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Die Evangelische Rundfunkbeauftragte beim WDR Kaiserswerther Straße 450 40474 Düsseldorf TELEFON: 021141 55 810 FAX: 021141 55 8120 EMAIL: [email protected] INTERNET: www.kircheimwdr.de Die TextRechte liegen bei den Autoren und beim Evangelischen Rundfunkreferat. Verwendung nur zum privaten Gebrauch! Evangelischer Hörfunkgottesdienst WDR 5 Karfreitag, 30. März 2018 aus der Paulus-Kirche in Bonn-Friesdorf Thema: Sympathie und Einsamkeit – die Passionsgeschichte nach Lukas Predigt: Pfarrer Siegfried Eckert Lasst uns die Geschichte hören, die uns heute zusammengeführt hat, wie ein leidender Gerechter für uns stirbt, wie Gott dem Menschen in Ein-samkeit und Tod so nahe kam wie noch nie. Entdecken wir den Trost, der in der Passion Christi liegt. Christi Leiden legt uns einen erstaunlich mitleidenden, sympathischen und gnädigen Gott ans Herz. Es wurden aber auch andere hingeführt, zwei Übeltäter, dass sie mit ihm hingerichtet würden. Im Lukasevangelium hebt sich der Vorhang zum letzten Akt. Obwohl jeder auf seiner Schanze für sich stirbt, ist Jesus nicht allein am Kreuz. Der Unschuldige hängt zwischen zwei Übeltätern fest. Wo viel Licht ist, ist viel Schatten. Der, der im Leben die Außenseiter aufsuchte, wird am Stadtrand von Jerusalem zum guten Hirten, der sich um die schwarzen Schafe kümmert. Alle drei werden gekreuzigt. Nicht jeder bekommt die Strafe, die er verdient hat. Und als sie kamen an die Stätte, die da heißt Schädelstätte, kreuzigten sie ihn dort und die Übeltäter mit ihm, einen zur Rechten und einen zur Linken. Jesus steckt da mitten drin. Seine Arme hält er zwangsläufig nach rechts wie links offen. Für den Parteigänger der grenzenlosen Liebe sieht es übel aus. Die Wächter seiner Religion hatten ihn als Gotteslästerer verurteilt. Die römischen Besatzer legten ihn aus politischen Gründen aufs Kreuz. Wir treffen auf eine komplexe Gemengelage. Hier ist eine große Koalition aus religiösen und politischen Eliten am Werk. Jesus hatte doch nichts verbrochen, höchstens eine frohe Botschaft für Arme verkündet, den Mund für die Stummen seiner Zeit aufgemacht, Aussätzige in die Mitte der Gesellschaft zurückgeholt und die Spielregeln ihrer Macht in Frage gestellt. Unschuldige sitzen bis heute zwischen Schwerverbrechern ein, werden gefoltert und hingerichtet. Und wir, wir erklären Afghanistan zum sicheren Herkunftsland, nehmen Flüchtlinge in Abschiebehaft und schicken sie umgehend per Luftpost ins Kriegsgebiet zurück. Hauptsache wir halten unsere Heimat sauber von Schuldigen und Unschuldigen. Wer sind heute die wahren Übeltäter? Wer wäscht sich seine Hände heute öffentlichkeitswirksam in Unschuld? Cello-Improvisation I

Evangelischer Hörfunkgottesdienst WDR 5 Karfreitag, …€¦ · ... kreuzigten sie ihn ... Aussätzige in die Mitte der Gesellschaft zurückgeholt und die ... vergib ihnen, denn

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Die  Evangelische  Rundfunkbeauftragte  beim  WDR  -­‐  Kaiserswerther  Straße  450  -­‐  40474  Düsseldorf  

TELEFON:  0211-­‐41  55  81-­‐0  -­‐  FAX:  0211-­‐41  55  81-­‐20      E-­‐MAIL:  buero@rundfunkreferat-­‐nrw.de  

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Evangelischer Hörfunkgottesdienst WDR 5 Karfreitag, 30. März 2018

aus der Paulus-Kirche in Bonn-Friesdorf Thema: Sympathie und Einsamkeit – die Passionsgeschichte nach Lukas

Predigt: Pfarrer Siegfried Eckert Lasst uns die Geschichte hören, die uns heute zusammengeführt hat, wie ein leidender Gerechter für uns stirbt, wie Gott dem Menschen in Ein-samkeit und Tod so nahe kam wie noch nie. Entdecken wir den Trost, der in der Passion Christi liegt. Christi Leiden legt uns einen erstaunlich mitleidenden, sympathischen und gnädigen Gott ans Herz.

Es wurden aber auch andere hingeführt, zwei Übeltäter, dass sie mit ihm hingerichtet würden. Im Lukasevangelium hebt sich der Vorhang zum letzten Akt. Obwohl jeder auf seiner Schanze für sich stirbt, ist Jesus nicht allein am Kreuz. Der Unschuldige hängt zwischen zwei Übeltätern fest. Wo viel Licht ist, ist viel Schatten. Der, der im Leben die Außenseiter aufsuchte, wird am Stadtrand von Jerusalem zum guten Hirten, der sich um die schwarzen Schafe kümmert. Alle drei werden gekreuzigt. Nicht jeder bekommt die Strafe, die er verdient hat. Und als sie kamen an die Stätte, die da heißt Schädelstätte, kreuzigten sie ihn dort und die Übeltäter mit ihm, einen zur Rechten und einen zur Linken. Jesus steckt da mitten drin. Seine Arme hält er zwangsläufig nach rechts wie links offen. Für den Parteigänger der grenzenlosen Liebe sieht es übel aus. Die Wächter seiner Religion hatten ihn als Gotteslästerer verurteilt. Die römischen Besatzer legten ihn aus politischen Gründen aufs Kreuz. Wir treffen auf eine komplexe Gemengelage. Hier ist eine große Koalition aus religiösen und politischen Eliten am Werk. Jesus hatte doch nichts verbrochen, höchstens eine frohe Botschaft für Arme verkündet, den Mund für die Stummen seiner Zeit aufgemacht, Aussätzige in die Mitte der Gesellschaft zurückgeholt und die Spielregeln ihrer Macht in Frage gestellt. Unschuldige sitzen bis heute zwischen Schwerverbrechern ein, werden gefoltert und hingerichtet. Und wir, wir erklären Afghanistan zum sicheren Herkunftsland, nehmen Flüchtlinge in Abschiebehaft und schicken sie umgehend per Luftpost ins Kriegsgebiet zurück. Hauptsache wir halten unsere Heimat sauber von Schuldigen und Unschuldigen. Wer sind heute die wahren Übeltäter? Wer wäscht sich seine Hände heute öffentlichkeitswirksam in Unschuld? Cello-Improvisation I

Jesus aber sprach: Vater, vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was sie tun! „Vater, vergib ihnen.“ Dieser Satz gilt! Ob mit oder ohne Begründung. Die Vergebung des Vaters lässt sich nicht verdienen, wie die Liebe einer Mutter sich nicht kaufen lässt. Der von den Römern zum Tod Verurteilte, der von seinen Volksgenossen Ausgelieferte, lässt sich nicht verhärten. Jesu Vergebung kennt keine Obergrenze. Auch am Kreuz richtet er zu Recht, was ihm an Unrecht widerfährt. Vergebung geschieht hier allein durch Beten und Bitten des Gerechten. So ist Gnade. Im Lateinischen heißt sie: gratia. Von gratia kommt gratis. Kostenlos, ohne eigene Verdienste, wird den Tätern Vergebung zuteil. „Vater, vergib ihnen, denn sie wisse nicht, was sie tun!“ Jesus unterstellt zudem, die Schuldigen wären gar nicht fähig, ihre Schuld zu erkennen. Damit übersteigt seine Bitte all unsere Vorstellungskraft. Das Opfer attestiert seinen Tätern Schuldunfähigkeit und vergibt. Das ist nicht menschlich. Hier muss Gottes Liebe mit im Spiel sein. Wem habe ich zuletzt vergeben? Auf wessen Vergebung war ich zuletzt angewiesen? Jesus verlangt keine öffentliche Gewissensprüfung, kein mea culpa. Aber was ist mit denen, die wissen was sie tun, wenn sie töten und vernichten, verstümmeln und missbrauchen, erniedrigen und unterdrücken? Was ist mit denen, die nicht zugeben wollen, was sie taten, die vor dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag darauf beharren, es sei rechtens und richtig gewesen, zu morden? Was ist mit Erdogan, der einen Angriffskrieg gegen die Kurden in Syrien führt und die Welt schaut zu? Diese Täter hat Jesus nicht gemeint. Denn er wusste: am Ende macht nur die Wahrheit frei. Kyrie, Kyrie…

Und sie verteilten seine Kleider und warfen das Los darum. Und das Volk stand da und sah zu. Bis heute feilschen wir, um heilige Röcke und weltliche Anerkennung, wer die wahre Kirche ist, wer die wahre Religion für sich gepachtet hat. Überall wird gelost, gewettet und geschachert. Auf Golgatha wurde das Fell verteilt, noch bevor der Bär erlegt war. Bei Lukas ist augenfällig: ein Gerechter ist hier in die Klauen übelster Übeltäter geraten, was für ein Kontrastprogramm zwischen dem Allversöhner Jesus und der Geldgier seiner Henker. Der geschundene Körper wird entkleidet, bevor der letzte Atemzug aus ihm entwichen ist. Die Glücksritter können es nicht abwarten. Sie machen ihre letzten Geschäfte sogar noch auf der Schanze des Todes, wie so oft in der Geschichte der Menschheit, wie auch auf der Rampe von Auschwitz. In Europa konnten viele es nicht abwarten, sich das Hab und Gut der vertriebenen und vergasten Juden unter den Nagel zu reißen. Jesus wird am Kreuz entblößt, wie der Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer. Er musste sich entkleiden, bevor er wenige Wochen vor Kriegsende hingerichtet wurde. Aber die Oberen spotteten und sprachen: Er hat anderen geholfen; er helfe sich selber, ist er der Christus, der Auserwählte Gottes. Die Eliten spucken und spotten weiter, kübeln vom hohen Ross das Gift der Gehässigkeit auf Jesus herab. Christus hat anderen geholfen, das wissen sie noch; jetzt könnte er sich selbst helfen; für sich etwas tun. Ihre Erinnerung ist vergiftet. Zwischen zwei Übeltätern wird offenbar, was wirklich übel ist: jede Religion, jede Partei, die ihre Reformer zur Seite schafft. Die Schädelstätte verkommt zur Müllkippe ihrer Bösartigkeit. Obere kübeln ihren Zynismus top-down über einen Gekreuzigten ab. Ähnlich Schreckliches geschah letztes Jahr. Da feierten einige Nutzer des weltweiten Netzes die grausige Bluttat eines Neunzehnjährigen. Der hatte zwei unschuldige Kinder bestialisch ermordet und stellte seine Taten stolz ins Internet. Manche Nutzer forderten noch mehr Bilder von dieser Grausamkeit ein. Das Böse ist auch nach 2000 Jahren nicht verschwunden. Cello-Improvisation II

Es verspotteten ihn auch die Soldaten, traten herzu und brachten ihm Essig und sprachen: Bist du der Juden König, so hilf dir selber! Es war aber über ihm auch eine Aufschrift: Dies ist der Juden König. Nach dem Spott jüdischer Eliten, sind die Römer am Zug. Nur Rom hatte das Recht, die Todesstrafe zu vollstrecken. König der Juden zu sein, war da ein Kapitalverbrechen; Jesus wurde zu einem Gefährder des römischen Kaisers stilisiert. Thron und Altar hatten immer schon gut kooperiert, wenn ein Problem gemeinsam aus der Welt zu schaffen war. Lieber einen Wanderprediger aus dem Weg räumen, als einen Kratzer im Lack der eigenen Rüstung riskieren.

Diese große Koalition der Macht führte erneut ein Unschuldslamm auf die Schlachtbank. Wie so viele, gingen auch sie über Leichen, um ihre Macht zu sichern. Aber einer der Übeltäter, die am Kreuz hingen, lästerte ihn und sprach: Bist du nicht der Christus? Hilf dir selbst und uns! Das Lästern geht nun auf Augenhöhe von Jesus weiter. Die Szenerie wird absurder. Hilferufe geraten zu Dolchstößen. In Jesu Nähe stinkt

das Unrecht zum Himmel. Martin Luther entdeckte in dieser Absurdität den Spiegel eines väterlichen Herzens. Je übler der Sohn dran war, umso enger rückte sein Vater an ihn heran. Am Kreuz legt der Allmächtige vollends seine Herrlichkeit ab und nimmt in Christi Leiden alles Menschenleid auf sich. Gott wird auf Golgatha ein Leidensgenosse des Menschen, wie sympathisch. Das Wort Sympathie entstammt dem Griechischen. Wörtlich übersetzt heißt es: Mit-Leid. Gottes Mit-Leid mit dem leidenden Gerechten am Kreuz gilt seither allen Menschenkindern, die ihr Kreuz zu tragen haben. Golgatha setzt Gott in ein neues Weltverhältnis. Der sympathische Gott löst damit ein altes Versprechen ein: Geteiltes Leid ist halbes Leid. Luther fühlte sich deshalb besonders an Karfreitag, unterm Kreuz, getröstet. Solch sympathischer Glaube ließ in ihm Empfindungen wach werden, die er lange entbehrt hatte: Aus seiner Einsamkeit wuchs Vertrauen, aus Angst wurde Hoffnung, aus selbstverkrümmter Sorge gewann er eine neue Freiheit. Vom Kreuz sprach Luther gar als „allersüßestem Schauspiel“. 85,7 Es dient zu meinen Freuden und tut mir herzlich wohl, wenn ich in deinem Leiden, mein Heil, mich finden soll. Ach möcht ich, o mein Leben, an deinem Kreuze hier mein Leben von mir geben wie wohl geschähe mir.

Da wies ihn der andere zurecht und sprach: Und du fürchtest dich auch nicht vor Gott, der du doch in gleicher Verdammnis bist? Rund um Jesus tobt ein Streit um Recht und Unrecht, Sinn und Unsinn seines Leidens. Einer, der selbst übel dran war, findet den Mut, dem Spott Einhalt zu gebieten. Er fordert Gottesfurcht statt Eigennutz. Der ungerechte Tod für eine gerechte Sache bildet für Lukas den Dreh- und Angelpunkt seines Evangeliums. Seine Aufmerksamkeit gilt nun dem, der weiß, was hier Sache ist, dem nicht ganz so üblen Übeltäter.

Wir sind es zwar mit Recht, denn wir empfangen, was unsere Taten verdienen, dieser aber hat nichts Unrechtes getan. Ein zu Recht Verurteilter verfügt über die seltene Gabe der Selbstkritik. Die Kulissenschieberei kommt langsam an ihr Ende. Denn klar wird: hier stirbt einer zu Unrecht. Hier stirbt einer wie Mahatma Gandhi für die Freiheit seines Volkes. Hier stirbt einer wie Martin Luther King für die Rechte der Schwarzen. Hier stirbt einer wie Sophie Scholl für die Verblendung unseres Volkes. Dabei entpuppt sich das Martyrium des Menschensohnes als paradiesischer Türöffner. Musik: Shadows, Text - C. Barratt, Melodie: S. Partowi Feeling all the grief and sorrow, we live life whith shadows on our hearts an minds. With tears that wait to fall, when sorrow in the world is more, than we can truly bear. We hear the cries of children, we see death, cast shadows on their hearts and minds. As mothers in their grief stand crying, weeping for this world. On our bed of thorns such sorrow must surely end, our tears can wash away the sin oft he world, no more crying, no more weeping in this world. Und er sprach: Jesus, gedenke an mich, wenn du in dein Reich kommst! Zu Jesu Zeiten hieß es, nur die Gerechten kämen ins Paradies. Jesu Nachbar kannte den Zeitgeist und wusste, mit wem er es zu tun hatte. In seinem Todeskampf spricht er diesen Gerechten an. Wer von uns wäre in der Lage, am Ende seines Lebens eigene Fehler einzugestehen und sich dem anzuvertrauen, der von keiner Schuld wusste? Wer übernimmt überhaupt noch persönlich Verantwortung? Im Casino der Welt wird auch nach der Lehmann-Pleite weiter gezockt auf Teufel komm raus. Gewinne werden privatisiert, Schulden verstaatlich, persönlich haften will keiner fürs eigene Versagen. Gerecht ist das nicht. Und Jesus sprach zu ihm: Wahrlich ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradies sein.

Jesus spricht vom Kreuz weg seinem Nachbarn einen Ehrenplatz zu; heute, nicht an Sankt Nimmerlein, wird er mit ihm im Paradies sein. Kein Sühnetod, das Leiden des Gerechten, öffnet hier die Tür in Gottes Reich. Heute schon könnten wir unserem lieben Angehörigen, der im Sterben liegt, in Jesu Namen eine letzte Heimat versprechen. Geteiltes Leid ist halbes Leid ob am Kreuz oder im Krankenbett. Ein sympathischer, paradiesisch gnädiger Gott zeigt sich erneut am Werk. Und es war schon um die sechste Stunde, und es kam eine Finsternis über das ganze Land bis zur neunten Stunde und die Sonne verlor ihren Schein, und der Vorhang des Tempels riss mitten entzwei. Himmel und Heiligtum weinen gemeinsam. Alles verdunkelt sich mitten am helllichten Tag. Im Tempel reißt der Vorhang entzwei. Auf der Trauerfeier für die Mutter einer jüdischen Freundin, zerrissen sich die engeren Angehörigen am offenen Grab ihre Ärmel, übten sich in einer Zeichenhandlung ihres Schmerzes, weil der Tod das Band engster Vertrautheit zerstört hatte. Martin Luther kannte solches Leid auch. Als seine Tochter Magdalena mit 13 Jahren verstarb, zerriss dies sein Herz. Er schrieb: „Tief im Herzen haften Blicke, Gesichtszüge, Worte, Gesten der lebenden und sterbenden, sehr gehorsamen und verehrtesten Tochter, dass selbst Christi Tod, dies nicht ganz hinwegnehmen konnte, wie er es doch sollte.“ Mancher Schmerz lässt sich nicht lindern. Manches Sterben kommt über die Klagemauer der Sinnlosigkeit nicht hinaus. Auch das ist Karfreitag. Cello-Improvisation III

Und Jesus rief laut: Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände. Dietrich Bonhoeffer schrieb dazu: „Wunderbare Verwandlung. Die starken, tätigen Hände sind dir gebunden. Ohnmächtig, einsam siehst du das Ende deiner Tat. Doch atmest du auf und legst das Rechte still und getrost in stärkere Hände und gibst dich zufrieden. Nur einen Augenblick berührst du selig die Freiheit, dann übergabst du sie Gott, damit er sie herrlich vollende“ Bonhoeffer beschreibt treffend, wie Jesus sich am Ende seinem Vater ganz anvertraut. Nicht nur Jesu Gedanken, auch sein Geist war so frei, sich Gottes Händen anzubefehlen. Drei Tage später sollte dieser Geist Jesus Wesen in einem unverweslichen Leib aufer-stehen lassen. Glaube heißt Vertrauen. Glaube heißt im Leben wie im Sterben meinen Geist ganz Gott anvertrauen zu dürfen. Jesus war sich gewiss: Er konnte nicht tiefer fallen, als in die offenen Arme seines Vaters. So war ihm Loslassen möglich. Und als er das gesagt hatte verschied er. Celloimprovisation kurz

Als aber der Hauptmann sah, was da geschah, pries er Gott und sprach: Fürwahr, dieser Mensch ist ein gerechter Mensch gewesen. Ein Römer, ein Heide, erkennt im Gekreuzigten das Bild des gerechten Menschen. Am Ende der Geschichte erfolgt ein anderes Urteil aus römischem Mund. Dieser Tod öffnet ihm die Augen. Manchmal erkennen wir erst im Rückblick, wer da verstarb, wer fehlt. Sühnevorstellungen und Sündenbockspiele werden bis zum letzten Akt bei Lukas nicht gespielt.

Hier stirbt einer zu Unrecht für seine Sache, seine frohe Botschaft, seinen Ruf zur Umkehr in Gottes Reich, in dem die Liebe das Größte ist. Folgen auch wir dieser Fährte. Schenken wir diesem leidenden Gerechten unseren Glauben. Und als alles Volk, das dabei war und zuschaute, sah, was da ge-schah, schlugen sie sich an die Brust und kehrten wieder um. Am Ende findet Umkehr statt. Den Gaffern, die die Kulisse für dieses Schauspiel geboten hatten, gelingt ein Neuanfang. Kehrt um, lautete Jesu erste Botschaft: Kehrt um, preist mit mir selig die, die auf Erden nichts zählen. Umkehr findet jetzt im Plural statt. Alles Volk sah, was da geschah, bevor sie zusammen umkehrten. Sterben auf seiner Schanze, das muss jeder mit sich abmachen. Umkehren, dass darf in Gemeinschaft geschehen, weil wir gemeinsam stärker sind. Der

Hauptmann und das Volk hatten verstanden. Aus anonymen Betrachtern werden Bekenner. Schuldbewusst klopfen sie sich gegen die Brust, als Zeichen der Reue. Unter diesem Kreuz gibt es keine Zuschauerrolle mehr. Wer das miterlebt hat, kann nicht länger teilnahmslos dabeistehen.

Diese Geschichte geht deshalb auch uns an. Sie appelliert an unser Mitleid, unser Mitgefühl mit denen, die heute ihr Kreuz zu tragen haben.

Dass alle umkehrten, hieß nicht, zuhause blieb bei ihnen alles beim Alten. Im Gegenteil, die Erfahrung eines sympathischen, mitleidenden Gottes stellte ihr Leben auf den Kopf, veränderte alles: ihre Einsamkeit, ihr Miteinander, ihr Mitgefühl.

Es standen aber alle seine Bekannten von ferne, auch die Frauen, die ihm aus Galiläa nachgefolgt waren, und sahen das alles. „Und sahen das alles“, damit beschließt Lukas seine Tragödie. Am Ende wird alles einsichtig, lichtet sich der Vorhang. Keiner kann mehr sagen, er oder sie hätte nichts gewusst. Tiefer als am Karfreitag können wir Gottes Liebe nicht ansichtig werden. Deshalb ist dies der tiefste und nicht der höchste Feiertag der Christenheit. Von Gott her gesehen, braucht niemand mehr alleine zu leben und einsam zu sterben. Wie der Gekreuzigte dürfen auch wir unseren letzten Atemzug seinen Händen anbefehlen, all das loslassen was uns auf Erden besorgt, weil wir gehalten werden, für immer und ewig.

Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre uns Herzen und Sinn in Christus Jesus. Amen.