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In den vorangegangenen Teilen der Bei- tragsserie haben wir die generelle Bedeu- tung der Ernährung sowie die ernährungs- physiologischen Funktio- nen exemplarischer Le- bensmittelinhaltsstoffe im Hinblick auf die lang- fristige Gesunderhaltung dargestellt. In die- sem und den folgenden Beiträgen soll nun die Bedeutung der Ernährung in Prävention und Therapie ausgewählter ernährungsasso- ziierter Erkrankungen beleuchtet werden. Den Anfang macht die Os- teoporose – die häufigste Knochenerkrankung des Menschen. Allein in Deutschland sind vier bis sechs Millionen Menschen betroffen, davon sind 80 Prozent Frauen. Präventive Maßnah- men zielen darauf ab, den altersbedingten Knochenabbau zu minimieren, eine wesent- liche Bedeutung kommt dabei der Ernährung zu. In diesem Beitrag sollen zunächst die (patho)physiologischen Grundlagen der Osteoporoseentstehung dargestellt sowie die Bedeutung von Calcium und Vitamin D erläutert werden. Das Knochenskelett – Stützgewebe und Mineralstoffspeicher Das Knochengewebe besteht zu etwa 80% aus anorganischen Verbindungen. Davon entfällt ein Großteil auf Calciumphosphate, die vorwiegend als Hydroxylapatit [Ca 10 (PO 4 ) 6 (OH) 2 ] vorliegen. Dieses ist in die Knochengrundsubstanz eingela- gert und wesentlich verantwortlich für die Stabili- tät des Skeletts. Das organische Knochenmaterial besteht zu einem Großteil aus Typ-I-Kollagen. Als Strukturelement verleiht es dem Knochen seinen elastischen Charakter. Daneben befinden sich in der organischen Knochenmatrix eine Reihe Calci- E RNÄHRUNG HEUTE Ernährung und Osteoporose – Bedeutung von Calcium und Vitamin D Nr. 15 | 14.04.2005 145. J AHRGANG | DEUTSCHE APOTHEKER ZEITUNG | 0000 | 1 Qualifizierte Ernährungsberatung in der Apotheke, Teil 7 Doreen Stettin, Alexander Ströhle, Maike Wolters und Andreas Hahn 1 ABB. 1: OSTEOBLASTEN UND OSTEOKLASTEN sind zwei für den Knochen wesentliche Zelltypen. Sie stehen in enger Beziehung und sind für den ständigen dynamischen Knochenumbau (remodeling) verantwortlich [80].

Ern−hrung und Osteoporose — Bedeutung von Calcium und ... · um- und Integrin-bindende Proteine (Osteonectin, Osteopontin, Osteocalcin, Sialoprotein), die an derKnochenentwicklung

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In den vorangegangenen Teilen der Bei-tragsserie haben wir die generelle Bedeu-tung der Ernährung sowie die ernährungs-

physiologischen Funktio-nen exemplarischer Le-bensmittelinhaltsstoffeim Hinblick auf die lang-

fristige Gesunderhaltung dargestellt. In die-sem und den folgenden Beiträgen soll nundie Bedeutung der Ernährung in Präventionund Therapie ausgewählter ernährungsasso-ziierter Erkrankungen beleuchtet werden.

Den Anfang macht die Os-teoporose – die häufigsteKnochenerkrankung desMenschen. Allein inDeutschland sind vier bis

sechs Millionen Menschen betroffen, davonsind 80 Prozent Frauen. Präventive Maßnah-men zielen darauf ab, den altersbedingten

Knochenabbau zu minimieren, eine wesent-liche Bedeutung kommt dabei der Ernährungzu. In diesem Beitrag sollen zunächst die(patho)physiologischen Grundlagen derOsteoporoseentstehung dargestellt sowie die Bedeutung von Calcium und Vitamin Derläutert werden.

Das Knochenskelett – Stützgewebe und Mineralstoffspeicher

Das Knochengewebe besteht zu etwa 80% ausanorganischen Verbindungen. Davon entfällt einGroßteil auf Calciumphosphate, die vorwiegendals Hydroxylapatit [Ca10(PO4)6(OH)2] vorliegen.Dieses ist in die Knochengrundsubstanz eingela-gert und wesentlich verantwortlich für die Stabili-tät des Skeletts. Das organische Knochenmaterialbesteht zu einem Großteil aus Typ-I-Kollagen. AlsStrukturelement verleiht es dem Knochen seinenelastischen Charakter. Daneben befinden sich inder organischen Knochenmatrix eine Reihe Calci-

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Ernährung und Osteoporose –Bedeutung von Calcium undVitamin D

Nr. 15 | 14.04.2005 145. JAHRGANG | DEUTSCHE APOTHEKER ZEITUNG |0000|1

Qualifizierte

Ernährungsberatung

in der Apotheke, Teil 7

Doreen Stettin,

Alexander Ströhle,

Maike Wolters und

Andreas Hahn1

ABB. 1: OSTEOBLASTEN UND OSTEOKLASTEN sind zwei für den Knochen wesentliche Zelltypen. Sie stehen inenger Beziehung und sind für den ständigen dynamischen Knochenumbau (remodeling) verantwortlich [80].

um- und Integrin-bindende Proteine (Osteonectin,Osteopontin, Osteocalcin, Sialoprotein), die ander Knochenentwicklung beteiligt sind. Auf zellulärer Ebene lassen sich im Knochenge-webe zwei wesentliche Zelltypen unterscheiden:Osteoblasten und Osteoklasten. Sie stehen in en-ger Beziehung zueinander und sind für den ständi-gen dynamischen Knochenumbau („remodeling“)verantwortlich (Abb. 1). Als knochenbildende Zel-len synthetisieren Osteoblasten die für den Aufbauder extrazellulären Matrix notwendigen Proteine.Osteoklasten wirken dagegen osteolytisch, indemsie Protonen und Proteasen sezernieren und so denAbbau des Knochenmaterials einleiten [10, 125].Beide Zelltypen stehen unter der Kontrolle vonHormonen, Wachstumsfaktoren und Zytokinen,wodurch die Knochenstruktur sich an die ständigwandelnden Anforderungen adaptieren kann. Ne-ben den Polypeptidhormonen Thyreocalcitonin(Calcitonin) [118] und Parathormon (PTH) [123]ist insbesondere Calcitriol, die aktive Form desCalciferol (Vitamin D) (siehe auch DAZ Nr.2/2005, S. 49ff), in die Regulation des Knochen-

stoffwechsels eingeschaltet. Aber auch Glucocorti-coide [27], Estrogene [132] und Androgene [134]sowie Interleukin-1 und der WachstumsfaktorIGF-1 [71] beeinflussen die Aktivität der Kno-chenzellen (Tab. 1).

Altersabhängiger Knochenumbau

Im Kindes- und Jugendalter dominieren im Kno-chen die anabolen Prozesse, sodass dessen Größeund Mineralgehalt stetig zunimmt. Bis zum 20.Lebensjahr sind etwa 90% der individuellen maxi-malen Knochenmasse (peak bone mass, PBM) an-gelegt. Im Verlauf des dritten Lebensjahrzehnts er-reicht die Knochenmasse ihren Spitzenwert, bevorder Knochenabbau die Knochenneubildung über-steigt (Abb. 2). Unterschreitet die Knochendichtebestimmte Grenzwerte, so wird von Osteopenie(präklinische Osteoporose) bzw. klinisch manifes-ter Osteoporose gesprochen (siehe Kasten „Osteo-penie und Osteoporose – Definition und Abgren-zung“). Der Nachweis einer verringerten Kno-chendichte erfolgt meist durch die Densitometrie.

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Tab. 1: An der Regulation des Knochenstoffwechsels beteiligte Faktoren und ihre Wirkungen

Faktor Primärer zellulärer bzw. Sekundärer Effekt auf molekularer Effekt die Knochenmatrix

Calcitriol J Expression von Osteocalcin, Bildung der Knochenmatrix (bei adäquater Osteopontin und β3-Integrin und Mineralisation qCalciumversorgung) in Osteoklasten q Knochenaufbau q

J Repression von PTH

Calcitonin J Aktivierung der G-Protein Mineralisation qgekoppelten Adenylatcyclase und Knochenaufbau qder Phospholipase C in Osteoklasten

J Fixierung von Osteoklasten in der G0-Phase des Zellcyclus

Estrogene J Inhibieren Transkription osteolytischer Knochenresorption QAndrogene Zytokine (IL-1, -6, TNF u. a.) Knochenaufbau q

J Inhibieren die Expression von Zytokinrezeptoren an Osteoklasten

J Apoptose von Osteoklasten q(nur Estrogene)

J Wirkung auf Proliferation und Differenzierung von Osteoblasten

IGF-1 J Bindung an IGF-1-Rezeptor und Bildung von Knorpel-Stimulation der Chondrozyten grundsubstanz q

Parathormon (PTH) J Aktivierung der G-Protein gekoppelten Stimulation der Adenylatcyclase Osteoklastenbildung

J Induktion des in der Zytoplasma- Knochenresorption qmembran lokalisierten Proteins RANKL in Osteoblasten

Calcitriol J Differenzierung von Osteoklasten aus Demineralisation q(bei inadäquater Promonocyten und ihre Aktivierung qCalciumversorgung)

Glucocorticoide J Bildung und Aktivierung von Knochenaufbau QOsteoblasten Q

J Apoptose von Osteoblasten q

Interleukin-1 (OAF; J Bildung und Aktivierung Knochenresorption qOsteoklasten- von Osteoklasten qaktivierender Faktor) J Biosynthese osteolytischer

Prostaglandine q

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Ein deutliches Frakturrisiko besteht, wenn dieKnochendichte mehr als 2,5 Standardabweichun-gen unter dem Mittelwert junger Erwachsenerliegt. Werden nach einer solchen Messung mitdeutlich geringer Knochendichte keine therapeuti-schen Maßnahmen eingeleitet, können innerhalbvon einem Jahr bis zu 80% der Personen eineFraktur erleiden [121].Die Abnahme der Knochenmasse pro Volumenein-heit kann generalisiert oder – seltener – auch lokalbedingt sein, sodass sich die Osteoporose an ver-schiedenen Stellen des Skeletts manifestiert. De-formationen und Frakturen sind gleichermaßen anWirbelkörpern, Gliedmaßen und größeren Kno-chen wie dem Beckenknochen möglich. Frakturenam Oberschenkelhals sind besonders folgen-schwer, da die vollständige Funktion vielfachnicht wiederhergestellt werden kann. Circa 90%

der gelenknahenFrakturen entste-hen durch Stürze,die Häufigkeitnimmt dabei mitdem Alter zu. DieUrsachen hiefürliegen sowohl inaltersbedingtenEinschränkungender Motorik alsauch in Begleit-erkrankungen undunerwünschtenArzneimittel-wirkungen begrün-det. Verformungender Wirbelsäulezeigen sich imKörpergrößenver-lust, dem „Tan-nenbaumphäno-men“ mit seinenHautquerfalten amStamm und demtypischen „Kugel-

bauch“ (Abb. 3). Durch die Skelettdeformationensind auch Veränderungen bei Muskeln, Sehnenund Bändern nicht auszuschließen. Veränderungenin der Statik, Balance und Verspannungen derMuskulatur können die Folge sein.

Entstehung der Osteoporose

Die primäre Osteoporose (s. Kasten) wird in zweiFormen unterteilt (Tab. 3). Bei der Typ-I-Osteopo-rose sind in erster Linie postmenopausale Ände-rungen des Hormonstoffwechsels für den raschenKnochenschwund verantwortlich zu machen, wäh-rend die Typ-II-Osteoporose durch den altersab-hängigen Knochenmasseverlust entsteht und beideGeschlechter betrifft. Frauen tragen generell eingrößeres Osteoporoserisiko als Männer, da post-menopausal ihre Gonadenfunktion erlischt. Der

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ABB. 2: EINE FRAGE DES ALTERS Während bei Kindern und Jugendlichen die anabolenProzesse im Knochen dominieren, übersteigt im Verlauf des dritten Lebensjahr-zehnts der Knochenabbau die Knochenneubildung [145].

Als Osteoporose wird eine lokal be-grenzte oder allgemeine Reduktionvon Knochenmasse, -struktur und -funktion bezeichnet. Diese betrifftsowohl den anorganischen als auchden organischen Anteil des Kno-chens. Klinisch unterscheidet maneine Osteopenie (syn. präklinischeOsteoporose) ohne Frakturen voneiner manifesten Osteoporose mitbestehender Fraktur. Der BegriffOsteopenie beschreibt das alters-abhängige quantitative Defizit anKnochenmaterial im Verhältnis zuGesunden gleicher Altersklasseoder zur maximalen Knochenmasse(„peak bone mass“) des jungen

Erwachsenenalters (siehe auchTab. 2). Trotz des Knochengewebs-schwundes ändert sich das Verhält-nis zwischen kollagener Grundsub-stanz (Ossein) und mineralischenKnochenanteilen nicht. Ausgepräg-te qualitative Mängel der Knochen-feinstruktur können selbst bei ge-ringen Belastungen oder Verletzun-gen einen Knochenbruch herbeifüh-ren. Sinkt die Skelettmasse untereinen bestimmten Mindestwert(„Frakturschwelle“) oder kommt eszu einer Knochenfraktur, sprichtman vom Vollbild der Osteoporosebzw. schweren Osteoporose. Diesewird in eine primäre und eine se-

kundäre Form unterschieden. DerManifestation primärer Verlaufsfor-men (s. Text) liegen metabolischeStörungen des Knochens zugrunde,sekundäre Formen basieren auf an-deren Grunderkrankungen. Die se-kundären Osteoporosen kommennur zu etwa 5% vor. Die Ursachenkönnen durch endokrine Störungen(z. B. Hypercortisolismus, Hyper-thyreose), Immobilisation, medika-mentöse Therapien (z. B. Corticoide,Zytostatika) sowie Mangelernäh-rung (z. B. Malabsorptionen infolgeeiner Zöliakie, entzündlichen Darm-erkrankungen, zystischer Fibrose)sein.

Osteopenie und Osteoporose – Definition und Abgrenzung

dadurch bedingte Estrogenentzug stimuliert dieSynthese osteolytisch aktiver Zytokine (IL-1, IL-6,TNF) und hemmt vermutlich die Sekretion vonCalcitonin aus den C-Zellen der Schilddrüse. AlsFolge davon ist die Knochenresorption gesteigert,sodass Calcium vermehrt in die Blutbahn gelangt.Der resultierende Abfall der PTH-Sekretion unter-drückt in der Niere die Bildung des aktiven Vit-amin-D-Metaboliten Calcitriol und steigert die re-nale Ausscheidung von Calcium. Beide Faktorenbeinträchtigen die Calciumbilanz und forcierenden Zytokin-bedingten Abbau der Knochenmatrix[146].Der quantitative Verlust an Knochenmasse kannbegrenzt bleiben („slow looser“) oder mehr als 5%pro Jahr („fast looser“) betragen. Die stärkstenVerluste treten in den ersten drei bis sechs Jahrennach der Menopause auf. Die periphere Umwand-lung von Androstendion – vor allem im Fettgewe-be – zu Estradiol und Estron könnte begründen,weshalb sehr schlanke Frauen ein höheres Osteo-poroserisiko aufweisen als Übergewichtige [139].Obwohl die „peak bone mass“ und das Osteoporo-serisiko entscheidend durch genetische und endo-krine Faktoren beeinflusst werden, spielen auchLebensstilfaktoren eine wichtige Rolle [12]. Ne-ben der körperlichen Aktivität übt die Ernährungeinen entscheidenden Einfluss auf die Knochenge-sundheit aus [62, 103, 147]. Unter den in Abbil-dung 4 genannten Faktoren kommt insbesondereCalcium, Fluorid, Vitamin D und K sowie denPhytoestrogenen für die Beratungspraxis in derApotheke eine entsprechend große Relevanz zu.Diese werden daher im Folgenden näher darge-stellt.

Primärprävention mit Calcium

Für einen adäquaten Aufbau der Knochenmassekommt einer optimalen Versorgung des Knochensmit allen Nährstoffen die zentrale Bedeutung zu.Dies gilt insbesondere für die Phasen des intensivenKnochenwachstums in Kindheit und Jugend.Quantitativ dominierend beim Knochenaufbau istder Mineralstoff Calcium (siehe auch DAZ Nr.8/2005, S. 52ff). Im Knochen befinden sich beimErwachsenen ca. 1200 g des Mineralstoffs, diessind etwa 99% des Gesamtkörperbestandes. DasKnochenskelett dient dabei auch als physiologi-scher Calciumspeicher. In Abhängigkeit vom Cal-ciumangebot der Nahrung dominieren deshalb im

Knochengewebe entweder die Mineralisation undder Knochenaufbau oder aber die Demineralisa-tion und die Osteolyse. Die Angaben darüber, welche Calciumzufuhr füreine Optimierung der Knochenmasse anzustrebenist, variieren. So finden sich Empfehlungen derKonsensus-Konferenz der National Institutes ofHealth für die Prävention einer Osteoporose, dieum ca. 300 mg/d über denen der Deutschen Ge-sellschaft für Ernährung liegen (1000-1200 mg/d)(Tab. 4). Bereits diese Mengen werden über dienormale Ernährung im Allgemeinen nicht erreicht(siehe auch DAZ Nr. 45/2004, S. 43ff). Vor allem

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Tab. 2: WHO-Kriterien zur Diagnose der Osteoporose

Kategorie Kriterien

Normal BMD ≤ 1 Standardabweichung des Mittelwerts gesunder 30-Jähriger (T-Score 0 bis –1)

Osteopenie BMD 1 bis < 2,5 Standardabweichungen unter dem Mittelwert der gesunden 30-jährigen (T-Score –1 bis > –2,5)

Osteoporose BMD ≥ 2,5 Standardabweichungen unter dem Mittelwert der gesunden 30-jährigen (T-Score ( –2,5)

Schwere Osteoporose BMD ≥ 2,5 Standardabweichungen unter dem Mittelwert der gesunden 30-jährigen, mit Frakturen

BMD = Knochendichte (Bone Mass Density)

ABB. 3: TANNENBAUMPHÄNOMEN Der Größenver-lust bei fortgeschrittener Osteoporose zeigt häufigdas so genannte Tannenbaumphänomen mit Haut-querfalten am Stamm und dem typischen Kugel-bauch [81].

Foto

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im Kindes- und Jugendalter ist auf eine ausrei-chende Calciumzufuhr zu achten, da in diesem Le-bensabschnitt die Calciumretention ihr Maximumerreicht (Abb. 5). Bilanzstudien zufolge beträgtdie für den maximalen Knochenaufbau erforderli-che Calciummenge bei Kindern im Alter zwischenzwei und acht Jahren 1600 mg/d und bei 9 bis 17-Jährigen etwa 1200 mg/d [82]. Positive Effekteeiner Supplementierung sind dann zu erwarten,wenn die Calciumaufnahme über die normaleNahrung unzureichend ist [76, 79] und die Supple-mentierung vor der Pubertät erfolgt [12]. So wur-de in einer Untersuchung an achtjährigen Mäd-chen mit geringer Calciumzufuhr bereits nach ei-nem Jahr mit einer erhöhten Calciumaufnahme(von 700 mg auf 1400 mg pro Tag) eine 58 %igeSteigerung der Knochenmineraldichte erreicht[12]. Um einen langfristig günstigen Effekt auf dieKnochendichte auszuüben, ist offenbar eine konti-nuierlich hohe Calciumversorgung unerlässlich.Kurzfristige Gaben scheinen hingegen nur tempo-

räre Effekte auszu-üben, die sichnach Absetzen derSupplementationnicht mehr nach-weisen lassen. Sowurde in einerUntersuchung anKindern durchCalciumgabe über18 Monate zwareine Erhöhung derKnochendichte er-reicht [76], bei ei-nem Follow-Upnach 18 Monatenwar dieser Unter-schied zwischenVerum- und Kon-trollgruppe jedochnicht mehr nach-weisbar [77]. Prä-ventive Wirkun-gen einer Calci-umgabe zeigensich jedoch nichtnur im Kindes-

und Jugendalter. Obwohl bei Erwachsenen hier-durch keine Zunahme der PBM mehr zu erzielenist, demonstrieren Beobachtungsstudien an Er-wachsenen, dass eine Calciumzufuhr zwischen1000 – 1800 mg/d günstige Effekte auf Knochen-dichte und Frakturrisiko ausübt [5, 95].

Calcium in der Sekundärprävention

Sehr häufig kommen Calciumsupplemente erstdann zum Einsatz, wenn bereits eine Osteoporosevorliegt. Ziel ist es dann, weitere Knochenmasse-verluste zu reduzieren bzw. die klinischen Folgen,besonders das Frakturrisiko, zu minimieren. Sozeigte sich z.B. bei postmenopausalen Frauen, dietäglich 1000 mg Calcium als Supplement erhiel-ten, eine Verminderung der Osteoklastenaktivitätund eine dadurch bedingte Hemmung des Kno-chenabbaus [59]. Dabei hatte die abendliche Gabevon 1000 mg Calcium einen positiven Effekt aufKnochenabbauparameter während der Nacht, wo-

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ABB. 4: DIE ERNÄHRUNG IST WICHTIG Vor allem Calcium, Fluorid, Vitamin D und Ksowie die Phytoestrogene spielen im Zusammenhang mit der Osteoporose einebedeutende Rolle.

Tab. 3: Unterschiede zwischen Osteoporose Typ I und Typ II [53]

Parameter Typ I Typ II

Alter 51 – 57 Jahre ≥ 70 Jahre

Geschlechter-Verhältnis (w:m) 6 :1 2 :1

Typ des Knochenverlustes Vorwiegend trabekulär (Spongiosa) Trabekulär und kortikal

Knochenabbaurate Beschleunigt Langsam, aber kontinuierlich

Frakturlokalisation Wirbelkörper (Kompression) Wirbelkörper (Radleiste) und Hüfte

Aktivität der Parathyreoidea Vermindert Erhöht

Konversion 25-OH-D R 1,25-(OH)2-D Sekundäre Abnahme Primäre Abnahme

Hauptursachen Menopausal bedingt Altersbedingt

hingegen 500 mg Calcium morgens und abendsden Knochenabbau nur tagsüber hemmten. Erstdurch die Kombination von 500 mg morgens und1000 mg abends lässt sich die Knochenmasse überden gesamten Tagesverlauf hinweg positiv beein-flussen [117]. Im Hinblick auf die Prävention von Frakturen übt die isolierte Gabe von Calcium allerdingsvergleichsweise geringe Effekte aus [119. 141].Wesentlich für eine optimale Nutzung des ange-botenen Calciums ist eine gleichzeitig adäquateVitamin-D-Aufnahme.

Nicht ohne Vitamin D!

Dies erklärt sich physiolo-gisch aus der bekanntenStoffwechselbeziehung zwi-schen Calcium und VitaminD (siehe Abb. 4). Wie imdritten Teil dieser Betrags-serie bereits erläutert (DAZNr. 2/2005, S. 49ff), stei-gern verschiedene Vitamin-D-Metaboliten, vor allemCalcitriol und seine Vorstu-fe 25-Hydroxycholecalcife-rol (25(OH)D3), die intesti-nale Calciumabsorption.Aus Bilanzuntersuchungenan jungen und postmeno-pausalen Frauen ist be-kannt, dass die Calciumbi-lanz im Wesentlichen vonder Absorptionsrate des Mi-neralstoffs bestimmt wird[147]. Eine mangelhafteVitamin-D-Versorgung istmit einer Erhöhung derPTH- Spiegel verbunden.Aufgrund dessen Stellungim Calciumstoffwechselwird seine Konzentrationals Marker für die Calcium-versorgung verwendet undim Hinblick auf die Osteo-poroseprophylaxe einemöglichst niedrige PTH-Konzentration angestrebt.Verschiedenen Studienzufolge wird mittlerweiledavon ausgegangen, dassein Plasmaspiegel im Be-reich von 80 – 200 nmol25(OH)D3/l optimal für dieKnochengesundheit ist [32,137, 149]. Um diese prä-ventiv wirksame Blutkon-zentration zu erreichen, istin der sonnenarmen Jahres-zeit eine Aufnahme vonmindestens 20 µg VitaminD3 pro Tag erforderlich[32]. Positive Effekte aufdie Knochendichte lassensich allerdings z.T. bereits

mit vergleichsweise niedrigen Vitamin-D-Mengen(10 µg Vitamin D/d) erzielen [98]. Vor diesem Hintergrund wird der synergistischeEffekt einer kombinierten Gabe von Calcium undVitamin D verständlich. So wurden in einem ge-mischten Kollektiv (> 65 Jahre), das drei Jahrelang 500 mg/d Calcium und 17,5 µg/d Vitamin D3oder ein Plazebo erhielt, signifikant weniger Frak-turen in der Verumgruppe beobachtet. Die Kno-chendichte stieg am Oberschenkelhals um 0,5%und an der Wirbelsäule um 2,1% an [31]. Hoch-betagte Frauen, die 18 Monate lang 1200 mg/d

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ABB. 5: ENDOKRINE REGULATION des Calciumstoffwechsels [80]. Ein Abfall der extra-zellulären Calciumkonzentration aktiviert die Sekretion von PTH aus der Neben-schilddrüse. PTH stimuliert in der Niere die Synthese des aktiven Vitamin-D-Meta-bolten Calcitriol. Dieser fördert gemeinsam mit PTH die Auslagerung von Calciumaus dem Knochen. Zudem induziert Calcitriol im Dünndarmepithel die Calciumab-sorption (siehe auch DAZ Nr. 2/2005, S. 49ff). Insgesamt führen diese Prozesse zueiner raschen Anhebung der Calciumspiegel im Plasma. Steigt die extrazelluäre Cal-ciumkonzentration dagegen an, überwiegt der Einbau von Calcium in das Knochen-gewebe.

verminderten Inzidenz nichtvertebraler Frakturen(RR = 0,77; p = 0,09) bei Vitamin-D-Gabe [100].

Auch andere Nährstoffe sind bedeutsam

Calcium und Vitamin D kommt zwar eine heraus-ragende Bedeutung bei der Prävention und The-rapie der Osteoporose zu, allerdings sollte nichtverkannt werden, dass auch zahlreiche andereNährstoffe einen Einfluss ausüben. Deren Bedeu-tung sowie die zusammenfassenden Empfehlungenfür die Praxis werden im nächsten Beitrag darge-stellt.

Literatur

Das Literaturverzeichnis für die beiden Beiträge zu Ernährung undOsteoporose wird am Ende des zweiten Teils veröffentlicht (Teil 8der Ernährung-heute-Serie).

Korrespondenzautor:

Prof. Dr. Andreas HahnUniversität Hannover, Institut für LebensmittelwissenschaftAbteilung für Ernährungsphysiologie und HumanernährungWunstorfer Str. 14, 30453 HannoverTel: 0511/762 5093, Fax: 0511/762 5729Email: [email protected]

Calcium und 20 µg/d Vitamin D3 verabreicht be-kamen, wiesen bei Gabe des Prüfpräparates 43%weniger Hüftfrakturen auf als die Plazebogruppe[25]. Die Bedeutung einer kombinierten Gabe vonCalcium und Vitamin D wird auch durch eineMeta-Analyse von 25 randomisierten Studien un-terstützt, in denen Vitamin D mit oder ohne Calci-um supplementiert wurde. Dabei ergab sich einesignifikant geringere Inzidenz vertebraler Fraktu-ren (RR = 0,63; p < 0,01) sowie ein Trend zu einer

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Tab. 4: Vergleich der Empfehlungen für die Calciumzufuhr von Deutscher Gesellschaft für Ernährung (DGE) undder National Institutes of Health (NIH)

Altersgruppe DGE NIH Frauen [mg] Männer [mg] Frauen [mg] Männer [mg]

11 – 24 Jahre 1000 – 1200 1000 – 1200 1200 – 1500 1200 – 1500

25 – 65 Jahre 1000 1000 10001 1000

ab 65 Jahre 1000 1000 15002 1500

1 Empfehlung gilt bis zur Menopause2 Empfehlung gilt ab der Menopause

Die Serie im Überblick

Von unserer Serie „Qualifizierte Ernährungsberatungin der Apotheke“ sind bisher erschienen:

J Teil 1: Von den Grundlagen zur Anwendung (DAZ Nr. 45/2004, S. 43 f.)

J Teil 2: Vitamine in der Prävention (DAZ Nr. 49/2004, S. 65 f.)

J Teil 3: Neue Erkenntnisse zu Vitamin D und Vitamin B12

(DAZ Nr. 2/2005, S. 49 f.)J Teil 4: Sekundäre Pflanzenstoffe –

die neuen „Vitamine“? (DAZ Nr. 5/2005, S. 73 f.)

J Teil 5: Mineralstoffe – ist eine Supplementie-rung immer sinnvoll? (DAZ Nr. 8/2005, S. 52 f.)

J Teil 6: Selen und Zink in Prävention undTherapie (DAZ Nr. 11/2005, S. 62 ff.)

Literatur

Die richtige Ernährung besitzt eine herausragendeBedeutung bei der Vermeidung und Behandlung vie-ler Erkrankkungen. Diese Zusammenhänge sind im-mer noch zu wenig bekannt. Wirksame Unterstützungist gefragt! Wer gesunde wie kranke Menschen in er-nährungsfragen kompetent beraten will, benötigt da-für eine solide Basis. von den Autoren dieser Serie,Ernährungswissenschaftler aus Hochschulen, Lehreund Praxis, steht seit kurzem das Buch „Ernährung –Physiologische Grundlagen und ernährungsassoziier-te Erkrankungen“ zur Verfügung. Es baut das Thema„Ernährung“ Schritt für Schritt auf. Ein Lehrbuch undNachschlagewerk, das alle Aspekte der Ernährungdes Menschen behandelt – umfassend, fundiert undpraxisnah.

Hahn, Andreas, Ströhle, Alexander,und Wolters, Maike

Ernährung – PhysiologischeGrundlagen und ernährungs-assoziierte Erkrankungen

469 S., 154 s(w Abb., 139 s/w Tab.;Erschienen in der wissenschaftlicheVerlagsgesellschaft mbH 2005, 56Euro, Subskriptionspreis bis zum30. Juni 2005: 44 Euro.

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