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Feature / Hörspiel / Hintergrund Kultur
Das Feature Wer hat Angst vor dem Mann mit dem Bart? Das schwierige Verhältnis von Juden und Muslimen in Europa
Autor: Daniel Cil Brecher Regie: Matthias Kapohl
Redaktion: Wolfgang Schiller Produktion: Dlf 2018 Erstsendung: Dienstag, 06.11.2018, 19.15 Uhr Sprecher: Michael Weber Wolf Aniol Sigrid Burkholder Judith Jakob Jochen Langner Marion Mainka Bruno Winzen
Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig.
©
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Atmo Zwischenfall
O-Ton VRT Journaal
Vorspann Mittagsmagazin des Flämischen TV-Senders VRT
Het is een uur. Dit is het journaal met Hanne de Decoutere.
Nachrichtensprecherin
Gisterenochtend half tien. Een orthodox joodse man loopt samen met zijn zoon
door de Isabellalei in Antwerpen. Plots moeten zij opzij springen voor een zwarte
auto die op hen af komt rijden.
Sprecherin 1
Gestern um halb zehn. Ein orthodoxer Jude läuft mit seinem Sohn auf der
Isabellalei in Antwerpen. Plötzlich müssen sie zur Seite springen. Ein schwarzes
Auto kommt direkt auf sie zu.
Polizeisprecher
Kort na het incident is er een van onze patrouilles geweest die een voertuig
opgemerkt had dat zich heel roekeloos gedroeg in het verkeer. Dus, zij hebben het
voortuig later aangetroffen. Zij hebben ook de bestuurder aangetroffen. Het bleek
dat die man gedronken had. Die persoon – een man van dertig jaar – is
meegenomen naar het kantoor voor ontnuchtering.
Sprecher 1
Kurz danach fiel einer unserer Streifen ein Fahrzeug auf, das sich rücksichtslos im
Verkehr verhielt. Wir haben das Fahrzeug und den Fahrer aufspüren können. Wir
haben ihn aufs Revier zum Ausnüchtern mitgenommen. Er war betrunken.
Nachrichtensprecherin
Het incident gebuurde in een joodse wijk die vol bewakingscamera’s hangt. De
mensen hier zijn ongerust en denken dat het om een antisemitische daad gaat. De
automobilist verklaarde gisteravond dat hij de joden niet wilde aanrijden en is
voorlopig vrij.
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Sprecherin 1
Der Zwischenfall ereignete sich in einem jüdischen Viertel, in dem es viele
Überwachungskameras gibt. Die Menschen hier sind besorgt und glauben, dass
die Tat antisemitisch motiviert war. Der Fahrer erklärte gestern Abend, dass er die
Juden nicht anfahren wollte. Er ist auf freien Fuß gesetzt worden.
Sprecherin
Wer hat Angst vor dem Mann mit dem Bart?
Das schwierige Verhältnis von Juden und Muslimen in Europa
Ein Feature von Daniel Cil Brecher
Atmo Pelikaanstraat
Autor
Wir beginnen unsere Erkundungen über das Verhältnis zwischen den beiden
wichtigsten religiösen Minderheiten in Europa mitten im jüdischen Viertel von
Antwerpen - in der Pelikaanstraße. Hier wohnt die sichtbarste jüdische Gruppe
des Kontinents – 20.000 orthodoxe und ultraorthodoxe Juden. Hier tragen
orthodoxe Männer Bärte, Käppchen oder schwarze Hüte, die ultra-orthodoxen
Juden Schläfenlocken und Kittel, und an den Samstagen und Feiertagen Pelzhut
und Kaftan. Auch die Frauen sind deutlich als jüdisch zu erkennen. Ihre Röcke
reichen bis unters Knie, Arme und Hals sind unter der Kleidung verborgen, und auf
dem Kopf tragen sie einen Hut, eine Perücke, ein Kopftuch oder beides. Die
Kopftücher sind von denen, die Muslima tragen, nicht zu unterscheiden. Sie
kommen aus China. Hier hat offenbar keiner Angst, als Jude erkannt zu werden.
Wir werden auch Amsterdam und Köln besuchen, wo die Ängste und Sorgen bei
beiden Gruppen sehr deutlich spürbar sind und Juden zum Beispiel vermeiden, in
der Öffentlichkeit als Juden erkennbar zu sein. Was ist hier anders als bei anderen
jüdischen Gemeinschaften in Europa?
O-Ton Freilich
In het centrum van Antwerpen moet ik zeggen dat de joodse gemeenschap zich
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toch vrij op zijn gemak voelt. Enerzijds omdat het een relatief kleine buurt is. Jij
gaat van het centraal-station tot aan het Prins-Albertpark, dat is twintig minuten
lopen.
Sprecher 2
Im Zentrum von Antwerpen fühlen Juden sich sicher. Es ist ein kleines Viertel.
Vom Hauptbahnhof zum Albertpark läuft man in zwanzig Minuten.
Autor
Michel Freilich, Chefredakteur des jüdischen Monatsblatts „Joods Actueel“.
O-Ton Freilich
En door het feit dat het zo samen zit heb je veel meer mensen die mekaar zien,
die mekaar kunnen helpen. En je hebt ook de extra toezicht van de politie met
speciale joodse patrouilles, de Isra-patrouilles, en ook het leger patrouilleert in
onze straten. De burgermeester van Antwerpen heeft gezegd van, kijk, de joodse
gemeenschap is een doelwit. Ik wil hier extra middelen voor, en die zijn er
gekomen. Dus, in België zie je soldaten op de luchthavens, voor kerninstallaties,
voor ambassades en voor joodse scholen.
Sprecher 2
Auf engstem Raum zusammenwohnen bedeutet auch, dass man sich gegenseitig
im Auge behält und helfen kann. Hinzu kommt die zusätzliche Überwachung durch
die Polizei und den jüdischen Bewachungsdienst. Auch die Armee bewacht
unsere Straßen. Der Antwerpener Bürgermeister hat bei der Regierung extra
Mittel für die jüdische Gemeinschaft beantragt. Darum steht in Belgien die Armee
jetzt an den Flughäfen, vor Atomkraftwerken, vor Botschaften und vor jüdischen
Schulen.
Autor
Michel Freilich ist traditioneller Jude. Er trägt Käppchen und hat einen kurz
gestutzten Bart.
Einen Tag nachdem ein Autofahrer angeblich versucht hat, einen jüdischen Vater
und seinen Sohn zu überfahren ist Michel Freilich vor die Nachrichten-Kameras
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getreten und hat scharfe Kritik geübt an der Version der Polizei. Es war bekannt
geworden, dass der Fahrer Moslem ist, ein Einwanderer aus Marokko.
O-Ton Freilich
Nu stellen wij ons toch de vraag van, de man wordt opgepakt drie uur na de feiten.
Mogelijk is er naar huis gekeerd om te gaan drinken. Dus, dat weet je niet. Om te
kunnen zeggen, kijk, ik was dronken. Enerzijds, en ten tweede vind ik het
persoonlijk heel raar dat de man zich correct en netjes aan de verkeersregel
houdt, rood licht, en dat hij enkel en alleen als hij joodse mensen ziet over de
schreef gaat. Dus, dat is een soort selectieve dronkenschap, zou je kunnen
zeggen. Dus, volgens mij is het toch antisemitisme.
Sprecher 2
Wir haben uns Fragen gestellt: Er ist erst drei Stunden später festgenommen
worden. Er hatte also Zeit, sich zuhause zu betrinken, um dann sagen zu können:
Schau, ich war betrunken. Ich finde es auch verdächtig, dass er sich sonst im
Verkehr korrekt verhalten hat, zum Beispiel bei roten Ampeln, und dass er erst die
Kontrolle verliert, als er ein paar Juden sieht. Das könnte man selektive
Betrunkenheit nennen. Also, meiner Ansicht nach geht es hier klar um
Antisemitismus.
Autor
Die Behauptung, dass es sich um ein versuchtes antisemitisches Attentat
gehandelt habe, löste heftige Reaktionen aus. In der jüdischen Gemeinschaft
wurde der Zwischenfall als fehlgeschlagener Rache-Akt interpretiert, als Reaktion
auf den Prozess gegen Salah Abdeslam, den einzig überlebenden Attentäter von
Paris. Abdeslam musste sich vom 5. Februar 2018 an, also zwei Tage nach dem
vermeintlichen Anschlag, vor einem Richter in Brüssel verantworten wegen einer
Schießerei mit der Polizei bei seiner Festnahme im März 2016. Ein Boulevard-
Blatt kam heraus mit der Schlagzeile „Hass-Chauffeur von Antwerpen“. Auch
Muslime reagierten auf die Verdächtigungen. Muslime seien wieder einmal
automatisch als „Terroristen“ beschuldigt worden, hieß es im Internet, beim
wichtigsten Online-Dienst der Muslime in Belgien. Blogger warfen Juden vor, dass
sie sich selbst gern zum Opfer von Diskriminierung stilisierten, während die
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wirklichen Opfer Muslime seien, sowohl in Belgien wie im Nahen Osten. Alle
warteten auf ein Wort der Staatsanwaltschaft. Die entschied zwei Wochen später,
den Fall nicht weiter zu untersuchen. Es habe keinerlei Hinweise auf einen
politischen Hintergrund gegeben.
O-Ton Freilich
Een probleem dat wij vaak zien in Europa is dat als er iets gebeurd of een aanslag
wordt uitgevoerd is de politie en de politiek altijd heel terughoudend om te zeggen
dat het om antisemitisme gaat en zoek eerst uit, van ja, zouden wij het niet kunnen
classificeren als zijnde iets anders. En dan zeg ik: Kijk, als de dader een moslim is
dan moet je ook verder durven de vraag stellen, gaat het om antisemitisme of niet.
Want, het antisemitisme bestaat maar in een totaal andere hoek dan twintig of
dertig jaar geleden.
Sprecher 2
Wenn in Europa etwas geschieht, sehen wir oft, dass die Polizei und die Politik
sehr zurückhaltend sind. Bevor sie etwas als antisemitisch bezeichnen, wird erst
die Frage gestellt: können wir es anders klassifizieren? Ich sage: Wenn der Täter
Moslem ist, müssen wir auch die Frage nach Antisemitismus stellen dürfen. Denn
Antisemitismus existiert und kommt seit zwanzig, dreißig Jahren aus einer
anderen Ecke.
Autor
Zwischen den etwa 700.000 Muslimen und den rund 40.000 Juden in Belgien
wachsen seit ca. zwanzig Jahren die Spannungen. Muslime fühlen sich mit
Palästinensern verbunden, und Juden mit dem Staat Israel. Spannungen kommen
nicht allein in Angst und großem gegenseitigen Misstrauen zum Ausdruck,
sondern auch in kleineren und größeren Zwischenfällen. So wurden Anfang des
Jahres jüdische Wohnungen und Geschäfte in Antwerpen beschädigt und
frommen Männern die Hüte vom Kopf geschlagen. Was tun diese zwei
Minderheitsgruppen in Belgien eigentlich, um die Spannungen zu verringern?
O-Ton Freilch
Er zijn een aantal organisaties die dat wel doen voor de joods-christelijke banden
maar wat de banden met de moslims betreft leven wij naast mekaar maar niet met
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elkaar. Er zijn geen initiatieven, niet op vlak van jeugd, noch op vlak van cultuur,
noch op vlak van sport waar je toch zou kunnen denken, dat is een makkelijke
brug om te slaan waar dan joden samen met moslims werken. De joodse
gemeenschap is vrij gesloten, en de moslimgemeenschap is niet georganiseerd.
En als het er dan zou zijn, dan zouden ze toch op een gesloten en argwanende
joodse gemeenschap stoten.
Sprecher 2
Es gibt einige christlich-jüdische Organisationen, aber was Muslime angeht, leben
wir nebeneinander, nicht miteinander. Es gibt keine Initiativen für die Jugend,
nichts auf kulturellem Gebiet und nichts beim Sport. Gerade hier wäre es so leicht,
Brücken zu bauen und die Juden und Muslime zusammen zu bringen. Die
jüdische Gemeinschaft ist ziemlich abgeschlossen und die muslimische
Gemeinschaft ist nicht organsiert. Aber selbst wenn sie organisiert wäre, würde sie
doch auf eine geschlossene und argwöhnische jüdische Gemeinschaft stoßen.
Autor
Die Muslime in Belgien sind sehr wohl organsiert. Ähnlich wie das „Konsistorium“,
die Interessenvertretung der jüdischen Organisationen, nimmt die so genannte
„Executive der Muslime in Belgien“ alle rechtlichen Funktionen gegenüber
staatlichen Stellen wahr: die Zulassung von Moscheen, die Akkreditierung von
Lehrern für islamischen Religionsunterricht und die Beratung von Regierung und
Parlament bei der Gesetzgebung.
Atmo Zugfahrt
Autor
Wir sind unterwegs, um Mohamed Achaibi, den Vizepräsidenten der Executive der
Muslime in Belgien zu treffen. Er wohnt und arbeitet in Lokeren, einer kleinen
Industriestadt etwa 40 Kilometer südlich von Antwerpen. Lokeren hat mit 20
Prozent einen der höchsten Ausländeranteile belgischer Städte.
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O-Ton Achaibi
Goedemiddag. Salaam aleikum. Ik wil u juist begroeten met de islamitische groet,
vrede zij met u. In onze samenleving en overal ter wereld zien wij dat vrede
eigenlijk onder druk staat, vaak ook rechtstreeks in onze straat, in onze wijk. Daar
moeten wij eigenlijk vrede stiften – dagelijks.
Sprecher 3
Ich möchte sie mit dem islamischen Gruß „Friede sei mit euch“ begrüßen, weil der
Frieden überall in der Welt unter Druck steht, auch direkt in unserer Straße und
unserem Viertel. Deshalb müssen wir selbst Frieden stiften, täglich.
Autor
Mohamed Achaibi ist als Kind aus Marokko nach Belgien gekommen und trägt
weder Bart noch Kopfbedeckung. Ich frage ihn nach dem Vorfall von Anfang
Februar. Was kann die Dachorganisation gegen Hass und politisch motivierte
Aggression tun? - Wenig, meint Achaibi. Als er in Marokko aufwuchs, habe es
keinen Hass gegen Juden gegeben. Heute werden Vorurteile vor allem zuhause
und in der Familie gepredigt und weitergegeben. Die 300 Moscheen Belgiens, für
die er innerhalb der Dachorganisation zuständig ist, seien nicht der
Umschlagplatz. Trotzdem werden die Imame von der Moslimexecutieve
angehalten, gegen Hass zu predigen.
O-Ton Achaibi
Vanuit de Moslimexecutieve, voor alle duidelijkheid, van het moment dat er iets
gebeurd, doen wij aan een politieke reactie en keuren wij dergelijke zaken af. U
weet uiteraard dat wij de laste jaren echt worden geconfronteerd met
afschuwelijke acties, Parijs, Brussel, noem maar op. Wij weten ook niet altijd van
waar die haat komt en kunnen dat ook niet altijd goed plaatsen. Wij geven vanuit
de moskeeën de imams richtlijnen maar ik denk, wat ik net zij, dat het ook vaak te
maken heeft met opvoeding, met een kortzichtige kijk op de wereld. Iemand die
dan gewoon parallellen trekt tussen een burger in Antwerpen en wat zich voordoet
in Palestina. Daar kan die mens niets aan doen, daar kan die man met dat kind
niets aan doen, dat er tussen Israël en Palestina een probleem is.
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Sprecher 3
Um es ganz deutlich zu machen: Sobald etwas passiert, kommt die
Moslimexecutieve mit einer politischen Stellungnahme und verurteilt solche Dinge.
Sie wissen, dass wir uns in den letzten Jahren mit abscheulichen Anschlägen
auseinandersetzen mussten, in Paris, in Brüssel und so weiter. Wir wissen auch
nicht immer, wo dieser Hass herkommt, und wir können die Anschläge auch nicht
immer richtig einordnen. Wir geben Richtlinien an die Imame und die Moscheen.
Aber ich denke, dass es, wie ich schon gesagt habe, an der Erziehung liegt, an
einem beschränkten Weltbild, wenn jemand einen Bürger in Antwerpen mit den
Geschehnissen in Palästina verwechselt. Der Mann mit dem Kind kann nichts
dafür, dass es zwischen Israel und Palästina Probleme gibt.
Autor
Achaibi ist innerhalb der Dachorganisation für Moscheen und Religionsunterricht
zuständig, für einen Bereich, der politisch sehr viel Fingerspitzengefühl erfordert,
gerade im Teilstaat Flandern, wo eine nationalistische Regierung an der Macht ist.
Während die verfassungsmäßigen Freiheiten von Kirche und Synagoge in diesem
Teil Europas bereits vor mehr als zweihundert Jahren festgeschrieben wurden,
muss der Islam, der erst seit 1976 als Religion vom Staat anerkannt ist, sich in
einem viel weniger günstigen politischen Klima behaupten.
O-Ton Achaibi
In België hebben wij 300 moskeeën. Daarvan zijn vandaag 90 herkent. Dus wij
hebben nog een lange weg te gaan. Maar de overheid natuurlijk bij een
herkenning staan zij ook op een aantal zaken, dat de moskee zich inschrijft in het
democratische rechtssysteem van België, dat er ook geen haat en andere
boodschappen gepredikt worden in de moskee. Dat lijken mij zeer evidente zaken,
uiteraard, en politiek, voor alle duidelijkheid, moet buiten de moskee gebeuren.
Sprecher 3
Von den 300 Moscheen in Belgien sind bisher nur 90 anerkannt. Wir haben also
noch einen weiten Weg vor uns. Bei der Anerkennung verlangt der Staat, dass die
Moschee sich zur demokratischen Grundordnung bekennt, und dass kein Hass
10
gepredigt wird. Ich finde das selbstverständlich. Politik hat in der Moschee keinen
Platz.
Autor
In Belgien herrsche sehr viel Misstrauen gegenüber Muslimen, meint Achaibi
diplomatisch. Er beschreibt damit eine wahre Epidemie der Islamophobie, die
Europa gerade heimsucht. Überall schüren fremdenfeindliche Parteien die Angst
vor dem Ungewohnten, dem Anderen. Auch Juden als die traditionelle religiöse
Minderheit in Europa hätten darunter zu leiden.
Während die islamfeindliche Stimmung bei einer kleinen Gruppe von Juden
Zustimmung findet, hat die abnehmende Toleranz in der Mehrheitsgesellschaft
Juden und Muslime einander auch nähergebracht. Das Flämische Parlament hat
sich gerade für ein Verbot des traditionell ohne Betäubung ausgeführten rituellen
Schlachtens ausgesprochen. Ab Januar 2019 ist das rituelle Schlachten gesetzlich
neu geregelt. Kleine Tiere müssen dann vor dem rituellen Schlachten betäubt
werden. Bei größeren Tieren ist das unbetäubte Schlachten vorläufig noch
zulässig, solange die Technik für eine sichere Betäubung noch nicht ausgereift ist.
O-Ton Achaibi
Dus, we hebben heel veel gemeenschappelijke zaken. Naar aanleiding van het
verbod op ritueel slachten zijn er ook heel veel goede contacten met rabbijn
Kornfeld die voor de joodse gemeenschap het dossier ritueel slachten opvolgt. Wij
hebben verschillende keer samengezeten om te kijken wat wij juridisch kunnen
doen. Op dit moment hebben zowel de joodse als de moslimgemeenschap een
klacht ingediend bij het grondwettelijke hof van België voor het verbod op ritueel
slachten. Omdat natuurlijk ook in onze basis, in onze achterban, krijgen wij
natuurlijk ook de vraag, hoe zit het nu, hoe zit het nu verder, hoe gaat het nu
verder organiseert worden?
Sprecher 3
Es gibt viel Gemeinsames. Als Folge des Schlachtverbots haben wir jetzt gute
Kontakte zu Rabbiner Kornfeld, der sich bei der jüdischen Gemeinschaft um das
rituelle Schlachten kümmert. Ich habe ihn einige Male getroffen, und wir haben
beschlossen, gemeinsam rechtliche Schritte zu unternehmen. Juden und Muslime
11
haben beim belgischen Verfassungsgericht gegen das Gesetz Klage eingereicht.
Unsere Mitglieder fragen uns ja: Wie soll es jetzt weitergehen? Wie wollt ihr die
Schlachtung jetzt organisieren?
Atmo Zugfahrt Antwerpen
O-Ton Carlebach
Some people will say, Antwerp is an oasis. I think it is all very much connected to
the fact that Jewish people feel comfortable here to walk around openly and
dressed obviously Jewish.
Sprecher 1
Antwerpen ist eine Oase, sagen einige. Die Leute fühlen sich hier sicher genug,
um deutlich erkennbar herumzulaufen.
Autor
Wir sind wieder in Antwerpen, im Büro der Jüdischen Gemeinde, wo wir Rabbiner
Ephraim Carlebach treffen. Er ist vor einigen Jahren von Toronto nach Antwerpen
übersiedelt. Er gehört den Lubawitcher Chassidim an, einer gemäßigt ultra-
orthodoxen Sekte, die sich auch Chabad nennt. Carlebach ist stolzer Träger eines
besonders buschigen roten Bartes.
O-Ton Carlebach
At the same time, I would say there is a certain level of normalization of anti-
Jewish sentiment, even within the upper echelons of society which hasn’t been for
the past number of years since the Holocaust. That certain level has begun to
seep in. You do also have a number of immigrants who have come here with anti-
Semitic sentiments. We had a case not so long ago where someone was ripping
down mezuzoth, disgracing …, knocking peoples hats off which does exits, and
that is an actual fear.
Sprecher 1
Anderseits ist ein gewisses Maß an anti-jüdischem Sentiment normal geworden,
auch in höheren Kreisen. Das war in den Jahrzehnten nach dem Holocaust
anders. Dann haben wir es auch noch mit den anti-jüdischen Gefühlen der
12
Einwanderer zu tun. Kürzlich hat jemand hier Mesusot von den Türpfosten
gerissen und Männern den Hut von Kopf geschlagen. Das kommt auch vor.
Darüber machen sich die Leute Sorgen.
Autor
Mesusot sind kleine Kapseln mit einem Gebetstext, die von frommen Juden an die
Türpfosten ihrer Wohnungen genagelt werden. Die Wohnungen von orthodoxen
Juden sind dadurch auch von außen erkennbar. Rabbiner Carlebach entstammt
einer der bekanntesten deutschen Rabbiner-Familien der Vorkriegszeit. Er hat die
Enkelin des hiesigen Oberrabbiners geheiratet und ist hier in Antwerpen jetzt die
Nummer Zwei, ein Mann mit sehr großem Ansehen. Ich frage Carlebach, ob sich
die jüdische Gemeinschaft durch die angekündigten Beschränkungen beim
rituellen Schlachten, Sch’chita im Hebräischen, bedroht fühlt.
O-Ton Carlebach
The Sch’chita is, as we all know, something very important to any Jewish life of the
Jewish community. The general focus of animal rights and caring for animals,
which, of course, Judaism is very for, something it cares very much for, has also
mushroomed and has come into an attack of Sch’chita. So we have had a
movement for a while of people attacking Sch’chita and going for Sch’chita. Now,
the community in conjunction with the Consistoire, first of all tried to stop the
legislation. That was not successful. And now we are trying to fight it in court.
Sprecher 1
Die koschere Schlachtung ist für jüdisches Leben sehr wichtig. Das allgemeine
Anliegen der Tier-Rechte, des Tierschutzes, das auch vom Judentum bejaht wird,
ist ausgeufert und hat sich gegen die koschere Schlachtung gerichtet. Wir haben
es jetzt seit einiger Zeit mit einer Bewegung zu tun, die die koschere Schlachtung
abschaffen will. Die Gemeinde hat zusammen mit dem Konsistorium zuerst
versucht, die Gesetzgebung zu stoppen. Als das gescheitert ist, sind wir vor
Gericht gezogen.
13
Autor
Die islamfeindliche Stimmung in Belgien hat nicht nur zum Verbot des rituellen
Schlachtens beigetragen. Auch die Beschneidung des männlichen Nachwuchses
steht unter Druck. Die Ethik-Kommission des belgischen Gesundheitsministeriums
hat 2017 empfohlen, die Kosten für religiös motivierte Beschneidungen nicht
länger durch die Krankenversicherungen tragen zu lassen. Die Ministerin will
allerdings noch an der Vergütung festhalten, damit Eltern sich weiterhin für eine
Beschneidung im Krankenhaus entscheiden und nicht zu medizinisch weniger
sicheren Alternativen greifen. Sollte die Empfehlung umgesetzt werden, hätte der
Schritt unterschiedliche Folgen für die zwei Gemeinschaften. Bei Juden wird die
Beschneidung am achten Tag ausgeführt, meist zuhause, bei Muslimen im
Grundschulschulalter, meist im Krankenhaus. Aber die Diskussion um die Mila, die
rituelle Bescheidung, bereitet auch Juden Sorgen.
O-Ton Carlebach
Mila is a fundamental point of our religion. Therefore, I would say in a certain
sense a person can live without meat. We can maybe be able to eat potatoes or
cucumbers but in regards to living in a society where Mila would be forbidden
would not be something possible for a Jewish community to be able to survive and
grow, or even to exist in such a society.
Sprecher 1
Die Beschneidung ist grundlegend für unsere Religion. Ein Mensch kann ohne
Fleisch auskommen. Wir könnten uns von Kartoffeln und Gurken ernähren. Aber
eine jüdische Gemeinschaft könnte in einer Gesellschaft, in der Mila verboten ist,
nicht überleben und gedeihen, ja wir könnten in einer solchen Gesellschaft
überhaupt nicht existieren.
Atmo „Leer je buren kennen“
Autor
Wir sind in Amsterdam, im Saal der liberalen jüdischen Gemeinde. Hier findet
heute, wie fast jeden Montag, ein Treffen zwischen Schülern und Jugendlichen
statt. Das Treffen hat mit einer kurzen Filmvorstellung begonnen, mit einem Film,
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der versucht, alle Klischees über Juden Revue passieren zu lassen. Dann sollen
die Schüler alles, was sie über Juden denken, auf ein Stück Papier schreiben,
anonym. Ich frage meinen Nebenmann, was er aufschreibt.
O-Ton Schüler
Bij joden is het eerste waar ik aan denk meestal de Holocaust. Dat klinkt heel erg.
Maar dat is wat in mijn hoofd opkomt. Ik heb dan ook altijd het beeld in mij hoofd
van die mannen met dat hele lange gekrulde haar, met die hoeden op en die grote
barden. En ook een ding wat ik heb in mijn hoofd dat ze bij een bruiloft op zo’n
glas moeten trappen.
Sprecher 3
Ich denke zuerst an den Holocaust. Das klingt schlimm, aber das ist, was mir
zuerst einfällt. Dann sehe ich auch die Männer mit den langen Schläfenlocken vor
mir, mit den großen Hüten und langen Bärten. Und die Szene bei einer Hochzeit,
in der das Glas zertreten werden muss.
Atmo Treffen
Gespräch: “Wat denken jullie bij het woord jood; tegen Palestina, Kankerjood”...
Autor
Die Schüler heute kommen von einer Berufsschulklasse für Sportlehrer. Etwa die
Hälfte sind Muslime. „Scheißjude“, „Kankerjood“, ist heute das schlimmste, was zu
hören ist. Aber sehr oft, so erzählen die Veranstalter, stehen noch andere Sätze
auf dem Papier. Über Juden, die viel Geld haben, andere betrügen, in Palästina
kleine Kinder ermorden. Das Projekt heißt „Lerne deine Nachbarn kennen“. Es
begann damit, dass Schüler einer benachbarten Berufsschule eingeladen wurden.
O-Ton Kunst
Ja, ja, al heel vaak. Vanaf het begin, dus zeven jaar geleden. Ik denk dat ik met de
eerste groepen deze kant op ben gekomen.
Sprecher 2
Ja, beim Projekt war ich schon oft mit, seit den Anfängen vor sieben Jahren. Ich
glaube, ich habe zu den ersten gehört, die mit Gruppen hierhergekommen sind.
15
Autor
Roland Kunst, Sport-Dozent an der Fachschule. Er begleitet die Schüler heute.
O-Ton Kunst
Ze vinden het spannend. In onze doelgroep van studenten hebben wij veel
moslims en hun eerste reactie is altijd: O nee, nee. Niet naar een joodse
synagoge. Ik hoef toch geen keppeltje op. Omdat ze bang zijn dat ze binnen hun
eigen groep nagewezen worden. Verder zijn dat ook wel groepen die uit wat
achtergestelde gezinssituaties komen. En ik merk zelf wel dat dat wel vaak
groepen zijn die toch soms wel wat fel reageren naar joden.
Sprecher 2
Sie sind nervös. Unter unseren Studenten gibt es viele Muslime, und ihre erste
Reaktion ist immer: Oh nein! In eine jüdische Synagoge? Müssen wir uns dann ein
Käppchen aufsetzen? Sie haben dann offenbar Angst, von ihren Freunden
verhöhnt zu werden. Unsere Studenten kommen oft aus sozialen Randgruppen.
Und das sind meiner Erfahrung nach oft Gruppen, die sich sehr kräftig über Juden
auslassen können.
O-Ton Bino
Het begon ermee dat wij een nieuwe synagoge hebben gebouwd in Amsterdam
Zuid waar wij nu zitten. Dat is zeven en een half jaar geleden. En al tijdens de
bouw ging ik kijken, en wij zaten pal naast een ROC, een college, met
tweeduizend leerlingen, met veel niet-westerse leerlingen, met Turkse
achtergrond, met Marokkaanse achtergrond. En ik ben gaan praten met de
docenten in het ROC en ik zag de enorme synagoge hier gebouwd worden en
dacht: dat gaat niet goed. Want ook in het verleden hadden wij wel eens
vervelende ervaringen gehad met de leerlingen dat ze stenen gooiden naar de
synagoge of dingen riepen. En ik dacht: wij moeten daar wat mee.
Sprecherin 2
Es begann damit, dass wir vor siebeneinhalb Jahren diese neue Synagoge in
Amsterdam-Süd gebaut haben. Während des Baus habe ich das ROC besucht,
das direkt neben uns lag, das Regionale Ausbildungszentrum für berufliche
Bildung - mit zweitausend Schülern. Das ROC hat viele Schüler mit
Migrationshintergrund, viele Schüler aus der Türkei und Marokko. Während
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meiner Gespräche mit den Dozenten sah ich diese riesige Synagoge gleich
nebenan aus dem Boden wachsen und dachte mir: das geht nicht gut. Denn in der
Vergangenheit hatten wir schon schlechte Erfahrungen gemacht mit Schülern, die
Steine auf die alte Synagoge warfen oder uns beschimpften. Ich dachte: Wir
müssen etwas tun.
Autor:
Madelon Bino, die Direktorin der Liberalen Jüdischen Gemeinde Amsterdam. Die
Synagoge mit Gemeindezentrum ist ein sehr auffälliger Bau. Ebenso auffällig sind
die Sicherheitsvorkehrungen, die Zäune, Kameras und der permanente
Polizeiposten vor dem Eingang. Die meisten Sicherheitsmaßnahmen wurden
allerdings erst 2014 getroffen, nachdem ein aus Marokko stammender Franzose
mit einem Schnellfeuergewehr in das jüdische Museum in Brüssel eingedrungen
war und vier Besucher erschossen hatte. 2010, im Jahr, in dem die neue
Synagoge eröffnet wurde, gingen die Sorgen noch in eine andere Richtung:
ungestüme Jugendliche, Vandalismus und Schmierereien
O-Ton Bino
Onze vorige synagoge stond hier een paar honderd meter verder. Dus, zij
kwamen daar vaak langs en riepen welles dingen als rotjoden of Hitler had je aan
het gas moeten leggen. Er is niet heel veel gebeurd maar het zijn incidenten
geweest. En er zijn ook incidenten geweest dat ze welles met steentjes gingen
gooien naar de synagoge. Het was onschuldig maar het was vervelend.
Sprecherin 2
Die alte Synagoge stand ein paar hundert Meter weiter weg. Die Schüler kamen
da vorbei und riefen manchmal „Scheißjuden“ oder „Hitler hätte euch vergasen
müssen“. Manchmal wurden auch Steine gegen die Synagoge geworfen. Es war
harmlos aber unangenehm.
Autor
Für den Neubau der Synagoge musste ausgerechnet die Turnhalle der
Berufsschule abgerissen werden. Die wichtigste Studienrichtung des Zentrums
17
war das Fach Sport. Im Lehrerkollegium war deshalb die Motivation, sich des
Problems anzunehmen, nicht sehr groß, erzählt mir der Sportlehrer Roland Kunst.
Madelon Bino erinnert sich auch an andere Probleme mit den Dozenten.
O-Ton Bino
Ja, ze vonden het vervelend. Het probleem is dat ze niet wisten wat ze moesten
doen. Dat is nu nog steeds zo. Ze weten niet hoe ze op dingen moeten reageren.
Ze zijn vaak bang om conflicten aan te gaan met hun leerlingen en bepaalde
dingen bespreekbaar te maken. Ze hebben de neiging om het te negeren. Om het
vooral maar niet over te hebben. Dan gaat het wel weer over.
Sprecherin 2
Sie fanden es peinlich. Das Problem war, das sie keine Antworten hatten. Das ist
immer noch so. Sie wissen nicht, wie sie reagieren sollen. Sie haben bei
bestimmten Themen Angst vor Konflikten mit ihren Schülern. Sie wollen die
Probleme lieber negieren und vor allem nicht darüber sprechen. Vielleicht lösen
sie sich dann von selbst.
Autor
Schon 2002 waren niederländische Geschichtslehrer mit einer Warnung an die
Öffentlichkeit getreten. Die gewaltsamen Auseinandersetzungen in Israel während
der 2. Intifada machten es zunehmend schwieriger, Themen wie Holocaust und
Antisemitismus mit muslimischen Schülern zu besprechen. Muslimische Schüler
solidarisierten sich mit Palästinensern und empfänden nicht Juden, sondern sich
selbst als Opfer von Diskriminierung und Verfolgung. Umfragen unter Lehrern
zeigten in den darauffolgenden Jahren, dass der Unterricht über diese Themen in
der Tat vermieden wurde. Einer offenen Auseinandersetzung über die Probleme in
Israel und die Spannungen zwischen Juden und Muslimen gingen aber auch
Juden aus dem Weg.
O-Ton Bino
De joodse gemeenschap is heel erg verdeeld. Er zijn een heleboel joden die zien
de zin niet van dit soort projecten. Je kunt beter je beveiliging scherper maken als
dit soort projecten te doen. Maar ik merk vooral de joodse ouderen, dat die heel
weinig daarin zien. Die hebben alleen maar angst. Die hebben zoiets van: laat mij
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maar achter dikke muren zitten en het heeft geen zin. Er komen steeds meer
moslims. Het gaat niet goed in Nederland. Die zijn het meest negatief. De joodse
ouderen, die de oorlog hebben meegemaakt. Maar het heeft geen zin, dat is onze
mening, om je te verbergen achter je muren. Wij leven in Amsterdam en in
Nederland. Dat is altijd een fantastisch land geweest en we vinden dat wij met
elkaar moeten blijven leven.
Sprecherin 2
Die jüdische Gemeinschaft ist gespalten. Viele halten diese Art Projekte für
sinnlos. Sie wollen lieber die Bewachung verschärfen. Vor allem die ältere
Generation hält wenig davon. Die haben Angst und wollen lieber hinter dicken
Mauern sitzen. Sie denken: es gibt immer mehr Muslime, und das ist schlecht für
die Niederlande. Sie stehen dieser Art von Projekten sehr negativ gegenüber. Das
ist die Generation, die den Krieg noch mitgemacht hat. Aber unserer Meinung
nach hat es keinen Sinn, sich hinter Mauern zurückzuziehen. Wir leben in
Amsterdam, in den Niederlanden. Das ist ein fantastisches Land, in dem wir auch
weiterhin zusammenleben müssen.
Autor
Anstatt dickerer Maurern oder einer neuartigen Anti-Graffiti-Beschichtung, wie
jemand für den Neubau der Synagoge vorschlug, entstand das Projekt „Lerne
deine Nachbarn kennen“. Zuerst wurden alle Schüler der Berufsschule
eingeladen, sich mit Jugendlichen der jüdischen Gemeinde zu treffen. Dann
kamen die Schüler anderer Schulen. Inzwischen haben 15.000 Amsterdamer
Schüler am Projekt teilgenommen. Das Projekt erhielt viele Preise. 2017 hat das
Bildungsministerium 100.000 Euro zur Verfügung gestellt, um das Projekt auf das
ganze Land auszuweiten, organsiert von den insgesamt zehn liberal-jüdischen
Gemeinden der Niederlande. Die liberale jüdische Gemeinschaft umfasst
allerdings nur die Hälfte der etwa 8.000 niederländischen Juden. Die andere Hälfte
gehört orthodoxen Gemeinden an. Hier sind kaum Zeichen für Dialogbereitschaft
erkennbar. Denn Dialog mit Muslimen bedeutet auch, sich auf ein Gespräch über
Recht und Unrecht in Israel und Palästina einzulassen, ein Gespräch, das in den
letzten Jahren nicht gerade leichter geworden ist.
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O-Ton Bino
Ik vind het nog steeds niet ingewikkeld om joods te zijn in Nederland. Maar waar ik
me wel zorgen over maak is de afgelopen vijf jaar dat je niet meer fatsoenlijk met
een keppeltje door Amsterdam kan lopen. Dat heb ik nooit eerder meegemaakt. Ik
vind dat joden door de hele stad met een keppeltje op moeten kunnen lopen, net
zo goed als moslims een hoofddoekje om hebben of andere dingen. Dat vind ik
ook prima.
Sprecherin 2
Ich finde es immer noch unkompliziert, Jude in den Niederlanden zu sein. Sorgen
mache ich mir allerdings, dass du nicht mehr mit einem Käppchen durch
Amsterdam laufen kannst. Das hat es noch nie gegeben. Ich finde, dass Juden
das können müssen, genau wie Muslime ein Kopftuch oder ähnliches tragen
können. Das finde ich auch o.k.
O-Ton Lasri
Kijk, in het begin droeg ik geen hoofddoek. Ik ben opgegroeid in een moderne
familie met een korte jurk en dat soort dingen. Mijn ouders waren zo open. Zij
zeiden, nee, dat is jouw leven. Je mag doen wat je moet doen.
Sprecherin 3
Anfangs habe ich kein Kopftuch getragen. Ich bin modern aufgewachsen mit
kurzem Rock und so weiter. Meine Eltern waren sehr offen. Es ist dein Leben, tu
was du für richtig hältst, haben sie gesagt.
Autor
Die Sportlehrerin Amina Lasri. Wir haben uns in der Al-Kabir-Moschee in
Amsterdam verabredet. Die Mosche steht in der Innerstadt, direkt an der Amstel.
Al Kabir ist eine der liberalsten Moscheen der Niederlande. Während die Männer
im großen Saal auf den Beginn des Nachmittagsgebets warten, wartet Amina
Lasri auf ihre Frauengruppe.
O-Ton Lasri
Toen ik hier kwam was het voor mij heel simpel. Ik ben eraan gewend. In
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Casablanca zijn er heel veel verschillen. Heel veel buren van mijn tante zijn joden,
en zij eten samen. Ik zie het verschil niet. Er is een groot verschil: het geloof is
anders. Maar dit is uiteindelijk een.
Sprecherin 3
Als ich in die Niederlande kam, war alles einfach. Ich fand es einfach, denn auch
in Casablanca gab es verschiedene Kulturen. Viele Nachbarn meiner Tante waren
Juden. Sie aßen zusammen. Es gab keine Unterschiede, außer, dass sie
verschiedenen Religionen angehörten. Aber das war schon alles.
Atmo „Islam ist“
Autor
Gleich zu Anfang kommen Amina und ich auf das Thema zu sprechen, das an
diesem Sonntag das ganze Land beschäftigt: ein neuer Werbefilm der PVV, der
„Partei der Freiheit“ von Geert Wilders, mit dem Titel „Der Islam ist ...“.
Der Film zeigt, unterlegt von dramatischer Musik, dreißig simple Sätze, in blutroten
Buchstaben auf weißem Hintergrund: „Der Islam ist Gewalt. Der Islam ist
Unterdrückung. Der Islam ist Christenhass. Der Islam ist Judenhass. Der Islam ist
Terror.“ Amina ist aufgebracht. Sie habe gestern fassungslos vor dem
Fernsehschirm gesessen und sich gefragt: wie soll ich das meinen Kindern
erklären? Amina hat zwei Söhne, 11 und 16 Jahre alt.
O-Ton Lasri
Mijn eerste drie jaar hier toen ik nog geen kinderen had was ik niet heel veel
bezorgd. Ik kwam overal met mij hoofdoek. Toen ik kinderen kreeg. Ja, dat is erg
moeilijk voor hun. Hoe ga ik dat doorgeven aan hun. Hoe krijg ik sterke kinderen
die kunnen gewoon tegen dit soort dingen.
Sprecherin 3
In den ersten drei Jahren meines Lebens hier habe ich mir keine Sorgen gemacht.
Dann kamen die Kinder. Die Situation ist für sie sehr schwierig. Wie soll ich sie
vorbereiten? Wie mache ich sie stark genug, damit sie diese Dinge aushalten
können?
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Autor
Wie erziehe ich meine Kinder dazu, mit Hass umzugehen, das ist auch eine
Frage, die sich jüdische Eltern stellen müssen. Für beide Gruppen wurde das
Problem etwa zur gleichen Zeit aktuell – 2001. Der Anschlag auf das World Trade
Center weckte Misstrauen gegenüber Muslimen und leistete jenen Kräften
Vorschub, die die These von der Unvereinbarkeit des Islam mit den Werten des
christlich geprägten Abendlandes vertraten. Aber auch die Juden in Europa fühlten
sich zum Sündenbock eines fernen Geschehens gemacht. Viele Muslime
solidarisierten sich während der 2. Intifada mit den Palästinensern und begannen,
ihre jüdischen Nachbarn in Europa als Repräsentanten des israelischen Staates
zu sehen. Amina Lasri denkt, wie Mohamed Achaibi, der stellvertretende
Vorsitzende der Muslime in Belgien, dass die Zunahme von Hass und Vorurteilen
vor allem dem Versagen von Elternhaus und Schule zuzuschreiben ist.
O-Ton Lasri
Daarom is de samenwerking met allerlei gemeenschappen heel belangrijk en heel
dringend nu. Wat er gebeurt in Palestina, in Syrië, in de hele wereld, is echt niet
fijn. Maar tegen die boosheid, zeg ik altijd, is opvoeding belangrijk. Opvoed jouw
kind niet extreem, naar die kant of de andere kant, dat ze gewoon reageren, dat
soort dingen. Heel veel kinderen, dat heb ik ook meegemaakt, hebben ook moeite
met andere kinderen te mixen en te leven. Waarom? Die basis kun je ook thuis
leren.
Sprecherin 3
Deshalb ist die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Gruppen gerade
jetzt so wichtig und dringend. Was in Palästina geschieht, in Syrien und anderswo
in der Welt, hat einen negativen Einfluss. Gegen Wut, sage ich immer, hilft nur
Erziehung. Erziehe dein Kind nicht extrem in die eine oder andere Richtung,
sondern dass sie normal reagieren können. Viele haben auch Probleme damit, mit
Kindern von anderen Gemeinschaften umzugehen und zu leben. Die Basis dafür
musst du zuhause lernen.
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Autor
Amina Lasri hat Madelon Bino, die Leiterin der liberalen jüdischen Gemeinde, zum
ersten Mal beim Projekt “Lerne deine Nachbarn kennen” getroffen. Seitdem haben
die beiden beschlossen, auch auf anderen Gebieten zusammenzuarbeiten.
Jüdische und muslimische Kinder gehen in den Niederlanden sonntags zum
Religionsunterricht, die einen in die Synagoge, die anderen in die Moschee. Jetzt
treffen sich die Religionsklassen regelmäßig zum Kennenlernen und
gemeinsamen Spiel. Amina und Madelon haben auch eine jüdisch-muslimische
Frauengruppe gegründet, wohlwissend, dass viele Vorentscheidungen für das
Sozialverhalten im Elternhaus fallen.
O-Ton Lasri
Joodse mensen, de joodse gemeenschap, is een beetje gesloten. Sinds 2001 heb
ik nauwelijks joodse mensen ontmoet. Daarom ben ik ook heel blij met de
kookworkshop. Die hebben wij hier de laatste tijd gedaan. Ik heb tien vrouwen
meegenomen. Ze waren zo blij en enthousiast. Wij hebben samen gekookt,
samen gelachen en we gaan iets organiseren, een wandeling, we gaan naar het
joodse museum. Gewoon samen iets doen.
Sprecherin 3
Juden und die jüdische Gemeinschaft sind ziemlich verschlossen. Seit 2001 habe
ich praktisch keine Juden kennengelernt. Deshalb bin ich froh mit dem Kochkurs,
den wir hier gerade abgehalten haben. Ich habe zehn Frauen mitgenommen. Wir
haben zusammen gekocht und gelacht. Wir organisieren jedes Mal etwas Neues,
eine Wanderung, einen Besuch beim jüdischen Museum. Einfach, um etwas
zusammen zu machen.
O-Ton Finkelgruen
Also ich glaube, dass eine Ebene, auf der man sich ohne Konflikte trifft, ist die
kulinarische Ebene. Sobald man aufs Essen kommt, kann man gut miteinander
kommunizieren. Und dann fängt es an, eine Frage des Fingerspitzengefühls zu
sein. Was man dem anderen zumutet zu hören. Aber das gilt gegenseitig, nehme
ich wohl an.
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Autor
Der Autor und Journalist Peter Finkelgruen. Wir sind in Köln angekommen, der
letzten Station unserer Erkundungsreise. Peter Finkelgruen wurde als Kind
deutsch-jüdischer Flüchtlinge während des Zweiten Weltkriegs in Shanghai
geboren, kam dann über Prag nach Israel, wo er im Tel Aviver Vorort Jaffa eine
der wenigen gemischten Schulen des Landes besuchte, bevor er sich 1959 in
Köln niederließ. Später lebte er wieder eine Zeit lang in Israel als Vertreter der
FDP-nahen Naumann-Stiftung. Ich habe Finkelgruen gebeten, sich mit mir die
israelische Fernsehdokumentation „Unter Falschem Namen“ anzuschauen.
Atmo “Unter falschem Namen”
Autor
Die Serie hat den „stillen Jihad“ zum Thema, die angebliche Unterwanderung
Europas durch Muslime. Eine Episode spielt in Berlin, wo der israelisch-jüdische
Autor der Serie als Muslim vermummt ohne weiteres Aufnahme in einem
Auffangzentrum in Tempelhof gefunden haben soll. Der Autor wertet dies als
Zeichen der fortgeschrittenen „Islamisierung“ Deutschlands. Die Serie wolle Angst
machen, schrieb die israelische Tageszeitung Haaretz, und den Eindruck
erwecken, dass Israel die letzte Rettungsinsel für Juden mitten im Weltmeer
verrückter Jihadisten wäre. Hat das Schüren von Ängsten, in Israel aber auch
durch extremistische Parteien in Europa, Folgen in Deutschland, frage ich
Finkelgruen. Gibt es jetzt mehr Angst unter Juden in Köln?
O-Ton Finkelgruen
Sie ist wohl da. Sie ist bei Gemeindemitgliedern, die aus Osteuropa kommen,
besonders aus Russland, viel stärker als bei den anderen. Das kann man
registrieren. Aber ansonsten geht das beinah unter in der generellen
Sicherheitsmanie, d.h. in der Angst und den Vorkehrungen vor Anschlägen. Die
sind so massiv da, dass es sozusagen die anti-muslimische Haltung beinahe
übertönt. Die wird als solche gar nicht mehr sichtbar, weil da sind ja die
Schutzleute, die aufpassen an den Türen und an den Toren.
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Autor
Dass Juden in Europa Angst vor Anschlägen haben, ist nur zu begreiflich.
Experten haben von Anfang an allerdings auf das Paradox hingewiesen, dass
verschärfte Sicherheitsmaßnahmen und das erhöhte Bewusstsein für Gefahren
auch zu einem erhöhten Gefühl der Unsicherheit und mehr Angst vor Gewalttaten
führen.
O-Ton Finkelgruen
Nun ist Köln vielleicht keine Stadt, die sehr typisch wäre für das Aufkommen
derartiger Ereignisse. Man hört kaum, wenig, derartige Nachrichten, und es gibt
auch keine Ereignisse. Das ist eher in Berlin vor allem und dann in ein paar
anderen Städte. Man merkt natürlich, wenn irgendeine Gewalttat passiert, in die
vorzugsweise ein Nordafrikaner aber öfter auch ein Syrer verwickelt ist. Dann
spürt man so ein Aufwallen von, ja guck mal. Das ist unsere Unsicherheit. Das
sind die Ängste, die wir haben. Da muss man schon wissen, wo man hinhört.
Autor
In der letzten Zeit wird in der Öffentlichkeit viel über Antisemitismus unter
Muslimen gesprochen und über die Zunahme von Antisemitismus allgemein. Wie
nimmt Finkelgruen die Diskussion wahr?
O-Ton Finkelgruen
Ohne ironisch sein zu wollen, könnte ich sagen, sie fangen an anzuerkennen, was
es die ganze Zeit gegeben hat. Sonst haben sie bestritten, dass es Antisemitismus
gibt. Und jetzt sagen sie, ja, es gibt ihn, aber er ist nicht bei uns, sondern er
kommt von denen. Nur so einfach ist es nicht. Ich glaube, dass wenn man die
Statistiken des Landeskriminalamtes kennt, dann weiß man, dass noch immer die
Mehrzahl der antijüdischen Angriffe auf Synagogen und so weiter von Deutschen,
und nicht von muslimischen Einwohnern vollzogen werden.
Autor
Die heutigen Beziehungen zwischen Juden und Muslimen sind vom immer noch
ungelösten Nahostkonflikt vergiftet und von einem starken gegenseitigen
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Misstrauen, das auch noch von politischen Parteien in Europa und im Nahen
Osten genährt wird. Finkelgruen erinnert sich allerdings auch an bessere Zeiten.
O-Ton Finkelgruen
Eigentlich hatte ich sie hauptsächlich in Israel selber natürlich. Das fing an schon
als Jugendlicher. In der Schule war ich mit arabischen Jugendlichen gleichzeitig in
der Schule. Später dann, als ich beruflich nach Israel kam, habe ich Projekte
errichtet und entwickelt, die auf Kooperation zwischen jüdischen Israelis und
palästinensischen Arabern in Israel ausgerichtet waren, aber auch in den
besetzten Gebieten. Es gab fantastische Kooperationen im Kulturbereich. Es war
ein goldenes Jahrzehnt, in dem es ein Optimum an palästinensisch-israelischen
Gesprächsmöglichkeiten und -bereitschaften auf allen Ebenen gab. Das ist dann
nach den Neunzigerjahren abrupt weggefallen.
Autor
Die israelische Fernsehserie „Unter Falschem Namen“ habe ich mir auch mit
einem anderen Autor und Journalisten angeschaut, mit Hakam Abdelhadi.
Abdelhadi, der bis zu seiner Pensionierung bei der Deutschen Welle gearbeitet
hat, ist im palästinensischen Dschenin geboren, seine Familie stammt aus Haifa.
Er wohnt, ebenso wie Peter Finkelgruen, seit mehr als 50 Jahren in Köln. In der
TV-Serie wird stillschweigend davon ausgegangenen, dass Muslime von Hause
aus antijüdisch eingestellt wären. Empfindet Abdelhadi diese
Verallgemeinerungen nicht als Beleidigung?
O-Ton Abdelhadi
Natürlich. Das ist ja sehr, sehr einseitig. Mein Vater hatte jüdische Freunde in
Haifa gehabt, und als er von Haifa nach Dschenin damals umgezogen ist – er hat
geweint, und die haben auch geweint. Es waren Freunde. Die Beziehungen
zwischen Palästinensern, und Arabern im Allgemeinen, und den Juden, die sind
ohne Zweifel durch Hass, von beiden Seiten übrigens, geprägt wegen der
Entstehung des Nahostkonflikts, wegen der Vertreibung der Palästinenser, wegen
des Schicksals von Millionen von Menschen, wegen der Kriege, die entstanden
sind. Und das ist jetzt wie früher zwischen Deutschland und Frankreich.
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Autor
Abdelhadi ist, wie er selbst sagt, ein säkularer, moderner Muslim. Wie empfindet
er die Veränderungen in den Beziehungen zwischen Juden und Muslimen?
O-Ton Abdelhadi
Was wir hier in Europa erleben, ist ja mehr oder weniger eine Reflektion der
Ereignisse im Nahen Osten. Zum Beispiel nach der ersten Intifada gab es ja dann
eine Annäherung zwischen Palästinensern und Juden und es gab gemeinsame
Ausstellungen, gemeinsame Aktivitäten. Das war eine goldene Zeit. Auch hier in
Deutschland wurde ja Arafat eingeladen. Der hat ein Visum bekommen von Israel,
dass er nach Deutschland kommen darf. Früher wurde Arafat immer als Terrorist
dargestellt und so weiter. Auch der Spiegel hat das gemacht, viele Magazine. Und
dann plötzlich war Arafat ... hat man Bilder gesehen in der Zeit und anderen
Zeitschriften und Zeitungen, wie er gütig guckt, wie ein Vater und so weiter. Und
das natürlich wurde legitimiert durch die Verbesserung der palästinensisch-
israelischen Beziehungen. Als sie vergiftet wurden, als die Palästinenser gesehen
haben, nach meiner Darstellung, dass Israel ihnen keine Unabhängigkeit geben,
sondern ganz Palästina einverleiben will, da gab es natürlich Widerstand erneut,
und es gab die zweite Intifada, und das hat sich wiederum reflektiert auf unser
Leben in Deutschland.
Autor
Im Deutschland der Sechzigerjahre, als Abdelhadi hier erstmals als Journalist
arbeitete, kam als Reaktion auf den Holocaust eine ausgesprochen pro-jüdische
und pro-israelische Haltung auf, die heute noch das politische Gespräch in der
Bundesrepublik bestimmt. Welche Folgen hatte das für ihn?
O-Ton Abdelhadi
Ich war oft früher, als ich jünger war, Gast bei Werner Höfer, beim Frühschoppen.
Ich durfte nicht sagen, dass ich Palästinenser bin. Er hat mich als Jordanier
vorgestellt. Ich hatte offiziell einen jordanischen Pass gehabt. Aber ich wollte
gerade zeigen, dass ich Palästinenser bin und die Partei der Palästinenser
ergreife. Das war ja eigentlich, was er auch wollte, selber. Aber er konnte es nicht
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offen sagen. Und das war für mich schon ein echtes Problem. Man hat meine
Herkunft ignoriert, um mich salonfähig zu machen. So war das.
Autor
Diese Haltung in der Politik, den Medien und der öffentlichen Meinung, hat sie
auch Konsequenzen für das Verhältnis von Muslimen und Juden in Deutschland?
O-Ton Abdelhadi
Ja. Was mir so auffällt, ist dass die deutsche Politik, die übertragen ihre eigene
Geschichte auf die Palästinenser und auch auf die Muslime im Allgemeinen. Dass
sie sagen: ihre müsst Israel so ähnlich behandeln wie wir Israel behandeln. Das ist
natürlich unhistorisch. Die arabische Seite hat ganz andere Erfahrungen mit Israel
als die deutsche Seite. Die deutsche Seite versucht ihre Geschichtserlebnisse wie
einen Hut auf die Muslime in Europa und der arabischen Welt zu platzieren. Das
geht natürlich nicht.
Autor
Heute leben etwa 20 Millionen Muslime in den christlich geprägten Ländern
Europas. Der Islam ist die größte religiöse Minderheit des Kontinents und hat
damit heute die Stellung inne, die bis zum Zweiten Weltkrieg vom Judentum
eingenommen wurde. Heute wohnen nur noch etwa 2 Millionen Juden in Europa.
Viele Verdächtigungen und Anfeindungen, unter denen früher Juden zu leiden
hatten, sind heute auch gegen Muslime gerichtet. Trotz dieser Gemeinsamkeiten,
und trotz einer langen gemeinsamen Geschichte in arabischen Ländern und in
Spanien, empfinden sich Juden und Muslime heute als Fremde, ja verstehen sich
oft als Feinde. Aber die Initiativen in Belgien und den Niederlanden, die sich auf
gemeinsame Interessen richten und Spannungen zu vermindern suchen, zeigen,
dass beide Gruppen nicht zu Misstrauen, Angst und Hass verurteilt sind.
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Sprecherin
Wer hat Angst vor dem Mann mit dem Bart?
Das schwierige Verhältnis von Juden und Muslimen in Europa
Ein Feature von Daniel Cil Brecher
Es sprachen: Michael Weber, Wolf Aniol, Sigrid Burkholder, Judith Jakob, Jochen
Langner, Marion Mainka und Bruno Winzen
Ton und Technik: Eva Pöpplein und Katrin Fidorra
Regie: Matthias Kapohl
Redaktion: Wolfgang Schiller
Eine Produktion des Deutschlandfunks 2018.