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Europapolitische Strategie der Hessischen Landesregierung „Hessens Positionen in Europa“ 13. Juli 2015 I. Vorwort II. Hessische Europapolitik unter der neuen Europäischen Kommission III. Grundsätzliche Fragen der Europapolitik und Themensetzungen mit besonderem Hessenbezug A. Grundsätzliche Fragen der Europapolitik - Subsidiarität - Schwerpunktsetzung - Folgenabschätzung - Durchführungsrechtsakte und delegierte Rechtsakte - Bürokratieabbau – Verringerung von Verwaltungsaufwand und Verwaltungskosten - Transparenzregister - Deutsche Sprache B. Themensetzungen mit besonderem Hessen-Bezug 1. Wirtschaftsstandort Hessen - Investitionsoffensive - Fortentwicklung der stabilitätsorientierten Finanzmarktreformen - REACH - „Made in Germany“ - Bessere Rahmenbedingungen für die Industrie - Langfristige Finanzierung der Wirtschaft - Europa-GmbH - Kampf gegen Steuerrechtsmissbrauch - TTIP 2. Wissenschaftsstandort Hessen - Europäischer Forschungsraum (EFR) - Horizont 2020 3. Arbeitskräftesicherung, EU-Arbeitszeitrichtlinie - Fachkräftesicherung - Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit und Arbeitgeberattraktivität - EU-Arbeitszeitrichtlinie und Ehrenamt 4. Bildung, Ausbildung - Bildung - Meisterbrief - Duale Ausbildung - Erasmus+ 5. Digitale Gesellschaft - Digitaler Binnenmarkt - Breitbandausbau

Europapolitische Strategie der Hessischen Landesregierung … · 2017. 3. 29. · Darüber hinaus liegt mit der Europäischen Zentralbank und der Europäischen Auf- ... schaftsstandort

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  • Europapolitische Strategie der Hessischen Landesregierung „Hessens Positionen in Europa“

    13. Juli 2015

    I. Vorwort II. Hessische Europapolitik unter der neuen Europäischen Kommission III. Grundsätzliche Fragen der Europapolitik und Themensetzungen mit besonderem

    Hessenbezug A. Grundsätzliche Fragen der Europapolitik - Subsidiarität - Schwerpunktsetzung - Folgenabschätzung - Durchführungsrechtsakte und delegierte Rechtsakte - Bürokratieabbau – Verringerung von Verwaltungsaufwand und Verwaltungskosten - Transparenzregister - Deutsche Sprache

    B. Themensetzungen mit besonderem Hessen-Bezug 1. Wirtschaftsstandort Hessen

    - Investitionsoffensive - Fortentwicklung der stabilitätsorientierten Finanzmarktreformen - REACH - „Made in Germany“ - Bessere Rahmenbedingungen für die Industrie - Langfristige Finanzierung der Wirtschaft - Europa-GmbH - Kampf gegen Steuerrechtsmissbrauch - TTIP 2. Wissenschaftsstandort Hessen - Europäischer Forschungsraum (EFR) - Horizont 2020 3. Arbeitskräftesicherung, EU-Arbeitszeitrichtlinie - Fachkräftesicherung - Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit und Arbeitgeberattraktivität - EU-Arbeitszeitrichtlinie und Ehrenamt

    4. Bildung, Ausbildung - Bildung - Meisterbrief - Duale Ausbildung - Erasmus+ 5. Digitale Gesellschaft - Digitaler Binnenmarkt - Breitbandausbau

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    - Europäisches Urheberrecht - Digitaler Verbraucherschutz und Sicherstellung der Privatsphäre - Datenschutzpaket - Cybersicherheit – NIS-Richtlinie – Digitale europäische Souveränität 6. Verkehr und Energie - Schienengüterverkehrslärm - Single European Sky - Luftverkehrspaket - Bahnpolitik - Energiebinnenmarkt - Windenergieausbau und Naturschutz - Energieeffizienz 7. Umwelt, Landwirtschaft, Schutz von Mensch und Natur - GAP-Reform - Kriseninstrumente für den Milchsektor - EU-Ökoverordnung - Keine Privatisierung des Wassers - Gentechnisch veränderte Organismen (GVO) - Lebensmittelsicherheit - Biodiversität - Tierschutz-Rahmen 8. Flüchtlinge – Migration – Asyl - Humanitäre Hilfen - Asylpolitik – Europäische Solidarität leben - Migrationspolitik – Geregelte Aufnahmemöglichkeiten erweitern

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    I. Vorwort Hessen mit seinen rund sechs Millionen Einwohnern ist ein starkes Land im Herzen Europas und gehört insgesamt zu den wohlhabendsten europäischen Regionen. Unser Land ist wirtschaftlich auf das Engs-te mit seinen europäischen Nachbarn verflochten. Wir stehen in einer engen und freundschaftlichen Beziehung mit vielen anderen Regionen und arbeiten insbesondere mit unseren Partnerregionen in der EU, Aquitaine, Emilia-Romagna und Wielkopolska, sowie der türkischen Region Bursa zusammen. Gemeinsam vertreten wir die Interessen unserer Regionen und leben gleichsam von der Vernetzung und vom Austausch sowie von der Vertiefung der europäischen Integration. Als bisher einziges deut-sches Land bündelt Hessen deshalb seine Kräfte in Brüssel mit seinen europäischen Partnerregionen in einem „Mehr-Regionen-Haus“. Hessen ist eine der wirtschaftsstärksten Regionen in der Union: Bezogen auf die Einwohnerzahl ist Hessen größer als zwölf EU-Mitgliedstaaten. Bezogen auf die Wirtschaftskraft reicht Hessen an Däne-mark oder Österreich heran, und bei der Kennzahl „Bruttoinlandsprodukt je Einwohner“ hätte Hessen im Jahr 2013 den vierten Platz in der Rangfolge der EU-Mitgliedstaaten belegt. In Frankfurt befindet sich einer der größten Flughäfen auf dem europäischen Kontinent und mit DE-CIX der größte Internet-knoten der Welt. Darüber hinaus liegt mit der Europäischen Zentralbank und der Europäischen Auf-sichtsbehörde für das Versicherungswesen der bedeutendste Finanzplatz im Herzen unseres Landes. Frankfurt wird vor diesem Hintergrund – neben Brüssel, Straßburg und Luxemburg – nicht selten als die „vierte Hauptstadt“ der EU bezeichnet. Nachhaltiges Wirtschaften - im Rahmen der sozialen und ökologischen Marktwirtschaft - bietet die Voraussetzung dafür, dass die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und die Arbeitsplätze in Hessen erhal-ten bleiben, der Wohlstand der Bürgerinnen und Bürger gesichert und dabei Umwelt und Ressourcen geschont werden. Das Ziel der Hessischen Landesregierung ist es, Hessen als bedeutenden Wirt-schaftsstandort und Arbeitsplatz vieler Menschen im Herzen Europas weiterzuentwickeln und zu zei-gen, dass Ökologie und Ökonomie kein Gegensatz sind, sondern im Einklang Fortschritt erbringen. Hessen, das als europäischer Finanz-, Verkehrs-, Industrie-, Forschungs- und Innovationsstandort ein-malige europäische Kapazitäten bündelt, möchte sich in besonderer Weise an der Debatte über die Zukunft Europas beteiligen. Die europäische Wertegemeinschaft ist unverzichtbar für unsere Zukunft in der globalisierten Welt. Die Hessische Landesregierung bekennt sich daher nachdrücklich und kon-struktiv zum Prozess der europäischen Einigung und unterstützt eine starke Europäische Union. Nur die EU ist Garant für Freiheit, Frieden, Wohlstand und Demokratie auf unserem Kontinent. Europa muss ein Europa der Bürgerinnen und Bürger sein. Die Kenntnis europäischer Zusammenhän-ge, weitere Beteiligungsrechte und eine einfache verständliche Sprache sowie der Abbau unnötiger Bürokratie sind genauso wichtig wie kulturelle Vielfalt, regionale Traditionen oder Sprache. Deshalb unterstützen wir die „Europäische Bürgerinitiative“ als besondere Form der Mitwirkung und direkter Demokratie. Hessen ist darüber hinaus auch ein starker Kulturstandort und wertvoller Naturraum: In Hessen liegen sechs UNESCO-Welterbestätten, von denen der Obergermanisch-Raetische Limes eine europäische Dimension hat. Die Hessische Landesregierung setzt sich dafür ein, dass dieser reiche kulturelle Be-stand des Landes in der europäischen Politik angemessen berücksichtigt, geschützt und weiter entwi-ckelt wird. Mit dem UNESCO-Biosphärenreservat Rhön, dem Nationalpark Kellerwald-Edersee, der Teil des UNESCO-Weltnaturerbes "Alte Buchenwälder Deutschlands“ ist, und dem Grünen Band Deutsch-land verfügt Hessen über europaweit einzigartige Natur- und Lebensräume. Im Rahmen des Netzes Natura 2000 ist Hessen in der Mitte Europas ein wichtiger Baustein und bedeutender Korridor für den Vogelzug. In seinen Weinbaugebieten im Rheingau und an der Hessischen Bergstraße werden Weine von Weltrang produziert.

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    Die Förderung der europäischen Integration und die Wahrnehmung der europapolitischen Interessen unseres Landes sind Grundlagen der hessischen Europapolitik. Sie ist im Interesse der Bürgerinnen und Bürger und zum Wohle des Landes ausgerichtet. Die Hessische Landesregierung macht daher ihren Mitgestaltungsanspruch in europapolitischen Belangen geltend und kommt diesem konsequent und verlässlich für die europäische Integration nach. Seit fast sechs Jahren sind in unserer Regierung zwei Persönlichkeiten mit Kabinettsrang für die europäischen Angelegenheiten zuständig. Die Hessische Landesregierung definiert ihre prioritären europapolitischen Positionen in der Europa- strategie. Das Ziel ist es, die nachfolgend dargelegten europapolitischen Vorhaben umzusetzen und die hessischen Anliegen im Lichte aktueller europapolitischer Gegebenheiten zielgerichtet und mit Nach-druck in die Entscheidungsprozesse der EU einzubringen.

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    II. Hessische Europapolitik unter der neuen Europäischen Kommission

    1. Die Hessische Landesregierung ist ein Akteur in der Europapolitik mit Gestaltungsanspruch und Gestal-tungskompetenz. Ihre Leitlinien wurzeln im europäischen Geist, orientieren sich am Kompetenzaufbau der Europäischen Union, ihrer Mitgliedstaaten sowie an der föderalen Struktur der Bundesrepublik Deutschland und befürworten nachdrücklich das Subsidiaritätsprinzip. In diesem programmatischen Kontext hat hessische Europapolitik das Ziel, hessische Interessen zu definieren, zu kommunizieren und in Berlin, Brüssel und Straßburg einzubringen. Bis Oktober 2015 hat Hessen die Bundesratspräsidentschaft und von Mitte 2015 bis Mitte 2016 den Vorsitz der Europaministerkonferenz inne. Dies nutzt die Hessische Landesregierung, um europapoliti-sche Belange der deutschen Länder geltend zu machen.

    2. Dabei sind die neue Struktur, die politischen Prioritäten und das Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission unter Präsident Jean-Claude Juncker maßgeblich. In der neuen Kommission sind die Vizepräsidenten nun für verschiedene Portfolios einzelner Kommis-sare zuständig und steuern bzw. koordinieren deren Arbeit entsprechend der prioritären Leitlinien. In dieser Struktur kommt dem neu eingerichteten Ersten Vizepräsidenten eine besondere Stellung zu. Insbesondere hat er im Rahmen seiner Zuständigkeiten die Wahrung der Grundsätze von Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit sicher zu stellen und eine neue Partnerschaft mit den nationalen Parlamenten zu etablieren. Darüber hinaus begrüßt die Hessische Landesregierung grundsätzlich das Bekenntnis zum Prinzip der politischen Diskontinuität. Auf Basis dessen hat die neue Kommission angekündigt, nach Prüfung 73 Gesetzgebungsvorschläge zurückzuziehen, bei denen eine geringe Aussicht auf eine Verabschiedung im Legislativprozess besteht. Insbesondere betrifft dies die von Hessen bereits in den vergangenen Jahren stark kritisierten Vorhaben zu Regelungen der betrieblichen Altersvorsorge sowie zur Liberali-sierung der Bodenverkehrsdienste. Der Verzicht auf die Umsetzung dieser beiden Gesetzesinitiativen ist ein wichtiger Erfolg der europapolitischen Arbeit Hessens, und er zeigt beispielhaft, wie erfolgreich Europapolitik auf Landesebene sein kann. Weiterhin unterstützt die Hessische Landesregierung die Absicht der Kommission, europäische Gesetze künftig alle fünf Jahre zu überprüfen. Mit vergleichbaren Maßnahmen hat das Land Hessen seit fast 15 Jahren gute Erfahrungen gemacht. Zudem sieht sich die Hessische Landesregierung als Partner der Kommunen in einer besonderen Ver-antwortung, für die Wahrung und Stärkung des Prinzips der kommunalen Selbstverwaltung in Europa einzutreten. Starke Kommunen helfen, Zentralismus zu vermeiden und Bürgernähe zu fördern. Nur mit einer lebendigen kommunalen Selbstverwaltung kann Europa dauerhaft bürgernah und erfolgreich sein. Die Hessische Landesregierung wird darauf hinwirken, dass die Kommunen durch wettbewerbs- und steuerrechtliche Vorgaben der Europäischen Union nicht zusätzlich belastet werden.

    3. Für den Erfolg Hessens als modernem Finanz-, Wirtschafts- und Wissenschaftsstandort in Europa sind die zentrale Rolle des Euro für den Binnenmarkt und für den europäischen Einigungsprozess sowie die Stabilität der EU von grundlegender Bedeutung. Eine Schwächung oder sogar ein Auseinanderbrechen

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    der Wirtschafts- und Währungsunion würde insbesondere für Deutschland mit seiner exportorientier-ten Industrie, aber auch für Hessen mit dem Finanzplatz Frankfurt und dem Sitz der Europäischen Zentralbank mit kaum überschaubaren politischen und ökonomischen Risiken einhergehen. Im Zuge der Wirtschafts-, Finanz- und Staatsschuldenkrise wurden mit der Straffung des Stabilitäts- und Wach- stumspakts, mit dem Fiskalpakt und mit der sich konkretisierenden Bankenunion erste Schritte zu ei-nem stabilitätsfördernden Sicherheitszaun etabliert, der eine neuerliche Schuldenkrise verhindern soll. Die Hessische Landesregierung hat ein fundamentales Interesse an einer dauerhaft starken und stabi-len Wirtschafts- und Währungsunion. Aus Sicht der Hessischen Landesregierung gilt es daher, die ver-einbarten Stabilisierungsmaßnahmen auch zukünftig konsequent anzuwenden, um die Glaubwürdig-keit der beschlossenen Maßnahmen nicht zu unterlaufen und das Vertrauen in den eingeschlagenen Weg der stabilitätsorientierten Politik zu stärken. Die Erfordernisse einer soliden Haushalts- und Wirtschaftspolitik gelten nicht nur für die Mitgliedstaa-ten, sondern auch für den EU-Haushalt. Zusätzliche Mittelbedarfe sind vorrangig über Mittelumschich-tungen innerhalb des EU-Haushalts zu bedienen. Mit Blick auf die in den nächsten Jahren beginnende Debatte über das Finanzierungssystem der EU bekräftigt die Hessische Landesregierung insbesondere ihre Skepsis gegenüber einem eigenen Besteuerungsrecht der EU sowie gegenüber Verschuldungs-rechten für den EU-Haushalt. Neben den traditionellen Eigenmitteln ist die EU auf Basis von BNE-Eigenmitteln zu finanzieren. Zur weiteren Stabilisierung der Finanzmärkte begleitet die Hessische Landesregierung auch die Einfüh-rung einer Finanztransaktionssteuer. Entsprechend der gemeinsamen Erklärung der zehn teilnehmen-den EU-Staaten sollen bis Anfang 2016 die Bedingungen für die Einführung dieser Steuer feststehen. Ziel der Hessischen Landesregierung ist es, im Rahmen einer verstärkten Zusammenarbeit eine Finanz-transaktionssteuer umzusetzen, die alle Finanzinstrumente umfasst, wobei im Interesse der Wettbe-werbsfähigkeit des Finanzplatzes Frankfurt dabei Ausweichreaktionen vermieden werden müssen. Ebenso gilt es, relevante negative Folgen der Steuer auf Instrumente der Altersversorgung, auf die Kleinanlegerinnen und Kleinanleger und auf die Realwirtschaft zu vermeiden. Neben der weiteren Konsolidierung und zielgerichteten Maßnahmen zur Stabilisierung und Weiter-entwicklung der Finanzmärkte wird eine der wichtigsten Aufgaben der neuen Europäischen Kommissi-on darin bestehen, Wachstum und Aufschwung auch in den von der Krise besonders betroffenen Staa-ten wiederherzustellen. Das dafür gewählte Instrument der Investitionsoffensive soll in den kommen-den drei Jahren (2015-2017) öffentliche und private Investitionen in die Realwirtschaft im Umfang von mindestens 315 Mrd. Euro mobilisieren. Dies ist ein mutiges Zeichen der neuen Kommission, das von der Hessischen Landesregierung unterstützt wird. Dass dabei dem EU-Programm Horizont 2020, das über die Förderung von Forschung und Innovation ebenfalls Wachstum zum Ziel hat, zugunsten der Investitionsoffensive Mittel entzogen werden, muss kritisch hinterfragt werden. Die erfolgreich etab-lierte Forschungsförderung ermöglicht ebenso strategische, zukunftsweisende Investitionen. Die Hes-sische Landesregierung wird die Investitionsoffensive in ihrer weiteren Aufstellung und Umsetzung konstruktiv begleiten, betont aber gleichzeitig, dass die Investitionsoffensive nicht zum Anlass ge-nommen werden darf, notwendige Strukturreformen in den Mitgliedstaaten aufzuschieben.

    4. Eines der wesentlichen Ziele der Europäischen Kommission ist es, die Europäische Union zum wettbe-werbsfähigsten wissensbasierten Wirtschaftsraum zu machen. Die Hessische Landesregierung unter-stützt dieses Ziel nachdrücklich und hat ihrerseits in den vergangenen Jahren die Bereiche Wissen-schaft und Forschung finanziell stark gefördert. Europas Rolle in der Welt wird auch in der Zukunft ganz massiv davon abhängen, in welcher Weise es gelingt, die Technologieführerschaft in zentralen Bereichen der Wirtschaft zu erhalten oder zu gewinnen

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    Vor diesem Hintergrund unterstützt die Hessische Landesregierung auch die Ziele der Europäischen Union, wie sie in der Lissabon-Strategie und der Strategie Europa 2020 festgelegt wurden. Das Ziel, drei Prozent des Bruttoninlandsproduktes für Forschung und Lehre zu verwenden, wird auch durch das Land Hessen verfolgt. Mit ihrem Einsatz für den Wissenschaftsstandort schafft die Landesregierung optimale Voraussetzungen für die Forschung und Entwicklung neuer Technologien. Insbesondere die europaweite Mobilität im Bereich der Wissenschaft und Hochschulen sowie der Ausbau eines Europäi-schen Forschungsraums sind dafür eine Grundlage. In diesem Zusammenhang ist eines der Schwerpunktprojekte der EU das Programm „Horizont 2020“, dessen Fördervolumen rund 70 Milliarden Euro beträgt. „Horizont 2020“ ist damit das weltweit größte in sich geschlossene Forschungs- und Innovationsprogramm. Es deckt sowohl die Grundlagen-forschung als auch anwendungsnahe Forschungsfelder ab und unterstützt überdies auch kleine und mittlere Unternehmen in ihren Forschungsbemühungen. Die Hessische Landesregierung wird sich da-für einsetzen, dass auch hessische Forschungseinrichtungen, Hochschulen und Unternehmen sowie die Kultur- und Kreativwirtschaft von diesem Programm bestmöglich profitieren können.

    5. Mit Blick auf die Fortentwicklung sowohl des Finanz- und Wirtschaftsstandorts Hessen als auch des Wissenschafts- und Forschungsstandortes Hessen sind die Digitale Agenda und eine digitale europäi-sche Souveränität im 21. Jahrhundert grundlegende Faktoren. Alle Teile von Wirtschaft und Gesell-schaft nutzen die digitalen Dienste in immer stärkerem Maße. Der Einsatz entsprechender Technolo-gien bietet Chancen, den gesellschaftlichen Wohlstand zu steigern, birgt aber auch Risiken für den Nutzer, die es zu beherrschen gilt. Die Kommission hat die Digitale Agenda als eine wesentliche Aufga-be der EU hervorgehoben, den Bereich „digitaler Binnenmarkt“ als eines der prioritären Themen in ihr Arbeitsprogramm aufgenommen. Auch die im Mai 2015 veröffentliche „Strategie für einen digitalen Binnenmarkt für Europa“ mit ihren drei Säulen verdeutlicht einerseits den Handlungsbedarf und zeigt andererseits zahlreiche Maßnahmen auf, die bereits in der Umsetzung sind. Die Hessische Landesre-gierung wird die weitere Umsetzung dieser Strategie beobachten und sich aktiv in den Rechtsset-zungsprozess einbringen. Die Herausforderungen, die die zunehmende Vernetzung der Welt mit sich bringt, sind auf regionaler Ebene und auch auf der Ebene der Mitgliedstaaten nur schwer zu lösen. EU-einheitliche Mindeststan-dards sind die Voraussetzungen, um im Themenfeld der Digitalen Agenda die wirtschaftlichen Chancen zu nutzen und den Herausforderungen gerecht zu werden. Hierzu gehören neben der Fragmentierung des digitalen Marktes, die mangelnde Interoperabilität, die Zunahme von Cyberkriminalität und die Gefahr mangelnden Vertrauens der Nutzer, die zu geringen Investitionen in die Netze, zu geringe Aus-gaben für Forschung und Innovation sowie mangelnde digitale Fähigkeiten und Qualifikationen. Des-halb sind rechtliche Rahmenbedingungen erforderlich, die einen kohärenten und einheitlichen Rechts-rahmen schaffen und die die Sicherheit und das Vertrauen der Nutzer steigern helfen. Mit Blick auf die Thematik digitaler Fragen begrüßt die Hessische Landesregierung daher, dass in der Struktur der neuen Kommission der Posten eines Kommissars für die digitale Wirtschaft und Gesell-schaft eingerichtet und mit dem deutschen Kommissar besetzt wurde.

    6. Verkehr, Mobilität und Logistik spielen in Hessen eine ganz besondere Rolle und die europäische Rechtsetzung auf diesem Gebiet hat für Hessen als zentrales Transitland große Bedeutung. Ziel der hessischen Verkehrspolitik ist die Schaffung eines einheitlichen europäischen Verkehrsraums bei

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    gleichzeitigem Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit des Verkehrsstandortes Hessen. Mobilität als Trans-port von Menschen und Gütern muss auch in Zukunft bestmöglich ausgestaltet werden. Leistungsfähi-ge, langfristig nachhaltige und effiziente Verkehrssysteme und gut vernetzte Infrastrukturen sind von zentraler Bedeutung für Wettbewerbsfähigkeit, Wachstum, Arbeitsplätze und Wohlstand der Europäi-schen Union. Dabei ist anzustreben, dass die Wechselwirkungen von Umwelt und Verkehr besser aufeinander abge-stimmt werden und die Verkehrsbelastung für Mensch und Umwelt möglichst gering gehalten wird. Hessen setzt sich deshalb für eine klimafreundliche, ressourcenschonende und nachhaltige Verkehrs-politik ein. Die Hessische Landesregierung beabsichtigt, durch die intelligente Verknüpfung von Straße und Schiene, von Individual- und öffentlichem Verkehr, von Infrastruktur und Datenkommunikation ein ökonomisch, sozial und ökologisch nachhaltiges und zunehmend intermodales Verkehrssystem in Hessen zu etablieren. Dieses Ziel kann u.a. durch die Stärkung des öffentlichen Personenverkehrs und durch die (z.B. steuerliche) Förderung von Fahrzeugen mit umweltfreundlichen und effizienten An-triebssystemen wie Hybrid- und Elektrofahrzeugen sowie durch die Unterstützung von Car-Sharing-Modellen erreicht werden. Ein weiterer Baustein ist die Stärkung der nachhaltigen Nahmobilität. Bei der Lärmbekämpfung ist festzustellen, dass derzeit die Lärmbelastung nach unterschiedlichen Re-geln berechnet wird. Das Nebeneinander der „Vorläufigen Berechnungsmethode für den Umgebungs-lärm an Straßen“ (VBUS) im Umweltbereich und der „Richtlinien für den Lärmschutz an Straßen“ (RLS-90) im Verkehrsbereich ist schwer verständlich, insbesondere für die vom Lärm betroffene Bevölke-rung. Eine einheitliche Berechnungsgrundlage wäre vorteilhaft und könnte zu mehr Verständnis und Akzeptanz führen.

    7. Eine weitere, entscheidende Aufgabe der Kommission besteht aus Sicht der Hessischen Landesregie-rung in der Integration von Umwelt- und Klimaschutz in die Politik zur Schaffung von Arbeitsplätzen und zur Generierung von Wachstum. Das für die Jahre 2013 - 2020 beschlossene siebte Umweltakti-onsprogramm setzt den Rahmen für nachhaltiges Wachstum. Es bedarf darüber hinaus allerdings wei-terer Impulse für den Umwelt- und Ressourcenschutz. Bei den Maßnahmen im Rahmen des Programms zur Gewährleistung der Effizienz und Leistungsfähig-keit der Rechtsetzung (REFIT), die aus dem Klima- und Umweltschutzbereich stammen, legt Hessen Wert darauf, dass bei der Überprüfung eine Herabsetzung von fachlichen Standards und die Abschwä-chung von bewährten Vorschriften im Rahmen der REFIT-Maßnahmen vermieden werden, um die in Europa erreichte Umweltqualität fortzuentwickeln. Mit Blick darauf, dass die umweltpolitische Bilanz der neuen Kommission nicht zuletzt am Erfolg der Energie- und Klimapolitik gemessen wird, bestehen weitere zentrale Vorhaben in der Umsetzung der Energiewende und im fortwährenden Bestreben für einen umfassenden Klimaschutz. Deshalb müssen unter Berücksichtigung sozialer und wirtschaftlicher Aspekte sowie im Einklang mit dem Erhalt der biologischen Vielfalt entscheidende Weichen gestellt werden. Grundlage ist eine sichere, umweltscho-nende, bezahlbare und gesellschaftlich akzeptierte Energieversorgung für die Bürgerinnen und Bürger sowie für Mittelstand und Industrie. Überdies bedarf es nationaler, europäischer und auch globaler Bemühungen zur Reduzierung klima-schädlicher Treibhausgase sowie verbindlicher Klimaschutzziele. Die europäische Rechtsetzung kann dabei entscheidende Impulse setzen. Vor diesem Hintergrund begleitet die Hessische Landesregierung das von der Kommission vorgelegte „Energie- und Klimaschutz-Paket“ aufmerksam und engagiert, mit dem Ziel, Versorgungssicherheit, einen echten Energiebinnenmarkt, Energieeffizienz und den Über-gang zu einer dauerhaft CO2-armen Gesellschaft zu erreichen. Dabei ist der europäische Emissions-

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    handel mit dem Ziel, die klimaschädlichen Treibhausgasemissionen unter möglichst geringen volks-wirtschaftlichen Kosten zu senken, ein sinnvolles Instrument. Aufgrund der großen Anzahl von Zertifi-katen auf dem Markt, entfaltet das derzeitige Emissionshandelssystem jedoch nicht die notwendigen Anreize, um eine spürbare Minderung zu erreichen. Die Hessische Landesregierung setzt sich dafür ein, dass der europäische Emissionshandel ein funktionierendes Instrument des Klimaschutzes und der Reduzierung von Treibhausgasemissionen wird. Bei der UN-Weltklimakonferenz im Dezember 2015 in Paris kommt der Europäischen Union eine wich-tige Rolle zu. In ihrer Mitteilung zum „Paris-Protokoll“ hat sie Zielvorgaben skizziert. Die Bestrebungen, auf der Konferenz ehrgeizige Vorgaben zu beschließen, werden - ebenso wie der Anspruch einer politi-schen Vorreiterrolle der EU - ausdrücklich begrüßt. Die Hessische Landesregierung unterstützt die Fest-legung verbindlicher Zielvorgaben zur Reduzierung von Treibhausgasemissionen und sieht bei der Weltklimakonferenz die Möglichkeit, über nationale und europäische Maßnahmen hinaus Ziele und Instrumente des internationalen Klimaschutzes zu formulieren.

    8. Auf der Flucht vor Krieg und Verfolgung verlassen derzeit Tausende Menschen aus Syrien, aus dem Irak, Eritrea, Afghanistan und vielen weiteren Staaten ihre Heimat. Zu einer humanitären Katastrophe hat dabei inzwischen insbesondere die Lage der Flüchtlinge geführt, die den Weg über das Mittelmeer suchen. Die große Zahl der Flüchtlinge stellt für die Europäische Union, für Deutschland, aber auch für Hessen und die kommunale Ebene eine der größten aktuellen Herausforderungen dar. Im Mai 2015 hat die Europäische Kommission die Europäische Migrationsagenda vorgestellt, die auf vier Pfeilern basiert und in verschiedenen Bereichen auch Sofortmaßnahmen vorsieht, die bereits in der Umsetzung sind. Die in diesem Bereich auftretenden Fragestellungen sind eine Bewährungsprobe für die Union. Eine Gemeinschaft löst ihre Probleme gemeinsam. Deshalb müssen alle EU-Mitgliedstaaten auch gemein-sam dafür Sorge tragen, dass in denjenigen Mitgliedstaaten, die schon jetzt einen Großteil der Flücht-linge und Asylsuchenden aufnehmen, die Bereitschaft der Bevölkerung, diesen Menschen Schutz zu gewähren, nicht schwindet. Daher sind neben allen anderen Maßnahmen auch eine quotale Verteilung und verbindliche Mindeststandards für die Aufnahme und Unterbringung von Flüchtlingen und Asylsu-chenden innerhalb Europas von großer Bedeutung. Neben den Fragen der legalen Migration, welche die Agenda ebenfalls in den Mittelpunkt stellt, hält die Hessische Landesregierung die Verstärkung der Seenotrettung sowie die Bekämpfung der Schleu-serbanden für den richtigen Weg. Langfristig müssen dazu konkrete Hilfen in den Heimatländern der Flüchtlinge angeboten werden, um den Menschen eine Perspektive im eigenen Land zu geben. Die EU-Agenda für Migration sieht hierzu richtige Ansätze vor.

    9. Ebenfalls im Zentrum des öffentlichen Interesses stehen – nicht erst seit den Anschlägen von Paris im Januar dieses Jahres – die Fragen der Sicherheit. Im April 2015 hat die Kommission dazu die Europäi-sche Sicherheitsagenda für den Zeitraum 2015-2020 vorgestellt. Diese Sicherheitsagenda ist für das Land Hessen von großer Bedeutung, weil Sicherheitspolitik innerhalb Deutschlands maßgeblich in die Kompetenz der Länder fällt. Nicht zuletzt deshalb hatte sich auch das Hessische Innenministerium be-reits im Rahmen der Konsultation bei der Ausarbeitung der Agenda eingebracht.

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    Unter Zuhilfenahme der gesamten Breite von EU-Maßnahmen und -Instrumenten zielt die Agenda auf einen besseren Informationsaustausch, eine verstärkte operative Zusammenarbeit und Kooperation sowie wechselseitiges Vertrauen ab. Sie soll sicherstellen, dass die interne und die externe Dimension der Sicherheit ineinandergreifen. Schwerpunktthemen der Agenda sind Terrorismus, organisierte Kri-minalität, Cyberkriminalität und der organisierte Wohnungseinbruchsdiebstahl als miteinander ver-knüpfte Bereiche mit einer ausgeprägten grenzübergreifenden Dimension, die sich in den europäi-schen Staaten nachhaltig auswirken. Ein Großteil der Maßnahmen zielt auf die Implementierung und Konsolidierung bestehender Gesetz-gebung ab, was ebenfalls zu begrüßen ist. Viele Initiativen wurden in den vergangenen Jahren insbe-sondere im Rahmen des sogenannten Stockholmer Programms erlassen, deren volles Potenzial noch nicht in allen Fällen genutzt wird. Der wachsenden Bedeutung der Thematik Extremismus und Radikalisierung wurde in Hessen u.a. durch die Einrichtung des Informations- und Kompetenzzentrums gegen Extremismus sowie des Lan-desprogramms „Hessen – aktiv für Demokratie und gegen Extremismus“ Rechnung getragen, wodurch Maßnahmen der Prävention und Intervention initiiert und umgesetzt werden. Daher ist es zu begrüßen, dass die EU einen Schwerpunkt auf die Verhinderung der Radikalisierung, insbesondere auch in Bezug auf das Internet legt und den Mitgliedstaaten hierbei Unterstützung zu-kommen lassen möchte. Die Hessische Landesregierung wird die weitere Umsetzung der Strategie beobachten und sich auch in den weiteren Gesetzgebungsprozess einbringen.

    10. Europa ist ein weltweit einzigartiges Demokratie- und Friedensprojekt. Es bietet seinen Bürgerinnen und Bürgern freies Reisen, freie Wahl von Wohnort, Arbeits- und Studienplatz; für die junge Generati-on ist ein Europa mit den Grenzen des letzten Jahrhunderts nicht mehr vorstellbar. Es gilt, den europä-ischen Gedanken mit Leben zu füllen und weiter zu tragen. Dabei müssen die Menschen „mitgenom-men werden“. Sie müssen sich einbringen und beteiligen können. Dazu bietet die „Europäische Bürger-initiative“ die Möglichkeit, Themen und Ideen an die Europäische Kommission heranzutragen und sich aktiv für europäische Themen einzusetzen. Vor diesem Hintergrund ist auch der Austausch von Studie-renden, Schülerinnen und Schülern, Auszubildende und Lehrkräften im Rahmen von Erasmus+ weiter-hin von hoher Bedeutung. Er kann helfen, Vorurteile und Ressentiments abzubauen und das Gemein-schaftsgefühl innerhalb der EU zu stärken. Auch der Sport hat europaweit eine wichtige gesellschaftliche, soziale und wirtschaftliche Funktion. Durch den Vertrag von Lissabon wurden der europäische Sport und seine integrative Kraft gestärkt. Europa soll für den Sport Rahmenbedingungen schaffen, um sowohl den Leistungs- als auch den Brei-tensport zu ermöglichen. Eine Förderung und Unterstützung des Sports, insbesondere in seiner ehren-amtlichen und lokalen Struktur, aber auch die Wahrung der Integrität des Spitzensports durch den Kampf gegen Doping und Korruption ist daher auch Aufgabe der Europäischen Union. Die Europäische Union definiert sich über ihre 28 Mitgliedstaaten und hunderte von unterschiedlichen Regionen verschiedenster Prägung. Der Erhalt und die Pflege regionaler Besonderheiten sowie der verschiedensten Kulturschätze überall in Europa sind genauso bedeutsam wie eine vereinheitlichte europäische Agenda in ausgewählten Politikbereichen. Nicht jede Angelegenheit in Europa ist auch eine Angelegenheit der EU. Vor diesem Hintergrund wird auch die Ankündigung der Kommission be-grüßt, sich auf wesentliche Bereiche zu beschränken.

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    In den nächsten Monaten werden diese und andere strukturelle Fragen in ganz Europa eine besondere Rolle spielen. Durch das anstehende Referendum über den Verbleib Großbritanniens in der Europäi-schen Union werden einige Grundsatzfragen gestellt werden. Dabei muss es unser aller Ziel sein, Großbritannien in der EU zu halten, gleichzeitig aber auch den Ängsten, die viele Menschen der Euro-päischen Union gegenüber hegen, wirksam zu begegnen, um diese auszuräumen.

    11. Aus all jenen Gründen ist die Arbeit der neuen Europäischen Kommission auch für das Land Hessen in besonderer Weise von Bedeutung. Die Hessische Landesregierung geht davon aus, dass die Kommissi-on ihre Kraft gewinnbringend zum Wohle der Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union ein-setzt. Gleichzeitig wird sie weiterhin darauf dringen, dass die Wahrung des Subsidiaritäts- und des Ver-hältnismäßigkeitsprinzips eingehalten wird, die Rechtssetzung verbessert und die Zusammenarbeit mit den Institutionen – insbesondere auch den nationalen Parlamenten – ausgebaut wird.

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    III. Grundsätzliche Fragen der Europapolitik und Themensetzungen mit besonderem Hessenbezug

    A. Grundsätzliche Fragen der Europapolitik - Subsidiarität

    Gemäß Art. 5 Abs. 3 EUV wird die Union – nach dem Subsidiaritätsprinzip – in den Bereichen, die nicht in ihre ausschließliche Zuständigkeit fallen, nur tätig, sofern und soweit die Ziele der in Be-tracht gezogenen Maßnahmen von den Mitgliedstaaten weder auf zentraler noch auf regionaler oder lokaler Ebene ausreichend verwirklicht werden können, sondern vielmehr wegen ihres Um-fangs oder ihrer Wirkungen auf Unionsebene besser zu verwirklichen sind. Die Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips sowie die Wahrung der Kompetenzordnung und der Verhältnismäßigkeit sind entscheidende Voraussetzungen dafür, dass Vertrauen in die und Zustimmung zur EU ge-stärkt werden sowie die Gestaltungsmöglichkeiten hessischer und deutscher Politik gewahrt blei-ben.

    Die Hessische Landesregierung setzt sich für eine Beachtung dieser Grundsätze insbesondere bei der Ausübung jeglichen legislativen Initiativ-rechts ein. Reaktionen der nationalen und regionalen Parlamente müssen intensiver, umfassender und glaubwürdiger zu jedem Zeitpunkt – vor und nach dem Einbringen eines Legislativaktes – be-achtet werden. Zudem sollten alle Subsidiaritätsrügen nationaler Parlamente für das Quorum ge-wertet werden; nicht nur solche, die auf die Subsidiarität im engeren Sinne abzielen, sondern auch jene, die Zuständigkeits- und Verhältnismäßigkeitsfragen zum Gegenstand haben. So sind z.B. Bereiche wie Bildung, Kultur oder Gesundheitspolitik Sache der Mitgliedstaaten; eine Kompe-tenz der EU gibt es nicht und wird auch zukünftig abgelehnt.

    - Schwerpunktsetzung Hessen setzt sich seit Jahren für eine Priorisierung der Kommissionsaktivitäten auf diejenigen Poli-tikbereiche ein, in denen das Handeln der Union zweckmäßiger ist als das Handeln einzelner Mit-gliedstaaten oder Regionen; eine klare Schwerpunktsetzung der Kommission, wie sie Kommissi-onspräsident Juncker unterstrichen hat, ist im Interesse der Menschen Europas und der EU selbst. Insofern wird auch die Einrichtung der Position eines Ersten Vizepräsidenten, der dieses Thema schwerpunktmäßig voranbringen soll, ausdrücklich begrüßt. Die Hessische Landesregierung unter-stützt zudem grundsätzlich, dass die Europäische Kommission in ihr aktuelles Arbeitsprogramm lediglich 23 neue Initiativen für das Jahr 2015 aufgenommen hat und somit ihrem Ziel einer inhalt-lichen Schwerpunktsetzung und Priorisierung bereits in ihrem Arbeitsprogramm Rechnung trägt.

    Die Hessische Landesregierung setzt sich dafür ein, dass sich die Kommission wieder mehr an den Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung hält und nur dann handelt, wenn ein grenzüberschreitender Bezug eindeutig ist. Sie sollte keine rein innerstaatlichen Sachverhalte regeln wollen und muss sich selbst bei Vorliegen von EU-Kompetenzen auf die für die EU zentralen politischen Punkte konzentrieren und zu weniger Erfor-derlichem keine Vorschläge machen. Auch im Bereich des Katastrophenschutzes sind primär die Mitgliedstaaten zuständig und verant-wortlich; es darf keine weiteren Initiativen geben, die Staaten dazu verleiten (könnten), ihre Kapa-zitäten zu reduzieren und im Notfall auf die Unterstützungsleistungen anderer Mitgliedstaaten zu-rückzugreifen. Auch ist es nicht Aufgabe der EU, vorhandene Defizite in den Mitgliedstaaten durch einen Selbsteintritt zu kompensieren oder eigene (Spezial-)Ressourcen vorzuhalten. Hier obliegt es den Mitgliedstaaten, durch länderübergreifende Kooperationen eigenverantwortlich zusam-menzuwirken, um Synergieeffekte zu realisieren.

    - Folgenabschätzung Durch die Folgenabschätzung der Europäischen Kommission soll die Entwicklung politischer Maß-nahmen strukturiert und unterstützt werden. Herausforderungen und Zielvorgaben, die verschie-

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    denen Optionen zur Erreichung der Ziele und die voraussichtlichen Folgen des vorgelegten Kon-zeptes sollen konkret erfasst und bewertet werden.

    Die Hessische Landesregierung setzt sich dafür ein, dass die Vor- und Nachteile jeder möglichen Maßnahme unvoreingenommen und transparent un-tersucht werden und dass dieses Instrument von der Kommission bei der Ausübung ihres legislati-ven Initiativrechts ernst genommen wird. Die Errichtung eines von der Kommission unabhängigen europäischen Folgenabschätzungsgremiums ist sorgfältig zu prüfen.

    - Durchführungsrechtsakte und delegierte Rechtsakte Zwar obliegt der Vollzug verbindlicher EU-Rechtsakte grundsätzlich den mitgliedstaatlichen Exeku-tiven, jedoch bedarf es in eng begrenzten Ausnahmefällen eines europaweit einheitlichen Voll-zugs. In diesem Fall nimmt die Kommission ihre Durchführungsbefugnisse wahr und erlässt sog. Durchführungsrechtsakte, Art. 291 AEUV.

    Die Hessische Landesregierung setzt sich dafür ein, die Verabschiedung von Durchführungsrechtsakten wegen der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für den Vollzug gesetzlicher EU-Vorgaben auf das erforderliche Maß zu beschränken. Außerdem müssen bei der Konzeption der Durchführungsrechtsakte fachbezogen Vertreter der Mitgliedstaa-ten (bzw. der Regionen) beteiligt werden. Gleiches gilt für die delegierten Rechtsakte, bei denen der Gesetzgeber der Kommission die Be-fugnis zum Erlass von Maßnahmen überträgt, um den Basisrechtsakt hinsichtlich nicht wesentli-cher Bestimmungen zu ergänzen oder zu ändern. Auch hier muss – aufgrund der demokratischen Legitimation des Gesetzgebers – der Erlass auf das erforderliche Maß beschränkt bleiben.

    - Bürokratieabbau – Verringerung von Verwaltungsaufwand und Verwaltungskosten Bürokratieabbau und bessere Rechtsetzung sind für die neue Europäische Kommission Leitthe-men. Dabei zielt die Kommission nicht nur auf zukünftige Vorhaben, sondern kündigt auch an, be-stehendes Recht umfassend zu überprüfen und wo erforderlich unnötige Bürokratie abzubauen. Sie hatte zur Erstellung ihres Arbeitsprogrammes sämtliche noch auf dem Tisch liegenden Vor-schläge der Vorgänger-Kommission auf den Prüfstand gestellt und wird ihr sog. „REFIT“-Programm fortsetzen. Die Kommission betont, die Lasten, die den Verwaltungen der Mitgliedstaa-ten zur Erfüllung von politischen Zielen der EU auferlegt werden, ausgewogen zu gestalten. So nimmt beispielsweise in den Förderprogrammen der europäischen territorialen Zusammenarbeit - etwa INTERREG B Nordwesteuropa - zwar teilweise der Verwaltungsaufwand für die Begünstigten ab, der Verwaltungsaufwand, insbesondere der Prüfaufwand für die Mitgliedstaaten nimmt je-doch zu. Ziel einer besseren Regulierung muss es sein, zum einen größere Akzeptanz für EU-Entscheidungen bei den Bürgerinnen und Bürgern zu erreichen, zum anderen v.a. kleine und mitt-lere Unternehmen (KMU) von bürokratischen Lasten zu befreien. Die Hessische Landesregierung begrüßt in diesem Zusammenhang ausdrücklich den Willen der Kommission zu einer besseren Rechtsetzung und setzt hierin große Hoffnung.

    Die Hessische Landesregierung setzt sich dafür ein, alle rechtlichen Festlegungen, die die EU-Mitgliedstaaten verpflichten, Kontrollen oder Erhebun-gen durchzuführen und über den Sachstand zu berichten, auf den Prüfstand zu stellen und zu-künftig so weit als möglich zu vermeiden; der Verwaltungsaufwand, der aus diesen Verpflichtun-gen erwächst, muss in einem ausgewogenen Verhältnis zum gewünschten sachlichen und politi-schen Ziel stehen. Weiterhin sollte das Mandat der Hochrangigen Gruppe für den Abbau von Verwaltungslasten, das mit dem Ablauf der letzten Legislaturperiode ausgelaufen ist, neu vergeben werden - vor allem mit dem Schwerpunkt der ex-ante Überprüfung von Gesetzesvorhaben der Kommission im Hin-blick auf deren Auswirkungen auf KMU. Zudem sollte, nachdem die Modernisierung des EU-Beihilferechts aus Sicht der Kommission im Wesentlichen abgeschlossen ist, nunmehr das Augenmerk in diesem Bereich auf die Umsetzung und Anwendung des neuen Sekundärrechts gerichtet werden; die Forderung nach einer Erhöhung

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    der De-minimis-Beihilfen auf einen Höchstbetrag von 500.000 EUR (über drei Jahre) wird aus-drücklich unterstützt. Zudem sollte die Kommission ein klares Bekenntnis gegen die Einführung eines Zentralregisters aussprechen.

    - Transparenzregister Gemäß Art. 4 Abs. 2 EUV achtet die Union die nationale Identität der Mitgliedstaaten, die in ihren grundlegenden politischen und verfassungsmäßigen Strukturen einschließlich der regionalen oder lokalen Selbstverwaltung zum Ausdruck kommt. Nach Art. 4 Abs. 3 EUV achten und unterstützen sich die Union und die Mitgliedstaaten nach dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit gegen-seitig bei der Erfüllung der Aufgaben, die sich aus den Verträgen ergeben.

    Die Hessische Landesregierung setzt sich dafür ein, dass bei den Verhandlungen zwischen Europäischer Kommission und Europäischem Parlament über die konkrete Ausgestaltung des künftigen Transparenzregisters, das im Grundsatz begrüßt wird, darauf geachtet wird, dass die Rolle der deutschen Länder und ihrer Vertretungen bei der EU ihrer Stellung im – nationalen wie europäischen – institutionellen Gefüge entsprechend ange-messen berücksichtigt wird. Hessen ist wie alle deutschen Länder negativ von der Neufassung des Transparenzregisters betroffen, da dieses die verfassungsrechtliche Stellung der deutschen Län-der, deren Vertretungen bei der Europäischen Union in Brüssel keine Lobbyvertretungen sind, un-zureichend berücksichtigt (vgl. dazu auch den Beschluss des Bundesrates vom 7.11.2014).

    - Deutsche Sprache Die deutsche Sprache ist die am häufigsten in der EU gesprochene Muttersprache und eine sehr häufig gesprochene Fremdsprache. Für Unternehmen und Bürgerinnen wie Bürger ist es grundle-gende Voraussetzung für die aktive Teilnahme am europäischen Leben, dass Informationen in deutscher Sprache bereitstehen. In der Sprachenpraxis der europäischen Institutionen, insbeson-dere der Europäischen Kommission, ist aber eine zunehmende Benachteiligung der deutschen Sprache festzustellen. Deshalb sollten bei der Umsetzung und Anwendung von Sekundärrecht – etwa des EU-Beihilferechts - MEMOs, FAQs, Comfort Letters, Leitfäden, Handbücher und Kom-pendien auch in deutscher Sprache zur Verfügung stehen.

    Die Hessische Landesregierung fordert daher, dass die deutsche Sprache als Arbeitssprache neben dem Englischen und Französischen vollum-fänglich gleich behandelt wird – beim Verwaltungshandeln ebenso wie bei der Öffentlichkeitsar-beit. In der Praxis erscheint ein Großteil der auch an deutschsprachige Akteure (z.B. Verwaltun-gen, Unternehmen sowie Bürgerinnen und Bürger) gerichteten Dokumente erst mit Zeitverzöge-rung (wenn überhaupt) in deutscher Sprache. Dies kann z.B. bei Ausschreibungen und Förderpro-grammen einen Nachteil bedeuten. Bereits im Herbst 2008 hat die Hessische Landesregierung diesbezüglich eine Resolution verfasst, die damals 18 Regionen und über 40 Abgeordnete des Eu-ropäischen Parlaments unterzeichnet hatten; die seinerzeitigen Forderungen sind nach wie vor aktuell.

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    B. Themensetzungen mit besonderem Hessen-Bezug Vor dem Hintergrund der Kernkompetenzen des Standorts Hessen ergeben sich die nachfolgend aufge-führten strategischen Schwerpunkte der Hessischen Landesregierung.

    1. Wirtschaftsstandort Hessen - Investitionsoffensive

    Angesichts vergleichsweise niedriger Investitionen in Europa stellte die Kommission am 26. No-vember 2014 in ihrer Mitteilung "Eine Investitionsoffensive für Europa" ein Investitionsprogramm vor, um die Investitionstätigkeit zu fördern und zu beleben, die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken und mehr Wachstum und mehr Arbeitsplätze in Europa zu schaffen. Dieses unterstützenswerte Programm basiert im Kern auf der Errichtung eines neuen Europäischen Fonds für strategische In-vestitionen (EFSI) zur Mobilisierung von mindestens 315 Mrd. Euro an zusätzlichen privaten und öffentlichen Investitionen.

    Die Hessische Landesregierung setzt sich dafür ein, dass wirtschaftliche Kriterien sowie die Qualität oder die Notwendigkeit der Maßnahmen im Mit-telpunkt stehen. Die Mittel sind dann sinnvoll eingesetzt, wenn das Investitionsprojekt eine hin-reichende Rendite aufweist und/oder einen nachprüfbaren, nachhaltigen volkswirtschaftlichen oder innovationsfördernden Nutzen stiftet. Bei der Errichtung des EFSI ist darauf zu achten, dass der bürokratische Aufwand und die Kosten möglichst gering gehalten werden. Das Verfahren zur Aufnahme und Priorisierung von Projekten muss objektiv und transparent ausgestaltet werden. Dabei sollte nicht zwischen öffentlichen und privaten Investitionsprojekten differenziert werden. Die Verwendung von Horizont-2020-Mitteln zur anteiligen Finanzierung des EFSI wird kritisch ge-sehen.

    - Fortentwicklung der stabilitätsorientierten Finanzmarktreformen Für Frankfurt als größtem kontinentaleuropäischem Finanzstandort und zentralem Finanzplatz des Euroraums sowie zur dauerhaften Überwindung der Krise und einer dauerhaften Stabilisierung des Finanzsektors sind ein stabiles regulatorisches Umfeld und harmonisierte Rahmenbedingun-gen mindestens in der EU wesentlich. Das Ziel stabiler, verantwortungsbewusster Finanzmärkte, die ihre dienende Funktion für die Realwirtschaft wahrnehmen, wurde in den vergangenen fünf Jahren auf verschiedenen Treffen der G20 mit einer umfangreichen Agenda vorangetrieben. Auf europäischer Ebene wurden zwischenzeitlich rund 40 Maßnahmen zur Krisenbekämpfung und -prävention verabschiedet. Auch wurde einem der zentralen Probleme, der wechselseitigen Ab-hängigkeit von Staatshaushalten und Banken, durch Verabschiedung der Legislativvorschläge zur Bankenunion Rechnung getragen. Der Prozess ist sowohl auf internationaler wie auf europäischer Ebene nicht abgeschlossen. Primäres Ziel muss nach wie vor die Gewährleistung von Finanzmarkt-stabilität sein. Dazu zählt, dass alle Finanzmärkte, deren Teilnehmer sowie alle Finanzprodukte ei-ner international abgestimmten und europaweit einheitlichen Regulierung und Beaufsichtigung unterliegen, um insoweit einen Wettbewerb unter den Finanzplätzen und Börsen zu vermeiden. Noch bestehende Regulierungs- und Aufsichtslücken müssen gezielt geschlossen werden.

    Die Hessische Landesregierung setzt sich dafür ein, dass die Kommission die noch ausstehenden Legislativvorschläge (z.B. zu den Schattenbanken) zügig vorlegt und dass die sich im Gesetzgebungsprozess befindlichen Legislativvorschläge (z.B. Bankenstrukturreform, Geldmarktfonds, Benchmarks) hohe Priorität genießen. Erstes Ziel muss nach wie vor die Gewährleistung von Finanzmarktstabilität sein. Dem Anlegerschutz und der Transparenz ist bei der Regulierung der Märkte angemessen Geltung zu verschaffen. Die Landes-regierung betont in diesem Zusammenhang die elementare Bedeutung eines effektiven Verbrau-cherschutzes und der Erhöhung der Transparenz bei Finanzprodukten. Entsprechende Ankündi-gungen der Kommission wurden und werden von der Hessischen Landesregierung befürwortet.

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    Im Sinne einer Feinjustierung müssen die Finanzmarktreformen der vergangenen Jahre auf ihre kumulative Wirkung und auf mögliche Hindernisse hinsichtlich der nachhaltigen Finanzierung der Wirtschaft und der Förderung von Wachstum und Investitionen regelmäßig analysiert werden. Hierbei sollen die Auswirkungen auf die nationalen Bankenstrukturen, insbesondere die für die KMU-Finanzierung wichtigen kleineren, regional tätigen Institute (wie Sparkassen und Genossen-schaftsbanken) und die Förderbanken berücksichtigt werden. Auf internationaler Ebene muss der Reformdruck wegen der Konsequenzen von Finanzmarktkrisen für das globale Finanzsystem und unter Wettbewerbsgesichtspunkten aufrechterhalten werden. Daneben unterstützt die Hessische Landesregierung das Ziel der Kommission im Grünbuch „Schaf-fung einer Kapitalmarktunion“, grenzüberschreitende Investitionen in der EU zu stärken und den Zugang von Unternehmen zu alternativen Finanzierungsmöglichkeiten zu erleichtern. Hiermit sol-len Maßnahmen angestoßen werden, die darauf zielen, die Diversifizierung der Finanzierungs-möglichkeiten der Wirtschaft zu fördern und einen „echten Kapitalbinnenmarkt“ zu schaffen. Hierbei ist dem Verbraucher- und Anlegerschutz, insbesondere für Kleinanlegerinnen und Kleinan-leger besondere Bedeutung beizumessen. Die Schaffung einer Kapitalmarktunion sollte auch als erwachsende Chance genutzt werden, verstärkt wirtschaftliche, ökologische und soziale Nachhal-tigkeitskriterien in den europäischen Kapitalmarkt einzuführen und dauerhaft zu etablieren.

    - REACH Die Verordnung zur Registrierung, Evaluation und Zulassung von Chemikalien (REACH) trat am 1. Juni 2007 in Kraft. Sie zentralisierte und vereinfachte das Chemikalienrecht europaweit, insbeson-dere das Zulassungsverfahren. Von Seiten der KMU werden häufig finanzielle und personelle Be-lastungen durch eben jenes Zulassungsverfahren kritisch hinterfragt. Zwar lassen sich durch den Zusammenschluss mehrerer Unternehmen/Anwendungen in einem Konsortium Kosten und Auf-wand durch eine gemeinsame Zulassung reduzieren. Jedoch bedeutet dies trotzdem gerade für KMU einen enormen (Mehr-)Aufwand und evtl. auch einen Verlust von Know-how.

    Die Hessische Landesregierung setzt sich dafür ein, dass die REACH-Verordnung mit dem Ziel evaluiert wird, den im Zusammenhang mit der Umset-zung ihrer Vorgaben entstehenden personellen und finanziellen Aufwand, insbesondere für KMU, zu minimieren.

    - „Made in Germany“ Immer wieder wird das Siegel „Made in Germany“ durch neue Vorschläge der Kommission in Fra-ge gestellt – zuletzt durch Art. 7 des Verordnungsvorschlags über die Sicherheit von Verbraucher-produkten vom 13. Februar 2013, der eine verpflichtende Kennzeichnung des Ursprungslandes vorsieht.

    Die Hessische Landesregierung setzt sich für die Streichung des Art. 7 und den Verzicht auf neue Vorschläge ein, die geeignet sind, dieses Sie-gel zu gefährden. Das Siegel „Made in Germany“ ist für die deutsche Industrie von hoher allge-mein- und wirtschaftspolitischer Bedeutung und steht der Verbrauchersicherheit nicht entgegen.

    - Bessere Rahmenbedingungen für die Industrie Bereits in den vergangenen Jahren hat sich die Europäische Union auf die Bedeutung des in-dustriellen Sektors für ihre Wertschöpfung zurückbesonnen. Die Kommission hat mehrere Mittei-lungen zur Reindustrialisierung angenommen, die aber bislang noch keine große Wirkungskraft entfaltet haben. Die angekündigte integrierte Binnenmarktstrategie für Waren und Dienstleistun-gen kann durch gegenseitige Anerkennung und Standardisierung wichtige Impulse geben. Hessen ist mit gleich zwei europäischen Raumfahrtzentren, nämlich ESOC und EUMETSAT, ein bedeuten-der Standort der Raumfahrtindustrie. Diese Position sollte gesichert und ausgebaut werden.

    Die Hessische Landesregierung setzt sich für einen Wettbewerbscheck bei allen Gesetzgebungsvorhaben unter Federführung der Generaldi-rektion Binnenmarkt, Industrie, Unternehmertum und KMU sowie bessere Rahmenbedingungen

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    für die Schlüsselindustrien der EU ein. Die digitale Wirtschaft sollte künftig nicht nur Thema der Generaldirektion Kommunikationsnetze, Inhalte und Technologien sein, sondern auch ein Schwerpunkt der Generaldirektion Binnenmarkt, Industrie, Unternehmertum und KMU, da es sich auch hier letztlich um die Erstellung von Industrieprodukten handelt.

    - Langfristige Finanzierung der Wirtschaft Aufgrund der Erfahrungen der Finanz- und Wirtschaftskrise, mit Blick auf die anhaltenden Schwie-rigkeiten bei der Finanzierung der Realwirtschaft in Teilen der EU und nicht zuletzt bedingt durch den enormen Finanzierungsbedarf für Infrastrukturmaßnahmen in den Bereichen Energie, Ver-kehr und Telekommunikation findet seit einiger Zeit eine zunehmende Diskussion um neue Finan-zierungswege der Wirtschaft statt. Die vorhergehende EU-Kommission hat hierzu Ende März 2014 einen Katalog an Maßnahmen vorgestellt, der in erster Linie auf Anstrengungen zur Diversifizie-rung der Finanzierungswege abzielt, zu denen auch der Ausbau der europäischen Kapitalmärkte gehört.

    Die Hessische Landesregierung setzt sich dafür ein, bei jeder Maßnahme stets zu prüfen, ob der jeweilige Finanzierungsweg geeignet ist. Eine stärke-re Diversifizierung der Wege ist zwar grundsätzlich zu begrüßen. Maßnahmen wie der Ausbau der Kapitalmärkte dürfen aber nicht dazu führen, dass die stark regulierten Banken und Versicherun-gen mit Finanzierungsformen konkurrieren müssen, die deutlich weniger reguliert sind. Regulie-rung darf nicht zum Wettbewerbsnachteil für einzelne Finanzierungsformen werden.

    - Europa-GmbH Die deutschen mittelständischen Unternehmen warten seit Jahren darauf, im EU-Ausland kosten-günstig und mit wenig Verwaltungsaufwand Niederlassungen in GmbH-ähnlicher Gesellschafts-form gründen zu können. Das ist derzeit nicht möglich, weil nur auf die diesbezüglichen jeweiligen nationalen Gesellschaftsformen zurückgegriffen werden kann, die in dem jeweiligen Mitgliedstaat angeboten werden. Die Bemühungen, eine sog. Europa-GmbH auf EU-Ebene zu installieren, sind gescheitert (SPE). Die von der EU-Kommission ersatzweise vorgeschlagene SUP unterlag heftiger Kritik (vgl. BR-Drs. 165/14) und sollte nicht weiterverfolgt werden.

    Die Hessische Landesregierung setzt sich dafür ein, die Bemühungen zur Einführung der SPE wieder aufzugreifen, wobei jedoch die Kritikpunkte der deutschen Länder (vgl. BR-Drs. 479/08) Berücksichtigung finden müssen.

    - Kampf gegen Steuerrechtsmissbrauch Immer stärker mehren sich die Hinweise, dass Mitgliedstaaten der Europäischen Union sog. Li-zenzboxen oder ähnliche Konstrukte mit niedrigem Steuersatz schaffen, um Steuersubstrate ins eigene Land zu locken. Beispiele dafür sind die niederländische Lizenzbox mit einem Sondersteu-ersatz von 5 % oder auch das irische Handelsrecht, das Gesellschaften mit Doppelansässigkeit in Irland und Steueroasen in der Karibik zulässt. Gleichzeitig geht es mit der Gemeinsamen konsoli-dierten Körperschaftssteuerbemessungsgrundlage (GKKB) nur langsam voran. Beim automati-schen Steuerinformationsaustausch gibt es dagegen ermutigende Zwischenergebnisse – auch wenn notwendige europa-/weltweite Regelungen noch ausstehen.

    Die Hessische Landesregierung setzt sich für die konsequente und harmonisierte Besteuerung von Unternehmen, insbesondere durch die GKKB ein; doppelte Nichtbesteuerung und doppelter Betriebskostenabzug sowie steuerlicher Missbrauch von Lizenz- und Patentregelungen müssen bekämpft werden. Es bedarf dringend soli-der Regelungen aller EU-Staaten untereinander und mit (europäischen) Drittstaaten zum automa-tischen Datenaustausch. Hessen hat, wie viele andere Regionen in Europa, als Zentrum der Fi-nanzindustrie und grenzübergreifend tätiger Unternehmen ein starkes Interesse daran, dass das hiesige Steueraufkommen nicht künstlich durch aggressive Steuergestaltung geschmälert wird. Die positiven Effekte einer stärkeren Steuerharmonisierung werden jedoch nur dann eintreten, wenn die einheitlichen Unternehmenssteuerregeln in allen Mitgliedstaaten gelten. Eine stärkere

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    Harmonisierung der Unternehmenssteuern in nur wenigen Mitgliedstaaten im Wege der verstärk-ten Zusammenarbeit birgt dagegen die Gefahr, dass neue Anreizsysteme in den Staaten, die sich der verstärkten Zusammenarbeit entziehen, den Steuerwettbewerb in Europa neu anheizen und dadurch in den anderen Staaten Besteuerungssubstrat gefährden.

    - TTIP Eine der am stärksten medial verfolgten Aufgaben der neuen Kommission wird es sein, die Ver-handlungen zum Freihandelsabkommen TTIP (Transatlantic Trading and Investment Partnership) mit den USA fortzusetzen und abzuschließen. TTIP ist für Hessen als Wirtschaftsstandort (2013 gingen elf Prozent aller hessischen Ausfuhren mit einem Güterwert von 60 Mrd. Euro in die USA) und als bedeutender Standort deutsch-amerikanischer Beziehungen (weltweit größtes US-Generalkonsulat, Hauptquartier der US-Streitkräfte in Europa) von sehr hoher Bedeutung.

    Die Hessische Landesregierung setzt sich dafür ein, dass die Verhandlungen fair und im Sinne größtmöglicher Transparenz u.a. durch die Bereitstel-lung angemessener aktueller Unterlagen - möglichst auch in deutscher Sprache - geführt werden. Dabei müssen die europäischen Qualitätsstandards und v.a. nationale Regelungen und Standards in den Bereichen Umwelt-, Tier-, Klima-, Daten-, Gesundheits- und Verbraucherschutz erhalten bleiben. Das beabsichtigte Investorenschutzabkommen muss auf seine Notwendigkeit hin noch-mals kritisch überprüft werden. Das Land Hessen sieht Bestimmungen zum Investitionsschutz ein-schließlich Investor-Staat-Schiedsverfahren in Abkommen mit OECD-Staaten aufgrund der dort bestehenden Rechtschutzmöglichkeiten grundsätzlich als nicht erforderlich an. Es wird erwartet, dass Handlungsspielräume der Europäischen Union sowie der Parlamente und Regierungen der Mitgliedstaaten gesichert und auf diesem Wege auch die demokratischen Einflussmöglichkeiten ihrer Bürgerinnen und Bürger darauf gewahrt werden und Investitionsstreitigkeiten vor nationa-len Gerichten verhandelt werden können. Die Bereichsausnahme für Kultur und audiovisuelle Medien muss eingehalten werden. Die Bildung betreffende Dienstleistungen sollen nicht über das derzeitige Regelungsniveau hinaus durch das Abkommen erfasst werden.

    2. Wissenschaftsstandort Hessen

    - Europäischer Forschungsraum (EFR) Der Europäische Rat hat 2011 die „Vollendung“ des Europäischen Forschungsraums als „echter Binnenmarkt für Wissen, Forschung und Innovation“ bis Ende 2014 beschlossen. Wie die Kommis-sion in ihrem zweiten Fortschrittsbericht über den EFR 2014 feststellte, ist der EFR als ein fort-schreitender Prozess zu begreifen. Die frühere Kommission hat für die fehlende Vollendung teil-weise unzureichende Anstrengungen der Mitgliedstaaten verantwortlich gemacht und für die Nachfolgekommission den Weg einer EU-(Rahmen-)Rechtsetzung nicht vollständig ausgeschlos-sen. In der jetzigen EU-Kommission bestehen Tendenzen zu einer europaweiten Verschulung der Promotion.

    Die Hessische Landesregierung setzt sich für einen Verzicht auf solcherlei EU-Rechtsetzung ein, weil hiervon keine Verbesserungen zu erwar-ten sind. Für die Gestaltung des EFR ist für jeden Mitgliedstaat eine auf die unterschiedlichen Ge-gebenheiten der nationalen Systeme angepasste Strategie erforderlich. Harmonisierende Gesetz-gebungsinitiativen sind der Vielfalt der Forschungssysteme und der Selbstständigkeit der Hoch-schulen und Forschungsinstitutionen abträglich und deshalb abzulehnen. Die Hessische Landesre-gierung setzt sich für die deutsche Tradition der Betonung der eigenständigen Forschungsleistung der Doktoranden ein.

    - Horizont 2020

    Das Rahmenprogramm „Horizont 2020“ für Forschung und Innovation ist eines der weltweit größ-ten öffentlich finanzierten Forschungsrahmenprogramme und das bisher größte der Europäischen

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    Union. Die Mittel des vorhergehenden Programms wurden um etwa ein Drittel auf ca. 70 Mrd. Eu-ro für den Programmzeitraum 2014 bis 2020 aufgestockt. Die Hessische Landesregierung begrüßt sehr, welchen Stellenwert die EU der Forschung beimisst. Das Programm „Horizont 2020“ legt Schwerpunkte auf für Hessen wichtige Felder wie u.a. industrielle Technologien, IKT, Umwelt- und Klimafragen und umfasst spezielle Förderinstrumente für kleinere und mittlere Unternehmen. Die Möglichkeiten, die das Programm eröffnet, sind von hoher Relevanz für den Wissenschafts- und Wirtschaftsstandort Hessen.

    Die Hessische Landesregierung setzt sich dafür ein, effiziente Möglichkeiten der Inanspruchnahme sowie einen einfachen und umfassenden Zugang zu Informationen über das Programm sicherzustellen, damit die hessische Forschung, Wirtschaft und Kultur bestmöglich von dem Programm profitieren können.

    3. Arbeitskräftesicherung, EU-Arbeitszeitrichtlinie

    - Fachkräftesicherung - Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit und Arbeitgeberattraktivität Hessen weist eine stabile Konjunktur und gute Arbeitsmarktlage auf. In einigen anderen europäi-schen Regionen ist eine hohe Arbeitslosigkeit feststellbar. Prognosen zufolge werden in Hessen bis 2030 rund 400.000 bis 600.000 Menschen im erwerbsfähigen Alter zwischen 15 und 64 Jahren weniger leben. Bereits jetzt haben viele Unternehmen Schwierigkeiten, qualifizierte Mitarbeite-rinnen und Mitarbeiter zu finden. Die Versorgung der Wirtschaft mit Fachkräften ist in Hessen ei-ne der großen gesamtgesellschaftlichen Zukunftsaufgaben zur Sicherung des sozialen und wirt-schaftlichen Wohlstands. Der Wirtschaft kommt dabei eine besondere Verantwortung zu. Die Landesregierung unterstützt die Wirtschaft und setzt in ihrer strategischen Ausrichtung auf eine umfassende Fachkräftesicherung als Arbeitskräftesicherung mit den Elementen Gewinnung von Fachkräften aus dem In- und Ausland, vereinfachte Verfahren zur Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen, Sicherung der Fachkräfte in den Unternehmen durch berufliche Qualifizie-rung, Erhalt von Beschäftigungsfähigkeit und Schaffung alter(n)sgerechter, attraktiver, gesunder und sicherer Arbeitsplätze sowie Arbeitgeberattraktivität. Die Strategie des Landes zur Sicherung der Fachkräftebasis, das Gesamtkonzept „Fachkräftesicherung Hessen“, basiert demgemäß auf einem Strategiemix aus Bildung, Arbeitsmarktpolitik und Internationalisierung. Auf die Handlungs-felder Steigerung der Frauenerwerbsquote, Integration von Arbeitslosen und Benachteiligten in den Arbeitsmarkt, Fachkräfteanwerbung insbesondere im europäischen Ausland, Aus- und Wei-terbildung sowie Erhalt und Förderung der Beschäftigungsfähigkeit der Beschäftigten in Hessen richtet sich ein besonderes Augenmerk. Die Hessische Landesregierung setzt sich dafür ein, dass bei europäischen Initiativen auch der Vielfalt - der regionalen Arbeitsmärkte und unter-schiedlichen Fachkräftebedarfe Rechnung getragen wird. Es dürfen keine Regelungen getroffen werden, die lokale Akteure in ihrer Handlungsfreiheit einschränken. Zudem sind die Aspekte Fachkräftesicherung, Beschäftigungsfähigkeit und Arbeitgeberattraktivität zu berücksichtigen. Re-gionalen Initiativen ist der größtmögliche Spielraum und Vorrang vor europäischen Regulierungen einzuräumen. Demgemäß sollen die neuen Initiativen zur Förderung der Integration und der Ver-mittelbarkeit auf dem Arbeitsmarkt, das Maßnahmenpaket für die Mobilität der Arbeitskräfte und die Europäische Migrationsagenda ausgerichtet und konkretisiert werden. Zudem soll bereits bei der Vorbereitung europäischer Initiativen und Regelungen deren mögliche Auswirkungen auf die Fachkräftebasis geprüft werden. Auch auf europäischer Ebene sollen förderliche Rahmenbedin-gungen für eine nachhaltige Sicherung der Fachkräftebasis in den Regionen geschaffen werden, beispielsweise durch den weiteren Ausbau der Förderung der Arbeitskräftemobilität.

    - EU-Arbeitszeitrichtlinie und Ehrenamt Bereits im Jahr 2005 unterbreitete die Kommission zur Änderung der Arbeitszeitrichtlinie

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    2003/88/EG Vorschläge und führte EU-Sozialpartnerkonsultationen durch, die bisher gescheitert sind. Diskutiert wurde dabei auch über die Einbeziehung ehrenamtlich Tätiger, insbesondere der Freiwilligen Feuerwehr. Im Dezember 2014 hat die Kommission die öffentliche Konsultation zur Überarbeitung der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. No-vember 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung, der sog. „EU-Arbeitszeitrichtlinie“ eröffnet. Ziel der öffentlichen Konsultation, die bis 15. März 2015 durchge-führt wurde, ist es, im Rahmen der laufenden Überprüfung und Folgenabschätzung und hinsicht-lich einer möglichen Änderung der Richtlinie Meinungen und Beiträge der Öffentlichkeit einzuho-len.

    Die Hessische Landesregierung setzt sich für den Verzicht auf eine Ausweitung der EU-Arbeitszeitrichtlinie auf ehrenamtliche Tätigkeiten in Feuerwehren und anderen Diensten ein. Dies würde die Möglichkeiten für abhängig Beschäftigte, sich neben ihrer beruflichen Tätigkeit ehrenamtlich zu engagieren, so erheblich einschränken, dass viele für den gesellschaftlichen Zusammenhalt notwendige Funktionen gar nicht mehr über-nommen werden könnten; würden die ehrenamtlich Aktiven den Beschränkungen der Arbeitszeit-richtlinie unterworfen, wäre das in Deutschland und vielen andern Mitgliedstaaten etablierte und erfolgreiche System der Bürgergesellschaft nachhaltig und massiv gefährdet. Eine Regelung auf europäischer Ebene, die im Ergebnis dazu führt, Menschen von freiwilligem Engagement abzuhal-ten und damit die in Deutschland seit langem bewährten Strukturen zu zerschlagen, wäre eine verhängnisvolle Entwicklung und würde die Bemühungen um die Förderung ehrenamtlichen En-gagements konterkarieren. Im Text einer neuen Richtlinie sollte daher unmissverständlich klarge-stellt werden, dass ehrenamtlich Tätige keine Arbeitnehmer im Sinne der EU-Arbeitszeitrichtlinie sind und daher nicht von deren Anwendungsbereich erfasst werden, da ansonsten zu befürchten ist, dass sich eine unterschiedliche Rechtspraxis und -auslegung etabliert.

    4. Bildung, Ausbildung

    - Bildung Gemäß Art. 165, 166 AEUV ist die EU im Bildungsbereich darauf beschränkt, die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten zu fördern. Die Verantwortung der Mitgliedstaaten für die Lehrin-halte muss sie strikt beachten. In der Bildungspolitik gilt explizit das vertraglich festgeschriebene Harmonisierungsverbot.

    Die Hessische Landesregierung setzt sich dafür ein, dass die Kommission bei der Ausübung ihres Initiativrechts darauf achtet, die Bildungshoheit der Mitgliedstaaten nicht – auch nicht reflexartig (z.B. durch Maßnahmen zur Bekämpfung der Ju-gendarbeitslosigkeit) – zu beschränken; ihr bildungspolitischer Ansatz (u.a. durch regelmäßig durchgeführte Abfragen, Bildungsberichte und Empfehlungen) darf die grundsätzliche Zuständig-keit der Mitgliedstaaten nicht in Frage stellen.

    - Meisterbrief - Duale Ausbildung – Anerkennung von beruflichen Qualifikationen Mit der Transparenzinitiative der Europäischen Union werden die Mitgliedstaaten verpflichtet, Änderungen im Bereich der Berufsreglementierung zu melden. Darüber hinaus bestehen Prüf- und Nachweispflichten, dass das bestehende Maß an Reglementierung verhältnismäßig ist und keine Diskriminierungstatbestände öffnet. Vor dem Hintergrund wachsender Mobilität auf euro-päischen Arbeitsmärkten beabsichtigt die Kommission, bestehende Berufszugangsbeschränkun-gen der Mitgliedstaaten zu evaluieren.

    Die Hessische Landesregierung setzt sich für eine Anerkennung der erfolgreichen dualen Ausbildung durch die Kommission und ein klares Be-kenntnis zum „Meisterbrief“ und zum „Meistervorbehalt“ ein. Die Qualität der deutschen Ausbil-dungsberufe und der bewährten dualen Ausbildung hängt u.a. vom Erhalt des Meisterbriefs und

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    des Meistervorbehaltes ab. Die Transparenzinitiative sowie die Umsetzung der novellierten Be-rufsanerkennungsrichtlinie müssen der hohen Bedeutung der beruflichen Bildung in Deutschland Rechnung tragen. Das deutsche Handwerk und das deutsche Berufsausbildungssystem sind welt-weit anerkannt und tragen mit dazu bei, dass die Jugendarbeitslosigkeit hierzulande niedriger ist als in den meisten anderen europäischen Staaten. Das Ziel der Kommission, Diskriminierungstat-bestände im Bereich der Arbeitskräftemobilität abzumildern und eine Plattform für den Austausch über die Entwicklung bestehender Berufsreglementierungen im Binnenmarkt zu schaffen, wird begrüßt. Das mit der Berufsanerkennungsrichtlinie geschaffene Recht auf ein Anerkennungsver-fahren leistet einen Beitrag zur Sicherung der Fachkräftesicherung und ist ein Zeichen der Wert-schätzung gegenüber Menschen mit ausländischen Wurzeln.

    - Erasmus + Mit der Fortschreibung der Programme im aktuellen mehrjährigen Finanzrahmen wurden alle bis-herigen Austausch- und Fortbildungsprogramme (Erasmus, Leonardo, Comenius etc.) zusammen-gefasst; erstmals wurde dabei auch der Sport programmatisch aufgenommen.

    Die Hessische Landesregierung setzt sich dafür ein, dass die Umsetzung unbürokratisch und bürgerfreundlich ausgestaltet wird; Bewerbungsverfah-ren müssen aus Sicht der Hochschulen und Schulen sowie der Auszubildenden, Schülerinnen und Schüler und Studierenden vereinfacht werden und es ist zu vermeiden, dass vorhandene Mittel aufgrund zu komplizierter Verfahren nicht abgerufen werden. Die europäischen Austauschpro-gramme sind - nicht nur vor dem Hintergrund hoher Jugendarbeitslosigkeit - Schlüsselprojekte, weil sie identitätsstiftend wirken und ein gemeinsames Bewusstsein für Europa schaffen.

    5. Digitale Gesellschaft - Digitaler Binnenmarkt

    In ihrer Strategie für den digitalen Binnenmarkt vom 6. Mai 2015 fasst die Kommission ihre dies-bezüglichen Ziele und Schwerpunkte zusammen, bleibt aber bei der Konkretisierung noch vage. Die drei Hauptaktionsbereiche, die 16 Einzelvorhaben beinhalten, sind:

    - ein besserer Zugang für Verbraucher und Unternehmer zu digitalen Gütern und Dienst-leistungen in ganz Europa,

    - gleiche Ausgangsbedingungen für digitale Netze und innovative Dienstleistungen - sowie Maximierung der Wachstumspotenziale in der digitalen Wirtschaft.

    Verstärkt wird die schon länger zu beobachtende Tendenz zu weiteren Verlagerungen von natio-nalen Kompetenzen auf die EU-Ebene. Eine Vollharmonisierung der Verbraucherrechte ist kritisch zu sehen, soweit damit eine Absenkung der Standards verbunden wäre. Insbesondere eine Ver-einheitlichung der Telekommunikations- und Frequenzregulierung sowie die geplante europawei-te Genehmigung beurteilt die Hessische Landesregierung kritisch; diese könnte den nationalen und regionalen Wettbewerb in Deutschland erheblich schwächen. Der von der Kommission ge-plante Paradigmenwechsel läuft der Planungssicherheit beim Breitbandausbau in Hessen zuwider und gefährdet diesen insbesondere in den ländlichen Gebieten. Darüber hinaus ist eine Verschiebung der bisher angestrebten Wettbewerbsförderung nationaler Telekommunikationsmärkte hin zu einer europäischen zentral gesteuerten Marktkonsolidierung zugunsten großer Unternehmen erkennbar, was dem Konzept eines digitalen Binnenmarktes wi-derspricht, der doch dazu beitragen sollte, dass für alle Unternehmen ein Wettbewerbsumfeld (level playing field) geschaffen wird, in dem sie (wieder) gleichberechtigt agieren können. Dass die Kommission nun die Themenbereiche Netzneutralität und Roaming in den Fokus nimmt, ist aus hessischer Sicht sehr zu begrüßen.

    Die Hessische Landesregierung setzt sich zur Sicherung der Innovation und eines fairen Wettbewerbs für die Wahrung der Netzneutralität ein. Der diskriminierungsfreie Zugang zu Inhalten und Angeboten muss gewährleistet bleiben und

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    durch die nationale Regulierungsbehörde überwacht werden. KMU müssen beim Digitalisierungs-prozess unterstützt werden. Im Hinblick auf die Roaming-Gebühren in der EU setzt sich Hessen für die völlige Abschaffung der umstrittenen Preisaufschläge für mobile Telefonate und mobile Datennutzung im europäischen Ausland ein.

    - Breitbandausbau Bezüglich des Breitbandausbaus werden weitere erforderliche Rahmenbedingungen im europäi-schen Kontext unterstützt, soweit diese bewirken, dass Maßnahmen auf Europa-, Bundes- und Länderebene ineinandergreifen, die auf eine praxis- und nutzenorientierte Umsetzung hin ausge-richtet sind und die Zielerreichung erleichtern, bzw. überhaupt erst ermöglichen.

    Die Hessische Landesregierung setzt sich dafür ein, dass ein nationaler wettbewerblicher Ansatz erhalten bleibt, regulierte Vorleistungsprodukte wei-terhin im Sinne der Planungssicherheit zur Verfügung stehen, der Einsatz von (EU-)Fördergeldern für Breitbandausbau-Projekte auch bei Anwendung von VDSL2-Vectoringtechnik ermöglicht und die Öffnung öffentlicher WLAN-Netzwerke rechtssicher gewährleistet wird. Auch sollte das Beihil-ferecht insgesamt vereinfacht werden, um Investitionen in den Infrastrukturausbau sinnvoll zu unterstützen. Die Allgemeine Gruppenfreistellungsverordnung II mit einigen privilegierenden Tat-beständen ist ein erster Ansatz in diese Richtung. Zugleich müssen regulatorische Bedingungen geschaffen werden, die Investitionen in den Netzausbau planungssicher und lohnend machen und Aspekten wie Netzneutralität und Verbraucherschutz Rechnung tragen.

    - Europäisches Urheberrecht Durch das Internet möglich gewordene Geschäftsmodelle stellen neue Anforderungen an das Ur-heberrecht, sodass der Rechtsrahmen zum Schutz von geistigem Eigentums und Nutzungsrechten (z.B. Sportübertragungen) fortlaufend überprüft und weiterentwickelt werden muss. Die Europäi-sche Union hat sich eine grundlegende Reform des Urheberrechts zum Ziel gesetzt. Das Europäi-sche Parlament hat mit der Festlegung einer Linie begonnen. Die Kommission hat für September 2015 einen konkreten Regelungsvorschlag angekündigt.

    Die Hessische Landesregierung setzt sich dafür ein, - dass ein EU-Urheberrecht die Potenziale der digitalen Welt stärkt und ein faires Einkommen

    für die Kreativschaffenden sichert. Gerade für das Land Hessen, eine der Hochburgen der Kul-tur- und Kreativwirtschaft in Europa, ist ein modernes Urheberrecht, das einen angemessenen Interessenausgleich zwischen den Verwertern und Nutzern einerseits und den Urhebern bzw. Rechteinhabern von Werken andererseits findet, von zentraler Bedeutung. Gerade auch im In-ternet muss die Verfügungsgewalt über Werke, die Vergütung für Werknutzung und die Durchsetzung der Ansprüche gesichert sein. Der Schutz von Nutzungsrechten soll dabei auch für den Bereich des Sports gewährleistet werden.

    - Digitaler Verbraucherschutz und Sicherstellung der Privatsphäre

    Die Entwicklung der digitalen Medien hat neben neuen Freiheiten und Annehmlichkeiten zugleich neue Abhängigkeiten und Gefährdungen zur Folge, welche die Privatsphäre der Bürgerinnen und Bürger durch nachrichtendienstliche Tätigkeiten anderer Staaten, kriminelle Eingriffe und das Sammeln und Verarbeiten großer Datenmengen durch Unternehmen ohne ausdrückliche Einwilli-gung der Verbraucher bedroht.

    Die Hessische Landesregierung setzt sich dafür ein, den Datenschutz und den Schutz der Privatsphäre der Bürgerinnen und Bürger so sicherzustellen, dass nicht etwa Unternehmen jeden Moment privater Lebensführung verfolgen und rekonstruie-ren können. Bei der Nutzung personenbezogener Daten, insbesondere auch im Internet, setzt sich die Hessische Landesregierung für einen Einwilligungsvorbehalt und praxisgerechte Wider-spruchsrechte sowie Löschungsmöglichkeiten für den Verbraucher ein. Konkret bedeutet dies, dass bei sozialen Netzwerken die höchste Sicherheitseinstellung voreinzustellen ist, die vom Nut-

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    zer individuell gelockert werden kann. Insbesondere im Rahmen der weiteren Beratungen zur Da-tenschutz-Grundverordnung wird sich die Landesregierung wie bereits im Bundesrat (BR-Drs. 52/12 (Beschluss)(2)) für die Verbraucherinteressen einsetzen.

    - Datenschutz-Paket Das Datenschutzniveau unterscheidet sich in den einzelnen Mitgliedstaaten zum Teil erheblich. Im digitalen Zeitalter sind EU-weite einheitliche Standards beim Datenschutz im Interesse aller. Im Bereich des staatlichen Handelns muss es jedoch weiterhin Spielraum für nationale Besonder-heiten geben. So bereitet beispielsweise der Entwurf der Datenschutz-Richtlinie für den Bereich von Polizei und Strafverfolgung Probleme für einige etablierte Instrumente der Strafverfolgung in Hessen (z.B. die elektronische Fußfessel oder die Häuser des Jugendrechts). Hier ist nicht vorgese-hen, eine Datenverarbeitung durch die mit der Verhütung von Straftaten, Strafverfolgung und Strafvollstreckung befassten Behörden durch eine Einwilligung des Betroffenen zu ermöglichen. Derartige und darüber hinausgehende Bedenken und Kritikpunkte wurden seitens der deutschen Länder und seitens der Bundesrepublik Deutschland bereits mehrfach vorgebracht.

    Die Hessische Landesregierung setzt sich dafür ein, dass in der Datenschutz-Grundverordnung Prinzipien wie Datensparsamkeit, Zweckbindung, aus-drückliche Einwilligung und die Beschränkung des automatisierten Profiling/Scoring verankert werden. Das Niveau der Datenschutzrichtlinie von 1995 darf nicht unterschritten werden, und Ar-tikel 8 der Grundrechtscharta der Europäischen Union muss eingehalten werden. Die Belange von Wissenschaft und Forschung sind angemessen zu berücksichtigen. Bei der Abgrenzung der Datenschutz-Richtlinie und der Datenschutz-Grundverordnung muss si-chergestellt werden, dass die polizeiliche Gefahrenabwehr auch zukünftig einheitlichen Daten-schutzgrundsätzen unterliegt. Es darf kein Verbot in der Art erfolgen, dass wichtige und moderne Ermittlungsmaßnahmen, die derzeit rechtlich möglich und notwendig sind, künftig vereitelt oder unverhältnismäßig erschwert werden. Zudem bedarf es zwingend der Zulassung der Einwilligungsmöglichkeit im Interesse des Betroffe-nen – ggf. in engem Rahmen; es kann nicht im Sinne Europas sein, erfolgreich angewandte In-strumente unmöglich zu machen, obwohl diese im Sinne des Betroffenen sind.

    - Cybersicherheit - NIS-Richtlinie - Digitale europäische Souveränität Soweit im Bereich der Cybersicherheit nationale Regelungen überhaupt bestehen, sind diese als heterogen zu qualifizieren. Um grenzüberschreitende Cyberattacken effektiv abzuwehren, bedarf es einheitlicher EU-Mindeststandards. Dies ist Ziel des Richtlinienentwurfs über Maßnahmen zur Gewährleistung einer hohen gemeinsamen Netz- und Informationssicherheit in der Union (NIS-Richtlinie). Die Richtlinie soll Mitgliedstaaten verpflichten, im Rahmen der Entwicklung einer nati-onalen NIS-Strategie Maßnahmen zur Erhöhung ihrer Abwehrbereitschaft zu ergreifen und ihre Zusammenarbeit untereinander zu verbessern. Zur Umsetzung sollen nationale NIS-Behörden und Computer Emergency Response Teams (CERTs) errichtet und Meldepflichten bei IT-Störfällen für Betreiber kritischer Infrastrukturen statuiert werden. Die Richtlinie soll in Teilen zudem die öffent-liche Verwaltung umfassen, denn gerade Cyberattacken auf staatliche Institutionen führen zu starkem Vertrauensverlust. Durch die Förderung vertrauenswürdiger, sicherer IT-Lösungen in der Kommunikation sowie die Definition gemeinsamer IT-Mindeststandards sollen das Schutzniveau EU-weit gesteigert, die europäische Digitalwirtschaft gestärkt und ein Binnenmarkt für Cybersi-cherheitsprodukte geschaffen werden. Die Hessische Landesregierung setzt sich dafür ein, dass ein hohes EU-weites Schutzniveau der IT- und Cybersicherheit geschaffen wird. Die europäi-sche Harmonisierung hin zu den hohen Standards in Deutschland wird unterstützt und aktiv mit-gestaltet. Vertrauenswürdige, sichere technologische Alternativen in der IT-gestützten Kommuni-kation sind zu fördern, um so das EU-weite Schutzniveau zu steigern, verlorenes Vertrauen wie-derherzustellen und die digitale Souveränität der EU-Mitgliedstaaten zu stärken.

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    6. Verkehr, Klimaschutz und Energie - Schienengüterverkehrslärm

    Stärker als viele andere Regionen ist Hessen - insbesondere im Mittelrheintal und im Rheingau – von massivem Schienengüterverkehrslärm betroffen. Zur „Minderung des Schienengüterverkehrs-lärms“ wurde die Umrüstung von Güterwagen auf leise Bremsen in der Connecting Europe Facility (CEF) als Fördertatbestand aufgenommen. Der Fördersatz von 20% (max. 1% des Gesamtbudgets) deckt allerdings nicht die zusätzlichen Betriebskosten der so ausgerüsteten Wagen. Die Förderung kann aber auch nicht ergänzend zu den Bonuszahlungen des Bundes im Rahmen des lärmabhän-gigen Trassenpreissystems genutzt werden. Für sich genommen decken weder die EU-Förderung noch die Bundesförderung die Mehrkosten der Wagenumrüstung einschließlich der Betriebs-mehrkosten. Lärmgrenzwerte gelten nur für neue Wagen. Zwischenzeitlich hat die Kommission in Umsetzung der RL 2012/34 den Entwurf einer Regulierung für lärmabhängige Trassenpreise vor-gelegt. Dies kann als Argument für eine kumulative Nutzung der EU-seitigen und der nationalen Förderangebote verstanden werden.

    Die Hessische Landesregierung setzt sich für die Ermöglichung einer komplementären Nutzung der Förderangebote von EU und Bund zur Um-rüstung von Güterwagen und den dadurch entstehenden Betriebsmehrkosten auf leise Bremsen ein. Dabei darf es nicht, wie derzeit in der RL 2012/34 geregelt, den Mitgliedstaaten freigestellt bleiben, ob sie von der Möglichkeit lärmabhängiger Trassenpreise Gebrauch machen. Vor diesem Hintergrund setzt sich die Hessische Landesregierung auch für eine europaweite Vereinheitli-chung von Lärmgrenzwerten für Bestandsgüterwagen ein, die, unter Berücksichtigung der erfor-derlichen Vorlaufzeit, so schnell als möglich von den Betreibern umzusetzen sind.

    - Single European Sky Aus Umwelt-, Wirtschafts- und Standortinteressen verfolgt die Europäische Union zu Recht seit Jahren das Ziel, die Fragmentierung des Luftraums mit 50 Flugsicherungszentren und 29 verschie-denen Flugsicherungsorganisationen zu beenden und damit den Luftverkehr in der EU zügiger, umweltfreundlicher und preisgünstiger zu gestalten. Trotzdem kommt die Verwirklichung des Einheitlichen Europäischen Luftraums (SES) nur sehr schleppend voran. Eine zügige Umsetzung des Einheitlichen Europäischen Luftraums ist dringend geboten. Mit einem Einheitlichen Europäi-schen Luftverkehrsraum wären kürzere Flugrouten, dadurch weniger CO2-Ausstoß und Kostenein-sparungen möglich. Als problematisch stellen sich allerdings die vorgesehenen zunehmenden Ein-griffe der Kommission in nationale Souveränitätsrechte und die Verlagerung von Aufgaben auf die europäische Ebene (EASA) dar.

    Die Hessische Landesregierung setzt sich dafür ein, dass die neue Kommission mit Nachdruck an der Umsetzung des SES weiterarbeitet, wobei es da-bei eines gemeinsamen Vorgehens von Kommission und Mitgliedstaaten bedarf und keines „Top-Down-Ansatzes“ der Kommission mit der Androhung von Vertragsverletzungsverfahren.

    - Luftverkehrspaket Die angekündigte Initiative für ein Luftverkehrspaket umfasst eine Mitteilung über Herausforde-rungen und Maßnahmen zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Luft-fahrtbranche sowie die Überarbeitung der EASA-Verordnung 216/2008. Damit ist das Luftverkehr-spaket sowohl für die hessischen Flughäfen als auch für die in Hessen beheimateten Luftverkehrs-unternehmen auf der insgesamt größten deutschen Arbeitsstätte von herausgehobener Bedeu-tung.

    Die Hessische Landesregierung setzt sich dafür ein, dass die Maßnahmen zum Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit der Luftverkehrsbranche nachhaltig, unter gleichzeitiger Berücksichtigung der betroffenen Bevölkerung und im Einklang mit dem Na-

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    tur- und Umweltschutz erfolgen.

    - Bahnpolitik Am 30. Januar 2013 hatte die Kommission mit einer Mitteilung und sechs Legislativvorschlägen das sogenannte „Vierte Eisenbahnpaket“ angenommen. Im politischen Teil verfolgte sie das Ziel, die inländischen Schienenpersonenverkehrsdienste für einen breiteren Wettbewerb zu öffnen. Zu diesem Zweck schlägt sie u.a. eine stärkere Entflechtung von Schienennetzbetreibern und Ver-kehrsdienstleistern vor. Zur Stärkung des Wettbewerbs sollten die direkte Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge eingeschränkt und eine verpflichtende Ausschreibung für öffentliche Schienenpersonenverkehrsdienste eingeführt werden. Diese Position war im Europäischen Parla-ment nicht mehrheitsfähig.

    Die Hessische Landesregierung setzt sich dafür ein, die ursprünglichen Pläne der Kommission zur Transparenz in integrierten Konzernen und zur Un-terbrechung der Finanzströme unbedingt zu unterstützen; diese sollten bei der neuen Kommissi-on erneut eingefordert werden.

    - Energiebinnenmarkt

    Die Verordnung zu den Leitlinien für die transeuropäische Energieinfrastruktur (TEN-E Verord-nung) hat das Ziel, den Ausbau wichtiger grenzüberschreitender Energieinfrastrukturen bis 2020 zu beschleunigen. Sie bildet zusammen mit der „Connecting Europe Facility" (CEF) das „Energiein-frastrukturpaket" (EIP) der EU.

    Die Hessische Landesregierung setzt sich dafür ein, die grenzüberschreitende Energieinfrastruktur zügig auszubauen und mögliche Konflikte mit dem europäischen Naturschutzrecht zwischen der Kommission und den Mitgliedstaaten abgestimmt zu lösen.

    - Windenergieausbau und Naturschutz

    Die FFH-Richtlinie und die Vogelschutzrichtlinie haben zum Ziel, u.a. durch die Ausweisung von Natura 2000-Gebieten die Artenvielfalt zu sichern, indem der günstige Erhaltungszustand der über diese beiden Richtlinien geschützten Lebensraumtypen und Arten gewahrt bzw. wiederhergestellt wird.

    Die Hessische Landesregierung setzt sich dafür ein, dass zur Umsetzung der Energiewende der Weg, den die Kommission in ihrem Leitfaden „Entwick-lung der Windenergie und Natura 2000“ (2010/2012) für die Zulassung einzelner Anlagen bereits als möglich angesehen hat, angemessen mit den Belangen des Gebietsschutzes abgestimmt wird, damit eine auf das Natura 2000 Gebiet insgesamt abgestimmte Windenergie- und Schutzgebiets-planung zum Tragen kommt. Bei dieser EU-Initiative wäre neben der Berücksichtigung von best-practice-Beispielen aus den Mitgliedstaaten auch eine grundsätzliche Aussage – zum Beispiel in einem Kommissionsleitfaden – zur gebietsweiten Integration von Vermeidungsmaßnahmen für die in Teilräumen eines Natura 2000-Gebietes geplante Windenergie-Nutzung zu begrüßen.

    - Energieeffizienz In ihrer Mitteilung über Energieeffizienz und ihren Beitrag zur Sicherheit der Energieversorgung und zum Rahmen bis 2030 schlägt die Kommission vor, bis 2030 die Energieeffizienz EU-weit um 30 % gegenüber den 2007 angestellten Projektionen zu steigern. Erreicht werden soll dies v.a. durch Maßnahmen zur Verbesserung der Energieeffizienz von Gebäuden, Geräten und des Ver-kehrs. Um das angestrebte Ziel zu erreichen, sollen alle Mitgliedstaaten ihre Bemühungen im Be-reich der Energieeffizienz weiter erhöhen und die vereinbarten Rechtsvorschriften in vollem Um-fang erfüllen und umsetzen.

    Die Hessische Landesregierung setzt sich dafür ein, dass die Kommission europaweite innovative Lösungen zur Steigerung der Energieeffizienz im in-

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    dustriellen Bereich sowie bei Endkunden durch geeignete Programme unterstützt. Insbesondere sollte auch die Energieberatung verbessert werden. Es wird angeregt, den eingeschlagenen Weg fortzusetzen und für innovative Projekte und Energieberatung entsprechende EU-Förderprogramme aufzulegen. Darüber hinaus setzt sich die Hessische Landesregierung dafür ein, die Ziele des Hessischen Energiezukunftsgesetzes auch auf europäischer Ebene zu verankern (En-denergieverbräuche von Strom und Wärme sind bis zum Jahre 2050 möglichst zu 100% aus er-neuerbaren Energiequellen zu decken bzw. Anhebung der jährlichen energetischen Sanierungs-quote im Gebäudebestand auf mindestens 2,5 bis 3 %). Dabei wird beispielhaft auf das hessische Projekt „CO2-neutrale Landesverwaltung bis 2030“ als best-practice-Beispiel hingewiesen, das in seinen Zielen (Reduktion der Treibhausgasemissionen um 40% bis 2030 gegenüber 1990) weit über das Ziel der EU hinaus geht.

    7. Umwelt, Landwirtschaft, Schutz von Mensch und Natur

    - GAP-Reform Im Nachgang zur Verabschiedung der Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) und deren na-tionaler Umsetzung muss gewährleistet werden, dass die umfangreichen bürokratischen Anforde-rungen sowohl an die Landwirte als auch an die nationalen Umsetzungsbehörden während der Periode 2015-2020 stetig evaluiert und angepasst werden. Gleiches gilt für die neuen Greening-Vorgaben und die Sicherstellung der positiven Wirkung auf die Umwelt.

    Die Hessische Landesregierung setzt sich für eine kritische Evaluierung der Angemessenheit administrativer bzw. bürokratischer Anforderun-gen im Rahmen der Umsetzung der Reform der GAP sowie der Wirksamkeit des Greenings ein.

    - EU-Ökoverordnung

    Mit der vorgelegten Verordnung zum ökologischen Landbau werden die Rechtsvorschriften mit dem Ziel neu gefasst, die Anforderungen für Produktion und Kennzeichnung entsprechender Er-zeugnisse zu verbessern, deren nachhaltige Entwicklung sowie den fairen Wettbewerb für Land-wirte und Unternehmer zu fördern und das Verbrauchervertrauen in diese Erzeugnisse zu stärken. Die EU-Kommission hat angekündig