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130 LAEMMLE. Zergliederung innerhalb dieser grol3en Gruppen nach den oben skizzier- ten GesichtspunkteI1 in zusammengeh~rige Untergruppen notwendig werden, und andrerseits ist vor allem die Frage, ob wir fiir alle uns klinisch elltgegentretenden Erkrankungsfiille auch den zugehSrigenmorphologischenBefundundden biologischen Vorgang des sich abspielenden Erkrankungsprozesses kennen oder nicht, damit noch keineswegs entschieden. Ftir eine gewisse Zahl yon klinischen Erkrankungsf~llen des inneren Ohres kSnnen wir wohl mit einem mehr oder weniger hohen Grad yon Wahr- scheinlichkeit aus den besonderen klinischen Eigentiimlichkeiten auf einen der uns auch pathologisch-anatomisch bzw. pathologisch- physiologisch bekannten Erkrankungsprozesse schlieBen. Wenn wit aber aUe uns klinisch entgegentretenden Krankheitsbilder nach dieser Richtung hin gewissenhaft priifen, miissen wir doeh meiner Meinung nach unbedingt zu der Erkenntnis kommen, dal3 sich noch andere als die uns bereits bekannten pathologisehen Vorgiinge in1 inneren Ohr abspielen miissen, weil schlechterdings klinische Erscheinungen sich nicht mit den uns bisher auch pathologisch-anatomisch be- kannten bzw. experimentell auszul~senden Erkrankungsprozessen in Einklang bringen lassen. Es gilt dies vor allem flit die sog. Meni~resche Erkrankung. DaB auch dieser ProzeB wenigstens unter gewissen Bedingungen zum Tonus der Sinnesendstellen in be- stimmten Beziehungen stehen kann, soll in der niichsten Mitteilung noch eingehend erSrtert werden. KASUISTIK MITT]~ILUNGEN FOR DIE PRAXIS. Aus der Universit~ts-Ohren-, Hals- und Nasen-Klinik Frankfurt a.M. (Direktor: Prof. Dr. O.VoB.) Erysipel nach Enukleation. Von Hermann Laemmle. Das an sich nicht h~ufige Auftreten eines prim~ren Erysipels der Schleimhaut der oberen Luffwege wurde im AnschluB an eine Tonsil- lektomie oder Adenotomie bisher nut in ganz vereinzelten FMlen beob- achtet. Es sei d~er gestattet, yon einem weit~ren Fall zu berichten, der in der Universit~ts-Ohrenklinik Frankfurt a. M. zur Beobachtung kam.

Erysipel nach Enukleation

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130 LAEMMLE.

Zergliederung innerhalb dieser grol3en Gruppen nach den oben skizzier- ten GesichtspunkteI1 in zusammengeh~rige Untergruppen notwendig werden, und andrerseits ist vor allem die Frage, ob wi r fi ir a l le uns k l i n i s c h e l l t g e g e n t r e t e n d e n E r k r a n k u n g s f i i l l e a u c h den z u g e h S r i g e n m o r p h o l o g i s c h e n B e f u n d u n d d e n b i o l o g i s c h e n V o r g a n g des s ich a b s p i e l e n d e n E r k r a n k u n g s p r o z e s s e s k e n n e n ode r n i c h t , damit noch keineswegs entschieden. Ftir eine gewisse Zahl yon klinischen Erkrankungsf~llen des inneren Ohres kSnnen wir wohl mit einem mehr oder weniger hohen Grad yon Wahr- scheinlichkeit aus den besonderen klinischen Eigentiimlichkeiten auf einen der uns auch pathologisch-anatomisch bzw. pathologisch- physiologisch bekannten Erkrankungsprozesse schlieBen. Wenn wit aber aUe uns klinisch entgegentretenden Krankheitsbilder nach dieser Richtung hin gewissenhaft priifen, miissen wir doeh meiner Meinung nach unbedingt zu der Erkenntnis kommen, dal3 sich noch andere als die uns bereits bekannten pathologisehen Vorgiinge in1 inneren Ohr abspielen miissen, weil schlechterdings klinische Erscheinungen sich nicht mit den uns bisher auch pathologisch-anatomisch be- kannten bzw. experimentell auszul~senden Erkrankungsprozessen in Einklang bringen lassen. Es gilt dies vor allem flit die sog. Meni~resche Erkrankung. DaB auch dieser ProzeB wenigstens unter gewissen Bedingungen zum Tonus der Sinnesendstellen in be- stimmten Beziehungen stehen kann, soll in der niichsten Mitteilung noch eingehend erSrtert werden.

K A S U I S T I K MITT]~ILUNGEN FOR DIE PRAXIS.

Aus der Universit~ts-Ohren-, Hals- und Nasen-Klinik Frankfurt a.M. (Direktor: Prof. Dr. O.VoB.)

Erysipel nach Enukleat ion. Von H e r m a n n Laemmle .

Das an sich nicht h~ufige Auftreten eines prim~ren Erysipels der Schleimhaut der oberen Luffwege wurde im AnschluB an eine Tonsil- lektomie oder Adenotomie bisher nut in ganz vereinzelten FMlen beob- achtet. Es sei d~e r gestattet, yon einem weit~ren Fall zu berichten, der in der Universit~ts-Ohrenklinik Frankfurt a. M. zur Beobachtung kam.

ErysipeI nach Enukleation. 131

Es handelte sich um eine 21j/thrige Patientin, die wegen chronischer TonsiUitis mit hAufig rezidivierenden Anginen zur Enukleation ein- gewiesen war. Sonst war die Patientin nie ernstlich krank gewesen. Weder vor noch withrendihres Aufenthaltes in der Klinik war ein Erysipel bekannt.

Befund: Grol]e zerkliiftete Tonsillen mit Pfr6pfen. Verlauf: 13. VI. 28. Enukleation in Lokalan~thesie. Bei der An-

itsthesierung tritt beim Einstich in den oberen Pol des linken vorderen Gat~menbogens eine HAmorrhagie unter die Schleimhaut auf. Die linke Ton,fille wird mit dem Elevatorium (ohne Zuhilfenahme eines scharfen Instrumentes oder des Fingers) ausgeschttlt und mit der Schlinge ab- getragen. Die rechte Tonsille ist leicht verwachsen, 1Al3t sich aber auf die gleiche Weise gut entfernen.

14. VI. Die Uvula ist stark 6dematSs, daumendick. Die H~ilor- rhagie am linken oberen Pol ist immer noch vorhanden, l0 ccm Calcium chlorat, intraven6s.

15. VI. Status idem. Patientin klagt fiber starke Halsschmerzen. 19. VI. TonsiUenbett beiderseits mit Fibrin belegt, wurde in den

letzten 3 Tagen wiederholt mit Trypaflavin gepinselt. 20. VI. Temperaturanstieg auf 39,3, starkes Fr6steln, Erbrechen.

Der ganze weiche Gaumen ist dunkelrot verf~rbt mit scharfer Abgrenzung nach vorn.

21. VI. AUgemeinbefinden schlecht. Die R6tung im Mund hat an Ausdehnung zugenommen. Temperatur zwischen 38 und 390. Das 0dem der Wunde ist starker geworden, die H~norrhagie ist noch vorhanden. Leukotropin intraven6s.

92. VI. Wundbett beiderseits sieht noch immer schmierig belegt aus. Die R6tung nimmt die ganze Mundh6hle mit Ausnahme der Wangen- schleimhaut ein. Temperatur abends 38 ~ starke subjektive Beschwerden. Darreichung yon 2 mal 25ccm Antistreptokokkenserum per os.

24. VI. Die subjektiven Beschwerden gehen zuriick. Die R6tung im Mund blaBt ab, jedoch ist die Zunge deutlich verdickt und an der Ober- und Unterfl~che schmierig belegt.

27. VI. P16tzlich Temperaturanstieg auf 40 ~ Auftreten einer scharf abgegrenzten, schmetterlingf6rmigen hellen R6tung und Schwellung um den Mund.

28. VI. Das Erysipel schreitet im Gesicht vorw~irts. Quarzlampen- besh:ahlung.

29. VI. Das Erysipel ist bis zur Haargrenze fortgeschritten, die SchweUung der Zunge und die R6tung im Munde ist versehwunden, die HAmorrhagie ist nicht mehr zu erkennen. Auftreten eines Herpes labialis.

30. WI. Das Erysipel hat sieh auch fiber die Kopihaut hin aus- gebreitet0 der Nacken ist frei geblieben.

1. VII. Das Erysipel hat sich nicht weiter ausgebreitet, blaBt zen- tral ab.

3. VII. Weiteres Zuriickgehen des Erysipels. 6. VII. Erysipel abgeklungen. Temperatur 36,3 ~ AUgemein-

befinden gut. Das TonsiUenbett hat sich beiderseits vollkommen gereinigt. 9*

132 LAEMMLE. Erysipel und Enukloation.

11. VII, Gutes Allgemeinbefinden. 28. VII. Tonsillenbett beiderseits v611ig vernarbt. Patientin wird

geheilt entlassen. Es handelt sich demnach um ein im AnschluB an Tonsillektomie auf-

getretenes Erysipel der Schleimhaut, das sich fiber das Gesicht und den Kopf ausbreitete. Man muB annehmen, dab die wahrscheinlich in den Pfr6pfen vorhandenen Streptokokken wiihrend der Aussch~ilung in das TonsiUenbett hineingelangten und yon dort das Erysipel verursachten.

Ein in letzter Zeit beobachteter zweiter Fall von Schleimhauterysipel nach Enukleation zeigt uns, dab diese Komplikation doch nicht so selten aufzutreten scheint, wie man allgemein annimmt.

Es handelt sich dabei urn eine 26jahrige Patientin, die wegen Hyper- trophie der TonsiUen nach einer abgelaufenen P lau t -Vincentschen Angina eingewiesen wurde,

Befund: Guter Allgemeinzustand. GroBe, stark zerkliiftete Tonsillen. Zur Zeit keine Pfr6pfe und kein freier Eiter.

15. IV. Enukleation in Lokalaniisthesie (1% Novocain) in typischer Weise ohne Zwischenfi~lle.

Verlauf: 17. IV. Beliige im Wundbett beiderseits. Geringes 0dem des Ztipf-

chens. Temperatur: 37,6. 18. IV. Zunahme des ZApfchen6dems mit starker R6tung desselben,

starke Schluckbeschwerden, Temperatur: 38,8. Leucotropin 5 ccm intra- ven6s.

20. IV. Die Bel~ge des Tonsillenbettes haben sich zum Teil ab- gestoBen. Intensive R6tung und Schwellung des Z~pfchensunddesweichen Gaumens, zweifingerbreit ,con den Gaumenb6gen entfernt, scharf abge- setzt.

21. IV. Temperatur: 39,4. Keine wesentlichen Schluckbesehwerden. Erysipel etwa ein Querfinger welter vorgertickt, Sonsfige Organe o. B. Leucotropin b ccm intraven6s.

23. IV. R6tung und Schwellung am weichen Gaumen fast vSllig zurtickgegangen. Temperatur normal.

26. IV. TonsiUenbett beiderseits reizlos. Subjektiv keine Be- schwerden mehr. Ziipfchen und weicher Gaumen yon normaler Farbe, zeigen keine Schwellnng mehr.

Es handelt sich im zweiten Fall also ebenfalls um ein Schleimhauterysipel im AnschlnB an eine Ennkleation, das iedoch im Gegensatz zum vorher- gehenden Fall stationiir blieb.

Es ist dnrchaus denkbar, dab ~hnliche F~tlle wie der zweite yon uns be- sehfiebene, wenn sie wie dieser anf die Schleimhaut beschr~nkt bleiben und nicht anf die Gesichtshaut fiberwandern, nieht diagnostiziert werden, zumal wenn sie ohne den charakteristischen Schfittelfrost veflaufen.