,

kurz Gafa. Dahinter verbirgt sich ein EU-Pro-jekt, das nicht nur im transatlantischen Ver-hältnis für Zündstoff sorgt: Europa will von den US-Internetkonzernen und anderen di-gitalen Unternehmen eine Steuer verlangen. Die Idee: Die digitalen Riesen aus den USA verdienen in Europa Abermilliarden, zahlen aber kaum Steuern. Denn im Vergleich zu Unternehmen der Old Economy, die in Euro-pa brav ihre Körperschaft- oder Einkommen-steuer abführen, sind die, die ihre Gewinne digital verdienen, klar im Vorteil.

Der Grund liegt auf der Hand. Gewinne werden dort verbucht und besteuert, wo Pro-duktion und Wertschöpfung stattfinden. Das setzt aber voraus, dass die Firmen in dem Land, in dem sie besteuert werden, Produkti-onsanlagen oder zumindest eine Verwaltung mit Entscheidungskompetenz haben. Die Zentralen der Internetkonzerne sind aber in Europa nicht physisch präsent. Ihnen fällt es zudem leicht, ihre Wertschöpfung und Ge-winne, ihre Patente und Lizenzen für Soft-ware beliebig dorthin zu verschieben, wo sie günstig besteuert werden. In Europa lockte vor allem Irland mit Niedrigsteuern weshalb Apple und Co. die Insel schätzen. Länder wie Deutschland, wo digitale Unternehmen enorme Gewinne erzielen, gehen so Einnah-men in Milliardenhöhe verloren.

Die EU will dem nun einen Riegel vorschie-ben. Im ersten Schritt will sie die Umsätze der Digitalkonzerne in Europa mit einer drei-prozentigen Sondersteuer belegen. Besteuert werden sollen etwa Umsätze, die Unterneh-men wie Facebook und Google mit Online-werbung erzielen. Zum anderen geht es um die in Europa erzielten Erlöse von digitalen Marktplätzen wie Airbnb und Uber. Im zwei-

Mit einer Sondersteuer will die EU Internetriesen wie Facebook endlich beikommen. Doch der Plan hat Tücken – vor allem für Deutschland.

Die Krux mit der DigitalsteuerAuch die EU muss sich an die eigene Nase fassen, weil sie sogar innerhalb der Staaten-gemeinschaft Niedrigsteuergebiete wie in Irland zulässt. Deshalb plädiert Becker nicht für eine Sondersteuer, sondern für eine in-ternational koordinierte Reform der Besteu-erung von Lizenzgebühren. Mit anderen Worten: Durch die bessere Bekämpfung der Steueroasen könnten auch Gewinne der Digi-talkonzerne effektiver besteuert werden. Ein für Deutschland gefährlicher Systemwechsel hin zum Ziellandprinzip wäre nicht nötig.

Unterhalten Internetkonzerne „virtuelle Betriebsstätten“? Dieses Konstrukt könnte der EU die Besteuerung ermöglichenHinzu kommt, dass die Besteuerung von Da-ten schwierig ist, weil nicht klar genug defi-niert werden kann, was Daten genau sind und wer von der Digitalsteuer betroffen wäre. Denn letztlich wird im Zeitalter der Digita-lisierung fast jedes Unternehmen ganz oder teilweise zum digitalen Unternehmen. „Auch kleine Reisebüros oder Hotels erheben Da-ten, mit denen sie wirtschaften“, gibt der Globalisierungsexperte Jens Südekum vom Düsseldorfer Institut für Wettbewerbsökono-mie zu bedenken.

Der Steuerexperte Lorenz Jarass von der Hochschule Rhein-Main hat einen Ansatz entwickelt, wie man das bisherige Steuersys-tem beibehalten könnte, zugleich aber die Ungerechtigkeit der geringeren Besteuerung der Digitalkonzerne lindert. Zielländer wie Deutschland sollten für Google und Co. ein-fach die Abzugsfähigkeit von Aufwendungen beschränken, sodass ein Teil des Gewinns der Konzerne ihrer deutschen Betriebsstätte zu-gewiesen werden müsste. Problem dabei: Die Konzerne müssten eine Filiale in Deutsch-land wirklich unterhalten. Da das oft nicht der Fall ist, arbeitet die EU-Kommission dar-an, die „digitale Präsenz“ von Facebook, Goo-gle und Co. in Europa als „virtuelle Betriebs-stätte“ zu definieren.

ten Schritt will die EU die Frage der Besteue-rung von Internetgewinnen systematisch be-antworten, also eine Digitalsteuer schaffen, die wie eine Körperschaftsteuer funktioniert.

Maßgeblich wurden die Pläne von Frank-reich vorangetrieben, aber auch die Bundes-regierung erkennt die dringende Notwen-digkeit an. Die Kanzlerin selbst hatte den Diskussionsprozess angestoßen: „Die Beprei-sung von Daten, besonders die der Konsu-menten, ist aus meiner Sicht das zentrale Ge-rechtigkeitsproblem der Zukunft“, hatte sie Ende Mai gesagt. „Das müssen wir in unser Steuersystem einarbeiten“, so Angela Merkel.

Mittlerweile verblasst ihr Pioniergeist aber. Sie hat erkannt, dass die Digitalsteuer für Deutschland eine Gefahr bedeutet. Wür-de nämlich das Sitzlandprinzip bei der Unternehmensbesteuerung in ein Ziel-landprinzip umgewandelt, bekäme die Exportnation Deutschland ein Prob-lem: Dann könnte der deutsche Staat wesentliche Teile seiner Steuerein-nahmen verlieren, weil exportierende deutsche Unternehmen ihre im Aus-land erzielten Gewinne im Ausland statt im Inland versteuern müssten. In ihrer jüngsten Regierungserklärung war Merkel deshalb zurückhaltender.

Das Bundesfinanzministerium rech-net ohnehin nur mit Einnahmen von rund 600 Millionen Euro aus der EU-Son-dersteuer. Der Anteil ergebe sich aus dem von der Kommission errechneten Aufkom-men von insgesamt 4,7 Milliarden Euro.

Auch viele Ökonomen halten wenig von der Idee der Digitalsteuer. Denn auch im Heimatland USA würden Digitalkonzerne wie Google und Apple nicht im norma-len Umfang besteuert. Tatsächlich wür-den Gewinne über Verrechnungspreise für geistiges Eigentum auch von den USA aus in Steueroasen gelenkt, sagt Finanzwissenschaftler Johannes Be-cker von der Universität Münster. dp

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Facebook-Chef Mark Zuckerberg ist nicht nur wegen der Datenschutz-praktiken seines Konzerns ins Visier der EU geraten. Sie will ihm auch ans Geld.

Apple, Google, Facebook und Amazon erzielen Milliardengewinne, zahlen aber kaum Steuern. Auch deshalb,

weil die Sätze international seit Jahren fallen.

GewinnmaschinenGewinn 2017 in Mrd. $ vor Steuern nach Steuern

Quelle: Yahoo Finanzen

Apple 64,0948,35

Alphabet(Google)

27,1912,66

Facebook 20,5915,92

Amazon 3,813,03

Von Wüsten zu OasenUnternehmensbesteuerung in %

Quelle: KPMG

15

10

5

0

20

25

30

35

40

2003

Irland

USA

EU-Durchschnitt

Deutschland

Frankreich

20182010

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SO WIRD DIE EHE GLÜCKLICH

„Liebe besteht nicht darin, dass man einander anschaut, sondern dass man in dieselbe Richtung blickt“ (Antoine de Saint-Exupéry) Ohne ein gemeinsames Ziel wird es nicht funktionieren. Sympathie ist wichtig, der persönliche Kontakt wertvoll, aber nur eine gemeinsame Vision wird zu einer gelungenen Partnerschaft führen – weil beide bereit sein werden, dafür auch an anderer Stelle Abstri-che in Kauf zu nehmen.

„Die Liebe ist wie ein Schmetterling: Hält man sie zu fest, wird sie erdrückt, zu locker, und sie fliegt einfach davon“ (Autor unbekannt) Nimmt man Start-ups ihre Agilität, ver-schenkt man ihr Potenzial. Als Corporate sollte man sich daher genau überlegen, wie viel Kontrolle notwendig ist – und wie eng man die Gründung an sich bindet.

„Eine glückliche Ehe ist eine, in der sie ein bisschen blind und er ein bisschen taub ist“ (Loriot) Es wird nicht alles perfekt laufen – und es wird viele Momente geben, in denen Gründer genau wissen, warum sie sich gegen die Ar-beit in einem Corporate entschieden haben. Und auch die Vorurteile, die mancher Corpo-rate-Mitarbeiter hat, dürften hin und wieder bestätigt werden. Egal. Wichtig ist, auch mal ein Auge zuzudrücken und die Fehler des anderen zu akzeptieren.

„Es gibt keine zweite Chance für einen ersten Eindruck“ (Unbekannt) Es ist wichtig, von Anfang an mit offenen Karten zu spielen und ein realistisches Erwartungsmanagement zu betreiben. Wenn man als Corporate ein Start-up hängen lässt, spricht sich das in der Branche herum – und andere Gründer überlegen es sich doppelt, ob sie mit dem Unternehmen kooperiert.

„Eine Ehe ist wie ein Restaurantbesuch: Man denkt immer, man hätte das Beste gewählt – bis man sieht, was der Nachbar bekommt“ (Bernd Stelter) Es ist wichtig, dass sich Start-ups im Vorfeld sehr genau Gedanken darüber machen, wel-ches Corporate am idealsten zu ihnen passen könnte. Denn es gilt zwar nicht der alte Satz „Drum prüfe, wer sich ewig bindet“, aber zu-mindest ein paar Jahre sollte man es in dieser Konstellation schon aushalten.

VON FLORIAN RINKE

In einem Accelerator-Programm ist es wie im Tanzkurs für den Abschlussball: Mo-natelang lernen sich ein Start-up und ein Konzern kennen, sie üben miteinander

und verbessern sich, genau wie die Jugendli-chen, die in der Tanzschule Walzer oder Cha-Cha-Cha einstudieren. Und dann, am Ende, demonstrieren sie vor versammelter Mann-schaft, was sie erreicht haben. Ziemlich blöd, wenn ausgerechnet da ein Fauxpas passiert. Etwa weil der Start-up-Gründer vor 500 Zu-schauern erklärt, dass „große Unternehmen wie die Metro zu träge sind“ – dabei aber ver-gisst, dass unter den Gästen 100 Metro-Mit-arbeiter sind, auf deren Investment er hofft.

Dank Sylvia Dudek ist das nie passiert. „Ich habe den Gründer gefragt, ob er das wirklich so sagen will, als ich seine Präsentation ge-sehen habe“, sagt sie. Dudek arbeitet für den „Metro Accelerator powered by Techstars“, wie das Start-up-Programm des Düsseldor-fer Handelskonzerns etwas sperrig heißt. Junge Gründer können sich in der Start-up-Schmiede auf einen von zehn Plätzen pro Durchgang bewerben und erhalten an-schließend eine Art dreimo-natiges Stipendium, in dem sie gemeinsam mit Exper-ten an ihrer Idee arbeiten. Dudek hat das Programm gemeinsam mit dem US-An-bieter Techstars aufgebaut – und ist nun so etwas wie die Tanzlehrerin, die den Grün-dern beibringt, sicher übers Parkett zu schweben.

Start-ups sind ein Ge-genentwurf zu sogenannten Corporates, also zu klassi-schen Unternehmen. Sie ti-cken völlig anders und doch sind die Anziehungskräf-te zwischen beiden Seiten groß. Die jungen Gründer schauen neidisch auf den Marktzugang und den Kundenstamm der Etablierten – wäh-rend die wiederum an der Dynamik und Kre-ativität der Gründer interessiert sind. Weil aber die Kulturen so verschieden sind, wird aus den Träumen schnell Frustration. Die Ge-fahren solcher Ehen sind mindestens so groß wie ihr Potenzial.

Man könnte Sylvia Dudek daher als eine Art Kulturschockbeauftragte bezeichnen, denn sie vermittelt zwischen beiden Welten. Sie sei ein Konzernkind, sagt die Programmdirekto-rin des Metro-Accelerators über sich selbst.

Start-ups und etablierte Unternehmen kommen aus verschiedenen Welten, doch beide haben Interesse am anderen: Der eine will den Kundenstamm, der andere die

unkonventionellen Ideen. Wie sich die Kulturen vereinen lassen.

Hochzeit im Himmel

Vor Beginn des Start-up-Programms hat sie gut zehn Jahre in der Metro-Zen-trale gearbeitet. Das helfe ihr jetzt, da sie so ein genaues Verständnis der Funktions-weisen und Interessen beider Seiten mitbrin-ge. Für Projektpräsentationen etwa gebe es bei Metro einen typischen Aufbau. Der sei nirgendwo festgelegt, aber jeder denke ihn mit. Ein Start-up hingegen sei sich solcher Konventionen nicht bewusst.

Komplexe Hierarchien? Halten Gründer für überflüssig. Die Abläufe in Konzernen müssen sie erst mühsam lernenAuch anderswo kennt man diese Reibungs-punkte. „Wir sind manchmal der Übersetzer zwischen den Welten“, sagt Julia Doll. Sie lei-tet bei Vodafone die Start-up-Einheit Uplift, die das Unternehmen stärker mit Gründern vernetzen soll. „Als ich vor drei Jahren anfing, war der Arbeitsauftrag an mich: Entwick-le ein Konzept für Start-ups.“ Heute hat das Programm selbst mehrere Entwicklungs-schritte durchlaufen – weil man Erfahrungen

gesammelt hat und diese in den Arbeitsalltag einfließen lassen konnte.

Zum Beispiel beim Thema Geschwindigkeit. „Wir kön-nen nicht in den üblichen Zeitspannen arbeiten“, sagt Doll. „Die Start-ups sind viel agiler, die wollen nicht an die Kette gelegt werden von einem Großkonzern mit seinen Hierarchiestufen und Abstimmungsprozes-sen.“ Ähnlich sieht es Paolo Bavaj, der die Ventures-Ak-tivitäten im Unternehmens-bereich Adhesive Technolo-gies beim Waschmittel- und Klebstoffkonzern Henkel leitet. „Gründer haben nur begrenztes Kapital, und es stellt sich ständig die Frage,

wie man an neues kommt. Das sorgt für Fo-kus, Druck, und damit für Geschwindigkeit“, sagt er. Also muss sich ein Konzern in diesem Punkt anpassen, wenn die Zusammenarbeit funktionieren soll. Bei Henkel gibt es deshalb Projektmanager, die sich um Start-ups küm-mern. Sie sorgten dafür, dass deren Probleme oben auf der Tagesordnung seien und sie die nötige Unterstützung bekämen, sagt Bavaj.

Umgekehrt müssen sich auch die Start-ups anpassen, wenn sie Geschäfte mit Konzer-nen machen wollen. „Ein Konzern ist groß, Abstimmungen können da schon einmal

etwas länger dauern als in

einem Start-up“, sagt Metro-Manage-

rin Dudek. Junge Firmen müssten erst Strukturen entwickeln, obwohl das für sie gerade in der frühen Phase ihrer Grün-dung weniger wichtig sei. So lief es etwa beim Düsseldorfer IOX Lab, das eine Kooperation mit Vodafone schloss. Das Start-up ist auf die schnelle Entwicklung von Prototypen spezia-lisiert, gemeinsam wollen Vodafone und IOX Lösungen für das Internet der Dinge entwi-ckeln. Beide Partner behalten ihre Eigenstän-digkeit, aber beim Start-up übernahm einer der Mitgründer die Funktion des Key-Ac-counters für Vodafone – sodass der Konzern einen festen Ansprechpartner in dem dyna-mischen Umfeld hat. „Wir sind im vergange-nen Jahr um 130 Prozent gewachsen, aber wir müssen Vodafone natürlich Verlässlichkeit bieten“, sagt IOX-Mitgründer Andreas Bell.

Wegen solcher Fälle ist Henkel-Manager Bavaj überzeugt, dass man sich als Start-up keinen Illusionen hingeben sollte. „Das In-vestment eines Corporates schränkt immer die Freiheit ein – das wird nicht laut ausge-sprochen, ist aber impliziert“, sagt er. Wenn Henkel investiert, würde beispielsweise kein Wettbewerber mehr Geld in diese Gründung stecken. „Ein Start-up sollte sich deswegen sehr genau überlegen, welches Corporate am besten geeignet ist, die eigenen Ziele zu unterstützen.“ Geld bekomme man anders-wo günstiger, sagt Bavaj. „Henkel wählt man wegen des strategischen Werts.“ Umgekehrt schaue auch der Konzern genau hin. „Henkel Ventures ist eine Art Tech-Tinder“, sagt Bavaj: „Wir sichten allein im Unternehmensbereich Adhesive Technologies jedes Jahr 2500 Start-ups – und entscheiden ziemlich schnell, wen wir attraktiv finden und wen nicht.“

Die Corporates beschränken sich dafür entweder auf eine Kooperation oder eine Minderheitsbeteiligung. Bei Metros Accele-rator geben die Start-ups anfangs sechs Pro-zent der Firmenanteile ab, bei Henkel strebt man zunächst einen maximalen Anteil un-ter 20 Prozent an. „Je mehr man Start-ups in Ruhe arbeiten lässt und je weniger man sie mit Corporate-Prozessen konfrontiert, umso besser können sie arbeiten“, sagt Bavaj. Julia Doll meint: „Das, was wir an Start-ups lieben, würden wir sonst töten.“

Es geht um Anpassung, nicht um Assimila-tion. Auch Sylvia Dudek hat ihr Konzernleben nicht vergessen, sondern ihre Erfahrungen nur erweitert. Allerdings: Die Hosenanzüge bleiben inzwischen meist im Schrank. In der Start-up-Szene geht es legerer zu.

Start-ups sind viel agiler. Die wollen nicht von einem Konzern mit seinen Hierarchie- stufen an die Kette gelegt werdenJulia Doll leitet die Start-up- Einheit Uplift bei Vodafone

Rorschachtests sollen die Persönlich-keit eines Menschen offenbaren. Wenn das wirklich funk-tioniert, könnte er Start-up-Gründern und Konzernmanagern helfen, Verständnis für den jeweils anderen zu entwickeln.

RHEINISCHE POST | WIRTSCHAFT NR. 10JUNI 201820 | STRATEGIE

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RHEINISCHE POST | WIRTSCHAFT NR. 10 | JUNI 2018 | SEITE 21

Digitaler Vordenker

Seit April ist Tengelmann-Chef Karl-Erivan Haub verschollen.

Was das für den Konzern bedeutet.

SEITE 23

dpa

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Mensch & Wirtschaft

Störung im Betriebsablauf

gewünscht

Mit fremden Gestirnen kennt sich Sabina Jeschke seit ihrer Zeit bei der Nasa aus. Jetzt ist sie auf einem besonderskomplizierten Planeten gelandet: Die Physikerin soll die Bahn ins Digitalzeitalter bringen. Es ist die bisher größte Herausforderung der rastlosen Forscherin.

Statt vor Studenten im Hörsaal spricht Sabina Jeschke heute auf den Bilanz-pressekonferenzen der Deutschen Bahn. Die Themen unterscheiden sich weniger, als man denken könnte: Hier wie da geht es um den Einsatz künstlicher Intelligenz.

VON MAXIMILIAN PLÜCK

Wer einmal einem Verkehrsdis- ponenten der Deutschen Bahn über die Schulter geschaut hat und den Kampf Mensch gegen

Verspätung am Computerbildschirm miter-leben konnte, der hat einen Eindruck davon, was für gigantische Datenmengen bei dem Staatskonzern Tag für Tag anfallen. Sie führen dazu, dass die Bahn auf vielen Feldern lang-sam und träge agiert. Das wird sich nach dem Willen der Führungsriege allerdings bald än-dern. Eine Frau soll in das Datendickicht eine Bresche schlagen: Sabina Jeschke, promo-vierte Physikerin und Informatikprofesso-rin, ist nach zähem Gerangel im Aufsichtsrat seit November 2017 zur Vorständin für den Bereich Digitalisierung und Technik bei der Deutschen Bahn berufen worden.

Jeschkes Vita liest sich beeindruckend. Auf die Welt kam sie am 27. Juli 1968 als Kind deutscher Eltern im schwedischen Kungälv. „Mein Vater war beruflich dort. Er hat für Vat-tenfall gearbeitet, da ging es insbesondere um Kraftwerksbau“, sagt sie im Gespräch mit unserer Redaktion. Als Jeschke eingeschult werden soll, zieht die Familie nach Deutsch-land zurück. „Mein Vater hat die nächsten zehn Jahre im Wesentlichen pendelnd zu-gebracht“, sagt Jeschke – ein Zustand, den sie selbst nur zu gut kennt. Ihre Familie lebt schon lange in Berlin, wo ihr Mann an der TU arbeitet. Während ihrer zehnjährigen Zeit als Professorin in Stuttgarter und Aachen war sie es, die pendeln musste. „Dank meiner Tätig-keit bei der Bahn konnte ich meinen Lebens-mittelpunkt wieder nach Berlin verlagern.“

Distanzen hat sie schon in jungen Jahren nicht gescheut: Als Studentin ging sie mit ei-nem Stipendium nach Kalifornien zur Raum-fahrtbehörde Nasa. Jeschke ist in der Grund-lagenforschung beschäftigt und entwickelt für die Amerikaner Softwaresimulationen von Doppelsternsystemen, also Programme, um physikalische Daten auszuwerten. „Die Planeten laufen ja vor dem Zentralgestirn entlang, und das erzeugt gewisse Einbrüche bei der Helligkeit.“ Mithilfe solcher Simula-tion ließen sich Rückschlüsse darauf ziehen, ob man tatsächlich gerade ein Doppelstern-system vor sich habe.

Als sich ihre Berufung in den Vorstand ver-zögert, fürchten manche, sie könne hinwer-fen: Jeschke gilt als ungeduldigJeschke, die zum Zeitpunkt ihres Nasa-En-gagements mitten im Physikstudium steckt, bringt die nötigen Vorkenntnisse mit. „Meine Schwerpunkte waren neben der theoreti-schen Physik die Gebiete Astrophysik und As-tronomie.“ Raumfahrt und Eisenbahnen? Die Themen könnten kaum weiter voneinander entfernt liegen. Doch Jeschke winkt ab. Bis heute profitiere sie von der Nasa-Zeit: „Diese großen astrophysikalischen Programme wur-den in den 90er-Jahren schon so entwickelt, wie das heute immer stärker angewandt wird.

Da wurden kleine Module programmiert, die zusammenhängend funktionieren müssen.“ Die Organisation solcher Schnittstellen ge-hört eben auch zu jenen zentralen Frage, die heute die Bahn umtreiben.

Jeschke kehrt mit ihrer Familie aus den USA zurück und schließt in Berlin ihr Physikstu-dium mit Einserdiplom ab. Der Weg für eine wissenschaftliche Karriere ist frei. 2005 wird die Mutter eines Sohnes Juniorprofessorin an der TU, 2007 folgt der Ruf nach Stuttgart, 2009 kommt der Wechsel an die RWTH Aachen.

Ein Kollege bezeichnete Jeschke in einem Interview einmal als ungeduldig. Es war als Kompliment gemeint. „Das ist ein Charakter-zug, den ich durchaus habe“, sagt sie selbst. „Wenn ich das Gefühl habe, dass Leute Pro-zesse bewusst verzögern, werde ich extrem ungeduldig. Oder wenn mir jemand sagt: ,Ja, es gibt eine Lösung für dein Problem, die wird aber erst in zehn Jahren wirksam.‘ Da sage ich dann: Sorry, aber ich habe das Problem jetzt und brauche die Lösung jetzt.“ Es störe sie zudem sehr, wenn sie das Gefühl habe, in taktische Spielereien hineinzugeraten. „Ich bin ein inhaltlich und fachlich orientierter Mensch. In so einer Situation kann ich unge-mütlich werden.“

Vor diesem Hintergrund dürfte so man-cher während ihres Berufungsprozesses in den Bahn-Vorstand unruhig geworden sein. Jeschke, die von der Arbeitnehmersei-te unterstützt wurde, drohte zum Spielball zu werden, nachdem Gewerkschaften und SPD-Politiker die Berufung des Güterver-kehrsvorstands blockierten. Am Ende fürch-tete mancher, Jeschke könne sich genervt zu-rückziehen. Andere Betätigungsfelder hätte es ja zur Genüge gegeben. Im vergangenen Jahr etwa baute sie für Volvo ein Zentrum für künstliche Intelligenz (KI) in Göteborg auf.

Doch allem Hickhack zum Trotz geduldet sie sich. „Die Situation war insbesondere für die RWTH Aachen schwierig“, sagt sie. „Es war lange einfach nicht klar, ob ich gehen würde oder nicht. Ich hatte einen großen Lehrstuhl, eine Veranstaltung mit 2000 Stu-dierenden. Ich war zudem zentral involviert in verschiedenen Exzellenzinitiativen – da lief es auf die heiße Beantragungsphase zu.“

Doch das ist nun passé. Die agile Professo-rin hat ihr Büro im 24. Stock des Bahntowers am Potsdamer Platz bezogen. Die baulichen Veränderungen, die sie vornehmen ließ, sor-gen bereits für Verwunderung: Sie ließ ei-nen saftig grünen Teppich verlegen, der an Kunstrasen erinnert, die Wände wurden in Dschungeloptik aufgehübscht, und Besucher nehmen auf Filzwürfeln Platz. Alles moder-ner, als viele es der Bahn zutrauen würden – immerhin ist der Konzern eine der liebsten Wutprojektionsflächen der Deutschen.

Inhaltlich befindet sich Jeschke ein halbes Jahr nach ihrem Antritt noch in der Findungs-phase. „Das Bahnsystem ist ein extrem kom-plexes Gebilde. Einen solchen Tanker können Sie sich nicht über nach Nacht um 90 Grad neigen“, sagt sie. „Wir sprechen über eine In-

rausgeschickt werden, wenn sich ein Problem anbahne. „Bei einem Streckennetz von 33.000 Kilometern dauert es aber, bis alle relevanten Weichen mit Sensorik ausgestattet sind. Wir sind derzeit etwa bei der Hälfte“, sagt Jeschke.

Daneben entwickle die Bahn viele neue Lö-sungen, wie die Menschen besser von A nach B gebracht werden können. „Unsere Kunden wohnen ja nicht auf Bahnhöfen. Man möch-te zu Hause möglicherweise aufs Leihfahrrad steigen, damit zur S-Bahn fahren, dann in den Zug steigen und zum Schluss noch mit dem Bus oder einem Ridesharingservice ans Ziel kommen.“

Für den Einsatz, der von ihr vielfach be-schworenen künstlichen Intelligenz, liefert sie gleich noch ein Beispiel: „Das Umsteigen am Alexanderplatz dauert gewöhnlich nur fünf Minuten. Wenn es morgens um acht Uhr extrem voll ist, können es aber auch zehn Minuten sein. Mithilfe von KI können Sie so etwas berücksichtigen.“ Selbst wenn es unvorhergesehen regne, könne die Software das berücksichtigen und etwa vorhersehen, dass ein Leihfahrrad an diesem Tag eben doch nicht infrage kommt. „Reiseketten sind individuell, KI ist deshalb unabdingbar. Wir bauen KI-basierte Mobilitätsangebote und Plattformlösungen derzeit massiv auf – ins-besondere über schnelle, innovative Aus-gründungen“, erklärt Jeschke.

Bahnkunden könnten ihre Auskünfte künftig von Chatbots bekommen. Jeschke treibt das Thema voranDie Bahn forscht zudem am Thema Chat-bots. Wer am Bahnhof eine Frage habe, be-komme die Antwort zwar in der Regel am liebsten von einem Menschen. Bei großen Schäden wie durch das Orkantief „Friederi-ke“ stoße das Personal aber an seine Grenzen – selbst wenn es gelänge, jeden verfügbaren Mitarbeiter zu aktivieren. „Wie sollen sie den Kunden Auskunft geben, wenn sich die Situation sekündlich verändert?“ Deshalb müssten die enormen Datenströme auf einer Ebene aggregiert werden. Dann ließe sich der Ist-Zustand zu jedem Zeitpunkt richtig abbil-den. „Mit Chatbots können wir die Kunden-fragen dann passgenau beantworten. Letzt-lich ist das heute die einzige Möglichkeit, um die wachsende Menge an Kundenanfragen in einer ordentlichen Qualität zu beantwor-ten. Chatbots zeigen exemplarisch, wie sich Mensch und Maschine ideal ergänzen.“

Man merkt der Schnellsprecherin Sabina Jeschke an, wie sehr sie für ihre komplexen Themen brennt. In Zukunft kann sie sich auch an zentraler Stelle dafür einsetzen: Ge-rade erst berief Dorothee Bär, die als Staats-ministerin der Bundesregierung für Digitali-sierung zuständig ist, Jeschke als Beraterin in eine Expertenkommission, der unter ande-rem die Telekom-Managerin Claudia Nemat und der Start-up-Unternehmer Frank Thelen („Die Höhle der Löwen“) angehören sollen. Die rastlose Managerin wird sicher auch die-se Gruppe auf Trab halten.

frastruktur, die über ganz Deutschland ver-teilt ist. Hinzu kommen regionale Spezifika.“ Für sie ist das kein Grund zu resignieren. „Das macht meine Aufgabe sehr, sehr komplex, zu-gleich aber auch so spannend.“

Die ersten 100 Tage nutzt Jeschke, um zu verstehen, wie der Konzern gesteuert wird. Im zweiten Quartal geht sie dazu auf Reisen. „Ich habe die DB in ihrer ganzen Breite und Vielfalt kennengelernt. Ich war in München, Minden und in Frankfurt, habe mir die Ge-schäftsbereiche angeschaut und versucht, das föderale Miteinander zu verstehen.“

Jeschke will kapieren, wo der Konzern bei der Digitalisierung steht, aber auch bei sei-nen klassischen Aufgaben – also beim Ma-schinenau, der Fahrzeuginstandhaltung und anderen Ingenieurstätigkeiten. „Es wird künftig auch um Themen wie den Ausstieg aus fossilen Brennstoffen bei Schienenfahr-zeugen gehen. Der nächste Schritt wird sein, davon Strategieprozesse abzuleiten und in die Umsetzung zu gehen“, sagt sie.

Der Kritik, die Bahn sei beim Thema Digi-talisierung noch nicht so weit, widerspricht sie vehement: „Ein Großteil unserer Weichen ist nicht nur mit Heizungen, sondern mittler-weile auch mit Sensoren ausgestattet, die wir aus der Ferne auslesen können. Wir können mithilfe künstlicher Intelligenz vorhersehen, welche gewartet werden müssen.“ Auf die-se Weise könnten frühzeitig Technikerteams

ZWISCHEN THEORIE UND PRAXIS

Sabina Jeschke, 1968 in Schweden geboren, hat während des Studiums der Physik, Mathe-matik und Informatik bei der Nasa geforscht und später Professuren in Stuttgart, Berlin und Aachen bekleidet. Im vergangenen November übernahm sie im Bahnvorstand die Verantwor-tung für die Bereiche Digitalisierung und Technik. Ihr Vertrag läuft für zunächst drei Jahre.

Das Bahn-system ist ein extrem komplexes Gebilde. Das macht meine Auf- gabe so spannend Sabina Jeschke

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VON ANTJE HÖNING

Kurz vor Weihnachten ändert sich al-les für Christine Thürmer. Sie ist eine erfolgreiche Managerin. Nach dem Studium arbeitet sie bei Siemens im

Controlling. Als Prokuristin saniert sie einen Mittelständler im Berliner Umland. Dann, am 19. Dezember 2003, wird sie entlassen. „Leider sind wir aus betrieblichen Gründen gezwungen, Sie zu kündigen“, teilt der Chef ihr mit. „Sie haben zehn Minuten Zeit, Ihre persönlichen Sachen zu packen.“

Die Frau, die selbst schon Dutzenden Mit-arbeitern gekündigt hat, muss gehen. „Ich war in meinem Job zwar sehr erfolgreich, meine harte Sanierungsstrategie hatte aber viele gegen mich aufgebracht“, sagt Thürmer. Dafür bekommt sie die Quittung. Kurz ist sie verzweifelt und will sich eine neue Stelle suchen. Dann wird ein Freund durch einen Schlaganfall zum Pflegefall. Penthouse, Fir-menwagen, Armani-Anzug – alles, was ihm wichtig war, ist plötzlich wertlos.

Es ist ein Moment, der Thürmer tief be-wegt – und der sie dazu bringt, ihr Leben zu ändern. Sie beschließt, den Pacific Crest Trail zu laufen: 4277 Kilometer von der mexikani-schen Grenze bis nach Kanada. Und dabei bleibt es nicht. Bis heute hat sie auf vier Kon-tinenten 40.000 Kilometer zu Fuß zurückge-legt, 30.000 per Rad und 6500 im Boot. Gerade macht sie sich auf zu einer Tour von Göteborg zum Nordkap. Wir sprechen die 50-Jährige kurz vor ihrem Abflug nach Schweden.

Frau Thürmer, wie schwer ist Ihr Rucksack?Christine Thürmer: Das Basisgewicht ist fünf Kilogramm, Zelt, Isomatte und Kochgeschirr inklusive. Hinzu kommen Wasser und Provi-ant, vor allem Müsli, Tütensuppen und Scho-kolade. Der Charme des Ultraleichtwanderns ist, dass wirklich alles ultraleicht ist. Ich habe meine Zahnbürste abgesägt, die Etiketten aus der Kleidung getrennt, mich bei der Isomatte auf 1,19 Meter beschränkt, das reicht bis zu den Knien. Ich habe keine Wechselkleidung dabei, nur ein Set Nachtwäsche. Alles Über-flüssige muss weg, ich wandere mit leichtem Gepäck.Bis hin zu den Wanderschuhen ...Thürmer: Ja, viele Deutsche wandern gern in schweren Bergstiefeln. Das mag in manchen Regionen sinnvoll sein. Ultraleichtwande-rer setzen auf Trailrunners. Das sind leich-te, griffige Schuhe, die man spätestens nach 1500 Kilometer ersetzen muss. Sie sind nicht wasserfest, aber nasse Füße bekommt man sowieso. Leichtigkeit ist alles.Sind Sie eine Sportskanone?Thürmer: Überhaupt nicht. Im Schulsport saß ich beim Mannschaftenwählen meist als Letzte auf der Bank. Als ich mit dem Pacific Crest Trail begann, kam ich direkt aus dem Büro, war untrainiert und hatte fünf Kilo zu viel auf den Rippen. Fit wird man unterwegs.Die Mehrheit der Wanderer, die den Pacific Crest Trail starten, bricht vor dem Ende ab. Warum haben Sie es bis Kanada geschafft?Thürmer: Gleich zu Beginn machte mir einer der Trail-Angels, der ehrenamtlichen Hel-fer, Mut. Er sagte: „Du bist eine Frau, und du bist allein, damit hast du statistisch gesehen die größten Chancen.“ Solo-Frauen sind am besten vorbereitet. Viele Männer laufen den Trail, um sich oder anderen etwas zu bewei-sen. Sie laufen oft zu schnell und zu viel und müssen dann verletzungsbedingt abbrechen. Frauen hören auf die Signale ihres Körpers und nehmen sich rechtzeitig einen Austag zum Entspannen. Er hatte recht.

Der Pacific Crest Trail (PCT) ist ein Fernwan-derweg in den USA. Er führt erst durch die kalifornische Wüste mit 40 Grad, dann durch die Sierra Nevada mit Minusgraden. Höchster Punkt ist der Forester Pass auf 4009 Metern. Weiter geht es durch das Kaskadengebirge in Oregon bis zur kanadischen Grenze. Fünf Mo-nate und einen Tag braucht Thürmer dafür. Jeden Abend schlägt sie ihr Zelt in der Natur auf, begegnet Bären und Klapperschlangen, wird von Stürmen und Gewittern überrascht. Sie trifft verschrobene Menschen und hilfsbe-reite – und viele andere „Thru-Hiker“, wie die Langstreckenwanderer heißen.

Früher war sie eine harte Saniererin, heute ist sie nur noch hart gegen sich selbst: Die Ex-Managerin Christine Thürmer ist über den halben Globus gelaufen. Und hat in der Natur gefunden, was ihr das Büro nicht bieten konnte.

„Bis 90 kann ich wandern“

Was ist das Härteste am Fernwandern?Thürmer: Der Dreck. Es ist ja nicht so, dass man stets im Sonnenschein läuft und jeden Abend einen See zum Waschen findet. Wenn man sich fünf Tage nicht waschen kann, dann juckt, klebt und stinkt alles. Hiker-Stink nen-nen das die Amerikaner.Und was ist so toll am Wandern, dass Sie das alles auf sich nehmen?Thürmer: Drei Dinge: Freiheit, Selbstbe-stimmung, das Leben im Hier und Jetzt. Ich bin nicht Sklave eines vollgepackten Ter-minkalenders, meine einzigen Termine sind Sonnenaufgang und Sonnenuntergang. Ich genieße die intellektuelle Freiheit. Im Ar-beitsleben wurde ich dafür bezahlt, über Bu-sinesspläne nachzudenken, jetzt denke ich nach, über was ich will. Auf einer Tour habe ich das Nibelungenlied gehört, vorgelesen von Peter Wapnewski. Treue, Liebe, Verrat – in diesem mittelalterlichen Text steckt das gan-ze Leben. Dieses Mal nehme ich unter ande-rem Metallica und Heinrich von Kleist mit. Ich habe mir Dutzende CDs und Hörbücher auf mein Smartphone geladen.Der Kopf auf Höhenflug, der Körper im Hier und Jetzt.Thürmer: Das ist der Reiz. Beim Wandern ist alles direkt und sofort, die Nöte und das Glück. Bei Sturm braucht man sofort einen geschützten Platz, bei Hunger sofort Kalorien. Auf dem Pacific Crest Trail gab es einen Tag, an dem hatte ich nur noch 27 M&M's-Scho-kolinsen im Rucksack, aber noch einen Tag Wanderung vor mir. Was für ein Fest war es, als mir Tagesausflügler, mit denen ich ins Ge-spräch gekommen war, ein Snickers schenk-ten. 100 Dollar wären in dem Moment nichts gewesen gegen den süßen Snack.In der Sierra Nevada gibt es Bären. Hatten Sie keine Angst davor?Thürmer: Grundsätzlich betrachten Bären die Menschen nicht als Beute, sie attackieren nur, wenn sie überrascht werden und sich an-gegriffen fühlen. Um das zu vermeiden, soll-ten sich Wanderer fortwährend bemerkbar machen. Ich bin die Nationalhymne singend durch die Berge gezogen. Sie ist das einzige Lied, dessen Text ich beherrsche.Und nachts?Thürmer: Um sich die Bären nachts vom Leib zu halten, gibt es zwei Vorsichtsmaßnahmen: Jeder PCT-Wanderer muss einen Bärenka-nister dabeihaben, einen Plastikbehälter für die Vorräte. Zudem darf man an dem Platz, an dem man sein Abendessen bereitet, nicht schlafen. Bären haben eine sehr gute Nase. Daher bin ich nach dem Essen immer noch vier Kilometer weitergewandert.Die Frage mögen Sie nicht, aber trotzdem: Haben Sie als Frau keine Angst allein in der Wildnis?Thürmer: Nein. Da bin ich so rational, wie ich es als Managerin war: Die Wahrschein-lichkeit, Opfer einer Vergewaltigung zu wer-den, ist in der Großstadt viel größer als in der Wildnis. Es weiß ja keiner, wo ich bin. Treffe ich unterwegs mal Schäfer, die mich zum Es-sen einladen, sage ich Danke nein, um keine falschen Signale zu senden. Zugleich haben Frauen es unterwegs leichter: Sie bekommen schneller Hilfe. Etwa, wenn man den Weg verlassen und in die nächste Stadt trampen muss, um Proviant nachzukaufen.Sie berechnen Wahrscheinlichkeiten für Zwischenfälle – was haben Langstrecken-wanderer und Manager noch gemein?Thürmer: Man ist nur erfolgreich, wenn man konsequent ist. Wer ein Unternehmen sanie-ren will, muss Kosten drücken, auch wenn es schmerzhaft ist und mir die Menschen, die ich entlassen habe, persönlich leidgetan haben. Wer den PCT vor Einbruch des kana-dischen Winters schaffen will, muss jeden Tagen sein Pensum schaffen, auch wenn mal die Füße wund sind oder die Lust gering ist.

In den USA gibt es drei große Fernwanderwe-ge. Sie alle verlaufen in Nord-Süd-Richtung. Neben dem Pacific Crest Trail gibt es den Con-tinental Divide Trail (CDT) in der Mitte des Landes und den Appalachian Trail (AT) im Osten. Wer die insgesamt 12.700 Kilometer schafft, ist dafür rund eineinhalb Jahre unter-wegs und erhält von der American Long Di-stance Hiking Association die Auszeichnung

Thürmer reist mit leichtem Gepäck. Viel mitnehmen kann sie ohnehin nicht, das gilt zu Fuß genauso wie bei Paddeltouren im Kajak durch Schweden.

„Freiheit, Selbstbestimmung und ein Leben im Hier und Jetzt“: Das ist es, was Christine Thürmer in die Wildnis zieht. Die Einsamkeit schreckt sie nicht.

Anfangs habe sie fünf Kilo zu viel auf den Rippen gehabt. Aber die Fitness komme unterwegs automatisch – etwa bei ihrer Tour per Rad nach Finnland.

Chris

tine

Thür

mer

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„Triple Crown“. Eine schlichte Metallplakette für eine große Leistung, Christine Thürmer hat sie auch bekommen. Inzwischen haben es die Fernwanderwege sogar zu Kinoruhm gebracht: Um den PCT geht es in dem Film „Der große Trip“, der die Läuterung der he-roinabhängigen Cheryl Strayed erzählt. Vom AT handelt der Film „Picknick mit Bären“, in dem Robert Redford als alter Mann eine alte Freundschaft sucht.

Wovor laufen Sie weg?Thürmer: Vor gar nichts. Auf den Trails trifft man zwei Typen von Menschen: die Weg-von-Motivierten, die in die Natur gehen, um etwas hinter sich zu lassen: Drogen oder eine gescheiterte Beziehung. Wenn ihr Prob-lem gelöst ist, kehren sie meist in ihr altes Le-ben zurück. Ich habe eine Hin-zu-Mentalität: Ich wollte zu was Neuem hin, und das habe ich gefunden.Als Sie das Wandererleben begannen, waren Sie 36. Andere Karrierefrauen merken da, dass sie Familie und vor allem Kinder wol-len.Thürmer: Jeder geht seinen Weg. Ich hat-te schon mit 16 beschlossen, dass ich keine Kinder will. Aber auch mit Kindern kann man auf Fernwanderschaft gehen. Die Kinder sind nicht immer klein, und man muss auch nicht für Jahre losziehen.Wie reagiert Ihr Umfeld auf Ihren Ausstieg? Gelten Sie als einsame Spinnerin?Thürmer: Ich bin nicht aus-, sondern um-gestiegen. Natürlich sind Freundschaften zerbrochen, weil ich selten da bin. Aber da-für bekomme ich unterwegs viel zurück. Im 19. Jahrhundert waren lange Wanderschaften übrigens normal: Handwerker gingen auf die Walz, um zu lernen. Adelige reisten zu Bil-dungszwecken durch Europa. Das ist heute an-ders. Heute ist das Ganze auch egalitär: Wenn alle verschwitzt und klebrig sind, ist es egal, ob einer früher Manager oder Maurer war.Meistens wandern Sie allein. Macht Ihnen die Einsamkeit nicht zu schaffen?Thürmer: Ich bin nicht einsam, ich komme gut mit mir selbst aus. Nur wenn die Kultur besonders fremd und die Eindrücke beson-ders neu sind, sehne ich mich nach Aus-tausch. Als ich 3000 Kilometer durch Osteuro-pa gewandert bin, habe ich ganz oft Freunde in Deutschland angerufen, weil ich erzählen musste. Zugleich treffe ich unterwegs immer wieder neue Menschen. Das gilt vor allem für die USA. In Europa gibt es so viele Fernwan-derwege, da kann es auf manchen Strecken schon mal einsam sein. Doch in den USA konzentriert sich das Ganze auf die drei gro-ßen Trails – und die Trail-Community, die Ge-meinschaft, ist dort besonders groß.Einen der drei Wege, den Continental Divide Trail, sind Sie mit einem Partner gegangen ...Thürmer: ... und es funktionierte nicht gut. Nur selten haben Paare dasselbe Tempo. Ent-weder einer überfordert sich permanent, wie ich es tat, oder einer wird auf Dauer frustriert vom Warten auf den andern. Wir haben uns am Ende wieder getrennt. Gerade bei solchen Distanzen gilt: Jeder geht sein eigenes Tempo und seinen eigenen Weg.Seither lässt Sie das Wandern nicht mehr los. Sie haben sogar Ihre Wohnung aufgege-ben, Ihren Besitz eingelagert und sind auf Dauertour. Macht es Sie nicht unruhig, kei-ne Heimat mehr zu haben?Thürmer: Ich kann immer nach Berlin zu-rück, wo ich Freunde haben. Die kümmern sich während meiner Touren auch um meine Post und mein Geld. Meistens habe ich zwi-schen meinen Touren nur in WGs gewohnt. Dieses Mal habe ich mir für 270 Euro eine Ein-Zimmer-Wohnung in Berlin-Marzahn genommen.Wie finanzieren Sie Ihr neues Leben? Sie haben zwei Bücher geschrieben, aber deren Erfolg war ja nicht planbar.Thürmer: Und vom Bücherschreiben kann man nicht leben. Bevor ich mein altes Leben aufgegeben habe, habe ich genau gerechnet. Es ist zwar erstaunlich, mit wie wenig Geld man auskommt, aber natürlich darf man nicht ohne Kapital loslaufen. Und so habe ich in die Rentenformel verschiedene Zinssätze und Inflationsraten eingesetzt und ermittelt: Wie lang reicht mein Erspartes, wenn ich je-den Monat 1000 Euro brauche?Und, das Ergebnis?Thürmer: Bei einer Inflationsrate von zwei Prozent und einem Ertrag meiner Ersparnis-se von vier Prozent – so viel gab es damals noch – reichen meine Ersparnisse, bis ich 90 Jahre alt bin. So lang kann ich wandern, dann muss ich sterben.Früher hatten Sie ein Büro, das größer war als Ihre Wohnung jetzt, und einen Dienst-wagen. Könnte Sie etwas zurück ins alte Le-ben locken?Thürmer: Mir hat das Berufsleben durchaus Spaß gemacht, aber Geld würde mich nicht locken. Schon eher eine besondere Aufga-be – wie (lacht) einen Outdoorhersteller zu sanieren. Doch Unterwegssein macht mich glücklich.Kann man damit alt werden?Thürmer: Klar. Gerade hat ein 82-Jähriger den Appalachian Trail geschafft. Wenn ich mal nicht mehr gut kann, laufe ich eben nur noch 15 Kilometer am Tag.

Bevor ich mein altes Leben aufgegeben habe, habe ich gerechnet: Wie lang reicht mein Kapi-tal, wenn ich jeden Monat 1000 Euro brauche?Christine Thürmer

RHEINISCHE POST | WIRTSCHAFT NR. 10JUNI 201822 | MENSCH & WIRTSCHAFT

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VON GEORG WINTERS

Seit dem 7. April ist Karl-Erivan Haub verschollen. Am Samstag nach Ostern kehrte der Tengelmann-Chef von ei-ner Bergtour in der Matterhorn-Regi-

on nicht zurück. Einige Tage später gab die Familie die Hoffnung auf, ihn lebend zu fin-den. Seither läuft die Suche, ob sie zum Erfolg führt, ist ungewiss. Die Nachfolge im Konzern hingegen ist geregelt: Christian Haub, der Bruder des Verschollenen, führt die Gruppe. Abseits der menschlichen Tragödie, die über die Familie hereingebrochen ist, bleibt die Frage: Was hat der verschwundene Eigentü-mer und Manager hinterlassen? Eine der Ant-worten darauf lautet: ein beachtliches digita-les Erbe.

Haubs Innovationsgeist hat in den vergan-genen Jahren allen Wegbegleitern Respekt abgenötigt. Er habe „mehrere Unternehmen aufgebaut und immer ein Gespür für neue Trends und Themen bewiesen“, schrieben Kik-Chef Patrik Zahn und der langjährige Haub-Geschäftspartner Jost-Stefan Heinig nach Haubs Verschwinden in einem gemein-samen Brief. Nicht zuletzt dem damaligen Vorstandsvorsitzenden war es zu verdanken, dass Tengelmann als eines der ersten deut-schen Handelsunternehmen in großem Stil in Start-ups wie den Modehändler Zalando und den Essenslieferanten Delivery Hero in-vestierte. Niklas Östberg, Chef von Delivery Hero, erinnert sich: „Wir hatten in der An-fangszeit eine sehr enge Beziehung zu Ten-gelmann. Herr Haub war allerdings nicht Mitglied in unserem Board of Directors, das war Christian Winter. Die Unterstützung von Tengelmann war großartig. Karl-Erivan Haub war sehr wichtig für uns, für Zalando und für viele andere junge Start-ups in Deutschland.“

Sein Credo für die Modernisierung von Ten-gelmann fasst Haub in folgende Worte: „Ich sehe meine Aufgabe darin, den Eintritt des Unternehmens in die digitale Welt zu beglei-ten.“ Und: „Man muss ja nicht alles amerika-nischen Investoren überlassen.“ Haub begriff früh, dass sich der Handel immer mehr ins Internet verlagert. Es war eine Erkenntnis, zu der er bei Besuchen im Silicon Valley kam, die er aber auch am Verhalten seiner Kinder ab-lesen konnte. Fast schon legendär ist die Ge-schichte, wie sie ihm einmal einen Geschen-kewunschzettel überreichten und ihm dabei erklärten: „Das kannst du alles im Internet kaufen.“ Spätestens da ist Haub aufgegangen, wie sehr das Datennetz auch in der traditio-nellen Handelsbranche die Zukunft prägen würde.

Haub erfand später den „Tengelmann E-Day“: Einmal im Jahr treffen sich dabei Jungunternehmer, Investoren und E-Com-merce-Fans – es ist eine Art Zukunftskongress für die Szene. „Eine hervorragende Netzwerk-veranstaltung, bei der man gut sehen kann, in welche Geschäftsmodelle der Zukunft Ten-gelmann investiert“, urteilt Peter Güllmann, Leiter des Bereichs Eigenkapitalfinanzie-rung und Beteiligungen bei der NRW.Bank. Er spricht von einer „Bereicherung für den Venture-Capital-Markt in Nordrhein-West-falen“. Die Familie Haub sei nicht nur ein fi-nanzieller, sondern auch ein ideeller Sponsor in der Szene. „Da könnten sich manche eine Scheibe abschneiden“, meint Güllmann. Ten-

Ex-Tengelmann-Chef Karl-Erivan Haub hat früher als andere erkannt, dass sich der Einzelhandel zunehmend ins Internet verlagert. Sein Verschwinden trifft seine Familie hart — der Konzern jedoch scheint auf einem guten Weg.

Der Digitalprophet

gelmann habe in digitale Geschäftsmodelle investiert, die zum Handel passten und den Vertrieb revolutionieren würden.

Beim E-Day bekannte Zalando-Mitgründer Oliver Samwer vor einigen Jahren, er habe Haub bei einem Vortrag an der Otto-Beis-heim-Schule gehört und beschlossen, ihn anzurufen und zu fragen, ob er „nicht ein Un-ternehmen für seine Kinder aufbauen wolle“. Damit war der Grundstein für eine unge-wöhnliche Partnerschaft gelegt. „Ich will mir nicht von der nächsten Generation irgend-wann die Frage stellen lassen: Habt ihr nicht gemerkt, was da passiert?“, hat Haub später mal auf die Frage geantwortet, was ihn dazu getrieben habe, Geld in ein Unternehmen zu investieren, das zunächst nur Schuhe im In-ternet verkaufen wollte.

Vielleicht, so sagen Branchenkenner, sei sein Verhalten auch der Erkenntnis geschul-det gewesen, dass Tengelmann in den Neun-zigerjahren genau daran fast gescheitert wäre. Der Konzern sei damals zu sehr von der eigenen ruhmreichen Vergangenheit gefan-gen gewesen. Man habe geglaubt, dass Tradi-tion und Fachkenntnis als Erfolgsfaktoren im deutschen Einzelhandel schon ausreichen würden.

Zalando ist noch ein Nischenanbieter, als Haub einsteigt. Heute sind Tengelmanns Anteile mehr als 585 Millionen Euro wertKarl-Erivan Haub hat in den vergangenen zehn Jahren die Handelsketten Kaiser’s und Plus und damit die Keimzelle des Unterneh-mens aufgegeben. Stattdessen visierte er di-gitale Zukunftsmärkte an. In der Gruppe gibt es die Start-up-Brutkästen Tengelmann Ven-tures und Tengelmann Social Ventures. Bei Dutzenden Start-ups ist der Handelskonzern eingestiegen – nicht nur bei Zalando und Delivery Hero, sondern beispielsweise auch bei Babymarkt.de und drei Dutzend weiteren Jungunternehmen. Gleichzeitig verordnete Haub den Traditionsmarken, der Baumarkt-kette Obi und dem Textildiscounter Kik, Mil-liardeninvestitionen, um fit für den digitalen Wandel werden.

Zalando ist ein Paradebeispiel dafür, wie sich Haubs digitale Weitsicht in Euro und Cent messbar niedergeschlagen hat. Kurz nachdem der Tengelmann-Chef seinen Dis-counter Plus an Edeka losgeschlagen hatte, boten ihm die Samwer-Brüder den Einstieg bei Zalando an. Für rund 20 Millionen Euro soll Haub seinerzeit 8,5 Prozent der Anteile an dem Unternehmen gekauft haben, das damals noch ein Nischenplayer war. „Ich bin heute noch überrascht, wie mutig ich war“, sagte der Tengelmann-Erbe einmal im Ge-spräch mit dem „Handelsblatt“. Die Investiti-on zahlte sich aus: Heute besitzt Tengelmann noch knapp fünf Prozent der Zalando-An-teile; deren Börsenwert beträgt mehr als 585 Millionen Euro (Stand 18. Juni).

In einem Bereich war Karl-Erivan Haub aber Traditionalist geblieben, aus Überzeugung – bei Oldtimern. Wer einmal mit ihm durch die Fahrzeugsammlung in Mülheim an der Ruhr spaziert ist, wer seine Leidenschaft erlebt und gesehen hat, wie seine Augen leuchteten, wenn er über die Autos sprach, der spürte: Die Digitalisierung mag vieles im Leben der Haubs verändert haben – bis hier in diese Hal-le würde sie es aber nicht schaffen.

Der Verlust unseres Bruders ist eine Tragödie. Aber sie gefährdet nicht den Weiterbestand unseres Familien- unternehmensChristian Haub

dpa

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WEICHENSTELLER Auch beim 1. FC Köln herrscht Trauer um Karl-Erivan Haub. Auf der Stadionleinwand gedenkt der Klub Anfang Mai des Unternehmers, der auch Mitglied im Beirat des Vereins war. Haub kommt 1960 in den USA zur Welt und absolviert zunächst eine Ausbildung zum Einzelhandels-kaufmann und ein Wirtschafts- und Sozialwissenschaftsstudium, bevor er bei Nestlé und McKinsey in Düs-seldorf Berufserfahrungen sammelt. 1991 steigt er ins Familienunterneh-men ein, 1997 übernimmt er das operative Geschäft für Europa. Nach dem Tod des Vaters sind er und sein Bruder Christian seit 2000 persönlich haftende Gesellschafter.

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中国人民共和国驻杜塞尔多夫总领事馆

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Wirtschaft ist immer auch Netzwerken. Auf dieser Seite zeigen wir Ihnen eine Auswahl der wichtigsten Veranstaltungen der vergangenen Monate in NRW. Und wer dabei war.Wer, wann, wo?

Ursula Heinen-Esser löst Ende Mai als Landes-umweltministerin Christina Schulze Föcking ab, die aus persönlichen Gründen zurücktrat. Sie stolperte unter anderem über einen angebli-chen Hackerangriff auf ihren Fernseher, der sich als falsch erwiesen hatte.

Esther Schulhoff-Wilmes, frühere Inhaberin des Familienunternehmens Schulhoff Haustechnik und heutige Vorsitzende der Kunststiftung Kopfermann-Fuhrmann, eröffnet in Düsseldorf gemeinsam mit dem Künstler Benjamin-Novalis Hofmann die Ausstellung „Sigrid Kopfermann – Paris“.

Die Deutsche Post will mit der Eröffnung des zweiten Streetscooter-Werks in Düren ihre Produktionskapazitäten verdoppeln. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet (links) und Streetscooter-Mitgründer Achim Kampker posieren vor einem Elektroflitzer.

Carola Gräfin von Schmettow, Chefin der Bank HSBC Deutschland, und Helmut Linssen, ehemaliger NRW-Finanz- minister beim Ständehaus-Treff in Düsseldorf.

Wandergesellen sind in der Kölner Innenstadt unterwegs. Seit Jahrhunderten schon gehen junge Handwerker auf Wanderschaft, die meisten von ihnen sind Zimmerer, Tischler, Dachdecker oder Maurer – doch Handwerker gibt es immer weniger.

Deutschland übernimmt den Vorsitz der Trilateralen Wattenmeer-konferenz. Die frühere NRW-Wissenschaftsministerin und jetzige Bundesumweltministerin Svenja Schulze (rechts) traf sich dazu mit der niederländischen Landwirtschaftsministerin Carola Schouten (Mitte) und Dänemarks Umweltminister Esben Lunde Larsen.

Im „Pac-Man“-Kostüm haben Demonstranten im vergangenen Jahr vor der Bayer-Zentrale gegen den Kauf von Monsanto demonstriert. Vergebens: Der US-Saatgutriese ging Anfang Juni ins Bayer-Reich über.

Hannes Amets-reiter (Mitte),

Chef von Voda-fone Deutsch-land, kürt das

Max-Planck-Gym-nasium auf dem

Vodafone Campus zur sogenannten Giga-Schule – die

Schüler hatten beim Wettbewerb

um Düsseldorfs digitalste Schule

gewonnen.

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Heinz Hessling, ehemaliger Unternehmer sowie Ex-Vorstand von Fortuna Düsseldorf, und seine Frau Martina sind zu Gast beim Ständehaus-Treff mit FDP-Chef Christian Lindner. Martina Hessling ist Lindners Mutter.

Ihre Veranstaltung in der WIRTSCHAFT? Schreiben Sie uns an [email protected]

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