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ES IST WICHTIG IMMER OFFEN UND AUF DER SUCHE ZU BLEIBEN Interview mit Sängerin und Filmkomponistin Fatima Dunn ** Fatima Dunn ist eine viel beschäftigte Musikerin. Im Moment stellt sie ihr Masterprojekt „Landfall“ fertig, ein multimediales Werk in Zusammenarbeit mit der Video-Künstlerin Mirjam von Ow. Demnächst wird sie die erste diplomierte Komponistin für Film- und Theaterproduktionen der ZHDK sein. Als Sängerin tourt sie ausserdem gerade mit der neuen Platte ihrer Band Coldeve, die Anfang November erschienen ist. Ich habe mit ihr gesprochen über ihr musikalisches Driften zwischen Pop, Filmbusiness und Poesie. V.T. Dein Leben ist die Musik. Was hörst du gerade auf dem I Pod, wenn du unterwegs bist? F.D. Ich höre eigentlich nie Musik, wenn ich unterwegs bin, Ich sitze dann einfach so im Zug und es fährt, dieser Zustand finde ich schön. Zu Hause höre ich auch sehr selten Musik. Mich umgibt die Musik den ganzen Tag, dann bin ich jeweils froh, wenn mal keine ist.

Es ist wichtig immer offen und auf der Suche zu bleiben

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Interview von Valerie Thurner (Journalistin, Filmkuratorin) mit Fatima Dunn auf westnetz.ch

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ES IST WICHTIG IMMER OFFEN UND AUF DER SUCHE ZU BLEIBEN Interview mit Sängerin und Filmkomponistin Fatima Dunn **

Fatima Dunn ist eine viel beschäftigte Musikerin. Im Moment stellt sie ihr Masterprojekt „Landfall“ fertig, ein multimediales Werk in Zusammenarbeit mit der Video-Künstlerin Mirjam von Ow. Demnächst wird sie die erste diplomierte Komponistin für Film- und Theaterproduktionen der ZHDK sein. Als Sängerin tourt sie ausserdem gerade mit der neuen Platte ihrer Band Coldeve, die Anfang November erschienen ist. Ich habe mit ihr gesprochen über ihr musikalisches Driften zwischen Pop, Filmbusiness und Poesie.

V.T. Dein Leben ist die Musik. Was hörst du gerade auf dem I Pod, wenn du unterwegs bist?

F.D. Ich höre eigentlich nie Musik, wenn ich unterwegs bin, Ich sitze dann einfach so im Zug und es fährt, dieser Zustand finde ich schön. Zu Hause höre ich auch sehr selten Musik. Mich umgibt die Musik den ganzen Tag, dann bin ich jeweils froh, wenn mal keine ist.

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V.T. Du bist ja gerade mit deinem Master Projekt „Landfall“ beschäftigt, einer audiovisuellen Reise, wie ihr es nennt. Ein Liederzyklus, der von Abschnitten mit Zugfahrten alterniert. Was hat es damit auf sich?

F.D. Ich habe für meinen Master bewusst eine Schnittstelle von Filmmusik, Performance und Videokunst gesucht. Ich arbeite mit der Künstlerin Mirjam von Ow zusammen, die für die Videoprojektionen verantwortlich ist. Es soll auch eine Live Performance entstehen, wo Mirjam die Videoprojektionen einspielt, und ich mit Cello, loop station und Gesang performe. Man muss sich das als Konzert mit Bildern vorstellen, wo wir versuchen, das Publikum auf eine Reise mitzunehmen. Das Publikum soll wie auf einer Zugfahrt in diesen Zustand der Tagträumerei abdriften, gleichzeitig wach und dennoch träumend. Ich mag diesen Zustand des Driftens. Die Landschaft düst vorbei, und gleichzeitig denkst du an etwas völlig anderes, zwischendurch nickst du ein und bist wenig später wieder hellwach. So entstehen dann auch assoziative Träumereien. Wir wollen auch stark den Raum mit einbeziehen, also die frontale Situation von Bühne und Publikum brechen, es soll etwas im Zuschauerraum passieren.

V.T Filme assoziiert man ja auch mit Träumen. Bleiben wir noch beim Film. Wie bist du eigentlich zur Filmmusik gekommen?

F.D. Nico Contesse (Gitarrist meiner Band Coldeve) und ich wurden damals angefragt, für den Dokumentarfilm „Barfuss nach Timbuktu“ den Soundtrack zu komponieren. ( ein Film von Martina Egi, CH 2009, Anm. d. A.). Und da kam ich eigentlich erst auf den Geschmack, als Komponistin für Film und Theater zu arbeiten. Davor hatte ich mich eigentlich überhaupt nicht um Filmmusik gekümmert.

V.T. Inzwischen hast du bereits zwei Kinofilme vertont. Und das waren ganz unterschiedliche Projekte. Arbeitest du mit einer bewährten Methode? Oder variiert das von Film zu Film?

F. D. Das ist sehr unterschiedlich. Es gibt Projekte, die dir sehr viele künstlerische Freiheiten geben, und andere, die mehr handwerklicher Natur sind. Das variiert von Film zu Film und was sich der Regisseur vorstellt. Bei meinem ersten Kinofilm hatten wir sehr viele Freiheiten. Da überlegten wir uns ein ganz eigenständiges musikalisches Konzept, das in sich stimmig ist, und den Film optimal ergänzte. Wenn man so frei arbeitet muss man sich fragen, wo spielt der Film, in welcher Zeit, was genau will ich mit der Musik aussagen und was soll sie

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beim Zuschauer auslösen? Welche Instrumentierung wählt man. Bei HARD STOP hatte ich hingegen klare Vorgaben. Regisseur Sascha Weibel arbeitete mit sogenannten Temporary Tracks.

V.T. Das bedeutet..?

F.D. Der Regisseur gibt den Soundtrack vor. Er setzte an ganz bestimmten Stellen des Films bereits bestehende Songs von bekannten Interpreten. Die Aufgabe von mir als Komponistin war, diese vorgegebenen Songs zu imitieren ohne Plagiate zu erzeugen. Heutzutage wird sehr oft so gearbeitet. Das ist dann sehr stark handwerkliche Arbeit. Das tolle bei HARD STOP war aber, dass ich die Songs selbst einsingen konnte, was auch nicht selbstverständlich ist.

V.T. Wie möchtest du denn am liebsten arbeiten im Bereich der Filmmusik?

F.D. Im Moment nehme ich natürlich das meiste, was ich bekomme, ich steh ja noch am Anfang und kann in der Auswahl meiner Projekte noch nicht allzu wählerisch sein. Das Ziel ist aber schon, möglichst konstante, langjährige Zusammenarbeiten mit Regisseuren zu erreichen. Das höchste der Gefühle ist, wenn du einen Film bekommst, der in sich sehr stimmig ist, und du die Möglichkeit hast, einen in sich stimmigen Soundtrack zu komponieren, der den Film optimal ergänzt.

V.T. Kannst du etwas zu deinem bevorzugten Stil sagen?

F.D. Bisher habe ich im Bereich Songwriting viel gemacht. In den Soundtracks „Barfuss nach Timbuktu“ und „Little Fighters“ haben zudem die Gitarre und das Cello eine grosse Rolle gespielt.

V.T. Für welche Komponisten kannst du dich begeistern?

F.D. Yann Thiersen (Amelie de Montmartre), Gustavo Santaoalla (Babel, 21 grams, Brokeback Mountain) oder Eddie Vedder (Into the Wild). Ich begeistere mich ausserdem die Kunst von Arvo Päärt oder Giya Kancheli, letztere bewegt sich zwar manchmal an der Grenze zum Kitsch. Aber eigentlich mag ich Kitsch ja noch. (lacht). Mir persönlich gefällt ebenfalls die Filmmusik von den Chemical Brothers oder Trent Reznor sehr. Die finde ich stilistisch anstrebenswert.

V.T. Warum Ist Filmmusik deiner Meinung nach immer noch eine Männer Domäne?

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F.D. Ich kann da nur Vermutungen anstellen. Es ist sicher einmal die Tatsache, dass es sehr technisch ist. Man kommt nicht um den Computer rum, und das ist vielleicht für viele Frauen eine Hürde, weil sich Männer nach wie vor mehr für Computer interessieren als Frauen. Die meisten Frauen ziehen es immer noch vor, Frontfrau einer Band zu sein. Und der Beruf der Filmmusik Komponistin erfordert ein sehr selbstbewusstes Auftreten. Es gibt sogar in Hollywood nur sehr wenige Frauen in diesem Beruf. Klar es gibt sie, aber das sind Ausnahmen, wie Rachel Portman, die sogar einen Oscar besitzt. (1997 bekam sie als erste Frau den Oscar für die beste Filmmusik in dem Film Emma. Weitere Nominierungen für Gottes Werk und Teufels Beitrag( 2000) und Chocolat (2001)Anm. d. A.)

V.T. Kannst du gut von Deiner Musik leben?

F.D. (lacht) Gut? Naja, ich gebe eben nicht viel Geld aus, sagen wir’s so. Aber dann lebe ich eigentlich gut. Nur von der Kunst alleine kann ich aber noch nicht leben. Ich brauche schon noch den pädagogischen Bereich. Ich leite zwei Chöre und unterrichte Gesang. Auf dem Gebiet von Film- und Theaterkomposition kommen aber immer mehr Aufträge, das ist auch das Ziel. Ich unterrichte eigentlich sehr gern, auch wegen des sozialen Aspekts. Bei der Komposition für Film bist du schon sehr isoliert und meistens am Computer.

V.T. Ein hartes Business?

F. D. Ja schon. Es ist ein Stress Business. Die Musik kommt meist erst ganz am Schluss einer Produktion. Und dann muss immer alles sehr schnell gehen, du hast nicht noch einen zusätzlichen Monat Zeit, um eine Idee auszufeilen, sondern es muss am folgenden Tag fertig gestellt sein.

V.T. Du hast da ja glücklicherweise noch deine Band. Im November war die Plattentaufe eurer neuen Scheibe „Blinded by the HU-UH“. Der Albumtitel ist ja ziemlich kryptisch. Geht es da auch wieder um diese Zwischenzustände wie bei „Landfall“, um dieses Driften?

F.D. Ja, es geht bei diesem „HU-UH“ um Entgrenzung, im Sinne von die sich selbst auferlegten Grenzen sprengen. Es beschreibt den Übergang in die Schwerelosigkeit und fordert dazu auf, sich selbst auch musikalisch keine Grenzen zu setzen, mit neuen Musikstilen, neuen Gitarrenriffs oder Instrumenten zu experimentieren. Der Titel des Albums kam ganz am Schluss dazu und hat im Nachhinein dem Album das Thema gegeben. „HU-UH“ kommt aus dem Song

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„Signals“, der im All spielt.

V.T. Ist „Blinded by the HU-UH“ folglich kein Konzept-Album?

F.T. Nein, bei einem Konzept-Album müsstest du ja mit einem Konzept komponieren, und das haben wir nicht getan. Wir haben frei drauflos gearbeitet.

V.T. Du bist Sängerin und textest die Songs für Coldeve. Kommst Du jeweils mit fixfertigen Texten in die Probe, oder wie läuft das bei euch?

F.D. Nein, eigentlich nie. Es läuft genau umgekehrt. Zuerst entwickeln wir die Musik

V.T. Ich würde gerne noch mehr über deine Methode erfahren, wie du textest. Du erzählst kleine Geschichten wie in einem Film. Wie entstehen diese?

F.D. Ich habe so eine Improvisationssprache entwickelt, die aus Englisch und einer Fantasiesprache die wie englisch klingt, besteht. Während Jams entstehen dann so assoziative Felder. Meist hat es in diesen Assoziationsfeldern einen Protagonisten. Und um den herum baue ich dann eine kleine Geschichte. Und weil ich mich von Filmen inspirieren lassen, sind dann auch meine Geschichten wie ein Comic.

V.T. Denkst Du beim Improvisieren auch an reale Personen aus deinem Umfeld?

F.D. Nein, nie. Es sind wirklich fiktive Figuren. Und die erleben dann kleine Geschichten. Ich weiss nicht, wie gut diese nachvollziehbar sind, für Aussenstehende, die nicht so assoziativ denken wie ich.

V.T. Ist dir englisch beim Songs texten näher als deutsch?

F.D. Ja, das ist so.

V.T. Viele Schweizer Songwriter haben da ja ein wenig Mühe, sobald sie englisch schreiben, bewegen sie sich auf Gemeinplätzen. Das ist bei Dir aber nicht der Fall. Ich finde das Album sehr stimmig, mit einem ganz eigenen Sound, das die Schwerelosigkeit zelebriert. Ist das ein Weg, sich als Künstlerin nicht von der aktuellen Krise anstecken zu lassen, die gerade weite Bereiche der westlichen Kultur umschliesst?

F.D. Ich bin persönlich nicht sehr davon betroffen. Auch nicht mein Umfeld. Ich habe sogar das Gefühl, dass die Musik davon verschont geblieben ist. Was ich

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aber spüre, ist diese Übersättigung im Musikmarkt, ein Überangebot...

V.T. Gibt es pauschale Gültigkeiten für Deine Generation Musiker in der Schweiz? Wie überlebst Du in dieser, ich sag es mal etwas pointiert, Wertekrise als Künstlerin?

F.D. Man muss sehr bei sich selbst bleiben. Und darf sich nicht zu sehr vom Publikum beeinflussen lassen. Mann muss das ausdrücken, was einen beschäftigt und berührt. Und wenn man das einfach konstant verfolgt, ist schon mal gut, dann hat man schon ein inneres Erfolgserlebnis. Wie es dann kommerziell läuft, ist nochmals ein anderes Thema, das ich nicht beantworten kann. Alle reden von der grossen Krise in der Musikindustrie. Sogar grössere Stars spielen in einer 15köpfigen Kombo für 4ooo Franken. Solche, die ich im Kopf hatte als grosse Band. Einerseits hast du die ganz grossen Stars, für deren Konzerte ein Ticket 200 Stutz kostet. Total irre. Und dann hast du einen wachsenden kleinen Markt, in dem die Gagen immer mehr gedumped werden. Wie es in der Klassik ist und im Theater kann ich nicht sagen.

V.T. Stirbt die Pop Mittelklasse aus?

F.D. Ja, so kann man das sagen. Oder man macht dann halt Musik als Hobby, und spielt gratis. Wenn man wirklich Musikerin sein will, muss man sich mehrere Standbeine suchen. Wenn man Glück hat, schafft man es, sich zu etablieren.

V.T. Wie schaust du in die Zukunft. Was ist dein Musikertraum? In zehn Jahren, was hast du da erreicht?

F. D. In zehn Jahren bin ich 39, ähm (lacht) – doch 39. Ich könnte kein Ziel nennen. Für mich ist wichtig, dass ich immer offen bleibe und auf der Suche. Dass ich mich immer weiter entwickle.

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Autorin: Valerie Thurner (Journalistin, Filmkuratorin)