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Chemie und Computer Fachinformationszentrum Chemie: Wie geht es weiter? Ruben Eckermann Der Senat der Leibniz-Gemeinschaft empfiehlt, das Fachinformationszentrum Chemie nicht weiter zu fördern, weil es sich zu zögerlich neu ausgerichtet habe. Dies widerspricht teilweise dem Bericht der Bewertungsgruppe, welche die Angebote als zukunftsfähig und förderwürdig einstufte. Bereits im Jahr 2004 ließ der Senat der Leibniz-Gemeinschaft das Fach- informationszentrums Chemie (FIZ Chemie) durch eine Bewertungs- gruppe evaluieren. Diese empfahl Maßnahmen, mit denen sich das FIZ Chemie neu positionieren sollte: „Angebote mittels angewandter For- schung und Methodenentwicklung fundieren, mit Hochschulen koope- rieren und Markt- sowie Nutzungs- analysen verstärkt nutzen.“ Strategische Planung vermisst Die empfohlenen Maßnahmen hält der Leibniz-Senat jetzt für nicht ausreichend umgesetzt. Er ist, nach- dem er das FIZ Chemie im letzten Jahr erneut bewerten ließ, zu dem Er- gebnis gekommen, dass es „keine hin- reichende Grundlage gibt, auf der ei- ne erfolgversprechende Umsetzung der Maßnahmen für eine Neuausrich- tung zu erwarten wäre. Bund und Länder sollten daher das FIZ Chemie nicht länger als eigenständige Ein- richtung fördern.“ Der Senat kritisiert besonders, dass das FIZ Chemie erst nach dem Wegfall eines Großauftrags vom Chemical Abstracts Service im Jahr 2009 eine neue Strategie ange- gangen sei und diese dann nur zöger- lich umgesetzt habe. Zuvor hatte das FIZ Chemie gemeinsam mit dem Fachinformationszentrum Karlsruhe ein Konzept entwickelt, um sich neu auszurichten. Dieses hatten Bund und Länder im Jahr 2006 zurückgewiesen. Bleibt zukunftsfähig Der Senat stellt vor allem die nega- tive Bewertung bei Forschung und Methodenentwicklung heraus, da er diese für die Neuausrichtung des FIZ Chemie als maßgeblich ansieht. Im Bewertungsbericht wird sie ebenfalls gefordert und als notwendig für die Zukunftsfähigkeit des Instituts ange- sehen, da „die Entwicklung der infor- mationstechnologischen Grundlagen der Dokumentation, Aufbereitung, Bereitstellung und Vernetzung von wissenschaftlichen Erkenntnissen ge- genwärtig stark dynamisch ist“. Ins- gesamt legt der Bericht aber keines- wegs nahe, das FIZ Chemie nicht wei- ter zu fördern: „Das FIZ Chemie be- findet sich in einer Umbruchphase, in der die eingeführten Arbeitsfelder konsolidiert und weitergeführt, aber auch verstärkt neue Projekte in An- griff genommen werden. Die Bewer- tungsgruppe sieht hier im Grundsatz überwiegend erfolgversprechende und zukunftweisende Ansätze.“ In Zukunft solle das FIZ Chemie mehr angewandte Forschung ein- beziehen, um Produkte und Dienst- leistungen weiterzuentwickeln. Diese bewertet der Bericht fast vollständig als zukunftsfähig und förderwürdig, wenn auch vereinzelt nachgebessert werden müsse. Als nicht überzeugend stuft der Bericht nur einen Bereich ein: E-Science. E-Science baut Infor- mations- und Wissensplattformen auf und betreibt diese im Internet. Der Bericht kritisiert, dass sich das FIZ Chemie hierbei nicht an international anerkannten Standards orientiert. Anders als die Bewertungsgruppe geht der Senat nur kurz auf die zu- kunftsfähigen Produkte und Dienst- leistungen ein. Er bezeichnet die „tra- ditionsreichen Datenbanken Chemin- form und Infotherm als qualitativ überzeugend“ und lobt E-Learning- Angebote für wissenschaftliche Nach- wuchskräfte, hält diese aber für ver- besserungswürdig. So setzt der Senat in seiner Stellungnahme andere Schwerpunkte als die Bewertungs- gruppe und kommt insgesamt zu dem Ergebnis, das FIZ Chemie sei nicht förderwürdig. Kein Aus für die Angebote Das FIZ Chemie kündigte in einer Stellungnahme an, die „erfolgverspre- chenden Ansätze in Zukunft noch ak- tiver und offensiver weiterzuverfol- gen“. So hat das FIZ Chemie Diplom- und Masterarbeiten zur Marktfor- schung ausgeschrieben und einen An- trag zum Lernprozessmonitoring mit drei Berliner Hochschulen gestellt. Auf diese Weise werde die Zusam- menarbeit mit Universitäten und For- Nachrichten aus der Chemie | 59 | Mai 2011 | www.gdch.de/nachrichten 530

Fachinformationszentrum Chemie: Wie geht es weiter?

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Page 1: Fachinformationszentrum Chemie: Wie geht es weiter?

�Chemie und Computer�

Fachinformationszentrum Chemie: Wie geht es weiter?

Ruben Eckermann

Der Senat der Leibniz-Gemeinschaft empfiehlt, das Fachinformationszentrum Chemie nicht weiter zu

fördern, weil es sich zu zögerlich neu ausgerichtet habe. Dies widerspricht teilweise dem Bericht der

Bewertungsgruppe, welche die Angebote als zukunftsfähig und förderwürdig einstufte.

� Bereits im Jahr 2004 ließ der Senat der Leibniz-Gemeinschaft das Fach-informationszentrums Chemie (FIZ Chemie) durch eine Bewertungs-gruppe evaluieren. Diese empfahl Maßnahmen, mit denen sich das FIZ Chemie neu positionieren sollte: „Angebote mittels angewandter For-schung und Methodenentwicklung fundieren, mit Hochschulen koope-rieren und Markt- sowie Nutzungs-analysen verstärkt nutzen.“

Strategische Planung vermisst

� Die empfohlenen Maßnahmen hält der Leibniz-Senat jetzt für nicht ausreichend umgesetzt. Er ist, nach-dem er das FIZ Chemie im letzten Jahr erneut bewerten ließ, zu dem Er-gebnis gekommen, dass es „keine hin-reichende Grundlage gibt, auf der ei-ne erfolgversprechende Umsetzung der Maßnahmen für eine Neuausrich-tung zu erwarten wäre. Bund und Länder sollten daher das FIZ Chemie nicht länger als eigenständige Ein-richtung fördern.“ Der Senat kritisiert besonders, dass das FIZ Chemie erst nach dem Wegfall eines Großauftrags vom Chemical Abstracts Service im Jahr 2009 eine neue Strategie ange-gangen sei und diese dann nur zöger-lich umgesetzt habe. Zuvor hatte das FIZ Chemie gemeinsam mit dem Fachinformationszentrum Karlsruhe ein Konzept entwickelt, um sich neu

auszurichten. Dieses hatten Bund und Länder im Jahr 2006 zurückgewiesen.

Bleibt zukunftsfähig

� Der Senat stellt vor allem die nega-tive Bewertung bei Forschung und Methodenentwicklung heraus, da er diese für die Neuausrichtung des FIZ Chemie als maßgeblich ansieht. Im Bewertungsbericht wird sie ebenfalls gefordert und als notwendig für die Zukunftsfähigkeit des Instituts ange-sehen, da „die Entwicklung der infor-mationstechnologischen Grundlagen der Dokumentation, Aufbereitung, Bereitstellung und Vernetzung von wissenschaftlichen Erkenntnissen ge-genwärtig stark dynamisch ist“. Ins-gesamt legt der Bericht aber keines-wegs nahe, das FIZ Chemie nicht wei-ter zu fördern: „Das FIZ Chemie be-findet sich in einer Umbruchphase, in der die eingeführten Arbeitsfelder konsolidiert und weitergeführt, aber auch verstärkt neue Projekte in An-griff genommen werden. Die Bewer-tungsgruppe sieht hier im Grundsatz überwiegend erfolgversprechende und zukunftweisende Ansätze.“

In Zukunft solle das FIZ Chemie mehr angewandte Forschung ein-beziehen, um Produkte und Dienst-leistungen weiterzuentwickeln. Diese bewertet der Bericht fast vollständig als zukunftsfähig und förderwürdig, wenn auch vereinzelt nachgebessert

werden müsse. Als nicht überzeugend stuft der Bericht nur einen Bereich ein: E-Science. E-Science baut Infor-mations- und Wissensplattformen auf und betreibt diese im Internet. Der Bericht kritisiert, dass sich das FIZ Chemie hierbei nicht an international anerkannten Standards orientiert.

Anders als die Bewertungsgruppe geht der Senat nur kurz auf die zu-kunftsfähigen Produkte und Dienst-leistungen ein. Er bezeichnet die „tra-ditionsreichen Datenbanken Chemin-form und Infotherm als qualitativ überzeugend“ und lobt E-Learning-Angebote für wissenschaftliche Nach-wuchskräfte, hält diese aber für ver-besserungswürdig. So setzt der Senat in seiner Stellungnahme andere Schwerpunkte als die Bewertungs-gruppe und kommt insgesamt zu dem Ergebnis, das FIZ Chemie sei nicht förderwürdig.

Kein Aus für die Angebote

� Das FIZ Chemie kündigte in einer Stellungnahme an, die „erfolgverspre-chenden Ansätze in Zukunft noch ak-tiver und offensiver weiterzuverfol-gen“. So hat das FIZ Chemie Diplom- und Masterarbeiten zur Marktfor-schung ausgeschrieben und einen An-trag zum Lernprozessmonitoring mit drei Berliner Hochschulen gestellt. Auf diese Weise werde die Zusam-menarbeit mit Universitäten und For-

Nachrichten aus der Chemie | 59 | Mai 2011 | www.gdch.de/nachrichten

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schungseinrichtungen intensiviert und das Angebot des FIZ Chemie weiter ausgebaut und verbessert.

Die Geschäftsführung des FIZ Chemie betrachtet die Empfehlung des Senats als große Herausforderung. René Deplanque, Geschäftsführer des FIZ Chemie, ist zuversichtlich, dass die Produkte und Dienstleistungen auch künftig angeboten werden: „In seiner derzeitigen Form einer gemein-nützigen GmbH wird es FIZ Chemie vielleicht bald nicht mehr geben. Die Produkte, die Informations-, Ent-wicklungs- und Network ing- Dienst -leistungen werden aber sicher in einer anderen Lösung fortgeführt.“ Mit den verantwortlichen Gremien und dem Aufsichtsrat will die Geschäftsfüh-rung nun eine neue Organisations-form finden.

GDCh-Fachgruppe enttäuscht

� Der Vorstand der GDCh-Fach-gruppe Chemie-Information-Com-puter kündigte an, dem FIZ Chemie

beim Ausbau seiner Stärken fachlich zur Seite zu stehen. Die beiden Orga-nisationen arbeiten schon seit den Anfängen der Fachgruppe zusam-men. Ein aktuelles Beispiel hierfür ist die Chemieinformation-Aus-tauschbörse Xcitr (www.xcitr.org), die das FIZ Chemie gemeinsam mit der Fachgruppe und der „Division of Chemical Information“ der Ame-rican Chemical Society entwickelt hat. Auch bei den E-Learning-Ange-boten wie Chemgaroo hat die Fach-gruppe mitgewirkt. Deren Vorstand ist daher enttäuscht von der Emp-fehlung des Senats: „Die deutsche Chemie kann es sich nicht erlauben, auf die Kompetenz und die damit verbundene positive Öffentlichkeits-arbeit des FIZ Chemie zu verzich-ten.“

Über die Förderung des FIZ Che-mie entscheidet die Wissenschafts-konferenz von Bund und Ländern.

Ruben Eckermann ist freier Mitarbeiter der

Nachrichten aus der Chemie.

� FIZ Chemie

zubildende und Studenten. Die

Angebote sind online kostenlos

abrufbar, beispielsweise über die

Plattform Chemgapedia. Bis Ende

des Jahres 2009 erfasste und ver-

wertete das FIZ für den Chemical

Abstracts Service (CAS) deutsch-

sprachige Literatur.

Der Ursprung des Fachinformati-

onszentrums geht auf das Che-

mische Zentralblatt zurück. Nach-

dem dieses seine Arbeit im Jahr

1969 einstellte, setzte die GDCh-

Abteilung „Chemie-Information

und -Dokumentation Berlin“ die

Arbeit fort. Die Abteilung wurde

im Jahr 1981 aus der GDCh aus-

gegliedert und in das mehrheitlich

vom Bund und Land Berlin getra-

gene FIZ Chemie übergeben. Wei-

tere Gesellschafter sind seitdem

die GDCh, die Dechema und die

Forschungsgesellschaft Kunststof-

fe. Das FIZ ist Mitglied der Leibniz-

Gemeinschaft.

www.fiz-chemie.de

Das Fachinformationszentrum

Chemie sammelt und verwertet

Daten und Literatur aus Chemie,

Biochemie und chemischer Ver-

fahrenstechnik. Ein Beispiel sind

die Cheminform-Hefte, die Wiley-

VCH online und gedruckt vermark-

tet. Die Reihe erscheint wöchent-

lich und enthält Kurzreferate zu

Publikationen der organischen,

metallorganischen, anorganischen

und physikalischen Chemie. Vor al-

lem Forschungseinrichtungen aus

Industrie und Hochschule nutzen

Cheminform als Arbeitsgrundlage.

Außerdem verwaltet das Fach-

informationszentrum die Daten-

bank Infotherm, die physikalisch-

chemische Stoffdaten als Tabellen

und Grafiken enthält. Diese de-

cken 95 % der weltweit veröffent-

lichten Literatur ab. Sie werden on-

line angeboten und hauptsächlich

von Verfahrensingenieuren ge-

nutzt. Weiter bietet das FIZ E-Lear-

ning-Angebote für Schüler, Aus-

Kurz notiert

Chemie-Informatikwerkzeuge im Vergleich bei Wikia

� Es kommt immer wieder vor, dass Daten aus der Chemie auf eine Art und Weise prozes-siert oder visualisiert werden müssen, die schlüsselfertige Programme nicht abdecken. Software dafür komplett neu zu schreiben, ist allerdings selten eine Lösung, denn schon die Codierung robuster und kompletter I/O-Routi-nen für Strukturen und Reaktionen verschlingt leicht Wochen.

In diese Lücke stoßen programmierbare Chemieinformatik-Toolkits, von denen mehr als ein halbes Dutzend auf dem Markt sind. Diese bieten Standardfunktionen aus der che-mischen Datenverarbeitung, die sich mit ver-gleichsweise wenig Aufwand flexibel und kos-tengünstig verknüpfen lassen, um spezifische Aufgaben zu lösen. Die Verknüpfung leisten entweder Entwickler im eigenen Hause oder externe Berater. Dabei unterstützen compilierte Bibliotheken die Entwicklung von Program-men in Sprachen wie C oder Java. Aber auch den direkten Zugriff auf Chemieinformatik-Funktionalitäten durch High-level-Skriptspra-chen wie Python oder Tcl gibt es als Entwick-lungsmodell.

Der Chemieinformatikberater Andrew Dal-ke hat jetzt ein Projekt initiiert, das wichtige Vertreter dieser Softwaregattung vergleicht. Im Rahmen des „Chemistry Toolkit Rosetta Wiki“ hat er eine Serie von 20 einfachen, aber typi-schen Aufgaben gestellt und die Anbieter der verschiedenen Pakete dann gebeten, prototy-pische Lösungen im Quellcode einzureichen. Nicht jedes Toolkit kann bei allen Aufgaben punkten, aber für die meisten Probleme liegen mittlerweile vielfältige Lösungen vor. Diese er-lauben Einblicke in Programmierstil, Entwick-lungsaufwand, Übersichtlichkeit, Codeumfang und Qualitätskriterien wie die Güte einer vor-gegebenen Visualisierung.

Unter den abgedeckten Toolkits sind Cactvs/Tcl, CDK/Groovy, Indigo/(C, C++, C#, Java, Py-thon), Openbabel/Pybel, OEChem/Python, RDKit/Python und das SDF-Toolkit. Etliche dieser Werkzeuge sind Open Source oder zu-mindest frei für akademische oder private Nut-zung und somit auch für Anwender außerhalb der Industrie interessant. http://ctr.wikia.com/wiki/chemistry_toolkit_

rosetta_wiki

Wolf-D. Ihlenfeldt, [email protected]

Nachrichten aus der Chemie | 59 | Mai 2011 | www.gdch.de/nachrichten

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