Evlogiev_Kolarova_-_Burgtheaterattentat

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    Das IMRO-Attentat im

    Wiener Burgtheater 1925Die Darstellung der Ereignisse in dersterreichischen Presse

    !rschungsseminar - Osteur!"#ische und eur!"#ische $eschichte im 2%& 'ahrhundert

    ((2%1) *ni+&-Pr!,& Dr& Phili"" her

    Von Maria Kolarova und Mihail Evlogiev

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    Inhaltsverzeichnis

    1. Einleitung........................................................................................................................1

    2. Historischer Hintergrund

    2.1. Die makedonische Frage, Bulgarien und die IMRO...................................................2

    2.2. Das Maimanifest von 1924 und seine Folgen.............................................................7

    3. Das Attentat im Burgtheater

    3.1. Die Vorgeschichte Mencia Carniciu.........................................................................9

    3.2. Das Attentat...............................................................................................................12

    3.3. Der Prozess.................................................................................................................13

    4. Das Attentat im Spiegel der sterreichischen Press

    4.1. Die Zeitungen.............................................................................................................14

    4.2. Das Attentat und der Prozess die Berichterstattung................................................15

    4.3. Der Balkan und Makedonien......................................................................................23

    4.4. Die IMRO...................................................................................................................26

    4.5. Die Darstellung der Attentterin................................................................................29

    5. Schluss...........................................................................................................................32

    6. Literaturverzeichnis.......................................................................................................35

    1. Einleitung

    Im Mai 1925 kam es im berhmten Wiener Burgtheater zu einem tragischen Ereignis im

    Laufe der Vorstellung schoss eine junge Frau auf den Mann, der vor ihr sa und ttete ihm.

    Sie verletzte dabei noch zwei weitere nebeneinander sitzende Personen. Nach der

    gewaltttigen Szene stellte sich die Frau freiwillig der Polizei. Es wurde bald klar, dass dieTterin wie auch das Opfer und die Verletzten Teil der makedonischen Diaspora in Wien

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    waren und vermutlich eine Verbindung mit den Aktivitten der bekannten Inneren

    Makedonischen Revolutionren Organisation (IMRO) existierte.

    Das unerwartete Ereignis im Burgtheater sorgte angeblich fr groe gesellschaftliche

    Aufregung und mediales Interesse. Zugleich leitete es die Aufmerksamkeit des Wiener bzw.

    sterreichischen Publikums auf die Problematik der heiklen makedonischen Frage. Wie kam

    es aber eigentlich zu dieser Tat, warum war gerade Wien der Tatort? Wer waren die

    verwickelten Personen und wie korrespondierte das Attentat mit den damaligen politischen

    und sozialen Verhltnissen auf dem Balkan bzw. in Makedonien? Der Schwerpunkt dieser

    Arbeit soll auf die Darstellung und den Diskursen innerhalb der sterreichischen Presse bei

    der Berichterstattung ber das Attentat sowie seine Folgen liegen. Wie wurde ber das

    Attentat und den Prozess berichtet? Wie objektiv war die Berichterstattung oder wie

    voreingenommen waren die Zeitungen im Hinblick auf ihrer politischen Ausrichtung oder

    aber auch ihren Vorstellungen vom Balkan? Wie reagierte die Presse auf die Tatsache, dass

    das Attentat von einer Frau durchgefhrt wurde?

    Wir werden versuchen diese Fragen zu beantworten, in dem wir uns hauptschlich auf die

    zeitgenssische sterreichische Presse konzentrieren und mit der Untersttzung der

    verfgbaren Sekundrliteratur. Die Kapitel 1., 2.2., 3.2., 3.3. und 4.1. sowie die Teile in 4.2.bis 4.5., in denen es um die Neue Freie Presse und Die Rote Fahne geht, wurden von

    Mihail Evlogiev geschrieben. Die Kapitel 2.1., 3.1. und 5. sowie die Teile der Kapitel 4.2. bis

    4.5., in denen die Reichspost und die Arbeiter-Zeitung behandelt werden, wurden von

    Maria Kolarova verfasst.

    2. Historischer Hintergrund

    2.1. Die makedonische Frage, Bulgarien und die IMRO

    Die Anfnge der makedonischen Frage liegen in den Beschlssen des Berliner Kongresses

    von 1878. Nachdem die historische Region Makedonien im Frieden von San Stefano im Mrz

    1878 fast komplett im neuentstandenen bulgarischen Staat eingegliedert wurde, wurde die

    Region einige Monate spter dem Osmanischen Reich zurckgegeben. Das Frstentum

    Bulgarien umfasste nach dem Berliner Vertrag nur das heutige Nordbulgarien mit der

    Hauptstadt Sofia. Daneben wurde auch das autonome Ostrumelien geschaffen, das der Hohen

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    Pforte unterstellt wurde. Nach 1878 wurde die Wiederherstellung der Grenzen von San

    Stefano zum Hauptziel der bulgarischen Politik erklrt. Anfang September 1885 wurde mit

    der Vereinigung mit Ostrumelien der erste Schritt in dieser Richtung getan. Die Vereinigung

    wurde ohne die Zustimmung der Gromchte durchgefhrt. Serbien forderte gleichzeitig alsKompensation fr die bulgarischen Gebietserweiterungen die Region um Sofia fr sich. Im

    November 1885 erklrte Serbien Bulgarien den Krieg im Glauben, dass die junge bulgarische

    Armee leicht zu schlagen sein wrde. Diese Vermutung erwies sich als falsch und nach den

    Erfolgen der bulgarischen Armee musste sterreich-Ungarn eingreifen um Serbien vor einer

    greren Niederlage zu retten. Im Frieden von Bukarest von 1886 wurde dann die

    Vereinigung des Frstentums Bulgarien mit Ostrumelien international anerkannt.1

    Nach der militrischen Niederlage konzentrierte sich Serbien auf den kulturellen Kampf in

    den verbliebenen osmanischen Provinzen am Balkan. 1886 wurde der Verein Sveti Sava in

    Belgrad gegrndet. Seine Aufgabe war es wissenschaftlich zu beweisen, dass die Slawen in

    Makedonien gar keine Bulgaren seien sondern Serben. Etwas spter wurden auch eigene

    Abteilungen in den Erziehungs- und Auenministerien fr Propagandazwecke in Makedonien

    eingerichtet.2 Neben Serbien waren auch Griechenland und Bulgarien an einer

    Kulturoffensive in der Region beteiligt, d.h. die Frderung von Schulen, Kirchen und andere

    Vereine.3 Neben der groen Heterogenitt der Bevlkerung (Religion, Sprache und

    Nationalitt) in Makedonien kam hinzu, dass die Region keine administrative Einheit

    innerhalb des Osmanischen Reiches bildete und somit keine klaren Grenzen besa. Sie

    bestand mehr oder weniger aus den Vilayets Selanik und Manastir sowie Teile von Kosovo.4

    Aus bulgarischer Sicht, zum Beispiel, wurde Makedonien dann auch meistens mit dem

    Vilayet Adrianopel zusammenbetrachtet. Dies sieht man auch an den Namen der 1893 in

    Saloniki gegrndeten Bulgarische Makedonisch-Adrianopler Revolutionre Komitees

    (BMARK).5

    Die revolutionre Organisation sollte die einflussreichste dieser Art bis in die1930er werden. BMARK kmpfte nicht nur gegen das Osmanische Reich sondern auch gegen

    griechische und serbische Banden, dazu kamen noch Konflikte mit dem bulgarischen

    Exarchat und des 1895 gegrndeten Oberste Makedonien-Adrianopler Komitee (OMAK).6

    1Markov, Georgi [Hg.]: Istorija na Blgarite v osem toma. Ot Osvobodenieto (1878) do kraja na Studenatavojna (1989); S. 43-512Hacsaliholu, Mehmet: Die Jungtrken und die mazedonische Frage (1890 - 1918); S. 513Ebd.., S. 494Ebd., S. 42-435Radev, Todor: Ekzarchijata i blgarskijat revoljucionen nacionalizm v Makedonija i Odrinska Trakija: 1893-1903; S. 706Ebd., S. 88

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    Anfang des 20. Jahrhunderts bildeten sich zwei grere Richtungen innerhalb der BMARK

    die Rechten und die Linken. Die Rechten wurden spter oft als Autonomisten und

    die Linken als Fderalisten bezeichnet. Der Ilindenaufstand 1903 wurde vor allem von

    den Rechten, die eher eine bulgarisch-nationalen Linie vertraten, organisiert. Die blutigeNiederschlagung des Aufstandes schwchte die BMARK und verschrfte die inneren

    Konflikte. Die Linken unter Jane Sandanski vertraten die Ansicht, dass man fr die

    Autonomie der Region Makedonien-Adrianopel ohne die Hilfe eines Balkanstaates (wie

    Bulgarien) kmpfen sollte, sie wollten zudem diese Autonomie im Zuge einer

    Balkanfderation erreichen.7 Sie wurden von der wachsenden sozialistischen Bewegung in

    Makedonien und vor allem in Saloniki beeinflusst. Saloniki war Anfang des 20. Jahrhunderts

    die industriestrkste Stadt im Osmanischen Reich und es hatte die politisch aktivste

    sozialistische Bewegung, die die nationalen Konflikte in der Region durch Strkung des

    Klassenbewusstseins der Arbeiter zu bekmpfen versuchte.8

    In den Jahren 1904 und 1905 gab es mehrere Bezirkskongresse der BMARK, was jedoch nur

    die Streitigkeiten zwischen Linken und Rechten verstrkte. Im September 1905 wurde

    dann ein Allgemeinkongress im Rila Kloster abgehalten. Die Linken konnten dabei mehr

    Einfluss gewinnen. An diesem Kongress wurde die nderung des Namens der Organisation in

    Innere Makedonisch-Adrianopeler Revolutionre Organisation (IMARO) beschlossen,

    damit man auch die nichtbulgarische Bevlkerung der Regionen fr den revolutionren

    Kampf gewinnen konnte. Zudem einigte man sich auf die Autonomie der Region

    Makedonien-Adrianopel ohne die Anlehnung an einem Balkanstaat als Hauptziel, wobei man

    serbische und griechische Verbnde weiterhin bekmpfen wollte, da diese nationalistisch

    seien. Nach dem Kongress kamen die Auslandsvertretung sowie die Zeitung der IMARO in

    Hand der Linken, was jedoch nicht sehr lange andauerte.9

    Die Rechten verlangten nach einem neuen Allgemeinkongress, der im Dezember 1906 in

    Sofia stattfinden sollte. Da die Linken nicht mit dem Austragungsort zufrieden waren,

    nahmen sie nicht daran teil. In ihrer Abwesenheit wurden Boris Sarafov, Ivan Garvanov und

    Hristo Matov zu Auslandsvertretern gewhlt. In der Folge wurde die rechte IMARO von

    Sandanski und seiner Gruppe mit den OMAK gleichgestellt, das die revolutionre

    Organisation bis zur seiner Auflsung 1905 wegen seines bulgarischen Nationalismus

    7Hacsaliholu, S. 114-1158Quataert, Donald: The Industrial Working Class of Salonica, 18501912; in: Levy; Avigdor [Ed.]: Jews, Turks,Ottomans; S. 2089Hacsaliholu, S. 116-118

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    bekmpft hatte. Sandanski verurteilte die drei Auslandsvertreter zum Tode. Im November

    1907 wurden Sarafov und Garvanov von Todor Panica, einem engen Freund Sandanskis, in

    Sofia erschossen.10 Im Mrz 1908 wurde wieder ein Allgemeinkongress in Kjustendil

    abgehalten, wobei die linken Gruppen nicht eingeladen wurden. Sandanski wurde vomKongress wegen dem Mord an Sarafov und Garvanov zum Feind der IMARO erklrt,

    whrend Panica zum Tode verurteilt wurde.11

    Danach nherten sich Sandanski und die Linken kurzzeitig den Jungtrken und ersetzten

    die Idee einer Autonomie Makedonien-Adrianopels innerhalb einer Balkanfderation mit der

    Idee einer konstitutionellen Trkei. Dabei meinte Sandanski, dadie nationale und soziale

    Befreiung Mazedoniens auch im Rahmen des Osmanischen Reiches mglich sein knnte,

    wenn das Osmanische Reich radikal reformiert wrde.12Einige Mitglieder der IMARO, wie

    Dimitar Vlahov, lieen sich als Abgeordneten im osmanischen Parlament whlen. Whrend

    der Balkankriege meldeten sich viele Mitglieder der IMARO wiederum als Freiwillige im

    Makedonien-Adrianopel-Freiwilligen-Korps der bulgarischen Armee. Viele von ihnen dienten

    auch im Ersten Weltkrieg in der bulgarischen Armee. Todor Panica war zum Beispiel

    whrend des Krieges in Drama stationiert.13

    Der Erste Weltkrieg endete fr Bulgarien in einer nationalen Katastrophe, das Land warvllig erschpft wirtschaftlich und gesellschaftlich. 1919 wurde Alexander Stambolijski, der

    die Wahlen mit seiner Bulgarischen Agrarischen Volksunion gewonnen hatte, erstmals

    bulgarischer Ministerprsident. In dieser Funktion musste er nach Paris reisen und fr

    Bulgarien den Vertrag von Neuilly-sur-Seine, der die schwierige Situation Bulgariens nach

    den langen Kriegsjahren noch verschlechterte, unterzeichnen. Trotzdem konnte er auch die

    Wahlen 1920 gewinnen. Stambolijski fhrte verschiedene Reformen in der Landwirtschaft,

    im Dienstrecht oder auch eine Rechtschreibreformen durch. Seine Auenpolitik sollte die

    Beziehungen zu den Nachbarstaaten normalisieren um die schwere Lage im Land besser

    bewltigen zu knnen. Im Mrz 1923 unterzeichnete Stambolijskis Regierung einen Vertrag

    mit dem Knigreich der Serben, Kroaten und Slowenen (SHS) fr die Sicherung der

    gegenseitigen Grenzen. Dieser Vertrag wurde vor allem von der IMRO sehr negativ

    aufgenommen. Gegen Ende seiner Regierungszeit griff Stambolijski vermehrt zur

    Repressionen um seine Macht zu erhalten, was den Kreis seiner Verbndeten immer weiter

    10Ebd., S. 11911Ebd., S. 12412Ebd., S. 12113Michajlov, Ivan: Spomeni. 3. Osvoboditelna borba 1924 1934; S. 185

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    verringerte. Die Orange Garde, die paramilitrische Organisation der Bulgarischen

    Agrarischen Volksunion, wurde immer fters gegen Gegner der Partei eingesetzt.14

    Am 9. Juni 1923 wurde Stambolijski durch einen Militrputsch gestrzt, der vom Militr, der

    brgerlichen Parteien, dem Knig Boris III. und der IMRO untersttzt wurde. Stambolijski

    sowie sein Bruder wurden am 14. Juni von Mitgliedern der IMRO auf brutaler Weise gettet.

    Nach Stambolijski Sturz wurde die Regierung von Alexander Zankov bernommen. Im

    September 1923 organisierte die Bulgarische Kommunistische Partei (BKP), von der

    Komintern untersttzt einen Aufstand, der brutal von der Regierung niedergeschlagen wurde.

    Der Kampf gegen die BKP war fr die Regierungszeit Zankovs prgend. Den

    Bombenanschlag auf der Kathedrale Sveta Nedelja am 16. April 1925, der von

    kommunistischen Extremisten verbt wurde und bei dem mindestens 120 Menschen starben,

    wurde von Zankov dazu bentzt die BKP zu verbieten, den Kriegszustand auszurufen,

    Oppositionelle zu verfolgen und ohne ein Gerichtsverfahren hinzurichten. Anfang 1926

    wurde Zankov von dem aus Makedonien stammenden Andrej Ljapev als Ministerprsident

    abgelst.14

    Nach den Balkankriegen und dem Ersten Weltkrieg wurde Makedonien zwischen Bulgarien,

    Serbien und Griechenland aufgeteilt. Im Vertrag von Neuilly-sur-Seine 1919 wurde zwischenBulgarien und Griechenland ein Bevlkerungsaustausch festgeschrieben, der die

    griechischsprachige Bevlkerung in Bulgarien sowie die bulgarischsprachige in

    gismakedonien betraf. Mit Serbien bzw. dem Knigreich SHS gab es keine derartigen

    vertraglichen Regelungen. Belgrad weigerte sich eine bulgarische oder auch makedonische

    Minderheit in Vardarmakedonien anzuerkennen. Es wurde behauptet, wie schon Ende des 19.

    Jahrhunderts1, dass die slawische Bevlkerung Makedoniens serbisch sei. Belgrad betrieb

    daraufhin eine aggressive Politik der Serbisierung mit inkludierten konomischen

    Repressionen, die viele Bewohner Vardarmakedoniens zur Flucht veranlasste, vor allem nach

    Bulgarien, aber auch nach Westeuropa, Nordamerika oder Australien.15

    1919 wurde die revolutionre Organisation wieder aktiv, nun mehr unter dem Namen Innere

    Makedonische Revolutionre Organisation (IMRO). Der Hauptgegner der IMRO zu dieser

    Zeit war Belgrad und weniger Athen, da nach dem Bevlkerungsaustausch nicht mehr ganz so

    viele slawisch- bzw. bulgarischsprachige Menschen in gismakedonien lebten. Und auch zu

    14Markov, S. 203-22015Troebst, Stefan: Das makedonische Jahrhundert: von den Anfngen der nationalrevolutionren Bewegung zumAbkommen von Ohrid 1893-2001; S. 61

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    dieser Zeit war die IMRO keine einheitliche Bewegung. Die Konflikte aus der Zeit vor den

    Balkankriegen blieben noch erhalten, da auch die Personen, an denen sie hingen, noch

    teilweise in der IMRO aktiv waren. Es gab aber auch neue Kmpfe und einen

    Generationskonflikt, der 1928 mit der Machtbernahme des damals 32-jhirigen IvanMihajlovs beendet wurde. Noch davor aber spaltete sich die IMRO 1925 endgltig in einer

    rechtsgerichteten und einer linksgerichteten Organisation. Darber, wie es zu dieser Spaltung

    kam und in welchen Zusammenhand sie mit dem Attentat im Wiener Burgtheater im Mai

    1925 steht, soll es im Folgenden gehen.

    2.2. Das Maimanifest von 1924 und seine Folgen

    In der ersten Hlfte der 1920er Jahren entwickelte sich Wien zu einem wichtigen

    Operationszentrum der makedonischen Emigration. Als mitteleuropische Grostadt mit

    strategisch wichtiger Lage zog Wien zahlreiche politische Migranten aus Ost-und

    Sdosteuropa an, darunter viele aktive IMRO-Mitglieder, fr die Bulgarien als

    Hauptsttzpunkt ab 1923 gefhrlich geworden war. Die sterreichische Hauptstadt

    entwickelte sich als einen Knotenpunkt von erstrangiger Bedeutung nicht nur fr die so

    genannten Autonomisten, aber auch fr die Kommunisten bzw. die politisch links

    orientierten unter die Mitglieder der makedonische Befreiungsbewegung, die die sowjetische

    Politik untersttzten und deshalb von der Regierung in Moskau Hilfe fr ihre Sache zu

    bekommen versuchten. Fr die sowjetische Regierung entfaltete sich Wien nebenbei als

    wichtiges Propagandazentrum fr Sdosteuropa, das das Ziel verfolgte, die militanten

    Volksbewegungen auf dem Balkan fr sich zu gewinnen.

    Im Mai 1924 kam es in Wien zu einem wichtigen Ereignis fr die makedonische Emigrationund berhaupt fr die Geschichte der IMRO-Bewegung: Die drei Mitglieder des IMRO-

    Zentralkomitees Todor Aleksandrov, Aleksander Protogerov und Peter aulev einigten sich in

    der sterreichischer Hauptstadt unter Mitwirkung Dimitar Vlahovs auf ein gemeinsames

    Vorgehen mit den Fderalisten.16Die zwischen 29. April und 6. Mai 1924 unterzeichnete

    Dokumente wurden als Maimanifest bekannt, sie wurden an den Vlkern in Makedonien

    16McLoughlin, Barry; Leidinger, Hannes; Moritz, Verena: Kommunismus in sterreich 1918 1938; S. 215

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    gerichtet.17Die Mitglieder des ZK der IMRO erklrten mit ihren Unterschriften den Willen

    der Organisation zu einer enge[n] Zusammenarbeit [] mit der Komintern und der

    sowjetischen Auenpolitik.18 In politischem Sinn versuchte das Manifest die tiefliegende

    ideologischen Unterschiede zwischen Fderalisten und Autonomisten zu beseitigen, indem es auf den Kurs der III. Internationale zurckgriff und dadurch die fderalistische

    Vorstellung den Vorrang gab.

    Die durch drei Staaten geteilten makedonischen Gebiete sollten, laut den Plnen des

    Manifests, zu einem Land vereinigt werden, das in der Union freier Balkanstaaten

    Aufnahme finden sollte.16 Das Manifest wurde von aulev in der ersten Ausgabe der

    Zeitschrift La Fdration Balkanique verffentlicht, die in Wien erschien und von der

    Komintern finanziert wurde.16Im Prinzip bedeutete aber die Verffentlichung des Manifestes

    die Zustimmung der IMRO fr eine Zusammenarbeit mit den kommunistischen Parteien auf

    den Balkan. Fr die Sowjetkommunisten war das Maimanifest ein symbolischer Sieg, als sie

    somit die IMRO die einflussreichste und militrisch strkste Irredenta-Organisation auf

    dem Balkan fr eine Einheitsfront gewonnen hatten, auf dem Papier zumindest.18

    Das Erscheinen des Manifestes spitzte deutlich die Rivalitten zwischen dem linken und dem

    rechten Flgel der IMRO zu, sowie auch zwischen der IMRO und der Sofioter Regierung, alsletztere eine Annherung der IMRO an der Sowjet Union nicht akzeptieren konnte. Die

    Verffentlichung des Dokuments in Bulgarien rief ein groes Echo in der mazedonischen

    Emigration sowie in der bulgarischen ffentlichkeit hervor.19 Todor Alexandrov, der

    damalige IMRO-Fhrer, bestritt kurz darauf in einem Interview fr The Times etwas mit

    dem Manifest zu tun zu haben und bezeichnete das Ganze als ein Produkt der Handlungen

    exaltierter Kommunisten.20Deswegen blieb die Frage, ob es sich beim Maimanifest nicht um

    eine Flschung handelte offen. Allerdings ist es hochwahrscheinlich, dass die ungeklrte

    Ermordung von Alexandrov im August 1924, als er auf dem Weg zu einem IMRO-Kongress

    in Bulgarien war, mit dieser Affre in Verbindung stand.20

    Der Anschlag auf Alexandrov wurde durch eine lange Reihe weitere Attentate unmittelbar

    gefolgt, die innerhalb und auerhalb Bulgarien stattfanden und sowohl von Rachegefhlen als

    17Der vollstndige Name des am 6.Mai 1924 signierten Dokuments warManifest an das mazedonische Volk, andie organisierte revolutionre Bevlkerung in Mazedonien, und an die mazedonischen Revolutionre . (nach:

    Troebst, S. 66)18Troebst, S. 6519Ebd., S.6620McLoughlin, S. 218

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    auch von politischen Grnden motiviert wurden. Noch im September 1924 kam es in der

    mazedonischen Emigration zu einem ausgedehnten Massaker, dem alle die zum Opfer fielen,

    die der im Manifest festgelegten Orientierung positiv gegenberstanden.21 Die IMRO-

    Mitglieder, die sich auerhalb der Staatsgrenzen Bulgariens aufhielten, konnten sich, daswurde schnell klar, in keinem Fall sicher fhlen als diejenigen, die zurckgeblieben waren. So

    wurde aulev, der das Manifestes verffentlicht hatte, einen Tag vor Weihnachten 1924 von

    einem rechts stehenden IMRO-Aktivisten in Mailand ermordet.22 Nur kurz nach diesem

    Ereignis folgte auch noch ein weiteres makedonisches Attentat, das fr Schlagzeilen sorgte,

    und diesmal war der Tatort die sterreichische Hauptstadt. Trotz der Schwchung nach den

    vielen Attentaten versammelten sich die brig gebliebenen Fderalisten zu einer Konferenz

    in Wien, die vom 1. bis zum 11. Oktober 1925 dauerte. Dort wurde offiziell die

    linksgerichteten IMRO (vereint) gegrndet.23

    3. Das Attentat im Burgtheater

    3.1. Die Vorgeschichte Mencia Carniciu

    ber das Leben von Mencia (Melpomena) Carniciu24vor dem Attentat im Burgtheater gibt es

    wenige Informationen. Die ausfhrlichste Darstellung darber bietet sie selbst in einem Text

    den sie als Geschenk fr ihren Ehemann Ivan Mihajlov fr die gemeinsame Silberhochzeit

    1951 schrieb.25Er wiederum drckte diesen Text im dritten Band seiner Memoiren, der 1967

    drei Jahre nach Mencias Tod verffentlicht wurde. Die folgenden Ausfhrungen fuen auf

    diese Beschreibungen.

    Mencia Carniciu wurde in Krushevo, damals Osmanisches Reich, am 16. Mrz 1900 in einer

    aromunischen Familie geboren. Sie schreibt, dass in der Stadt gemischte Ehen zwischen

    Bulgaren und Aromunen blich gewesen seien und dass einer ihrer Urgrovter bulgarischer

    Priester gewesen sei. Ihr Vater lebte auch eigentlich nicht mehr in Krushevo, weil er ein Haus

    in Sofia gehabt habe, er sei nur zurckgekommen um zu heiraten. Die ersten Jahre ihres

    21Troebst, S. 66-6722McLoughlin, S.21923Biljarski, Coo [Hg.]: BKP, Kominternt i Makedonskijat vpros: (1917-1946), Bd.1; S.48524Im Zuge dieser Arbeitet verwenden wir die aromunische Schreibwese ihres Namens, da dieser in densterreichischen Zeitungen verwendet wurde. Die bulgarische Variante ihres Namens lautet MentschaKarnitscheva.25Michajlov, S. 171

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    Lebens verbrachte Carniciu im Haus ihrer Groeltern in Krushevo, wo sie mit ihrer Mutter

    lebte. Whrend des Ilindenaufstandes 1903 musste die Familie von den osmanischen Truppen

    flchten und sich angeblich fr 24 Stunden unter einer Brcke verstecken, wie auch andere

    Bewohner der Stadt. Wegen diesem dramatischen Ereignis sei sie erstmals an Rheumatismuserkrankt. Nach dem Aufstand verlieen Carniciu und ihre Mutter Krushevo und zogen zu

    ihrem Vater, der zu dieser Zeit in Caribrod lebte.26

    Whrend des Ersten Weltkrieges sei ihrer Mutter wegen einer Krankheit in Sofia gewesen und

    ihr Vater einbezogen gewesen, sie sei aber in Caribrod geblieben um sich um die Geschfte

    des Vaters zu kmmern.27Anfang September 1918 reiste Carniciu nach Mnchen um dort in

    der Handelsakademie zu studieren. Sie schreibt, dass sie auf dieser Reise Magdalena

    Izmirlieva kennenlernte und mit ihr fr zwei Monate in Mnchen lebte. Izmirlieva, war die

    Schwester von Todor Panicas Frau Ekaterina. Von ihr habe Carniciu erstmals ber die

    Kmpfe um Makedonien gehrt, da ihre eigenen Eltern apolitisch gewesen seien. Sie sei

    danach von den Heldentaten Panicas beeindruckt gewesen.

    Das berwiegend von Bulgaren bewohnte Caribrod, wurde 1919 Teil Serbiens. Da ihrer

    Eltern dort blieben, lebte Carniciu in den folgenden Jahren in Caribrod und teilweise in Sofia

    bei Verwandten oder Freunde der Familie, sie half ihren Vater bei seinen Geschften. ImSommer 1920 lernte sie durch Izmirlieva erstmals Panica in Ladschane (einem Kurort in den

    Rhodopen) kennen. Zu dieser Zeit sei Panica wegen Bereicherung whrend des Ersten

    Weltkrieges in Plovdiv angeklagt gewesen und in seiner Abwesenheit zu 3,5 Jahre Haft

    verurteilt worden. Kurz danach sei Panica aber von der Regierung Stambolijskis amnestiert

    worden. Carniciu meint dazu, dass es wahrscheinlich am damaligen Innenminister Alexander

    Dimitrov gelegen sein knnte, der ein ehemaliger Freund von Jane Sandanski gewesen sei

    und Panica mit Stambolijski bekannt gemacht habe.13Nach dem Juniputsch 1923 musste sich

    Panica zuerst in seinem Haus in Sofia verstecken und dann in das Knigreich SHS flchten.

    Anfang 1924 sei Panica kurz bei Carnicius Eltern in Caribrod gewesen, weil sie Izmirlieva als

    zuverlssig beschrieben habe. Dort habe Carniciu kurz mit ihm gesprochen und sei entsetzt

    gewesen ber die Sachen, die er ihr erzhlt habe. Er habe ihr gesagt, dass er nach Wien wollte

    um gegen die Herren Autonomistenvorzugehen. Er arbeite auch gemeinsam mit dem Chef

    der serbischen Polizei. Da habe Carniciu bemerkt, dass Panica fr die Serben arbeitete und,

    dass er deswegen ein Verrter und kein Nationalheld sei. Sie wollte ihn schon damals

    26Ebd., S. 172-17527Ebd., S. 177

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    angreifen nicht aus politischer berzeugung, aber aus Hass gegen die Serben die neuen

    Unterdrcker auch von Caribrod.28

    Als Carniciu wieder in Sofia bei Verwandten war, fragten diese sie ber ihre Beziehung zu

    Magdalena Izmirlieva. Danach wollten sie sie mit einem Mann, der, wie es sich spter

    herausstellte, Ivan Mihajlov war, bekannt machen. Carniciu weigerte sich zu den arrangierten

    Treffen zu gehen. Sie soll ihn jedoch in der Kanzlei der makedonischen Judenorganisation,

    die sich in dem Haus, wo sie wohnte, befand, zufllig getroffen haben. Danach htten sich die

    beiden noch ein paar Mal bei Bekannten gesehen, bis er am 6. Mrz 1924 zu ihr kam um sie

    ber Panica auszufragen. Am nchsten Abend habe sie Mihajlov mit einigen seiner Freunde

    in ihr geheimes Quartier in Sofia gefhrt und die ganze Nacht mit ihr geredet. Carniciu

    schreibt, dass sie danach sehr von Mihajlov beeindruckt gewesen sei und dass man sie fr den

    makedonischen Kampf gewonnen habe. Am 15. Mrz wurde sie Mitglied der IMRO.29Mit

    Mihajlov trafen sie sich dann immer wieder, bei einem Ausflug mit ihm im Sommer 1924

    habe sie jedoch eine Nierenentzndung sowie Pyelitis (Nierenbeckenentzndung) bekommen.

    Sie sei deswegen einige Wochen im Krankenhaus gewesen und danach auf Kur in Bankja, in

    der Nhe von Sofia. Im Jnner 1925 reiste Carniciu dann nach Wien um sich wegen ihrer

    Krankheit behandeln zu lassen. Zu diesem Zeitpunkt war sie aber auch schon fest

    entschlossen Panica zu beseitigen, wie sie selbst schreibt. Vor ihrer Abreise habe sie die Tat

    noch mit Mihajlov besprochen, der ursprnglich gar nicht gewollte habe, dass sie Panica ttet

    sondern nur jemanden von der IMRO zu ihm fhrt. Nach ihren eigenen Angaben scheint

    Carniciu keinen genauen Plan fr die Ausfhrung des Mordes gehabt zu haben. Sie schreibt,

    dass sie zuerst geplant habe sich nach der Tat selbst umzubringen, aber Mihajlov habe ihr

    geraten dies nur dann zu tun, wenn sie Panica in Griechenland oder dem Knigreich SHS

    ttet. In allen anderen europischen Staaten sollte sie sich der Polizei stellen, da der Prozess

    groe Aufmerksamkeit auf die makedonische Frage werfen wrde.30

    Falls sie es schafftPanica in sterreich zu tten, sollte sie zustzlich jegliche Beziehungen zur IMRO leugnen,

    da in sterreich die sozialistische Bewegung relativ stark sei und die IMRO keinen

    bolschewistischen Einflussauf makedonischen Boden wollte.31

    In Wien angekommen lebte Carniciu bei Izmirlieva in einem Zimmer in der Seidengasse 32.

    Zu dieser Zeit seien Panica und seine Frau in Griechenland und dem Knigreich SHS

    28Ebd., S. 187-18829Ebd., S. 188-19130Ebd., S. 191-19231Ebd., S. 193

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    unterwegs gewesenen. Carniciu habe auch erst dort von Izmirlieva herausgefunden, dass

    Panica auch noch mit den Bolschewiken arbeite. Gleichzeitig habe er mit serbischen und

    griechischen Generlen Plne fr die Eroberung von Pirinmakedonien in Wien geschmiedet.32

    Carniciu schreibt, dass sie immer noch krank gewesen sei und immer wieder hohes Fieberwegen der Nierenentzndung bekam. Sie habe groe Angst gehabt sich im Fieber zu verraten.

    Im April heiratete Izmirlieva den Agrarsozialisten Boris Bumbarov. Fr die Hochzeit kamen

    Panica und seine Frau zurck nach Wien, Carniciu schreibt dass sie sich dort nicht getraut

    habe Panica zu tten, weil zu viele Menschen anwesend gewesen seien. Dann wollte sie die

    Familie Panica ins Theater einladen. Als sie Karten fr Peer Gynt kaufen wollte, habe sie

    wieder Fieber gehabt. Da sie sich auch noch nicht so gut ausgekannt habe, habe sie Katja

    Antonova, die Schwester des Pressechefs der bulgarischen Botschaft, gebeten sie zu

    begleiten. Sie habe dann Karten fr die Loge 2 Rang 3 rechts gekauft und zwei fr eine

    andere Loge, weil die erste zu klein gewesen sei. Am Abend des 8. Mai ging sie dann mit

    Panica, seiner Frau und seinem Bodyguard, Jane Bogatinov, sowie Magdalena und Boris

    Bumbarovi ins Burgtheater.33

    3.2. Das Attentat

    Am 8. Mai 1925, im zweiten Akt von Ibsens Peer Gynt fielen pltzlich sechs Schusse

    mitten im Wiener Burgtheater. Die dadurch Ermordete Person war der bekannte

    makedonische Fderalist und Revolutionr Todor Panica, der sich in Wien unter dem

    falschen Name Dimitrij Arnautovic seit einiger Zeit aufgehalten hatte.34 Derselbe Panica

    stand im engen Kontakt mit dem Herausgeber der Zeitung La Fdration Balkanique

    Dimitar Vlahov. Er hatte zudem eine wichtige Rolle als Vermittler bei der Unterzeichnung

    des Maimanifestes und bei den Verhandlungen zwischen den Mitgliedern des ZK der IMRO

    und den Komintern-Agenten in Wien im Mai 1924 gehabt.35Anscheinend war sich Panica

    ber die mgliche Gefahr fr sein Leben bewusst er war stets bewaffnet und sein Schwager

    war sein persnlicher Leibwchter.34Allerdings kam aber die Gefahr aus einer unerwarteten

    Richtung und aus einer unerwarteten Person.

    32Ebd., S. 193-19433Ebd., S. 196-19734McLoughlin, S.22035Troebst, S. 68

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    Panica und seine Verwandten wurden zu der Vorstellung im Burgtheater von der jungen

    Mencia Carniciu eingeladen, eine bis dahin eher unbekannte fr die Diaspora Makedonierin.

    Carniciu konnte sich ber die Magdalena Izmirlieva, die Schwgerin Panicas, letztendlich

    auch Zugang zum Panicas Familie verschaffen. Mitten in die Vorstellung richtete Carniciuihren versteckt getragenen Revolver auf den vor ihr sitzenden Panica und drckte ab. Weitere

    Schsse lsten sich noch aus Versehen ab und zwei Mitglieder der Familie wurden verletzt.

    Panica selbst wurde tdlich getroffen. Die Tterin wurde gleich vor Ort fest genommen, dabei

    leistete sie keinerlei Wiederstand. Erstaunlicherweise lste sich im Burgtheater keine richtige

    Panik aus, ein Paar Personen gelang es offensichtlich das Publikum zu beruhigen und man

    konnte sogar die Vorstellung bis zum Schluss weiter spielen.34Die politische Motivation der

    Tat wurde von Carniciu kaum verborgen, als die Tterin ihre Handlung noch direkt nach dem

    Ereignis damit erklrte, dass Panica ein schlechter Makedonier und zugleich ein Verrter

    sei.34

    Der Anschlag im Burgtheater sorgte fr mediales Aufsehen und richtete die ffentliche

    Aufmerksamkeit auf der makedonischen Emigration. Der im Herbst 1925 erfolgte Prozess

    stellte die sterreichische Parteien bzw. ihre Presse-Organe gegeneinander.

    3.3 Der Prozess

    Der Gerichtsprozess gegen Mencia Carniciu, der mit groem Interesse von der ffentlichkeit

    verfolgt wurde, fand zwischen dem 30. September und dem 2.Oktober 1925 statt. Carniciu,

    die nur auf eine sehr einfache Ebene die deutsche Sprache beherrschte und deswegen von

    zwei Dolmetschern whrend des Prozesses untersttzt wurde, wurde von Dr. Richard

    Preburg und Dr. Ignaz Kurt Rosenfeld verteidigt. Die Anklger waren Dr. Emil Maurer undDr. Alfred Maril.36Der Prozess spaltete die Wiener Presse und zu einem gewissen Grad die

    Wiener ffentlichkeit in zwei Lager. Auf der einen Seite zeigten die liberale grobrgerliche

    bzw. die rechten Presse Sympathien fr die Angeklagte, auf der anderen Seite befanden sich

    die parteitreue Organe der Sozialdemokraten und der KP, die Carniciu zweifellos

    dmonisierten.36

    Carniciu wurde als schuldig fr den Mordanschlag an Todor Panica befunden und sie wurde

    sie zu acht Jahre Haft verurteilt. Das war im Prinzip von vornherein ein milde[s] Urteil34fr

    36Ebd., S. 69

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    so ein Verbrechen, ihr wurde jedoch auch noch nach nur zwei Monate auf Grund ihres sehr

    schlechten gesundheitlichen Zustands Haftverschonung gewhrt. Daraufhin wurde die

    Attentterin aus sterreich ausgewiesen und nach Sofia gebracht. Dort wohnte sie zuerst im

    Haus ihrer Eltern, wobei sie viele Besuche von Bewunderer empfangen haben soll, daruntersoll auch Mara Buneva gewesen sein, die 1928 einem serbischen General in Skopje ermordete

    und sich danach selbst ttete.37 Nachdem Carniciu einigermaen wieder genesen war,

    heiratete sie Ivan Mihajlov in ihrem Elternhaus am 25. Dezember 1926.38 Sie starb nach

    lngeren Krankenhausaufenthalte wegen ihren Nierenproblemen 1964 im Exil in Rom.39

    4. Das Attentat im Spiegel der sterreichischen Presse

    4.1. Die Zeitungen

    Im Laufe der Forschungsarbeit haben wir vier Wiener Zeitungen untersucht, die das Ereignis

    im Burgtheater im Mai 1925 und der danach folgende Prozess darstellten. Dabei haben wir

    uns bemht, Zeitschriften mit verschiedenen politischen Ausrichtungen zu selektieren, um

    mglichst differenzierte Meinungen vergleichen zu knnen. Die von uns ausgewhlten Bltter

    sind die Arbeiter-Zeitung, die Reichspost, Die Rote Fahne und die Neue Freie Presse.

    Die Arbeiter-Zeitung, die zum ersten Mal 1889 erschien, war das Zentralorgan der

    sterreichischen Sozialdemokratie.40Der politische Teil bildete vor der Krieg, sowohl auch

    nach den Krieg den Kern der Aussagen.41 Der sozialkritische Ton war scharf, vor allem

    kritisierte die Zeitung stndig die Christlich-Sozialen und die anderen Parteien im rechten

    politischen Spektrum, aber auch die radikalen Linken, d.h. die Kommunisten.42 Die

    Verbreitung war gro, die Auflage 1924 betrug 107.000 Stck.40

    Die Reichspost, die ab 1893 erschien, htte ursprnglich das Ziel gehabt die groe moderne

    [] volkstmliche katholische Tageszeitung fr ganz sterreich-Ungarn zu werden, diese

    Aufgabe erwies sich aber als schwer zu verwirklichen.43Noch am Anfang deutete die Zeitung

    ihren programmatischen Zweck daraufhin, das Habsburgerreich gegen alle separatistischen

    37Michajlov, S. 20838Ebd., S. 21039Ebd., S. 24740Paupi, Kurt: Handbuch der sterreichischen Pressegeschichte; S. 8841Ebd., S. 9042Ebd., S. 9143Ebd., S. 97

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    und nationalistischen Bestrebungen zu verteidigen.44 Dieser ideologischen Linie zu Folge,

    begrte die Reichspost den Krieg 1914 und forderte bis zuletzt seine Fortfhrung.45Nach

    dem Krieg verteidigte die Zeitung die christlich-sozialen Regierungen und stellte die

    grosterreichische auenpolitische Perspektive dar. Die Auflage betrug 1923 50.000 Stck.43

    Die Rote Fahne, die parteioffizielle Zeitung der Kommunistischen Partei Deutsch-

    sterreich, erschien zum ersten Mal 1919.46Das Blatt war natrlich stark politisch orientiert,

    es untersttzte vllig die Linie der sowjetischen Politik, dabei war der Ton polemisch und

    aggressiv. Die Verbreitung der Zeitung soll relativ gering gewesen sein.47

    Die Geschichte der Neue Freie Presse, die fr die sterreichische Publizistik von einmalige

    Bedeutung ist48

    , begann im Jahr 1864. Der Artikelschwerpunkt in der Vorkriegszeit, sowieauch nach dem Krieg ab 1918 lag in der politische, kulturelle und wirtschaftliche

    Kommentare bzw. Analyse. Der Ton war mavoll. Das Blatt war technisch und thematisch

    vollkommen, binnenlndisch renommiert und wurde auch im Ausland als Reprsentant der

    sterreichischen Presse hufig wahrgenommen.49 Die Auflage 1924 waren 72.000

    Exemplare.48

    4.2. Das Attentat und der Prozess die Berichterstattung

    In der Reichspost wurden ber das Attentat und den Prozess 8 Artikel verffentlicht,

    insgesamt etwa 4 Seiten. Am 9. Mai, dem Tag nach dem Attentat, gibt es auf Seite 1 eine

    kurze Notiz unter dem Titel Ein politisches Attentat im Burgtheater. Die Berichterstattung

    geht dann auf Seite 4 weiter. Den Groteil des Artikels nimmt der Augenzeugenbericht eines

    Redaktionsmitgliedes der Zeitung ein. Er schreibt, dass er nahe der Loge gesessen sei und

    daher die Schsse klar gehrt habe, whrend die meisten Zuschauer diese fr einen Teil der

    Vorstellung gehalten haben. Er selbst sei dann aufgesprungen und zu Loge gerannt, erst

    nachdem eine Frau aus der Loge geschrien habe, sei das Publikum auf das Geschehen

    aufmerksam geworden. Der Augenzeuge berichtet, dass er in der Loge neben den getteten

    Mann noch ein Verwundeter sowie zwei mit Blut verschmierten Frauen vorgefunden habe.

    44Ebd., S. 9845Ebd., S. 9946Ebd., S. 11247Ebd., S 11348Ebd., S. 14449Ebd., S. 145

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    Der Logendiener habe ihn zustzlich erzhlt, dass nach den Schssen eine weitere Frau aus

    der Loge gerannt sei und geschrien habe Polizei, Polizei, geschossen politische Sache,

    Politik!50. Sie sei von Sicherheitsbeamten abgefhrt worden. Der Augenzeuge habe sich

    dann die Psse der angeschossenen Mnner angesehen. Der Ermordete sei laut Pass einserbischer Kaufmann Namens Dimitri Arnautovic gewesen, der sich seit dem 16. April in

    sterreich aufgehalten habe. Der am Kopf verletzte Bogdanovic sei von der Ambulanz

    abgefhrt worden. Die meisten Zuschauer seien unbeeindruckt von den Geschehnissen

    geblieben, nur wenige htten das Theater verlassen und die Vorstellung habe man auch nach

    einer 20-minutigen Unterbrechung zu Ende gespielt. Nachdem sich das Gercht verbreitet

    habe, dass es sich um ein politisches Attentat gehandelt habe, habe sich lediglich im Publikum

    die Stimmung verbreitet: das hat man von unserem Asylrechtes50. Die Attentterin sei gleich

    von der Polizei mit Hilfe eines Dolmetschers befragt worden, sie sei in der Tat vollkommen

    gestndig50. Sie sei Makedonierin und habe Arnautovic aus politischen Grnden ermordet,

    weil er vor 16 Jahren zwei unschuldige Mazedonier heimtckisch50ermordet habe.

    Am 10. Mai gibt es noch einem lngeren Artikel mit dem Titel Das Mazedonier=Attentat im

    Burgtheater. Der Hintergrund des Mordes der Carniciu. auf Seite 7. Dieser fngt mit der

    Feststellung, dass das Attentat im Burgtheater die Aufmerksamkeit wieder einmal auf

    Makedonien gelenkt habe. Es folgt die Geschichte der Kmpfe in der Region seit 1878, die

    immer brutaler geworden seien.Als erste politische Partei Mazedoniens51sei die IMRO 1893

    gegrndet worden. Die Kmpfe innerhalb der IMRO zwischen den Fderalisten und den

    Autonomisten werden auch erwhnt. Der Ermordete Dimitri Arnautovic sei unter dem

    Namen Todor Panicza einer der gefrchteten Bandenfhrer der Fderalisten51 gewesen.

    Nach den Informationen zur makedonischen Frage wird noch erwhnt, dass die Tterin alles

    gestanden habe. Sie habe die Frau und den Leibwchter des Ermordeten unabsichtlich

    angeschossen. Der Leibwchter sei schon von der Polizei befragt worden, whrend EkaterinaPanica noch nicht vernehmungsfhig sei. Am 12. Mai52 folgt dann ein krzerer Artikel, der

    aus der Erklrung des Pressechefs der bulgarischen Gesandtschaft in Wien besteht. In diesem

    beteuert er, dass er nichts von den Mordabsichten der Carniciu gewusst habe, wie einige

    sozialistische Zeitungen geschrieben htten. Seine Schwester habe Carniciu von Sofia gekannt

    und daher htten sie sich ein paarmal gesehen, seit Carniciu in Wien war. Am 13. Mai53wird

    berichtet, dass die Frau des Ermordeten von der Polizei befragt werden konnte. Nach ihre

    50Reichspost: 09.05.1925, S. 451Reichspost: 10.05.1925, S. 752Reichspost: 12.05.1925, S. 553Reichspost: 13.05.1925, S. 6

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    Aussage habe Carniciu ohne Gegenwhr auf sie geschossen, was einen Raum fr

    Spekulationen offen lsst, ob die Tterin aus rein politischen Motive gehandelt habe oder

    doch auch aus Eifersucht. Danach gibt es bis Ende des Monats keine Artikel ber das Attentat

    mehr.

    Die Berichterstattung ber den Prozess fngt mit einem sehr kurzen Artikel (8 Zeilen) am 28.

    September54an. Es wird berichtet dass, der Prozess am 30. September anfngt und dass die

    Angeklagte aus dem Sanatorium Himmelhof abgeholt worden sei. Nach einer Untersuchung

    habe man im Inquisitenspital festgestellt, dass sie verhandlungsfhig sei. Am 30. September55

    gibt es einen Artikel mit Informationen zum Prozess. Es werden nochmal die Hintergrnde

    des Attentats widerholt. ber Canriciu schreibt die Reichspost, dass nur ihr Wunsch sich

    vor dem Gericht zu verantworten sie noch am Leben erhalte. Es seien auch 11 Journalisten

    aus Bulgarien in Wien eingetroffen. Am 1. Oktober56wird nach einer kurzen Einleitung die

    Befragung der Angeklagten wiedergegeben. Die Aussagen bei der darauffolgenden Befragung

    des Polizeirats des Burgtheaters sowie des Logenschlieers sollen mit den Aussagen der

    Angeklagten bereinstimmen.

    Am 2. Oktober gibt es eine lngere Einfhrung, in der auch schon das Urteil erwhnt wird.

    Laut der Reichspost sei der Prozess nicht wegen des eigentlichen Attentats interessantgewesen, da eh schon alles ber den Tatvorgang bekannt gewesen sei, sondern wegen der

    politischen Vorgeschichte. Die Hauptstreitigkeit habe zwischen den zwei Behauptungen

    gelegen: Sie [Carniciu] hat einen Verrter am Vaterlande gerichtet und Sie hat einen

    groen Patrioten ermordet.57Gerade diese Streitigkeit sei aber unlsbar gewesen, weil die

    Lage am Balkan zu kompliziert sei um sie in einem derartigen Prozess zu klren. Panica sei

    zweifellos ein tollkhner Soldat, ein verwegener Fhrergewesen. Da er aber selbst schon aus

    dem Hinterhalt einen Meuchelmord 1907 begannen habe, sei es verkehrt, ihn heute als reine

    Heldengestalt hinzustellen57. Carniciu sei auch keine Heldin. [...] Auch die Ausfhrung des

    Mordes hatte nichts Heldisches.57 Der Schuldspruch wrde dem allgemeinen

    Rechtsempfinden entsprechen, auch wenn es noch so viele mildernde Umstnde gegeben

    habe. Gerade in sterreich mit seinem grozgigen Asylrecht msse es bei einem

    offensichtlichen Mord einen Schuldspruch geben, damit nicht das Asyl dazu genutzt wird den

    Schauplatz der politischen Revolverkmpfe aus dem Osten nach Wien zu verlegen57. Nach

    54Reichspost: 28.09.1925, S. 355Reichspost: 30.09.1925, S. 856Reichspost: 01.10.1925, S. 757Reichspost: 02.10.1925, S. 7

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    diesen Feststellungen wird die Wiedergabe des Prozesses mit den Aussagen von Ekaterina

    Panica und Jane Bogatinov fortgesetzt. Laut dem Gutachten der Gerichtspsychiater sei

    Carniciu nicht geistesgestrt oder geistesschwach, sie sei aber eine politische Fanatikerin.

    Nach den Reden der Anklger und der Verteidiger haben sich die Geschworenen zu einer 1,5-stndigen Beratung zurckgezogen. Carniciu sei daraufhin von den Geschworenen fr

    schuldig erklrt worden des Meuchelmords, der Gefhrdung der Sicherheit des Lebens und

    der bertretung des Waffenpatentes. Wegen sehr mildernden Umstnden sei sie nur zur 8

    Jahre schweren Kerker und am Tag des Mordes zu Dunkelhaft verurteilt worden. Der

    Staatsanwalt und die Verteidiger beantragten die Freilassung der Angeklagten nach 398

    StBO(?). Nach dem 398 knne sie nicht eingesperrt werden, weil eine Haft wegen ihres

    schlechten Gesundheitszustandes einer Todesstrafe gleichkommen wrde. In den Folgetagen

    gibt es keine weiteren Artikel in der Reichspost.

    In der Arbeiter-Zeitung wurden 6 Artikel, wiederum etwa 4 Seiten insgesamt, verffentlich.

    Am 9. Mai nimmt der Artikel ber das Attentat fast die ganze erste Seite der Zeitung ein.

    Nach einer Schilderung der Tat, des Verhrs der Attentterin, die fast kein Deutsch knne,

    und der Verletzten gibt es auch zustzliche Informationen ber die Lebensverhltnisse der

    Carniciu. Ihre Wohnungsfrau habe der Presse erklrt, dass Carniciu ein schwchliches

    Mdchen mit Nierenleiden sei und dass sie in den Tagen vor dem Attentat an kolikartige

    Anflle gelitten habe. In der Zeitung wird dann noch spekuliert, dass es noch nicht klar sei, ob

    das Attentat wirklich politisch sei. Es sei alles unklar und mysteris58. Es sei zum Beispiel

    sehr seltsam, dass 6 Makedonier in einer Loge im Theater gesessen seien und das in einer

    deutschen Vorstellung, obwohl keiner von ihnen Deutsch konnte. Es sei aber sehr

    wahrscheinlich, dass gerade das Wiener Burgtheater deswegen fr die Tat ausgewhlt wurde,

    damit ein groes Aufsehen erregt wird, das die Aufmerksamkeit auf die Lage in Makedonien

    lenken sollte. Am 10. Mai59

    folgt dann, wie auch in der Reichspost, der historische undpolitische Hintergrund hinter dem Attentat. Dabei wird jedoch der Schwerpunkt auf die

    Ereignisse nach dem Ersten Weltkrieg gelegt. Panica wird als der Frst des Gebirges59

    bezeichnet, der seit dem Sturz Stambolijskis auf der Flucht gewesen sei. Das Maimanifest von

    1924 wird auch erwhnt und als eineAbsage der revolutionren mazedonischen Organisation

    an die Regierung Zankow59dargestellt. Der rechte Flgel der IMRO wird gar nicht als solcher

    anerkannt, alle die gegen den Fderalisten seien, seien nur Agenten der Regierung Zankov.

    Der Artikel endet mit der Feststellung, dass es die Aufgabe des internationalen Proletariats58Arbeiter-Zeitung: 09.05.1925, S. 159Arbeiter-Zeitung: 10.05.1925, S. 2

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    und auch aller demokratisch Denkenden in der Welt sei die Geschfte der bulgarischen

    Regierung zu strenund wenn mglich zu hintertreiben.59Am 11. Mai60gibt es einen kurzen

    Artikel ber die Aussagen Carnicius whrend des Verhrs und ber den Zustand der

    Verletzten. Am 12. Mai61

    wird die Erklrung des bulgarischen Pressechefs abgedruckt, sowieauch in der Reichspost, ohne jeglichen Kommentar der Arbeiter-Zeitung.

    ber den Prozess gibt es nur 2 lange Artikel, beide unter dem Titel Mazedonien in Wien.

    Der Mord im Burgtheater, die hauptschlich aus der Wiedergabe des Prozesses bestehen.

    Am 1. Oktober wird gleich am Anfang wieder die Behauptung aufgestellt, dass das Attentat

    im Burgtheater zwar auch ein Resultat der innermakedonischen Kmpfen sei, aber vor allem

    eine in die Ferne gegangene Ausstrahlung des blutigen Regimes, das jetzt in Bulgarien

    wtet.62 Die Hintergrundinformationen ber Panica und die Fderalisten werden fast

    wrtlich aus dem Artikel der Arbeiter-Zeitung vom 10. Mai bernommen. Nach einer

    Beschreibung der Attentterin und der auergewhnlich strengen Sicherheitsmanahmen vor

    dem Gerichtsaal folgt dann die Wiedergabe des Prozesses. Am 2. Oktober wird mit Bedauern

    festgestellt, dass es whrend des Prozesses nicht mglich gewesen sei zu beweisen, da die

    Carniciu das bezahlte Werkzeug der bulgarischen Mordbande ist. [...] So dumm sind

    diejenige, die den Emigranten solche Emissre nachschicken, nicht, dass sie ihnen

    schriftliche Instruktionen mitgeben.63 Danach folgen die Zeugenaussagen vom zweiten

    Prozesstag sowie die Beschreibung des Abschlusses des Prozess und des Urteils, hnlich wie

    in der Reichspost.

    Die einflussreiche Neue Freie Presse berichtet gleich am 9. Mai ber das Attentat als

    Hauptartikel auf Seite 1, der den Titel Ein politisches Attentat im Burgtheater trgt. Fr die

    brgerliche Zeitung ist es noch um diesen frhen Zeitpunkt klar, dass es sich um eine Bluttat

    politischer Natur handelte.64 Der Autor des Artikels betont extra die Tatsache, dass das

    geliebte Burgtheater zum ersten Mal in seiner Geschichte die Szene fr so ein tragisches

    Ereignis geboten habe.64Von der Attentterin wird gleich als Mencia Carniciu aufgefhrt und

    es wird bemerkt, dass sie Aromunerinsei, also, laut der ziemlich fragwrdige Definition des

    Autors eine Mischung zwischen jugoslawische und rumnische Rasse64.

    60Arbeiter-Zeitung: 11.05.1925, S. 761Arbeiter-Zeitung: 12.05.1925, S. 662Arbeiter-Zeitung: 01.10.1925, S. 763Arbeiter-Zeitung: 02.10.1925, S. 764Neue Freie Presse: 09.05.1925, S. 1

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    Nach der relativ knappen Darstellung des Attentats schenkt die Zeitung mehr

    Aufmerksamkeit der makedonischen Frage die gesamten makedonischen Freiheitskmpfe

    werden als ein Pfad des Grauenscharakterisiert. Es wird sogar behauptet, dass auch der Erste

    Weltkrieg indirekt vom ungeregelten makedonischen Problem verursacht worden sei.64

    Weiter im Artikel wird berichtet, dass die Kmpfe in Makedonien neulich zwischen den

    Makedonier selbst brutal gefhrt worden seien, als die makedonische revolutionre

    Organisation sich in zwei politischen Flgeln, d.h. einen rechten und einen linken, gespaltet

    habe. Die blutigen Zusammenste nach dem Maimanifest von 1924 werden hier skizziert

    und das Fazit, dass das Attentat im Burgtheater in diesem Kontext zu deuten sei, scheint nach

    dem Ton des Artikels logisch. Fr die Sicherheit sterreichs, so endet der erste Artikel in die

    Neue Freie Presse, wre es notwendig, dass der Mordanschlag aufgeklrt wird sterreich

    selber sei dem Osten sehr nahe und msse alles versuchen um weitere Taten dieser Art zu

    verhindern, weil solche konnten unerwartete und drastische Konsequenzen hinter sich

    ziehen.65

    Am 10. Mai beschftigt sich die Neue Freie Presse ausfhrlicher mit dem Attentat auf den

    Seiten 6 bis 8. Der Artikel trgt den Titel Das Revolverattentat im Burgtheater und

    Untertitel Vollstreckung eines Todesurteils an dem Mrdern Sarafows. Hier besttigt sich

    laut der Zeitung endgltig die These fr die politische Natur des Attentats und man stellt fest,dass frjede[n] Kenner der Verhltnisseklar sein muss, dass das Attentat seine Wurzeln in

    der gegenseitigen Gasse der mazedonischen Parteien hat.66 Weiters untersucht die Zeitung

    die Lebensgeschichte von Carniciu, die praktisch unbekannt bei dem in Wien lebende

    Makedonier bzw. Bulgaren gewesen sei und keinerlei politischen Hintergrund oder bekannte

    Beziehungen zur Politik habe.66Die Zeitung behauptet aber zu Recht, dass Carniciu schon mit

    dem Plan Panica zu tten nach Wien gekommen sei und in der sterreichischen Hauptstadt

    einfach an den passenden Augenblick gewartet htte. Hinter der sachlichen Beschreibungverbirg sich die berraschung, dass eine Frau einen solchen Racheakt durchfhren konnte.

    Laut der Zeitung habe Carniciu beim Verhr immer wiederholt, dass das Opfer Panica ein

    schlechter Mazedoniersei66und sie ihn deshalb beseitigen musste. Diesbezglich erinnert die

    Zeitung an der Ermordung von Boris Sarafov in Sofia, die von Panica ausgefhrt wurde.67

    Am 1. Oktober berichtet die Neue Freie Presse wieder ber den Prozess gegen Carniciu.

    Mit literarischer Begabung beschreibt der Autor des Artikels mit dem Titel Der politische

    65Neue Freie Presse: 09.05.1925, S. 266Neue Freie Presse: 10.05.1925, S. 667Neue Freie Presse: 10.05.1925, S.7

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    Mord in der Burgtheater-Loge. auf Seite 7 die komplizierte Situation im Gerichtssaal, die

    von der unlsbaren makedonischen Politik68geprgt sei. Der Fokus wird jedoch auf Carniciu

    selbst gesetzt, als ihre Persnlichkeit von groer Interesse fr die Medien war. Im Prozess

    habe die Angeklagte auch nichts zu verlieren gehabt und die Zeitung fragt sich, ob ihredrastische Tat Verderbtheit oder eigentlich doch Gre zeige. Der schlechte gesundheitliche

    Zustand der halblebendige AngeklagteCarniciu wird stark betont. Der Groteil des Artikels

    besteht aber eigentlich aus den Aussagen der Tterin bei dem Verhr im Gerichtssaal, die die

    Zeitung wrtlich wiedergibt und die grundstzlich schon bekannten Tatsachen und

    Motivationen besttigen.68

    Am 2. Oktober berichtet die Neue Freie Presse noch auf Seite 1 ber die Entscheidung beim

    Prozess mit dem Titel Mencia Carniciu zu acht Jahre Haft verurteilt. Diese Entscheidung

    soll mit acht gegen vier Stimmen, die die Angeklagte fr Schuldig fanden, getroffen worden

    sein.69Auf Seite 8 befindet sich der Hauptteil des Artikels und noch bei dem Titel erfahren

    die Leser, dass die Strafe allerdings nur auf dem Papier bleiben werde.70Der Grund: niemals

    knne so eine Strafe an der todkranken Frau vollzogen werden. Die Attentterin selbst

    beschreibt man als fast unberhrt von den Ereignissen im Gerichtssaal, die Zeitung vergleicht

    sie mit ein[em] Mbelstck, ein[em] Requisit70.

    Das kommunistische Partei-Organ Die Rote Fahne widmet sich dem Attentat im

    Burgtheater erst am 10. Mai. Der Artikel auf der Titelseite trgt den aussagekrftigen Titel

    Der revolutionre Bauernfhrer Panitza von einer Zankoff-Agentin ermordet. Noch im

    Untertitel Eine Tat der bulgarische Ochrana - wird ersichtlich, dass fr die stark

    politisierte Die Rote Fahne das Attentat im Burgtheater eigentlich eine Tat der verhasste

    rechtsstehende Sofioter Regierung war. Carniciu selbst wird direkt als Bulgarin bezeichnet

    und rasch im Text in Verbindung mit dem rechten IMRO-Fhrer Alexander Protogerov

    gebracht.71In einer mehr pathetischen als sachlichen Art wird der Mord im Burgtheater zum

    wohlorganisierte[n] Attentaterklrt, das von Zankoff und seinem Apparat durch eine Agentin

    durgefhrt wurde.71Die Rote Fahne nimmt klar die Seite des Ermordeten Panica, der als

    Opfer der imperialistische[n]bulgarischen Regierung prsentiert wird und dessen Aktivitten

    im Dienste der mazedonischen Freiheitskmpfe glorifiziert werden. Die Rote Fahne erklrt

    sogar, dass Carniciu keine Mazedonierin [sei], sondern aus der Dobrudscha stamme und

    68Neue Freie Presse: 01.10.1925, S. 769Neue Freie Presse: 02.10.1925, S. 170Neue Freie Presse: 02.10.1925, S. 871Die Rote Fahne: 10.05.1925, S. 1

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    deswegen kein Bezug zu den Kmpfen in Makedonien haben knne71, was natrlich nicht der

    Wahrheit entsprach.

    Auf Seite 2 der Ausgabe von 10. Mai wiederholt Die Rote Fahne noch einmal die

    Anschuldigungen gegen die bulgarische Regierung. Der Artikel trgt den Titel Wieder ein

    Mord Zankoffs. Im weiteren Text verbindet man die Tat von Carniciu direkt mit den so

    genanntenMordbrigade Zankoffs, die eigentlich mit dem rechten Flgel der IMRO, d.h. die

    Autonomisten gleichgesetzt wird.72 Panica selber wird nicht blo als revolutionre[r]

    Bauernfhrer, sondern auch als Feind des weien Terrors bezeichnet.72 Im Kontext der

    dramatische Ereignisse im Burgtheater fand die Die Rote Fahne auch eine gute Mglichkeit

    die sterreichische Regierung zu kritisieren eine richtig funktionierende Demokratie, so die

    Zeitung, msse die Ausweisung der bulgarischen Regierungsorgane fordern, da alle Fden in

    die bulgarische Gesandtschaft fhren. Anstatt dies zu tun, berwache der Staat stndig die

    revolutionren Aktivisten aus Makedonien in Wien, was nur die Arbeit der Zankoff-Agenten

    erleichtere. Die sterreichische Polizei wird zustzlich noch beschimpft laut der

    kommunistischen Zeitung decke diese dieZankoff-Mordfiliale.72

    Am 30. September bleibt Die Rote Fahne in einem kurzen Artikel mit dem Titel Die

    Briefe der Mrderin an die Frau ihres Opfer ihrer Politik treu und spekuliert, dass Carniciu,

    die sich in sterreich in einer schweren finanziellen Lage befunden habe, sich nicht nur von

    der bulgarische Botschaft in Wien materiell untersttzen lie, sondern auch von der Familie

    Panica.73Solche Vorwrfe modellieren das Bild der Attentterin natrlich in schwarze Tne

    und diskreditierten die Frau vollkommen. Die Ausgabe von 1. Oktober verfolgt weiter noch

    dieselbe ideologische und deutlich propagandistische Logik. Der Artikel auf Seite 3, der den

    Prozess gegen Carniciu behandelt, trgt den Titel Zankoff vor Gericht, d.h., dass die

    Attentterin als eine Vertreterin des bulgarischen Ministerprsidenten dargestellt wird. Die

    Angeklagte wird als armseliges Werkzeug74 portrtiert, man versucht also smtliche

    persnliche Motive zu leugnen und das Ereignis im Burgtheater fr die eigene Propaganda

    gegen die rechtstehende Politik allgemein zu verwenden. Dagegen wird Panica als der

    Bauernfhrer der Makedonier prsentiert, der gegen die imperialistischen Bestrebungen

    Bulgariens und fr ein freies Mazedonienagiert habe und der deswegen sterben musste. Die

    von ihn Ermordeten IMARO-Fhrer Sarafov und Garvanov, deren Ermordung zur

    Verurteilung Panicas durch die IMARO fhrten, werden alsAgenten Ferdinandsbezeichnet.74

    72Die Rote Fahne: 10.05.1925, S. 273Die Rote Fahne: 30.09.1925, S. 374Die Rote Fahne: 01.10.1925, S. 3

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    Am 2. Oktober bejubelt Die Rote Fahne die Verurteilung von Carniciu unter dem Titel

    Zankoff als Meuchelmrder verurteilt. Das kommunistische Organ blendet vllig Carniciu

    als Person aus und versucht zu behaupten, dass der bulgarische Ministerprsident, der

    Obermeuchelmrder selbst und seine Ochrana die Schuldigen seien.75

    Am 3. Oktober, imKontext der schon gefallene Entscheidung des Gerichthofes, wiederholte Die Rote Fahne

    die Kritik an der bulgarischen Regierung und die Behauptung, dass hinter dem Attentat der

    Carniciu eigentlich Zankov steht der Titel auf Seite 5 lautete Zankoff vor den Wiener

    Geschworenen. Das Opfer Panica soll ein Mann des Friedens gewesen sein, so die Zeitung,

    der hart die fr eine Balkanfderation der Arbeiter und Bauern gekmpft habe und deswegen

    mit sein Leben zahlen musste.76

    4.3. Der Balkan und Makedonien

    Die Bilder vom Balkan und insbesondere von Makedonien, die in den Zeitungen vermittelt

    werden hneln sich im Groen und Ganzen, das Negative berwiegt zwar, aber es gibt auch

    Positives oder zumindest Verstndnis fr die Lage Makedoniens. Es herrscht auch das Gefhl,

    dass die makedonische Frage sowie die Lage am Balkan allgemein in sterreich nicht

    ignoriert werden knnen, weil mandem Osten sehr nahe65 ist. Am 10. Mai beginnen in der

    Reichspost die Ausfhrungen ber die Geschichte der makedonischen Frage mit der

    Bezeichnung Makedoniens als das unglckliche Land der Revolutionen, Bandenkmpfen,

    Massenhinrichtungen und Morde. Das Attentat im Wiener Burgtheater habe eines der

    traurigsten politischen Kapitel Europas als Hintergrund.51Die Kmpfe kleiner Banden gegen

    die osmanischen Behrden nach 1878 htten sich zu einem Kleinkrieg mit allen hlichen

    Erscheinungen entwickelt, der eine ganze Generation zu Aufstand, Gewalt und Blutrache51

    erzogen habe. Die Reichspost schreibt auch noch, dass die Wiener Bevlkerung emprt sei,da gerade Wien zum Schauplatz einer balkanischen Blutrache gewhlt wurde, da gerade im

    Burgtheater ein Verbrechen begangen wurde, dessen Keim irgendwo in einem mazedonischen

    Bauernnest zu suchen ist.51Am 30. September wird auf die Berge Bezug genommen, die fr

    die Selbstdarstellung der IMRO in ihren Freiheitskampf von groer Bedeutung waren77. In

    75Die Rote Fahne: 02.10.1925, S. 176Die Rote Fahne: 03.10.1925, S. 577Ein Beispiel dafr, wie viel Wert die IMRO auf ihren Freiheitskampf in den Bergen legte, ist u.a. ein

    Interview von Alexander Protogerov fr die Neue Zrcher Zeitung erschienen am 09.10.1927. Gleich amAnfang wird ausdrcklich erwhnt, dass der Interviewer Protogerov in den makedonischen Bergen aufsuchenmusste und dass das Interview dort stattfand und nicht etwa in einem Cafe in Sofia. (nach: Makedonija Organna makedonskata emigracija v Bulgarija: 22.10.1927, S. 1)

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    diesem Fall wird der Prozess von der Reichspost als der letzte Akt jener blutigen Tragdie,

    die vor Jahren in den mazedonischen Bergen begonnenhabe, bezeichnet.55

    Am 1. Oktober ist dann erstmals vermehrt die Rede vom Balkan. Die Reichspost schreibt,

    dass im Wiener Schwurgerichtssaal an diesem Tag ein Stck Balkangeschichte entrollt

    worden sei. Das Attentat habe viel politischen Balkanstaub aufgewirbelt.56Und obwohl man

    einen Einblick in die hundertjhrige Leidensgeschichte Mazedoniens und in die

    Freiheitskmpfe dieses Volkes56 gewonnen habe, sei es unmglich das Balkanproblem in

    diesem Prozess zu lsen. Am 2. Oktober stellt die Zeitung fest, dass der kurze Ausflug in die

    Balkanpolitik geringen Wert fr die Geschworenen gehabt habe. Es gehre ein

    Spezialstudium dazu, die mazedonischen Wirren historisch und politisch zu verstehen, man

    mu am Balkan gelebt haben, um die handelnden Personen ganz zu begreifen.57 In der

    Reichspost meint man damit vor allem die Frage, ob Panica ein Nationalheld oder ein

    Verrter gewesen sei, die laut der Zeitung die wichtigste im Prozess gewesen sei, aber leider

    ungelst bleiben musste. Der Mordanschlag gegen einen politischen Gegner, den Carniciu

    verbt hatte, msse zudem aus der Psyche eines Volkes erklrt werden, das in

    jahrhundertlangen Leiden gelernt hat, ein Menschenleben gering zu achten.57

    Der erste Artikel in der Arbeiter-Zeitung am 9. Mai endet mit der Bemerkung, dass dasAttentat ohne Zweifel ein Ausflu der wilden, fast barbarischen Kmpfe, die um Mazedonien

    toben, und die zu der Furchtbaren Spannung auf dem Balkan so stark beitragen sei.58Die

    Kmpfe seien Groteils eine Folge der Friedensvertrge, die alles zerteilt und zersetzt haben,

    ohne an Stelle des Alten vernnftige und dauerhafte Bindungen zu setzten58. Im diesen Sinne

    ist es nicht verwunderlich, dass die Fderalisten von der Arbeiter-Zeitung positiv gesehen

    werden sowie Panica als einer ihrer Fhrer als Frst des Gebirges dargestellt wird.59 Die

    Lsung der makedonischen Frage im Einverstndnis mit den Serben und die Schaffung

    eine[r] republikanische[n] sdslawische[n] Fderation, fr die sich Stambolijski und der

    linke Flgel der IMRO eingesetzt htten, sei sehr wnschenswert. ber das Attentat schreibt

    man, dass es von Blutrache, politische und vielleicht auch andere Leidenschaften geleitet

    worden sei und dass die Attentterin das Burgtheater von Wien mit einem mazedonischen

    Gebirgsdorf verwechselte und die bulgarisch-mazedonische Fehde auf dem Boden der freien

    Republik auszutragen unternahm59. Das Feindbild in der Arbeiter-Zeitung ist eindeutig die

    bulgarische Regierung unter Zankov, die ein Netz der Spionage und der Provokation ber alle

    Staaten, in denen bulgarische Emigranten leben, geworfen habe59. Die Zankov-Regierung

    wird u.a. als blutiges Regime, Schreckensregiment61 sowie Mordbande63 bezeichnet. Am 1.

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    Oktober schreibt die Arbeiter-Zeitung als Information zum Prozess, dass die Carniciu

    whrend des Sommers im Sanatorium gewesen sei und dass sie dort streng bewacht worden

    wurde, nicht nur damit sie keine Mglichkeit zur Flucht gehabt habe, sondern auch damit

    nicht die Anhngern Panicas an ihr Blutrache nehmen. Die Sicherheitsvorkehrungen beimProzess seien auch deswegen so streng, damit nicht irgendein Balkaner der Carniciu etwas

    antun knne (entweder, weil sie Panizza ermordet hat, oder wenn sie etwas aussagt, womit

    sie ihre Sendung im Dienste der Zankow-Regierung kennzeichnet)62.

    Die Neue Freie Presse verteidigt generell eine objektive, sachliche Berichterstattung, was

    das Attentat und seine Hintergrnde angeht. Der von Carniciu verbte Mordanschlag wird

    selbstverstndlich als Grausamkeit definiert und verurteilt. Seine politische Natur wird jedoch

    sofort erkannt, der makedonische Freiheitskampf wird breit diskutiert. Daneben werden

    manche Balkanvorurteile ins Spiel gebracht, auch wenn es nichts Radikales oder Krasses gibt.

    Die Lage auf dem Balkan war aber in der Tat hchstproblematisch und als solche wird sie

    auch in den Artikeln wiedergespiegelt. Vielmehr akzentuiert man die Tatsache, dass die

    Vlker in Makedonien einen ungleichen Krieg fr ihre Rechte fhren mssten. In dem Fall ist

    deutlich erkennbar, dass der Ton der Zeitung Sympathien fr die Balkanregion zeigt.

    Trotzdem erinnerte die Zeitung doch an die Tatsache, dass sterreich viel zu nah an dem

    Osten66sei und deshalb msse der Staat spezielle Sicherheitsvorkehrungen treffen, damit der

    binnenlndische Frieden nicht von den Taten der in Wien basierten kampfbereite Mitglieder

    der makedonische Diaspora gefhrdet werde.65 Die Atmosphre in sterreich sei, so die

    Zeitung im Hinblick auf das Attentat, gewitterhaft geladen, und man sollte aufpassen, denn

    schlechte Politik [mnde] in schlechten Taten.65

    Der Mordanschlag gegen Panica verursachte heftige Diskussionen, aber laut der

    Berichterstattung brachte eigentlich die Tatsache, dass das Attentat im renommierten

    Burgtheater verbt wurde, die Emprung der ffentlichkeit und der brgerlichen Presse. Die

    erbitterte Fehden des nahen Balkans78konnte man vielleicht woanders ertragen, aber nicht im

    Burgtheater, lieber auch nicht in Wien: Die Parole der Balkan den Balkanvlkern bedarf

    einer Ergnzung: Wien den Wienern!78. Die relativ groe Anzahl an Migranten aus dem

    Balkan bzw. Makedonien in Wien sei laut der Neue Freie Presse ein Grund fr Sorge. Man

    kann aber feststellen, dass der Mordschlag an sich eigentlich keine groe Aufregung

    verursacht hatte viel mehr war man besorgt ber die Reputation einer traditionsreichen

    Institution wie das Burgtheater.

    78Neue Freie Presse. Abendblatt : 09.05.1925, S. 3

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    In einer vllig anderen Richtung argumentiert Die Rote Fahne, was die Balkan- bzw. die

    Makedonienbilder betrifft. Das kommunistische Blatt setzt den Fokus auf den Kampf der

    makedonischen Bauern fr soziale Rechte und untersttzt die damals aktuelle Idee fr die

    Bildung eines Balkanbundes. Dabei verwendet die Zeitung kaum starke negative Balkan-Stereotype, weil solche auch nicht in ihre ideologische Vorstellung passen wrden. Fr Die

    Rote Fahne befindet sich der wichtige Gegensatz im Falle des Attentats und seine

    Hintergrnde nicht auf der kulturellen Ebene unter Kategorien wie europisch - balkanisch,

    wie es vielleicht fr die brgerliche Presse der Fall war, sondern mehr auf der politisch-

    sozialen Ebene unter den Gegenpaare imperialistisch - sozialistisch/buerlich. Smtliche

    nationalistische oder psychologische Elemente, die sich hinter den Ereignissen im Burgtheater

    befanden, werden in den Artikeln der Die Rote Fahne, ausgeblendet und so bekommt

    Panica die Hauptrolle des revolutionre[n] Bauernfhrer[s]zugeteilt, Carniciu hingegen wird

    einfach alseine Zankoff-Agentin beschrieben.71Die von der Zeitung erfundene Tatsache, dass

    Carniciu eigentlich aus der Dobrudscha stamme und deswegen selber keinen Bezug zu

    Makedonien haben knne, ist auch im Kontext dieser ideologischen Linie zu deuten.71

    4.4. Die IMROMan kann sich freilich auch vorstellen, da mit den Schssen in der Loge im Wiener

    Burgtheater ein Schu in Europas Gewissen abgefeuert werden sollte, um das Gefhl dafr zu

    erwecken, da es eine ungelste mazedonische Frage gibt.58Mit dieser Aussage am Ende des

    Artikels vom 9. Mai bringt es die Arbeiter-Zeitung auf dem Punkt. Fr die IMRO war es

    sehr wichtig in den europischen Medien prsent zu sein und neben den bewaffneten Kampf

    auch einen ideologischen Krieg zu fhren. Wie schon erwhnt, steht in den Memoiren von

    Ivan Mihajlov, dass er Carniciu geraten habe sich nach dem Mord an Panica nicht selbst

    umzubringen, was sie ursprnglich gewollt habe. Nach ihren eigenen Angaben soll es das Ziel

    gewesen sein durch den Prozess noch strker die Aufmerksamkeit der europischen

    Bevlkerung auf die Lage in Makedonien zu lenken.30 Die Darstellung der IMRO als

    Freiheitskmpfer spielt dabei eine wichtige Rolle. Im folgenden Kapitel soll es darum

    gehen, wie viel die sterreichische Presse ber die IMRO wusste und berichtete, d.h., in wie

    weit die Propaganda der Organisation wirkte.

    In der Reichspost wird erst am 10. Mai ausfhrlich ber die makedonische Frage und derIMRO berichtet. Es wird zwischen den Autonomisten und den Fderalisten

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    unterschieden, man bezeichnet sie als zwei verschiedene Parteien. Die Autonomisten

    werden dabei positiver dargestellt als die eigentlichen Nachfolger der 1893 gegrndeten

    IMRO.Das politische Ziel der Imro, der anscheinend auch Mencia Carniciu angehrt, ist

    die vollkommene Unabhngigkeit Mazedoniens, ohne irgend eine Anlehnung an einemanderen Staat. [] Die Autonomisten haben in diesem Geiste die Anbiederung der

    Kommunisten abgelehnt.51Die Autonomisten htten eine Zusammenarbeit mit Stambolijski

    auch abgelehnt, weil dieser mit Belgrad gegen eine makedonische Unabhngigkeit gearbeitet

    habe. Mit Zankov wrden sie nur arbeiten so lange es ihren Interessen entspricht, wie zum

    Beispiel whrend des Putsches gegen Stambolijski. Die bedeutendste Fhrerpersnlichkeit

    der Autonomisten [...] Todor Alexandrow, eine Persnlichkeit, die das Durchschnittsma weit

    berragte51, sei ein Jahr zuvor ermordet worden. Sein Erbe htten General Protogerov und

    Ivan Mihajlov bernommen. Am 1. Oktober wird noch zustzlich erwhnt, dass die

    Angeklagte Carniciu sowie die Autonomisten eigentlich fr die Selbstbestimmung der

    Vlker, wie es im 14-Punkte-Programm vom Prsident Wilson nach dem Ersten Weltkrieg

    vorgesehen gewesen war, stehen wrden.79

    Die fderalistische Organisation sei 1906 nach Streitigkeiten innerhalb der IMRO-

    Fhrung gegrndet worden, sie wrde sich nur mit gewissen nationalen Zugestndnissen

    innerhalb der Balkanstaaten51

    begngen. Seit dem Sturze Stambuliskis arbeitet diefderalistische Organisation vornehmlich mit den Moskauern zusammen, von denen sie

    recht bedeutende Geldbetrge erhlt. Auerdem stehen die Fderalisten in einem

    freundschaftlichen Verhltnis zu der Agrarkommunistischen Einheitsfront in Bulgarien und

    zu den bulgarischen Emigranten aus der versprengten Anhngerschaft Stambuliskis.51Panica,

    ein gefrchteter Bandenfhrer der Fderalisten, sei erstmals bekannt geworden, nachdem er

    zwei hervorragende Fhrer der Autonomisten, Sarafow und Garwanow, bei einem Nachtmahl

    ermordete.

    51

    Nach 1918 habe Panica fr Stambolijski gearbeitet und nach dessen Ermordungmit den Kommunisten. Am Ende seiner Laufbahn geriet er vllig in das kommunistische

    Fahrwasser, so dass sein Begrbnis in Wien zu groen kommunistischen Trauerkundgebung

    Anlass gab.55

    Im Gegensatz dazu werden die links stehenden Fderalisten in der Arbeiter-Zeitung

    verstndlicherweise positiver dargestellt. Der Mann, der Frst des Gebirges, der dem

    Attentat zum Opfer fiel, war ein bedeutender Fhrer der permanenten mazedonischen

    Revolution. [] Er stand nmlich an der Seite Stambuliiskis, der bekanntlich die

    79Reichspost: 01.10.1925, S. 8

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    mazedonische Frage im Einverstndnis mit den Serben lsen und eine republikanische

    sdslawische Fderation bilden wollte, der dann sowohl das serbische als auch das

    bulgarische Mazedonien angegliedert werden sollte. Den irregulre[n] Mazedonier, damit

    sind wahrscheinlich die Autonomisten gemeint, habe man eingeredet, dass sieStambolijskian Serbien verkaufen wollte.59 Die Fhrer der IMRO, die am Maimanifest gearbeitet hatten,

    seien alle schon tot, weil das Manifest gegen die Regierung von Zankov gerichtet gewesen

    sei. Der einzige der noch am Leben sei, sei Protogerov, der jedoch nurals Provokateur und

    Spitzel der Regierung Zankow59 das Maimanifest unterzeichnet habe. Alle Morde, die nach

    dem Erscheinen des Manifestes innerhalb der IMRO durchgefhrt wurden, seien von der

    bulgarischen Regierung in Auftrag gegeben worden so auch der Mord an Panica.Im Dienste

    der Zankow-Regierung wird nicht nur in Bulgarien gemordet, man hat das bulgarische

    Schreckensregiment auch in das Ausland getragen.62 Mit diesen Behauptungen wird die

    Existenz eines selbstndig agierenden rechten Flgels der IMRO von der Arbeiter-Zeitung

    komplett negiert, alle die nicht zu den Fderalisten gehren, werden zum Spitzelgesellen

    des Zankows59erklrt.

    In der unmittelbaren Zeit nach dem Burgtheater-Attentat bleibt die Neue Freie Presse

    ziemlich neutral und objektiv in ihre Beschreibung der Geschichte der IMRO und

    insbesondere der politischen Spaltungen nach 1906 und nach dem Maimanifest von 1924. Frdie brgerliche Zeitung ist es von Anfang an klar, dass das Attentat eine brutale Folge der

    ideologischen Zwischenkmpfen innerhalb der Organisation sei, wobei aber die Unklarheit

    existiere, welche von den beiden Parteien das Recht habe sich als reprsentative Vertretung

    der makedonische Freiheitsbewegung darzustellen. So berichtete die Zeitung: die

    Autonomisten wollen unter Anlehnung zu Bulgarien die Autonomie erlangen [] wobei

    ausdrcklich hervorgehoben werden muss, da sie sich mit der jetzigen bulgarischen

    Regierung nicht befreunden knnen, weil deren Chef Zankow auf dem Standpunkt desFriedensvertrages beharrend, anerkennt, da Mazedonien Jugoslawien zugefallen ist.66Auf

    die andere Seite streben die Fderalisten, deren derzeitiger ausschlielicher Fhrer Panizza

    war, eine Balkanfderation an mit einem ebenfalls autonomen Mazedonien. Die Zeitung

    betont noch zustzlich, dass die autonomische Bewegung[] monarchistischen, die

    fderalistische republikanischen Charakter habe.66

    Das Beschreibungsmodell der makedonischen Parteien bzw. der IMRO-Flgeln wird bei Die

    Rote Fahne komplett anders dargestellt. Das kommunistische Blatt erklrt die Fderalisten

    fr die einzige wahre und wrdige Freiheitsbewegung, die sich fr die makedonische Sache

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    engagiert und gegen die gropolitische Ambitionen der Nachbarstaaten, insbesondre

    Bulgarien, Wiederstand geleistet habe. Das Opfer des Burgtheater-Attentats, der

    revolutionre Bauernfhrer Panica, wird auch in ein gutes Licht portrtiert. So berichtet die

    Zeitung am 10. Mai: der Ermordete [] war einer der Fhrer der mazedonischenFderalisten in ihrem Kampf gegen die bulgarische Regierung und Hofkamarilla, die mit dem

    Knig Ferdinand an der Spitze, diese Bewegung fr ihre imperialistischen Ziele ausntzen

    wollte.71

    Im Gegensatz dazu werden die politisch rechtstehenden Autonomisten als eine bloe Waffe

    des bulgarischen Staates und dessen politische Fhrung wahrgenommen. Carniciu wird als

    Zankoff-Agentin71 bezeichnet und es wird notiert, dass sie der so genannten inneren

    mazedonischen Gruppe des General Protogeroff angehre, die im Gegensatz zu der Gruppe

    der Fderalisten, der Panitza angehrte, Parteignger der Mrderregierung Zankoff sind.71

    4.5. Die Darstellung der Attentterin

    Die ersten kurzen Beschreibungen der Carniciu gibt es nach dem Attentat. Die Arbeiter-

    Zeitung schreibt, dass die Attentterin beim ersten Verhr sehr gefasst gewesen sei, manhtte ihr die Tat nicht angesehen, man htte sie hchstens fr eine Zeugin des entsetzlichen

    Mordes halten knnen58. ber die ausfhrlicheren Untersuchungen im Sicherheitsbureau

    schreibt die Reichspost hnliches: Die Tterin ist auch heute noch ruhig und gefat und

    verbirgt kaum ihre Genugtuung, da das Attentat gelungen ist.51Die erste Erwhnung einer

    Krankheit findet sich in der Arbeiter-Zeitung bei der Befragung von Carnicius

    Wohnungsfrau.58 Ausfhrlicher wird die Krankheit der Attentterin im Schreiben des

    Pressechefs der bulgarischen Botschaft in Wien, das in den Zeitungen am 12. Maiverffentlicht wurde, beschrieben. In der Reichspost gibt es am 13. Mai die Vermutung,

    dass die Motive der Tterin nicht nur rein politisch sein knnten, weil sie auch auf die Frau

    des Ermordeten geschossen hat. Es wird spekuliert, dass es sich um persnliche Gefhle,

    vielleicht um Eifersucht, gehandelt haben knnte.53Am 30. September werden immer noch

    Zweifel an der reinen politischen Motivation der Tterin ausgesprochen.55 Am 2. Oktober

    stellt die Zeitung fest, dass der Mord rein politisch gewesen sei und dass Ha- und

    Rachegefhle anderer Artnicht involviert gewesen seien. Die Aussage der Ekaterina Panica

    habe alle Zweifel, dass Eifersucht eine Rolle gespielt haben knnte, beseitigt.57Die Frage, ob

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    Eifersucht involviert gewesen sei, wre im Falle eines Attentters wahrscheinlich gar nicht

    aufgekommen.

    Im Zuge des Prozesses wird Carniciu in der Reichspost als todkrank beschrieben. Eine Zeit

    lang sei es wegen ihres Zustandes unklar gewesen, ob der Prozess stattfinden wrde. Es sei

    jedoch der leidenschaftliche Wunsch der Angeklagten, vor Gericht zu kommen, um die

    Grnde ihrer Tat ausfhrlich darlegen zu knnen. Ja, sie hat sogar whrend der Haft mit

    groem Flei die deutsche Sprache gelernt, um sich selbst verantworten und der Verhandlung

    besser folgen zu knnen.80 Whrend des Prozesses wird sie immer wieder als die

    Schwerkranke, die Todkrankeoder auch die todkranke Mrderinbezeichnet. Das Urteil sowie

    die baldige Freilassung nach 398 wrden dem allgemeinen Rechtsempfindenentsprechen, da

    es ein Urteil fr den offensichtlichen Mord geben musste, aber man die Todkranke in Ruhe

    ihrem Ende entgegengehen lt und ihr die Qualen des Kerkers erspart.57 Laut der

    Reichspost sei Carniciu jedoch keine Heldin und der Vergleich mit Charlotte Corday, wie

    ihn Carnicius Anwhlte ausgefhrt htten, sei nicht besonders treffend. Panica sei zum

    Zeitpunkt des Attentats kein Tyrann gewesen und die Lage der unglcklichen Mazedonier

    habe sich mit seinem Tod auf keiner Weise verbessert. Der Mord habe nur zu neuerlicher

    Blutrache Anla gegeben.57

    Die Arbeiter-Zeitung schreibt: wenn ein politischer Mrder niedrig und gemein gehandelt

    hat, war es die Carniciu.62 Da keiner gewusst habe, dass sie eine Gegnerin von Panica

    gewesen sei, und weil sie bei seiner Familie gewohnt habe und seine Freundin gewesen sei,

    sei die Tat ausgesprochen hinterhltig. Die Zeitung beschreibt Carnicius Aussehen am Anfang

    der Verhandlung auch nicht besonders schmeichelhaft. Sie sei eine ziemlich groe, sehr

    magere Person mit dunkelbraune[m] Haar, schwarze[n] Augen und Hrchen auf der

    Oberlippe, die vielleicht infolge ihrer Krankheit lter aussieht, als sie ist. Sie sehe energisch

    aus und habe eine krftige Stimme, an der man nicht merke, dass Carniciu schwerkrank sei.

    Laut der Arbeiter-Zeitung wolle sie auf Bulgarisch reden, aber der Vorsitzende wrde sie

    zwingen Deutsch zu sprechen. Ihr Deutsch tue aber dem Zuhrer weh. Auch versteht man

    nicht einmal in der ersten Reihe des Zuhrerraumes, was die Angeklagte spricht.62 Im

    Gegensatz zur Reichspost betont die Arbeiter-Zeitung mehr den Aspekt, dass Carniciu

    eine (Meuchel)mrderin war und weniger dass sie schwerkrank war. Es wird auch

    ausgeschlossen, dass sie selbstndig beschlossen haben knnte Panica zu tten, da man sie nur

    fr das bezahlte Werkzeug der bulgarischen Mordbande63, d.h. der bulgarischen Regierung,

    80Reichspost: 30.09.1925, S. 8-9

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    hlt. In beiden Zeitungen wird jedoch die Hysterie, als eine berwiegend den Frauen

    angelastete Krankheit, als eine der Ursachen fr Carnicius Tat angefhrt. In der Arbeiter-

    Zeitung schreibt man von weibliche[r] Hysterie59und in der Reichspost von der Hysterie

    der Schwerkranken57

    .

    In der Berichterstattung ber das Attentat im Burgtheater zeigen die meisten Zeitungen kein

    besonderes Interesse an der Tatsache, dass gerade eine Frau den Mord durchgefhrt hatte. Die

    einzige Zeitung, die ihre berraschung nicht verbergen kann, ist die Neue Freie Presse.

    Auch wenn hier speziell das Ziel verfolgt wird khn und sachlich ber das Ereignis zu

    berichten, bekommt der Leser trotzdem den Eindruck, dass das erstaunliche am Attentat fr

    die Neue Freie Presse gerade die Tatsache war, dass es von einer Attentterin ausgefhrt

    wurde. Die Person der Carniciu erweckte gemischte, polarisierte Gefhle, die von Emprung

    bis Glorifizierung reichen. Die linke bzw. kommunistische Presse bezeichnet sie als ein

    politisches Instrument und depersonifizierte sie. Fr die Neue Freie Presse ist sie mehr eine

    tapfere Kmpferin fr Gerechtigkeit, auch wenn man diese Gerechtigkeit mit barbarischen

    Mittel zu erreichen versuchte.

    Als Rcherin eignete sich Carniciu gut. Eine Frau wurde wahrscheinlich speziell fr die

    Hinrichtung erwhlt, weil ein unbekannter Mann kaum eine Chance gehabt htte sich Zugriffzu Panica zu verschaffen so die Neue Freie Presse. Fr die brgerliche Zeitung ist der

    Mordschlag im Burgtheater von Anfang an eine politisch-motivierte Tat. Man verbindet

    jedoch auch leicht die Hysterie, damals noch viel diskutierter Frauenzustand, mit der Bluttat

    der jungen Makedonierin. So erwhnt die Neue Freie Presse auch, dass Carniciu in ihrem

    ganzen Habitus [] den Typus der politisch fanatisierten Frauhabe.78 Ihre Tapferkeit und

    Entschlossenheit stehen fr die Zeitung auer Zweifel, und der besondere gesundheitlich

    Zustand, in der sie sich befand, machen aus ihr eine fast idealen und zugleich unrealistischen,

    traurigen Gestalt, die die hoffnungslose Lage ihrer Heimat symbolisiert. ber den Prozess

    bemerkt die Neue Freie Presse, dass Carniciu sicher die merkwrdigste Frau, die dieser

    [Gerichts]Saal jemals gesehen hat68, sei. Sie wird gleichzeitig als die strkste Person im

    Gerichtssaal und als sehr zarte und von Krankheit aufgebrauchte, todkranke81junge Frau

    dargestellt. Carniciu besa die Kraft alle diejenigen, die nichts zu verlieren habe und auch

    eine Gerechtigkeit, die sie strafwrdig befindet, knnte das Spiel nicht gegen sie gewinnen.68

    81Neue Freie Presse: 30.09.1925, S. 10

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    Fr die links-orientierte Presse und vor allem fr die radikale Die Rote Fahne war Carniciu,

    wie schon erwhnt, eine gut bezahlte, kaltblutige Auftragsmrderin. Ihre Weiblichkeit und die

    Krankheiten, unter die sie wahrhaft litt, spielen hier nur eine Nebenrolle. Die Tterin selbst

    wird schlicht als eine politische Waffe wahrgenommen und an ihr persnliches Rachegefhlbzw. Patriotismus wird gezweifelt. Die These, die die Tat als von Fanatismus geprgt

    betrachtet, lehnt Die Rote Fahne