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FAZ - Bericht über Mutti-Tomaten - März 2012
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Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 11.03.2012, Nr. 10, S. 68
Wenn es noch tomatiger schmecken sollEine Chefköchin und zwei Dutzend Marken: Wer Dosentomaten testet, muss mit
Überraschungen rechnen
VON THOMAS PLATT
Manina Panzer muss nachdenken, wenn sie die Frage beantworten will, wo sie in
ihrer Küche Tomaten aus der Dose verwendet. Überall und nirgends, würde die
Berufsköchin am liebsten sagen; dann fällt ihr die Soup de poisson ein, in der sie als
Farbe gebraucht werden, und die provenzalische Lammhaxe, wo sie vor allen Dingen
für die Bindung vonnöten sind. Und ja, natürlich die Caponata! In diesem sizilianisch
-orientalischen Gericht aus gerösteten Auberginen und Mandeln, Paprika,
Staudensellerie, Zwiebeln, Rosinen, Honig und Balsamico spielt sie ebenfalls eine
Rolle, die auch ein Profi wie Panzer nicht als Erstes nennt. Dennoch kann man gerade
an so einem Traditionsgericht erleben, wie erst die besonderen sensorischen
Eigenschaften des "goldenen Apfels" den Reiz einer Kombination aus starken Aromen
und Konsistenzen vollständig erschließen.
Verantwortlich für die Variabilität der Tomate dürfte ihre Mittelstellung zwischen
Obst und Gemüse sein, ein weit aufgespanntes aromatisches und texturelles
Spektrum, das weder während einer scharfen Reduktion noch in industriellen
Abfüllanlagen auf der Strecke bleibt - und nicht zuletzt ein relativ hoher
Glutamatgehalt. Man fragt sich unwillkürlich, welchen Katalysator die
präkolumbische Küche des Mittelmeeres an ihrer Stelle wohl verwendet haben mag.
Zumindest ließe sich die Behauptung aufstellen, dass die Sauce Bolognese oder der
Hefefladen mit Käse, Öl und Kräutern mit der Tomate den missing link gefunden
haben. Selbst Puristen räumen gelegentlich ein, dass jede Faser einer Speise durch
ihre süßen, sauren und grünen Noten gleichsam berührt wirkt.
Die Frage, warum Dosentomaten einen Sugo, eine Sauce oder eine Suppe wesentlich
tomatiger werden lassen, als das bei Verwendung frischer Tomaten jemals der Fall
wäre, wird von Gourmets oft ignoriert. Hinzu gesellt sich noch ein Tabu, das Dosen in
der feinen Küche mit Bann belegt. Offenbar jedoch kann im Zuge der modernen
Konservierung von Tomaten im Zenit ihrer Reife, die maschinell geschält, vorgegart
und zumeist in püreeartigem Saft mariniert werden, ein so rundes wie tiefes, kurzum:
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ein vitales Geschmacksbild entstehen, das naturgemäß zu einem Gutteil auch auf
länglich geformte Sorten (Roma- und San-Marzano-Typen) zurück geht.
Vertrauten Umgang mit der denn aber ja doch feinschmeckertauglichen Büchse
pflegte Manina Panzer schon in den römischen Kindertagen und erst recht während
der Lehrjahre in Genf und Paris. Seit sie die Küche des "M Belleville" in München fast
im Alleingang schmeißt, rechnet sie das nasse rote, von feinen Äderchen durchzogene
Fleisch im Abtropfsieb gar nicht zu den Zutaten, sondern vielmehr zu den
Voraussetzungen, über die man nicht spricht, weil sie sich von selbst verstehen.
Dass Panzer es diesmal doch tun musste, hängt mit unserem Produkttest von ganzen
geschälten Tomaten aus der Dose (Pomodori Pelati) zusammen, den ihr Vater
Wolfgang Panzer, Regisseur und Gastgeber des besagten Schwabinger Restaurants,
beinahe so arrangiert hatte, als handele es sich um eine Filmszene.
Dosentomaten als Hauptdarsteller - das klingt im ersten Moment nach Komödie, und
tatsächlich entbehrt es auch nicht einer gewissen Komik, dass die beiden Panzers im
Verlauf der Probe immer wieder auf ein Produkt zurückkamen, das keine 40 Cent
kostet, unten im Regal ein Schattendasein fristet und den nicht unbedingt Zutrauen
erweckenden Namen "Ja! Geschälte Tomaten in Tomatensaft" trägt. Dass "Ja!" sich
dann gegenüber vergleichsweise profilarmen Konkurrenten wie "Rewe", "Kaiser's
Tengelmann Star Marke", "Edeka Italia" oder der türkischen "Baktat Domates"
durchsetzen konnte, verwundert noch nicht. Schon mehr ist das der Fall, wenn es um
renommierte, jedoch merkwürdig neutral erscheinende Sorten geht wie "Casar", "De
Cecco" und die baskische "Ederki Tomates Entières" aus Bayonne, die "Ja!" im
Geschmacksurteil der Jury ebenfalls hinter sich ließ.
Vielleicht lässt sich das Dilemma am besten anhand der ebenfalls gut beleumundeten
"Delverde" verdeutlichen. Denn diese "Pomodori Pelati Gusto Fresco" wirken trotz
flammender Farbe geschmacklich unscharf, so dass man auf der Zunge lediglich ein
Nebeneinander von Un- und Vollreife zu spüren vermeint, dessen Mitte oder
Schwerpunkt man vergeblich sucht. Das Mundgefühl lenkt die Gedanken eher auf ein
Kompott aus Pfirsich, gekochter Salatgurke mit Anklängen vom Sellerie, in das ein
Schuss Tomatensaft geraten ist.
Ähnlich verhielt es sich mit "Valfrutta", die trotz eines beinahe wie zu Apfelmus
eingedickten Safts und knalligen Rots ein bisschen gemüsig, im Ganzen jedoch
wässrig, ja fast leer bleibt. Nach dem Genuss der spanischen Vertreter "Ibero" und
"Sol de Extremadura Tomate Entero Pelado Primera" sprach Manina Panzer von
"Süße ohne Körper". Mit der Wendung wollte sie eine eigentümliche Substanzarmut
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beschreiben, die zunächst mit breiter Brust daherkommt, um sich anschließend in
Beliebigkeit zu verlieren.
Demgegenüber behauptete sich "Ja!" mit einer klaren Linie, die eine gewisse
Wässrigkeit nicht ganz zu leugnen vermag. Beim Biss durch das hellrote feste,
offenbar nur blanchierte Fruchtfleisch entsteht sofort der Eindruck von Frische. Sie
resultiert aus einer "kleinen" Säure, die mit einer natürlichen Fruchtsüße und einem
ebensolchen Salzgehalt zusammengeht. Schließlich stützt noch ein leises, nach Strunk
und Rispe riechendes Parfum den positiven Eindruck. Wolfgang Panzer wies noch
darauf hin, dass eine gute Dosentomate wie diese oder die ihr nahestehende "Del
Monte" von der Konsistenz her notfalls auch im Salat Verwendung finden könne.
Nun hätte man trotzdem denken können, dass es den Biotomaten ein Leichtes
gewesen wäre, die Discountware zu überrunden. Schließlich stehen sie im Ruf, eine
bessere Vergangenheit mit altvorderer Gärtnerleistung zu vertreten. Diese Illusion
zerstob im Nu. Denn gleich vier Vertreter, nämlich "Basic", "Campo Agricultura
Biologica", "Dennree" und "Rapunzel", kamen den Testern schwächlich, angebittert
bis künstlich, überdies mit Fehltönen versehen vor. "Basic" etwa erinnerte die Köchin
an Aspirin und "Campo" an den muffigen Geruch eines alten Schranks. Einzig
"Natura Toscana Bio Pomodori" schien wie gewachsen im Mittelfeld.
"Ja!" wurde dennoch geschlagen. Denn wiederum vier Dosen, diesmal aus dem
Preiskorridor von 1,39 Euro bis 2,60 Euro, plädierten eindrucksvoll dafür, dass es
sich lohnt, etwas mehr für diesen Grundstoff auszugeben. "Annalisa Pomodoro San
Marzano Dell'Agro Sarnese-Nocerino" aus Kampanien, neben der Poebene
wichtigstes Tomatenanbaugebiet Italiens, entwickelt nach säuerlichem Beginn den
charakteristischen Ton einer Frucht, die in praller Sonne gewachsen scheint und
bereits eine Ahnung von einem gebackenen Zustand andeutet.
Allerdings bleibt "Annalisa" ein wenig verhalten. "Da ist mehr Dampf dahinter", sagte
Wolfgang Panzer nach dem ersten Probelöffel von "Manufactum San Marzano
Tomaten". Diese zwischen fest und weich angehaltenen Früchte sind intensiv süß,
durchaus auch mineralisch und äußern sogar eine Tendenz zur Paprika; ihnen fehlte
eigentlich nur ein Tick Säure, um mit der stark ähnelnden, vielleicht noch dichteren
"Il pomodoro più buono de Vesuvio" gleichzuziehen. Auf diesem Niveau befand sich
auch "Mutti". Jedoch nicht die Sorte "S. Marzano Dell'Agro", sondern die noch vollere
und geradezu vitalisierende "Mutti Pelati Mediterranei Nuova Qualità". Diese
Nuancen freilich werden erst in der Kombination mit einem hochklassigen Olivenöl
deutlich. Aber welche delikaten Nuancen es sind! Das Ergebnis im einzelnen:.
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[5 Sterne] "Mutti Pelati Mediterranei Nuova Qualità".
[4 Sterne] "Il pomodoro più buono de Vesuvio".
[3 Sterne] "Manufactum San Marzano Tomaten ganz und geschält"; "Mutti S.
Marzano Dell'Agro Sarnese-Nocerino".
[2 Sterne] "Annalisa Pomodoro San Marzano Dell'Agro Sarnese-Nocerino".
[1 Stern] "Ja! Geschälte Tomaten in Tomatensaft".
Unter "ferner liefen" (ohne besondere Reihenfolge):.
"Basic", "Rewe", "Kaiser's Tengelmann Star Marke", "Del Monte", "Ibero", "Valfrutta",
"Campo Agricultura Biologica", "Dennree", "Rapunzel", "Delverde Gusto Fresco", "Sol
de Extremadura", "Natura Toscana Bio", "Edeka Italia", "Baktat Domates", "Casar",
"De Cecco", "Ederki Tomates Entières".
Bildunterschrift: Arrangiert, als handele es sich um
eine Filmszene: Szenen unseres Geschmackstests;
es fehlt nur das feine Olivenöl, das den verkosteten
Sorten letzte Details entlockte.
Fotos Jan Roeder
Biss: Manina und Wolfgang Panzer bei der Arbeit.
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