6
Erstes grammatisches Traktat eines unbekannten Isländers (12. Jhd.) Übersetzt, bearbeitet und herausgegeben von R. Harlev Vorbemerkungen: 1. Bei der Übersetzung wurde (Haugen, 1950) als Grundlage genommen, wo auch der altisländische Originalwortlaut abgedruckt ist. Für die weitere Auseinandersetzung verweise ich auf diesen Artikel, der eine eingehende Diskussion enthält. 2. Methodologische Auseinandersetzungen mit Kritikern sowie umfangreiche Worterklärungen vom Verfasser des Traktats sind in dieser Ausgabe zur besseren Übersicht eingerückt worden, letztere darüber hinaus kursivgedruckt. 3. Die Gliederung in Abschnitte stammt von mir. Die Übersetzung ist mehr auf Verständlichkeit als auf die Beibehaltung des Originalwortlautes hin angelegt. Einige kleine Stellen habe ich ausgelassen und die Auslassung durch [...] gekennzeichnet, andere etwas verkürzt und durch eckige Klammern umschlossen. 1. Vorwort In den meisten Ländern legen die Menschen in Chroniken nieder, was in ihrem Land an bedeutenden Ereignissen geschehen ist oder was ihnen von anderen Ländern erinnernswert erscheint, oder sie schreiben ihre Gesetze, jede Nation in ihrer Sprache. Aber weil die Sprachen alle verschieden sind, seitdem sie sich von ein und derselben Sprache abgezweigt haben, ist es nun notwendig, sie durch unterschiedliche Buchstaben niederzuschreiben und nicht für alle [Sprachen] dieselben [Buchstaben] zu verwenden, wie ja auch die Griechen ihre Sprache nicht mit lateinischen Buchstaben, und lateinische Schriftsteller ihre Sprache nicht mit griechischen Buchstaben niederschreiben [...] Wenn nun jemand eine Sprache mit der Schrift einer anderen Sprache niederschreiben soll, werden ihm bestimmte Buchstaben fehlen, weil er für besondere Laute seiner Sprache in dem anderen Alphabet keine Entsprechung findet. Dennoch schreiben Engländer das Englische mit lateinischen Buchstaben, solange sie mit diesen auskommen, aber darüber hinaus fügen sie andere Buchstaben hinzu, soviele und sogestaltige sie eben brauchen, und benutzen jene nicht, die in ihrer Sprache nicht richtig ausgesprochen werden. Um nun ihrem Beispiel zu folgen, da wir ja mit ihnen einer Sprache sind – obwohl eine unserer Sprachen sich stark verändert hat, oder beide Sprachen ein wenig – habe auch ich ein Alphabet für uns Isländer zusammengestellt, um Schreiben und Lesen zu erleichtern [...] Ich habe alle lateinischen Buchstaben benutzt, die in unsere Sprache gut zu passen schienen und konnte ihren ursprünglichen Klang erhalten, sowie einige andere Buchstaben, die mir nützlich erschienen, während ich jene beiseite gelassen habe, die mir nicht auf unsre Sprache zu passen schienen. Einige Konsonanten des Lateinischen wurden fortgelassen, und einige andere hinzugefügt. Von denen Vokalen wurde keiner weggelassen, und außerdem wurde eine ganze Menge Vokale hinzugefügt, weil unsere Sprache die größte Anzahl an Vokal-Lauten hat. Da die Konsonanten keine Sprache bzw. keinen Laut durch sich selbst bilden können [...], die Vokale deshalb größere Ehre als die Konsonanten haben, sowie der Allmächtige sie über den Halbmächtigen hat, habe ich sie in meinem Alphabet und in meine Auseinandersetzung als erste aufgenommen.

Erstes grammatisches Traktat (eines unbekannten Isländers)

Embed Size (px)

DESCRIPTION

Das "Erste grammatische Traktat" ist eines der ältesten linguistischen Werke aus Europa. Ein namentlich nicht genannter Autor beschreibt die Laute des Isländischen im 12. Jahrhundert und er schlägt ein Alphabet vor, von dem einige Buchstaben im heutigen standardisierten Altnordischen immer noch benutzt werden.Hier ist die deutsche Übersetzung mit gegliederten Abschnitten gegeben. Das Original sowie die englische Übersetzung können unter http://www.jstor.org/discover/10.2307/522272 eingesehen werden.Zum Altisländischen des 13. Jahrhunderts siehe auch folgenden Lehrtext:http://de.scribd.com/word/document_edit/241354470

Citation preview

Page 1: Erstes grammatisches Traktat (eines unbekannten Isländers)

Erstes grammatisches Traktat eines unbekannten Isländers (12. Jhd.)

Übersetzt, bearbeitet und herausgegeben von R. Harlev Vorbemerkungen:

1. Bei der Übersetzung wurde (Haugen, 1950) als Grundlage genommen, wo auch der altisländische Originalwortlaut abgedruckt ist. Für die weitere Auseinandersetzung verweise ich auf diesen Artikel, der eine eingehende Diskussion enthält.

2. Methodologische Auseinandersetzungen mit Kritikern sowie umfangreiche Worterklärungen vom Verfasser des Traktats sind in dieser Ausgabe zur besseren Übersicht eingerückt worden, letztere darüber hinaus kursivgedruckt.

3. Die Gliederung in Abschnitte stammt von mir. Die Übersetzung ist mehr auf Verständlichkeit als auf die Beibehaltung des Originalwortlautes hin angelegt. Einige kleine Stellen habe ich ausgelassen und die Auslassung durch [...] gekennzeichnet, andere etwas verkürzt und durch eckige Klammern umschlossen.

1. Vorwort In den meisten Ländern legen die Menschen in Chroniken nieder, was in ihrem Land an bedeutenden Ereignissen geschehen ist oder was ihnen von anderen Ländern erinnernswert erscheint, oder sie schreiben ihre Gesetze, jede Nation in ihrer Sprache. Aber weil die Sprachen alle verschieden sind, seitdem sie sich von ein und derselben Sprache abgezweigt haben, ist es nun notwendig, sie durch unterschiedliche Buchstaben niederzuschreiben und nicht für alle [Sprachen] dieselben [Buchstaben] zu verwenden, wie ja auch die Griechen ihre Sprache nicht mit lateinischen Buchstaben, und lateinische Schriftsteller ihre Sprache nicht mit griechischen Buchstaben niederschreiben [...] Wenn nun jemand eine Sprache mit der Schrift einer anderen Sprache niederschreiben soll, werden ihm bestimmte Buchstaben fehlen, weil er für besondere Laute seiner Sprache in dem anderen Alphabet keine Entsprechung findet. Dennoch schreiben Engländer das Englische mit lateinischen Buchstaben, solange sie mit diesen auskommen, aber darüber hinaus fügen sie andere Buchstaben hinzu, soviele und sogestaltige sie eben brauchen, und benutzen jene nicht, die in ihrer Sprache nicht richtig ausgesprochen werden. Um nun ihrem Beispiel zu folgen, da wir ja mit ihnen einer Sprache sind – obwohl eine unserer Sprachen sich stark verändert hat, oder beide Sprachen ein wenig – habe auch ich ein Alphabet für uns Isländer zusammengestellt, um Schreiben und Lesen zu erleichtern [...] Ich habe alle lateinischen Buchstaben benutzt, die in unsere Sprache gut zu passen schienen und konnte ihren ursprünglichen Klang erhalten, sowie einige andere Buchstaben, die mir nützlich erschienen, während ich jene beiseite gelassen habe, die mir nicht auf unsre Sprache zu passen schienen. Einige Konsonanten des Lateinischen wurden fortgelassen, und einige andere hinzugefügt. Von denen Vokalen wurde keiner weggelassen, und außerdem wurde eine ganze Menge Vokale hinzugefügt, weil unsere Sprache die größte Anzahl an Vokal-Lauten hat. Da die Konsonanten keine Sprache bzw. keinen Laut durch sich selbst bilden können [...], die Vokale deshalb größere Ehre als die Konsonanten haben, sowie der Allmächtige sie über den Halbmächtigen hat, habe ich sie in meinem Alphabet und in meine Auseinandersetzung als erste aufgenommen.

Page 2: Erstes grammatisches Traktat (eines unbekannten Isländers)

2.1 Vokale (Raddastafir) Zu den fünf Vokalen, die schon im lateinischen Alphabet waren – a, e, i, o, u – habe ich viere hinzugefügt: ǫ, ę, ǿ, y. ǫ bekommt seine Schleife vom a und seinen Kreis vom o, weil es eine Mischung der beiden Laute darstellt; der Mund ist dabei weniger offen als beim a, aber offener als beim o.1 [Gleiches gilt für] ę. [Gemeint ist ε oder æ] ø wird durch die Laute e und o gebildet, es wird mit weniger geöffnetem Mund als für e, und weiter geöffnet als o gesprochen, weshalb ich die Kreuzungslinie vom e und den Kreis vom o benutze. [Gemeint ist ø bzw. deutsches ö] y ist ein einzelner Laut aus den Lauten i und u, mit weniger geöffnetem Mund als bei i und weiter geöffnet als für u gesprochen, sodass es den ersten Teil des Großbuchstaben U haben soll ... wie sie ursprünglich im Alphabet platziert waren. Jetzt mögen einige sagen: „Ich kann Dänisch perfekt lesen, auch wenn es nur mit den eigentlichen lateinischen Buchstaben geschrieben wird. Ich kann die geschriebenen Worte verstehen, auch wenn einige Buchstaben in dem, was ich lese, nicht richtig ausgesprochen werden können. Es ist mir egal, ob du [ọ] statt a, [e] oder ę, y oder u schreibst.“ 2 Dazu sage ich: Nicht die Buchstaben sind es, die dich zum Lesen und Verstehen befähigen, wo die Buchstaben unklar [d. h. mehrdeutig] sind. Es ist vielmehr DEINE Fähigkeit, und es soll nicht erwartet werden, dass ich auch, oder sonst jemand wie ich (wenn es so jemanden gibt) fähig sein soll, gut zu lesen und zu erkennen, welche [Aussprachevariante] er wählen soll, wenn [ein Wort auf eine unklare Art geschrieben ist], und wir dann raten müssen, wie du es so gut zu können behauptest. Und obwohl jeder [etwas von dem Text] verstehen kann, ist es geradezu gewiss, dass nicht jeder zum selben Ergebnis kommen wird, wenn sich die Bedeutung ändert, besonders in den Gesetzen. So sage ich, dass du nicht gut geantwortet hast, wenn du weiterhin meinst, wir bräuchten keine neun Buchstaben – a, ǫ, e, ę, i, o, ø, u, y –, besonders wenn ich dir anhand dieser neun Vokale 36 unterschiedliche [Laute] zeigen kann. Nun nehme ich acht dieser Buchstaben (weil noch kein Unterschied für das i gemacht wurde3) und setze sie der Reihe nach zwischen dieselben zwei Konsonanten, und ich werde durch Beispiele zeigen, wie jeder von ihnen [...] einen anderen Laut ergibt [und damit auch eine andere Bedeutung]; auf diese Art gebe ich dieses ganze Büchlein hindurch Beispiele für die feinen Unterschiede, die zwischen den Buchstaben bestehen:

sár – sǫr; sér – sęr; sór – sør; súr – sýr.4 Ein Mann brachte mir eine Wunde sár bei; ich brachte ihm viele Wunden sǫr bei... Der Priester alleine schwor sór die Eide sǿren. Sauer súr sind der Säue sýr Augen [...]

2.2 Nasalvokale

Nun wird jeder dieser neun Buchstaben einen neuen Laut hervorbringen, wenn man ihn durch die Nase spricht. Dadurch kann sich sogar die Bedeutung ändern, wie ich im Folgenden zeige. Auf Nasalvokale werde ich einen Punkt setzen:

hár – há •

r; rǫ – rǫ •

; þél – þé •

l; fęr – fę •

r; ísa – í •

sá;

órar – ó •

rar; ǿra – ø •

ra; þú at – þú •

at; sýna – sý •

na.

hár (Haar) wächst auf Lebewesen, aber der há •

r (Hai) ist ein Fisch. Die rọ (Rahe) ist ein Holzpfahl in der

Takelage, aber rọ •

ist eine Hausecke. þél ist auf einer verbundenen Hand oder ist ein Teil einer Decke, aber þe •

l

(Feile) ist ein Werkzeug. Es ist eine Sache, dass ein Schaf fęr heißt, eine ganz andere, dass es Lämmchen

bekommt (fę •

r). Wir konnten durch eine Lücke in den Wolken hindurchsehen ( í •

sá), als wir ins Treibeis (ísa)

gerieten. Verrücktheit (órar) ist unsere (ó •

rar) Nachlässigkeit. Das älteste Kind sollte gut sein; denn der ältere kann den jüngeren (ǿra) quälen (ø

ra). Du warst dort (þú at), wo das Federbett war... (þú •

at). Ich werde dir

drei sýna tiefes Schlagwasser zeigen (sý •

na).

Zusammengenommen ergeben sich folgende Vokale: a a

; o o•

; e e•

; ę ę•

; ı i•

; o o•

; ø ø•

; u u •

; y y•

.

1 Gemeint ist offenes o: [Ǥ]. 2 Die altnordischen Sprachen wurde zumeist in einem unvollkommenen Alphabet geschrieben, bei dem jedem Buchstaben

mehrere Laute zugeordnet waren, z. B. konnte u für die Laute [u], [w], [y] stehen. 3 Im Gegensatz zu e/ę, a/ǫ, u/y, o/ø. 4 Der Akzent ´ bezeichnet, wie in §2.3 noch ausgeführt wird, die Länge des Vokals.

Page 3: Erstes grammatisches Traktat (eines unbekannten Isländers)

2.3 Lange Vokale

Obwohl ich nicht mehr Vokalsymbole schreibe als man in unserer Sprache findet, und dennoch aus fünf lateinischen Vokalen nun achtzehn geworden sind, ist es gut zu wissen, dass es in unserer Sprache noch ein anderes Unterscheidungskriterium gibt – sowohl in den alten wie in den neu hinzugekommenen. Dieses Kriterium ist bedeutungsverändernd, je nachdem, ob ein Buchstabe lang oder kurz ist, gleichwie die Griechen einen langen Buchstaben mit der einen, einen kurzen mit einer anderen Form schreiben. Sie schreiben ja das kurze e so: ε, das lange e aber so: η; sie schreiben das kurze o so: ο, das lange aber so: ω. Diese [Art von] Unterschied möchte ich auch machen, denn sie verändert die Bedeutung [eines Wortes], ebenso wie die andere [nämlich die Nasalierung]; deshalb werde ich lange Vokale mit einem Strich [´] markieren, um sie von [unbezeichneten] kurzen zu unterscheiden. [...]

far (Fahrzeug) ist ein Schiffstyp, aber fár (Gefahr) eine Art Notlage. Ein starker Mann ist ein ra •

mr (kräftig), aber eine wunde Kehle ist ra

mr (heiser). ọl (Bier) ist ein Getränk, aber ọl ist ein Riemen. Die Zunge ist es

gewohnt (uǫ •

n) zu sprechen, während man von Zähnen erwartet (uọ •

n), dass sie beißen. se þú (sieh du) wie

gut sie die Bretter befestigt (séþu) haben [...]. Diejenigen Männer sind fra •

mer (dreist), die sich schämen, meine Frau von mir (frá

mér) zu nehmen. Manche Frau ist so angetan (uęr) von ihrem Ehemann (uęr), dass

sie kaum ihre Augen von ihm halten kann. Obwohl ein böser Mann damit prahlt (uę •

nesc)5, gute Frauen

[verführt zu haben], sollte sich das kein guter Mann angewöhnen (uę •

nesc). Dummheit denkt und will (uil), dass Arbeit und Mühe (uíl) weniger werden. Ich werde einen umsichtigen Mann an meine (mínna) wichtigen

Aufträge erinnern (minna). Diejenige Frau ehrt Gott (goþ), die selbst gut (góþ) ist. Meine Mamma (mo •

na),

sagt das Kind, wird�nicht (mo •

na) mich am schlechtesten in ihrem Haushalt behandeln. Wohl tat Goþrøþe wie

gute Ruder (góþ rǿþe), wie der Skalde sagt: Des Herrschers Mannen können ziehen rétt kann rǿþe slíta Die geraden Ruder (rǿþe) durch das Meer. ræsis herr ór verri.

Das Haus würde (mø •

nde) undicht werden, wenn keine Handwerker das Dach gefurcht (mø •

nde) hätten. Wenn ein Gast an die Tür (dura) klopft, darf der Mann des Hauses dösen (dúra). Männliche Schweine heißen

ru •

nar, aber Buchstaben heißen ru •

nar. Schaut, wie das Floß treibt (flýtr), wenn die Flößer es treiben (flytr). Der Steuermann braucht eine schärfere (bry

nna) Briese als jemand, der Kühe tränkt (bry •

nna). Wenn auch nur eine dieser sechsundreißig Unterscheidungen wegfallen kann und in unserer Sprache gar nicht benutzt wird, habe ich mich gründlich geirrt, was gut möglich ist; oder auch dann, wenn es in der menschlichen Sprache mehr als diese gäbe.

2.4 Diphthonge

Nun ist es gut zu wissen, wie ich schon gesagt habe, dass jeder Vokal in jeder Umgebung so ausgesprochen wird, wie er im Alphabet benannt ist – es sei denn dann, wenn er seine eigene Natur aufgibt und eher als Konsonant bezeichnet werden sollte. Das passiert dann, wenn er mit einem anderen Vokal verbunden ist, wie in den folgenden Beispielen: austr (Osten), earn (Eisen), eir (Kupfer), eór (Ross), eyrer (Unze), uín (Wein).

Nun ist es n icht unwahrscheinlich, dass welche sagen werden: „Da ist ein Wort, wo du e schreibst, aber die meisten Leute ein i schrieben, wenn es als Konsonant benutzt wird. Du schreibst einfach earn, wo ich iarn schreiben würde und dergleichen.“ Dazu sage ich: Du hast eine wahre Beobachtung gemacht [...], aber ich müsste ein viel längeres Buch schreiben, weshalb ich dieses Thema hier nicht aufgreifen kann. Aber ich sage noch ein wenig dazu: Der Klang eines Konsonanten (bzw. derjenige eines Vokals, der die Position eines Konsonanten einnimmt), kombiniert mit einem anderen Vokal, ist nicht leicht einzuordnen, denn er ist kurz und nahezu mit undeutlich gemacht oder zusammengewachsen mit dem Vokal, mit dem er kombiniert ist. Deshalb müssen wir umherschauen und herauszufinden versuchen, wo ein bestimmtes Wort derart ausgesprochen wird, dass der erstere Vokal vom letzteren getrennt erscheint, und jeder eine eigene Silbe bildet, anstatt dass beide kombiniert sind sind und wie gewöhnlich zusammen eine Silbe bilden.

5 sprich [wε:nesk], c steht in durchgängig für [k], siehe §3.

Page 4: Erstes grammatisches Traktat (eines unbekannten Isländers)

Die Skalden sind unsere Autoritäten in Sachen des Schreiben oder Sprechens, so wie die Handwerk beim Handwerk und die Anwälte beim Recht. Einer von ihnen6 machte so ein ähnlich Gedicht wie das folgende:

Eisen(earn)-Schwerter brachten Fortschritt, họfðu hart of krafðir Heftig zum Widerstreit gedrängt; hildr óx við þat skildir Alte Schilde gingen entzwei, gang, enn gamlir sprungu Die Heftigkeit der Schlacht stieg an.7 gunnþings earnhringar.

Obwohl das Metrum [den Dichter] zwang, eine Silbe in zwei aufzuspalten [e-arn], um der Zeile die vorgeschriebene Silbenanzahl zu geben, gab es für ihn keine Notwendigkeit, die Buchstaben zu wechseln und statt des e ein i zu benutzen [...]. Wenn aber immer noch welche darauf bestehen oder so hartnäckig sind, sovielen vernünftigen Männern zu widersprechen [...], so werde ich Cato’s Lieblingsrat anwenden, den er seinem Sohn in Form dieser Verse gab:

Kämpfe nicht mit Worten gegen wortreiche; Contra verbosos noli contendere verbis; Reden ist jedem gegeben, Herzensweisheit wenigen. Sermo datur cunctis, animi sapientia paucis.8

Hier schließe ich meine Betrachtung der Vokale ab, und, so Gott will, versuche ich etwas über die Konsonanten zu sagen.

3. Die Konsonanten (samhljódendr)

3.1 Zum Buchstabieren9 Im Namen jedes Konsonanten ist [beim Buchstabieren] ein Vokal, den die Konsonanten können ohne Vokal weder genannt noch ausgesprochen werden, wie ich früher schon gesagt habe. Obwohl der Laut eines Konsonanten kaum isoliert auszusprechen ist, müssen wir immer noch seine Bedeutung in der verbundenen Rede bestimmen. Weil in der Rede den Konsonanten im Gegensatz zu den Vokalen nie der volle Wert ihres [Buchstabier-]Namens gegeben wird, werde ich einen neuen Namen gestalten für jeden Konsonanten, der noch keinen Namen hat, durch welchen man seine Qualität beim Sprechen bestimmen kann, wenn es nicht im Voraus weiß. Die Qualität jedes Konsonanten in der verbundenen Rede wird die seines [Buchstabier-]Namens ohne den Vokal sein. b, [c], d, g, h, p, t Die diesen Buchstaben zugehörigen Namen haben immer die Länge eines Lautes, weil sie innerhalb derselben Silbe vor einem Vokal nicht doppelt erscheinen können.10 f, l, m, n, r, s Diese Buchstaben können jeweils den Laut zweier Konsonanten haben, falls jemand sie lang aussprechen wollte, was nach einem Vokal geschehen kann, und dies wird deutlich, wenn wir ihnen die Aussprache geben, die sie haben sollten, wenn wir ihre Namen eff, ell, emm, enn, err, ess buchstabieren würden. Aber ihr Laut kann auch reduziert werden, auch wenn sie dem Vokal ihrer Silbe folgen, und sie werden dann ausgesprochen, als ob ihre Namen ef, el, em, en, er, es geschrieben würde. Also werde ich ihnen diese Namen und den Laut nur eines Buchstaben geben (sei es vor oder nach einem Vokal), es sei denn, ich schreibe einen von ihnen mit einem Großbuchstaben nach dem Vokal seiner Silbe: Dann soll dieser Buchstabe für zweimal denselben [Klein]Buchstaben stehen, sodass man weniger schreiben muss und es schneller geht und das Pergament umso länger hält.11 Hinsichtlich der Buchstaben, [in deren Namen] ein Vokal dem Konsonanten folgt, also b, c, d, g, p, t, sodass ihr Name klanglich nicht erweitert werden kann, werde ich die Namen der korrespondierenden Großbuchstaben ändern und den Vokal voranstellen, sodass der neue Name wie auch ihr Wert beim Sprechen erweitert werden kann. Jeder Konsonant soll nun soviel von seinem Laut zum Vokal in seinem Namen hinzufügen, wie es der Vokal tut, mit dem er beim Sprechen verbunden ist. So bekommen einige Konsonanten ihre eigene Form, eigenen Namen und Sprachqualität: [b, c, d, g, p, t], wohingegen andere Form, Name und Sprachqualität eines Großbuchstaben bekommen: [F, L, M, N, R, S]. Andere wiederum bekommen die Form eines Großbuchstaben mit einer Vertauschung einiger Buchstaben in ihren Namen und einer Zunahme der Lautfülle in dem Namen wie auch beim Sprechen: [B, C, D, G, P, T], während einige ihre Form behalten, aber mit einem verkürzten Namen entsprechend ihrer Sprachqualität: [f, l,

6 Óttar der Schwarze. 7 Die Übersetzung ist (Haugen, 1950) entnommen. 8 Cato, Disticha 1,10. 9 Dieser Abschnitt wird ebenso eingerückt, weil diese Ausführungen für heutige Leser wenig Interessantes bieten dürften. 10 Er meint: Der Name be kann nicht zu bbe gelängt werden, während man ef zu eff längen könnte. 11 Das bedeutet, ein kleingeschriebenes f wird kurz gesprochen, also [f], während ein großgeschriebenes F nach einem Vokal

lang gesprochen wird, also [f:]. Hieraus ergibt sich m. E., dass beim Buchstabieren diese Laute normalerweise lang gesprochen wurden.

Page 5: Erstes grammatisches Traktat (eines unbekannten Isländers)

m, n, r, s]. Nun werde ich versuchen, die Form jedes Konsonanten zu zeigen, darüber schreibe ich seinen Namen, sodass man alles bisher getrennt besprochene anschauen kann:

3.2 Inventar der Konsonanten

Name: be / ebb che / ecc12 de / edd ef / eff ge / egg / eng ha el / ell em / emm Buchstabe: b / B c / K d / D f / F g / G / ǥ13 h l / L m / M Name: en / enn pe / epp er / err es / ess te / ett ex [the] Buchstabe: n / N p / P r / R s / S t / T x [ks] þ

Der Buchstabe c, den die meisten lateinischen Schriftsteller ce nennen und dem sie vor e oder i den Laut zweier Buchstaben geben: ts, aber ihn k vor a, o, u sprechen, wird im Latein bei den Schotten überall k gesprochen und che genannt. Ich werde ihn ebenfalls che in unserem Alphabet nennen und ihn vor allen Vokalen k bzw. q aussprechen [...]. Aber weil c dieselbe Form als Klein- wie als Großbuchstabe hat, und weil ich Großbuchstaben nicht größer als die Kleinbuchstaben schreibe – es sei denn am Beginn eines Abschnitts –, werde ich K anstelle des großen c schreiben, sodass [der lange k-Laut] eine Form für sich hat. Die Form ist nicht weithergeholt, denn sie kommt im Griechischen vor und heißt dort kappa und bedeutet κκ. In unserer Sprache soll K für cc stehen und also zwei Buchstaben repräsentieren wie die übrigen Großbuchstaben. Es könnte auch für „zweihundert“ in unserer Sprache stehen, wie CC im Lateinischen. Weil beim Namen che der Vokal dem Konsonanen nachfolgt, wird der Name für K umgedreht und heißt jetzt ecc, und jetzt genug hiermit.

Das n vor einem nachfolgenden g in derselben Silbe wird weniger in der Nase, aber mehr in der Kehle gesprochen als andere n´s, weil es vom g leicht gefärbt wurde. So werde ich diese zwei Buchstaben zu einem neuen Buchstaben verbinden, den ich eng nenne und so schreibe: ǥ. Diesem Buchstaben gebe ich denselben Wert wie den andern beiden, sodass es egal ist, ob man hringr oder hriǥr („Ring“) schreibt – abgesehen von weniger Buchstaben, weniger zu schreiben.

Für h habe ich weder Name noch Form verändert, weil sein Lautwert weder wachsen noch abnehmen noch sonstwie variiert werden kann.

x, y, z, &, [~] – diese Buchstaben können aus unserer Sprache weggelassen werden, wenn man will, weil sie keinen eigenen Laut repräsentieren, sondern für schon im Alphabet vorhandene Buchstaben stehen – einige für zwei Buchstaben wie x, z, &, ~ (die auch für mehr als zwei Buchstaben stehen können), während andere für einen Buchstaben benutzt werden, wie y und manchmal ~. x ist im Lateinischen cs. Ich will es so lassen, ohne einen Großbuchstaben daraus zu machen, weil es nie für cc oder ss benutzt wird und nie am Beginn eines Abschnitts, Wortes oder einer Silbe steht. y ist ein griechischer Buchstabe, der dort ui heißt, aber lateinische Schriftsteller nehmen ihn für i, und er wird nur in korrekt geschriebenen griechischen Wörtern benutzt. Also brauchen wir ihn hier nicht in unserer Sprache, es sei denn, jemand wollte es für mit einem anderen Vokal verbundenes konsonantisches u14 benutzen. Aber ich mache das nicht so, weil ich nicht einsehe, warum [konsonantisches] u mehr Unterstützung als andere konsonantisch benutzte Vokale brauche. z ist kombiniert als hebräischem deleth ד für d und sade צ für s. Obwohl es ein hebräischer Buchstabe ist, findet man es im lateinischen Alphabet, weil hebräische Wörter oft im Lateinischen vorkommen. Ich ziehe es vor, ihn aus unserer Sprache und unserem Alphabet wegzulassen, weil darin gezwungenermaßen schon mehr Buchstaben sind als ich dort haben mag. Ich würde lieber ds schreiben in den wenigen Gelegenheiten, wo es gebraucht werden könnte, denn es ist in unserer Sprache immer aus d und s zusammengesetzt und nie aus [þ] und s. & ist eher eine Silbe als ein Buchstabe, und im Lateinischen besteht er aus e und t, aber in unserer Sprache wäre er e und þ, wenn man ihn in unserer Sprache und unserem Alphabet benutzen wollte. Aber ich bin dagegen, weil diese Silbe nie für sich in unserer Sprache ohne einen Konsonant vor dem e erscheint. Die Tüttelchen [‾, ~] haben nicht die Qualität eines Buchstaben, sondern stehen für mehrere andere Buchstaben, manchmal einen und manchmal mehr, um das Schreiben zu beschleunigen und zu verkürzen. Ich benutze sie generell für m, manchmal für n, oder für die Silbe er, wenn man das Zeichen so schreibt: ~. [...]15

12 Die Aussprache ist [k] für c und [k:] für K. 13 g mit einem Strich hindurch. 14 Also für [w]. Da u, v, y ursprünglich nur Varianten eines einzigen Buchstabens waren, ist die Verwendung von y für [w]

nichts Ungewöhnliches. 15 Die Ausführungen zu den „Tüttelchen“ sind linguistisch irrelevant, weil es sich nur um eine Abkürzung handelt. Der Autor

empfiehlt im Weiteren, dass diesen „Buchstaben“ jeder nach eigenem Ermessen anwenden mag.

Page 6: Erstes grammatisches Traktat (eines unbekannten Isländers)

Der Buchstabe [þ], den die meisten thorn nennen, werde ich the nennen, [damit er zu den Namen der übrigen Konsonanten passt]. þ soll vor den Tüttelchen [~] im Alphabet stehen, obwohl ich erst jetzt von ihm spreche, weil es der am letzten hinzugefügte ist. Ich habe die Tüttelchen zuerst erwähnt, weil sie schon vorher im Alphabet waren, und in meinen Ausführungen ließ ich sie den ihnen ähnelnden [Buchstaben], die keinen eigenen Lautwert haben, folgen.

Den Großbuchstaben für the schreibe ich nur am Anfang eines Abschnitts, weil sein Lautwert nicht gelängt werden kann, auch wenn er dem Vokal der Silbe folgt. [Für alle, die nicht an die Notwendigkeit der die Länge anzeigenden Großbuchstaben glauben, gebe ich folgende Beispiele:]

u be sind die Namen zweier Buchstaben, aber uBe (Ubbi) ist ein Name. Ein secr (Gesetzloser) ist ein Waldbewohner, aber ein seKr (Sack) ist ein Beutel. hǫ dó ([eine] große Frau starb) als Họlgatroll starb: aber du könntest den Henkel (họDo) klappern hören, als Thor den Kessel trug. ... Es ist besser für jeden zu schweigen (þagat) als dass jemand anderer ihn zum schweigen bringe (þaGat). Nicht alle (ǫL) Biere (ǫl) sind gleich. Der Mut (frame) des Schiffers wird größer geachtet als seine zwei Kojen auf dem vorderen (fraMe) Deck. Der ist der größte von Gottes Freunden (uina), der am härtesten für ihn arbeiten (uiNa) wird. Die Leute waten oft durch crapa (nassen Schnee) zur Kirche, obwohl der Weg dadurch schwierig (craPa) wird. Jede (huer) Frau und jeder (hueR) Mann sollte begierig (fúS) auf das sein, was Gott wünscht (fús). Dann werden sie schnell [adj.] (sceót) darin sein, gute Taten zu tun und schnell [adv.] (sceóT) Gottes Gnade gewinnen.

Jeder, der nun wünscht zu schreiben oder zu lernen, was in unserer Sprache geschrieben ist, seien es heilige Schriften oder Gesetze oder Genealogien oder welch nützliches Wissen ein Mann auch immer aus Bücher lernen wollte, wenn er demütig genug in seiner Liebe zum Lernen ist, sodass er lieber ein wenig Einsicht als gar keine erlangen wird, bis sich eine Gelegenheit für mehr ergibt – dann lass ihn diese Abhandlung sorgfältig lesen und verbessern, wie das zweifelsohne an vielen Stellen nötig ist, lass ihn meine Bemühungen schätzen und meine Unwissenheit entschuldigen, und lass ihn das Alphabet benutzen, das hier schon hingeschrieben wurde, bis er eines bekommt, das er lieber mag:

aa•

oo•

ee•

ęę•

ıi•

oo•

øø•

uu•

yy•

bB cK dD fF gGǥ h lL mM nN pP rR sS tT x þ ~

(16)

Anhang Die Einordnung der altnordischen Vokale und die Entwicklung der steigenden Diphthonge nach (Haugen, 1950):

ḗarn > éarn > eárn > iárn > járn „Eisen“ (< Irisch ēarn) éhwa > ého- > éo- > eó- > iṓ- > jṓ- „Pferd“ hérta > héarta > heárta > hiárta > hjárta „Herz“ érþō > érþu > éọrþ > eọrþ > iọrþ > jọrð „Erde“

Literatur Haugen, Einar (1950): "First Grammatical Treatise. The Earliest Germanic Phonology". Language 26 (4): 4–64. (Kostenlos lesbar unter http://www.jstor.org/discover/10.2307/522272)

Weitere Informationen zum Traktat siehe unter http://de.wikipedia.org/wiki/Erster_Grammatischer_Traktat

16 Die Originalform der Buchstaben aus dem Manuskript. Die Zeilen wurden für diese Darstellung neu zusammengeschnitten.