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Es gibt alles, man muss es sich nur geben lassen.“ - Eine multiperspektivische Sicht auf die Situation in häuslichen Pflegearrangements A.-H. Seidlein, I. Buchholz, M. Buchholz, S. Salloch 8. DGP Hochschultag: “Pflegeforschung im Dialog” Bielefeld, 10.11. 2017

Es gibt alles, man muss es sich nur geben lassen.“ …dg-pflegewissenschaft.de/wp-content/uploads/2017/11/... · 2017-11-24 · andere bedürfen.“ § 14 Abs. 1 SGB XI . 3 Hintergrund

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„Es gibt alles, man muss es sich nur

geben lassen.“ - Eine

multiperspektivische Sicht auf die

Situation in häuslichen

Pflegearrangements

A.-H. Seidlein, I. Buchholz, M. Buchholz, S. Salloch

8. DGP Hochschultag: “Pflegeforschung im Dialog”

Bielefeld, 10.11. 2017

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Hintergrund I

pflegebedürftige Menschen in Deutschland

Statistisches Bundesamt (2017), Pflegestatistik 2015, Deutschlandergebnisse

„Personen, die gesundheitlich bedingte

Beeinträchtigungen der

Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten

aufweisen und deshalb der Hilfe durch

andere bedürfen.“ § 14 Abs. 1 SGB XI

3

Hintergrund II

pflegebedürftige Menschen in Mecklenburg-Vorpommern

• 79 145 Pflegebedürftige

> 3/4 davon zuhause betreut

- 38 584 nur Pflegegeld

- 21 596 Unterstützung durch

ambulante Pflegedienste

https://service.destatis.de/laenderpyramiden/

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Frage- und Zielstellung(en)

Welche Vorstellungen von Gesundheit, Krankheit und Pflegebedürftigkeit

haben pflegebedürftige Personen, pflegende Angehörige sowie

professionell Pflegende?

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• Pubmed, google scholar, philpapers, BELIT, IDEM, Ethicsweb.eu Psycinfo, Handsuche in Journals

Concept #1 Concept #2 Concept #3 Concept #4 Concept #5

AND AND AND AND Text words Qualitatives

Design

Vorstellung Gesundheit

Krankheit Pflegebedürftigkeit Zielgruppe ambulant

Lived

experience

concept

conception

view

meaning

position

Perception,

perceived

Attitude

Perspective

Idea

Representation

Belief

Image

Prospect

Picture

Opinion

Definition

experiences

Health

wellbeeing

Illness

Sickness

disease

need for long-term

care

nursing care need

dependency on

care

care

dependency/care-

dependent

PP PB PA long-term care

Home care

ambulatory care

home care

nursing service

Outpatient

health services

Outpatient Care

outpatient

Qualitative

(iquiry)

healthcare

professionals

healthcare

provider

health

personnel

caregiver

staff

caretaker

nurse

assistant

attendant

Lay

perspective

lay

subjective Chronically

ill

Elderly

Older

people with

long term

conditions

Care

recipient

Informal

caregiver

family

caregivers

spouse

caregivers

Lay

perspective

(Qualitative)

interview

individual

personal

MESH (Pubmed) Perception

Nursing theory

Attitude to

health

health

disease

Multiple Chronic

Conditions

Health

Personnel

Nurses

Nursing staff (other than in

hospital)

Caregivers

Nursing care

Home

nursing (by non-

professionals

only (family,

friends, etc.))

Ambulatory

care

Long-term care

Literaturrecherche

6

Literaturrecherche

Sozio-empirische Forschung Medizintheorie und

Medizinethik

- subjektive Vorstellungen versch.

Gruppen

z. B. Laien, Experten, Patienten, Kinder

- Konzeptanalysen

z. B. „Quality of Life & Age(ing)“ „health

trajectory“

„lay beliefs“, “recovery”, „frailty“.

- empirisch basierte Theorieentwicklung

z. B.„lived experience“ von Krankheit

- Gesundheits- und Krankheits-Begriff

z. B. Boorse, Nordenfelt

- Untersuchungen zu Haltungen und

Einstellungen

- normative Implikationen von

Gesundheits-und Krankheitsbegriffen

rresearch eseresr

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Frage- und Zielstellung(en)

1) Welche Vorstellungen von Gesundheit und Krankheit haben pflegebedürftige

Personen, pflegende Angehörige sowie professionell Pflegende?

2) In welchem Zusammenhang stehen diese subjektiven Vorstellungen zu

Konzepten von Gesundheit/Krankheit und Pflegebedürftigkeit aus der medizin- und

wissenschaftstheoretischen sowie der pflegetheoretischen Literatur?

3) Welche Konsequenzen müssen aus den Erkenntnissen der empirischen

Forschung und der konzeptuell-normativen Analyse für die künftige Strukturierung

der ambulanten pflegerischen Versorgung gezogen werden?

8

Design & Methoden

• Qualitativ

• Leitfadeninterviews

- Satzergänzungsverfahren („Gesundheit ist für mich…“)

- Gesundheits- u. Krankheitskurve

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Erzählgenerierendes Interviewinstrument:

Gesundheits- und Krankheitskurven

10

Design & Methoden

• Qualitativ

• Leitfadeninterviews

- Satzergänzungsverfahren („Gesundheit ist für mich…“)

- Gesundheits- u. Krankheitskurve

- Matching („Trios“)

• Forschungsethische Überlegungen (positives Ethikvotum BB123/16)

Datenerhebung

- Durchführung I -

• Feldzugang, Rekrutierung

• Interview-Durchführung (AHS, NJ, KK) zwischen 09-11/2016

• digitale Interviewaufzeichnung

11

12

• Qualitative Inhaltsanalyse (Mayring, 2000)

• Je zwei Teammitglieder getrennt kodiert, dann konsentiert

PP (IB, AHS)

PA (MB,AHS)

PB (MB, AHS)

• Gruppentreffen (SS, AHS, MB, IB) zur Diskussion „offener“ Textstellen

Anhören & Memos

(auswärtige) Transkription &

Kontrolle

nochmaliges Lesen &

Titelvergabe

Schritte der QI (MAXQDA)

Datenanalyse

- Methode & Durchführung -

Stichprobe

Pflegende

Angehörige (n=8)

Pflegebedürftige

(n=10)

Professionell

Pflegende (n=10)

Geschlecht

männlich

weiblich

1

7

4

6

3

7

Schulbildung

Hauptschule

Realschule/POS

Abitur/Fachabitur

4

2

2

6

2/1

1

0

7/1

1/1

Alter

Mittel ± SD (R) in Jahren

67.1 ± 15.5 (37-87)

80.7 ± 9.6 (62-95)

35.8 ± 7.5 (28-49)

Familienstand

ledig

verheiratet

geschieden

verwitwet

0

8

0

0

1

4

0

5

3

6

1

0

Dauer der Pflegeübernahme

Mittel ± SD (R)

5.3 ± 4.4 (1.5-13)

-

-

Berufserfahrung prof. Pflege

Mean ± SD (range) in Jahren

-

-

12.8 ± 6.7 (3-22)

Pflege von / Gepflegt durch

Ehefrau/Ehemann

Sohn/Tochter

Schwiegertochter

Pflegedienst

1/7

3/1

3/1

1

10

-

Pflegestufe

1

2

3

-

4

5

1

-

14

Ergebnisse I

15

Ergebnisse I

Gesundheit ist…

„wenn ich alles

alleine machen

kann bei mir“ (PP3)

„Ganz normal

leben so wie

andere.“ (PA3)

Ein Potenzial

„Wenn man

alles machen

kann“ (PB9)

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Ergebnisse I

Gesundheit ist…

„Wenn man sich nicht krank

fühlt, ist man gesund“ (PB2)

„Allgemeinzustand, also wie gesagt, keine Infekte im

Anmarsch und nichts, dass man sich halt wohlfühlt.

Arbeit, Soziales, alles im Gleichklang.“ (PP7)

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Ergebnisse II

Bewertung der Angemessenheit der Versorgung

- Qualität der Versorgung wird zu wenig bis gar nicht berücksichtigt

- Ungleichgewicht von Aufwand und Nutzen

- persönliche Expertise bleibt unberücksichtigt

“Und die schärfsten Kämpfe, das, was am meisten belastet, ist nicht die Pflege

bei dem Angehörigen, sondern dieser ewige Kampf mit den Krankenkassen. Und

man wünscht den Leuten ja nichts Schlechtes, aber die, die das entscheiden,

müssten nur einmal für einen Tag so im Rollstuhl sitzen oder so liegen müssen

und dann an solche Sachbearbeiter geraten. Also geht gar nicht.“ (PA2)

„Es gibt alles, man muss es sich

nur geben lassen.“ (PP2)

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Ergebnisse III

Überversorgung

existiert von Seiten professionelller Unterstützung nicht (n=10),

jedoch durch pflegende Angehörige

Überversorgung existiert in keiner Hinsicht

wird zur Zeit nicht

wahrgenommen

ist prinzipiell

unmöglich “Nee, zu viel würde ich sagen,

gibt es nie.” (PP9)

Überversorgung wird

wahrgenommen „Wenn wir Patienten so, (…)

überschütten mit unsern

Leitungen oder übervorteilen (…),

also wenn wir ihm alles

abnehmen (…) was er bis gestern

alleine gemacht hat“ (PP7)

Ergebnisse IV

Pflegeleistungen sind ungenügend im Hinblick auf…

„[dass man] sich mal fünf

Minuten hinsetzt und sich

mal unterhält (…) Oder

mal einen schönen

Spaziergang, dann liegt

das wieder, ich kann es

nicht bezahlen und so. Ja,

solche Sachen kommen

zu kurz“ (PP5)wieder.

„Weil man den Kontakt zur

Außenwelt nicht mehr so

extrem wahrnehmen kann

und nur sich hierdrauf

konzentrieren kann. Und

das Andere bleibt dann

ein bisschen im

Hintergrund und da fehlt

es einem auch.“ (PA9)

Teilhabe

„ich sitze hier in meiner

Bude, ich komme nicht

raus (…) ich kann an

keiner

gesellschaftlichen

Maßnahme oder

Veranstaltung, so

möchte ich das sagen,

teilnehmen“ (PB14)

Ergebnisse V

Pflegeleistungen sind ungenügend im Hinblick auf…

• Unterstützungs-/Entlastungsangebote für pflegende

Angehörige

• Pflegematerial und -hilfsmittel

• Therapien die dem Erhalt und/oder Wiedererlangen von Fähigkeiten

dienen

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Zusammenführung von Empirie mit normativen und

gesetzlichen Kriterien

- United Nations (2006) Convention on the Rights of Persons with

Disabilities CRPD

Art.3: „Full and effective participation and inclusion in society”

- BMFSFJ (2007) Pflege-Charta

„Jeder hilfe- und pflegebedürftige Mensch hat das Recht auf

Art. 6: Wertschätzung, Austausch mit anderen Menschen und

Teilhabe am gesellschaftlichen Leben

Art.4: eine an seinem persönlichen Bedarf ausgerichtete,

gesundheitsfördernde und qualifizierte Pflege, Betreuung und

Behandlung.“

- SGB XI

Art.1 § 2 (1): „Die Hilfen sind darauf auszurichten, die körperlichen,

geistigen und seelischen Kräfte der Pflegebedürftigen, auch in

Form der aktivierenden Pflege, wiederzugewinnen oder zu

erhalten.“

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Diskussion

• Adressiert die Gesetzesreform (PSG II) alle Mängel die von den

involvierten Gruppen beschrieben werden? (PP, PA, PB)?

• Ambivalenz von häuslichen Pflegearrangements im Hinblick auf soziale

Teilhabe

• Aktuelle Problemlösungsstrategien bzgl. Sozialer Teilhabe fördern soziale

Ungleichheit in der pflegerischen Langzeitversorgung zuhause

Universitätsmedizin Greifswald, Institut für Ethik und Geschichte der Medizin,

Leitung: JProf. Dr. med. Dr. phil. Sabine Salloch

Ellernholzstr. 1-2

D-17487 Greifswald

KontaKt:

Anna-H. Seidlein, M.Sc.

[email protected]