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TREFFPUNKT FORSCHUNG | 88 | Biol. Unserer Zeit | 2/2014 (44) www.biuz.de © 2014 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim vollständige mitochondriale Ge- nome von anderen Organismen aufgenommen, eingebaut und ver- mehrt sie weiter. Mindestens drei kommen aus verschiedenen Algen, eines stammt aus einem Moos und viele Fragmente sind sehr ähnlich zu anderen Blütenpflanzen, darun- ter Rizinus und Bambus. Der Trans- fer der DNA zwischen verschiede- nen Pflanzen wird wahrscheinlich durch die enge physische Verbin- dung zwischen diesen Spezies möglich, die im Unterholz neben-, mit- und aneinander wachsen. Die Zweige und Ausläufer von Ambo- rella trichopoda werden oft ver- letzt, so dass mitochondriale (und andere) DNA von den vielen Epi- phyten und anderen Pflanzen leicht eindringen kann. Warum aber keine Genome oder Teilstü- cke von DNA aus Pilzen oder Bak- terien in den Mitochondrien inte- griert werden, obwohl diese oft in intrazellulären Symbiosen oder auch als Pathogene sehr direkten Kontakt haben, erklären die Auto- ren mit den sehr unterschiedli- chen Membranen der Mitochon- drien der Pflanzen zu den Pilzen oder gar zu den Bakterien. Die Selektion muss auf einer solchen Unverträglichkeit basieren, da der Großteil der fremden mitochon- drialen DNA in Amborella tricho- poda wahrscheinlich von parasiti- schen Pflanzen stammt, die eben- so wie die Pilze und Bakterien engen Zellkontakt mit den Pflan- zen eingehen. Die Totalsequenzierung von Amborella trichopoda eröffnet nun auch die Möglichkeit für wei- tere solcher Analysen, da das Kon- sortium von Autoren zeigt, wie mit der modernen Shotgun-Se- quenzierung kleiner Fragmente in Kombination mit herkömmlicher Kartierung von großen klonierten Fragmenten und der in situ Hybri- disierung mit verschieden farbig markierten DNA-Fragmenten die Lage solcher Stücke auf den Chro- mosomen im Mikroskop bestimmt werden kann [3]. [1] Amborella Genome Project, Science, 2013, 342, 1467. [2] Amborella Genome Project, Science, 2013, 342, 1241089. [3] S. Chamala et al., Science, 2013, 342, 1516–1517. [4] D. W. Rice et al., Science, 2013, 342, 1468–1473. [5] K. Adams, Science, 2013, 342, 1456–1457. [6] M. Unseld et al., Nat. Genet., 1997, 15, 57–61. Axel Brennicke, Universität Ulm ZOOLOGIE Farbensehen mit den Augen eines Heuschrecken-Krebses Heuschreckenkrebse (Stomatopoda) besitzen die wohl kompliziertes- ten Komplexaugen im Tierreich. Experimente zeigen, dass das Farben- sehen bei ihnen ganz anders funktioniert als bei uns Menschen – wie von einer anderen Welt. Die Komplexaugen der Heuschre- ckenkrebse (Stomatopoda) sitzen auf beweglichen Stielen und lassen sich unabhängig voneinander in verschiedene Richtungen drehen und bewegen (siehe Abbildung). Dabei mustern sie Formen und Bewegungen in ihrer Umwelt und nehmen Helligkeit, Farbe und auch die Polarisierung des Lichtes wahr. Diese ausgezeich- nete Sehfähigkeit ermöglicht es den Krebsen ihre Beute, Feinde und Sexualpartner schnell zu er- kennen und genau zu unterschei- den – ein unschätzbarer Vorteil in farbenfrohen, konkurrenzreichen Lebensräumen wie dem Korallen- riff. Wir Menschen orientieren uns in der Umwelt zwar auch überwie- gend visuell, von infrarotem, ultra- violettem oder gar polarisiertem Licht können wir uns aber ohne technische Hilfsmittel „kein Bild“ machen. Nach theoretischen Über- legungen sind etwa vier bis sieben Photorezeptortypen notwendig, um die Wahrnehmung von Licht der Wellenlänge 300 bis 700 nm abzudecken, drei genügen bei Verzicht auf die ultravioletten und infraroten Randbereiche. In der Netzhaut des Menschen gibt es Zapfen für Rot, Grün und Blau (RGB). Trotzdem sehen wir mehr als diese drei Farben, denn ihre unterschiedliche Aktivierung wird analog verglichen und im Gehirn zu einem optischen Eindruck von vielfältigen Farben und Farbüber- gängen verarbeitet, es entsteht ein additiver Farbraum. Das RGB-Sys- tem wird auch für die Farbwieder- gabe bei Monitoren genutzt. Die Farbsinneszellen des Heu- schreckenkrebses befinden sich auf einem Mittelstreifen, der ihr kugeliges Auge in eine obere und ABB. Heuschreckenkrebse leben räuberisch und als Einzelgänger in der Bodenzone tropischer Meere. Hier: Pseudosquilla ciliata. Bild: S. Maruyama.

Farbensehen mit den Augen eines Heuschrecken-Krebses

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88 | Biol. Unserer Zeit | 2/2014 (44) www.biuz.de © 2014 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim

vollständige mitochondriale Ge-nome von anderen Organismenaufgenommen, eingebaut und ver-mehrt sie weiter. Mindestens dreikommen aus verschiedenen Algen,eines stammt aus einem Moos undviele Fragmente sind sehr ähnlichzu anderen Blütenpflanzen, darun-ter Rizinus und Bambus. Der Trans-fer der DNA zwischen verschiede-nen Pflanzen wird wahrscheinlichdurch die enge physische Verbin-dung zwischen diesen Speziesmöglich, die im Unterholz neben-,mit- und aneinander wachsen. DieZweige und Ausläufer von Ambo-rella trichopoda werden oft ver-letzt, so dass mitochondriale (undandere) DNA von den vielen Epi-phyten und anderen Pflanzenleicht eindringen kann. Warumaber keine Genome oder Teilstü-cke von DNA aus Pilzen oder Bak-

terien in den Mitochondrien inte-griert werden, obwohl diese oft inintrazellulären Symbiosen oderauch als Pathogene sehr direktenKontakt haben, erklären die Auto-ren mit den sehr unterschiedli-chen Membranen der Mitochon-drien der Pflanzen zu den Pilzenoder gar zu den Bakterien. Die Selektion muss auf einer solchenUnverträglichkeit basieren, da derGroßteil der fremden mitochon-drialen DNA in Amborella tricho-poda wahrscheinlich von parasiti-schen Pflanzen stammt, die eben -so wie die Pilze und Bakterienengen Zellkontakt mit den Pflan-zen eingehen.

Die Totalsequenzierung vonAmborella trichopoda eröffnetnun auch die Möglichkeit für wei-tere solcher Analysen, da das Kon-sortium von Autoren zeigt, wie

mit der modernen Shotgun-Se-quenzierung kleiner Fragmente inKombination mit herkömmlicherKartierung von großen kloniertenFragmenten und der in situ Hybri-disierung mit verschieden farbigmarkierten DNA-Fragmenten dieLage solcher Stücke auf den Chro-mosomen im Mikroskop bestimmtwerden kann [3].

[1] Amborella Genome Project, Science,2013, 342, 1467.

[2] Amborella Genome Project, Science,2013, 342, 1241089.

[3] S. Chamala et al., Science, 2013, 342,1516–1517.

[4] D. W. Rice et al., Science, 2013, 342,1468–1473.

[5] K. Adams, Science, 2013, 342,1456–1457.

[6] M. Unseld et al., Nat. Genet., 1997, 15,57–61.

Axel Brennicke, Universität Ulm

ZO O LO G I E

Farbensehen mit den Augen eines Heuschrecken-Krebses Heuschreckenkrebse (Stomatopoda) besitzen die wohl kompliziertes-ten Komplexaugen im Tierreich. Experimente zeigen, dass das Farben-sehen bei ihnen ganz anders funktioniert als bei uns Menschen – wievon einer anderen Welt.

Die Komplexaugen der Heuschre-ckenkrebse (Stomatopoda) sitzenauf beweglichen Stielen und lassensich unabhängig voneinander inverschiedene Richtungen drehenund bewegen (siehe Abbildung).Dabei mustern sie Formen und Bewegungen in ihrer Umwelt und nehmen Helligkeit, Farbe und auch die Polarisierung desLichtes wahr. Diese ausgezeich-nete Seh fähigkeit ermöglicht esden Krebsen ihre Beute, Feindeund Sexualpartner schnell zu er-kennen und genau zu unterschei-den – ein unschätzbarer Vorteil infarbenfrohen, konkurrenzreichenLebensräumen wie dem Korallen-riff.

Wir Menschen orientieren unsin der Umwelt zwar auch überwie-gend visuell, von infrarotem, ultra-violettem oder gar polarisiertemLicht können wir uns aber ohnetechnische Hilfsmittel „kein Bild“machen. Nach theoretischen Über-legungen sind etwa vier bis siebenPhotorezeptortypen notwendig,um die Wahrnehmung von Lichtder Wellenlänge 300 bis 700 nmabzudecken, drei genügen bei Verzicht auf die ultravioletten undinfraroten Randbereiche. In derNetzhaut des Menschen gibt esZapfen für Rot, Grün und Blau(RGB). Trotzdem sehen wir mehrals diese drei Farben, denn ihre unterschiedliche Aktivierung wird

analog verglichen und im Gehirnzu einem optischen Eindruck vonvielfältigen Farben und Farbüber-gängen verarbeitet, es entsteht einadditiver Farbraum. Das RGB-Sys-tem wird auch für die Farbwieder-gabe bei Monitoren genutzt.

Die Farbsinneszellen des Heu-schreckenkrebses befinden sichauf einem Mittelstreifen, der ihrkugeliges Auge in eine obere und

A B B . Heuschreckenkrebse lebenräuberisch und als Einzelgänger inder Bodenzone tropischer Meere.Hier: Pseudosquilla ciliata. Bild: S. Maruyama.

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untere Hemisphäre unterteilt. DieHemisphären der Stielaugen beur-teilen die Helligkeit, der Mittel-streifen die Farbe, die ständige Bewegung der Augen vermittelt einen räumlichen Eindruck desObjektes. Der HeuschreckenkrebsHaptosquilla trispinosa besitztzwölf verschiedene Photorezeptor-typen für jeweils schmale Wellen-längenbereiche. Das sind also deut-lich mehr, als zur Abdeckung desLichtspektrums theoretisch nötigsind. Würde die Aktivierung dieserzwölf Sinneszelltypen neuronal sowie die von unseren drei Zapfen -typen verarbeitet, sollte das dieUnterscheidung von 1 bis 5 nm fei-nen Farbabstufungen ermöglichen.In Verhaltensexperimenten unter-

suchten Thoen et al., ob dieseHeuschreckenkrebse tatsächlicheine entsprechend verfeinerteFarbunterscheidung aufweisen.Heuschreckenkrebse lassen sichmit Futtergaben auf bestimmte Far-ben konditionieren. Dazu werdenparallel zwei Farben angebotenund eine Reaktion auf die „richtigeFarbe“ mit Futter belohnt. Wirddem Krebs in anschließenden Ver-suchsreihen parallel zu seiner trai-nierten Farbe eine abweichendeTestfarbe präsentiert, reagiert derKrebs nur dann richtig, wenn derFarbunterschied etwa 50 bis100 nm beträgt. Bei einer Wellen-längendifferenz von weniger als25–12 nm werden die Farbunter-schiede nicht erkannt. Heuschre-

ckenkrebse sehen Farben also voll-kommen anders als wir: Entschei-dend ist eine Wahrnehmung vonzwölf verschiedenen Farben aufSinneszellebene, sie ist schnell undeinfach, braucht also keine höhereneuronale Leistungen. FeinereFarbübergänge werden dagegennicht erkannt oder verarbeitet. Esist denkbar, dass sich dieses bisherunbekannte Zwölf-Farbensystemähnlich wie das RGB-System auchtechnisch bei der Bildverarbeitungausnutzen lässt.

[1] H. H. Thoen et al., Science, 2014, 343,411–413.

Inge Kronberg, www.naturverstehen.de

P F L A N Z E N PH YS I O LO G I E

Blütenbildung mit epigenetischer ZeitschaltuhrBlütenmeristeme erschöpfen sich bei der Bildung der Blüte. Doch dabeikommt es auf das richtige Timing an, denn solange noch Blütenorganegebildet werden müssen, wird auch das Meristem noch benötigt. Dem-entsprechend müssen bestimmte Prozesse zeitverzögert ablaufen.

Pflanzen besitzen an ihren Spross-spitzen Bildungsgewebe (Meris-teme), mit deren Hilfe sie ständigneues Spross- und Blattgewebeausbilden können. Während dervegetativen Wachstumsphase wer-den diese Meristeme als Sprossapi-kalmeristeme bezeichnet. BeimÜbergang in die reproduktivePhase wandeln sich die Sprossapi-kalmeristeme zunächst in Inflores-zenzmeristeme um, die wiederumBlütenmeristeme hervorbringen.Während Sprossapikalmeristemeund Infloreszenzmeristeme zu -mindest theoretisch unbegrenztwachsen können, erschöpfen sichBlütenmeristeme mit der Bildungeiner Blüte. In zunehmendemMaße klären sich auch die mole -kularen Grundlagen dieses Pro -zesses:

Ob eine Pflanze blüht odernicht hängt je nach Pflanzenartvon einer Reihe von Faktoren, wieetwa dem Alter der Pflanze, ihrerVersorgung mit Zuckern, den aktu-ell und in der Vergangenheit herr-schenden Temperaturen oder derzu- oder abnehmenden Tageslängeab. Jeder dieser Faktoren kann ei-gene Blühinduktionswege auslö-sen. Bestimmte Gene, beziehungs-weise die von diesen Genen expri-mierten Proteine, wirken dann alsSignalintegratoren für verschie-dene Induktionswege und vernet-zen sie so. Einer dieser Signalinte-gratoren ist zum Beispiel das LFY-Gen. Wird dieses Gen exprimiert,so fördert sein Produkt, das LFY-Protein, die Blütenbildung. Für dieAckerschmalwand Arabidopsisthaliana konnte gezeigt werden,

A B B . Austarierter Verzögerungsmechanismus am Endeder Blütenbildung: Normalerweise wird das KNU-Gendurch einen Polycomb-Komplex (PcG), der an eine PRE-Sequenz im Promotorbereich bindet und für die Methylie-rung (siehe Sternchen) der DNA-bindenden Histonesorgt, in einem reprimierten Zustand gehalten. Das AG-Protein verdrängt den Polycomb-Komplex von seinerBindestelle und erlaubt so ein sukzessives Ausdünnen derreprimierenden Methylgruppen während der Zellteilun-gen. Somit wird das KNU-Gen wieder exprimiert und seinZinkfingerprotein kann als Repressor des WUSCHEL-Genswirken. In der Folge stellen Blütenmeristeme ihre Zell -teilung ein. Verändert nach [3].

PRE

KNUPRE

PcG

KNUPRE

AG

KNUPRE

KNU

AG-Expression

1. Zellteilungsrunde

2. Zellteilungsrunde

AG

AG

PcG