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arbeitsmarkt BILDUNG | KULTUR | SOZIALWESEN_02|2010 IV arbeitsmarkt S eit Beginn der Wirtschaftskrise im Jahr 2008 ist die Arbeitslosenquo- te in der Europäischen Union (EU) drastisch gestiegen. Die Zahlen lesen sich mit Unbehagen: 9,2 Prozent Arbeitslosig- keit im Herbst 2009, was einen Anstieg um 2,5 Prozentpunkte im Vergleich zum Frühjahr 2008 bedeutet. Die absoluten Werte klingen noch erschreckender, denn die Gesamtzahl der Erwerbslosen hat sich um 6,1 Millionen auf insgesamt 22,1 Millionen Menschen erhöht. Damit wurde der größte Teil des seit 2000 er- reichten Beschäftigungswachstums wie- der zunichte gemacht und der höchste Stand seit Einführung der EU-Statistik im Januar 2000 erreicht. Doch obwohl der Arbeitsmarkt durch die Krise stark beeinträchtigt wurde, hätte das Ergebnis bei einer derart einschnei- denden Rezession auch viel schlimmer ausfallen können. Der europäische Ar- beitsmarkt zeigt sich widerstandsfähiger als geglaubt. Allerdings haben sich die endgültigen Auswirkungen der Krise noch lange nicht entfaltet und werden dies wohl auch erst 2010 tun. An dieser Stelle drängen sich einigen Fragen auf: Welche Länder, welche Beschäftigten und welche Branchen sind am stärksten betroffen? Welche Maßnahmen gegen die Krise haben gegriffen, und was sind die Spielräume der Zukunft? Die Verlierer der Krise Bei den Mitgliedern der Europäischen Union hat die Krise bisher unterschiedli- che Auswirkungen auf die Beschäfti- gungszahlen gehabt. Während sich die Arbeitslosenquote in manchen Länder verdoppelte, in den Ländern des Balti- kums sogar fast verdreifachte, kamen beispielsweise Österreich und Deutsch- land verhältnismäßig glimpflich davon. Lässt man den Ländervergleich erst ein- mal beiseite und schaut auf die Gesamt- heit der europäischen Erwerbstätigen, ergibt sich folgendes Bild: Stark betroffen vom Beschäftigungsrückgang sind Män- ner. Der Grund dafür ist, dass die am schlimmsten von der Krise befallenen Sektoren von männlichen Arbeitskräften dominiert sind. Dazu gehören zum Bei- spiel die Baubranche sowie die Metall- und Elektroindustrie. Noch härter trifft es diese Männer dann, wenn sie der Alters- gruppe der 15- bis 24-Jährigen angehö- ren, denn junge Menschen sind überpro- portional geschädigt. Innerhalb eines Jahres ist die Arbeitslosenquote EU-weit bei den 15- bis 24-Jährigen um sechs Prozent gestiegen, während sie bei den über Fünfzigjährigen nur um etwas mehr als ein Prozent stieg. Ursache für diesen Verlauf ist sicherlich, dass Firmen ihre berufserfahrenen Fachkräfte möglichst halten wollten und dafür schneller auf junge Arbeitnehmer verzichteten. Die Verknüpfung von Alter und Qualifizierung erklärt dann auch, warum die Geringqua- lifizierten eine weitere Last der Beschäfti- gungsrückgänge tragen müssen. Aller- dings spiegeln sich hier auch branchen- bedingte Probleme wider. Bereiche wie die Baubranche oder geringqualifizierte Tätigkeiten haben in Krisenzeiten immer schwer zu kämpfen. Davon direkt betrof- fen sind dann auch Teile der Migranten- bevölkerung, die in diesen Sektoren überproportional tätig sind. Zuletzt sind Europa wurde von der Weltwirtschaftskrise hart getroffen, und dennoch zeigt sich der Arbeitsmarkt widerstandsfähi- ger als erwartet. Wie betroffen sind die Länder und welche Maßnahmen sieht die Europäische Union vor, um aus der Krise herauszukommen? | Daniel Hilbring Europa und die Krise KONJUNKTUR © Dr. Klaus Uwe Gerhardt/Pixelio

Europa und die Krise - wila-arbeitsmarkt.de · hat sich um 6,1 Millionen auf insgesamt 22,1 Millionen Menschen erhöht. Damit wurde der größte Teil des seit 2000 er-reichten Beschäftigungswachstums

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arbeitsmarkt BILDUNG | KULTUR | SOZIALWESEN_02|2010IV Varbeitsmarkt BILDUNG | KULTUR | SOZIALWESEN_02|2010

arbeitsmarkt

Seit Beginn der Wirtschaftskrise im Jahr 2008 ist die Arbeitslosenquo-te in der Europäischen Union (EU)

drastisch gestiegen. Die Zahlen lesen sich mit Unbehagen: 9,2 Prozent Arbeitslosig-keit im Herbst 2009, was einen Anstieg um 2,5 Prozentpunkte im Vergleich zum Frühjahr 2008 bedeutet. Die absoluten Werte klingen noch erschreckender, denn die Gesamtzahl der Erwerbslosen hat sich um 6,1 Millionen auf insgesamt 22,1 Millionen Menschen erhöht. Damit wurde der größte Teil des seit 2000 er-reichten Beschäftigungswachstums wie-der zunichte gemacht und der höchste

Stand seit Einführung der EU-Statistik im Januar 2000 erreicht.

Doch obwohl der Arbeitsmarkt durch die Krise stark beeinträchtigt wurde, hätte das Ergebnis bei einer derart einschnei-denden Rezession auch viel schlimmer ausfallen können. Der europäische Ar-beitsmarkt zeigt sich widerstandsfähiger als geglaubt. Allerdings haben sich die endgültigen Auswirkungen der Krise noch lange nicht entfaltet und werden dies wohl auch erst 2010 tun. An dieser Stelle drängen sich einigen Fragen auf: Welche Länder, welche Beschäftigten und welche Branchen sind am stärksten

betroffen? Welche Maßnahmen gegen die Krise haben gegriffen, und was sind die Spielräume der Zukunft?

Die Verlierer der Krise

Bei den Mitgliedern der Europäischen Union hat die Krise bisher unterschiedli-che Auswirkungen auf die Beschäfti-gungszahlen gehabt. Während sich die Arbeitslosenquote in manchen Länder verdoppelte, in den Ländern des Balti-kums sogar fast verdreifachte, kamen beispielsweise Österreich und Deutsch-land verhältnismäßig glimpflich davon. Lässt man den Ländervergleich erst ein-mal beiseite und schaut auf die Gesamt-heit der europäischen Erwerbstätigen, ergibt sich folgendes Bild: Stark betroffen vom Beschäftigungsrückgang sind Män-ner. Der Grund dafür ist, dass die am schlimmsten von der Krise befallenen Sektoren von männlichen Arbeitskräften dominiert sind. Dazu gehören zum Bei-spiel die Baubranche sowie die Metall- und Elektroindustrie. Noch härter trifft es diese Männer dann, wenn sie der Alters-gruppe der 15- bis 24-Jährigen angehö-ren, denn junge Menschen sind überpro-portional geschädigt. Innerhalb eines Jahres ist die Arbeitslosenquote EU-weit bei den 15- bis 24-Jährigen um sechs Prozent gestiegen, während sie bei den über Fünfzigjährigen nur um etwas mehr als ein Prozent stieg. Ursache für diesen Verlauf ist sicherlich, dass Firmen ihre berufserfahrenen Fachkräfte möglichst halten wollten und dafür schneller auf junge Arbeitnehmer verzichteten. Die Verknüpfung von Alter und Qualifizierung erklärt dann auch, warum die Geringqua-lifizierten eine weitere Last der Beschäfti-gungsrückgänge tragen müssen. Aller-dings spiegeln sich hier auch branchen-bedingte Probleme wider. Bereiche wie die Baubranche oder geringqualifizierte Tätigkeiten haben in Krisenzeiten immer schwer zu kämpfen. Davon direkt betrof-fen sind dann auch Teile der Migranten-bevölkerung, die in diesen Sektoren überproportional tätig sind. Zuletzt sind

Europa wurde von der Weltwirtschaftskrise hart getroffen, und dennoch zeigt sich der Arbeitsmarkt widerstandsfähi-ger als erwartet. Wie betroffen sind die Länder und welche Maßnahmen sieht die Europäische Union vor, um aus der Krise herauszukommen? | Daniel Hilbring

Europa und die Krise KONJUNKTUR

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Beschäftigte mit befristeten Arbeitsverträ-gen grundsätzlich anfälliger für arbeits-marktliche Krisen und verlieren mit trauri-ger Regelmäßigkeit als erste ihren Ar-beitsplatz.

Die Länder im Vergleich

Die Europäische Kommission legte im November 2009 einen Lagebericht vor, wie die 27 Länder der Union auf die Wirt-schaftskrise reagiert haben. Die Staaten der EU haben auf verschiedene Mittel zurückgegriffen und dabei auch unter-schiedliche Erfahrungen machen müs-sen.

Besonders schwerwiegend ist die Wirt-schaftskrise in Ländern des Baltikums, in Irland und Spanien. In Estland, Lettland und Litauen haben sich die Arbeitslo-senzahlen verdreifacht. Spitzenreiter ist Estland mit einem Anstieg von 4 Prozent seit Frühjahr 2008 auf 15,2 Prozent im September 2009. Schuld sind sicherlich schon vorhandene Strukturprobleme. Estland und besonders Lettland zeich-nen sich durch fehlende Fachkräfte und unzureichende Bildungsausgaben aus. Dazu waren sie auf ausländische Investi-tionen angewiesen und hatten einen – in Krisenzeiten anfälligen − Billiglohnsektor ausgebaut. Bei einer einschneidenden Rezession, wie sie durch die Weltwirt-schaftskrise zustande kam, machen sich solche schwachen Strukturen und Abhän-gigkeiten von Auslandskapital besonders bemerkbar. Ein massiver Stellenabbau schlägt dann in derart gering bevölkerten Ländern bei den relativen Zahlen der Er-werbslosen massiv zu Buche.

In anderen Ländern haben fragwürdi-ge wirtschafts- und arbeitmarktpolitische Rezepte die Beschäftigungszahlen be-einflusst, wobei Strukturprobleme nicht ganz auszuschließen sind. Das trifft zum Beispiel auf Spanien und Irland zu, die eine Verdopplung der Arbeitslosenquote hinnehmen müssen, Tendenz steigend. Im Mittelfeld rangieren Länder wie Frank-reich, Portugal, Finnland, Slowakei und Schweden. Sie verbuchen einen Anstieg

der Arbeitslosenquote in Höhe des euro-päischen Mittelwertes von 2,5 Prozent. Verhältnismäßig gut stehen Belgien, die Niederlande, Deutschland, Italien und Österreich da. Die Wucht der Krise konnte hier abgefedert und ein Anstieg der Erwerbslosenzahlen auf einen halben bis anderthalb Prozentpunkte begrenzt werden.

Wirksame Maßnahmen

Jedes Mitglied der EU musste − vor dem Hintergrund der eigenen Wirtschafts-struktur − zwangsläufig versuchen, eige-ne Strategien und Anpassungsmaßnah-men anzuwenden, um die Auswirkungen der Krise abzufedern. Es hat sich den-noch gezeigt, dass die erfolgreicheren Modelle diejenigen waren, in denen sich die Länder für ein Halten von Arbeitskräf-ten entschieden haben. Nur eine tempo-

räre Verringerung der Produktivität konnte den gesamteuropäischen Arbeitsmarkt vor einem Zusammenbruch bewahren.Als sinnvolles, aber auch extrem kostspie-liges Mittel hat sich das Kurzarbeitergeld erwiesen. Arbeitskräfte konnten gehalten werden, indem die Arbeitszeit verkürzt und Lohnausfälle bzw. Sozialabgaben der

Arbeitgeber vom Staat übernommen wurden. Ein Konzept, das auch hierzulan-de angewendet wurde und den Anstieg der Arbeitslosenquote in Deutschland um 0,5 Prozent begrenzte. In Belgien verfuhr man ähnlich. Dort wurde das Konzept zunächst auf geringqualifizierte Arbeitskräfte angewendet und ab Juli 2009 auch auf qualifizierte Fachkräfte ausgeweitet. Arbeitsverträge wurden für begrenzte Zeit partiell oder komplett auf-gehoben und Lohnausfälle vom Staat beglichen. In Belgien erhöhte sich im Zeitraum November 2008 bis November 2009 die Arbeitslosenquote nur um ei-nen Prozentpunkt − allerdings um den Preis einer gigantischen Staatsverschul-dung.

Sinnvollerweise haben die meisten Länder, die auf das Rezept Kurzarbei-tergeld setzten, die betroffenen Arbeit-nehmer gleichzeitig zu Weiterbildungs-

maßnahmen aktiviert. So konnte die beschäftigungsfreie Zeit wenigstens dazu genutzt werden, das Qualifizierungsni-veau zu erhöhen.

In Deutschland haben außerdem noch zwei weitere, entscheidende Maß-nahmen gegriffen, die wenigstens vor-übergehend zu einer Schadensbegren-

Anstieg der Arbeitslosigkeit gegliedert nach Geschlecht, Alter, Bildungsniveau und Nationa-

lität im Zeitraum vom Frühjahr 2008 bis Frühjahr 2009. Quelle: nach Eurostat.

arbeitsmarkt BILDUNG | KULTUR | SOZIALWESEN_02|2010VI VIIarbeitsmarkt BILDUNG | KULTUR | SOZIALWESEN_02|2010

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zung verhalfen: Kommunale Konjunktur-programme und die umstrittene „Um-weltprämie“, besser bekannt als „Ab-wrackprämie“. Letztere wurde auch in

vielen anderen europäischen Ländern vergeben und verhalf der Automobilin-dustrie zu mehr Stabilität in der Krisen-zeit. Solche einmaligen Finanzspritzen für die Autoindustrie werden kaum einen nachhaltigen Effekt haben, sondern das Problem bestenfalls vertagen. Es wird sich zeigen, wie solche kurzfristigen Maß-nahmen wirken, wenn die Krise weiter anhält. Für Exportländer wie Deutschland ist es wichtig, dass sich 2010 die globale wirtschaftliche Situation verbessert, sonst bleiben bald die notwendigen Aufträge aus dem Ausland aus, und das Absatz-loch in der Automobilbranche folgt eben nur etwas versetzt.

Erfolglose Konjunkturprogramme

Weniger erfolgreich waren Länder, die einmalige Finanzierungshilfen vorzogen. Hier wurde Geld verteilt mit der Hoffnung auf Nachhaltigkeit und Stellenaufbau, gemäß dem Motto: „Breitbandantibiotika

für den Patienten, er wird schon irgend-wie genesen“. Das zeigt sich besonders am Beispiel Spanien.

Die Probleme Spaniens sind nicht erst 2008 entstanden, sondern weit älteren Datums und vor allem struktureller Art. Das Wachstum wurde wesentlich durch einen Immobilienboom getragen, der ähnlich wie in den USA mit einer deut-lichen Überbewertung der Immobilien einherging. Durch die Banken-, Finanz- und Immobilienkrise 2007 platzte die Blase, und weil der Immobiliensektor fast ein Drittel des BIP erwirtschaftete, wirkte sich der Crash entsprechend deutlich auf die Gesamtwirtschaft aus. Leidtragende waren vor allem die Kreditnehmer, auf die das Zinsrisiko dadurch abgewälzt wurde, dass spanische Banken fast nur Darlehen mit variablem Zins vergeben. Die Folgen waren ein Zusammenbruch der Wirtschaft mit Zahlungsunfähigkeit vieler Arbeitgeber und -nehmer und ein enormer Zuwachs der Arbeitslosigkeit.Im November 2008 schnürte die spani-sche Regierung dann ein Finanzierungs-paket von acht Milliarden Euro mit dem Ziel, 400.000 Stellen zu schaffen, davon 280.000 sofort. Bezuschusst wurden etwa 30.000 Projekte in verschiedenen

Bereichen: Verbesserung öffentlicher, städtischer Gebiete, Verbesserung der Straßen- und Schieneninfrastruktur, öko-logische Maßnahmen zur Verbesserung der Abwasserwirtschaft und Luftqualität, Denkmalschutz, Tourismus etc. Von den Investitionen profitierten mehr als 14.000 Firmen, und 421.732 Stellen wurden ge-schaffen. Weil aber zeitgleich noch viel mehr Stellen abgebaut wurden, kletterte die Arbeitslosenquote in Spanien von 12,2 Prozent im September 2008 auf 19,3 Prozent im Oktober 2009. Der Ret-tungsversuch ist damit unglücklich ver-laufen, denn die hausgemachten Proble-me konnten mit dem spanischen Gieß-kannen-Prinzip nicht gelöst werden.

Herausforderungen der EU

Wenngleich im europäischen Durch-schnitt die Auswirkungen der Krise durch Kurzarbeit und andere Regelungen etwas abgemildert wurden, bieten diese kurz-fristigen Maßnahmen, so wichtig sie auch sein mögen, allein keinen erfolgreichen Ausweg aus der Krise. Daher müssen die EU und die einzelnen Staaten die kurz- und langzeitigen Effekte der Krise auf die Beschäftigungszahlen abmildern, ohne

Arbeitslosenrate der EU Mitgliedsstaaten im September 2008 und im September 2009.

Daten für UK Juli 2008 bis Juli 2009; EE, EL, IT, RO Frühjahr 2008 bis Frühjahr 2009.

Quelle: nach Eurostat.

Höchst unterschiedlich – die Krise und ihre

Folgen in der EU © Rainer Sturm/Pixelio

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gleichzeitig das langfristige Ziel des Be-schäftigungswachstums aus den Augen zu verlieren. Zwei Herausforderungen der zukünftigen Arbeitsmarktpolitik hat die EU dabei ausgemacht: Langzeitarbeitslo-sigkeit und die Auswirkungen des Klima-wandels auf den Arbeitsmarkt.

Flexicurity als Lösung?

Die Langzeitarbeitslosigkeit bleibt nach wie vor eine der großen Herausforderun-gen der EU. Im europäischen Raum be-trug in den letzten Jahren die Dauer der Arbeitslosigkeit in fast 45 Prozent aller Fälle mehr als 12 Monate. Und je länger man arbeitslos ist, desto schwerer wird die Rückkehr in den Arbeitsmarkt. Einen Schlüssel für den Abbau der Langzeitar-beitslosigkeit und den Erhalt der Beschäf-tigungsfähigkeit sieht die EU in den Flexi-curity-Grundsätzen. Das bedeutet einer-seits eine Lockerung des Kündigungs-schutzes für Arbeitgeber, denn das er-leichtert Arbeitgebern die Einstellung neuer Arbeitnehmer. Gleichzeitig soll die Jobsicherheit der Arbeitnehmer dadurch erhöht werden, dass sie über höhere Be-schäftigungsfähigkeit auch schneller wie-der ins Arbeitsleben finden. Mit Recht bestehen in der Bewertung der Flexicurity jedoch verschiedene Auffassungen zwi-schen den Gewerkschaften und den Ar-beitgeberverbänden, und es wird wohl weiterhin viel darüber diskutiert werden.

„Grüne“ Wirtschaft als Motor?

Die zweite Kernfrage stellt die Auswirkun-gen des Klimawandels auf den Arbeits-markt in den Vordergrund. Die Herausfor-derungen des Klimawandels erzwingen ein Umdenken in Richtung energiebe-wusstere Produktionsweisen. Daher lau-tet eine der Zielsetzungen der EU, für die Zukunft auf eine wettbewerbsfähige, „kohlenstoffarme Wirtschaft“ zu setzen. Solch Umdenken wird die Beschäfti-gungsstrukturen in der EU wesentlich ändern und soll für den Arbeitsmarkt zu einer treibenden Kraft werden.

Unterm Strich werden dadurch nicht zwangsläufig mehr Arbeitsplätze gene-riert, da die Umgestaltung vorhandener Arbeitsplätze nach ökologischen Ge-sichtspunkten zu einem Abbau anderer Arbeitsplätze in nicht-ökologischen Be-reichen führen werden (Braunkohleab-bau etc.). Dennoch wird es zu einem Strukturwandel kommen, der zu einer Umverteilung der Arbeitskräfte in allen Wirtschaftssektoren und Qualifikations-arten führt.

Das heißt auch, dass es erhebliche Auswirkungen auf den künftigen Bedarf an Qualifikationen geben wird. Mit Blick auf die neuen Kompetenzen, die in einer kohlenstoffarmen Wirtschaft gefragt sind, werden zunächst die hochqualifizierten Fachkräfte profitieren. Sind dann die neu-en Technologien in den Wirtschaftskreis-lauf implementiert, können vermehrt auch die geringer qualifizierten Arbeits-kräfte neue Arbeitsplätze ausfüllen.

... und weiter?!

Es ist zu hoffen, dass die Regierungen und die EU ihre Lehren aus der Krise zie-hen werden und in Zukunft passende und schnelle Antworten auf derartige Ausnahmesituationen parat haben. Ge-wiss haben sich Länder wie Italien, Deutschland und Belgien gut geschlagen und einen sprunghaften Anstieg der Ar-beitslosigkeit verhindern können. Doch mal ganz abgesehen davon, dass man für die schönen Bilanzen einen gigantischen volkswirtschaftlichen Preis zahlen muss, sollte man bedenken, dass Statistiken nicht immer die Realität widerspiegeln. Wer zum Beispiel in Deutschland arbeits-suchend ist oder in einer Maßnahme der Bundesagentur für Arbeit steckt, der fällt aus der Arbeitslosenstatistik heraus. Es ist aber davon auszugehen, dass die Kunst, Statistiken zu glätten, nicht nur hierzulan-de angewendet wird, sondern in allen Ländern.

Die Umstellung auf branchenüber-greifende, umweltbewusstere Wirt-schaftsformen wird viele Neuerungen

auf dem Arbeitsmarkt bringen, sofern diese Umstellung tatsächlich durch-geführt wird. Wichtig ist deshalb, dass hinreichend Qualifikationsmöglichkeiten zum richtigen Zeitpunkt entstehen, sonst wird der Übergang von den „alten“ zu den „grünen“ Wirtschaftsformen zu gra-vierenden Engpässen und einem Anstieg der Arbeitslosigkeit besonders für Gering-qualifizierte führen.

Die EU und die einzelnen Regierun-gen werden sich auch den Schwierigkei-ten der Verknüpfung von Flexibilität des Arbeitsmarktes und Sicherheit für Arbeit-

nehmer stellen müssen. Kündigungs-schutz lockern für mehr Arbeitsplätze und weniger Langzeitarbeitslosigkeit oder doch lieber Arbeitsplatzsicherung durch Kündigungsschutz? Solche und andere Fragen hinsichtlich der endgülti-gen Auswirkungen der Krise lassen sich nach dem Jahr 2010 hoffentlich besser beantworten.

Krise geschickt umschifft? Das Jahr 2010

wird es zeigen.

© Barbara Eckholdt/Pixelio