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Juristische Fakultät Examinatorium im Schwerpunktbereich 3 Sommersemester 2016 1 Examinatorium im SPB 3, SoSe 2016 Termin 3: UN-Kaufrecht I. Allgemeine Hinweise Rechtliche Grundlage: UN Convention on Contracts for the International Sale of Goods Ausgearbeitet von UNCITRAL (Spezialisierte Behörde der UN, die sich mit dem Handel beschäftigt) Derzeit mehr als 80 Vertragsstaaten CISG ist völkerrechtliches Übereinkommen Teil der nationalen Rechtsordnung Beachte: Unvollständigkeit der Regelungsbereiche: Art. 4 CISG o Geregelt: Abschluss des KV, Rechte und Pflichten aus KV o Nicht geregelt: Wirksamkeit des KV, Eigentumsfragen Beachte: Unvollständigkeit der Regelungsweite, Art. 5 CISG Vorrang der CISG (vgl. Art. 25 Rom I-VO bzw. Art. 3 Nr. 2 EGBGB); aber Möglichkeit, die Anwendung der CISG auszuschließen (Art. 6 CISG) II. Systematik der CISG Teil I: Anwendungsbereich und allgemeine Bestimmungen (Art. 1-13 CISG) Teil II: Abschluss des Vertrages (Art. 14-24 CISG) Teil III: Warenkauf (Art. 25-88 CISG) Kapitel I: Allgemeine Bestimmungen (Art. 25-29 CISG) Kapitel II: Pflichten des Verkäufers (Art. 30-52 CISG) Kapitel III: Pflichten des Käufers (Art. 53-65 CISG) Kapitel V: Gemeinsame Bestimmungen über die Pflichten des Verkäufers und des Käufers (Art. 71-88 CISG) Teil IV: Schlussbestimmungen (Art. 89-101 CISG)

Examinatorium im SPB 3, SoSe 2016 Termin 3: UN- · PDF fileJuristische Fakultät Examinatorium im Schwerpunktbereich 3 Sommersemester 2016 4 VIII. Besonderheiten bei der Vertragsaufhebung

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Juristische Fakultät

Examinatorium im Schwerpunktbereich 3 Sommersemester 2016

1

Examinatorium im SPB 3, SoSe 2016

Termin 3: UN-Kaufrecht

I. Allgemeine Hinweise

Rechtliche Grundlage: UN Convention on Contracts for the International Sale of Goods

Ausgearbeitet von UNCITRAL (Spezialisierte Behörde der UN, die sich mit dem Handel

beschäftigt)

Derzeit mehr als 80 Vertragsstaaten

CISG ist völkerrechtliches Übereinkommen Teil der nationalen Rechtsordnung

Beachte: Unvollständigkeit der Regelungsbereiche: Art. 4 CISG

o Geregelt: Abschluss des KV, Rechte und Pflichten aus KV

o Nicht geregelt: Wirksamkeit des KV, Eigentumsfragen

Beachte: Unvollständigkeit der Regelungsweite, Art. 5 CISG

Vorrang der CISG (vgl. Art. 25 Rom I-VO bzw. Art. 3 Nr. 2 EGBGB); aber Möglichkeit, die

Anwendung der CISG auszuschließen (Art. 6 CISG)

II. Systematik der CISG

Teil I: Anwendungsbereich und allgemeine Bestimmungen (Art. 1-13 CISG)

Teil II: Abschluss des Vertrages (Art. 14-24 CISG)

Teil III: Warenkauf (Art. 25-88 CISG)

Kapitel I: Allgemeine Bestimmungen (Art. 25-29 CISG)

Kapitel II: Pflichten des Verkäufers (Art. 30-52 CISG)

Kapitel III: Pflichten des Käufers (Art. 53-65 CISG)

Kapitel V: Gemeinsame Bestimmungen über die Pflichten des Verkäufers und des Käufers

(Art. 71-88 CISG)

Teil IV: Schlussbestimmungen (Art. 89-101 CISG)

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Examinatorium im Schwerpunktbereich 3 Sommersemester 2016

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III. Anwendungsvoraussetzungen der CISG (Art. 1-6 CISG)

1. Sachlich: Warenkaufvertrag, Art. 1 I CISG (auch Werklieferungsvertrag, Art. 3 I CISG)

2. Räumlich-persönlich: Niederlassung in verschiedenen Staaten, Art. 1 I, 10 CISG

Beide Staaten sind Vertragsstaaten, Art. 1 I lit. a CISG

Nach IPR-Regeln ist Recht eines Vertragsstaates anwendbar, Art. 1 I lit. b CISG

(Beachte: Vorbehalt gem. Art. 95 CISG möglich)

Beachte: Staatsangehörigkeit/Kaufmannseigenschaft unerheblich, Art. 1 III CISG

3. Zeitlich: Art. 100 CISG

4. Keine Ausnahmen: Art. 2 CISG (insb. bei Verbrauchsgüterkauf)

5. Kein Ausschluss: Art. 6 CISG

IV. 2 Beispielsfälle zu Art. 1 I lit. b CISG:

Fall a):

Die Unternehmen A und B schließen einen Kaufvertrag über eine bewegliche Sache. Der Verkäufer A

ist ein deutsches Unternehmen, das Unternehmen B ist ein englisches Unternehmen. International

zuständig sind die deutschen Gerichte. Die Parteien haben keine Rechtswahl getroffen. Ist CISG

anwendbar?

Art. 1 I lit. a CISG (-), UK ist kein Vertragsstaat

Art. 1 I lit. b CISG? Deutsches Gericht wendet Art. 4 I a) Rom I-VO an, danach ist deutsches

Recht anwendbar (Verkäufer A hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland)

Deutschland ist Vertragsstaat der CISG CISG ist anwendbar

Fall b)

Die Unternehmen A und B schließen einen Kaufvertrag über eine bewegliche Sache. Der Verkäufer A

ist ein englisches Unternehmen, das Unternehmen B ist ein deutsches Unternehmen. International

zuständig sind die deutschen Gerichte. Die Parteien haben keine Rechtswahl getroffen. Ist CISG

anwendbar?

Art. 1 I lit. a CISG (-), UK ist kein Vertragsstaat

Art. 1 I lit. b CISG? Deutsches Gericht wendet Art. 4 I a) Rom I-VO an, danach ist UK-Recht

anwendbar (Verkäufer A hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt in UK; Hinweis: hier keine

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Examinatorium im Schwerpunktbereich 3 Sommersemester 2016

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nähere Präzisierung bezügl. Teilrechtsordnungen) UK ist kein Vertragsstaat der CISG

CISG ist nicht anwendbar

V. Rechtsbehelfe des Käufers bei Vertragsverletzung Art. 45 I lit. a, 46 I CISG: Erfüllung: Lieferung

Art. 45 I lit. a, 46 II CISG: Ersatzlieferung (Vss.: wesentliche Vertragsverletzung, Art. 25 CISG)

Art. 45 I lit. a, 46 III CISG: Nachbesserung

Art. 45 I lit. a, 49, 81, 26 CISG: Vertragsaufhebung

Art. 45 I lit. a, 50 CISG: Herabsetzung des Preises

Art. 45 I lit. b, 74 ff. CISG: Schadensersatz

VI. Rechtsbehelfe des Verkäufers bei Vertragsverletzung Art. 61 I lit. a, 62 CISG: Erfüllung: Zahlung, Abnahme

Art. 61 I lit. a, 64, 81, 26 CISG: Vertragsaufhebung

Art. 61 I lit. b, 74 ff. CISG: Schadensersatz

VII. Allgemeines Prüfungsschema eines Rechtsbehelfs

1. Anwendbarkeit der CISG

2. Rechtslage hinsichtlich des Anspruchs

a) Allgemeine Rechtsbehelfsvoraussetzungen

Wirksamer Vertragsschluss, Art. 14 ff. CISG

Pflichtverletzung des Käufers bzw. des Verkäufers

Beachte bei Anspruch des Käufers: Keine Möglichkeit der Berufung auf die

Vertragswidrigkeit nach Artt. 38, 39 CISG?

b) Besondere Rechtsbehelfsvoraussetzungen (Vss. der Vertragsaufhebung/des SE etc.)

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Examinatorium im Schwerpunktbereich 3 Sommersemester 2016

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VIII. Besonderheiten bei der Vertragsaufhebung nach CISG (Art. 45 I lit. a,

49 bzw. Art. 61 I lit. a, 64 CISG):

Aufhebungserklärung erforderlich, Art. 26 CISG

Recht zur Vertragsaufhebung:

o Wesentliche Vertragsverletzung i.S.d. Art. 25 CISG, Art. 49 I lit. a/Art. 64 I lit. a CISG

(Beachte: Bei Nichtlieferung nicht erforderlich!)

o Erfolgloser Ablauf einer Nachfrist bei Nichtlieferung, Art. 49 I lit. b/Art. 64 I lit. b CISG

o Keine aufhebungsermöglichende Nachfristsetzung bei mangelhafter Leistung möglich

(anders: § 323 I BGB!)

Vertragsaufhebung als ultima ratio, BGH restriktiv bezügl. Merkmal der wesentlichen

Vertragsverletzung, z.B. (-) bei aliud-Lieferung/wenn andere Verwertung möglich

Aufhebungsfrist wenn bereits Sache/Kaufpreis erhalten : Art. 49 II/64 II CISG

Ausschluss des Aufhebungsrechts nach Art. 82 I CISG, aber Ausnahmen nach Art. 82 II CISG

Wirkungen der Aufhebung: Art. 81 CISG

o Art. 81 I CISG: Befreiung von Leistungspflichten (Ausnahme: Schadensersatzpflichten)

o Art. 81 II CISG: Anspruch auf Rückgewähr der Leistung wenn Vertrag bereits erfüllt

(Zug um Zug)

IX. Besonderheiten beim Schadensersatzanspruch nach CISG

AGL ist Art. 45 I lit. b bzw. Art. 61 I lit. b CISG, nicht Art. 74 CISG!

Wesentliche Vertragsverletzung nicht erforderlich, Anspruch bei jeglicher Vertragsverletzung

Verschulden nicht erforderlich: Verschuldensunabhängige Garantiehaftung

ABER: Befreiungsmöglichkeit nach Art. 79, 80 CISG

Bemessung des SE-Anspruchs: Art. 74 ff. CISG

Konkurrenz zu anderen Ansprüchen: Art. 45 II, 61 II CISG: SE-Anspruch neben anderen

Rechten

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Fall 1 (aus studienabschließender Klausur im SPB 3 WS 14/15)

Die in Amsterdam wohnhafte Grietje de Grot (G) ist begeisterte Hobby-Ornithologin. Für eine geplante

Exkursion nach Neuseeland möchte sie sich ein neues, hochwertigeres Fernglas kaufen. Grietje

entscheidet sich für das Modell „Victory HT 10x54“ von Zeiss, welches maximale Helligkeit für längere

Beobachtungen bis in die Dunkelheit erlaubt. Der Listenpreis beträgt 2.345 €.

Beim wöchentlichen Stammtisch der niederländischen Vogelfreunde gelingt es Grietje, nvier weitere

Hobby-Ornithologen anlässlich der Neuseeland-Exkursion für das brandneue Modell zu begeistern.

Einziger Wermutstropfen ist der hohe Preis des Fernglases. Einer der Anwesenden weiß jedoch, dass

es in Aalen einen Werksverkauf von Zeiss gibt. Er schlägt vor, dass Grietje als alleinige Bestellerin

auftritt und auf diesem Wege versucht, einen möglichst günstigen Preis zu verhandeln. Er gibt ihr die

Telefonnummer des Geschäftsführers der „Werksverkauf Aalen GmbH“ (W-GmbH). Über eine Website

verfügt die W-GmbH nicht. Gleich am nächsten Morgen, am 5.1.2015, nimmt Grietje telefonisch

Kontakt zur W-GmbH in Aalen auf. Sie tritt als die alleinige Bestellerin der 5 Ferngläser auf und

verhandelt mit dem Geschäftsführer der W-GmbH einen Sonderpreis von 2.000 € je Fernglas. Aufgrund

ihrer Flirtkünste schafft Grietje es sogar, den Geschäftsführer der W-GmbH dazu zu bewegen, ihr die

Ferngläser zuzuschicken. Vereinbart wird, dass die Ferngläser am 1.2.2015 abgeschickt werden und

der Kaufpreis innerhalb von 14 Tagen nach Erhalt der Ware gezahlt werden soll.

Die W-GmbH schickt Grietje noch am selben Tag ein Bestätigungsschreiben mit dem ausgehandelten

Vertragsinhalt und den AGB der W-GmbH. Diese enthalten unter anderem folgende Klauseln:

4. Gerichtsstand und Erfüllungsort ist Ellwangen.

5. Alle im Zusammenhang mit diesem Vertrag entstehenden Ansprüche unterliegen

deutschem Recht.

Am 20.1.2015 teilt der Geschäftsführer der W-GmbH Grietje mit, dass die bestellten Ferngläser leider

erst am 20.2.2015 geschickt werden können. Grietje reagiert darauf zunächst nicht. Als jedoch am

1.2.2015 der Leiter der Neuseeland-Exkursion unerwartet verstirbt und die Exkursion abgesagt wird,

beginnt Grietje an der Notwendigkeit eines neuen Fernglases zu zweifeln. Auch die anderen Hobby-

Ornithologen möchten nach den aktuellen Geschehnissen lieber Abstand nehmen vom Kauf eines so

teuren Fernglases. Die Begeisterung vom Stammtischabend ist verflogen. Am 10.2.2015 erklärt Grietje

der W-GmbH schriftlich den Rücktritt vom Kaufvertrag. Der Geschäftsführer der B-GmbH antwortet

postwendend, dass er auf der Einhaltung des Kaufvertrages bestehe. Die Ferngläser werden am

20.2.2015 abgeschickt, sie treffen am 21.2.2015 bei Grietje ein, die sie umgehend wieder an die W-

GmbH zurückschickt. Den Kaufpreis bezahlt sie in der kommenden Zeit nicht.

Die W-GmbH möchte nun am Landgericht Ellwangen Klage auf Zahlung von 10.000 € zuzüglich Zinsen

seit 7.3.2014 in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszins der EZB Zug um Zug gegen Übergabe

der 5 Ferngläser erheben.

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Examinatorium im Schwerpunktbereich 3 Sommersemester 2016

6

Sofern Bestimmungen einer ausländischen Rechtsordnung anzuwenden sind, ist zu unterstellen, dass

diese dem deutschen Recht entsprechen.

1.) Bestimmen Sie das anwendbare Recht für den behaupteten Kaufpreisanspruch!

2.) Nach welchem Recht ist das Bestehen und die Höhe des behaupteten Zinsanspruchs zu beurteilen?

Lösungsskizze zu Fall 1

1.) Bestimmen Sie das anwendbare Recht für den behaupteten Kaufpreisanspruch!

Hinweis: Keine wirksame Gerichtsstands- und Erfüllungsortvereinbarung Internationale

Zuständigkeit der niederländischen Gerichte Blickwinkel eines niederländischen Gerichts

Vorrangiges völkervertragliches Einheitsrecht: CISG (Niederlande Vertragsstaat)

a) abbedungen durch Rechtswahl („Alle im Zusammenhang mit diesem Vertrag entstehenden

Ansprüche unterliegen deutschem Recht“)?

Möglich nach Art. 6 CISG; dann wäre die Wirksamkeit der Rechtswahl hier nach der

Rom I-VO zu prüfen; aber grundsätzlich ist CISG von Rechtswahl „deutsches Recht“

umfasst, da Bestandteil, es sei denn es ergibt sich gegenteiliger Wille (wäre bei Wahl

des BGB der Fall); also kein Ausschluss der CISG nach Art. 6 CISG

b) Anwendungsvoraussetzungen CISG:

sachlich: Art. 1 I: Warenkauf (+)

räumlich-persönlich: Art. 1 I lit. a Niederlassung bzw. gewöhnlicher

Aufenthalt (Art. 10 lit. b CISG) in verschiedenen Vertragsstaaten (+)

zeitlich: maßgeblich Zeitpunkt des Angebotes und Vertragsschlusses (Art.

100 CISG)

Ausschluss nach Art. 2 I lit. a, wenn G die Ferngläser für den persönlichen

Gebrauch gekauft hat?

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Juristische Fakultät

Examinatorium im Schwerpunktbereich 3 Sommersemester 2016

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Objektiv zweifelhaft; einerseits vorrangig Abgrenzung zum geschäftlichen Gebrauch,

der hier nicht vorliegt; andererseits könnte man auch argumentieren, dass der Kauf

zum privaten Gebrauch Dritter nur dann Art. 2 I lit. a ohne Zweifel unterfällt, wenn

die Ware vom Käufer verschenkt wird, da im Verschenken sein eigener Gebrauch zu

sehen wäre. Genauso lässt sich aber auch die Privatheit des Gebrauchs (verdeckte

Stellvertretung der anderen Hobby-Ornithologen, die jeweils das Kriterium des Art. 2

I lit. a CISG selbst erfüllen) vertreten.

ABER: Wissen oder Wissenmüssen nach Art. 2 I lit. a 2. Hs CISG?

Positive Kenntnis (-)

Erkennbarkeit nach Umständen (-), zwar keine Ware, die typischerweise für

geschäftliche und berufliche Zwecke gekauft wird, sondern sog. neutrale Ware; aber

Menge (5 identische Ferngläser) legt Gewerblichkeit nahe Wissenmüssen der

Privatheit des Geschäfts (-)

CISG anwendbar

c) Inhaltliche Reichweite der CISG: Abschluss des KV, Rechte und Pflichten aus KV (vgl. Art. 4

CISG)

Anspruch auf Kaufpreiszahlung beurteilt sich nach CISG

2.) Nach welchem Recht ist das Bestehen und die Höhe des behaupteten Zinsanspruches zu

beurteilen?

CISG grundsätzlich anwendbar, s.o.

aber Reichweite des CISG: Nur Abschluss des Kaufvertrags, Rechte und Pflichten aus dem

Kaufvertrag, nicht Gültigkeit (Art. 4 CISG), sowie Lücken im Anwendungsbereich, vgl. Art. 7 II

CISG (Lückenfüllung durch allgemeine Grundsätze bzw. Recht, das nach den Regeln des IPR

anwendbar ist)

- ob ein Zinsanspruch besteht, ist im CISG geregelt: Art. 78 CISG

- Höhe? o Ausdrückliche Regelung im CISG (-) o Art. 7 II CISG i.V.m. general principles o Art. 4, 78 CISG: Zinsen im Anwendungsbereich der CISG (+) o General principles ermittelbar (-) o Also gem. Art. 7 II CISG nach den Regeln des IPR zu bestimmen:

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Examinatorium im Schwerpunktbereich 3 Sommersemester 2016

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Vertragsstatut neben CISG:

Wirksame Rechtswahl („deutsches Recht“)?

Anwendbarkeit Rom I-VO (+) ausdrückliche Rechtswahl Art. 3 I Rom I-VO Zustandekommen von Rechtswahl nach gewähltem Recht (Art. 3 V, 10 I Rom I-

VO), also deutschem Recht Nach § 305 II BGB keine wirksame Einbeziehung der AGB Keine wirksame Rechtswahl

Verbrauchervertragsstatut Art. 6 I Rom I-VO?

G ist objektiv Verbraucher W-GmbH kontrahiert im Rahmen ihrer gewerblichen Tätigkeit Aber Abschlusssituation (-), Kriterien des Art. 6 Rom I VO entsprechen Art. 17 VO

1215/2012

Vertragsstatut: Art. 4 Rom I-VO

Art. 4 I lit. a Kaufvertrag über bewegliche Sachen, also gewöhnlicher Aufenthalt des Verkäufers maßgeblich hier deutsches Recht

Art. 4 III engere Verbindung? (-) Zinsen vom Geltungsbereich gem. Art. 12 I lit. c Rom I VO erfasst

die Höhe der Zinsen bestimmt sich nach deutschem Recht

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Fall 2 (aus studienabschließender Klausur SS 2013)

V ist Eigentümer des französischen Spitzenweinguts Château Le Fit-Schwarzschild. Der bekannte,

europaweit tätige Würzburger Weinhändler K bestellt bei V sämtliche zehn noch vorhandenen

Flaschen des herausragenden Jahrgangs 1953 zum Preis von 3.000 EUR pro Flasche. Die Lieferung soll

nach Würzburg erfolgen. K will die Flaschen von dort selbst an seinen in München ansässigen Kunden

A weiterschicken.

A, der an seinem nahenden 60ten Geburtstag keine böse Überraschung erleben möchte, testet den

Wein unmittelbar nach Eingang der 10 Flaschen. Erschrocken stellt er fest, dass der Wein einen

essigähnlichen Geschmack aufweist und nicht mehr genießbar ist. Ursache war ein Fehler in der

Lagerung bei V. Der Wein ist infolgedessen wertlos. A teilt dies dem K sofort mit. K, der am folgenden

Tag in den Urlaub aufbricht, meldet sich erst zwei Wochen später bei V und verweigert die

Kaufpreiszahlung. Er fühle sich infolge der erheblichen Mangelhaftigkeit des Weines nicht mehr an den

Vertrag gebunden. V sieht die anders. Er ist der Ansicht, die Mängelrüge des K sei verspätet, zumal K

die Ware schon in Würzburg hätte untersuchen müssen. Er verlangt Kaufpreiszahlung von K i. H. v.

30.000 EUR.

Zu Recht?

Lösungshinweise V könnte gegen K einen Anspruch auf Kaufpreiszahlung i. H. v. 30.000 EUR aus

Art. 53 Alt. 1 CISG haben.

I. Anwendungsvoraussetzungen der CISG

a. Sachlich: Warenkaufvertrag i. S. v. Art. 1 Abs. 1 CISG bzw. Werklieferungsvertrag nach

Art. 3 Abs. 1 CISG? (+)

b. Räumlich-Persönlich: Parteiniederlassung in verschiedenen Staaten: Frankreich und

Deutschland (+), Frankreich und Deutschland sind Vertragsstaaten i. S. d. Art. 1 Abs. 1

lit. a CISG.

c. Ein Anwendungsausschluss nach Art. 2 oder Art. 6 CISG kommt nicht in Betracht.

Die allgemeinen Voraussetzungen für die Anwendung der CISG liegen somit vor.

II. Regelungsbereich der CISG

V macht einen Kaufpreiszahlungsanspruch geltend, beruft sich also auf seine Rechte aus dem

Kaufvertrag. Folglich ist der Regelungsbereich der CISG betroffen, vgl. Art. 4 CISG.

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Examinatorium im Schwerpunktbereich 3 Sommersemester 2016

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III. Anspruch entstanden?

Zwischen V und K ist ein Kaufvertrag über die Lieferung der Weinflaschen zum Preis von 30.000

EUR vereinbart worden, vgl. Art. 14 ff. CISG. Ein Kaufpreiszahlungsanspruch i. H. v. 30.000 EUR

ist demnach entstanden.

IV. Anspruch erloschen?

Der Anspruch könnte jedoch infolge einer Vertragsaufhebung gem. Art. 81 Abs. 1 CISG

erloschen sein. Dafür müssten (1.) die allgemeinen Rechtsbehelfs- und (2.) die besonderen

Aufhebungsvoraussetzungen erfüllt sein.

1. Allgemeine Rechtsbehelfsvoraussetzungen

a. Wirksamer Vertragsschluss (s. o. )

b. Pflichtverletzung durch V (vgl. Art. 45 CISG): Die von V gelieferten Weine sind zum

Verzehr nicht mehr geeignet. V hat damit die Pflicht aus Art. 35 Abs. 1, Abs. 2 lit. a CISG

verletzt, Ware zu liefern, die sich für die Zwecke eignet, für die Ware der gleichen Art

gewöhnlich gebraucht wird.

c. Die Pflichtverletzung könnte für den V jedoch unschädlich sein, wenn K die Berufung

auf die Vertragswidrigkeit der Ware gem. Art. 39 Abs. 1 CISG verwehrt ist. Dies ist dann

der Fall, wenn K dem V die Vertragswidrigkeit nicht innerhalb einer angemessenen

Frist nach dem Zeitpunkt, in dem er sie hätte feststellen müssen, angezeigt hat.

(1) Rechtzeitigkeit der Untersuchung

Fraglich ist daher zunächst, wann K die Vertragswidrigkeit hätte feststellen

müssen. Dies hängt maßgeblich von der Reichweite seiner

Untersuchungsobliegenheit aus Art. 38 CISG ab. Gem. Art. 38 Abs. 1 CISG

hat der Käufer die Ware grundsätzlich innerhalb einer so kurzen Frist zu

untersuchen, wie es die Umstände erlauben. Diese Frist beginnt gem. Art.

38 Abs. 2 CISG regelmäßig mit der Warenübergabe an den Käufer.

I. v. F. ist aber die Ausnahmevorschrift des Art. 38 Abs. 3 CISG einschlägig:

(a) Weiterversendung des Weines durch den Käufer (+)

(b) Kenntnis des Verkäufers (+), da es sich bei K um einen Händler handelt.

(c) Keine ausreichende Gelegenheit zur Untersuchung der Ware?

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Juristische Fakultät

Examinatorium im Schwerpunktbereich 3 Sommersemester 2016

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Eine ausreichende Untersuchungsgelegenheit gem. Art. 38 Abs. 3 CISG

ist nur gegeben, wenn genügend Zeit für eine Untersuchung bleibt und

die Untersuchung mit (wirtschaftlich) zumutbaren Aufwand erfolgen

kann. Nach diesen Grundsätzen fehlte es im Verhältnis zwischen V und

K an einer ausreichenden Untersuchungsgelegenheit in Würzburg.

Eine Überprüfung des Weines wäre infolge der erforderlichen Öffnung

einer der Flaschen mit unverhältnismäßigen Kosten (3.000 EUR je

Flasche) verbunden gewesen. Hinzu kommt, dass die Lieferung

ohnehin nur eine kleine Menge Wein umfasste und diese dadurch zu

Lasten des A noch zusätzlich geschmälert worden wäre.

Die Untersuchungsfrist für K begann daher erst mit Eintreffen des Weines bei

A zu laufen. Da die Weine gleich nach ihrer Ankunft in München kontrolliert

wurden, ist die Untersuchungsfrist gewahrt.

Dass K die Überprüfung nicht selbst vorgenommen hat, ist gem. Art. 38 Abs. 1

CISG unerheblich.

(2) Rechtzeitigkeit der Rüge

Fraglich ist weiterhin, ob die Rüge zwei Wochen nach Kenntnis noch

„angemessen“ ist. Zwar wird man grundsätzlich von einer kurzen Rügefrist

ausgehen müssen. Auch bedarf K vorliegend keiner Überlegungsfrist. Auf

der anderen Seite ist allerdings zugunsten des K zu berücksichtigen, dass

das Interesse des V, schnell von dem Mangel zu erfahren, gering ist. Der

Wein ist wertlos. Daher besteht für V weder Anlass noch Möglichkeit, die

Flaschen anderweitig weiterzuverkaufen. Aspekte wie Verderblichkeit,

Saisongebundenheit oder schwankende Marktpreise spielen für V daher

keine Rolle. Aus demselben Grund entfällt auch das Risiko, dass K auf

Kosten des V mit der Ware spekuliert. Deshalb sind hier die zwei Wochen

noch als angemessen zu bewerten.

(3) K kann sich folglich weiterhin auf die Vertragswidrigkeit berufen.

d. Die Allgemeinen Rechtsbehelfsvoraussetzungen liegen somit vor.

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2. Besondere Vertragsaufhebungsvoraussetzungen

a. Voraussetzung für eine Aufhebung nach § 49 I lit. a CISG ist eine wesentliche

Vertragsverletzung i. S. v. Art. 25 CISG. Hier: Wesentliche Vertragsverletzung (+).

Insbesondere kommen vorliegend weder Nachbesserung noch Neulieferung in

Betracht. Letzteres deshalb, weil keine anderen Flaschen des Jahrgangs mehr

vorhanden sind.

b. Da V die Weinflaschen bereits an K geliefert hat, ist die Aufhebungsfrist nach Art. 49

Abs. 2 CISG zu berücksichtigen. Einschlägig ist hier Art. 49 Abs. 2 lit. b, i). Sie ist aus

denselben Gründen gewahrt wie die Rügefrist (siehe oben).

c. Nach Art. 82 Abs. 1 CISG kann der Käufer nicht die Aufhebung des Vertrages verlangen,

wenn es ihm unmöglich ist, die Ware im Wesentlichen in dem Zustand zurückzugeben,

in dem er sie erhalten hat. Vorliegend hat A eine Flasche geöffnet und probiert.

Hinsichtlich dieser Flasche ist es K nicht möglich, sie in dem ursprünglichen Zustand

zurückzugeben. Hier kommen aber sowohl Art. 82 Abs. 2 lit. b als auch lit. c als

einschlägige Ausnahmeregelungen in Betracht. I. E. ist es daher unschädlich, dass K

nicht alle Flaschen ungeöffnet zurückgeben kann.

d. K hat gegenüber V die Vertragsaufhebung erklärt, Art. 26 CISG.

Die Voraussetzungen einer Vertragsaufhebung liegen somit vor. Der

Kaufpreiszahlungsanspruch des V ist folglich gem. Art. 81 Abs. 1 CISG erloschen.

Gesamtergebnis: V kann von K keine Kaufpreiszahlung verlangen.

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Fall 3: „Frust und Schokolade“1

Die Choco Chérie (C) ist ein als GmbH eingetragenes, im Schwarzwald ansässiges Unternehmen, das

Süßwaren – vornehmlich Schokoladenspezialitäten – herstellt und in aller Welt vertreibt.

Zum Valentinstag stellt die C traditionell in rotes Stanniolpapier verpackte Herzen aus Zartbitter- und

Milchschokolade in verschiedenen Größen her. Das Einwickelpapier bezog sie dabei stets von einem

im Nachbarort ansässigen Familienbetrieb; dieser schließt jedoch im Sommer 2011 seine Pforten. Die

C lässt sich daher für das Jahr 2012 von der in Frankreich ansässigen Emballage S.a.r.l. (E) ein Angebot

über vergleichbares rotes Stanniolpapier machen; sie bestellt sodann schriftlich – unter Bezug auf das

Angebot – die benötigte Menge Stanniolpapier. Die Bestellung wird von der E bearbeitet, die einen

Vertrag sendet, auf dessen Rückseite ihre AGB abgedruckt sind; dieser wird von der Geschäftsführerin

der C unterschrieben und zurückgesandt. Der Vertrag enthält die folgende Bestimmung: „Alle im

Zusammenhang mit diesem Vertrag entstehenden Ansprüche unterliegen deutschem Recht.“

Das Papier wird Mitte Januar 2012 geliefert und von C bezahlt. Wie gewohnt verpackt die C sodann die

Schokoladenherzen in dem roten Papier und liefert sie an ihre Kunden aus. Kurze Zeit darauf erfolgen

jedoch die ersten Beschwerden der Abnehmer: das rote Papier ist nicht farb- und lebensmittelecht

und hat die darin eingewickelte Schokolade gänzlich verdorben. Die Händler, die die Herzen von der C

erworben hatten, können bzw. dürfen sie dementsprechend nicht verkaufen und verlangen

Rückzahlung des Kaufpreises sowie Schadensersatz wegen des entgangenen Gewinns von der C.

Als dieser Sachverhalt der C bekannt wird, teilt sie ihn umgehend der E mit und verlangt ihrerseits

Rückzahlung des Kaufpreises für das Stanniolpapier sowie Schadensersatz. Die E lehnt diese Ansprüche

ab: zum einen sei in ihren AGB die folgende Klausel enthalten: „Bei Mängeln der gelieferten Sache ist

der Käufer auf Nachlieferungsansprüche beschränkt; Schadensersatzansprüche sind ausgeschlossen,

insbesondere für Schäden, die durch Weiterverarbeitung der Kaufsache an anderen Rechtsgütern des

Käufers oder Dritter entstehen.“ Zum anderen käme die C zu spät, da sie nicht sofort nach Lieferung

das Papier untersucht und den Mangel gerügt habe. Die C wendet (zutreffend) ein, weder bei einer

Untersuchung des Papiers noch bei der Verarbeitung sei der Mangel erkennbar gewesen – vielmehr

sei er erst zutage getreten, nachdem die Schokolade mehrere Tage darin eingewickelt war, was aber

die C (die die produzierte Ware sofort frisch ausliefert) nicht mehr habe erkennen können bzw.

müssen. Sie weist im Übrigen darauf hin, dass sie – was stimmt – bei der Bestellung ausdrücklich darauf

hingewiesen habe, dass das Stanniolpapier zum Einwickeln von Schokolade dienen solle.

Bereits kurze Zeit später naht das Ostergeschäft. Die C produziert zierliche Schokoladenosterhasen, für

die sie zahlreiche auch internationale Bestellungen erhält. Unter anderem erhält sie Aufträge über je

20 Paletten mit Schokoladenhasen aus den Niederlanden, Spanien und Italien, die für das

Ostergeschäft bis zum 23.3.2012 geliefert werden sollen.2

Die niederländische Supermarktkette S, der C am 22.3.2012 einen großen Posten Schokohasen nach

Amsterdam geliefert hat, ruft sofort nach der Lieferung an und beschwert sich, fast alle Hasen seien

zerbrochen geliefert worden. Da sie in diesem Zustand nicht verkäuflich sind, will sich S vom

Kaufvertrag mit C lösen und verlangt darüber hinaus Schadensersatz. Wie eine nähere Untersuchung

ergibt, waren die Hasen durch Unachtsamkeiten der Lageristen der C nicht ordnungsgemäß verpackt,

weswegen der Schaden auf dem Transport eingetreten ist. C will jedoch den Vertrag mit S

1 Fall und Lösung von Frau Carolin Rupp. 2 Hinweis: Im Jahr 2012 war Ostersonntag am 8. April.

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aufrechterhalten, zumal sie noch viele Schokoladenhasen auf Lager hat; sie bietet daher der C an, ihr

innerhalb von 48 Stunden Ersatz zu liefern.

Da die Auslieferungskapazitäten der C beschränkt sind, arbeitet sie bei internationalen Bestellungen

teilweise mit Transportunternehmen zusammen. So schließt sie einen Vertrag mit der Transports

Reliable (T) ab, dass diese die Auslieferung für das Ostergeschäft auf dem spanischen und italienischen

Markt übernehmen soll. Die T ist eine nach dem Recht von Delaware, USA, als Ltd. inkorporierte

Gesellschaft, unterhält jedoch in Delaware nur einen Briefkasten und einen Anrufbeantworter; die

tatsächliche Geschäftstätigkeit findet von Charleroi (Belgien) aus statt.

Leider erweist sich die T als nicht wirklich zuverlässig: sie übernimmt von C am 21.3.2012 je 20 Paletten

mit Schokoladenhasen im Wert von je 10.000 € für den italienischen und spanischen Markt;

entsprechende Frachtbriefe werden ausgestellt. Die Ware soll laut Transportvertrag am 23.3.2012 in

Florenz bzw. Salamanca eintreffen. Dazu kommt es jedoch nicht: zunächst bringt die T die

Schokoladenhasen in ihre Zentrale nach Charleroi. Dort wird ein Transporter der T wird mit den

Schokoladenhasen für Spanien beladen, der am 22.3. frühmorgens losfährt. Als der Fahrer am späten

Abend eine Ruhepause einlegen will, befindet er sich bereits tief in den Pyrenäen; ein bewachter

Parkplatz ist weit und breit nicht zu finden. Er fährt daher auf einen unbewachten Parkplatz. Dort wird

er im Morgengrauen von drei mit Schusswaffen bewaffneten Männern überfallen, die die gesamte

Fracht, darunter auch die Schokoladenhasen, rauben.

Die Schokolade für Italien bleibt dagegen durch ein Versehen bei der T zwei Wochen lang in Charleroi

liegen. Dies fällt erst am 5.4.2012 auf. T bemüht sich daraufhin so rasch wie möglich um einen

Transport nach Florenz, wo die Hasen jedoch feiertagsbedingt erst am 10.4.2012 eintreffen. Der

italienische Großhändler Giovanni (G) weist die Ware erbost zurück: nach den Osterfeiertagen seien

Schokoladenosterhasen für ihn unverkäuflich und damit wertlos. Stattdessen ruft er bei C an und

verlangt Vertragsaufhebung sowie Schadensersatz.

Ein anderes Problem stellt sich bei einer weiteren Auslandslieferung der C. Diese hatte vom

Großhändler Radomir (R) aus dem Land Ruritanien eine Großbestellung über „Schwarzwälder-Kirsch-

Kugeln“, eine deutsche Spezialität, erhalten. Im Verkaufsprospekt der C (auf den der Vertrag mit R

Bezug nimmt) und auf der Verpackung werden diese als „mit hochwertigem Alkohol mit

Kirschgeschmack gefüllt“ angepriesen. Traditionell verwendet die C dafür Kirschlikör (20%

Alkoholgehalt). Aufgrund eines Lieferengpasses beim Likör füllt sie die Kugeln für die neue

Großbestellung stattdessen jedoch mit Kirschwasser (40% Alkoholgehalt), was die Qualität und den

Geschmack der Ware eher verbessert. Kurz nach der Lieferung erhält sie jedoch einen Anruf von R: die

Kugeln wurden von der Lebensmittelbehörde von Ruritanien untersucht und mit einem

Verkaufsverbot belegt. Hintergrund ist, dass nach den lebensmittelrechtlichen Bestimmungen in

Ruritanien Süßwaren nur Alkoholika bis zu 30% Alkoholgehalt enthalten dürfen. R verlangt daher von

C Rücknahme der Ware und Rückzahlung des Kaufpreises. C dagegen wendet ein, sie habe erstens

vertragsgemäße Ware geliefert, die sogar hochwertiger sei; zweitens gingen die

lebensmittelrechtlichen Bestimmungen in Ruritanien sie nichts an, R hätte dies im Vertrag genauer

spezifizieren müssen; und drittens sei es R ja unbenommen, die Ware außerhalb von Ruritanien

weiterzuverkaufen.

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Bearbeitervermerk:

1) Hat die C gegen die E einen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises? Kann sie

Schadensersatz verlangen?

2) Kann sich die S vom Kaufvertrag mit der C lösen? Kann sie Schadensersatz verlangen?

3) Kann die C von der T Ersatz für die geraubte Schokolade verlangen? Wie sieht es mit

Schadensersatz für den entgangenen Gewinn aus?

4) Hat G einen Anspruch gegen C wegen der verspäteten Lieferung? Kann C ihrerseits

Ansprüche gegen T geltendmachen? Welche Gerichte sind international für diese

Ansprüche zuständig?

5) Kann R sich vom Vertrag mit C lösen?

Hinweis:

Es ist zu unterstellen, dass Ruritanien Mitglied der CISG ist.

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CMR – Auszüge

Art. 1 [Anwendungsbereich]

(1) Dieses Übereinkommen gilt für jeden Vertrag über die entgeltliche Beförderung von Gütern auf der

Straße mittels Fahrzeugen, wenn der Ort der Übernahme des Gutes und der für die Ablieferung

vorgesehene Ort, wie sie im Vertrage angegeben sind, in zwei verschiedenen Staaten liegen, von denen

mindestens einer ein Vertragsstaat ist. Dies gilt ohne Rücksicht auf den Wohnsitz und die

Staatsangehörigkeit der Parteien.

(2) Im Sinne dieses Übereinkommens bedeuten ”Fahrzeuge” Kraftfahrzeuge, Sattelkraftfahrzeuge,

Anhänger und Sattelanhänger, wie sie in Artikel 4 des Abkommens über den Straßenverkehr vom 19.

September 1949 umschrieben sind.

(3) Dieses Übereinkommen gilt auch dann, wenn in seinen Geltungsbereich fallende Beförderungen

von Staaten oder von staatlichen Einrichtungen oder Organisationen durchgeführt werden.

(4) Dieses Übereinkommen gilt nicht

a) für Beförderungen, die nach den Bestimmungen internationaler Postübereinkommen durchgeführt

werden;

b) für die Beförderung von Leichen;

c) für die Beförderung von Umzugsgut.

(5) Die Vertragsparteien werden untereinander keine zwei oder mehrseitigen Sondervereinbarungen

schließen, die Abweichungen von den Bestimmungen dieses Übereinkommens enthalten;

ausgenommen sind Sondervereinbarungen unter Vertragsparteien, nach denen dieses

Übereinkommen nicht für ihren kleinen Grenzverkehr gilt, oder durch die für Beförderungen, die

ausschließlich auf ihrem Staatsgebiet durchgeführt werden, die Verwendung eines das Gut

vertretenden Frachtbriefes zugelassen wird.

Art. 3 [Haftung für Gehilfen]

Der Frachtführer haftet, soweit dieses Übereinkommen anzuwenden ist, für Handlungen und

Unterlassungen seiner Bediensteten und aller anderen Personen, deren er sich bei Ausführung der

Beförderung bedient, wie für eigene Handlungen und Unterlassungen, wenn diese Bediensteten oder

anderen Personen in Ausübung ihrer Verrichtungen handeln.

Art. 12 [Verfügungsrecht]

(1) Der Absender ist berechtigt, über das Gut zu verfügen. Er kann insbesondere verlangen, daß der

Frachtführer das Gut nicht weiterbefördert, den für die Ablieferung vorgesehenen Ort ändert oder das

Gut einem anderen als dem im Frachtbrief angegebenen Empfänger abliefert.

(2) Dieses Recht erlischt, sobald die zweite Ausfertigung des Frachtbriefes dem Empfänger übergeben

ist oder dieser sein Recht nach Artikel 13 Absatz 1 geltend macht. Von diesem Zeitpunkt an hat der

Frachtführer den Weisungen des Empfängers nachzukommen.

(3) Das Verfügungsrecht steht jedoch dem Empfänger bereits von der Ausstellung des Frachtbriefes an

zu, wenn der Absender einen entsprechenden Vermerk in den Frachtbrief eingetragen hat.

[…]

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Art. 17 [Haftung des Frachtführers; Haftungsausschlüsse]

(1) Der Frachtführer haftet für gänzlichen oder teilweisen Verlust und für Beschädigung des Gutes,

sofern der Verlust oder die Beschädigung zwischen dem Zeitpunkt der Übernahme des Gutes und dem

seiner Ablieferung eintritt, sowie für Überschreitung der Lieferfrist.

(2) Der Frachtführer ist von dieser Haftung befreit, wenn der Verlust, die Beschädigung oder die

Überschreitung der Lieferfrist durch ein Verschulden des Verfügungsberechtigten, durch eine nicht

vom Frachtführer verschuldete Weisung des Verfügungsberechtigten, durch besondere Mängel des

Gutes oder durch Umstände verursacht worden ist, die der Frachtführer nicht vermeiden und deren

Folgen er nicht abwenden konnte.

(3) Um sich von seiner Haftung zu befreien, kann sich der Frachtführer weder auf Mängel des für die

Beförderung verwendeten Fahrzeuges noch gegebenenfalls auf ein Verschulden des Vermieters des

Fahrzeuges oder der Bediensteten des Vermieters berufen.

(4) Der Frachtführer ist vorbehaltlich des Artikels 18 Absatz 2 bis 5 von seiner Haftung befreit, wenn

der Verlust oder die Beschädigung aus den mit einzelnen oder mehreren Umständen der folgenden

Art verbundenen besonderen Gefahren entstanden ist:

a) Verwendung von offenen, nicht mit Planen gedeckten Fahrzeugen, wenn diese Verwendung

ausdrücklich vereinbart und im Frachtbrief vermerkt worden ist;

b) Fehlen oder Mängel der Verpackung, wenn die Güter ihrer Natur nach bei fehlender oder

mangelhafter Verpackung Verlusten oder Beschädigungen ausgesetzt sind;

c) Behandlung, Verladen, Verstauen oder Ausladen des Gutes durch den Absender, den Empfänger

oder Dritte, die für den Absender oder Empfänger handeln;

d) natürliche Beschaffenheit gewisser Güter, derzufolge sie gänzlichem oder teilweisem Verlust oder

Beschädigung, insbesondere durch Bruch, Rost, inneren Verderb, Austrocknen, Auslaufen, normalen

Schwund oder Einwirkung von Ungeziefer oder Nagetieren, ausgesetzt sind;

e) ungenügende oder unzulängliche Bezeichnung oder Nummerierung der Frachtstücke;

f) Beförderung von lebenden Tieren.

(5) Haftet der Frachtführer auf Grund dieses Artikels für einzelne Umstände, die einen Schaden

verursacht haben, nicht, so haftet er nur in dem Umfange, in dem die Umstände, für die er auf Grund

dieses Artikels haftet, zu dem Schaden beigetragen haben.

Art. 19 [Lieferfrist, Überschreitung]

Eine Überschreitung der Lieferfrist liegt vor, wenn das Gut nicht innerhalb der vereinbarten Frist

abgeliefert worden ist oder, falls keine Frist vereinbart worden ist, die tatsächliche Beförderungsdauer

unter Berücksichtigung der Umstände, bei teilweiser Beladung insbesondere unter Berücksichtigung

der unter gewöhnlichen Umständen für die Zusammenstellung von Gütern zwecks vollständiger

Beladung benötigten Zeit, die Frist überschreitet, die vernünftigerweise einem sorgfältigen

Frachtführer zuzubilligen ist.

Art. 23 [Haftungsumfang; Höchstbeträge]

(1) Hat der Frachtführer auf Grund der Bestimmungen dieses Übereinkommens für gänzlichen oder

teilweisen Verlust des Gutes Schadenersatz zu leisten, so wird die Entschädigung nach dem Wert des

Gutes am Ort und zur Zeit der Übernahme zur Beförderung berechnet.

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(2) Der Wert des Gutes bestimmt sich nach dem Börsenpreis, mangels eines solchen nachdem

Marktpreis oder mangels beider nach dem gemeinen Wert von Gütern gleicher Art und

Beschaffenheit.

(3) Die Entschädigung darf jedoch 8,33 Rechnungseinheiten für jedes fehlende Kilogramm des

Rohgewichts nicht übersteigen.

(4) Außerdem sind - ohne weiteren Schadenersatz - Fracht, Zölle und sonstige aus Anlaß der

Beförderung des Gutes entstandene Kosten zurückzuerstatten, und zwar im Falle des gänzlichen

Verlustes in voller Höhe, im Falle des teilweisen Verlustes anteilig.

(5) Wenn die Lieferfrist überschritten ist und der Verfügungsberechtigte beweist, daß daraus ein

Schaden entstanden ist, hat der Frachtführer dafür eine Entschädigung nur bis zur Höhe der Fracht zu

leisten.

(6) Höhere Entschädigungen können nur dann beansprucht werden, wenn der Wert des Gutes oder

ein besonderes Interesse an der Lieferung nach den Artikeln 24 und 26 angegeben worden ist.

(7) Die in diesem Übereinkommen genannte Rechnungseinheit ist das Sonderziehungsrecht des

Internationalen Währungsfonds. Der in Absatz 3 genannte Betrag wird in die Landeswährung des

Staates des angerufenen Gerichts umgerechnet; die Umrechnung erfolgt entsprechend dem Wert der

betreffenden Währung am Tag des Urteils oder an dem von den Parteien vereinbarten Tag. Der in

Sonderziehungsrechten ausgedrückte Wert der Landeswährung eines Staates, der Mitglied des

Internationalen Währungsfonds ist, wird nach der vom Internationalen Währungsfonds angewendeten

Bewertungsmethode errechnet, die an dem betreffenden Tag für seine Operationen und

Transaktionen gilt. Der in Sonderziehungsrechten ausgedrückte Wert der Landeswährung eines

Staates, der nicht Mitglied des Internationalen Währungsfonds ist, wird auf eine von diesem Staat

bestimmte Weise errechnet.

(8) Dessen ungeachtet kann ein Staat, der nicht Mitglied des Internationalen Währungsfonds ist und

dessen Recht die Anwendung des Absatzes 7 nicht zuläßt bei der Ratifikation des Protokolls zur CMR

oder dem Beitritt zu jenem Protokoll oder jederzeit danach erklären, daß sich der in seinem

Hoheitsgebiet geltende Haftungshöchstbetrag des Absatzes 3 auf 25 Werteinheiten beläuft. Die in

diesem Absatz genannte Werteinheit entspricht 10/31 Gramm Gold von 900/1000 Feingehalt. Die

Umrechnung des Betrags nach diesem Absatz in die Landeswährung erfolgt nach dem Recht des

betreffenden Staates.

(9) Die in Absatz 7 letzter Satz genannte Berechnung und die in Absatz 8 genannte Umrechnung

erfolgen in der Weise, daß der Betrag nach Absatz 3, in der Landeswährung des Staates ausgedrückt,

soweit wie möglich dem dort in Rechnungsheinheiten ausdrückten tatsächlichen Wert entspricht. Die

Staaten teilen dem Generalsekretär der Vereinten Nationen die Art der Berechnung nach Absatz 7 oder

das Ergebnis der Umrechnung nach Absatz 8 bei der Hinterlegung einer der in Artikel 3 des Protokolls

zur CMR genannten Urkunden sowie immer dann mit, wenn sich die Berechnungsart oder das

Umrechungsergebnis ändert.

Art. 24 [Besondere Wertdeklaration]

Der Absender kann gegen Zahlung eines zu vereinbarenden Zuschlages zur Fracht einen Wert des

Gutes im Frachtbrief angeben, der den in Artikel 23 Absatz 3 bestimmten Höchstbetrag übersteigt; in

diesem Fall tritt der angegebene Betrag an die Stelle des Höchstbetrages.

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Art. 26 [Besonderes Lieferinteresse]

(1) Der Absender kann gegen Zahlung eines zu vereinbarenden Zuschlages zur Fracht für den Fall des

Verlustes oder der Beschädigung und für den Fall der Überschreitung der vereinbarten Lieferfrist durch

Eintragung in den Frachtbrief den Betrag eines besonderen Interesses an der Lieferung festlegen.

(2) Ist ein besonderes Interesse an der Lieferung angegeben worden, so kann unabhängig von der

Entschädigung nach den Artikeln 23, 24 und 25 der Ersatz des Weiteren bewiesenen Schadens bis zur

Höhe des als Interesse angegebenen Betrages beansprucht werden.

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Lösung

1) Hat die C gegen die E einen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises? Kann sie

Schadensersatz verlangen?

I. Anwendbares Recht?

1. Grds. Vertragsstatut nach IPR zu ermitteln; ggf. aber Vorrang völkerrechtlicher Verträge; hier

aber: Rechtswahl durch Parteien!

2. Art. 3 Rom I-VO: Rechtswahl, hier wirksam, deshalb deutsches Recht

Umfang der Rechtswahl? CISG ist als völkerrechtliches Übereinkommen

Teil des deutschen Rechts und vorrangig anwendbar!

damit also innerhalb des deutschen Rechts CISG anwendbar, sofern die

weiteren Anwendungsvoraussetzungen vorliegen

3. Anwendbarkeit der CISG? Art. 1-6 CISG

1. Räumlich-persönlicher Anwendungsbereich?

Parteien mit Niederlassung in verschiedenen Staaten (+),

Deutschland/Frankreich

Art. 1 I lit. a: Beide Staaten Vertragsstaaten (+), D und F beides

Vertragsstaaten

2. Sachlicher Anwendungsbereich?

Art. 1 CISG: Warenkauf bzw. Werklieferungsvertrag nach Art. 3 I CISG (+),

Kaufvertrag über Stanniolpapier

3. Zeitlicher Anwendungsbereich, Art. 100 CISG (+)

4. Ausnahmen?

Art. 2 CISG (-), hier nichts einschlägig

Art. 3 Abs. 1 Hs. 2 CISG (-)

Art. 3 Abs. 2 CISG (-), nur Lieferung

5. Abwahl durch Rechtswahl/Ausschluss, Art. 6 CISG? (-)

Rechtswahl als Ausschluss der CISG, Art. 6 CISG?

Ausschluss muss ausdrücklich/eindeutig erfolgen (z.B. Ansprüche

ausdrücklich auf solche nach BGB beschränken) Hier: (-)

II. Vertrag wirksam geschlossen? Art. 14ff. CISG

Angebot? (+), Vertragsübersendung durch E

Annahme (+), Unterschrift und Rücksendung durch C

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III. Rückzahlungsanspruch der C? Art. 81, 49, 26 CISG

Art. 81 II 1 CISG: Anspruch auf Rückgabe des Geleisteten (hier: schon gezahlter Kaufpreis) bei

Vertragsaufhebung liegt Vertragsaufhebung vor?

Vertragsaufhebung durch C möglich? Aufhebung durch Käufer, Artt. 45, I lit. a, 49 I CISG

o Voraussetzungen:

1. Nichterfüllung einer Verkäuferpflicht

Art. 35 I CISG: Ware muss Vertragsanforderungen entsprechen

Konformität, Art. 35 II CISG?

o Parteivereinbarung? ggf. schon in „Angebot über

vergleichbares Papier“, Hinweis auf Verwendungszweck –

allerdings keine zweiseitige Vereinbarung!

o a) Eignung für gewöhnlichen Zweck hier geht es

offensichtlich um Lebensmittel-Verpackungen; andererseits

kann rotes Folienpapier auch anders verwendet werden

o b) Eignung für bestimmten Zweck, der Verkäufer zur

Kenntnis gebracht wurde, (+) C hat ausdrücklich auf Zweck

hingewiesen und durfte auch vernünftigerweise auf

Sachkenntnis der E vertrauen

kein Ausschluss nach Art. 35 III CISG, C wusste nichts von

Vertragswidrigkeit

Haftung nach Art. 36 I CISG für Vertragswidrigkeit bei

Gefahrübergang (Art. 66ff. CISG), auch wenn sie erst später offenbar

wird hier also Haftung nicht dadurch ausgeschlossen, dass Mangel

erst nach Verarbeitung zutage tritt

damit also Nichterfüllung der Pflicht aus Art. 35 CISG!

Recht verloren wegen Artt. 38, 39 CISG?

o Untersuchungspflicht nach Art. 38 CISG (kurze Frist)?

Untersuchung durch C gleich nach Lieferung, aber: Mangel

erst nach Verarbeitung erkennbar

o Rügepflicht: Anzeige innerhalb angemessener Frist nach

Feststellung, (+) umgehende Mitteilung

also kein Rechtsverlust der C

2. Nichterfüllung als wesentliche Vertragsverletzung i.S.d. Art. 25 CISG

„dass ihr im Wesentlichen entgeht, was sie nach dem Vertrag hätte

erwarten dürfen“ hier wohl (+): C wollte Stanniolpapier zum

Einwickeln von Schokolade und durfte das auch erwarten – genau

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das hat sie aber nicht bekommen, hier wohl keine andere

Verwendungsmöglichkeit, das gelieferte Stanniolpapier eignet sich

nicht für Süßwaren

o Ausschluss des Aufhebungsrechts nach Art. 82 CISG?

1. Art. 82 I CISG: wenn Ware nicht im Lieferungszustand zurückgewährt werden

kann hier (+), Stanniolpapier kann nicht zurückgegeben werden

2. Aber: Art. 82 II CISG: Abs. 1 nicht anwendbar? hier lit. c): C hat die Ware

der normalen Verwendung entsprechend verändert (durch Einpacken der

Schokolade), bevor die Vertragswidrigkeit entdeckt wurde/hätte entdeckt

werden müssen

o Problem: Ausschluss des Aufhebungsrechts durch die AGB? (Beschränkung auf

Nachlieferungsansprüche)

1. Einbeziehung der AGB?

h.M.: historisch ist Einbeziehungsproblem („Frage des äußeren

Konsenses“) eine Frage des Vertragsschlusses (Art. 14ff. CISG)

damit unterfällt AGB-Einbeziehung dem CISG! Keine nationalen

Einbeziehungsregelungen!

o Wille zur Einbeziehung erkennbar? (auch aus Handelsbrauch,

Art. 9 II CISG, möglich) hier: Angebot zum Vertragsschluss

durch E, darin AGB enthalten; Annahme durch C inklusive

der AGB (Art. 18 I CISG) AGB wirksam einbezogen

2. Wirksamkeit der AGB?

Wirksamkeit oder Unwirksamkeit der einzelnen Klauseln nicht vom

CISG geregelt nach von IPR berufenem nat.R zu beurteilen (für dt.

Recht: § 305c I BGB zu überraschenden Klauseln ist Inhaltskontrolle

und bleibt damit anwendbar; im Rahmen des § 307 BGB sind CISG-

Wertungen zu berücksichtigen)

o Nach IPR berufenes nat. Recht? Rom I-VO: Art. 3,

Rechtswahl des deutschen Rechts

o Klausel nach dt. Recht wirksam? AGB-Inhaltskontrolle

zwischen Unternehmern: § 307 BGB unter Heranziehung der

Wertungen der §§ 308, 309 BGB (vgl. § 310 Abs. 1 BGB)

Klausel, die auf Nacherfüllung beschränkt und kein

Rücktrittsrecht einräumt, ist unwirksam!

damit Klausel unwirksam

unwirksame Klausel, damit nicht zu beachten,

also kein wirksamer Ausschluss des

Aufhebungsrechts

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also besteht ein Aufhebungsrecht der C

Vorherige Nachfristsetzung erforderlich, Art. 47 II CISG?

nicht erforderlich bei wesentlicher Vertragsverletzung, vgl. Art. 49 I lit. a CISG

Wirksame Geltendmachung des Aufhebungsrechts?

o „erklären“ Art. 26 CISG: muss der anderen Partei mitgeteilt werden hier darin

zu sehen, dass C Rückzahlung des Kaufpreises verlangt

o Frist, Art. 49 II CISG

Aufhebungserklärung innerhalb angemessener Frist nach

Vertragsverletzungs-Kenntnis (b) i), (+) umgehende Mitteilung

=> C steht ein Aufhebungsrecht zu, dies hat sie auch form- und fristgerecht geltend gemacht. Somit

hat sie einen Anspruch auf Rückzahlung des bereits geleisteten Kaufpreises.

IV. Schadensersatzanspruch der C? Artt. 45 I lit. b), 74-77 CISG

Vertragsverletzung: Nichterfüllung einer Verkäuferpflicht, Art. 35 CISG (+), s.o.

o Kein Ausschluss nach Artt. 38, 39 CISG, s.o.

o damit nach Art. 45 I lit. b) CISG Schadensersatzanspruch

Umfang des Schadensersatzes, Art. 74ff. CISG:

Art. 74 CISG: infolge der Vertragsverletzung entstandener (vorhersehbarer)

Verlust hier: der der C aus den Rückabwicklungs-/Schadensersatzansprüchen

ihrer Händler entstandene Schaden, sowie der der C entgangene Gewinn (in bei

Vertragsabschluss vorhersehbarer Höhe)

Befreiung der E, Art. 79 CISG?

o nicht ersichtlich, warum E exkulpiert sein sollte!!!

o i.Ü. müsste E beweisen, dass der Hinderungsgrund von ihr nicht zu beeinflussen

war und man von ihr weder eine Berücksichtigung noch eine Vermeidung

erwarten konnte

Schadensersatzausschluss durch AGB-Klausel?

o Wirksamkeit/Inhalt zu beurteilen nach dt. Recht, s.o.

o hier: Klausel beschränkt auf Nacherfüllung und schließt Schadensersatz aus

unwirksam, s.o.

Anspruch auf Schadensersatz nicht ausgeschlossen durch Vertragsaufhebung, Art. 45 II CISG

=> C steht (neben dem Aufhebungsrecht) ein Anspruch auf Schadensersatz zu.

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2) Kann sich die S vom Kaufvertrag mit der C lösen? Kann sie Schadensersatz verlangen?

I. Anwendbares Recht?

o Keine Rechtswahl o.ä., also vorrangig CISG zu prüfen

o Anwendbarkeit der CISG? Art. 1-6 CISG

Räumlich-persönlicher Anwendungsbereich?

Art. 1 I lit. a):

o Parteien mit Niederlassung in verschiedenen Staaten (+),

Deutschland/Niederlande

o beide Staaten Vertragsstaaten (+), D und N beides

Vertragsstaaten

Sachlicher Anwendungsbereich?

Art. 1 CISG: Warenkauf/Werklieferungsvertrag, Art. 3 I CISG (+),

Kaufvertrag über Schokoladenhasen

Zeitlicher Anwendungsbereich, Art. 100 CISG (+)

Keine Ausnahmen erkennbar, Art. 2 CISG

Keine Abwahl durch Rechtswahl/Ausschluss, Art. 6 CISG

II. Vertrag wirksam geschlossen? Art. 14 ff. CISG

Wirksamer Kaufvertragsschluss zu unterstellen

III. Vertragsaufhebung durch S möglich? Artt. 49, 26 CISG

o Voraussetzungen für Aufhebung nach Art. 49 I lit. a):

Nichterfüllung einer Verkäuferpflicht

Art. 35 I CISG: Ware muss Vertragsanforderungen entsprechen

o Konformität, Art. 35 II CISG? zerbrochene

Schokoladenfiguren zwar noch zum Verzehr geeignet; hier ist

aber auf den gewöhnlichen (lit. a) bzw. bestimmten (lit. b)

Weiterverkaufszweck abzustellen, für den sie nicht mehr

geeignet sind!

=> damit hat C ihre Pflicht nicht erfüllt

Untersuchungs- und Rügepflicht (Artt. 38, 39 CISG) gewahrt:

sofortige Untersuchung und Mangelmitteilung nach Lieferung

Nichterfüllung als wesentliche Vertragsverletzung i.S.d. Art. 25 CISG?

„dass ihr im Wesentlichen entgeht, was sie nach dem Vertrag hätte

erwarten dürfen“ so schwere Beeinträchtigung der berechtigten

Vertragserwartungen der S, dass ihr Interesse an

Vertragsdurchführung entfällt? Unzumutbarkeit anderer

Rechtsbehelfe (Aufhebung als ultima ratio)?

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Hier: zwar Interesse der S an (korrekter und rechtzeitiger)

Vertragserfüllung schwerwiegend beeinträchtigt, da sie beinahe

gänzlich mangelhafte Ware erhält – aber C bietet rasche

Nachlieferung an, die für S kaum Aufwand bedeutet (und S kann

Schadensersatz für Einbußen bei Ostergeschäft verlangen). Wenn

Mangel rasch und ohne Aufwand für die beeinträchtigte Partei

nachgebessert werden kann und die vertragsbrüchige Partei dazu

bereit ist, ist er (auch wenn er schwerwiegend ist) nicht „wesentlich“

i.S.d. Art. 25 CISG.

=> damit keine „wesentliche“ Vertragsverletzung, Aufhebung nach Art. 49 I

lit. a) CISG nicht möglich

o Voraussetzungen für Aufhebung nach Art. 49 I lit. b):

Nichtlieferung? hier: zwar mangelhafte Ware, aber es liegt eine Lieferung

vor! Schlecht- und Falschlieferungen sind von lit. b) nicht erfasst – hier soll

nur bei wesentlicher Vertragsverletzung nach lit. a) eine Aufhebung in

Betracht kommen (keine aufhebungsermöglichende Nachfristsetzung bei

mangelhafter Lieferung, anders als nach BGB-Vorschriften!)

=> S kann den Vertrag mit C nicht aufheben.

IV. Schadensersatzansprüche der S? Artt. 45 I lit. b), 74-77 CISG

o Vertragsverletzung: Nichterfüllung einer Verkäuferpflicht, Art. 35 CISG (+), s.o.

Kein Ausschluss nach Artt. 38, 39 CISG, s.o.

damit nach Art. 45 I lit. b) CISG Schadensersatzanspruch

o Umfang des Schadensersatzes, Art. 74ff. CISG:

Art. 74 CISG: infolge der Vertragsverletzung entstandener (vorhersehbarer)

Verlust hier: der der S aus der Lieferung mangelhafter Ware entstandene

Verlust (z.B. durch vergeudetes Vorhalten von Lagerkapazität) sowie

entgangener Gewinn (da sie ja erst zwei Tage später mit dem Verkauf der

Saisonartikel beginnen kann)

o Keine Befreiungsmöglichkeit nach Art. 79 CISG ersichtlich

Ergebnis: SE-Anspruch der S (+)

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3) Kann die C von der T Ersatz für die geraubte Schokolade verlangen? Wie sieht es mit

Schadensersatz für den entgangenen Gewinn aus?

I. Anwendbares Recht?

1. hier: Straßengütertransport, also ggf. als völkerrechtlicher Vertrag CMR vorrangig

2. Anwendbarkeit des CMR, Art. 1 I CMR

a. Vertrag über entgeltliche Beförderung von Gütern auf der Straße mittels

Fahrzeugen (+)

b. Übernahmeort und vorgesehener Ablieferungsort in zwei verschiedenen

Staaten (+), Deutschland/Spanien

c. Wenigstens einer der Staaten Vertragsstaat (+), sowohl Deutschland als

auch Spanien sind CMR-Mitglieder

d. unerheblich, wo Wohnsitz der Parteien ist!

II. Schadensersatzanspruch der C wegen der geraubten Schokolade? Art. 17 I Var. 1 CMR

1. Art. 17 I Var. 1 CMR

a. Verlust des Gutes (+), Schokolade gänzlich verschwunden

b. Eintritt des Verlustes zwischen Übernahme und Ablieferung des Gutes (+),

nach Übernahme der Schokolade bei C und vor Ablieferung in Salamanca

c. grds. Haftung der T als Frachtführerin

2. Haftungsausschluss nach Art. 17 II CMR?

a. Verlust durch Verschulden des Verfügungsberechtigten eingetreten (Var. 1)?

1) Verfügungsberechtigter, Art. 12 CMR: hier C; Raub nicht durch

Verschulden der C

b. Verlust durch nicht vom Frachtführer (T) verschuldete Weisung des

Verfügungsberechtigten (Var. 2)?

1) Keine Weisung durch C, die zu Verlust geführt hätte

c. Verlust durch besondere Mängel des Gutes (Var. 3)?

1) Hier (-)

d. Verlust durch Umstände, die Frachtführer nicht vermeiden und deren Folgen

er nicht abwenden konnte (Var. 4)?

1) Unvermeidbarkeit? wenn Schaden auch bei Anwendung der

äußersten möglichen und zumutbaren Sorgfalt durch den

Frachtführer nicht hätte vermieden werden können (Beweislast beim

Frachtführer)3

2) Nach Art. 3 CMR haftet Frachtführer auch für seine Hilfspersonen –

hier: Verhalten des Fahrers (unzweifelhaft Handeln „in Verrichtung“)

Also hier unerheblich, ob der Parkplatz von T vorgegeben

oder vom Fahrer gewählt wurde

3) Raub durch mögliche und zumutbare Sorgfalt vermeidbar gewesen?

a. Zumindest leicht fahrlässig, auf unbewachtem Parkplatz zu

parken – Wahl eines bewachten Parkplatzes / einer Route

3 BGH TranspR 1998, 250; BGH TranspR 1999, 59.

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mit bewachtem Parkplatz wäre möglich und zumutbar

gewesen

b. Besatzung des Fahrzeugs mit einem zweiten Fahrer als

mögliche und zumutbare Alternative

c. Alarmanlage am LkW

d. …

e. damit in Raub-Fällen kein Ausschluss nach Art. 17 II CMR!

3. Es besteht ein Schadensersatzanspruch der C gegen die T wegen der geraubten

Schokolade

4. Haftungsumfang: Art. 23 CMR

a. Wertersatzprinzip

1) Art. 23 I CMR: Ersatz für Wert der Schokolade (bei C am 21.3.2012,

Wertbestimmung nach Art. 23 II, III CMR), 10.000 €

2) Art. 23 IV CMR: Erstattung der vollen Frachtkosten, da vollständiger

Verlust

b. Schadensersatz für entgangenen Gewinn?

1) Nach Art. 23 VI CMR höhere Entschädigung nur, wenn Wert des

Gutes oder besonderes Interesse an Lieferung angegeben

2) Keine besondere Wertdeklaration nach Art. 24 CMR

3) Höherer Betrag wegen besonderen Lieferinteresses, Art. 26 CMR?

Hier nicht ersichtlich, dass besonderes Lieferinteresse

vereinbart (keine Eintragung im Frachtbrief, kein Zuschlag)

III. damit nur Schadensersatzanspruch wegen der verschwundenen Schokolade und der

Frachtkosten, aber kein Schadensersatzanspruch wegen entgangenen Gewinns

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4) Hat G einen Anspruch gegen C wegen der verspäteten Lieferung? Kann C ihrerseits

Ansprüche gegen T geltend machen? Welche Gerichte sind international für diese Ansprüche

zuständig?

I. Ansprüche des G gegen C

1. Anwendbares Recht? CISG

Anwendbarkeit (+), Italien ebenfalls CISG-Vertragsstaat – s.o.

2. Vertrag wirksam geschlossen? Art. 14ff. CISG

Wirksamer Kaufvertragsschluss zu unterstellen

3. Vertragsaufhebung durch G möglich? Artt. 49, 26 CISG

a. Voraussetzungen für Aufhebung nach Art. 49 I lit. a):

1) Nichterfüllung einer Verkäuferpflicht

a) Hier: Pflicht der C zur pünktlichen Lieferung

1) Art. 33 CISG: Lieferungszeitpunkt

2) hier lit. a) Zeitpunkt im Vertrag bestimmt, (bis zum)

23.3.2012

b) Pflicht durch Zuspätlieferung (am 10.4.2012) verletzt!

2) Nichterfüllung als wesentliche Vertragsverletzung i.S.d. Art. 25 CISG?

Verspätete Lieferung ist nur selten wesentliche Vertrags-

verletzung (i.d.R. ist Nachfrist erforderlich, dann

Aufhebung nach Art. 49 I lit. b CISG möglich)

Hier aber: Fixgeschäft ausdrücklich vereinbart,

Saisonware! – deshalb besonderes Interesse des G an

rechtzeitiger Lieferung, hier möglicher sinnvoller

Zeitraum verstrichen (Lieferung nach Ostern)

wesentliche Vertragsverletzung (+)

b. Kein Ausschluss des Aufhebungsrechts nach Art. 82 CISG, G kann die Hasen

zurückgeben

c. Wirksame Geltendmachung des Aufhebungsrechts?

„erklären“ Mitteilung an andere Partei, Art. 26 CISG (+), Anruf des

G bei C

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d. Frist, Art. 49 II lit. a) CISG

Aufhebungserklärung innerhalb angemessener Frist, nachdem G von

Lieferung erfährt (+), umgehender Anruf bei C

G kann sich durch Vertragsaufhebung vom Vertrag mit C lösen.

4. Schadensersatzansprüche?

a. Wegen Pflichtverletzung der C (siehe eben) Schadensersatzanspruch des G

nach Artt. 45 I lit. b), 74ff. CISG

1) Umfang: (voraussehbarer) Verlust und entgangener Gewinn des G

2) Exkulpation der C gemäß Art. 79 II CISG, weil sie die T eingeschaltet

hat?

a) Vss.: Doppelte Exkulpation: Befreiung der C selbst UND

hypothetische Befreiung der T

b) Hier: Hinderungsgrund außerhalb des Einflussbereichs und

nicht vernünftigerweise in Betracht zu ziehen/zu vermeiden?

wohl nicht für C (zwar nicht Cs Einflussbereich; aber nicht

völlig abwegig, von Unachtsamkeit bei Spedition auszugehen

– also insbes. bei Termingeschäften in Betracht zu ziehen,

andererseits aber gerade für pünktliche Lieferung Spedition

eingeschaltet…), jedenfalls aber nicht für T (der Fehler

entstand ja gerade durch Versehen bei T!)! damit keine

Exkulpation der C

G kann von C auch Schadensersatz verlangen.

II. Ansprüche der C gegen T

1. Anwendbares Recht? CMR

a. Anwendungsbereich (+), auch Italien ist CMR-Vertragsstaat – s.o.

2. Schadensersatzanspruch der C wegen der verspäteten Lieferung? Art. 17 I Var. 3

CMR

a. Lieferfristüberschreitung, Art. 19 CMR?

1) Hier (+), da Schokolade nicht in der vereinbarten Frist (Zeitraum bis

zur vertragsgemäßen Ablieferung am 23.3.2012 in Florenz)

abgeliefert wurde

b. damit Schadensersatzanspruch der C

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c. Inhalt: Vermögensschaden wegen der verspäteten Ablieferung

1) Bei C wegen der Verspätung entstandener Schaden? der dem G zu

zahlende Schadensersatz sowie der C entgangene Gewinn

2) Art. 23 V CMR:

a) Beweispflicht für Schaden beim Verfügungsberechtigten

1) hier: es dürfte für C ohne weiteres möglich sein, den

Schaden nachzuweisen

b) bei Lieferfristüberschreitung grds. der Art nach

uneingeschränkter Schadensersatz – alle adäquat kausal

verursachten Schäden, also auch mittelbare/unmittelbare

Folgeschäden, entgangener Gewinn ist hier (im Gegensatz zu

Verlust/Beschädigung) ersatzfähig!

c) Aber: Begrenzung der Schadenshöhe auf Höhe der Fracht

1) „Fracht“ ist die zwischen Frachtführer und

Vertragspartner vereinbarte Vergütung, also das von

C und T vereinbarte Entgelt

d. C kann von T Schadensersatz wegen der verspäteten Lieferung verlangen.

Allerdings ist der Anspruch in der Höhe begrenzt und kann maximal in Höhe

des mit T vereinbarten Entgelts verlangt werden.

III. Internationale Zuständigkeit für die Ansprüche? EuGVVO

1. Anwendbarkeit der EuGVVO?

a. Sachlich, Art. 1 I EuGVVO (+), Zivil- und Handelssache

b. Räumlich-persönlich, Art. 2 I EuGVVO [Art. 4 I EuGVVOneu]:

1) Für Ansprüche G gegen C: (+), C hat Wohnsitz in Deutschland

2) Für Ansprüche C gegen T: Wohnsitz der T nach Art. 60 EuGVVO [Art.

63 EuGVVOneu] entweder Delaware (lit. a)), oder Hauptverwaltung

(lit. b), Belgien) also ebenfalls (+)

c. Zeitlich, Art. 66, 76 EuGVVO (+)

2. Klage des G gegen C:

a. Allgemeine Zuständigkeit, Art. 2 EuGVVO [Art. 4 EuGVVOneu]: Wohnsitz der

C, Deutschland

b. Besondere Zuständigkeit, Art. 5 lit. a), b) EuGVVO [Art. 7 EuGVVOneu]:

Kaufvertrag zwischen C und G, damit Erfüllungsort = Lieferort, Italien

c. G kann wahlweise in Deutschland oder Italien klagen

3. Klage der C gegen T:

a. Allgemeine Zuständigkeit, Art. 2 EuGVVO [Art. 4 EuGVVOneu]: Wohnsitz der

T, Belgien

b. Besondere Zuständigkeit, Art. 5 lit. a), b) EuGVVO [Art. 7 EuGVVOneu]:

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1) Transportvertrag von Art. 5 lit. b) erfasst (Dienstleistung), damit

Erfüllungsort des Transportvertrags

a) Problem: Schwerpunktbestimmung beim Transportvertrag?

vgl. EuGH-Rspr. zum Beförderungsrecht (Rs. Rehder):

Wahlrecht zwischen Übernahme- und Lieferort? m.E. bei

Transportvertrag auch vertretbar, nur auf Lieferort

abzustellen?

c. C kann wahlweise in Belgien, Italien und je nach Ansicht auch in

Deutschland klagen

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5) Kann R sich vom Vertrag mit C lösen?

I. Anwendbares Recht? CISG?

Anwendbarkeit der CISG? Art. 1-6 CISG

i. Räumlich-persönlicher Anwendungsbereich?

Art. 1 I lit. a):

a. Parteien mit Niederlassung in verschiedenen Staaten (+),

Deutschland/Ruritanien

b. beide Staaten Vertragsstaaten (+), D und Rur. beides

Vertragsstaaten

ii. Sachlicher Anwendungsbereich?

Art. 1 I CISG: Warenkauf/Werklieferungsvertrag, Art. 3 I CISG (+),

Kaufvertrag über „Schwarzwälder-Kirsch-Kugeln“

iii. Zeitlicher Anwendungsbereich, Art. 100 CISG (+)

iv. Keine Ausnahmen erkennbar (Art. 2 CISG)

v. Abwahl durch Rechtswahl/Ausschluss (Art. 6 CISG)? (-), nichts ersichtlich

II. Vertrag wirksam geschlossen? Art. 14ff. CISG

Wirksamer Kaufvertragsschluss zu unterstellen

III. Vertragsaufhebung durch R möglich? Artt. 49, 26 CISG

a) Voraussetzungen für Aufhebung nach Art. 49 I lit. a):

i. Nichterfüllung einer Verkäuferpflicht

Art. 35 I CISG: Ware muss Vertragsanforderungen entsprechen im

Vertrag nichts Spezifisches zum Alkoholgehalt vereinbart, nur

„hochwertiger Alkohol mit Kirschgeschmack“ in Bezug genommen

ii. Art. 35 II CISG:

1. Eignung für gewöhnlichen Gebrauch? hier wohl

Weiterverkauf/Konsum

a. Alkoholgehalt dafür maßgeblich? Nicht deutlich, dass

„gewöhnliche“ Schokoladenkugeln nur mit Likör gefüllt sind

(man denke z.B. am Williams-Christ- oder Cognac-

Ostereier…) – der gewöhnliche Gebrauch wird also grds.

nicht beeinträchtigt

b. Maßgeblichkeit der ruritanischen öffentlich-rechtlichen

Vorgaben (dort nicht verkehrsfähig)?

BGH: vom Verkäufer kann nicht erwartet werden, besondere

öff.-rechtl. Vorschriften im Käufer-/Verwendungsstaat zu

beachten; Teile der Lit.: Standard im Land des Verkäufers!

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2. Eignung für bestimmten Zweck?

Kein Hinweis, dass R der C ausdrücklich oder anders zur

Kenntnis gebracht hat, dass ruritanische Standards gelten

müssen (nur Liefer-/Bestimmungsort genügt nicht); selbst

wenn R den Zweck des Verkaufs angibt, ist sehr fraglich, ob

er vernünftigerweise auf Sachkenntnis der C zum

ruritanischen Lebensmittelrecht vertrauen durfte

damit also keine Vertragswidrigkeit, keine Nichterfüllung einer

Verkäuferpflicht!

b) Nähme man eine Nichterfüllung an, müsste diese eine wesentliche

Vertragsverletzung i.S.d. Art. 25 CISG sein

i. R kann die Kugeln in Ruritanien nicht verkaufen – ihm entgeht also

wesentlich das, was er nach dem Vertrag erwarten durfte

ii. Aber: andere Verwertung (im Ausland) möglich) – BGH: keine wesentliche

Vertragsverletzung!

iii. Wenn man eine wesentliche Vertragsverletzung verneint, hat R kein

Aufhebungsrecht nach Art. 49 I lit. a) CISG. Ein Aufhebungsrecht nach Art. 49

I lit. b) CISG kommt auch nicht in Betracht, da die Aliud-Lieferung eine

Lieferung ist (vgl. oben). iv. Wenn man eine wesentliche Vertragsverletzung bejaht, hat R ein Aufhebungsrecht (kein

Ausschluss nach Art. 82 CISG). Die Aufhebung hat er gegenüber C erklärt (Art. 26 CISG) und

auch fristgerecht (Art. 49 II lit. b) i))

Je nach eingeschlagenem Lösungsweg kann R sich vom Vertrag lösen oder nicht.

Anmerkung:

vgl. Fälle „Neuseeländische Muscheln“ (BGH 08.03.1995, BGHZ 129, 75; s.a. BGH 02.03.2005, RIW

2005, 547) sowie Kobaltsulfat (BGH 03.04.1996, NJW 1996, 2364; CISG-online Nr. 135)