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Exkursion in die Vergangenheit

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Atlan - Die Abenteuer der SOL Nr. 590 Das Zeittal

Exkursion in die

Vergangenheit von Horst Hoffmann

Das Logbuch der SOL - 6. Bericht

In den mehr als 200 Jahren ihres ziellosen Fluges durch die Tiefen des Alls haben die Besatzungsmitglieder des Generationenschiffs SOL schon viele gefährliche Abenteuer bestanden. Doch im Vergleich zu den schicksalhaften Auseinandersetzungen, die sich seit dem Tag ereignen, da Atlan, der Arkonide, auf geheimnisvolle Weise an Bord gelangte, verblassen die vorangegangenen Geschehnisse zur Bedeutungslosigkeit. Denn jetzt, im Jahre 3804 Solzeit, geht es bei den Solanern um Dinge von wahrhaft kosmischer Bedeutung.

Da geht es um den Aufbau von Friedenszellen im All und um eine neue Bestimmung, die die Kosmokraten, die Herrscher jenseits der Materiequellen, für die Solaner parat haben. Und es geht um den Kampf gegen Hidden-X – einen mächtigen Widersacher, der es auf die SOL abgesehen hat.

Nach der Vernichtung des »schlafenden Heeres«, der wohl letzten Aktivwaffe des Gegners, herrscht trügerische Ruhe im All. Während die Reparaturen an der SOL und am Hypervakuum-Verzerrer voranschreiten, findet Breckcrown Hayes, der High Sideryt, Zeit, sich mit dem Logbuch der SOL zu beschäftigen.

Hayes will Licht in die im Dunkel der Geheimnisse liegenden Jahre seiner frühesten Kindheit bringen und macht eine EXKURSION IN DIE VERGANGENHEIT …

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Die Hauptpersonen des Romans:

Breckcrown Hayes - Der High Sideryt macht eine Exkursion in die Vergangenheit.�Idilpraheitbha Daraw - Breckcrowns Mutter.�Tineidbha Daraw - Idilpraheitbhas mörderische Schwester.�Chart Deccon - Ein ehrgeiziger Solaner.�Fliege, Hallito und Laro - Idilpraheitbhas Freunde.�

1. Die Katastrophe

Der breite Korridor und alles, was sich darin bewegte, wurden in kurzen Intervallen in das blutrote Licht der Warnanlagen getaucht. Ein konstanter Sirenenton quälte die Ohren der Solaner, die im Laufschritt das letzte Stück bis zum abgeriegelten Bereich zurücklegten.

Stellt das ab! dachte Idilpraheitbha Daraw. Irgend jemand stelle endlich das Geheul ab!

Die Technikerin rannte an der Spitze eines Trupps aus zehn Ferraten und einer Handvoll Roboter. Vor ihr räumten Vystiden Menschen, Extras und Monster aus dem Weg, die hier an der Peripherie des Schiffes unter härtesten Umständen ihr Leben fristeten und nun in Panik durcheinanderliefen wie Ameisen, in deren Haufen man einen Spaten gestoßen hatte. Die Offiziere und Soldaten gingen dabei nicht zimperlich vor.

Rotalarm! Idilpraheitbha trug, wie die Ferraten, einen schweren

Strahlenschutzanzug. Sie hatte nicht lange gefragt, als der Befehl kam, das Kommando über die Rostjäger zu übernehmen und die undichte Stelle am Kraftwerk zu flicken. Es erschien ihr nur logisch, daß man auf sie zurückgegriffen hatte, denn sie gehörte zu den wenigen Solanern, die die Technik an Bord nicht nur handhaben konnten, sondern zu einem guten Teil auch noch begriffen. Idilpraheitbha gehörte der SOLAG an, ohne jedoch in eine Kaste

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direkt eingegliedert zu sein. Sie trug die schlichte, dunkelblaue Uniform einer Ferratin, allerdings nicht mit dem gelben Atomsymbol aus Stoff auf den Schultern, sondern mit dem bronzefarbenen der Ahlnaten auf der linken Brustseite. Dies gab in etwa ihre Stellung wieder. Auch darauf hätte sie verzichten können, denn wesentlich für sie und ihr Ansehen war es vielmehr, die Schwester einer Magnidin zu sein.

Ein Ansehen, auf das Idilpraheitbha oft genug gerne verzichtet hätte. Die Vystiden bahnten den Weg und blieben vor dem Schott zurück, über dem die rote Warnleuchte so grell blinkte, daß ihr Licht in den Augen schmerzte. Eine Computerstimme warnte monoton: »Hier beginnt der verseuchte Bereich! Kehrt um, behindert die Evakuierungsmaßnahmen nicht oder beteiligt euch daran! Hier beginnt der …«

Idilpraheitbha murmelte eine Verwünschung. Von Evakuierungsmaßnahmen sah sie weit und breit nichts, und hinter dem Schott war es für jede Hilfe zu spät. Für die Unglücklichen, die sich nicht rechtzeitig vor dem Abriegeln der Strahlungszone hatten in Sicherheit bringen können, konnte niemand mehr etwas tun.

»Wir brauchen euch jetzt nicht mehr«, sagte sie über die Schulter zu den Vystiden. Sie wartete, bis die Soldaten sich weit genug zurückgezogen hatten, und steckte erst dann den Codegeber in die dafür vorgesehene Vertiefung.

Für einen Moment hielt sie den Atem an. Es ist ein Wunder, daß die SOL überhaupt noch fliegt! Das Chaos an

Bord greift von Tag zu Tag weiter um sich! Heute dieser Unfall, gestern ein anderer, und morgen …?

Idilpraheitbha hatte nie andere Zustände kennengelernt. Wie lange war es her, daß Perry Rhodan endlich eingesehen hatte, wem das Schiff wirklich gehörte, und es an die Solgeborenen übergab? Man schrieb das Jahr 3749, das gerade erst wenige Tage alt war. Also 163 Jahre zielloses Durchkreuzen des Kosmos. Jeder, der seine fünf Sinne beieinanderhatte, konnte sich ausrechnen, daß es zu

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Beginn dieser langen Reise einmal ein intaktes Bordleben und eine intakte Technik gegeben haben mußte. Tineidbha hatte einige Male von den alten Zeiten geredet. Sie war eine der zehn Brüder und Schwestern der ersten Wertigkeit und wußte vieles, was allen anderen vorenthalten blieb. Und selbst ihrer Schwester gegenüber tat Tineidbha so, als wäre sie an eine Schweigepflicht gebunden.

Das Logbuch, dachte die Technikerin. In ihm ist alles festgehalten, doch Amalmann II hütet es wie seinen Augapfel. Es gibt ihm Macht, und das weiß er.

Alles wäre anders, wenn SENECA noch funktionieren würde! Das Schott fuhr auf. Idilpraheitbha vergaß augenblicklich ihre

Gedanken und trat mit festem Schritt in die Schleuse. Die Ferraten und Roboter mußten sich eng aneinanderdrängen, als das Schott sich wieder schloß und sie darauf warteten, daß sich das gegenüberliegende öffnete.

Dann waren sie in der verseuchten Zone. Ein Blick auf die Anzeigen des Armbandgeräts machte der

Technikerin klar, wie stark die Strahlungsintensität schon war. Sie schauderte. Wenn es ihr nicht gelang, die undichte Stelle rasch zu finden und den Schaden zu beheben, würde in spätestens einer Stunde diese ganze SOL-Zelle evakuiert werden müssen!

Ein Gleitband trug sie weiter. Der Scanner in ihrer Hand wies ihr die Richtung, die sie und ihr Trupp einzuschlagen hatten. Die Korridore verbreiterten sich. Weitere Schleusen mußten passiert werden, Schleusen, in denen wie in den Gängen tote oder sterbende Solaner lagen, die von der ausdringenden Strahlung überrascht worden waren. Idilpraheitbha war nahe daran, sich zu übergeben. Sie zwang sich dazu, weiterzugehen und die Bilder des Grauens zu ignorieren, rief sich immer und immer wieder ins Bewußtsein, daß es bald überall in der SOL so aussehen könnte wie hier, wenn sie versagte.

Von den Männern und Frauen des Wartungspersonals, die sich schnell genug in Schutzanzüge hatten retten können, konnte sie

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keine große Hilfe erwarten. Immerhin brachten sie sie zum Strahlungsleck.

Das gigantische Kraftwerk versorgte ein Viertel der SZ-2 mit Energie, dazu einen Teil der Protonenstrahltriebwerke. Idilpraheitbha fand sich relativ gut zurecht. Die Ferraten folgten ihr durch die Torbögen und Tunnel zwischen den einzelnen Kammern wie Herdentiere.

Selbst die Roboter sind intelligenter! Idilpraheitbha hatte Angst und wußte nicht, ob sie sie gut genug

verbergen konnte. Ihr Herz schlug bis zum Hals, je näher sie der Strahlungsquelle kam. Als sie dann davorstand, zitterten ihre Hände.

Sie verschaffte sich unter Aufbietung all ihrer Willenskraft einen Überblick über die entstandenen Schäden, und die aufkommende Panik wich kaltem Zorn, als sie erkannte, daß die Katastrophe hätte vermieden werden können, wenn nicht Idioten für die Wartung der Anlage verantwortlich gewesen wären.

Verschleiß! Die zehn- und zwanzigfachen Absicherungen und Abdichtungen im äußeren Brennkammermantel wären niemals durchlässig geworden, hätte es qualifiziertes technisches Personal gegeben!

Wie lange noch, und die ganze SOL fliegt uns um die Ohren! Idilpraheitbha gab ihre Anweisungen. Ferraten und Roboter

rannten los, um neues Abdichtungsmaterial zu holen – falls sie überhaupt das Depot fanden. Die Technikerin versuchte inzwischen, mit Hilfe des Wartungspersonals Feldschirme zu errichten, um wenigstens für kurze Zeit, bevor sie überlastet wurden, die Strahlung räumlich zu begrenzen.

Selbst auf den Gedanken sind sie nicht gekommen! Das Heulen des Alarms und das rote Warnlicht machten sie fast

verrückt. Sie schwitzte trotz der Temperaturregulierung im Innern der Schutzmontur. Die Zeit rannte ihr davon. Sie konnte nichts mehr tun, bis die Ferraten mit den benötigten Materialien zurück waren.

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Und wenn sie nicht bald kamen, mußte sie von der Hauptzentrale fordern, das Kraftwerk abzuschalten – mit allen verheerenden Konsequenzen für diesen Teil der SOL.

Die Feldschirme vor dem Leck flackerten bereits bedrohlich. »Beeilt euch!« schrie Idilpraheitbha ins Helmmikro. »Verdammt,

Stan, Ceelia, Tanner!« Keiner der Ferraten antwortete. »Hört ihr mich nicht? Stan!« Einer der Schirme fiel aus, dann der zweite. Wieder griff die Panik mit eisigen Klauen nach der Technikerin.

Sie aktivierte den eigenen Körperschutzschirm, als die Belastungsanzeige der Montur die kritische Marke rapide überschritt. Und kaum hatte sie das getan, als sie sich von hinten gepackt fühlte. Nicht mehr Herrin ihrer Sinne, schlug und trat sie aus, doch die Arme, die sie hielten, waren aus Stahl.

Sie vergaß den Reaktor. Sie vergaß die Gefahr für die SOL. Als sie von dem Wartungsroboter hochgehoben und auf die flackernden restlichen Feldschirme zugeschoben wurde, jagte sich eine Gedankenkette, ohne daß sie sich dessen wirklich bewußt wurde, was ihr Gehirn da durchzuckte:

Der Einsatzbefehl! Von wem? Die Ferraten schweigen, doch sie müssen mich hören!

Die anderen fliehen! Nur noch ich und dieser gottverdammte Roboter! Das war kein Unfall! Das war kein Zufall! Die stählernen Gliedmaßen des Robots stießen sie in das

blendende Flackern hinein. Unbewußt nur nahm sie noch wahr, wie er neben ihr in einer Explosion verging.

Dann erlosch ihre Umwelt in einem einzigen grellen Blitz. Idilpraheitbhas letzter Gedanke galt Chart, Chart Deccon, dem Ahlnaten, der sie liebte und den sie liebte.

Wir hatten noch so viel vorgehabt, Chart … Derjenige, dem dieses letzte verzweifelte Aufflackern eines

menschlichen Geistes galt, ahnte nichts von dem Unheil, bis ihn

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Tineidbhas Anruf erreichte. Chart Deccon war ein Ahlnate, ein Bruder der dritten Wertigkeit

in Diensten der SOL-Arbeitsgemeinschaft, SOLAG, und als solcher ehrgeiziger, als für manch anderen seiner Kaste gut war.

Deccon, geboren 3707, war 41 Jahre alt und maß von Kopf bis Fuß stolze 1,94 Meter. Die Haare waren ihm schon frühzeitig ausgefallen. Sein Kahlkopf mit dem massigen Gesicht, den wulstigen Lippen und den unter den Tränensäcken kaum zu sehenden hellgrauen Augen, paßte in das Klischeebild, das sich Menschen früherer Jahrhunderte von einem äußerlich trägen, jedoch von krankhaftem Ehrgeiz besessenen Diktator gemacht hatten.

Den Ehrgeiz besaß er. Was die Macht betraf, so hoffte Deccon, eines Tages die ihm aufgrund seiner Fähigkeiten gebührende Anerkennung zu finden und eine weitere Sprosse in der SOLAG-Hierarchie zu erklimmen. Er ging nicht über Leichen. Er wußte, was in ihm steckte, und wollte um jeden Schritt die Leiter hinauf kämpfen.

Doch nicht so, daß er seine tiefe Beziehung zu Idilpraheitbha dazu ausgenützt hätte. Dazu liebte er das Mädchen zu sehr, das die Schwester der Magnidin war.

Und ebenjene Magnidin sah er nun auf einem der Bildschirme des Kontrollstands abgebildet, von dem aus er die ersten Raumflüge eines Dutzends angehender Pyrriden beobachtete. Die SOL stand fahrtlos am Rand einer unbekannten Galaxis. Ausgebildete Raumfahrer waren mit Kreuzern unterwegs, um von den Planeten einer nahen Sonne dringend benötigte Rohstoffe zu beschaffen.

Allein der Gedanke daran, daß die Pyrriden das Schiff verlassen hatten, machte ihn schaudern. Es war nicht die Angst vor der grenzenlosen Leere jenseits der Hangarschotte, nicht die allen Solanern angeborene Furcht vor dem Betreten eines dachlosen Planeten. Deccon hatte früh gelernt, Notwendigkeiten zu begreifen.

Wovor er Furcht empfand, war die Aussicht auf das Zusammentreffen mit anderen raumfahrenden Völkern. Er erinnerte

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sich noch zu gut an ein Treffen von Terra-Idealisten, in das er mehr zufällig als beabsichtigt geraten war und auf dem verbotene Filme von jener finsteren Zeit gezeigt wurden, als die SOL noch von einem Mann namens Rhodan geführt wurde und zum Spielball fürchterlicher Mächte geworden war.

»Tineidbha?« fragte er überrascht. Es kam nicht oft vor, daß sie Kontakt miteinander hatten. Im Gegenteil schien sich die Magnidin vor ihm zu verschließen wie vor einem Mann, für den sie ihre Schwester zu schade fand.

Ihr Gesicht wirkte wie aus Stein gemeißelt. Der Hintergrund war nicht zu erkennen, so daß Chart nicht wußte, ob sie aus der Zentrale anrief oder von einem anderen Anschluß des Interkomnetzes.

»Ich muß dir etwas sagen, Chart.« Warum tat sie so geheimnisvoll? Er nickte ihr abwartend zu. »Es hat einen Reaktorunfall gegeben, an der Peripherie der SZ-

zwo.« Sie nannte ihm die genauen Koordinaten, und er fragte sich, was ihn das zu interessieren habe.

»Wir mußten einen Rostjäger-Trupp hinschicken«, fuhr sie fort, mit einer Stimme, die es Deccon kalt den Rücken hinablaufen ließ.

»Tineidbha, ich verstehe nicht ganz …« So, wie sie redete, so, wie sie ihn ansah – als ob sie ihm eine

Schreckensnachricht zu überbringen hätte! Er sprang auf, als ihm einfiel, wo Idilpraheitbha sich zur Zeit

aufhielt. Er hatte sich nach Ablauf seiner Schicht dort mit ihr treffen wollen, um danach dem Raumbegräbnis einer befreundeten Ahlnatin beizuwohnen, die von einer Horde verwilderter Solaner hinterrücks ermordet worden war.

Das war ganz in der Nähe des defekten Reaktors! Sag es nicht! Bitte, sag es nicht! Doch unbarmherzig kam es über ihre Lippen. Unbarmherzig

waren die Worte, von denen jedes wie ein Stich in Charts Herz wirkte:

»Ich verspreche dir, Chart, daß ich den Bastard ausfindig machen

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werde, der meine Schwester und deine Frau aufforderte, mit den Rost-Jägern in die verseuchte Zone zu gehen und das Strahlungsleck abzudichten. Ich schwöre dir, er wird dafür bezahlen. Zwei Ferraten konnten sich retten, bevor es zur Explosion kam, bei der so viel Strahlung frei wurde, daß …«

Sie biß sich auf die Lippen und überließ das Weitere seiner Phantasie.

Chart sank in den Kontursitz zurück. Seine Augen starrten ins Leere. Er war mit seinen Gedanken ganz woanders, als er flüsternd fragte:

»Sie ist tot, oder?« Meine Schwester und deine Frau! Deine Frau! Das aus Tineidbhas

Mund, aus dem Mund der so mächtigen und so unnahbaren Magnidin! »Wir haben den Schaden behoben, Chart. Die zurückgekehrten

Ferraten, zwei von zehn, konnten nur noch aussagen, daß sie Idil in einem Überladungsblitz der von ihr aktivierten Feldschirme umkommen sahen. Ich schwöre, ich prüfe das nach! Und sollten sie verrückt vor Angst gewesen sein, sollte es nur eine Spur von Hoffnung geben …«

Deccons Hand stieß vor, als ob sie nicht mehr seinem willentlichen Einfluß gehorchte. Seine Finger drückten den Knopf nieder, der die Verbindung unterbrach.

Was redete Tineidbha da von Hoffnungen! Idilpraheitbha war tot! Was trösteten ihn ihre salbungsvollen Worte! Daß die Magnidin wie er unter dem Schmerz litt, rührte ihn nicht an. Idilpraheitbha tot!

… und deine Frau! Deccon legte den Kopf in die Hände, saß vornübergebeugt, daß

sein Fetthals einen Wulst über der Brust bildete. Er vergoß keine Träne, doch etwas in ihm starb. Chart Deccon wußte, daß ihm der eigentliche Schock noch

bevorstand. Die Nachricht war zu überraschend, zu überfallartig gekommen.

Er mußte jetzt stark sein. Niemand, der in der SOL nicht

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untergehen wollte, durfte sich Blößen geben. Stärke, um zu überleben; Stärke, um weiterzukommen.

Stärke, um Idilpraheitbhas Tod zu rächen, am Schiff, an diesem ganzen elenden Haufen, der sich aus Menschen, Extras, Monstern und Buhrlos zusammensetzte.

Deccon war nach einer Prise Mystos zumute. Er ballte die Hände. Nein! Ein Rausch brachte ihm Idil nicht zurück. Deccon ballte die Hände

und starrte wütend auf die dunklen Schirme. Eine nie gekannte Verbitterung ergriff von ihm Besitz, als vor seinem geistigen Auge Szenen vorbeizogen, in denen er sich mit Idilpraheitbha sah. Wie sie gelacht und geliebt hatten, ausgelassen gewesen waren und unbeschwert.

In ihrer Nähe hatte er das Schiff vergessen können, und nie mehr wieder würde es so sein.

Das Schiff hatte ihm die Geliebte genommen. Chart Deccon erschrak noch vor dem Gedanken, der sich ihm so

vehement aufdrängte. Er würde das Schiff für Idil nehmen! Er würde nie mehr Ruhe finden, bis er dieses Ziel erreicht hatte. Er

schalt sich einen verdammten Narren, als ihm klar wurde, an was er da dachte. Hatte Tineidbha nicht von einer Hoffnung gesprochen? Vielleicht lebte Idil wahrhaftig noch, und er schrieb ihr eine Grabrede!

Als der Interkommelder erneut summte und das Gesicht der Magnidin abermals auf dem Bildschirm war, schaltete Deccon nicht aus. Er sah Tineidbha an und stellte sich vor, ihre Schwester vor sich zu haben. Sie glichen sich wie Zwillinge – wenn auch nur äußerlich. Die Magnidin war hart, Idil eine Träumerin. Doch beide hatten dieses ovale, schöne Gesicht, das lachsrote Haar, das in Locken bis über die Schultern fiel, die großen Augen, aus denen soviel unerfüllte Sehnsucht sprach.

Das war bei Idil so! sagte er sich, als er die ältere Schwester

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anstarrte und sich dessen bewußt wurde, wie er ihr vorkommen mußte. In Tineidbhas dunklen Augen blitzte etwas anderes.

»Chart«, sagte die Schwester der ersten Wertigkeit, »wenn es dir hilft, können wir die Suche gemeinsam verfolgen.«

»Welche Suche denn noch?« »Die beiden Ferraten wurden verhört. Ihre Aussagen

widersprachen sich. Unsere Kommandos fanden kein Stäubchen Asche von …« Sie schlug die Augen nieder und murmelte: »Entschuldige, Chart.«

Sie paßte nicht zu ihr, diese plötzliche Einfühlsamkeit. Deccon hatte eine heftige Entgegnung auf der Zunge. Dann aber

hörte er sich sagen: »Schon in Ordnung, Tineidbha. Wo steckst du jetzt?« Sie sagte es ihm, und er machte sich auf den Weg. Deine Frau! dachte er, als er den Kontrollstand verließ. Idil war seine Frau gewesen, auf eine gewisse Art schon. Jetzt

wünschte er, daß irgendeine banale Eintragung in die Personalkartei der SOL ihr Verhältnis auch formal festgehalten hätte.

Ein Reaktorunfall! Ein absolut überflüssiger Tod! Wenn sie tot war. Chart Deccon verwünschte sich selbst für seine Gefühle, die ihm

unbegreiflich waren. Er glaubte nicht an Wunder. Er betrog sich selbst und wußte es.

Dennoch war er in diesen Augenblicken der Leere entschlossen, alles zu tun, um den Hergang des Unfalls zu rekonstruieren. Er brauchte Gewißheit. Die erste und einzige Liebe seines Lebens starb nicht mit einem Schlag.

*

Zuerst waren da nur graue, konturlose Schleier, dann Stimmen. Irgend jemand sprach aufgeregt zu anderen. Es klang nicht

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menschlich, obwohl die Worte, die das Bewußtsein erreichten, verstanden, doch noch nicht ganz begriffen wurden.

Interkosmo mit einem verfremdenden Akzent, so, wie es von manchen Extras gesprochen wurde, bunt zusammengewürfelten Außersolanischen, die nur durch das gemeinsame Elend und den gemeinsamen Überlebenskampf auf der SOL zu verschworenen Gemeinschaften verschmolzen wurden.

»… konnte sie doch nicht da liegenlassen!« Die Stimme klang erregt – und hell. Unwillkürlich, am Inhalt der Botschaft noch desinteressiert, fragte sich das Bewußtsein, wie der Sprecher aussehen mochte.

»Ich jage jeden von euch aus der Bastion, der Hand an sie legt! Ihr wißt, daß ich es kann! Ja, sie trägt die Uniform der Rostjäger und das Emblem der Ahlnaten. Sie gehört zur SOLAG, aber es waren ihre Leute, die tatenlos herumstanden, als der Roboter sie in die Schirme stieß!« Die Stimme wurde wütend. »Außerdem ist sie wie wir alle ein Kind der Allmutter!«

»SOLAG!« schrie es von irgendwoher. »Sie sind die Feinde des Lebens! Ihre Leute werden sie suchen und jeden von uns umbringen, wenn sie sie bei uns finden!«

»Sie wollten, daß sie stirbt!« Stille trat ein, Stille, in der das Bewußtsein aus dunklen Tiefen an

die Oberfläche tauchte und zu begreifen begann. Sie trägt die Uniform der Rostjäger und das Emblem der Ahlnaten! Idilpraheitbha schlug die Augen auf. Eine Woge von Schmerzen

überflutete sie und ließ sie schreien. Ihre Hand fuhr zum Gesicht und wurde zurückgezogen, bevor sie die Haut erreichte.

Ich lebe! Großer Gott, ich lebe! Der Schmerz im Gesicht tötete den Gedanken. Idilpraheitbha

stand an der Schwelle des Erwachens, und etwas ließ sie wünschen, daß sie nie wieder zu sich kommen würde.

Die grauen Schleier verflüchtigten sich. Sie sah ihre Hand und die braunen Gliedmaßen, die sich wie winzige Schlangen um ihr Gelenk

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gelegt hatten. Ihr Blick wanderte an dem ebenso biegsamen Arm entlang zu den Schultern, zum Kopf eines Wesens, das sich mit nichts vergleichen ließ, was sie jemals gesehen hatte. Der Kopf hatte die Form eines Dreiecks. Ganz unten saß eine Art Mund an einem kurzen Stiel. Darüber befanden sich zwei große Facettenaugen wie bei einer überdimensionierten Fliege.

»Hörst du mich?« fragte der Fremde. Idilpraheitbha zwang sich zum Nicken – und glaubte im nächsten

Moment, etwas müßte ihr den Schädel vom Hals reißen. Dann geschah etwas, das sie nicht verstand. Der gesamte Körper

des Fremden schob sich in ihr Sichtfeld, und er war menschenähnlicher, als sie zunächst geglaubt hatte.

Das Wesen sah sie nur an, doch der Blick ging durch sie hindurch. Der Schmerz im Gesicht und im Nacken ebbte ab und schwand schließlich ganz. Etwas berührte ihren Geist wie eine beruhigende Droge. Der Wust an Eindrücken und Gedanken, der sie eben noch fast an den Rand des Irrsinns gebracht hatte, löste sich auf in einem Gefühl des Friedens, der Unbekümmertheit. Idilpraheitbha schüttelte den letzten Rest ihrer Benommenheit ab und fand sich inmitten zahlloser fremdartiger Geschöpfe wieder, die sie anstarrten.

»Es ist jetzt besser?« Wieder nickte sie, diesmal ohne Schmerz. Alles war plötzlich so

leicht. Aber was war geschehen? Wie kam sie hierher? Wo war sie, und wie konnte sie denn überhaupt noch leben, nachdem …

Idilpraheitbha lag noch auf dem Rücken. Nun richtete sie sich vorsichtig auf. Leichtes Schwindelgefühl machte ihr zu schaffen. Ihr Gegenüber bedeutete ihr, auf dem belaglosen Boden sitzen zu bleiben. Sie fühlte eine Wand im Rücken und lehnte sich dagegen.

»Ich kann den Schmerz zwar für einige Stunden lindern, doch sobald dein Zustand es zuläßt, müssen wir noch einen Eingriff riskieren.«

Sie hörte es kaum und fragte nur abwesend: »Welchen Eingriff?«

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Mit ihren Gedanken war Idilpraheitbha wieder in der Kraftanlage und sah die Rostjäger und die Roboter, diesmal jedoch ohne Gefühl und wie aus weiter Distanz.

»Sie wollten mich umbringen«, flüsterte sie. Weshalb hatte sie dieses taube Gefühl in den Lippen und der Zunge? »Irgend jemand arrangierte das. Es war kein Zufall.«

»Nein«, antwortete der Fremde. »Ich sah es aus nächster Nähe.« »Aber ich sah dich nicht«, wunderte sich die Technikerin. War die leichte Verfärbung der Facettenaugen ins Grünliche

hinein so etwas wie ein Lächeln? »Du hast mich gesehen, aber für einen von euch gehalten, für

einen Solaner, ein Mitglied des Wartungspersonals. Ich hatte mich in die Nähe des Kraftwerks verirrt, als ich unterwegs war, um für meine Freunde und mich etwas zu essen zu organisieren. Als ich dann begriff, daß Strahlung frei wurde und ich keine Chance zur schnellen Flucht mehr hatte, schlüpfte ich in einen der Schutzanzüge der Solaner. Das war zwar unbequem, doch die Monturen sind ja dehnbar. Um nicht als Extra erkannt zu werden, dunkelte ich die Helmsichtscheibe ab. Das rettete mich – und dich.«

Idilpraheitbha schüttelte den Kopf. Ein Stich fuhr ihr das Rückgrat hinab. Sie sah, wie die anderen Wesen sich näher heranschoben.

»Hör mal, äh … wie heißt du?« »Du könntest meinen wahren Namen nicht aussprechen. Nenne

mich einfach Fliege. Das tun alle.« »Schön, Fliege.« Ihre eigene Stimme hörte sich merkwürdig an. Sie

bewegte die Zunge wie ein eingeschlafenes Glied, um wieder ein Gefühl hineinzubekommen. »Ich kann diesen Sturz in das Feld nicht überlebt haben.« Was redete sie da für einen Unsinn! Sie schwieg betreten, und eine grausame Unsicherheit griff nach ihr. Etwas war geschehen, von dem sie nichts wußte. Etwas stand ihr noch bevor.

Sie zitterte plötzlich und fror. »Was habt ihr mit mir gemacht?« »Ich stand dabei, als der Robot dich angriff«, sagte Fliege. »Ich

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konnte es nicht mehr verhindern. Die Feldschirme brachen zusammen, als du hineingeschleudert wurdest. Nur dein IV-Schirm rettete dich. Zu unser beider Glück war auch derjenige meiner Schutzmontur aktiviert. Ich konnte dich aus dem abgesperrten Bereich hinaustragen, als der Reaktor abgeschaltet wurde und wieder Ferraten kamen. Sie sahen uns nicht, und ich denke, das ist gut so. Sie sollen dich nur für tot halten.«

»Sie haben den Reaktor abgeschaltet?« Kurz erinnerte sie sich daran, daß sie selbst mit diesem Gedanken gespielt hatte.

Abgeschaltet, nachdem er seinen Zweck erfüllt hatte. »Wer hat das getan?« flüsterte Idilpraheitbha. »Wem … wem bin

ich denn im Weg?« »Darüber solltest du dir später Gedanken machen«, sagte Fliege.

»Vorläufig bist du bei uns in Sicherheit. Wir haben unsere Zuflucht ›Bastion‹ genannt, und eine kleine Festung ist sie auch. Hier findet uns kein Trupp der SOLAG. Du bleibst bei uns, bis du außer Lebensgefahr bist – und wenn du magst, auch noch länger, bis …«

Fliege sprach nicht zu Ende. Idilpraheitbha sah die Blicke der Extras auf sich gerichtet. Es

waren auch Monster darunter, einige durchaus normale Menschen mit nur dem einen oder anderen körperlichen Fehler.

Sie sahen sie an und schwiegen nun. Sie starrten ihr Gesicht an! Idilpraheitbha schob sich an der Wand hinauf, bis sie halbwegs

fest auf den Beinen stand. Sie wollte vor diesen Blicken fliehen! »Was verheimlicht ihr mir? Fliege, wieso spüre ich mein Gesicht

nicht?« Sie rang nach Luft. »Und warum bin ich noch nicht außer Lebensgefahr?«

Abermals veränderte sich die Farbe der Facettenaugen. Trauer? Mitleid?

Als Fliege dann zu sprechen begann, war Idilpraheitbha wieder ganz ruhig. Der Insektoide tat etwas mit ihr, wirkte die ganze Zeit über auf sie ein.

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»Dein IV-Schirm hat dich vor den Energien gerettet«, sagte der Extra langsam. »Aber als die Feldschirme zusammenbrachen, wurde die zurückgestaute Strahlung schlagartig frei. Deine Montur schützte den Körper, aber …«

»Ich will mein Gesicht sehen!« brach es aus der Technikerin heraus. »Habt ihr einen Spiegel oder ein Stück blankes Metall? Zeigt es mir, jetzt!«

Was immer von Fliege ausging, vermochte die Panik nicht mehr zu dämpfen.

»Genork«, sagte der Extra zu einem der anderen. »Hole den Spiegel.«

Idilpraheitbha sah, wie ein gedrungenes Wesen, gerade einen Meter hoch und mit vier schnellen Beinen, sich aus der Gruppe löste und verschwand. Fast hätte sie es zurückgerufen.

»Du wirst einen Schock bekommen«, warnte Fliege. »Aber du überlebst die Verletzung. Ich habe dich schon so weit gesäubert, wie es mir aufgrund deines Zustands …«

Sie lachte hysterisch. »Was hast du?« »Ich kann in andere Wesen hineinsehen und bestimmte Dinge in

ihrem Körper tun, Frau. Du würdest es als eine besondere Art der Telepathie bezeichnen. Ich habe verhindert, daß es sich weiter in dich hineinfrißt – und das erreicht, was in dir heranwächst.«

Das verwirrte sie vollkommen. Wieder hörte sie sich wie irrsinnig lachen. Ein Traum! Das kann nur ein Traum sein!

Genork kam mit einer polierten Metallplatte zurück. Fliege nahm sie entgegen und zögerte.

»Ich will es sehen«, forderte Idilpraheitbha. »Ich sterbe nicht daran!«

Fliege hielt ihr die Platte vor die Augen. Sie sah einen deformierten Klumpen mit Augen darin und einem

Mund, der sich weit öffnete, als sie schrie. Idilpraheitbha hatte geglaubt, stark genug zu sein. Sie hatte etwas

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geahnt und gedacht, es ertragen zu können. Jetzt brach sie zusammen. Sie schlug nach der Platte, schrie und stürzte vornüber. Fliege fing sie auf und legte sie sanft auf den Boden, ein wimmerndes Bündel Mensch, das die schreckliche Wahrheit erblickt hatte und nun daran zerbrach.

»Warum hast du mich nicht sterben lassen?« weinte sie, als sie endlich wieder Worte fand, als sich die schützenden Mauern des Unterbewußtseins um das grausame Bild türmten. »Verdammte Fliege, warum hast du mich dafür gerettet?«

»Ich wollte es dir schonender beibringen«, hörte sie wie aus weiter Ferne. »Die Narben werden verheilen. Du wirst wieder ein menschliches Antlitz erhalten.«

Ja! dachte sie, von Entsetzen und Ekel vor sich selbst geschüttelt. Eine Fratze! Eine von den Strahlen verbrannte Fratze ohne Haare!

Und Chart! Sie konnte sich ihm nie wieder zeigen! Wofür sollte sie denn dann noch leben!

»Für dein Kind«, sagte Fliege. Idilpraheitbha starrte ihn an. »Allmächtige Allmutter!« entfuhr es dem Extra. »Du hast es nicht

gewußt! Du hast nicht gewußt, daß du schwanger bist!« Sie hörte ihn nicht mehr. Die schützenden Mauern stürzten ein.

Bewußtlosigkeit legte sich gnädig über einen menschlichen Geist, der die Qualen der Hölle erlebt hatte – und wieder erleben würde, sobald er wieder ans grausame Licht einer Welt tauchte, in der für Idilpraheitbha Daraw kein Platz mehr zu sein schien.

2. Fünfundfünfzig Jahre danach

Breckcrown Hayes schob das Logbuch der SOL erschüttert von sich und ließ es aufgeschlagen auf dem Tisch liegen. Er stand auf und stützte sich mit beiden Händen für lange Sekunden über die Lesefolien, auf denen nur wenige Worte noch mit Mühe zu

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entziffern waren. Alles andere war durch eine chemische Behandlung vollkommen unleserlich gemacht worden.

Der High Sideryt war allein in seiner Kabine. Er holte tief Luft und drehte den Kopf. Auf einem zweiten Tisch stand ein Speziallesegerät, in dem eine andere Folie steckte.

Hayes verwünschte sich fast für seine Hartnäckigkeit bei der Suche nach etwas, das ihm Aufschluß über die gelöschten Informationen geben konnte. Vielleicht wäre es für ihn besser gewesen, sich mit dem zufriedenzugeben, was auf den fast leeren Seiten zu lesen war. Hayes hatte die Schrift mit einem Stift nachgezogen. Die entzifferten Worte lauteten in ihrer Reihenfolge:

Breckcrown … Tineidbha … naher Tod … gemeiner Lump … Chart … Schwester … Geheimnis … Gewissen – und noch einmal Geheimnis, diesmal dick unterstrichen.

Hayes wußte wirklich nicht, ob er weiterlesen sollte. Für einen Moment spürte er das Verlangen in sich, das Lesegerät gegen die Wand zu schleudern.

Doch er wußte auch, er würde nie Ruhe finden, solange er nicht die ganze Wahrheit kannte. Wer immer diesen Bericht verfaßt hatte, mußte etwas über ihn gewußt haben. Weshalb sonst war sein Name erwähnt?

Dazu kam die Zeitangabe auf der Folie im Lesegerät und auf der anderen, die noch zu enträtseln war. Eigentlich handelte es sich um zwei Logbuchberichte. Der erste war in aufeinanderfolgenden Episoden während der Jahre 3746 bis 3751 verfaßt worden, wobei deren erster Teil nur auf das Verhältnis zwischen Idilpraheitbha Daraw und Chart Deccon einging. Erst 3749 kam es zu den dramatischen Ereignissen, vor deren Fortsetzung sich der High Sideryt fürchtete, der er aber zugleich mit einem brennenden Verlangen entgegenfieberte.

Hayes wußte nichts Genaues über die Anfänge seines Lebens, doch seine Geburt mußte in diesen hier behandelten Zeitraum fallen.

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Er drängte den Gedanken, der ihm geradezu ins Auge sprang, mit aller Gewalt zurück.

Hayes rieb sich die feuchten Hände an der Kombination ab, ging zu einem Wandfach und holte ein Glas heraus. Er goß es bis fast zum Rand mit einer alkoholischen Flüssigkeit voll und trank in einem Zug aus.

Er fühlte sich nur unwesentlich besser, scheute davor zurück, wieder ans Lesegerät zu gehen. Noch nicht. Die Schilderung des unbekannten Verfassers, dessen Name auf allen Folien gelöscht war, besaß eine solche Eindringlichkeit, daß Hayes das Verlangen spürte, sich der wirklichen Welt zu vergewissern.

Er nahm Verbindung zur Hauptzentrale auf. Wajsto Kölsch blickte ihm vom Bildschirm des Interkoms entgegen und schüttelte den Kopf, als Hayes schwieg.

»Nichts Neues, Breck. Alles bleibt so verdammt ruhig, daß ich mir wünschte, es gäbe einen großen Knall und …« Er winkte ab. »Unsere Leute werden unruhig. Dies ist der fünfte Tag nach dem Verschwinden der PALO BOW und der HORNISSE, und immer noch haben wir kein Lebenszeichen von Atlan und den anderen.«

Hayes nickte. Man schrieb an Bord der SOL inzwischen den neunten Dezember 3804. Hidden-X rührte sich nicht. Atlan war mit seinem gesamten Team durch die von der CHART DECCON aus erzeugte, instabile Öffnung ins Hypervakuum vorgedrungen. Dazu kamen die beiden Bricks und die regulären Kommandanten und Besatzungen der Schiffe. Seither gab es keinen Kontakt mehr, keinen Beweis dafür, daß Atlan überhaupt noch lebte oder irgendeinen Erfolg im Kampf gegen das Flekto-Yn hatte erzielen können.

Die SOL und die CHART DECCON standen am Rand der Zone-X. Die Reparaturen am Hypervakuum-Verzerrer dauerten weiter an.

Da nun der von Hidden-X erzeugte Mentaldruck verschwunden war, drängte der Chailide Akitar darauf, seine Uralten auf ihre Welten zurückzuschicken. Er selbst wollte an Bord bleiben, um seine Helfer im Notfall erneut rufen zu können.

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»Es wäre bestimmt besser«, sagte Kölsch, »wenn du dich bald wieder in der Zentrale sehen lassen würdest, Breck.«

»Ja«, antwortete Hayes. »Bald, Wajsto.« Er schaltete ab und blieb für eine Weile vor dem dunklen Schirm

stehen. Das Warten und die Ungewißheit zehrten an den Nerven der

Besatzung. Hayes ging es nicht anders. Deshalb hatte er ja das Logbuch genommen, einerseits, um die Zeit totzuschlagen, zum anderen, um vielleicht endlich Licht in seine Vergangenheit zu bringen.

Er hatte die Lesefolien mit den gelöschten Eintragungen gefunden. Kannte er den Verfasser nicht, so glaubte er doch zu wissen, wer den Text beseitigt hatte: Chart Deccon, sein Vater.

Hayes lachte trocken. Als er verärgert das Logbuch wieder schließen wollte, hatte er die

anderen Lesefolien entdeckt, die nur wenige Seiten später eingeheftet gewesen waren und offensichtlich von der gleichen Handschrift stammten wie die wenigen erhaltenen Worte.

Hayes hatte eine erneute Enttäuschung erlebt, als er einen relativ banalen Bericht über den desolaten Zustand einer SOL-Farm und die Zunahme von Mystos-Abhängigen zu lesen bekam. Dann aber war ihm aufgefallen, daß die Formulierungen teilweise eigenartig verschnörkelt und gekünstelt waren, als ob der Verfasser (oder die Verfasserin) mit Gewalt Teilsätze konstruiert hätte.

Dann schließlich fand er bei weiterem Nachgrübeln heraus, daß jeder zweite Satz mit Worten begann, deren Anfangsbuchstaben B, R, E, C und K lauteten, immer in dieser Reihenfolge.

B-R-E-C-K. Breck, die Kurzform von Breckcrown! Alle anderen Sätze fingen mit einem I an. Hayes hatte sofort begriffen, daß dies nie und nimmer ein Zufall

sein konnte. Er untersuchte also die Folien mit technischen Mitteln und entdeckte, daß zwei I-Punkte nur ein wenig farbschwächer waren als alle anderen. Er vergrößerte sie mit dem Speziallesegerät

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und fand seinen Verdacht bestätigt: Die Punkte bildeten in fünfhundertfacher Vergrößerung zwei Logbuchberichte von wieder der gleichen geheimnisvollen Handschrift. Wer zu dieser ungewöhnlichen Maßnahme gegriffen hatte, um einen vielleicht identischen Text noch einmal in extremer Miniaturisierung so zu verbergen, mußte zumindest geahnt haben, daß jemand verhindern würde, daß der Originalbericht der Nachwelt zugänglich wurde.

Der zweite Bericht fiel in das Jahr 3788 – Hayes hatte sich nur die Datumsangabe angesehen – und endete mit dem vierten Dezember.

Und das war genau der Tag, an dem Chart Deccon High Sideryt wurde.

Hayes setzte sich vor das Lesegerät. Er ahnte, daß ihm noch einiges an Offenbarungen bevorstand, daß er mehr erfahren würde, als er vielleicht wissen wollte. Er mußte sich einen Ruck geben, um das Gerät einzuschalten und weiterzuforschen. Noch war er im Jahr 3749.

Der Text erschien auf dem kleinen Bildschirm, und abermals schlug die Eindringlichkeit der Schilderung Hayes wie magisch in ihren Bann. Die Worte wurden lebendig, wurden zu lebhaften und düsteren Bildern einer Vergangenheit, in die der High Sideryt versank, als hätte er diese Zeit eben erst miterlebt.

3. Das Kind

Idilpraheitbha bekam ihr Baby am 22. Juni 3749. Die junge Solanerin hatte die Bastion seit dem Tag nicht verlassen,

an dem der »Unfall« ihr Leben zerstörte. Sie war längst von den anderen Bewohnern als eine der Ihren akzeptiert, und eigentlich paßte sie auch mehr zu ihnen als zu den normalen Solanern jenseits der kahlen Wände der vor Jahrzehnten verlassenen Kabinenflucht, die nach einem fehlgeschlagenen Experiment mit einer exotischen Lebensform nach allen Richtungen hin abgeriegelt worden war. Es

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gab nur die von den Bewohnern der Bastion angelegten und gut getarnten Zugänge.

Sie paßte zu ihnen, denn auch sie war zum Monster geworden, legte man die gültigen Maßstäbe auf der SOL zugrunde. Fliege hatte sein Versprechen gehalten. Idilpraheitbha war körperlich gesund und auch über den Schock hinweggekommen. Fliege und die anderen hatten ihr dabei fast aufopferungsvoll geholfen, ihr neuen Mut gegeben, ein Leben weiterzuführen, das jeden Sinn verloren zu haben schien.

Sie wußte, daß sie weder für Chart noch für irgendeinen anderen Mann jemals wieder die attraktive und begehrenswerte Partnerin sein würde, die sie einmal gewesen war. Sie betete dafür, daß Chart sie für tot hielt und eines Tages vergessen würde.

Sie konnte das niemals. Fliege hatte ihr ein halbwegs menschliches Gesicht

zurückgegeben. Wie er seine paranormalen Kräfte in ihrem Zellgewebe arbeiten ließ, konnte sie sich nicht einmal vorstellen. Ihre Nase, das Kinn, die Wangen und Ohren waren zurückgebildet, doch die Haut dunkelrot und von grauen und weißen Streifen durchzogen. Sie bildete eine harte Kruste ohne Gefühlsnerven. Idilpraheitbha spürte ihr Gesicht nicht mehr und kannte keine Mimik. Sie brachte es inzwischen fertig, in einen Spiegel zu schauen, und ganze Tage lang hatte sie vor ihrem Abbild gesessen und sich dazu gezwungen, sich anzusehen, bis sie innerlich abgestumpft war.

Zal-Miko hatte ihr sogar aus den feinen, langen Haaren, die seinen ganzen Kugelkörper bedeckten, mit unglaublich geschickten Fingern eine Perücke geflochten, die ihr schon vorkam wie eigenes Haar. Die schwarzen Strähnen fielen ihr bis fast über die Augen und waren auch sonst so gekämmt, daß sie soviel wie möglich von dem rotverkrusteten Gesicht verbargen.

Sie war ein Monster. Sie war eine von ihnen, doch ihr Kind würde, wie Fliege ihr immer wieder versicherte, nicht entstellt zur Welt kommen. An diese Frucht ihres Leibes, an Charts letztes Geschenk,

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klammerte sie sich. Dafür wollte sie leben, dem Kind eine gute Mutter und Beschützerin sein – wenn auch vielleicht nur aus der Ferne, denn sie wußte noch nicht, ob sie ihm ihren Anblick zumuten oder es nicht besser in dem Glauben aufwachsen lassen sollte, seine Mutter sei bei der Geburt gestorben.

Ein Leben in Einsamkeit, fern von allem, was sie jemals geliebt hatte. Ein Leben für den Jungen oder das Mädchen, das ohne Vater heranwachsen mußte – und für die Rache!

Noch hatten die Freunde nichts über denjenigen herausfinden können, der den Mordversuch arrangierte. Doch nie würde Idilpraheitbha zu forschen aufhören. Sie würde viel Zeit haben, wenn das Kind da war.

Es wurde in einer schmutzigen Kabine geboren, ohne die Sicherheit, die ein Medo-Center bot. Fliege erwies sich als hervorragende Hebamme. Idilpraheitbha lag auf einer mit weißem Tuch bezogenen Matratze und erlebte die Wehen ohne jegliche Betäubung. Manchmal glaubte sie, der Schmerz müßte ihren Leib zerreißen. Sie biß die Zähne zusammen, spürte Flieges Nähe und war unendlich dankbar.

Als sie schweißgebadet und am Ende ihrer Kräfte den ersten Schrei des neuen SOL-Bürgers hörte und Fliege ihr das Kind in die Arme legte, sickerten Tränen unter der Schorfhaut ihrer Lider hervor. Sie sah ihr Baby an und hatte das Verlangen, ihren Triumph in die ganze SOL hinauszuschreien.

Seht her! Seht uns beide alle an! Ihr habt es nicht geschafft, uns zu zerstören! Nichts ist sinnlos! Sieh deinen Sohn an, Chart!

»Danke, Fliege«, flüsterte sie, als sie ruhiger atmete. »Danke für alles.«

Er wechselte verlegen die Farbe der Augen. »Wir haben dir zu danken, Idil, denn auch uns machst du ein

großes Geschenk. Hast du dir schon einen Namen überlegt?« Sie nickte und drückte das Kind sanft an ihre Brust. »Breckcrown«, sagte sie, und nur mit der Stimme konnte sie

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lächeln. »Er soll Breckcrown heißen, nicht Fliege.« Der Extra mußte sich setzen. Nur einmal hatte er ihr seinen

wahren Namen gesagt. Sie hatte ihn nicht über die Zunge gebracht und ein Wort daraus gemacht, das in ihrer Sprache annähernd so klang.

»Bilde dir nur nichts ein, Fliege! Irgendeinen Namen mußte er ja bekommen. Und er heißt Breckcrown, basta!«

Fliege faßte sich. »Er soll hier unter uns aufwachsen?« »Ich weiß es noch nicht, Freund. Ich weiß noch gar nichts, außer

daß ich ihn jetzt habe und daß er gesund und normal ist. Alles andere …«

Alles andere lag hinter einem düsteren Schleier. Fliege holte eine Schüssel mit Wasser, wusch das Kind und

Idilpraheitbha ab und ging dann, um den gespannt wartenden Bewohnern der Bastion die gute Nachricht zu bringen.

Einige der gut zwei Dutzend Wesen bejubelten das Ereignis lautstark. Doch die meisten blieben stumm. Fliege fragte bestürzt nach dem Grund.

Genork trat nervös von einem seiner vier dünnen Beine aufs andere. Der fast so breite wie hohe Körper steckte in einer klobigen Montur aus dem gleichen sandfarbenen Stoff, aus dem Zal-Miko auch für Idilpraheitbha ein knielanges Kleid angefertigt hatte. Genork preßte die Innenflächen seiner sechsfingrigen Tellerhände gegeneinander und warf wie in plötzlichem Trotz den kantigen Kopf mit dem Echsengesicht in den bulligen Nacken.

»Hsdlito ist vor einer halben Stunde von seinem Streifzug zurückgekehrt, Fliege.« Er sah den spindeldürren Solaner kurz an. Hallito mochte nicht älter als zwanzig Jahre sein, und wer in der SOL sich je über die Völker der Milchstraße informiert hatte, würde ihn spontan mit einem Ara vergleichen. Hallitos Haut war bleich und faltig wie die eines Mannes von seinem zehnfachen Alter. Eines der beiden grünen Augen wurde halb von wucherndem Fleisch

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bedeckt. Damit war Hallito ein Monster. Seine körperlichen Mißbildungen jedoch wurden doppelt

aufgewogen durch die Intelligenz und den Mut Hallitos. Er besaß eine perfekte Körpermaske, in der er von einem echten Ahlnaten nicht zu unterscheiden war, wenn er auf Erkundung ging.

Fliege sah ihn mit seinen großen Rundaugen an. »Und?« »Ich glaube, wir wissen jetzt, wer für den Mordanschlag auf Idil

verantwortlich war«, sagte der Dürre mit einer Stimme, die eher zu einem Hünen gepaßt hätte. »Ich fand endlich einen der beiden Ferraten, die sich vor der Strahlung retten konnten.«

Fliege hielt den Atem an. Auf diese beiden hatte sich die ganze Suche konzentriert, nachdem es eine Kurzmitteilung über die Katastrophe gegeben hatte.

»Er mußte mir sagen, von wem sie den Auftrag hatten«, fuhr Hallito fort. Wie zufällig tippte er sich dabei gegen die leichte Thermowaffe, die er als Beutestück stets unter dem Hemd versteckt trug. »Er mußte mich sogar zu der Ahlnatin führen, die ihn und seine Leute instruiert und auch Idil in den Einsatz geschickt hatte. Und sie …«

Hallito holte tief Luft und zögerte. »Was?« fragte Fliege ihn heftig. »Gott mag mir verzeihen, wie ich sie zum Reden bringen mußte.

Eine Magnidin benutzte die Ahlnatin als Mittler. Eine Schwester der ersten Wertigkeit gab den Befehl, daß die Ferraten und die entsprechend programmierten Roboter Idilpraheitbha einen vorgetäuschten Unfall erleiden ließen, bei dem sie eigentlich den Tod finden sollte.«

»Wer?« stieß Fliege bebend hervor. »Idils eigene Schwester. Und sie tat es, weil sie hinter dem Mann

her war, der Idil liebte. Idil war ihr im Weg. Darum sollte sie sterben.«

»Das ist nicht wahr!« entfuhr es Fliege.

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»Verlaß dich drauf, die Ahlnatin konnte am Ende nicht mehr lügen. Der Grund für den Mordversuch war Eifersucht. Und begreifst du jetzt, in welcher Gefahr nicht nur Idil ist, sollte Tineidbha Daraw jemals erfahren, daß sie noch lebt? Und daß sie ein Kind von jenem Ahlnaten hat?«

*

Chart Deccon spürte die Gefahr. Er blieb stehen wie einer, der sich im Labyrinth dieser Bereiche der überbevölkerten SOL hoffnungslos verirrt hatte und nach einem Weg aus dem Chaos aus alten Kabinenfluchten, ehemaligen Produktionsstätten und Lagerhallen suchte. Überall verbarg sich das Ungeziefer, die Halbverhungerten, die Monster, die bewaffneten Banden.

Er hörte sie jetzt kommen. Sie waren hinter ihm in der Halle, hinter ihm auf dem kaum zu passierenden Durchgang zwischen achtlos aufgetürmten Haufen von stinkendem Abfall.

Deccon atmete nicht. Ganz langsam näherte sich seine Hand der Waffe im Gürtel, der das langfallende, hellblaue Gewand in der Mitte des wuchtigen Körpers einschnitt.

»Schlagt ihn tot!« schrie eine heisere Stimme in seinem Rücken. Es war das Zeichen zum Angriff. Ein faustgroßer Gegenstand flog haarscharf an Deccons Kopf vorbei und krachte in einen Stapel von Plastikkisten. »Reißt ihn in Stücke, Brüder!«

Deccon reagierte mit der Schnelligkeit einer Katze. Noch während er sich zur Seite warf, riß er den Strahler heraus und feuerte aus der Drehung. Die vom Haß entstellten Gesichter waren viel näher vor ihm, als er erwartet hatte. Zwei der abgemagerten Gestalten starben, als sie in die grelle Energiebahn liefen. Der dritte Angreifer, der mit einer langen Eisenstange in beiden Händen angerannt kam und dabei schrie wie von tausend Teufeln besessen, wurde vom eigenen Schwung vornübergerissen, als Deccon ihm auswich und den

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Kolben der Waffe ins Genick schlug. Der Schock hielt den Rest der Bande nur für Sekunden auf. Wieder

flogen Steine und Gegenstände. Deccon schoß, doch viel zu schnell teilten sich die Solaner. Mindestens zehn gelang es, sich zwischen, hinter und selbst in die Abfallstapel zu flüchten. Deccon wirbelte herum. Sie kamen jetzt von allen Seiten. Er saß in der Falle. Lauernd bewegte er sich weiter und wußte, wie gut er als Zielscheibe war. Er konnte sich ebenfalls zu verstecken versuchen, doch jede Bewegung, jeder umstürzende Dreckhaufen würde ihn den Gegnern verraten.

Die Halle hatte nur einen Eingang. Bestimmt warteten dort einige der Angreifer.

»Du kommst hier nicht mehr raus, Ahlnate!« rief es. Woher? Die Akustik war dermaßen schlecht, daß es fast unmöglich war, die Richtung genau zu bestimmen. Deccon gab einen Schuß ins Blaue ab.

Ein höhnisches Lachen antwortete ihm. »Verfeuere nur dein Magazin, Ahlnate! Wir haben Zeit! Du kannst

Glück haben und die Hälfte von uns erwischen, aber der Rest kriegt dich!«

Mit ihnen reden! Sie hinhalten! Bis zum Ausgang komme ich nicht mit heiler Haut, aber es muß Interkomanschlüsse geben!

»Hört mich an!« rief er, als er langsam weiterging, über leere Kisten stieg und sich dabei immer wieder um die eigene Achse drehte. »Wir können das friedlich regeln. Was habt ihr davon, mich fertigzumachen, um dann draußen den Vystiden in die Arme zu laufen, die den Krach ganz bestimmt nicht überhören werden oder von irgend jemandem gerufen werden!«

»Hört ihr, wie er jammert? Wie er um sein kostbares Leben winselt?«

Boshaftes Lachen antwortete aus verschiedenen Richtungen. Sie verteilten sich, umschlichen ihn wie hungrige Raubtiere. Sie wollten anscheinend noch ihr Spiel mit ihm treiben.

Natürlich gab es keine Vystiden in der Nähe. Deccon hatte sich

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diesmal zu weit in die Bereiche vorgewagt, wo die Banden mehr Schlupfwinkel kannten als die Ratten auf einem der alten Seeschiffe.

Weitere Solaner, unter ihnen drei oder vier Monster, erschienen im Eingang und verschwanden blitzschnell hinter Deckungen. Es würden noch mehr werden. Deccon begann zu schwitzen. Er war kein Feigling, der vor Angst jetzt die Nerven verlor. Er war Realist und wußte, daß er auf verlorenem Posten stand, wenn es ihm nicht noch gelang, den Spieß umzudrehen.

Wenn es einen Interkomanschluß gab, und zwar einen, der auch noch funktionierte, erreichte er ihn nicht. Er sah die Elendsgestalten wie Schatten an den Wänden entlanghuschen, blitzschnell auftauchen und blitzschnell wieder verschwinden.

Es wurde unheimlich still. Deccon hörte nur seinen eigenen, schweren Atem. Das Blut pochte in den Schläfen.

Der markerschütternde Schrei aus einer nichtmenschlichen Kehle ließ den Ahlnaten abermals herumwirbeln. Er sah gerade noch einen länglichen Schädel über einem Müllberg auftauchen, einen Kopf mit einem armlangen Rüssel, der sich streckte und ihm etwas entgegenspie. Deccon war nicht schnell genug. Die Spucke traf ihn wie ein daumengroßer Ball aus Hartgummi an der Stirn. Er taumelte und hatte für Sekunden Mühe, das Gleichgewicht zu bewahren. Höllischer Schmerz breitete sich von der blutenden Platzwunde aus. Deccon fuhr sich mit der Hand darüber und sah gelbgrünen Schleim zwischen den klobigen Fingern kleben.

Kalter Zorn brandete in ihm auf. Einen Moment lang war er versucht, den Strahler auf breiteste Fächerung einzustellen und diese ganze Halle mit allem, was Generationen von Banditen hier hineingeschafft hatten, in Brand zu setzen. Die Stirnwunde pochte. Deccon bekam ein taubes Gefühl in den Augenbrauen.

Ein Gift! Als der SOLAG-Mann die Bewegung aus den Augenwinkeln

heraus wahrnahm, wußte er, daß er nur noch eine Chance hatte. Er ergriff sie mit der Kaltblütigkeit, die ihm in einer harten Schule zu

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eigen geworden war. Es war wieder der Spucker. Deccon wich dem zweiten Geschoß

intuitiv aus und riß die Waffe hoch. Er schoß absichtlich vorbei. Der tödliche Strahl verfehlte den seinerseits überraschten Extra nur um Zentimeter.

»Und jetzt paßt alle auf!« Er sah einen kleinen, verbeulten Getränkechip vor sich auf dem

Boden, bückte sich, hob ihn auf und warf ihn mit der linken Hand hoch in die Luft. Als die Scheibe gegen die Decke prallte und zurückfiel, schoß er und traf beim erstenmal.

»Glaubt ihr mir nun, daß ich an eurem Freund vorbeigezielt habe? Ihr könnt mich töten, ihr würdet es sogar mit Sicherheit schaffen. Derjenige soll es tun, der seinen Angehörigen oder Freunden danach sagen kann, was es ihm eingebracht hat. Wollt ihr lieber Nahrung, Stoffe für Kleider oder Gebrauchsgegenstände haben, dann laßt uns reden. Ich kann bessere Quartiere für euch räumen lassen!«

»Halt dein Maul, Ahlnate!« Deccon sah die nach ihm geschleuderte Eisenstange und

zerstrahlte sie in zwei Stücke, bevor sie die Hälfte des Weges zurückgelegt hatte.

Unbeirrt fuhr er fort: »Ich sage euch noch etwas. Ich bin nicht hier, weil ich mich nach

euch sehnte. Ich bin nicht euer Freund und werde es nie sein, doch wir können Partner werden. Ich bin auf der Suche nach jemand und nicht kleinlich, wenn ihr mir dabei helft! Überlegt euch das. Überlegt euch gut, ob euch der Tod eines Ahlnaten mehr nützt als ein besseres Leben.«

Er hielt den Atem an. Umstürzende Kistenstapel verrieten ihm, daß sich die Banditen sammelten und die Köpfe zusammensteckten.

Und je länger das Schweigen andauerte, desto mehr begann er zu hoffen, daß sich jetzt kein SOLAG-Trupp hierher verirrte. Wenn er die nächsten Minuten lebend überstand, hatte er vielleicht mehr

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gewonnen, als er erwarten konnte. »Wenn du es ehrlich meinst, Ahlnate«, rief eine Stimme, »wenn du

uns nicht überrumpeln willst, dann wirf deine Waffe weg!« Das Magazin lag bereits in der geschlossenen linken Hand. Deccon

lächelte dünn, als er den Strahler in die Richtung schleuderte, aus der die Aufforderung erklungen war. Er spreizte die Arme von seinem Körper ab.

Die ganze Stirn brannte. Er mußte in medizinische Behandlung! Plötzlich sprang eine halbwegs menschliche Gestalt hinter einem

umgekippten Tisch hervor und kam federnd zwei Meter vor ihm auf. Mit beiden Händen umklammerte das Monster Deccons Strahler und zielte auf seinen Kopf.

Diese Sekunden entschieden. Deccon hielt dem brennenden Blick des Ferratennachkommen stand. Von den Seiten kamen die anderen heran, schoben sich drohend näher, stießen Beschimpfungen aus und warteten auf ein Zeichen des Monsters.

»Wen suchst du?« fragte dieses endlich. »Einen von uns?« »Eine Frau. Eine Frau, die …« Deccon verstummte. Eine der normalen Solanerinnen, die zu der Bande gehörten, hatte

sich hinter das Monster gedrängt, ein altes, schmutziges Weib, dem das, was es am Körper trug, unförmig herabhing.

Deccon überlief es heiß und kalt, und er mußte sich mit Gewalt zusammenreißen, um jetzt ruhig zu bleiben. Er zeigte auf die Alte und sagte mit bebender Stimme:

»Ich bin auf der Suche nach der Frau, der diese Uniform dort gehört!«

Es gab sie nur einmal auf der ganzen SOL, die blaue Ferraten-Kombination mit dem bronzefarbenen Atomsymbol auf der linken Brustseite.

*

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Der Anruf erreichte Tineidbha Daraw mitten in einer Besprechung der Magniden unter Teilnahme des High Sideryt. Amalmann II zog eine Braue in die Höhe, sagte aber nichts, als sie sich erhob und zum Interkom ging. Palo Bow, mit seinen 36 Jahren sehr früh in den Kreis der Brüder und Schwestern der ersten Wertigkeit aufgestiegen, zuckte nur die Schultern und entfernte sich, als sie ihm mit einem Blick zu verstehen gab, daß sie keine Zuhörer brauchte. Bow hatte auf das Summen des Melders reagiert und sie gerufen. Er hielt sich demonstrativ von der Diskussionsrunde fern, in der seiner Meinung nach nichts als Unsinn geredet wurde. Natürlich ging es wieder um den Kurs der SOL, und die vorgetragenen Argumente hatten weniger mit sinnvollen Zielen zu tun als damit, welchem Magniden eine Spiralgalaxis besser gefiel als eine kugelförmige.

Tineidbha sah in Chart Deccons Gesicht und erschrak. Der Ärger darüber, daß er sie jetzt störte, verflog augenblicklich, als sie seine angeschwollene Stirn sah, über der ein hauchdünner Medofilm glänzte.

»Bei allen Planeten, Chart!« flüsterte sie. »Was ist los mit dir?« »Das ist unwichtig«, entgegnete er leise. Er blickte kurz an ihr

vorbei, wie um sich davon zu überzeugen, daß niemand zu neugierig war. »Tineidbha, ich habe endlich eine Spur deiner Schwester gefunden. Ich lasse sie weiterverfolgen, und vielleicht wissen wir heute abend schon, ob sie noch lebt.«

Sie brauchte einige Sekunden, um das zu verdauen. »Chart, wir haben so oft darüber gesprochen, und es ist völlig

unmöglich!« »Ich weiß jetzt mit hundertprozentiger Sicherheit, daß sie den

Strahlenunfall überlebte, Tineidbha! Sie konnte sich retten, frag mich nicht, wie. Was dann mit ihr geschah und warum sie sich nicht bei uns meldete …« Er zog die Brauen zusammen. »Begreifst du nicht, was ich dir sage?«

»D.. doch!« stammelte sie schnell. »Chart, wir unterhalten uns

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nachher darüber. Ich komme in deine Kabine. Das ist zuviel auf einmal, und außerdem …« Sie machte eine Geste in Richtung der Runde.

Chart nickte nur und schaltete sich aus. Tineidbha blieb vor dem verblassenden Schirm stehen, darum

bemüht, Ordnung in ihre Gedanken zu bringen. Amalmann II rief nach ihr. Sie sah, wie er eine einladende

Handbewegung machte. Die anderen Magniden waren verstummt und blickten sie neugierig an.

Nicht nur neugierig! Jeder von ihnen ist ein Raubtier! Nurmer, du alter Glatzkopf und Schürzenjäger! Glaubst du, ich kenne deine Gedanken nicht? Ihr wißt alle, daß Amalmann hinter mir her ist, und habt furchtbare Angst, er könnte nicht einen von euch, sondern mich eines Tages zu seinem Nachfolger als High Sideryt bestimmen!

Dabei war ihr der mächtige Mann zuwider. Sie ließ ihn bei seinen Annäherungsversuchen auf Granit beißen. Für sie gab es auf der ganzen SOL nur einen Mann, den sie haben wollte.

Sie fuhr sich mit einer Hand über die Stirn und sagte: »Tut mir leid, aber ich fühle mich nicht gut. Entschuldigt bitte.« »Wir können eine Pause machen«, erwiderte Amalmann II. Tineidbha ging schon auf den Ausgang zu und winkte dankend

ab. »Macht euch keine Umstände«, versetzte sie sarkastisch. »Der

Kurs des Schiffes ist wichtiger. Ich bin zurück, sobald es mir bessergeht.«

Der Kurs ist wichtiger als die Säuberung der SOL von dem Pack, das sich auf immer mehr Decks einnistet! dachte sie, als sie draußen auf dem leeren Gang war. Bei wem sonst sollte sich Idilpraheitbha verborgen gehalten haben, falls Chart recht behielt.

Sie mußte sie vor ihm finden! Tineidbha verschloß die Kabinentür hinter sich und warf sich auf

ihre Konturliege. Das Material paßte sich sofort ihrer Körperform an. Ein Druck auf eine Taste in der Wand, und ein Metallarm stieß

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aus einer Öffnung hervor und hielt ein gefülltes Glas. Tineidbha griff danach und nippte daran.

Der scharfe Alkohol mit einem winzigen Mystos-Zusatz brannte auf der Zunge. Aber er tat ihr gut. Sie lag völlig ruhig und überlegte sich, was zu tun war.

Es war alles so perfekt eingefädelt gewesen, die Sabotage an dem Reaktor durch einen ihr hörigen Ferraten, als Idilpraheitbha sich in der Nähe aufhielt und keinen Verdacht schöpfen konnte, daß ausgerechnet sie mit der Führung des Rostjäger-Trupps beauftragt wurde. Dann das »Nachhelfen«, bei dem es eigentlich keine überlebenden Zeugen hätte geben sollen.

Dies war der Punkt gewesen, der Tineidbha zahlreiche schlaflose Nächte bereitet hatte: die beiden Ferraten, die sich durch einen verdammten Zufall doch hatten retten können. Damals waren Tineidbha die Hände gebunden gewesen. Sie hatte das Beste aus der Sache gemacht und die Rost-Jäger mystosabhängig werden lassen. Sie waren damit auf sie angewiesen und fest in ihrer Hand, noch heute.

Sie hatten das ausgesagt, was sie ihnen eingeschärft hatte. Chart war von seiner Idee besessen, daß Idilpraheitbha noch leben

könnte. Die Magnidin lachte trocken, als sie sich wieder einmal klarmachen mußte, daß sie sich das selbst zuzuschreiben hatte. Wäre sie nicht so dumm gewesen, Chart trösten zu wollen …

Doch auch das hatte zum Spiel gehört. Chart würde nun alle Hebel in Bewegung setzen. Das bedeutete,

daß die Ferraten verschwinden mußten, bevor er auf die Idee kam, sie auszuhorchen. Er hatte dies bereits getan, doch nun würde er es mit allen Mitteln versuchen.

Manchmal erschrak sie vor seiner kalten Entschlossenheit. Dann wieder faszinierte sie gerade das an ihm.

Er war von allen Männern auf diesem Schiff der einzige, der ihr imponieren konnte.

Sie würde ihn erst dann besitzen, wenn er den letzten Beweis für

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Idilpraheitbhas Tod hatte – und wenn sie damals durch ein Wunder überlebte, so mußte sie nun sterben!

Tineidbha sah eine Möglichkeit, zwei Notwendigkeiten miteinander zu verbinden.

Sie stand auf und rief die beiden Rostjäger zu sich. Danach schaltete sie eine Verbindung zu Derrilgoa, jener Ahlnatin, die Idil den Befehl übermittelt hatte und also auch ein Mitwisser war – der letzte. Derrilgoa wurde ebenfalls bestellt. Schließlich und endlich nahm Tineidbha Kontakt zu einem Vystiden namens Rogad auf, der dann und wann das Nachtlager mit ihr teilen durfte, wenn das noch unerfüllte Verlangen nach Chart in ihr brannte und sie ein Ventil brauchte. Rogad war für sie nichts mehr als ein zwar talentierter, aber uninteressanter Gespiele. Aber er würde für sie sein Leben geben – und das der zwanzig Haematen, die er befehligte.

»Rogad«, sagte sie, »es ist lange her, daß wir zuletzt zusammengewesen sind.«

»Sehr lange, Tin.« Er fügte nichts hinzu, doch das Aufflackern von Hoffnung in

seinen Augen sagte genug. »Komm heute nacht zu mir. Doch halte dich für einen Auftrag

bereit. Es kann sein, daß ich dich und deine Männer noch am Abend brauche, sonst morgen oder in den nächsten Tagen.«

Sie wartete die Antwort nicht ab. Der Türsummer verkündete das Erscheinen der Ferraten. Sie kamen nicht zum erstenmal hierher. Die Wachen, die den Bezirk um die Hauptzentrale und die Unterkünfte der Magniden abzusperren hatten, kannten sie und ließen sie passieren. Die Besuche waren ein weiteres Alibi. Selbst Chart glaubte, daß Tineidbha in ihrer Trauer immer wieder hören wollte, wie es zum Tod ihrer Schwester hatte kommen können.

Die Magnidin öffnete. Mork und Fester traten ein, hinter ihnen die Ahlnatin. Tineidbha verriegelte die Tür wieder mit dem Impulsgeber.

»Um es kurz zu machen«, sagte sie, »es gibt Anzeichen dafür, daß

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meine Schwester noch lebt. Chart Deccon glaubt anscheinend, daß er sie finden kann, vielleicht sogar noch heute. Das muß verhindert werden. Ich werde jetzt zu ihm gehen, und er sagt mir, was er weiß oder vermutet. Sobald wir einen konkreten Hinweis auf Idilpraheitbhas mögliches Versteck haben, bekommt ihr Bescheid. Ihr werdet sie aufspüren und töten. Es darf diesmal keine Zeugen geben. Ist das verstanden?«

Alle drei nickten. Sie nickten zu heftig. Vor allem Mork schien nicht besonders

überrascht zu sein. Die Ahlnatin wich Tineidbhas Blick aus. Erst jetzt bemerkte die Magnidin, daß ihr Gesicht grüne und blaue Stellen aufwies und daß sie humpelte, als sie sich zum Gehen wandte.

»Derrilgoa!« rief Tineidbha sie zurück. »Zwischen zwei Kerle geraten?«

»Sag es ihr«, flüsterte Mork. »Es hat doch keinen Sinn, es zu verschweigen.«

Er hatte Angst, unbeschreibliche Angst! »Derrilgoa?« fragte Tineidbha scharf. Die Ahlnatin stand mit dem Rücken zu ihr. Tineidbha erahnte ihre

Bewegung, sprang auf und versuchte, ihr in den Arm zu fallen. Sie kam zu spät. Derrilgoa setzte sich den winzigen Nadler an den Kopf und

drückte ab. Sie starb mit einem dünnen Schrei. »Was hat das zu bedeuten?« fuhr Tineidbha die Ferraten an.

»Mork!« Sie zog blitzschnell die eigene Waffe unter dem Umhang hervor

und richtete sie auf den Rostjäger. Der fiel vor ihr auf die Knie und winselte: »Verzeih mir, Herrin! Er … er tat furchtbare Sachen mit mir! Ich

mußte die Wahrheit sagen. Ich … wollte dich auch sofort benachrichtigen, aber … das Mystos! Ich hatte solche Angst, kein Mystos mehr zu bekommen! Herrin, du gibst mir doch …!«

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»Wer ist er?« herrschte Tineidbha ihn an. »Verdammt, jammere nicht, sondern rede!«

»Der Dürre! Das Monster! Er war plötzlich da und fragte nach dem Hergang des … des Unglücks.«

»Und du hast …!« »Ich habe nur gesagt, daß Derrilgoa uns schickte und auch deine

Schwester, Herrin. Sie hat dich verraten! Nicht ich!« Mork umklammerte Tineidbhas Fußgelenke und heulte wie ein Kind. »Verzeih mir, aber du weißt ja nicht, welche grausamen Tricks der Dürre kannte. Und, Herrin, du gibst mir doch wieder Mystos?« Morks Pupillen waren unnormal vergrößert, seine Wangen eingefallen, das ganze Gesicht ein Dokument des Elends, das die Droge über diejenigen brachte, die ihr einmal verfallen waren. »Mystos! Sonst töte mich gleich!«

Tineidbha befreite sich mit zwei Tritten von ihm. Sie bebte innerlich. Ihr Atem ging stoßweise. Um die Mundwinkel des schönen Gesichts zuckte es.

Sie schoß nicht. Sie sah Derrilgoa tot am Boden und Fester zittern. »Ihr bekommt euer Mystos«, sagte sie kalt. »Ihr kriegt mehr

Mystos, als ihr in einem Monat verbrauchen könnt, wenn ihr gute Arbeit geleistet habt.«

Mork sprang auf. Es fehlte nicht viel, und er hätte ihre Hände geküßt.

»Das werden wir! Bei allen Planeten, deine Schwester ist praktisch schon tot. Wo, Herrin? Wo finden wir sie?«

»Ich hoffe, ich kann es euch heute abend sagen. Jetzt geht. Und nehmt Derrilgoas Leichnam mit. Falls jemand euch fragt, dann sagt ihm, sie hätte mich angegriffen und ihr hättet mir das Leben gerettet.«

»Ja!« schrie Mork. »Ja!« Als Tineidbha wieder allein war, nahm sie ein altes Gefäß von

einem Regal und schleuderte es gegen die Wand, daß es in hundert Scherben zersplitterte.

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Sie hätte Mork nach dem Monster fragen können. Aber was hätte es gebracht in einem Schiff, in dem nicht einmal alle Menschen registriert waren?

Tatsache war, daß es außer Chart noch jemanden gab, der ein lebhaftes Interesse an ihrer Schwester zu haben schien.

Tineidbha konnte davon ausgehen, daß Idilpraheitbha, lebte sie tatsächlich, jetzt über die Hintergründe des Strahlenunfalls Bescheid wußte.

Sie sollte sich nicht lange an diesem Wissen erfreuen. Tineidbha nahm noch einmal Kontakt zu Rogad auf und stellte

sicher, daß es diesmal keine Panne geben würde. Dann ging sie zu Chart.

* Illu

Deccon erwartete sie ungeduldig. Sie spielte mit Bravour ihre Rolle als liebende Schwester, als er ihr ausführlich berichtete. Sie hörte sich das alles an, seine ungewöhnliche Kontaktaufnahme mit den Banditen, und wurde erst hellhörig, als er sagte:

»Ich erwarte jetzt ihren Anruf, Tin. Diese Alte schwatzte die Uniform einem Mitglied einer ebenfalls aus Solanern, Extras und Monstern zusammengesetzten Gruppe ab – was weiß ich, was sie dafür geben mußte. Prentiss, der Anführer der Bastarde, kennt diese andere Gruppe. Er sagt, sie hausen in einer Art Festung, die sie als ihre Bastion bezeichnen. Er und seine Leute versuchen in diesen Augenblicken, einen der getarnten Zugänge zu der Bastion zu finden. Und wenn das geschehen ist, bekomme ich von ihm Bescheid.«

Tineidbha legte die Stirn in Falten. Sie sah Chart lange an, bevor sie fragte:

»Du hast ihnen vieles versprochen, was du natürlich nicht halten

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wirst. Wie kannst du sicher sein, daß sie dich nicht hinters Licht führen?«

»Erstens«, erwiderte er bissig, »werde ich mein Versprechen halten, falls sie mich wirklich zu Idil bringen. Und zweitens haben sie darauf verzichtet, einen verhaßten Ahlnaten zu töten. Dann werden sie auch tun, was ich verlange.«

Er liebt sie noch immer! durchfuhr es sie. Nach einem halben Jahr! »Tin, ich habe nicht den Eindruck, daß du dich freust!« »Ich sagte dir schon, es kommt zu plötzlich und zu unerwartet.

Rede keinen Unsinn, Chart! Ich habe nur Angst vor einer neuen Enttäuschung, nach allem, was wir damals unternahmen, um Klarheit über Idils Schicksal zu erlangen.«

Er biß sich auf die wulstigen Lippen. Im nächsten Moment hielt er sie in den Armen und drückte sie an sich. Sie verlor für Sekunden die Kontrolle über sich und erwiderte den Druck.

Sie verfluchte sich, verfluchte ihn und Idilpraheitbha. Er hielt sie fest wie eine Verwandte, nicht wie eine Frau. Er

brauchte nur jemanden, an den er sich jetzt anlehnen konnte. Das wird anders werden! schwor sie sich. Sie hatte lange genug

warten müssen. Immer nur Unsicherheit, immer nur Angst, sich durch ein unbedachtes Wort, ein zu deutlich gezeigtes Gefühl selbst zu verraten.

Sie war bereit, als der Interkommelder summte. Chart hieb auf die Taste. Das Gesicht eines Mißgestalten erschien auf dem Schirm.

Tineidbha spitzte die Ohren. Sie brauchte sich nicht zu verstellen, als sie neben Chart stand und jedem weiteren Wort des Fremden entgegenfieberte.

Prentiss nannte die Position des gefundenen Zugangs zur Bastion. Tineidbha mußte sich mit Gewalt zurückhalten, nicht sofort aus

der Kabine zu stürzen. Sie wartete, bis Chart die Verbindung unterbrach und sich zu ihr umdrehte.

»Ich gehe allein«, verkündete er und winkte energisch ab, als die Magnidin zum Schein protestierte. »Allein. Das ist meine Sache,

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Tin.« Sie lieferte ein schwaches, doch überzeugendes Rückzugsgefecht.

Chart blieb unerbittlich, und sie dachte: Er ist ein Einzelgänger. Eines Tages kann ich der neue High Sideryt sein. Er weiß das. Wenn er mich schon nicht um meinetwillen lieben will, dann aber um seines großen Zieles willen. Ich kann ihn zum Magniden machen, wenn es erst soweit ist!

Vielleicht mußte er erst zu seinem Glück gezwungen werden. Tineidbha beschwor ihn, sie sofort zu benachrichtigen, sollte seine

Suche Erfolg haben. Er bewaffnete sich. Sie bot ihm ihre Robot-Leibwache an. Nein, er wollte dies allein durchstehen.

Tineidbha küßte ihn zum Abschied, wie eine Mutter ihren Sohn küßte, bevor er sich in ein Abenteuer mit ungewissem Ausgang stürzte. Dabei wußte sie, daß er die Bastion gar nicht erst erreichen würde.

Zurück in ihrer Kabine, rief sie Rogad an. »Es ist soweit. Du wirst mit deinen Haematen das Banditennest

ausheben. Du nimmst nur die Hälfte von ihnen mit. Die zehn anderen werden in den Korridoren, die zum Zugang führen, eine Monsterjagd inszenieren. Es muß sehr schnell gehen. In spätestens einer Viertelstunde wird Deccon dort auftauchen. Sie sollen ihn paralysieren, aber so, daß es nach einem Fehlschuß an einem Monster vorbei aussieht.« Alles andere war bis auf eine Kleinigkeit bereits besprochen, konnte aber nicht oft genug wiederholt werden. »Ihr findet und tötet Idilpraheitbha. Du stehst mir dafür gerade, Rogad.«

»Ich verstehe«, sagte der Vystide. Sie bezweifelte es, doch das spielte keine Rolle mehr. »Tötet und beseitigt sie. Das gleiche gilt für ihre Freunde und zwei

Ferraten, die auch dort sein werden.« Sie sah Rogad durchdringend an. »Und für deine Haematen.«

Er schluckte. »Ich werde dich dafür belohnen, Rogad. Und noch etwas. Einer

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der Ferraten wird einen Ring in seiner Tasche haben. Stecke ihn der Toten an den Finger, und dann sieh zu, daß du dich so schnell wie möglich aus dem Staub machst!«

»Du verlangst viel von mir, Tin.« »Und ich werde dir genausoviel dafür geben!« Sie schaltete ab. Zwei Minuten später waren Mork und Fester bei ihr. Sie

instruierte sie und schob Mork unauffällig Idilpraheitbhas Ring in die Uniformtasche.

Tineidbha hatte alles ganz genau ausgerechnet. Chart würde in nun etwa zehn Minuten den Gang betreten, der zur Bastion führte. Rogad mit seinen Leuten war vor ihm da.

Sie mußten die Gleitbänder benutzen oder zu Fuß laufen, günstigstenfalls fanden sie Fahrzeuge.

Mork und Fester wurden von einer Transmitterstation in unmittelbarer Nähe der Hauptzentrale abgestrahlt und materialisierten vielleicht in diesem Augenblick schon in der Gegenanlage, von der aus sie höchstenfalls drei Minuten bis zur Bastion benötigten.

Ein halbes Jahr hast du mir geraubt, Idilpraheitbha, ein halbes Jahr mit Chart! Heute ist Schluß damit!

*

Idilpraheitbha ahnte noch nichts von dem Unheil, das sich über ihrem und dem Haupt ihres Kindes zusammenbraute. Der kleine Breckcrown war nun zwei Tage alt, und Flieges Beteuerungen schienen sich zu bewahrheiten. Nichts deutete darauf hin, daß das Kind im embryonalen Stadium einen Schaden durch die Strahlung davongetragen hätte, der seine Mutter ausgesetzt gewesen war. Es war wie jeder andere Säugling, soweit Idilpraheitbha dies überhaupt beurteilen konnte. Sie fühlte, daß Breckcrown gesund

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heranwachsen würde, und war glücklich, zum erstenmal seit sechs Monaten wieder glücklich.

Fliege sagte ihr nichts von dem, was Hallito herausgefunden hatte. Später vielleicht einmal. Jetzt brauchte sie Ruhe. Sie bewohnte eine eigene Kabine, der andere vorgelagert waren. Ununterbrochen wurde sie von Leuten bewacht, die das so unauffällig machten, daß sie keinen Verdacht schöpfte.

Zwei Wachen standen vor ihrer Tür, zwei Wachen jeweils vor einem der drei Zugänge zur Bastion. Fliege brauchte nicht viel Schlaf. Fast rund um die Uhr machte er seine Streifengänge und überzeugte sich davon, daß draußen alles ruhig blieb.

Es war in den frühen Abendstunden dieses 24. Juni 3749, als er Mose und Cornelius nicht auf ihrem Posten fand. Fliege rief nach ihnen und bekam keine Antwort.

Etwas in ihm schlug Alarm. Etwas sagte ihm, daß er unverzüglich die anderen herbeirufen sollte.

Es war schon zu spät. Er sah die reglosen Körper der Wachen am Ende des Rohres, das

den Zugang bildete. Die Metallklappe, die in dem draußen vorbeiführenden Gang jedem Uneingeweihten als nur ein Teil eines Netzwerkes aus Röhren, Rillen und Paneelen erscheinen mußte, wurde von außen angehoben. Zwei Hände hielten sie. An dem, dem sie gehörten, vorbei warf sich ein Mann in der Uniform der Rostjäger in das Rohr, landete auf dem Bauch und ließ Fliege keine Chance zur Flucht, nicht einmal zum Schreien.

Der Paralysestrahl fauchte und erfaßte den Extra. Flieges Beine knickten ein. Sein Körper wurde taub. Der Länge nach schlug er hin, bewegungsunfähig, aber er konnte sehen, hören und denken.

Wer hat uns verraten? schrie es in ihm. Mork winkte Fester und stieg über den Insektoiden hinweg. Fester

kroch in das Rohr und ließ hinter sich die Klappe zufallen. Als er zu Mork aufschloß, stand der schon breitbeinig vor einer geschlossenen Tür, hinter der der Korridor der Kabinenflucht lag.

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»Den Kombistrahler umschalten!« zischte Fester. »Wir sollen sie nicht lähmen, sondern keinen von ihnen am Leben lassen!«

Mork verfluchte sich für seine Nachlässigkeit. Eine zweite konnte den Tod bedeuten. Nicht sicher, wie es hinter der Wandklappe aussah, hatte er erst einmal einige Lähmschüsse durch das Metall gejagt, um sich und Fester unangenehme Überraschungen zu ersparen – wie sich herausstellte, vollkommen berechtigt.

Mork drehte sich um und wollte das Versäumte schnell nachholen. Im gleichen Augenblick aber, als er die nun auf Impulsstrahl eingestellte Waffe auf die drei reglosen Bastionsbewohner richtete, flog vor ihm eine Tür auf. Drei heruntergekommen aussehende Solaner standen im Rahmen und erstarrten vor Schreck.

Mork schoß ohne Skrupel. Fester und er stürmten über die Getöteten hinweg in den Gang.

Tür um Tür wurde aufgestoßen, wenn sie sich nicht von selbst öffnete und alarmierte Extras oder Monster in Panik zu entkommen versuchten. Die Schüsse fauchten weiter. Die Strahlbahnen fuhren in alles, was sich bewegte.

»Wir brauchen einen von ihnen lebend!« rief Fester. »Wir brauchen einen, der uns sagt, wo sie Idilpraheitbha verstecken!«

Fliege lag hilflos im Zugang und erlebte den Zusammenbruch seiner Welt, hörte die Schreie der Freunde und das schreckliche Fauchen der Schüsse.

Er brauchte einige Zeit, bis er wieder einen klaren Gedanken fassen konnte, bis das Chaos aus Zorn, Schmerz und Fassungslosigkeit der wilden Entschlossenheit wich, den Willen der Allmutter zu erfüllen. Nur sie, die alles erschuf und alles bewachte, konnte das Wunder bewirkt haben, daß er und die beiden Wachen nur gelähmt worden waren und noch lebten.

Es konnte nicht ohne Sinn geschehen sein. Die Bastion war groß. Die Mörder befanden sich erst noch im Außenkorridor. Selbst falls sie wußten, wo sie nach Idilpraheitbha zu suchen hatten, würden sie noch Minuten brauchen.

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Hallito und Laro hielten vor der Kabine Wache. Sie mußten die Schreie und Schüsse wie er hören, doch sie durften jetzt unter gar keinen Umständen ihren Posten verlassen!

Es gab noch einen Fluchtweg, den nur Fliege kannte. Er selbst hatte ihn angelegt – nicht aus egoistischen Gründen, sondern weil er diesen Tag dunkel vorhergesehen hatte. Ein Zugang war verraten worden, wahrscheinlich also die anderen auch. Dann warteten dort möglicherweise die Häscher von der SOLAG!

Den letzten Fluchtweg konnte niemand verraten haben. Fliege war kein Telepath im herkömmlichen Sinn. Er konnte keine

Gedanken anderer Wesen erfassen und für sich lesbar machen. Er konnte nur seine Sinne in die Körper anderer schicken und dort Zellschwingungen, gewisse Veränderungen im Metabolismus und andere Abläufe »sehen« und beeinflussen.

Wie kann ich Hallito warnen? Die Schüsse hörten auf. Fliege wußte nicht, was das zu bedeuten

hatte, aber ganz sicher nichts Gutes. Es gab nur eine Chance. Fliege ließ seine von der Paralyse unbeeinflußten Psi-Sinne tasten

und fand das Monster. Er schickte die unsichtbaren Ströme in Hallitos Gehirn und hoffte, jetzt keinen Fehler zu machen. Er mußte alles riskieren, auch daß Hallito durch einen falschen Eingriff starb oder den Verstand verlor.

Idilpraheitbhas Kind war ihm wie der eigene Sohn, sie wie eine geliebte Gefährtin. Sie mußten leben!

Fliege hörte das Fauchen der Schüsse, als es wieder einsetzte, nur undeutlich, aber es entfernte sich! Die Mörder stießen weiter vor!

Er gab alles. Er verausgabte sich bis zur völligen geistigen Erschöpfung, und als er fertig war, wußte er nicht einmal, ob es gereicht hatte.

Hinter ihm wurde die Klappe erneut hochgerissen. Ein Vystide und zehn Haematen stiegen über Flieges starren Körper hinweg und rannten den Ferraten nach. Fliege begriff nichts mehr. Er wußte nur

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eines: Indem sie ihn nur lähmten, hatten die Rost-Jäger ihm das Leben

gerettet. Und hundertmal gäbe er es für Idil und den kleinen Breckcrown

her! Durch sie hatte er Zuneigung gefunden, Liebe und Verständnis in diesem Tollhaus von Raumschiff.

Vielleicht, dachte Fliege, vielleicht gibt es eine wirkliche Liebe nur unter uns, den Parias, den Verstoßenen und Verachteten.

Idilpraheitbha hörte die Schreie und ahnte, was geschah. Sie sprang auf, nahm das Kind, wickelte es in Tücher und Decken und drückte es an ihre Brust. Noch war sie schwach auf den Beinen, und die schreckliche Angst tat ein übriges. Sie kam nicht bis zur Tür der Kabine, brach einen Meter davor zusammen und schützte das Kind mit dem Körper.

Laßt es nicht zu! flehte sie in Gedanken, keiner Worte fähig. Fliege, laß nicht zu, daß Breckcrown etwas geschieht!

Ständig hatte sie vor diesem Moment Angst gehabt. Noch glaubte sie, daß eine rivalisierende Bande die Bastion entdeckt und gestürmt hatte – oder allenfalls ein Vystidentrupp. Sie brachte den Überfall noch nicht in einen Zusammenhang mit dem Mordanschlag in der Kraftstation.

Die Tür wurde von außen geöffnet. Idilpraheitbha stieß einen dünnen Schrei aus, da sie die Fremden erwartete.

Doch Hallito und Laro standen im Eingang. Laro gehörte wie Hallito zu denjenigen Bewohnern der Bastion, die die meiste Zeit über auf Nahrungsbeschaffung waren. Er war ein leicht mißgebildeter Solaner wie Hallito und ebenfalls mit einem Strahler bewaffnet.

»Was … hat das zu bedeuten?« fragte sie flüsternd. Dann schrie sie: »Was geschieht? Was …?«

Hallito sagte nur: »Wir bringen euch in Sicherheit.« Damit bückte er sich auch schon und half ihr auf. Laro streckte die

Arme nach dem Kind aus. Idilpraheitbha schrak zurück und

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schüttelte heftig den Kopf. »Ihr bekommt ihn nicht! Niemand wird mich von ihm trennen!« Hallito verlor keine Zeit. Seine Hände griffen nach dem Säugling.

Idilpraheitbha war zu schwach, um lange Widerstand zu leisten. Laro nahm das Kind, Hallito die Mutter auf die Arme. Die Welt versank für Idilpraheitbha hinter dunklen Nebelschleiern. Ihr letzter bewußter Gedanke war, daß sie Breck nie mehr wiedersehen würde.

Sie kam zu sich, als sie auf etwas Hartem lag. Es dauerte Minuten, bis sie sich erinnerte und ihre Augen an das Halbdunkel des mit alten Kisten vollgestopften, kleinen Raumes gewöhnt waren. Eine einzige Lampe brannte auf dem Boden und warf gespenstische Schatten an die niedrige Decke.

Jemand nahm ihre Hand. Sie drehte den Kopf und erkannte Hallito, der sie aufmunternd anlächelte. Dann war auch Laro da und drückte ihr Breckcrown in die Arme.

»Es ist vorbei«, sagte Hallito. »Sie hat es auch diesmal nicht geschafft.«

»Was heißt das?« fragte sie verwirrt. Alles war viel zu schnell geschehen, um irgend etwas zu begreifen. »Wer denn?«

Hallitos Lächeln verschwand. Sie erschrak vor der Härte, die sie noch nie zuvor in seinem Gesicht gesehen hatte. Er blickte Laro an, als wollte er fragen: Soll ich? Darf ich?

»Früher oder später wird sie es erfahren müssen«, sagte Laro. »Besser jetzt gleich.«

»Was? Bei allen Planeten, Laro?« In Hallitos Gesicht zuckte es. Er holte tief Luft und nickte. »Du mußt stark sein, Idil. Die Vystiden fanden die Bastion nicht

durch Zufall. Sie waren auch nicht an uns interessiert, nur an dir. Diesmal wollte sie ganz sichergehen, nachdem ihr erster Versuch scheiterte, dich aus dem Weg zu räumen. Deine eigene Schwester, Idil. Die Magnidin hat …«

»Nein!« schrie Idilpraheitbha. Sie sprang auf. Schwindel erfaßte sie.

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»Nein, nein! Du bist ein verdammter Lügner!« Sie brauchte ihm nur in die Augen zu sehen, um zu wissen, daß er

nicht log.

4. Eloisa

Idilpraheitbha Daraw verkraftete mit der Zeit auch diesen Schock. Wochenlang war sie völlig apathisch gewesen. Sie hatte nichts gegessen und getrunken und mußte von Hallito intravenös ernährt werden. Er war immer bei ihr, während Laro seine oft Tage dauernden Streifzüge machte und alles Lebensnotwendige beschaffte.

Dazu gehörten auch Nachrichten von draußen, und die allerschlimmste hatte er gleich zu Beginn mitgebracht. Von den ehemaligen Bewohnern der Bastion lebte niemand mehr. Nur einer hatte dem Massaker entkommen können und für kurze Zeit bei einer anderen Gruppe Unterschlupf gefunden, bis er langsam dahinsiechte und starb.

Vorher aber hatte Laro von ihm erfahren können, daß die Vystiden die beiden Ferraten ebenso kaltblütig erschossen hatten wie Zal-Miko, den sie folterten, bis er ihnen sogar verriet, daß Idilpraheitbha in der Bastion einem Kind das Leben geschenkt hatte.

Eine Einschränkung gab es zu machen: Über Flieges und der beiden Posten am entdeckten Zugang Schicksal wußte niemand etwas. Sie waren weder tot aufgefunden noch irgendwo lebend gesehen worden. Hallito fragte jedesmal, wenn der andere ins Versteck zurückkam, ob es eine Spur von den dreien gebe. Nicht nur Idilpraheitbha und Breckcrown verdankten Fliege ihr Leben, sondern auch er. Nur Fliege konnte ihm mit seinen besonderen Fähigkeiten den Fluchtweg gezeigt und ihm eingegeben haben, was zu tun war.

Ein Gerücht kursierte über den rätselhaften Tod eines Vystiden,

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der beim Sturm auf ein Banditenversteck seine eigenen Männer erschossen hatte. Trotz aller Nachforschungen konnte Laro nicht sagen, ob es sich bei dem Offizier um jenen handelte, der die Haematen in die Bastion führte.

Alles das gehörte der Vergangenheit an. Es war grausam, und die Erinnerung ließ Idilpraheitbha nachts aus dem Schlaf hochfahren und schreien. Sie würde mit ihr leben müssen, und es war wichtig, keinen Augenblick lang die Gefahr zu vergessen, die nun nicht allein ihr von Tineidbha drohte, an deren Motiv es keinen Zweifel mehr geben durfte.

Und sie konnte sich leicht ausrechnen, wer Breckcrowns Vater war.

Idilpraheitbha verbrachte fast ein Dreivierteljahr in ihrem Versteck, ohne es auch nur ein einziges Mal zu verlassen, obwohl alles in ihr darauf drängte, sich die letzte Gewißheit zu verschaffen. Sie wollte Tineidbha sehen – und Chart. Sie wußte nicht, ob sie stark genug war für den Anblick, obwohl vieles in ihr abgestumpft war. Hallito hielt sie immer wieder zurück, denn Laro wußte zu berichten, daß Tineidbha in aller Heimlichkeit weiter nach ihrem und Brecks Verbleib forschen ließ.

»Sie würde mich doch gar nicht mehr als ihre Schwester erkennen!« sagte sie dann immer. »Ich bin doch ein Monster!«

Und Hallito hielt ihr entgegen: »Als Monster kämst du nicht einmal in ihre Nähe.«

Sie hörte auf ihn. Sie wollte ihn nicht hintergehen, denn er tat alles für sie und war für den kleinen Breck wie ein Vater. Der neun Monate alte Junge wuchs gesund heran, wenngleich Idilpraheitbha den Eindruck hatte, er wüchse viel zu schnell. Er hatte jetzt schon die Größe und alle körperlichen und geistigen Merkmale eines Zweijährigen. Das machte ihr angst. Und seine Kindheit, die so wichtige Zeit des ersten bewußten Erlebens der Umwelt, vollzog sich in diesen Mauern eines Gefängnisses.

Konnte er überhaupt jemals normal unter anderen Menschen

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leben? Das quälte sie, doch noch schlimmer war der Gedanke an Chart,

war der furchtbare Verdacht, daß er mit Tineidbha gemeinsame Sache gemacht haben könnte. Idilpraheitbha wollte es nicht wahrhaben, doch dann kamen wieder die Träume, in denen sie die beiden zusammen sah.

Als sie es nicht mehr länger ertrug, in dieser schrecklichen Unwissenheit zu leben, faßte sie ihren Entschluß. Sie leistete Hallito in Gedanken Abbitte, fühlte sich wie eine Betrügerin. Sie sah ihn schlafen und hörte die regelmäßigen Atemzüge, stand auf und schlüpfte in ihr Kleid aus Leinen. Breckcrown bewegte sich. Für einen Moment stand Idilpraheitbha starr, bis er sich wieder drehte.

»Deine Mutter kommt ja zurück, mein kleiner Liebling«, flüsterte sie an der Tür.

Zum erstenmal ließ sie ihn allein. Zum erstenmal seit dem Mordanschlag schickte sie sich an, in eine

Welt hinauszutreten, die ihr absolut fremd geworden war. Noch einmal zögerte sie. Würde sie sich in der SOL denn überhaupt noch zurechtfinden?

Ich muß Chart sehen! Das gab ihr den Ruck, den sie noch brauchte. Leise verließ sie den

Raum, schloß die Tür hinter sich und suchte sich einen Weg aus der Verbotenen Zone, in der das Versteck lag, in die Welt der Lebenden.

So wie ein Mensch, der fünfzehn Monate lang scheintot in seinem Grab gelegen hatte und nun den Sargdeckel hob.

*

Sie wußte nicht, wie lange sie in toten Gängen umhergeirrt, Notleitern in ausgefallenen Antigravschächten hinaufgeklettert und durch leerstehende Hallen gegangen war. Irgendwann kam der Punkt, an dem sie glaubte, es ginge nun nicht mehr weiter.

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Irgendwann hatte sie dann einen in Müllhaufen wühlenden Solaner gefunden, der ihr sagen konnte, wo sie den nächsten Interkom fand.

Idilpraheitbha unterdrückte das Verlangen, Chart einfach in seiner Kabine anzurufen – falls er überhaupt noch dort wohnte. Scheu sah sie sich um, schrak bei jedem Geräusch zusammen. Die Lichter in der SOL waren heruntergeschaltet. Dies war die Zeit, in der die Verfolgten ihre Verstecke verließen und auf Beutezug gingen – aber auch die Zeit der Monster Jagden und urplötzlich auftauchender Vystidentrupps, die gnadenlos mit allem aufräumten, was nicht in ihr Bild von Ruhe und Ordnung paßte.

Idilpraheitbhas Sicht dieser Dinge hatte sich während der letzten eineinviertel Jahre von Grund auf geändert. Sie stand nun auf der anderen, der Schattenseite.

Sie wischte diese Gedanken und die Furcht mit einer Handbewegung beiseite. Noch hatte sie nicht alles verlernt. Von einer Nebenzentrale ließ sie sich ein Rasterbild der SOL auf den Schirm werfen. Ein blinkender Leuchtpunkt markierte ihre Position im Schiff.

Sie erschrak, als sie sah, wie nahe ihr Versteck der Hauptzentrale war. Es befand sich fast auf dem gleichen Deck in der Peripherie, gar nicht weit von den Ausrüstungs- und Ersatzteillagern für Beiboote entfernt – und von dem Kraftwerk, in dem ihr Leben zerstört worden war.

Idilpraheitbha schauderte und konzentrierte sich auf ihr Ziel. Sie kannte den Weg nun, passierte Korridore, die sie so oft entlanggegangen war. Plötzlich war sie ganz ruhig, konnte sie klarer denken als in all den zurückliegenden, qualvollen Monaten.

In einer Nische vor dem um diese Zeit verlassenen Aufenthaltsraum der Pyrriden (Idilpraheitbha hatte selbst die Essenszeiten noch genau im Kopf) im SOL-Mittelteil fand sie einen leichten Raumanzug und zog ihn an. Natürlich konnte sie nicht so ohne weiteres mit geschlossenem Helm durch das Schiff laufen, das hätte noch mehr Aufmerksamkeit erregt als ein menschliches

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Monster. Idilpraheitbha durchwühlte die Schubfächer des Schrankes, bis sie ein handgroßes Magnetschild mit der dicken Leuchtaufschrift »ÜBUNG!« in den Fingern hielt. Sie heftete es sich auf die Brust und kippte dann erst den Helm über. Als letztes dunkelte sie die Sichtscheibe ab, wobei gleichzeitig eine Lichtverstärkung dafür sorgte, daß sie zwar durch das dünne Panzerglas ihre Umgebung deutlich genug sehen konnte, nicht aber umgekehrt ein ihr über den Weg laufender Solaner ihr Gesicht.

Von da an machte die ehemalige Technikerin keine Umwege mehr.

Als der Augenblick kam, den sie bange erwartet hatte, wunderte sie sich selbst über die Kaltblütigkeit, die sie an den Tag legte. Ihr Herz schlug bis zum Hals, doch auf die neugierigen Fragen der Ferraten antwortete sie kühl: »Was heißt Verkleidung? Steckt ihr mal für sechs Stunden in dieser Montur, und das bloß, weil ein verrückter Ahlnate es für nötig hält, seinen Pyrriden-Nachwuchs in der SOL …« Sie lachte und winkte ab. »Der Kerl verwechselt das Schiff mit der Oberfläche eines Planeten.«

Einer der Rost-Jäger drehte sich grinsend zu den anderen um. »Verrückte Zeiten, Schwester. Wenn ich deine Stimme nicht hörte,

könnte man denken, ein Monster hätte sich in dem Anzug versteckt!«

Er lachte, und seine Begleiter fielen wiehernd ein, bis der Rostjäger eine Hand hob.

»Nichts für ungut, unter der Kluft bist du wahrscheinlich ein hübsches Kind. Besuch uns doch mal, wenn die … diese Übung vorbei ist, ja?«

Sie lachten wieder und gingen weiter. Idilpraheitbha hatte weiche Knie. Sie atmete heftig, aber das war überstanden – und gab ihr weitere Sicherheit. Es kam zu anderen Begegnungen, bis sie den Gang erreichte, an dem Chart Deccons Kabine lag. Hier lebten nur Ahlnaten und Offiziere. Zu Idilpraheitbhas Erleichterung schienen sie sich entweder an die Schlafzeiten zu halten oder schon ihre

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Schicht irgendwo in der SOL angetreten zu haben. Der Gang war leer. Sie fand die Tür mit traumwandlerischer Sicherheit wieder.

Jetzt plötzlich war die Angst wieder da. Sie zögerte und sah zurück, wie um sich davon zu überzeugen, daß sie selbst jetzt noch davonrennen konnte.

Wenn nun Tineidbha bei ihm …? Idilpraheitbha wußte, daß sie zurücklaufen würde, wenn sie es

nicht jetzt tat. Ohne der Angst noch eine Chance zu geben, drückte sie auf den Türmelder.

Danach war alles zu spät. Entsetzt auf ihre Hand starrend, machte sie einen Schritt zurück.

Die Tür öffnete sich.

*

Chart Deccon sah zweimal hin. Er stand in der Tür und wischte sich über die verquollenen Augen.

Die verrückte Gestalt blieb. Es sollte ja vorkommen, daß angehende Pyrriden in Ermangelung geeigneterer Trainingsplätze durch die SOL-Farmen und Freizeitanlagen gescheucht wurden. Aber was hatte einer von ihnen denn hier zu suchen!

»Das ist entweder ein verdammt schlechter Witz, oder du hast dich in der Tür geirrt«, knurrte Deccon. »Verschwinde, du …«

Etwas machte ihn stutzig, etwas an der Art, wie der Pyrride vor ihm zurückwich, ohne sich wirklich zu entfernen; etwas an den Bewegungen der Arme, die sich ihm plötzlich entgegenstreckten, die Handflächen in einer schwer zu begreifenden Geste nach oben gedreht.

Nur ein Bruder der vierten Wertigkeit, der aus irgendeinem Grund hier seinen Ausbilder suchte?

»Kannst du nicht hören, eh?« knurrte Deccon. Es war ihm egal, ob er die Kabinennachbarn aufweckte. Etwas machte ihn schaudern,

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jagte ihm die Kälte über den Rücken. Er verstand sich selbst nicht, was ihn nur noch wütender machte. »Bist du stumm? Antworte gefälligst – und laß mich dein Gesicht sehen, Mann!«

Er erkannte den Irrtum im gleichen Augenblick. Der Körper war der einer Frau, das verbarg auch der Anzug nicht. Und die entsetzte Stimme gehörte auch einer Frau – die Stimme, die ihm für einen Moment das Blut in den Adern stocken ließ.

»Nein!« schrie die Pyrridin. »Niemals!« Die Stimme! Sie klang anders und doch so … »Dein Gesicht!« Deccon stürzte vor und bekam die Unbekannte an

einem Arm zu fassen, als sie sich herumwerfen und davonrennen wollte. Sie schlug und trat nach ihm. Deccons Hand zitterte, als er mit einem schnellen Griff den Helmverschluß öffnete und die dunkle Sichtscheibe hochklappen ließ.

Er stieß einen erstickten Schrei aus und ließ den Arm los, als hätte er glühendes Eisen angefaßt.

Sie blickte ihn an, starrte ihn aus rot überwucherten Augen an, entsetzt und gleichzeitig trotzig, herausfordernd und …

… flehend? Deccon gewann die Kontrolle über sich zurück, schnitt eine

Grimasse und schrie: »Ein Monster! Das darf doch nicht wahr sein! Ein verdammtes

Monster!« Er rannte zurück in seine Kabine, riß den Strahler von der Wand

und legte an, kaum daß er wieder auf dem Gang war. Der Schuß schmolz eine schwarze Furche in die Wand, gegen die sich das Monster mit eingeknickten Knien stützte. Der zweite fuhr zehn Zentimeter vor den Füßen in den Boden.

»Hau ab!« schrie der Ahlnate. »Ich bin kein Mörder! Aber ich schwöre dir, sollte es dir noch einmal einfallen, mich zu …«

»Was ist denn los, Chart?« fragte eine Stimme hinter ihm. Tineidbha kam mit verschlafenen Augen aus der Kabine. »Du weckst ja die ganze SOL noch auf.« Sie sah das Monster. »Chart, was

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hat das zu …?« Die Kreatur an der Wand schrie auf, stieß sich mit beiden Händen

ab und taumelte in den Gang. Zwei-, dreimal sah es so aus, als stürze sie hin. Dann rannte sie so schnell, wie ihre zitternden Beine sie trugen.

»Chart!« Erst jetzt wurde Deccon sich Tineidbhas Gegenwart überhaupt

richtig bewußt. Er murmelte einen Fluch und drehte sich um. Sie blickte ihn verwundert an.

»Du hättest das Biest töten sollen!« Er schob sich an ihr vorbei und schloß die Tür. »Es kommt nicht

wieder«, antwortete er nur, ließ sich schwer in einen Sessel fallen und starrte auf die Waffe in seiner Hand.

Wie sie ihm die Hände entgegengestreckt hatte! Wie um etwas … bittend!

Tineidbha setzte sich ihm gegenüber hin und beugte sich vor, die Arme über den Knien verschränkt. Sie trug nur einen weißen Umhang, den sie sich lose über die Schultern gelegt hatte.

»Chart, Chart! Manchmal denke ich, du bist viel zu weich. Einmal erschrecke ich vor deiner unbedingten Entschlossenheit, und dann zeigst du Schwächen, die … die du dir als Ahlnate nicht erlauben darfst und als Magnide schon gar nicht.«

»Ich bin kein Magnide!« versetzte er. »Du wirst eines Tages zu ihnen gehören, und dieser Tag kann

früher kommen, als du denkst. Amalmann II ist krank und alt.« Ja, dachte Deccon. Er lebt vielleicht noch Monate, vielleicht noch

ein oder zwei Jahre. Tineidbha war sich ihrer Sache so sicher, schien niemals daran zu zweifeln, daß sie sein Nachfolger werden würde.

Weil sie ihm das gleiche vorspielte wie er, der Ahlnate, ihr? Chart liebte sie nicht, nicht wirklich. Er glaubte nicht, daß er je

wieder eine Frau richtig lieben konnte. Das war vorbei – seit jenem grausamen Tag, an dem die Vystiden die Bastion stürmten und Idilpraheitbhas bis zur Unkenntlichkeit verbrannte Leiche fanden.

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Doch am verkohlten Finger hatte noch der Platinring gesteckt, den er ihr vor Jahren schenkte. Die von Tineidbha zusätzlich vorgenommenen Untersuchungen hatten dann auch den letzten Zweifel beseitigt.

Sie war ihm in der Folgezeit eine Hilfe gewesen, hatte ihm Trost gespendet und ihm eine Liebe gestanden, zu der sie sich vorher nie bekennen durfte.

Manchmal kam es ihm so vor, als hätte sie nur auf diesen bösen Tag gewartet.

Er verfluchte sich selbst. Wer war er denn, daß er über andere urteilen durfte! Ein Ahlnate, der der Magnidin die Erwiderung ihrer Gefühle vorspielte, um gemeinsam mit ihr eine weitere Sprosse der Macht zu erklimmen – für sie die letzte, doch er dachte auch da schon weiter!

Es steht mir zu! dachte er grimmig. Ich verstehe mehr von der Technik der SOL und von dem ganzen Schiff als jeder der zehn Weißgewandeten in der Zentrale! Es ist nur richtig!

Er sah Gespenster und hörte die Stimme einer Toten. Er hatte geglaubt, mit Idils Verlust fertig geworden zu sein, doch ein Monster genügte, um die Wunden wieder neu aufreißen zu lassen.

Chart Deccon warf den Strahler vor sich auf den Tisch. Er wußte nicht, warum, aber er wünschte dem Monster, daß es nie in eine der Jagden von Magniden und Vystiden geraten würde.

In diesem Augenblick wünschte er sich die Macht mit einer Intensität wie nie zuvor. Ja, Tineidbha hatte recht. Er war immer noch zu weich, und das bedeutete: zu verwundbar. Er mußte vergessen und sich dem Schiff als würdig erweisen.

Er lachte sarkastisch auf. Dem Schiff, das er liebte und haßte! Tineidbha kam zu ihm und brachte ihn auf andere Gedanken.

Wenigstens das konnte sie hervorragend.

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*

Idilpraheitbha fand sich in absoluter Dunkelheit wieder. Sie lag am Boden – und unter etwas begraben.

Sie konnte kein Glied rühren, nichts sehen, aber dafür die Geräusche irgendwo in der Nähe arbeitender Maschinen hören. Zunächst war sie nur eine Frau, die wie aus einem tiefen Schlaf erwachte, um festzustellen, daß etwas Schreckliches mit ihr geschehen sein mußte. Zuerst war nur die nackte Angst da, vor dem Unbekannten, vor dem, was sie an den Boden drückte und festhielt – dann die Erinnerung.

Es war wie eine Woge, die sie mit sich fortriß. Chart! Charts Gesicht! Der Abscheu, als er das Monster erblickte, seine furchtbare Kälte und …

Sie hätte den Anblick ertragen. Das war nicht mehr der Chart Deccon gewesen, den sie gekannt hatte. Und doch wäre sie nicht geflohen. Mit einer Sensibilität, die sie sich im Lauf der Zeit angeeignet hatte, hatte sie bei allem Entsetzen gespürt, daß Chart einsam und verbittert war. Sie wäre nicht vor ihm geflohen, doch dann Tineidbha!

Tineidbha, wie sie aus seiner Kabine kam, halb nackt und verschlafen!

Was hatte die Hexe aus ihm gemacht! Idilpraheitbhas ganze Enttäuschung machte sich in einem

lautlosen Aufschrei Luft. Der Schmerz raste durch ihren Körper. Wieso lebte sie noch! Wie war sie hierhergekommen, ohne sich auf dem Weg umzubringen!

Oder hatte sie es versucht und lag jetzt deshalb hier? Wo? In Sicherheit! Sie dachte es, doch es kam nicht aus ihr heraus. Idilpraheitbha

fühlte, daß etwas mit ihr geschah, was sie nicht wollte. Sie wehrte sich dagegen. Das andere war stärker. Es breitete sich in ihr aus, besiegte die Verzweiflung und die Panik. Für einen Moment war da

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so etwas wie eine Erinnerung, als hätte sie dies schon einmal erlebt. Dann lag sie ruhig. Sie merkte, daß sich der Druck auf ihrem Körper verlagerte, wie

wenn das, worunter sie verschüttet war, sich bewegte, lebendig wäre. Gleichzeitig hörte sie die Schritte vieler Menschen.

Idilpraheitbha hielt den Atem an. Diese monotonen Marschschritte kannte sie. Jemand rief etwas. Die bellende Stimme eines Mannes schrie Kommandos.

Ein Vystidentrupp! Eine nächtliche Patrouille! Die Schritte kamen ganz nahe und entfernten sich wieder.

Idilpraheitbha lag still, als sie die Bewegung über sich wieder fühlte. Schwaches Licht drang an ihre Augen. Sie sah etwas über der Helmscheibe, das wie zähes Plasma auseinanderfloß.

Wieso war die Sichtscheibe wieder geschlossen? Hatte sie das getan?

Dann erneut eine Stimme, diesmal ganz klar zu verstehen, und sie kannte sie. Das war …

Laro! Seine Gestalt erschien in ihrem Blickfeld. Er nickte ihr zu und

sprach dann in einen kleinen Kasten in einer Hand. An dem Gerät leuchteten in rascher Folge verschiedenfarbige Lichtfelder auf, und das Leuchten wurde von irgendwoher erwidert. Das zähe Etwas floß ganz von Idilpraheitbhas Körper ab. Sie zog die Knie vorsichtig an und wartete, bis die Blutzirkulation wieder normal eingesetzt hatte. Das alles war wie in einem Traum, als gehörte sie gar nicht in dieses rätselhafte Geschehen.

Laro half ihr, sich aufzurichten. Jetzt sah sie, daß das, was sie für eine Plasmamasse gehalten hatte, aus mindestens einem Dutzend flunderförmiger Wesen bestand, die sich auseinanderschoben und einen Kreis um sie und Laro bildeten. Von ihnen ging das Leuchten aus. Dann kommunizierten sie mit Laro?

Er blickte sie abschätzend an. »Nun?« fragte er. »Bist du jetzt zufrieden?«

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»Laß mich doch«, flüsterte sie. »Damit du dich umbringst, weil du die Wahrheit kennst? Wir

wußten, daß deine Schwester dir Chart weggenommen hat. Wir wußten auch, daß er nichts von ihren Anschlägen auf dich ahnt. Er hatte nie etwas damit zu tun. Schreib es dir selbst und deiner Unbeherrschtheit zu, daß du nun sehen mußt, wie du damit fertig wirst. Du wolltest doch Rache nehmen. Vergiß das nie und vergiß nicht, daß du einen Sohn hast, der dich braucht, und Freunde.« Laro deutete auf die Flunderwesen. »Sie gehören auch dazu. Ohne ihre Mimikryfähigkeiten hätten dich nicht nur die vorhin vorbeigekommenen Vystiden erwischt. Die Kyos sind Extras, die in anderen Wesen die Illusion erzeugen können, etwas ganz anderes als sie zu sehen – in diesem Fall einen Abfallhaufen.«

»Ihr habt alles gewußt? Ihr habt es gewußt und mir nichts davon gesagt, ja mich belogen? Dann seid ihr tatsächlich feine Freunde!«

Sie wußte im gleichen Augenblick, wie unrecht sie Laro und Hallito tat.

Laro zuckte nur mit den Schultern und forderte sie auf, ihm zum Versteck zu folgen. Sie murmelte eine Entschuldigung und leistete Breckcrown in Gedanken Abbitte.

»Ich glaubte, ich sei endlich stark genug, aber …« »Wenn du einsiehst, zu wem du gehörst, hat dein Ausflug seinen

Zweck erfüllt.« Laro schwieg auf dem ganzen Weg. Es war schlimmer als jeder

weitere laut ausgesprochene Vorwurf. Endlich in ihrem Gefängnis zurück, drückte Idilpraheitbha ihren Sohn an sich und weinte. Breckcrown sah sie an, aber nicht wie ein Kind.

Hallito stand schweigend dabei und wartete, bis sie sich beruhigt hatte und von sich aus zu reden begann. Sie erzählte ihm alles, und mit jedem Wort hatte sie das Gefühl, daß eine Last von ihr abfiel.

Ihr wurde aber auch klar, daß sie so wie bisher nicht weiterleben konnte, nicht mit dem Wissen, nicht mit dem Haß auf Tineidbha und nicht in der ständigen Angst um Brecks Leben.

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Sie bat Laro, ihren Sohn für einen Moment zu nehmen und mit ihm in einen Nebenraum zu gehen. Als sie mit Hallito allein war, fragte sie:

»Er hat mich die ganze Zeit über beobachtet? Er hat mir die Mimikrywesen geschickt?«

»Nicht er«, antwortete Hallito kopfschüttelnd und sehr ernst. »Ein anderer.«

Die plötzliche Ruhe, als sie noch begraben gewesen war, und dieses Gefühl, das schon einmal erlebt zu haben! Aber …

»Du meinst«, flüsterte sie, »du glaubst … Fliege?« Hallito zog eine zerknitterte Folie aus einer Tasche und gab sie ihr

zu lesen. Die Schrift war verschnörkelt und an einigen Stellen unterbrochen, so als hätte es dem Verfasser der Zeilen große Mühe gemacht, sie auf das Blatt zu bringen:

»Sie weiß es jetzt. Ihr könnt sie nun nicht mehr halten. Nehmt die Kyos bei euch auf, kein Bewohner der SOL außer uns weiß, daß es sie gibt. Sie sollen ihr den Schutz geben, den ich ihr nicht mehr bieten kann, wenn sie es wieder tut.«

»Was bedeutet das, Hallito?« »Fliege lebt noch, irgendwo in der SOL lebt er und hat Freunde

gefunden, die dich beobachteten: die Kyos. Fliege hat ihnen verboten, daß sie über ihn reden. Du hast gesehen, wie sie das tun.« Hallito nahm den kleinen Kasten aus der Wandnische, in die Laro ihn gestellt hatte. »Sie kommunizieren untereinander durch Lichter und Farben. Sie brachten uns diesen Translator mit. Frage mich nicht, wo Fliege ihn fand oder zusammenbaute. Ich nehme an, du sollst ihn bei dir tragen.«

Sie saß lange da, den Kopf in die Hände gelegt, und versuchte, sich auf das alles einen Reim zu machen. Fliege, der treue Freund! Er hatte schon lange vorher gewußt, was ihr jetzt erst deutlich wurde.

Als sie wieder aufsah, brannte ein Feuer in ihren Augen, waren sie wie zwei Perlen in dem roten und weißdurchzogenen

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Gesichtsklumpen. »Ich sage dir jetzt etwas, Hallito, und versuche nicht, mich wieder

davon abzubringen. Es ist endgültig. Breckcrown wird seine Mutter nicht mehr sehen. Ich hoffe, daß er sich dieses Monstergesicht nicht schon zu sehr eingeprägt hat, um es bald ganz zu vergessen. Er wird von Zeit zu Zeit eine andere Frau zu Gesicht bekommen, wenn sie ihn bei euch besucht. Dich und Laro bitte ich, daß ihr euch um ihn kümmert, bis er alt genug ist, um für sich selber zu sorgen.«

Sie stand auf, Hallito unterbrach sie nicht. »Ihr werdet ihm sagen, daß seine Mutter … verschollen ist. Oder

noch besser, tut so, als wüßtet ihr überhaupt nichts von ihr. Er darf keine Erinnerung an eine Frau, an ein Monster, namens Idilpraheitbha Daraw zurückbehalten. Es wird sie nicht mehr geben. Eine andere Frau soll an ihre Stelle treten. Idilpraheitbhas Tod muß so glaubhaft vorgetäuscht werden, daß ihre Schwester nun restlos überzeugt ist. Und diese andere …«

Sie erklärte Hallito, wie sie sich ihren Tod und die »Wiedergeburt« vorstellte. Vieles fiel ihr dabei noch spontan ein.

»Ist es dir möglich, eine Gesichtsmaske für mich zu besorgen?« fragte sie. »Ich meine, in dieser kurzen Zeit?«

Und sie wollte nun wirklich keinen Tag mehr verlieren. Lange genug war sie eine lebendige Tote gewesen. Jetzt plötzlich fühlte sie sich von einem immensen Tatendrang erfüllt.

»Ich versuche es«, versprach Hallito. Er lächelte. »Du hast einen Eindruck davon bekommen, wie gut Laros Verbindungen sind. Ich kann dir versichern, sie sind noch besser.«

Wie sie aussah, war ihr völlig egal – nur wie eine Frau. Sie sah hinüber zur Tür, hinter der sie ihr Kind wußte, widerstand

dem Impuls, sie aufzureißen und Breckcrown nur noch einmal zu sehen, das letztemal für sehr lange.

»Wie wird die neue SOL-Bürgerin heißen?« wollte Hallito wissen. Auch das spielte keine Rolle. Idilpraheitbha sagte den Namen, der

ihr gerade in den Sinn kam, nicht mehr und nicht weniger als eine

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Aneinanderreihung angenehm klingender Silben. »Eloisa. Ja, warum nicht? Eloisa … Hayes.« Ein Name, so gut wie jeder andere. Sie mußte länger als einen Tag auf das neue Leben warten. Es

dauerte eine volle Woche, bis Laro zurückkam und die Gesichtsmaske in den Händen hielt. Sieben Tage, in denen Breckcrown nur durch eine Wand von ihr getrennt gewesen war. Tag und Nacht hatte sie ihn schreien und weinen hören müssen.

Es hielt sie nicht länger hier. Alle Vorbereitungen waren getroffen. Idilpraheitbha zog sich die ebenfalls von Laro beschafften neuen Kleider über, einen einfachen Hosenanzug, und legte die Maske an. Hier und da mußten die Unregelmäßigkeiten des verbrannten Gesichts unter dem Bioplast durch Füllstoffe ausgeglichen werden. Zum erstenmal seit Monaten schaute Idilpraheitbha wieder in einen Spiegel, die polierte Klappe des kleinen Taschencomputers von Hallito.

Sie sah das Gesicht einer etwa dreißigjährigen Frau, etwas zu breit, mit einem strengen Mund und verquollenen Brauen, die die Hautwucherungen über den Augen völlig bedeckten. Selbst daran hatte Laro gedacht. Die blonde Perücke war von echtem Haar nicht zu unterscheiden.

»Hallo, Eloisa!« flüsterte sie. Und verzeihe mir, Breckcrown! Es ist so besser für dich! Sie umarmte Laro und auch Hallito, als er aus dem Nebenraum

kam. Von nun an würde sie allein sein, wirklich allein und auf sich selbst gestellt. Auch die Kyos konnten sie nicht mehr beschützen, wenn Idilpraheitbha endgültig gestorben war.

Eloisa sah auf die Datumsanzeige des Mikrocomputers, bevor sie ihn an Laro zurückgab.

Es war der 16. März 3750.

5. Der neue High Sideryt

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Der Anruf ließ Tineidbha Daraw auf einen Schlag alles vergessen, was sie sich für diesen Tag noch vorgenommen hatte. Sie war allein in der Kabine, aktivierte den Interkom und sah anstelle eines Gesichts nur einen Text auf dem Bildschirm, der lautete:

»Tin, geliebte Schwester! Wir haben beide lange auf diese Stunde gewartet. Du findest mich im Beiboothangar SZ-1-24!«

Der Bildschirm verblaßte, und auch die Magnidin war kreidebleich geworden, ballte die Hände so, daß die Knöchel weiß hervortraten.

Dies war kein übler Scherz von einem, der von Idilpraheitbhas Schicksal wußte. Die Nachricht – vielmehr die Kampfansage! stammte von Idil. Tineidbha wußte es einfach.

So, wie sie gewußt hatte, daß die Schwester noch lebte. Es kam ihr so vor, als wäre es erst gestern gewesen, daß Rogad am vereinbarten Geheimtreffpunkt erschien und ihr von der Erstürmung der Bastion berichtete. Er war allein gewesen, der einzige Überlebende des Einsatzes auf SOLAG-Seite. Wie von ihr gefordert, hatte es keine Zeugen gegeben, nicht einmal die Haematen.

Doch auch keine Idilpraheitbha. Die verkohlte Leiche, an deren Finger Chart den Platinring

gesehen hatte, nachdem er aus der Paralyse erwacht war, die er von dem angeblichen Fehlschuß bei der ebenso vorgetäuschten Monsterjagd erhalten hatte, war nicht Idilpraheitbha gewesen. Rogads Männer hatten die Gesuchte nicht mehr im Bandenversteck gefunden. Er war geistesgegenwärtig genug gewesen, den Ring einer toten Solanerin anzustecken, die in etwa Idilpraheitbhas Größe besaß. Chart hatte sich damit zufriedengeben müssen. Seine letzten Zweifel waren durch fingierte Beweise endgültig beseitigt worden.

Die verhaßte Schwester jedoch war entkommen, lebte irgendwo in der SOL und verbarg sich weiter. Tineidbha arrangierte einen tödlichen Unfall für Rogad. Und Chart gehörte ihr allein.

Er gehört mir! Du wirst das nicht mehr ändern, Idil!

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Diesmal ging sie allein, diesmal wollte sie nichts mehr anderen überlassen. Tineidbha bewaffnete sich und legte das Magnidengewand ab. Sie schlüpfte in eine einfache Kombination, band das lange Haar im Nacken zusammen und verließ die Kabine, nachdem sie sich davon überzeugt hatte, daß niemand in der Nähe war und sie sah.

Der Hangar war ihr noch gut in Erinnerung. Dort hatten sie und Idil als Kinder manchmal gespielt oder aus einem Versteck den Pyrriden dabei zugesehen, wie sie ihre Schiffe für Planeteneinsätze vorbereiteten.

Idil wartete allein auf sie. Etwas anderes hätte auch nicht zu ihr gepaßt. Sie wollte die Abrechnung ohne Zeugen. Dies war ihre ureigene Sache.

Tineidbha sah sie zwischen den Landestützen einer Korvette stehen und triumphierte. Also war Idil selbst jetzt noch die einfältige kleine Solanerin, die es im Schiff nie zu etwas gebracht hatte, weil ihr so lächerliche Moralbegriffe wie Anständigkeit und Fairneß mehr bedeuteten als die Macht.

Sie hatte sich kaum verändert und den »Unfall« beim Reaktor offenbar ohne größere Schäden überstanden. Sie war schön, schöner, als daß sie hätte weiterleben dürfen!

Wortlos trat Tineidbha näher, bis keine zehn Schritte die Schwestern mehr voneinander trennten. Für Sekunden standen sie sich nur gegenüber. Dann war es die Magnidin, die das eisige Schweigen brach:

»Du hättest mich nicht rufen dürfen, Idil«, sagte sie kalt. »Du weißt doch, was ich jetzt tun muß.«

»Du hast mir Chart genommen«, erwiderte Idilpraheitbha mit irritierender Ruhe. »Ich war dir im Weg. Ich sollte sterben und mußte mit ansehen, wie statt meiner andere durch dich ihr Leben verloren, Tin. Ich habe gelernt, daß jene, die ihr in grenzenloser Verachtung des Lebens Elendssolaner, Monster und Extras nennt, ebenso wie die unterdrückten Buhrlos mehr wert sein können als

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eure ganze SOLAG. Und von allen skrupellosen Magniden bist du die gefährlichste. Deshalb wirst du verstehen, was ich zu tun habe. Es geht um mehr als um eine Rache. Du darfst niemals High Sideryt werden.«

Tineidbha kämpfte um ihre Beherrschung. Warum schrie Idil sie nicht an? Diese Ruhe war viel schlimmer!

»Und ich darf dein und Charts Kind nicht finden, das meinst du doch wirklich? Chart ist für dich verloren, Idil. Das weißt du. Es geht dir um … Wie heißt er oder sie?«

Nicht einmal das brachte sie aus der Fassung! Ganz langsam glitt Idilpraheitbhas Hand zum Griff der Waffe, die

in ihrem Gürtel steckte. Dann war der Strahler so blitzschnell heraus, daß die Magnidin nicht dazu kam, den ersten Schuß abzugeben. Sie erkannte die Gefahr und warf sich zur Seite. Der sengende Strahl fuhr in eines der Landebeine. Tineidbha ließ sich zu Boden fallen, zog in der Drehung und gab einen ungezielten Schuß dorthin ab, wo Idil noch eben gestanden hatte.

»Ist dein Haß so stark, daß du nicht mehr richtig siehst?« Die Magnidin feuerte in die Richtung, aus der die Stimme

gekommen war. Ein Energiestrahl fraß sich vor ihr in den Boden, auf sie zu, bis wenige Zentimeter vor ihrer Hand, mit der sie sich stützte.

Ein Schatten verschwand hinter einem Shift, nahe dem Hangarschott.

»Weißt du noch, wie wir hier spielten, Tin? Schon damals konntest du nicht teilen!«

Sie schoß. Idilpraheitbha lachte. »Du kannst mich nicht töten!« schrie die Magnidin, ohne selbst

noch an ihre Worte zu glauben. Sie schwitzte. Sie würde es tun! »Wie viele Leben hast du auf dem Gewissen? Zwanzig? Fünfzig?

Wie ist es, von Chart gehalten zu werden und dabei zu wissen, daß er nur die Magnidin sieht?«

»Schweig!« schrie Tineidbha. »Zum Teufel mit dir!«

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Die Schwester kam hinter dem Panzerfahrzeug hervor und lachte. »Du wirst ihn niemals besitzen! Wie ist es, zu wissen, daß alles

umsonst gewesen ist? Aber du hast recht. Töten werde ich dich nicht, obwohl mich keine Gewissensbisse mehr daran hindern würden. Du sollst leben und dich bei jeder Umarmung Charts fragen, ob er dich nicht haßt für alles, was du …«

»Nein!« Tineidbha sprang auf. Idil stand vor dem Hangartor, und die

Magnidin wußte jetzt, was sie zu tun hatte, damit nicht einmal der Hauch einer verräterischen Spur zurückblieb.

Mit dem Daumen schaltete sie die Kombiwaffe um, mit dem Zeigefinger löste sie sie aus.

Idilpraheitbha brach paralysiert zusammen. Tineidbha ging zu ihr hin und stand für Augenblicke über dem reglosen Körper.

»Du arme Närrin!« stieß sie haßerfüllt hervor. »Du wolltest mich leben lassen, ja? Du wußtest, daß ich mit einer anderen Absicht hierherkam. Du wolltest, daß wir es auf genau diese Weise zu Ende bringen. Oh, du bist dumm! Denkst du denn, daß ich mich damit zufriedengebe? Falls du dich für dein Balg opfern wolltest, ist dein Opfer umsonst. Ich werde das Kind finden, und wenn ich mein ganzes Leben lang suchen muß!«

Idils Augen sahen sie an. Selbst jetzt schienen sie noch einen stummen Triumph auszudrücken. Tineidbha bekam eine Gänsehaut und wandte sich ohne noch ein weiteres Wort ab.

Sie riegelte den Hangar hermetisch ab, bevor sie vom Außenkontrollstand aus die Schleuse öffnete. Das große Tor hob sich in die Höhe. Idilpraheitbha wurde durch den sich langsam verbreiternden Spalt gerissen, als sich die Luft explosionsartig in das Vakuum des Weltraums entlud.

»Damit«, sagte die Magnidin ohne eine Spur von Reue, »wären wir beide nun wohl endgültig miteinander fertig, geliebte Schwester.«

Sie wartete, bis das Schott sich wieder geschlossen hatte. Dann

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ging sie dorthin zurück, wohin sie gehörte. Sie sah nicht, wie sich hinter ihr eine Tür öffnete, bemerkte nicht

die zufriedenen Blicke, die sie bis zur Gangbiegung verfolgten. Eloisa Hayes trat auf den Korridor hinaus und setzte sich vor das

Instrumentenpult des Kontrollstands. Während ihre Finger über die Tastaturen fuhren, dachte sie an die Kyos, die in Tineidbhas Bewußtsein das Bild Idilpraheitbhas erzeugt hatten, und dankte ihnen. Ein simpler Lautsprechertrick hatte die Illusion vollkommen gemacht.

Sie hatten nicht wirklich ein Opfer gebracht. Ihr Leben – diese eine Phase ihres Lebens – wäre so oder so zu Ende gegangen. Das hatte Fliege mit dem Schutz gemeint, den sie ihr geben sollten. Er war nicht für Dauer gedacht gewesen, sondern nur für diesen Augenblick.

Idilpraheitbha-Eloisa hatte nicht viel über sie erfahren. Sie wußte aber, daß sie von einem Planeten stammten, auf dem sich diejenigen von ihnen, die das Ende ihres körperlichen Gastspiels in diesem Universum nahen spürten, von ungeheuer starken Aufwinden in die obersten Schichten der Atmosphäre tragen ließen, um an der Grenze zum Weltraum etwas Neues zu beginnen. Wie dieses andere Leben aussah, darüber konnte Eloisa nicht einmal Vermutungen anstellen. Doch draußen im Vakuum kamen die Kyos, die Tineidbha für sie gehalten hatte, ihrem Ziel näher als nach dem Tod, den sie heute oder morgen in der SOL erlitten hätten.

Danke! dachte sie gerührt. Und auch dir, Fliege, ganz gleich, wo du sein magst!

Sie gab den eingetippten Text an die Personal-Buchführung der SOL. Er lautete schlicht und einfach:

»Vakuumeinbruch in Hangar SZ-1-24, Datum 16.3 3750,16J54 Uhr Standardzeit. Alle Untersuchungen abgeschlossen. Ein Todesopfer. Name: Idilpraheitbha Daraw.«

Es würde keine Rückfragen geben. Das Kapitel Idilpraheitbha Daraw war damit für alle Zeiten abgeschlossen.

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Ein neues begann. Das der Solanerin Eloisa Hayes, einer Frau, die für die Personal-Buchführung und damit für die SOL gar nicht existierte.

*

Oft spürte Eloisa in den kommenden Wochen und Monaten Hallitos und Laros – und wer die unbekannten Freunde mehr waren – unsichtbare Hand. Sie zeigten sich ihr nicht, wie sie es gewünscht hatte. Allein schlug sie sich durch, allein besorgte sie sich Nahrung, ohne je etwas von anderen zu nehmen, denen es noch schlechter ging als ihr. Sie hatte bald drei kleine Verstecke, die sie nur dann verließ, wenn es unbedingt nötig wurde. Die völlige Einsamkeit in einem überbevölkerten Schiff setzte ihr zu Anfang so heftig zu, daß sie manchmal glaubte, sie nicht länger ertragen zu können.

Sie stand auch dies durch, und es vergingen fünf Monate, bevor sie Breckcrown zum erstenmal besuchte. Sie wußte, auf Hallito und Laro konnte sie sich hundertprozentig verlassen. Mit Laro nahm sie dann auch an einer vor ihrer Verwandlung bezeichneten Stelle Kontakt auf. Die Freunde erwarteten sie und Illu hatten den kleinen Breckcrown darauf vorbereitet, daß eine Bekannte zu Besuch kommen würde.

Es schmerzte sie, so vor ihren Sohn hintreten zu müssen, sich nicht zu erkennen geben zu dürfen und so zu tun, als sei sie nur an einem Gespräch mit Hallito interessiert. Laro hielt sich aus Gründen fern, über die sie nur rätseln konnte, bis Hallito ein vor langer Zeit gemachtes Angebot wiederholte.

Diesmal war sie fast bereit, es anzunehmen und als seine Partnerin bei ihm und Breckcrown zu leben – und nur als das. Vielleicht hätte sie Breck mit der Zeit eine akzeptierte und geliebte Stiefmutter werden können. Vielleicht …

Es gab so viele »Vielleichts«. Doch sie war rastlos. Die Zeit der

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Isolierung mußte einmal zu Ende gehen. Sie würde Tineidbha, würde die Schwester und Chart beobachten, und eines Tages …

Das waren die Gedanken und Gefühle, die sie bewegten, als sie darauf wartete, daß Hallito ihren Sohn aus dem Nebenraum holte, wo er mit gleichaltrigen Solaner- und Extra-Kindern spielte. Nein, es bestand keine Gefahr des Verrats. Niemand außer ihr, Hallito und Laro wußte, wer Breck war. Und er durfte nicht in Einsamkeit aufwachsen, nicht so verbittert werden, wie sie es war. Hallito tat alles für ihn. Doch sie konnte ihm nichts dafür geben als Gefahr und Unrast.

Breckcrown kam durch die Tür. Eloisa sprang halb von der Matratze auf, auf der sie ihm das Leben geschenkt, hatte, war nahe daran, sich zu verraten. Doch sie sank zurück, starrte den Jungen an, der zwar Breckcrowns Züge aufwies, aber …

Bei allen Planeten! durchzuckte es sie. Das kann nicht mein Kind sein! Er war es. Eloisa warf Hallito einen vorwurfsvollen Blick zu. Warum hast du mich nicht darauf vorbereitet! Breckcrown war so groß, sprach und bewegte sich wie ein

Sechsjähriger. Dabei war er erst vierzehn Monate alt! Es erschütterte Eloisa so sehr, daß ihre Hände zitterten. Sie zwang

sich unter nicht für möglich gehaltener Selbstüberwindung dazu, ihm diese und jene belanglose Frage zu stellen, die eine Fremde eben an ein Kind richtete.

Himmel, wie ist das möglich! Wird er ein Monster? Er antwortete brav, ohne ihr besonders viel Interesse

entgegenzubringen. Für ihn war sie ein anderes Gesicht, jemand aus den Tiefen der SOL, jener geheimnisvollen Welt voller Leute und Leben, von der ihm Hallito so oft erzählte – und vor der er nie aufhörte, zu warnen.

Die Antworten, die er gab, zeugten von einer schon hochentwickelten Intelligenz. Ansonsten blieb er verschlossen.

Es waren quälende Minuten für Eloisa, doch sie kostete sie bis zu dem Moment aus, als Hallito den Jungen bei der Hand nahm und zu

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seinen Spielgefährten zurückführte. Gleichaltrig? Sie waren sechs oder sieben Jahre alt, als Eloisa sie kurz in der Tür sah.

Eloisa kostete den Anblick und die Worte auf eine geradezu masochistische Weise aus, steigerte sich in den eigenen Schmerz hinein, fühlte, daß sie eine Strafe erhielt, die sie verdiente. Weil sie Breck alleingelassen hatte, weil sie ihn von Chart empfangen hatte, weil sie …

Hallito schloß die Tür und blickte sie besorgt an. »Du wärst nicht gekommen, wenn ich es dir gesagt hätte«, brach

er schließlich das Schweigen. Sie lachte hysterisch. »Nicht gekommen? Ich wäre immer gekommen, das weißt du!

Hallito, wie kann er …?« »Kein Grund, dich darüber aufzuregen, Idil.« Er verbesserte sich

sofort. »Eloisa. Im Gegenteil solltest du froh sein. Brecks unnatürlich schnelles Wachstum und seine ebenso verfrühte Intelligenz sind nur äußerliche Erscheinungen. Sie gehen mit Sicherheit auf die Strahlungsdosis zurück, die er in deinem Leib erhielt. Aber er wird kein Monster, sondern zu einem gesunden Solaner heranwachsen.«

»Wie kann er gesund sein!« schrie sie gepeinigt auf. »Hallito, mit zehn wird er ein alter Mann sein! Wann wird er Zeit haben zu leben!«

Er setzte sich zu ihr und nahm ihre Hand. Sie ließ es sich gefallen, daß er den anderen Arm um ihre Schulter legte und sie fest an sich zog.

»Du verstehst nicht, was ich sagen will, Elo. Irgendwann wird das beschleunigte Wachstum aufhören. Nimm es als Wunder oder eine Fügung des Schicksals, das euch bisher so übel mitgespielt hat. Tineidbha sucht nach einem Kind, das vierzehn Monate alt ist. Auch wenn wir nichts in Brecks Entwicklung hineingeheimnissen wollen, das ebenso haltlos wie unangebracht wäre, haben wir eine Realität vor uns, die dem Kleinen ein besserer Schutz vor den Nachstellungen deiner Schwester ist, als wir alle es ihm jemals sein

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könnten. Tineidbha wird keinem ihrer Helfer sagen, er solle nach einem Sechsjährigen Ausschau halten lassen.«

»So siehst du das?« fragte sie flüsternd. »Und so wirst du es betrachten, wenn du den Schock überwunden

hast. Glaube mir, an Breck ist nichts wirklich Ungewöhnliches. Wir beobachten ihn Tag und Nacht. Sein Wachstum hat sich bereits etwas abgeschwächt. Mit zwei Jahren wird er aussehen und denken wie mit zehn, mit drei wie mit zwölf, bis schließlich ein Jahr auch tatsächlich nur ein Jahr für ihn ist.«

Sie faßte sich und nickte dann, erwiderte den Druck seiner Hand und stand auf.

»Ich werde ihn wieder einmal besuchen kommen, Hallito, von Zeit zu Zeit.« Sie wünschte, sie hätte ihn küssen können, sie beide, Breckcrown und den Freund, der mehr war als das. Bevor ihre Gefühle sie endgültig übermannten, lief sie hinaus und tauchte unter im Labyrinth der SOL.

Ist es ein Segen, fragte sie sich in der Abgeschiedenheit eines ihrer Verstecke, oder ein Fluch? Allmählich begann sie zu akzeptieren, daß ihr Kind vor Tineidbha sicher war. Doch die bangen Gedanken an seine Zukunft waren keine mindere Qual für sie.

War ihr denn niemals Ruhe und Frieden vergönnt? Mußte sie in Angst leben, bis sie eines nahen oder fernen Tages das Zeitliche segnete?

Eloisa Hayes fand an diesem Tag keinen Schlaf. Sie ging rastlos auf und ab und begab sich in einem Anflug von Trotz und Verzweiflung am Abend ins Menschengewimmel der belebten Zonen der SOL.

Wer bist denn du, Schwester? Wir haben dich noch nie hier gesehen? Und sie antwortete: Eloisa! Mein Name ist Eloisa! Und ihr laßt mich

zufrieden! Es war ein Abend wie jener andere, als sie vor Charts Kabinentür

stand. Sie wußte nicht, was über sie kam. Ein Blackout, fast eine ganze

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Stunde fehlte in ihrem Gedächtnis, als sie mit dem Ferraten in einem Nebenkontrollraum an der Peripherie einer verseuchten Zone stand und dem Mann einen Strahler in den Rücken drückte.

»Du rufst den Ahlnaten Chart Deccon an!« befahl sie ihm mit einer Stimme, die eher Tineidbha als ihr hätte gehören können. Sie erschrak, wußte aber, das sie nicht mehr zurückkonnte. »Mach schon!« Sie stellte sich so neben den Rostjäger, daß sie ihn gut in Schach halten, aber von der Bildoptik nicht erfaßt werden konnte.

Sie nannte dem Mann den Kode. Sekunden darauf wurde der Bildschirm hell.

Eloisa sah nicht hin, wollte nicht ein noch härter gewordenes Gesicht sehen. Doch sie hörte die Stimme.

Es war nicht die von Chart. Sie gehörte Tineidbha. Oh, verflucht! schrie es in Eloisa. Bevor der Rostjäger eine Antwort

auf die herrische Frage gab, wie er dazu käme, mitten in der Nacht zu stören, zerschoß sie die Bildscheibe.

Vor der Nebenstelle befand sich ein offenes Fahrzeug auf vier großen und breiten Rädern. Eloisa sprang hinein und jagte mit quietschenden Reifen davon, bevor der Ferrate seine Überraschung verdaute und Alarm geben konnte.

Noch ein solcher Zwischenfall! dachte Eloisa wütend. Noch eine Dummheit, und sie werden fragen, wer diese Verrückte war! Sie werden sich ihre Beschreibung geben lassen!

*

Weitere Monate vergingen, und Eloisa besuchte Breckcrown bald alle zwei Wochen bei Hallito. Er wuchs weiter heran, immer noch zu schnell für einen normalen Jungen, aber das Ende des Prozesses ließ sich bereits erahnen. Wie Hallito prophezeit hatte, besaß das Kind im Alter von zwei Jahren die Gestalt eines Zehnjährigen. Breckcrown blieb verschlossen, und Eloisa sorgte dafür, daß er ihr

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nie eine Sympathie entgegenbrachte, die über jene hinausging, die ein Junge für eine flüchtige Bekannte seines Ziehvaters aufbrachte.

Und sie hatte gelernt, sich ohne erneute Gefühlsausbrüche und allen damit verbundenen Unüberlegtheiten in der Nähe von Chart und Tineidbha zu bewegen. Einmal war es die junge Frau in der Verkleidung einer Ferratin, die Deccons Weg kreuzte, einmal ein altes Mütterchen, dessen Gestalt gebückt und dessen Gesicht hinter Tüchern verborgen war, das sich von SOLAG-Mitgliedern anpöbeln ließ und es dabei hervorragend verstand, ihnen Informationen über eine Magnidin und einen Ahlnaten zu entlocken.

Als dann Amalmann II nach langer Krankheit starb, bedurfte es keiner Kunststücke, um die Nachricht zu empfangen. Die einfachen Solaner und anderen Unterdrückten nahmen den Tod des High Sideryt kaum oder mit bangen Zukunftserwartungen zur Kenntnis. Sie wußten zu gut, daß sich an ihren Lebensbedingungen durch den Wechsel an der Spitze der Hierarchie nichts ändern würde – höchstens zum Schlechten.

In den niederen Schichten der SOLAG aber wurde getuschelt, und immer war eine Frau in der Nähe, die wie ein flüchtiger Schatten war, wie ein Geist, ein Gespenst.

Am 11. Juli 3751 wurde der Name von Amalmanns Nachfolger offiziell bekanntgegeben. Er lautete:

Tineidbha Daraw. Damit verbunden war eine Änderung der Zusammensetzung des

Kreises der Magniden. Für den neuen High Sideryt rückte ein technisch hochbegabter und ehrgeiziger Ahlnate in diese oberste Kaste auf. Sein Name:

Chart Deccon. Es war eine Frau in der Uniform der Pyrriden, deren Gesicht

niemand kannte, nach deren Namen keiner fragte, die die Antrittsrede des neuen High Sideryt vor einem Bildschirm inmitten von Raumfahrern mitverfolgte. Rüde Scherze wurden gemacht. Eloisa hörte nicht hin. Sie las der Schwester, die ihr ersehntes Ziel

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nun endlich erreicht sah, die Worte förmlich von den Lippen ab. Es war für einen neuen Bruder, eine neue Schwester ohne

Wertigkeit nicht üblich, sich auf diese Art öffentlich einzuführen. Die Solaner, auch die SOLAG, hatten den Wechsel hinzunehmen, ob es ihnen gefiel oder nicht. Doch wer kümmerte sich darum, von wem die Befehle kamen? Welchen Unterschied machte es schon, wer die Fäden zog? Die Menschen und Extras, Monster und Buhrlos, hatten es längst aufgegeben, etwas für sich zu erhoffen.

»Es müßte mal einer kommen, der mit dem ganzen Hokuspokus aufräumt«, sagte irgendwo ein Mann.

Eloisa hörte ihn nicht, nicht bewußt. Die Augen unter der Gesichtsmaske blitzten nur einmal auf, als der Bildausschnitt sich erweiterte und die zehn Magniden zu sehen waren – Chart unter ihnen!

Auch du! dachte sie bitter. Auch du hast es geschafft, Chart! Du hast dich an ihren Rockzipfel gehängt und bist ihr nachgekrochen wie ein Hund seiner Herrin! Sie ist ganz oben. Was wirst du jetzt tun, Chart? Sie ausschalten, so wie sie Amalmann II ausgeschaltet hat?

Sie zweifelte nicht daran, daß Tineidbha den Tod des High Sideryt zumindest beschleunigt hatte. Er hatte zuletzt nur noch sie zu sich gelassen. Wann er ihren Namen in SENECAS Spezial-Speicher eingegeben hatte, würde sich nie feststellen lassen – ob kurz vor dem Tod oder schon früher.

Plötzlich sah Chart in die Bildoptik. Eloisa schauderte zusammen, ihr Herz schlug heftig. Es war ihr, als sähe er unter allen hunderttausend Bewohnern der SOL nur sie an, die er für tot hielt.

Es war, als wollte er sagen: Das Schiff hat mir die Frau genommen, die ich liebte! Und nun nehme ich das Schiff für sie, für Idilpraheitbha! Eloisa Hayes sprang auf und rannte aus dem Raum. In diesem

Moment war es ihr gleichgültig, ob und welches Aufsehen sie damit erregte. In ihrem Versteck ließ sie sich auf das Lager aus Decken fallen, drehte sich auf den Rücken und atmete heftig. Bittere Tränen

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quollen unter der Schorfhaut hervor und wurden von der bioaktiven Füllmasse unter der Maske aufgesogen.

Das Schiff für sie! Es war ein Teil seiner Motivation. Eloisa machte sich nichts vor.

Der Wunsch nach Macht war immer in Chart gewesen, doch erst Tineidbha hatte ihn stark und dominierend gemacht. Sie hatte Chart an sich gefesselt und würde es solange tun, bis es für ihn keine weitere Sprosse mehr zu erklimmen gab.

Solange gehörte er ihr, solange war er ihrem grausamen Einfluß ausgeliefert.

»Ich wünschte«, flüsterte Eloisa, »ich hätte endlich den Mut, dich zu töten, Tineidbha!«

Sie hätte es tun können, als die Schwester mit den Kyos im Hangar gewesen war. Dann wären nicht nur die Kyos ins Vakuum gerissen worden. Ein Knopfdruck hätte genügt.

Chart war immer hart gewesen, doch auf seine Art gerecht. Sie wußte, warum er damals nicht auf das Monster schoß, sondern vorbei. Chart gab es sich selbst gegenüber nicht zu, doch er fühlte sich jetzt schon verantwortlich für die SOL. Sein neues Amt war nicht nur die Erfüllung einer von Tineidbha durch unzählige Versprechungen geweckten Gier.

»Du sollst ihn nicht ganz zerstören, Tin!« schrie Eloisa. »Und ich schwöre, eines Tages habe ich den Mut und die Kraft, dir alle Verbrechen heimzuzahlen!«

Noch einmal sah sie Chart im Kreis der Magniden sitzen. Er gehörte dorthin. Er war qualifiziert. Doch sein Aufstieg hätte

nicht so erfolgen dürfen! Er hatte eine erschreckende Kälte ausgestrahlt, schon in jener

furchtbaren Nacht. Jetzt wußte Eloisa, daß es eine Leere war, an der schwächere Menschen als er längst zerbrochen wären.

Ich befreie dich von ihr, Chart! Wer sonst als Idilpraheitbha könnte dir jetzt noch helfen? Rufe sie! Rufe ihren Geist an, und er wird kommen! Eines Tages wird er kommen!

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6. Dreiundfünfzig Jahre danach�

Diese Gedanken waren in den letzten Sätzen des ersten Logbuchberichtes festgehalten, waren das letzte, was ihm der I-Punkt überliefern konnte. Hayes schaltete das Lesegerät aus und lehnte sich im Sitz zurück. Seine Hand fuhr über die nasse Stirn.

Über die Verfasserin konnte nun kein Zweifel mehr bestehen. Es war Idilpraheitbha Daraw und gleichzeitig Eloisa Hayes. Wie sie sich auch nannte, sie war seine, Breckcrowns, Mutter.

Ein Monster? Hayes ballte die Fäuste. Eine Frau, deren Leben einmal glücklich gewesen war, bis zu

jenem schrecklichen Tag Anfang 3749! Und eine wunderschöne junge Frau war sie gewesen. Ihr Bild und

das seines Sohnes hatte sich in dem Kästchen befunden, das Deccon bis kurz vor seinem Tod als seinen größten Schatz an einem Kettchen über der Brust getragen hatte. Hayes hatte es nun auch vor sich, die zweite, irgendwann vor langer Zeit in seinen Besitz gelangte Ausfertigung. Er sah die Frau und einen kleinen Jungen auf ihrem Arm. Unter Deccons Exemplar stand in Chart Deccons Handschrift: »Mein Nachfolger als High Sideryt.«

Der Junge war er, Breckcrown. Die junge Solanerin konnte nun, nach allem, was er gelesen hatte, nur Idilpraheitbha sein. Allerdings mußte es sich um eine geschickt gemachte Fotomontage handeln, denn das Gesicht mit dem roten Haar und den schönen Zügen war nicht das der Eloisa Hayes, nicht die Maske, die im getarnten Bericht beschrieben war.

Bei seiner Geburt war Idilpraheitbha schon entstellt gewesen. Ein früher von ihr gemachtes Foto und eines von ihm als Kind.

Eine von Hallito oder Laro gemachte Aufnahme, später in das Bild seiner Mutter hineinkopiert?

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Sie blickte ihn an, als hätte sie die ganze Zeit über von diesem Foto zu ihm gesprochen. Nein, der Bericht war von keiner anderen Person verfaßt worden, die vielleicht die Gabe hatte, sich selbst in ihre geheimsten Gedanken hineinzuversetzen und diese so plastisch wiederzugeben. Sie selbst hatte festgehalten – für ihn? – was sie in diesen langen Monaten beschäftigte. Ins Reich der Phantasie waren allenfalls die Schilderungen der Begegnungen von Deccon und Tineidbha zu verweisen, an denen sie nicht hatte teilhaben können.

Hayes stand auf und starrte auf die letzte Folie mit dem noch zu entschlüsselnden I-Punkt darauf.

Er ahnte, was sich in ihm verbarg, und konnte Eloisa dafür nicht einmal böse sein. In seinem Wechselbad der Gefühle war er selbst nahe daran gewesen, laut zu schreien: »Dann bring sie doch um! Sie ist das Monstrum, nicht du!«

Er hatte sich danach auf die Zunge gebissen. Er sah nicht nur die grausame Tragödie seiner Mutter, sondern auch das, was Tineidbha als High Sideryt an Leid über so viele im Elend Lebende bringen würde. Diese SOL, die ihm da wieder geschildert wurde, war wie der Blick zurück in eine schon vergessen geglaubte Welt des Unrechts und der Brutalität.

Idilpraheitbha hatte sich zumindest in einem Punkt nicht getäuscht, was Deccon anging. Sie mochte schon damals geahnt haben, welche Bürde dem geliebten Mann später als High Sideryt auferlegt war, daß er die Macht liebte, aber gleichermaßen verabscheute. Daß er zum einen der unbeugsame Diktator war, zum anderen aber der einsame Mann in seiner Klause, der erst Erlösung durch den Tod fand.

Er war sein Vater. Welcher Chart Deccon hätte die SOL regiert, welcher High Sideryt

wäre Atlan gegenübergetreten, hätte Tineidbhas Einfluß ihn nicht vergiftet?

Zum Teufel! dachte Hayes. Es geht jetzt nicht um ihn! Er legte hastig die zweite Folie ein, fieberte weiterem Wissen

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entgegen, wollte Klarheit über seine eigene weitere Entwicklung. Irgendwann mußte das zu schnelle Wachstum ja aufgehört haben, er war der lebende Beweis dafür, aber wann und wie?

»Deccon muß dich wirklich geliebt haben, Mutter«, flüsterte Hayes, als er das Lesegerät erneut einschaltete. »Er kannte dich, ich habe nur einen Bericht, und dennoch ist es, als wärest du …«

Er konnte nicht zu Ende reden. Etwas schnürte ihm die Kehle zu. Er wünschte sich, er könnte Idilpraheitbha sagen, daß Chart Deccon nie wieder eine Frau so wie sie geliebt hatte. Die Alphas? Vielleicht. Aber nicht so wie sie.

Hayes begann zu lesen. In Eloisas Geschichte fehlten 37 Jahre. Der zweite Bericht begann mit dem 15. Oktober 3788, und nun sprach Eloisa direkt zu ihm …

7. Späte Rache

Mein lieber Junge, ich weiß nun, daß du diese Zeilen eines Tages entdecken und lesen wirst. Natürlich, vielleicht geht das Logbuch verloren, vielleicht geschieht dir etwas. Doch falls einmal jemand die beiden getarnten Berichte findet und liest, wirst du es sein, das meine ich damit. Chart wird der nächste High Sideryt der SOL werden. Das herbeizuführen, ist das letzte, das ich für ihn tun kann und tun will. Und dann geht das Logbuch in seinen Besitz über. Oh, ich hätte ihn wissen lassen können, welches Spiel Tineidbha mit ihm und mir trieb, und daß er einen Sohn hat. Es wäre so leicht gewesen.

Ich tat es nicht, Breckcrown. Er soll es erfahren, wenn er frei von Tineidbha ist. Deine Geschichte kennst du nun, zumindest, was deine Kindheit betrifft. Diesen ersten Bericht habe ich geschrieben und halte ich noch versteckt. Später, wenn dieser letzte Teil meines Vermächtnisses an dich zu Ende geschrieben ist, werde ich ihn ins Logbuch schmuggeln.

Ich zweifle nicht daran, daß Chart die Originalfolien lesen und

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anschließend vernichten oder unlesbar machen wird. Deshalb kam ich auf die Idee mit der SOL-Farm, deinem Namen und den I-Punkten. Du verstehst? Ich glaube noch an Chart Deccon, auch nach den Ereignissen dieses 15. Oktober. Tineidbha kann ihn nicht ganz verdorben haben, und sie bekommt keine Gelegenheit, es noch zu tun. Ich glaube sogar, daß er dich, sollte dir nicht etwas Unvorhergesehens zustoßen, zu seinem Nachfolger machen wird, nachdem er die Wahrheit kennt. Vielleicht klingt dies sehr nach der Sentimentalität einer alten Mutter, vielleicht irre ich mich trotz allem. Wenn du dies liest, dann weißt du, daß es auch in der SOL noch eine Gerechtigkeit gibt.

Verurteile deinen Vater nicht, Breckcrown, und verurteile mich nicht zu sehr für das, was ich tun muß. Heute wurde mir klar, daß ich nicht noch länger damit warten darf. Und jetzt habe ich endlich den Mut gefunden.

Du mußt wissen, was an diesem Tag geschah. Die vergangenen 37 Jahre, obwohl eine sehr, sehr lange Zeit, sind ohne wirkliche Bedeutung. Ich beobachtete Chart und Tineidbha, ich fand neue Freunde, die schweigen können. Verlange von mir nicht, daß ich dir ihre Namen nenne, und auch nach Hallito und Laro wirst du vergeblich suchen. Sie gaben dich in die Obhut anderer, als du fünf Jahre alt warst und aussahst und dachtest wie ein Fünfzehnjähriger. Hallito hatte übrigens nicht ganz recht. Auch später gab es immer wieder Phasen, in denen du dich äußerlich rascher entwickeltest als ein normaler Mensch. Vor gut einer Woche sah ich dich zuletzt, du sahst schon fast wie ein Hundertjähriger aus, aber das ist wohl auch deinen kurzgeschnittenen grauen Haaren und den feinen Falten in deinem Gesicht zuzuschreiben. Innerlich aber bist du 39 Jahre alt – und so schweigsam geblieben wie du immer warst.

Mit Hallito und Laro verschwand auch deren Bekannte Eloisa aus deinem Leben, aber nur scheinbar. Die beiden treuen Freunde verließen die SOL zusammen mit zwei Dutzend Verfolgter, die eine Korvette kaperten und mit dem Beiboot auf einem Planeten

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landeten, den die SOL anflog, um von den Pyrriden lebensnotwendige Rohstoffe an Bord bringen zu lassen. Das war im Jahr 3754, und das war auch der Tag des ersten großen Blutbads, das Tineidbha als High Sideryt unter den Solanern anrichten ließ. Die Pyrriden fanden unsere Freunde nicht, mögen sie auf ihrer namenlosen Welt eine neue Heimat gefunden haben, in der ihre Kinder und Kindeskinder niemals in Sklaverei leben müssen. Tineidbha ließ tagelang Exempel statuieren, wie sie es nannte. Und schon damals hätte ich dem ein Ende machen müssen.

Ich hatte die Kraft noch nicht. Und übrigens – falls du bis zum heutigen Tag keine Erinnerung an Hallito und Laro und eine Frau namens Eloisa besaßest, dann deshalb, weil wir das für richtig hielten und etwas … nachhalfen. Verzeih mir auch das.

Du solltest deinen Weg allein gehen, als Findelkind, das nie eine richtige Bleibe hatte und entweder stark wurde oder unterging, bevor sein Leben erst richtig begonnen hatte. Und du bist ihn gegangen!

Breck, du kennst die weiteren Stationen deines Lebens. Ich will dir nichts sagen, das du schon weißt. Was am frühen Morgen dieses 15. Oktobers 3788 begann, ist für dich wichtiger, um mich zu verstehen und über die letzten verborgenen Hintergründe Klarheit zu bekommen. Ich fürchte, du mußt noch einmal die Zähne zusammenbeißen.

*

Ich wachte von Schreien und vom Fauchen von Schüssen auf. In dieser Nacht hatte ich bei einer etwa zwanzigköpfigen Gruppe einfacher Solaner geschlafen, deren vollgestopfte Unterkünfte sich in einem der am stärksten bevölkerten Bereiche der SZ-2 befanden. Erst später am Tag erfuhr ich, daß einige in der Nähe lebende Buhrlos der Grund für das Strafgericht waren, weil sie sich

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geweigert hatten, nach ihrer Rückkehr aus dem Weltraum das aufgenommene E-kick in die Akkus abzugeben.

Ein Buhrlo war es auch, der mich hochzerrte und aus der Gefahrenzone zu bringen versuchte. Seine Mühe war umsonst. Jemand aus unserer Mitte mußte der SOLAG alle Fluchtwege verraten haben. Der ganze Sektor war von Vystiden und Haematen umstellt, und sie feuerten gnadenlos auf alles, was sich bewegte. Es war schlimmer als das Massaker in der Bastion, das ich nur indirekt miterlebte.

Hier war ich plötzlich mittendrin. Mein Buhrlo schleuste mich durch verstopfte Gänge, als ich noch viel zu entsetzt und benommen war, um selbst zu handeln. Erst als wir vor den Vystiden standen, kam ich zu mir, und da war es auch schon zu spät, wenigstens für ihn.

Der Buhrlo starb auf der Stelle, als ihm der Energiestrahl durch die Brust ging. Noch im Tod umklammerte er meine Hand und riß mich stürzend mit zu Boden. Der Schuß, der für mich bestimmt war, ging nur um Millimeter an meinem rechten Ohr vorbei. Für die Verbrecher muß es dennoch so ausgesehen haben, als hätten sie mich erwischt. Ich blieb flach auf dem Bauch liegen, zwischen Leichen, Breck! Ich lag da, konnte nicht atmen, durfte es nicht. Ich hörte, wie Männer, Frauen, Alte und Kinder um Gnade flehten und Schüsse als Antwort bekamen.

Dies war die von Tineidbha geführte SOL, Breck! Dies war ihre Art, Dutzende von Unschuldigen für das zu bestrafen, was einige wenige getan hatten.

Ich kochte vor Zorn und Verzweiflung, doch nur nicht bewegen! Nicht aufspringen und dem nächste Haematen ins Gesicht schlagen! Nie zuvor hatte ich meine Schwester so gehaßt wie in diesen Minuten, doch selbst da hätte der Haß noch nicht ausgereicht, wenn ich nicht Charts Stimme gehört hätte.

Die Welle der Vernichtung menschlichen Lebens rollte über mich hinweg, die einzige Lebende unter all den Toten am Boden. Die

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Vystiden stiegen über unsere Körper und jagten die Flüchtenden weiter vor sich her. Dann blieben drei Männer direkt über und hinter mir stehen.

Einer von ihnen war der Magnide, der diese Aktion leitete, die anderen beiden Offiziere, deren Namen berüchtigt waren.

Ich lag da, schwitzend, angst- und zornbebend, und hörte, wie Chart sagte:

»Es reicht jetzt, Aksel!« Aksel von Dhrau, der auf dem Sprung stand, Chef der Vystiden zu

werden. Er war der schlimmste von allen! »Es reicht noch lange nicht, Chart. Diesmal räumen wir so mit

dem Pack auf, daß …« »Ich sagte, es ist genug!« herrschte Deccon ihn an. »Seit wann muß

ein Magnide einem wie dir etwas zweimal sagen!« »Und seit wann setzt ein Magnide sich über den Befehl des High

Sideryt hinweg?« Ich sah nur aus den Augenwinkeln heraus ihre Stiefelspitzen und

den Saum von Charts weißem Gewand. Aber ich konnte mir in allen Einzelheiten vorstellen, wie sie sich gegenüberstanden, mit zornigen Blicken und geballten Fäusten.

»Ein High Sideryt ist nicht dazu da, um die Bewohner der SOL auszurotten«, knurrte Chart. »Und ein Magnide nicht, um dazu den Handlanger zu spielen. Falls der High Sideryt das denkt, soll er sich einen anderen dazu aussuchen. Gallatan Herts meinetwegen oder Kölsch, den Monsterjäger vom Dienst!«

Er redete nicht von irgendeinem High Sideryt. Er sprach von Tineidbha!

Ganz flüchtig dachte ich, daß Chart Kölsch unrecht tat, dessen Werdegang mir bekannt war. Kölsch hatte nie Spaß an seinen Monsterjagden gehabt. Sein Leben besaß seine eigene Tragik.

»Ja«, sagte von Dhrau. »Ich glaube, du hast recht.« Auch Chart mußte sich der Doppeldeutigkeit dieser Worte, der

Gefährlichkeit dieses Mannes bewußt gewesen sein, denn seine

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Stimme überschlug sich, als er brüllte: »Dann gib endlich den Rückzugsbefehl, Mann! Ich schwöre dir,

für jeden Solaner, der jetzt noch stirbt, stelle ich einen deiner Haematen vor ein Gericht!«

»Und mich dazu?« fragte von Dhrau provozierend. Chart gab keine Antwort. Gab es etwas, womit von Dhrau ihn in

der Hand hatte? Natürlich wußte er um Charts intime Beziehung zu Tineidbha, das wußten sie alle; die sich im zweifelhaften Licht der ersten und zweiten Wertigkeit sonnten.

Von Dhrau sagte ebenfalls nichts mehr. Er und der andere Vystide marschierten davon. Ein Kommando wurde gebrüllt und weitergegeben. Die Schüsse erstarben.

Nur Chart blieb zurück, blieb mit gespreizten Beinen über mir stehen, fast als ahnte er, wer da unter ihm lag.

»Das ist nicht der Weg, den wir zu gehen haben«, sagte er leise zu sich selbst. »Manchmal glaube ich, daß der Preis zu hoch ist. Eines Tages, Tineidbha, wird einer von uns beiden siegen.«

Damit ging auch er. Ich blieb lange Zeit liegen, einerseits, um das eben Gehörte zu

begreifen, zum anderen, um nicht doch noch einem zurückkehrenden Trupp in die Hände zu fallen.

Nie war die Versuchung so groß, aufzuspringen und ihm einfach nachzurennen, ihm zu sagen: »Schau her! Erkennst du das Monster wieder und die Stimme?« Nie war ich so wild entschlossen, ihn aus den Klauen Tineidbhas zu reißen.

Er haßte sie für ihre Grausamkeit, aber auch er fand nicht den Mut, sich von ihr zu lösen. Er haßte sich dafür, diese Strafexpedition anzuführen, wagte es aber nicht, sich dem Befehl zu widersetzen. Und ich durchschaute Tineidbha, wußte plötzlich, daß sie ihm immer wieder ähnliche Aufträge erteilen würde, damit auch der letzte Rest Menschlichkeit aus ihm ausbrannte!

Sie hatte ihm das unbändige Verlangen eingeimpft, eines Tages ihr Nachfolger zu werden, so wie sie Amalmann II auf den Thron

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folgte. Sie wußte, daß sie ihn mit ihrem alternden Körper allein nicht mehr an sich fesseln konnte. Doch sie mußte ihn besitzen. Konnte man das, was sie in ihre mörderische Eifersucht trieb, jemals Liebe genannt haben? Jetzt jedenfalls war es nur noch Machtgier, die Gier, ihn zu besitzen.

Chart, auch das war mir klar, würde nie der High Sideryt sein können, der von so vielen Geknechteten erwartet wurde wie ein Messias. Dazu war es zu spät. Aber etwas gab es noch zu retten. Einen Menschen.

Als alles um mich herum ruhig war und bevor die Roboter kamen, um die Toten wegzuschaffen, stand ich auf und gelangte unangefochten in eines der Verstecke, die ich vor fast vierzig Jahren benutzt hatte.

Drei Dinge hatte ich jetzt noch zu tun. Ich hob die Bodenplatte an, unter der mein erster Bericht

verborgen war, und zog zwischen den Lesefolien das Bild hervor, das Hallito mir als letztes Geschenk hinterlassen hatte. Es zeigte dich als Kind und mich, wie ich vor dem angeblichen Strahlenunfall aussah. Es waren zwei identische Montagen gewesen. Eine davon hatte ich bei dir verstecken lassen, du wirst sie inzwischen längst gefunden haben.

Diese zweite wird Chart bekommen. Ich weiß noch nicht, wie mir das gelingt, ich weiß nicht, wie ich die Berichte von denen ich den zweiten jetzt begann, in das Logbuch schmuggele. Aber ich muß es schaffen! Und ich werde es, irgendwie!

Das dritte, das mir zu tun bleibt? Ich werde Tineidbha töten, Breckcrown. Und ich werde es sie

vorher wissen lassen. Chart will nach ganz oben, an die Spitze der Macht. Ich schwöre dir, es dauert keine zwei Monate mehr!

*

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7. 11. 3788

Breckcrown, heute hatte ich die ersehnte Chance, und ich habe sie genutzt!

Ich besitze einiges an Waffen, ich hätte in einem geeigneten Augenblick sogar in die Zentrale stürmen und Tineidbha erschießen können, aber das wäre ein zu einfacher Tod für sie. Ich will sie nicht quälen, so wie sie andere für ihr Leben lang quälte. Sie soll nur wissen und Zeit zur Reue haben, falls sie zur Reue überhaupt noch fähig ist.

Sie soll die Chance erhalten, zu büßen und vor einen höheren Richter zu treten.

Ich besitze Waffen. Es gab Augenblicke, in denen ich sie benutzen mußte, um zu überleben. Ich habe niemanden getötet, nie! Ich benutzte den Paralysator, auch heute, als ich die Ahlnatin lähmte und gefesselt an einem Ort versteckte, wo sie so schnell niemand findet.

Wer sie ist, spielt keine Rolle, schon eher, was sie ist. Sie hat Charts Vertrauen. Sobald er von Tineidbha einen Auftrag bekommt, der ihn in die SOL führt und den er nicht allein ausführen kann, bei dem er keine Vystiden und andere Handlanger braucht, nimmt er sie mit.

Ich verfüge mittlerweile über ein eigenes … du würdest sagen: Nachrichtennetz. Wir sind viele, kaum einer kennt den anderen, aber das Elend schweißt uns zusammen, die Gefahr eines Verrats gebietet die Anonymität. Ich hatte nie das Zeug zu einer Führerin, aber ein anderer in meiner Position hätte wohl unter Tineidbhas Knute eine Rebellion gegen die SOLAG anzetteln und auch erfolgreich durchführen können.

Ich habe zuviel Blut fließen gesehen. Und ich will nicht mehr daran denken.

Jedenfalls erfuhr ich, daß Tineidbha Chart damit beauftragte, wieder einmal gegen Buhrlos vorzugehen, die ihr E-kick verweigerten. Die Strafaktion vom 15. Oktober wurde übrigens von

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Tineidbha als eine Großtat Charts hingestellt, mit der er eine Krise der SOLAG erfolgreich meisterte. Kannst du dir eine bitterere Ironie vorstellen?

Als Chart die Ahlnatin aufsuchte, um mit ihr zu den Buhrlos zu gehen, – fand er mich an ihrer Stelle und in ihrer Maske. Die Verstellung war kein großes Kunststück, denn sie besaß meine Körpergröße und etwa meine Stimme.

Wir gingen allein zu den betreffenden Weltraumgeborenen. Es war Charts Wunsch gewesen, und die Hexe hatte ihn lächelnd erfüllt, aber dabei gedacht: Dann sieh zu, wie du es auf diese Weise schaffst. Sie hatte ihm eine Frist von fünf Stunden gesetzt. Waren die Buhrlos dann nicht zur E-kick-Abgabe bereit, sollten wieder die Soldaten zum Einsatz kommen.

Tineidbha gab Chart keine Chance. Ich verschaffte sie ihm. Dieses eine Mal sollte er zu ihr zurückkommen und über sie triumphieren. Ich glaube, ich muß dir das Gefühl nicht beschreiben, neben ihm zu gehen, nach so vielen Jahren etwas gemeinsam mit ihm zu tun.

Das Problem mit den Buhrlos war schnell aus der Welt. Ich hielt mich zurück und ließ Chart reden und drohen. Wenn er gewußt hätte, wie weit offen die Türen standen, die er einrannte! Die Buhrlos waren längst vorher von mir informiert worden. Ich kannte drei von ihnen, hatte ihnen einmal durch eine Warnung das Leben gerettet, und nun halfen sie mir. Sie folgten Chart zu den Akkus und gaben ihr E-kick nach einem Scheingefecht bereitwillig ab.

Aber noch ein zum Schein geführtes Gefecht war nötig. Eine Handvoll ebenfalls in meiner Schuld stehende Solaner lauerten uns auf dem Rückweg auf und schlugen Chart von hinten nieder. Kannst du dir übrigens seinen Trotz gegen Tineidbha vorstellen, daß er selbst auf die jedem Magniden zustehende Robotleibwache verzichtet hatte?

Chart lag bewußtlos vor mir. Meine Hände zitterten, als ich das Foto aus meiner Tasche zog und es ihm zusteckte. Ich wußte, er würde es Tineidbha zeigen, wenn er begriff, wer das Kind auf dem

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Arm seiner totgeglaubten Partnerin war. Um ganz sicherzugehen, schrieb ich auf die Rückseite: »Für den High Sideryt!«

Darunter standen einige Zeichen einer Geheimsprache, wie manche Kinder sie sich zurechtbasteln, so auch Tineidbha und ich. Nur sie kannte den Schlüssel, nur sie konnte wissen, wer als einziger außer ihr noch die Geheimtinte zusammenbrauen konnte, die nach etwa einer Woche verblaßte und rückstandslos verschwand.

Als Chart zu sich kam, war er allein, jedenfalls glaubte er das. Ich beobachtete ihn über eine winzige Spionsonde, die ihm folgte, als er wutschnaubend zur Zentrale zurückstampfte und später Tineidbha in ihrer Klause aufsuchte.

Chart hatte das Foto bereits entdeckt, als er Tineidbha gegenüberstand. Ich sah ihr Gesicht auf meinem kleinen Videoschirm, wie sie es anstarrte und dann drehte.

Ich sah noch nie einen Menschen so bleich werden. Sie fiel in ihren Sessel und las die Nachricht:

»Geliebte Schwester! Zähle nun jeden Tag und bete am Abend darum, den nächsten Morgen zu erleben! Wozu mir vor fast vierzig Jahren die Kraft fehlte – jetzt habe ich sie!«

Weiterer Worte bedurfte es nicht. Mehr hatte ich ihr nicht zu sagen. Sie ließ das Foto fallen. Ihre Hände zitterten. Chart brachte ihr etwas in einem Glas, doch sie biß die Zähne aufeinander, schrie dann und verlangte nach E-kick, einer Mordsdosis E-kick!

Er brachte ihr auch das, beugte sich über sie und fragte, was, um alles in der Welt, die Geheimzeichen zu bedeuten hätten.

»Laß mich in Ruhe!« zischte sie ihn an. »Nimm das Bild und vernichte es. Es ist eine Fälschung, siehst du das nicht! Idilpraheitbha hatte nie ein Kind, und sie ist tot, verdammt! Seit vierzig Jahren tot!«

Er wich vor ihr zurück, mit einem Blick, in dem sich Entsetzen mit Mitleid mischte, Furcht mit Hilflosigkeit.

»Sie ist tot!« schrie Tineidbha wieder. »Tot, wie der verdammte Bastard sein wird, der dir das Foto gab, wenn ich ihn jemals in die

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Hände bekomme!« Chart wandte sich von ihr ab. Seinen massigen Körper mußte er

mit einer Hand abstützen, als er sich nach dem Bild bückte, um nicht vornüber zu kippen. Er steckte es wieder ein und ging wortlos zur Tür.

Tineidbha rief ihn zurück: »Entschuldige, Chart! Bei allen Planeten, es war nicht so gemeint!

Aber das ist grausam! Irgend jemand treibt ein grausames Spiel mit uns!«

»Ja.« Mehr sagte er nicht. Seine Miene war wie versteinert, als er die

Klause verließ, Tineidbhas flehend nach ihm ausgestreckte Arme ignorierend.

Sie bekam einen Tobsuchtsanfall, schleuderte alles gegen die Wände, das ihr nur irgendwie in die Hände kam. Ihr Gesicht war eine Fratze, Breckcrown! Natürlich durfte sie ihm nicht sagen, was sie aus den Zeichen gelesen hatte, durfte sie nicht zugeben, daß sie ganz genau wußte, wer sie geschrieben hatte. Sie hätte damit alles verraten, was sie ihm all die Jahre lang vorenthalten hatte.

Schließlich brach sie zusammen und gab sich noch eine Dosis E-kick. Ich saß vor dem Schirm und hoffte, sie würde schon daran sterben und mir die Tat ersparen, zu der ich nun noch entschlossener war.

»Du kannst nicht leben, Idilpraheitbha!« schrie sie die Wände an. »Ich habe gesehen, wie du in den Weltraum gerissen wurdest!«

Sie beugte sich in ihrem thronähnlichen Sessel auf einem der sieben Podeste des mit einem Wust an Technik ausgestatteten Raumes vor und kniff die Augen zusammen, drehte den Kopf, hob und senkte ihn, schien in der Luft nach Geistern zu suchen. Ich begriff da, wie nahe sie bereits dem Wahnsinn war, aber ich hatte kein Mitleid mehr.

»Oder treibst du dich doch noch im Schiff herum, kleine Hure? Oh, du hast mich schon einmal getäuscht.« Eine Hexe! Eine alt

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gewordene Hexe! Ihre Stimme wurde zum Flüstern. »Komm, Schwester, dann zeige dich! Erscheine mir wie ein Geist!« Die Augen stachen ins Leere, die Finger wurden zu Klauen. »Du willst mich umbringen! Zeig mir wie! Zeig es mir, wenn du kannst!«

Ich tat es. Ich drückte den Daumen in eine Vertiefung des Geräts, das ich in

der Hand hielt. Der Bildschirm wurde dunkel, als die Mikrosonde in Tineidbhas Klause in einem Lichtblitz verging. Oh, die Explosion tötete sie nicht, konnte sie nicht einmal verletzen. Dazu war es noch zu früh.

Tineidbha sollte nur wissen, daß selbst die ausgeklügelten Sicherheitseinrichtungen ihrer Klause sie nicht schützen konnten. Und sie begriff. Die wirren Befehle, die sie an die Zentrale gab und die zu den Ahlnaten und Vystiden durchsickerten, bewiesen es deutlich. Noch mehr sagte mir die schiffsumfassende Suchaktion, die sie nach der jungen Ahlnatin durchführen ließ, die Charts Vertrauen genoß. Er hatte sie ganz bestimmt nicht an sie verraten, vielleicht einer der anderen Magniden – Nurmer, Herts, Kölsch, Gerigk, und wie sie alle hießen. Es spielte keine Rolle.

Lyta Kunduran befand sich vor ihr in Sicherheit. Sie war noch paralysiert, als sie von einigen befreundeten Extras abgeholt wurde, die sie so lange verstecken sollten, bis es einen neuen High Sideryt der SOL gab.

Ich könnte mir denken, Breck, daß, wenn du dies liest, die Ahlnatin den Sprung nach oben geschafft hat. Chart mag sie, obwohl er das ihr gegenüber nie zugeben würde, nicht zuletzt deshalb, weil sie anders über die Zukunft der SOL denkt als er und die meisten Magniden. Sie fühlt sich berufen, dem Schiff ein Ziel zu geben, verstehst du? Wieder ein richtiges Ziel, wie es einmal gewesen war, als Perry Rhodan und dessen Stab noch die Geschicke der SOL in Händen hielten. Außerdem ist sie technisch begabt und hat ein fast paranormales Verständnis für Positroniken. Einige Ahlnaten haben ihr deshalb den Spitznamen »Bit« gegeben.

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Sie ist blutjung, erst 26 Jahre alt. Falls Chart sich durch sie an mich erinnert fühlt, wird er Pech haben. Lyta gilt als sexuell kalt. Aber was dürfte das dich interessieren!

Breck, ich habe eine schwere Entscheidung vor mir – nicht aber das ob, nur über das wie. Himmel, ich bin keine Mörderin!

Ich fürchte, ich muß erst noch lernen, eine zu werden! Frage auch Lyta nie nach einer Eloisa Hayes. Du kannst ihr mein

Bild vorhalten, aber das ist vergebliche Liebesmüh. Sie wird sich an nichts erinnern, und das habe ich wie so vieles einem alten Freund zu verdanken, der etwas in ihrem Gehirn tun wird, das ich selbst heute noch nicht begreife. Sie wird vergessen, so wie Chart vergessen wird, daß ich ihm das Foto in ihrer Verkleidung zusteckte. Einige werden sich fragen, wo Lyta so lange steckte – das ist alles.

Und falls du eines Tages doch etwas über die Frau erfahren willst, die deine Mutter war, dann suche einen Extra, den sie »Fliege« nennen. Du wirst gute Chancen haben, denn Fliege scheint ewig zu leben. Ich fand ihn vor zwölf Jahren wieder, und er wird mir noch einmal helfen, du ahnst, wobei. Ich liebe auch ihn, nicht wie ich Chart liebte und liebe, sondern wie Geschwister sich lieben können.

* 4. 12. 3788

Heute ist der Tag, Breckcrown. Ich las mir die fertig geschriebenen Berichte – oder mein

Tagebuch? – in den letzten Stunden immer wieder durch. Etwas stimmt nicht. Ich hatte Mitleid mit Tineidbha, und es wuchs, als ich sah und hörte, wie unsinnig ihre Befehle an die SOLAG wurden. Das Schlimmste ist, sie befiehlt keine Strafexpeditionen mehr. Dafür ordnet sie Dinge an, die vollkommen unsinnig sind. Sie läßt Pyrriden Raummanöver zwischen den Galaxien durchführen. Sie

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läßt die in letzter Zeit aufgetauchten Gruppen der Terra-Idealisten (es heißt, eine von ihnen besitze einen Brocken aus echter Terra-Erde) öffentlich von dem Leben auf der Erde berichten, so wie sie sich das vorstellen. Sie schickt Ferraten in die Beiboothangars, um dort nach Lecks in der Außenhülle des Schiffes zu suchen, die jede Hangarpositronik automatisch gemeldet hätte.

Sie ist nicht mehr Herrin ihrer Sinne, Breck, aber noch High Sideryt – und sie hat nach wie vor die Macht. Was sich um sie herum abspielt, ist eine Tragödie, wie sie die SOL vielleicht noch nicht erlebt hat. Bis gestern war ich versucht, meine Absicht fallen zu lassen. Gestern noch dachte ich wahrhaftig daran, irgend etwas zu tun, um ihr zu helfen!

Dann befahl sie, mit der SOL in den Linearflug zu gehen. Sie wehrte alle Proteste der Magniden ab, die ganz genau wußten, daß sich über fünfzig Buhrlos noch im Weltraum befanden.

Und das gab den Ausschlag. Ich kannte einige dieser Raumgeborenen zu gut. Und ich weiß, daß keiner der Magniden, auch Chart nicht, den Mut aufbringen würde, den Wahnsinn aufzuhalten, der von Tineidbha ausgeht.

Ich darf nicht zulassen, daß sie das Schiff zum Massengrab werden läßt, die SOL, die wir lieben und hassen mögen, aber die doch unser aller Heimat ist.

Breck, es wird trotz aller mir zur Verfügung stehenden Möglichkeiten nicht einfach sein, diese Folien ins Logbuch zu schmuggeln. Wenn der Todestag Tineidbhas zu deiner Zeit mit dem 4.12. 3788 angegeben wird, weißt du, daß ich beides schaffte – ans Logbuch zu gelangen und sie zu töten. Sie ist krank, nicht nur im Geist. Sie siecht dahin und begnügt sich nicht damit, daß sie sterben wird. Mit ihr soll die SOL zu existieren aufhören. Ich kann nur hoffen, daß es nicht zu spät ist und sie nicht schon entsprechende Vorkehrungen getroffen hat.

Wenn du dies liest, weißt du, daß Chart die Originalberichte gelesen und vernichtet hat. Vergib ihm und vergib mir, und

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vergesse nie die vielen Freunde, die dich auf deinem Weg begleitet haben, ob sie nun Fliege, Hallito, Genork, Laro hießen oder für immer namenlos bleiben werden.

Geh deinen Weg, Breck! Falls Chart dich als seinen Sohn erkannt hat, wird er dich zum High Sideryt gemacht haben – so es in seiner Macht stand. Ändere die Verhältnisse, unter denen du aufgewachsen bist.

Gib jenen eine Chance, die dich als Kind behüteten – den Extras, den sogenannten Monstern, den Buhrlos und Halbbuhrlos, den Solanern ohne Rechte!

Und – lebe wohl. Idilpraheitbha.

8. Wann starb Eloisa Hayes?

Hayes saß lange zurückgelehnt und mit geschlossenen Augen. Und lange noch hallte der Appell in ihm nach, dessen Eindringlichkeit er sich nur versuchen konnte, vorzustellen. Er sah das Gesicht Idilpraheitbhas – das Gesicht der jungen Frau auf dem Bild –, doch nun von Farbe und Leben erfüllt.

Mutter, dachte er erschüttert. Du hättest dich zeigen sollen! Wenn du mir dieses zutrautest, einmal die SOL zu führen, warum glaubtest du, daß ich dein Gesicht nicht ertragen würde?

Etwas streifte sein Bewußtsein, das er noch nicht völlig erfaßte. Er wußte nur, daß der Bericht unvollständig war. Das Datum stimmte. Der Todestag Tineidbha Daraws und damit der Amtsantritt Chart Deccons als High Sideryt war der 4. Dezember 3788 gewesen. Eloisa hatte nicht verraten, wie sie die Schwester umbringen würde. Aber es war ihr offenbar gelungen.

Breckcrown Hayes schaltete das Lesegerät endgültig aus, nahm die Folien und legte sie sorgfältig ins Logbuch zurück.

Gift? War es ein Gift gewesen, das Tineidbha auch körperlich

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verfallen ließ? Hatte Idilpraheitbha den 4. 12. nur zu dem Tag bestimmt, an dem etwas vollendet werden sollte, das bereits vorher seinen Anfang genommen hatte?

Auch das Wissen um ihre Weiterexistenz war Gift für Tineidbha gewesen, überlegte der High Sideryt.

Ungeklärt war ebenso, wie seine Mutter es schließlich fertigbrachte, die Berichte ins Logbuch zu schmuggeln. Hayes mußte auch dies als Tatsache hinnehmen. Und Deccon hatte sie gelesen und eliminiert, wie er glaubte. Wann das gewesen war, stand in den Sternen. Doch von diesem Tag an hatte er die wahren Zusammenhänge gekannt.

Hayes schauderte, als er sich an das erste Mal erinnerte, daß er Chart Deccon von Angesicht zu Angesicht gegenüberstand, wenn auch nur per Bildschirm. Den Blick Deccons, den kurzen Moment, als der mächtige und einsame Mann seine Maske fallen ließ und ungläubiges Erstaunen zeigte, würde er nie im Leben vergessen.

Er hat mich auf Anhieb erkannt! Hayes war danach, irgend etwas zu tun, in dem sich die ganze

Anspannung entlud, die sich in ihm gestaut hatte. Er erschrak, als sein Blick auf die Datumsanzeige fiel. Seit er zu lesen begonnen hatte, waren mehr als 24 Stunden vergangen!

Er mußte wieder unter Menschen, unter Lebende! Hayes verließ die Kabine und war kurz darauf in der Zentrale. Er

nickte nur und ignorierte die fragenden Blicke, die ihm von den Stabsspezialisten zugeworfen wurden.

Für einen Augenblick hatte er die Vision der Zentrale, wie sie noch vor wenigen Jahren ausgesehen hatte, der runde Tisch mit den streitenden Magniden, von denen einer Chart Deccon war.

Konnte es etwas geben, das ihm eindringlicher vor Augen führte, wie sehr sich das Bordleben in dieser relativ kurzen Zeit zum Positiven hin verändert hatte, als Idilpraheitbhas Berichte?

»Du siehst müde aus, Breck«, sagte Wajsto Kölsch. »Aber was sage ich! Wir alle könnten ein paar Stunden Schlaf gebrauchen. Echten

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Schlaf, meine ich. Nicht dieses Dahindämmern und bei dem leisesten Geräusch aufspringen, weil man darauf wartet, daß etwas geschieht.«

»Nichts Neues?« fragte Hayes geistesabwesend. Er hatte etwas übersehen! Was? »Nichts. Weder von der CHART DECCON, noch von Atlan.

Sprich bald zur Besatzung, Breck. Die Stimmung ist noch gedrückter als in den Tagen, als wir darüber rätseln mußten, welche Art Rache Hidden-X an uns vollzogen habe.«

Fliege? »Wie viele insektoide Extras gibt es eigentlich an Bord?« fragte

Hayes spontan. Kölsch kniff die Augen zusammen. »Was ist mit dir los, Breck? Ich sehe doch, daß du … mit den

Gedanken ganz woanders bist.« Lyta Kunduran betrat die Zentrale. Hayes starrte sie an, bis sie

leicht errötete. Sie hatte es geschafft. Auch damit hatte Eloisa recht behalten. Und alle hatten vergessen.

Eloisa hatte so vieles richtig vorausgesagt. Nur etwas fehlte. Es fiel ihm wie Schuppen von den Augen, als er sich darüber klar

wurde, was ihn die ganze Zeit über gestört hatte. Es gab in dem zweiten Bericht keinen Hinweis darauf, daß Eloisa Hayes

krank war oder sonst irgendwie mit ihrem baldigen Tod rechnete! Dies war überhaupt kein Thema gewesen! Dann aber war es möglich, daß

sie … »Ich spreche später zur Besatzung«, sagte Hayes schnell. »Zuerst

brauche ich einige Auskünfte von SENECA.« Damit verschwand er, ohne sich noch einmal umzusehen. Lyta Kunduran schüttelte verblüfft den Kopf. »Kann mir vielleicht jemand sagen, was in Breck gefahren ist?« Kölsch seufzte. »Er war über einen Tag lang allein in seiner Kabine. Ich sah das

Logbuch auf seinem Tisch liegen, als wir uns kurz unterhielten.

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Aber was hat er darin gefunden, das ihn so aus dem Gleichgewicht bringen kann?«

»Und warum hat er mich so angesehen?« fragte Lyta. Kölsch grinste breit. »Vielleicht einige intime Berichte über dich, Bit? Stille Wasser sind

tief, sagt man ja …« »Ach, hör doch auf!« Bevor Breckcrown Hayes die Hyperinpotronik nach Eloisa

befragte, vergewisserte er sich der Richtigkeit der im Logbuch gemachten Angaben über Idilpraheitbhas Todestag. Es war nicht so, daß er Eloisas Bericht in Frage stellte. Er wollte es nur noch einmal hören – von SENECA.

»Daraw, Idilpraheitbha«, erhielt er zur Antwort, »ums Leben gekommen bei einem Vakuumeinbruch in Hangar SZ-2-24, 16. 3. 3750, 16.45 Uhr.«

Hayes nickte grimmig. »Und nun Hayes, Eloisa. Ich brauche alle Daten über sie, die in dir

gespeichert sind.« Die Antwort kam in Sekundenschnelle: »Über eine Person dieses Namens liegen keine Informationen

vor.« Und das hieß: Es gab sie nicht, hatte sie offiziell nie gegeben.

SENECA wußte nichts von der Existenz dieser Frau, konnte also auch nichts über ihren möglichen Todestag sagen.

Das bedeutete aber auch, daß Hayes' Hoffnung vergeblich gewesen war, Eloisa hätte ihm über SENECA einen Hinweis auf ihren Verbleib geben wollen.

»Das Geburtsdatum von Idilpraheitbha Daraw!« versuchte der High Sideryt es anders. »Es muß mit dem von Eloisa Hayes zusammenfallen, auf die Minute identisch sein!«

»Ich bedaure wieder. Die entsprechenden Daten wurden gelöscht.«

Hayes biß sich auf die Lippen. Er brauchte erst gar nicht zu fragen,

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von wem. Tineidbha mußte in ihrer krankhaften Eifersucht den Gedanken

nicht ertragen haben, daß ihre Schwester jünger war. So kam er nicht an Eloisa heran. Er hätte ihr Alter genau

bestimmen und sie darüber vielleicht ausfindig machen können. Doch er wollte nicht aufgeben, jetzt noch nicht. »SENECA, alle Nichtsolaner an Bord sind in deinen Speichern

erfaßt?« »So ist es.« »Sie sind nach körperlichen Merkmalen zu Gruppen

zusammengefaßt?« »Im Zuge einer der von dir selbst vorgenommenen Reformen«,

bestätigte die Positronik, »um ihre speziellen Bedürfnisse optimal befriedigen zu können.«

Natürlich, das wußte er. Es war auch mehr eine Feststellung gewesen.

»Ich brauche eine Liste aller insektoiden Extras, die zusätzlich folgende Merkmale aufweisen.« Er nannte aus dem Gedächtnis alles, was im ersten Bericht über Fliege ausgesagt worden war.

Wenn er sich aber verborgen gehalten hatte, als die Erfassung vorgenommen wurde?

Nach drei Sekunden hielte er eine frisch ausgedruckte Folie in den Händen, auf der alle Daten über etwa vierzig Extras standen. Hayes überflog sie nur flüchtig. So groß die Versuchung auch war, er mußte sich vorerst um die Besatzung kümmern.

Wichtig waren ihm in erster Linie die Angaben über den zuletzt festgestellten Aufenthaltsort der Extras. Hayes faltete die Folie zusammen und steckte sie in eine Tasche der Kombination.

Sobald er die Zeit dazu fand, würde er mit der Suche beginnen. Und Eloisa? »Sie kann heute noch leben«, murmelte der High Sideryt. SENECA eine Beschreibung von ihr zu geben, war ebenso sinnlos

wie die Nennung des Datums 4.12. 3788 und die Aufforderung, ihm

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eine Liste aller nach diesem Tag registrierten Todesfälle an Bord anzufertigen. Eloisa wollte nicht, daß man sie fand. Sie besaß ein zu reichliches Reservoir an Masken.

Und sie könnte mich die ganzen Jahre über weiter beobachtet haben! Eine Frau, die irgendwann in einem Korridor an mir vorbeikam und mir einen verstohlenen Blick zuwarf. Eine Frau, die ich nur hätte festzuhalten brauchen!

Hayes sprang auf und suchte etwas in der Luft, etwas Winziges, das sich vielleicht durch ein Glitzern verriet.

Sie kann mich selbst jetzt beobachten, mit einer ebensolchen Spionsonde, wie sie sie schon mindestens einmal verwendete!

»Dann schau mich an, Eloisa!« rief er in den Raum. »Sieh dir mein von Solwürmern zerfressenes Gesicht an! Und da willst du Angst davor haben, ich könnte … mich vor dir entsetzen?«

Er erhielt keine Antwort. Er mußte sich vorerst damit zufriedengeben, endlich Licht in seine

eigene Vergangenheit gebracht zu haben, doch es war ein schmerzendes Licht.

Er verurteilte Eloisa nicht. Was sie getan hatte, konnte er nicht gutheißen, doch er brach nicht den Stab über einen Menschen, dessen Leben so viel Leid gekannt hatte.

Aber würde er je wieder an einer ihm unbekannten Solanerin einfach vorbeigehen können, ohne sich dabei zu fragen, ob sie nicht vielleicht eine Gesichtsmaske trug?

Sie hatte ihn auf seinem Weg begleitet. Sie hatte Weichen gestellt. Warum durfte sie nun die Früchte nicht ernten?

Falls sie noch lebt! Hayes sah ein, daß er schon allzu bereit war, an etwas zu glauben, das vielleicht nur ein Phantom war.

Zum letzten Mal blickte er auf das Bild der schönen jungen Frau mit dem Kind im Arm. Dann gab er sich einen Ruck.

Die nächsten Tage verbrachte er fast ununterbrochen in der Zentrale und widmete sich der realen Sorgen und Ängste realer Menschen. Während es draußen im All ruhig blieb, gab es innerhalb

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der SOL viel für ihn zu tun. Er suchte die Ablenkung und gewann mit der Zeit etwas Abstand zu dem, was ihn nur noch in den Träumen beschäftigte.

Am Abend des 13.12. 3804 nahm er sich dennoch vor, sich am nächsten Tag auf die Suche nach Fliege zu machen. Er konnte da noch nicht wissen, wieviel Zeit vergehen sollte, bis er seinen Entschluß in die Tat umzusetzen vermochte.

Niemand an Bord der SOL konnte auch nur ahnen, was ihnen der kommende Tag bringen würde.

ENDE

Nach der Exkursion in die Vergangenheit beschäftigen wir uns im Atlan-Band der nächsten Woche wieder mit den Problemen des Jahres 3804 Solzeit.

Hauptakteure des dramatischen Geschehens sind die Extras Cpt'Carch und Insider – und DER LETZTE ZEITHÜTER …

DER LETZTE ZEITHÜTER – diesen Titel trägt auch Atlan-Band 591. Der Autor des Romans ist Peter Terrid.