Esaia Reusners „Neue Lauten-Früchte“ und „Hundert Geistliche Melodien Evangelischer Lieder“ in der Österreichischen Nationalbibliothek

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  • 8/11/2019 Esaia Reusners Neue Lauten-Frchte und Hundert Geistliche Melodien Evangelischer Lieder in der sterreichisc

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    Stand der ForschungDie sterreichische Nationalbibliothek beherbergt unter der Signa-

    tur S.A.77.C.1 je ein seltenes Exemplar des Barocklauten-Tabulatur-druckesNeue Lauten-Frchtesowie Hundert Geistliche Melodien EvangelischerLiederdes Komponisten Esaia Reusner (Lwenberg 1636Berlin 1679).Die Besonderheiten dieser Musikdrucke wurde vor kurzem im Detailbeschrieben1, und knnen wie folgt zusammengefasst werden: BeideMusikdrucke sind offenbar schon zur Entstehungszeit zu einem Buchzusammengebunden worden. Das herausragende Merkmal dieses two-

    in-one Buches ist die zum Zeitpunkt der Buchbindung erfolgten Ein-ordnung von 54 originalen Kupferstichen nach Motiven barocker Ge-

    Esaia Reusners Neue Lauten-Frchte und HundertGeistliche Melodien Evangelischer Lieder in dersterreichischen Nationalbibliothek

    Bernhard Fischer

    Abb. 1: Widmung auf dem inneren Buchdeckel:Politissimo Juveni | DNO. EMERANO GULIELMO AG[RICO]LAE | Ex ultima voluntate | Suavissimiolim Fratris | D[..]elis (heu) Sui | In memoriam | [..] cum ipso, dum hic esset, amicitiae | Legabam| ins[c]rips[..] | G [] []imus(NB, Musiksammlung, S.A.77.C.1)

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    Der MusikdruckZum Zeitpunkt der Drucke Neue Lauten-Frchteund Hundert Geistliche

    Melodien Evangelischer Lieder im Jahr 1676 war Esaia Reusner als Chur-frstlich-Brandenburgischer Cammer-Lautenistam Hof von Kurfrsten vonBrandenburg Friedrich Wilhelm (16. Februar 1620 bis 9. Mai 1688) inBerlin ttig. Beide Musikdrucke wurden durch die Rungische Buch-

    druckery in Berlin ausgefhrt und konnten dort auch gekauft werden,was Reusner im Vorwort wie folgt angibt: Dieses Werklein wird sonstenin Berlin in der Rungischen Buchdruckery zu erfragen / und um einen billigen

    Prei zu erkauffen seyn. Ubrigens empfehle mich allen Liebhabern zu geneigter

    Gunstgewogenheit.Wie jedoch dieses illustrierte Doppelbuch nach Wien und indie Musiksammlung der heutigen sterreichischen Nationalbibliothek kam, istbislang ungeklrt.

    Ein frher Besitzer: Emeran Wilhelm AgricolaIm Zuge der Untersuchung des illustrierten two-in-one Buches

    konnte eine bisher unter dem neuzeitlichen Schutzumschlag verbor-gene leider nur noch in Fragmenten erhaltene Widmung entdeckt

    werden (Abb. 1).Der Text kann wie folgt bersetzt werden Dem hoch gebildeten jungen

    Mann Emerano Gulielmo Agricola, nach dem letzten Willen des einst geliebtenBruders, seines, ach!, , in Erinnerung an eine . Freundschaft mit ihm, solangeer [auf Erden] weilte, hat testamentarisch bergeben . Aus dieser Widmungergibt sich, dass der Besitzer dieser Tabulatur ein gewisser Emeram Wil-helm Agricola war.

    Unter dem Familiennamen Agricola wird inNeue Deutsche Biographie2

    auf eine verzweigte und wohlhabende Familie aus Regensburg verwie-sen. Und tatschlich finden sich in den historischen Archiven von Re-gensburg vielfltige Hinweise auf einzelne Familienmitglieder. Die ausdem Jahr 1717 berlieferte, von Johann Seifert erstellte Seifertsche Stamm-tafel3gibt einen berblick ber die zweihundertjhrige Geschichte derRegensburger Patrizierfamilie Agricola. Diese mit dem Familienwappen

    Abb. 2: Geburtseintrag des Emeram Wilhelm Agricola. Kirchenbuch fr Regensburg.Regensburg M DC LXIL

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    der Familie Agricola geschmckte Stammtafel zeigt, dass Emeram Wil-helm Agricola der lteste von vier Shnen und zwei Tchtern des Vaters

    Andreas Wilhelm Agricola (22.05.1625 bis 9.11.1684) und der Mutter Si-bylla Catharina See (7.8.1644 bis 16.11.1682) war. Zu den Shnen derFamilie Agricola gehrte auch Christoph Ludwig Agricola (5.11.1665 bis8.8.1724), ein noch heute sehr bekannter Landschaftsmaler.

    Der Geburtstag des Emeram Wilhelm Agricola am 13. November1661 konnte durch den Eintrag im evangelisch-lutherischen Kirchen-buch fr Regensburg besttigt werden4(Abb. 2).

    Bei dem prominenten Paten fr Agricola handelt es sich um JohannWolfgang Grnewald (Grienewald, geboren 1623 als Sohn des InnerenRates Tobias Grnewald). Johann Wolfgang Grnewald wurde Syndicusund Stadtsekretr, heiratete 1651 eine Tochter von Leonhard See underlangte 1654 einen Sitz im Inneren Rat von Regensburg. Kurz darauf

    wurde er zum Almosenamtsdirektor und Geheimen Rat berufen. Von1676 bis zu seinem Tode 1684 leitete er das Steueramt als Direktor5.

    Offensichtlich ging Emeram Wilhelm Agricola in seiner HeimatstadtRegensburg in die Schule, wo er 1680 mit Abschluss seines Studiums amGymnasium eine kurze Abhandlung mit dem Titel Dyas historiam mar-tis Assyriaci et Aegyptiaci eruens subjiciet Emeranus Wilhelmus Agricolaauctor ber den Krieg zwischen den Assyrern und gypter publizierte.

    Am 23. Juni 1684 schrieb sich Agricola als Emmeranus Gulielmus Ag-ricola Retisbonensis in der Facultas Juridica der Universitt Leyden alsStudent, 23 Jahre, ein6, mglicherweise als Stipendiat seiner Heimat-stadt.

    Nur zwei Jahre spter findet sich ber Emeram Wilhelm Agricola ein

    Eintrag im Brgerbuch von Regensburg, wonach er am 24. April 1686als Erbbrger seinen Brgereid geleistet hat7. Also trat er als ltesterSohn an die Stelle seines im Jahr 1684 gestorbenen Vaters Andreas Wil-helm Agricola.

    In der Seifertsche Stammtafel von 1717 findet sich folgender EintragEmeram Wilhelm Agricola, geb. den 13. November 1661. Wird als Volontairvor Ofen kranck starb in Wien. Agricola nahm also an dem Feldzug teil,wurde vielleicht sogar verwundet, als Ofen (= Buda, heute Teil vonBudapest) im Jahr 1686 von den Kaiserlichen Truppen und deren Ver-bndeten belagert und letztlich erobert wurde mit dem Ziel, die osma-

    nische Besatzer endgltig aus Ungarn und somit aus dem Habsburger-reich zu vertreiben. Entweder reiste er allein nach Ungarn, oder waswohl wahrscheinlicher ist er begleitete, wie schon sein Vater zuvor,hochrangige Adlige auf deren Reisen und Kriegen. Der Vater, Andreas

    Wilhelm Agricola, stand als Hofmeister im Dienste des Grafen GeorgHeinrich von Hardegg und reiset mit selbigen in fremde Lnder8. Bekanntist auch, dass im Jahr 1686 der Kurfrst von Bayern, Maximilian II. Ema-nuel ber Wien nach Ungarn zum Kampf gegen das Trkische Heer rei-ste. Sein kniglicher Tross bestand aus 797 Personen, 1044 Pferden und100 Wagen. Prominentestes Mitglied seiner Truppe war der Bayrische

    Heerfhrer General Johann Karl Graf von Sereni. Auch der BayrischeHof-Lautenist Rochus Berhandtzky musste den Kurfrsten begleiten.

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    vermutet werden, dass Emeram Wilhelm Agricola den bebilderten Mu-sikdruck auf seine Reise nach Ofen und Wien mitnahm.Krank oder verwundet findet Emmeram Wilhelm Agricola im August

    1686 in Wien Unterkunft und stirbt am 19. August des Jahres 1686. Die-ser Umstand wird zweifelsfrei sowohl durch einen Eintrag im Totenbe-schauprotokoll vom 19. August 16869(Abb. 3) als auch durch den nahe-zu gleich lautenden Eintrag vom 20. August 1686 im Bahrleihbuch derDompfarre St. Stephan zu Wien10(Abb. 4) nachgewiesen.

    Die Eintragung im Bahrleihbuch von St. Stephan kann wie folgt gele-sen werden: Der Emeran[us] Wilhelmb Agricola ein Student in Ihro G[n]d[ieg]

    e[n] Frawe[n] v[on] Seeau witt[iben] Hau in der LandtsCron, ist an durchbruchvnnd augosener gall[,] B[e]sch[au]t [,] alt 21 Jahr in neuem Gottsackher Luth.

    Abb. 3: Totenbeschauprotokoll vom 19. August 1686. Wien(Archiv der Stadt Wien)

    Abb. 4: Eintrag im Bahrleihbuch. Dompfarre St. Stephan zu Wien, 20. August 1686

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    Auf der linken Seite des Eintrages ist vermerkt, dass Emeram Wil-helm Agricola, obwohl Lutherisch-evangelischen Glaubens, ein vor-nehmes Nachtbegrbnis erhielt. Die vergleichbaren hohen Beerdigungs-kosten von insgesamt 19,15 Gulden ergaben sich u.a. aus den Kostenzur Leihe der Totenbahre samt Tuch, den Kosten fr Kirchendienernund Priestern, Kosten fr Trger samt Mnteln sowie ein nicht Bruder-schaftsgelut. Da ber die nheren Umstnde seines Todes in den Re-gensburger Quellen nicht berichtet wird, kann vermutet werden, dass

    sowohl genauere Informationen als auch sein Hab und Gut in Wien zu-rck blieben.Die Eintrge sowohl im Totenbeschauprotokoll als auch im Bahrbeih-

    buch geben bereinstimmend an, dass Emeran Wilhelm Agricola imHaus der Frau von Seeau in der damaligen wie heutigen Landskrongas-se in Wien starb. Die Landskrongasse verluft in unmittelbarer Nhe zuSt. Stephan parallel zum Hohen Markt in Zentrum von Wien. Paul Har-rer berichte in seinem Wien-Buch von 195211, dass das Haus Nummer548 in der Landskrongasse ab 17. Dezember 1681 der Maria Anna Freiin

    von Gallenfels, vormals Grfin von Seeau, geborene Freiin von Schwar-

    zenhorn, gehrte. Als geborene Freiin von Schwarzenhorn war MariaAnna die Erbtochter des Freiherrn Rudolf Schmid von Schwarzenhorn.Dieser schrieb Weltgeschichte, als er 1651 als Botschafter dem SultanMehmed IV. als Geschenk 40 auerordentlich wertvolle Tulpenzwiebelnaus europischen Zchtungen schenkte. Als jedoch die Trken im Jahr1683 Wien wieder einmal erobern wollen, zerstren ihre Truppen dieHerrschaft des ehemaligen Botschafters so vollstndig, dass das Anwe-sen St. Margareten unbrauchbar und verkauft werden musste.

    Moritz Graf Dietrichstein und Anton Schmidt

    Die Recherche zum Lautenbuch in der sterreichischen Nationalbi-bliothek brachte einen alten Katalogzettel zum Vorschein (Abb. 5). Die-

    Abb. 5:AlterKatalogzettelmit Hin-

    weisenzum Reus-nerschen(Tabulatur-

    buches. NB,Musik-sammlung)

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    AN.38.C.3und darunter die noch heute gltige SignaturSA.77.C.1. Au-erdem findet sich auf dem Katalogzettel ein Hinweis auf das Jahr 1849.Es galt also abzuklren, ob und wie diese Eintrge mit dem heutigenBesitz des Musikbuches durch die sterreichische Nationalbibliothekzusammen hngen.

    Ein Eintrag im Jahrbuch der Musikbibliothek Peters12 gibt folgende In-

    formation:Der neue Prfekt gab nun den Auftrag, die allenthalben in der H.B.zerstreuten musikalischen Werke, Bcher und Noten, Handschriften und Drucke,zusammenzufassen, neu zu katalogisieren und in einer bestimmten Zahl der 62verschliebaren Eichenholzksten aufzustellen, die fr diesen Zweck als Abhilfedes drckenden Raummangels 1827 fr den Prunksaal angefertigt wurden. ImRahmen dieser Armaria nova sollte eine geschlossene musikalische Bibliothek ge-schaffen werden.

    Ab dem Jahre 1826 trat Moritz Graf Dietrichstein (19. Februar 1775bis 27. August 1864) als neuer Prfekt der Hofbibliothek (H.B.) seinenDienst an. Im November 1826 war der Augustinersaal, der mit Bchern,

    Mineralien und Bsten des Klosters vollgestopft war, auf Betreiben Diet-richsteins der Hofbibliothek zugedacht worden. Ab 1827 wurden Bcherund Objekte offenbar umgeordnet. In den Jahren 1827 und 1828 wur-den 62 verschliebaren Eichenholzksten fr den Prunksaal beantragt.

    Am 8. Juli 1829 erfolgte die offizielle bernahme des Augustinersaalsdurch die Hofbibliothek. Mit Armaria nova wurden die in den Jahren1828 und 1829 neuen im Prunksaal aufgestellten Eichenholzksten be-zeichnet. Smtliche in den neuen Schrnken verstaute Werke erhieltenzuerst von Dietrichsein die AN-Signaturen. Die so neu geschaffeneMusiksammlung befand sich in 16 dieser Holzksten im Prunksaal.

    Ab dem Jahr 1829 wurde der Hofbeamte und Musikschriftsteller An-ton Schmidt (30. Jnner 1787 bis 3. Juli 1857) durch Dietrichstein alsSkriptor mit der Betreuung und Aufstellung der neu geschaffenen Mu-siksammlung betraut. Dieser Anton Schmidt trieb in der Folgezeit diesystematische Katalogisierung der Musiksammlung voran und gab allenin Folge der Armaria nova im Prunksaal gelagerten Musikalien die bisheute gltigen SA-Signaturen, welche bisweilen auch als Sala Augusti-nagedeutet werden. Somit ist klar, dass sich das Reusnersche Doppel-buch schon zu Zeiten derArmaria novaim Bestand der Hofbibliothek be-funden haben muss, mglicherweise im Eichenholzkasten Nr. 38, und

    in der Folgezeit erhielt das Werk durch Anton Schmidt die endgltigeSignatur.Fr den Zeitraum zwischen 1686 und 1827 konnten keine Hinweise

    zum Verbleib des Musikdruckes ermittelt werden. Fr einen Ankauf desMusikdruckes durch die Hofbibliothek im Rahmen von Auktionen oder

    Versteigerungen anderer Sammlungen konnten sowohl in historischenKatalogen und in den Archiven der sterreichischen Nationalbiblio-thek keine Anhaltspunkte gefunden werden.

    Jedoch muss sich das Buch bereits zum Zeitpunkt der Neuordnungder Musiksammlung im Besitz der Hofbibliothek befunden haben. Die

    rumliche Nhe des Sterbeorts des Emeran Wilhelm Agricola in derLandskrongasse in Wien zum Augustinersaal der Hofburg lsst es plau-

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