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7/30/2019 Fight the Law - Gegen das Gesetz http://slidepdf.com/reader/full/fight-the-law-gegen-das-gesetz 1/3 Um gegen die kleinlichen Verordnungen des New Yorker Bürgermeisters Bloomberg zu protestieren, hat der 2011 verstorbene Schriftsteller Christopher Hitchens vor zehn Jahren einen Ein-Mann-Verordnungs-Amoklauf unternommen. Zu seinen Straftaten zählten unter anderem: beim Fahrradfahren die Füße von den Pedalen nehmen, Tauben füttern und auf einer Milchkiste sitzen. Hitchens fragte sich: Wieso behandelt Bürgermeister Bloomberg die Bewohner der kosmopolitischsten Stadt der USA wie zurückgebliebene Kinder? I fought the law Man erzählt sich viele und vielfältige New  Yorker Geschichten über Professor Sidney Morgen  besser. So soll er während einer Konferenz  von Sprachphilosophen an der Columbia University den wichtigtuerischen Philosophen und Sprach- theoretiker J. L. Austin unterbrochen haben. Dieser hatte erklärt, dass es im Englischen kein Beispiel für einen doppelten Positiv gebe, der etwas Negatives ausdrückt — im Gegensatz zu doppelten Verneinungen, die etwas Positives, wie „nicht unat- traktiv“, ausdrückten. Morgenbesser formulierte seinen Zwi- schenruf in Form der höhnischen Worte: „Ja, klar!“. „Ja, sicher“  wäre auch gegangen. Bei einer anderen Gelegenheit steckte sich der Philosoph, für seine Schlagfertigkeit und seinen Witz  berühmt, seine Pfeife in den Mund, während er die Stufen einer New Yorker U-Bahn heraufstieg. Ein Polizist kam auf ihn zu und  belehrte ihn, dass das Rauchen in der U-Bahn verboten sei. Morgenbesser erklärte — wies darauf hin, wäre vielleicht der  bessere Begriff —, dass er beim Verlassen und nicht beim Betre-    F    o    t    o    s    :    L    e    b    r    e    c    h    t    M    &    A     /    u    l    l    s    t    e    i    n    b    i    l    d 14 4.201 VERBOTE VERBOTE IN NEW YORK

Fight the Law - Gegen das Gesetz

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Um gegen die kleinlichen Verordnungen des New Yorker

Bürgermeisters Bloomberg zu protestieren, hat der

2011 verstorbene Schriftsteller Christopher Hitchens vor

zehn Jahren einen Ein-Mann-Verordnungs-Amoklauf

unternommen. Zu seinen Straftaten zählten unter

anderem: beim Fahrradfahren die Füße von den Pedalen

nehmen, Tauben füttern und auf einer Milchkiste sitzen.

Hitchens fragte sich: Wieso behandelt Bürgermeister

Bloomberg die Bewohner der kosmopolitischsten Stadt

der USA wie zurückgebliebene Kinder?

I fought the law

Man erzählt sich viele und vielfältige New 

 Yorker Geschichten über Professor Sidney 

Morgen besser. So soll er während einer Konferenz

 von Sprachphilosophen an der Columbia University 

den wichtigtuerischen Philosophen und Sprach-

theoretiker J. L. Austin unterbrochen haben. Dieser hatte

erklärt, dass es im Englischen kein Beispiel für einen doppelten

Positiv gebe, der etwas Negatives ausdrückt — im Gegensatz zu

doppelten Verneinungen, die et was Positives, wie „nicht unat-

traktiv“, ausdrückten. Morgenbesser formulierte seinen Zwi-

schenruf in Form der höhnischen Worte: „Ja, klar!“. „ Ja, sicher“ wäre auch gegangen. Bei einer anderen Gelegenheit steckte

sich der Philosoph, für seine Schlagfertigkeit und seinen Witz

 berühmt, seine Pfeife in den Mund, während er die Stufen einer

New Yorker U-Bahn heraufstieg. Ein Polizist kam auf ihn zu und

 belehrte ihn, dass das Rauchen in der U-Bahn verboten sei.

Morgenbesser erklärte — wies darauf hin, wäre vielleicht der

 bessere Begriff —, dass er beim Verlassen und nicht beim Betre-    F   o   t   o   s   :   L   e   b   r   e   c   h   t   M   &   A    /   u   l   l   s   t   e   i   n   b   i   l   d

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ten der U-Bahn war, und dass er die Pfeife noch nicht angezün-

det hatte. Der Cop wiederholte seine Anweisung. Morgen-

 besser bekräftigte seine Feststellung. Nach weiterem Hin und

Her erkannte der Polizist, dass er geschlagen war und griff auf 

die letzte Rettung erschütterter Autoritäten zurück: „Wenn ich

es Ihnen erlauben würde, müsste ich es allen erlauben.“

Daraufhin entgegnete der alte Philosoph: „Wer glauben Sie

eigentlich, wer Sie sind — Kant?“ Sein letztes Wort — die beiden

sprachen natürlich Englisch miteinander — wurde missver-standen (cunt: vulg. Vagina), weshalb sie die Erörterung des

kategorischen Imperativs auf einem Polizeirevier fortsetzten.

Schließlich wurde Morgenbesser entlassen.

Genau so muss New York meiner Meinung nach sein:

Ironie und ein bisschen Frechheit kombiniert mit kämpferi-

scher Unabhängigkeit sollten immer eine Chance haben gegen

schwerfällige Beamte, die nicht viel mehr vermögen als so

anspruchsvolle Mantras wie „Zero Tolerance“ und „Keine

 Ausnahmen“ auswendig wiederzugeben. Eines ist klar: Heute

 wäre der Professor aufgehalten, beleidigt und mit einer Geld-

strafe belegt worden. Man hätte ihm gesagt, dass er, wenn ihm

das nicht passe, gerne einen Tag bei Gericht verschwenden

könne oder sich mehrere Tage mit der Bürokratie herumschla-

 gen — oder beides.

Nehmen wir den Fall von Brian Bui, Besitzer des Me-

kong-Restaurants in Soho. Wie alle anderen auch

 wurde er der Wahl beraubt, seine Kunden rauchen zu

lassen oder nicht — er lebt unter Führung einer Stadtregierung,

die besser weiß, was gut für ihn und seine Kunden ist. Daher

müssen Raucher nach draußen gehen. Doch hat sich die Sache

damit? Nein. Es ist nämlich auch an der frischen Luft nicht

erlaubt zu rauchen, wenn das unter einer Markise passiert.

Herr Bui musste also 200 Dollar Strafe bezahlen, weil er einem

seiner Kunden erlaubt hatte, in diesem Bereich zu rauchen. Auch wenn die Markise zu diesem Zeitpunkt eingerollt war.

Das tue nichts zur Sache, sagte der Kontrolleur, der den Straf-

zettel ausstellte. Eine Markise war im Spiel. Also wurde ein hart

arbeitender Vietnamese letztlich dafür bestraft, dass er eine

Markise vorgehalten hatte. Der Richter belehrte ihn, er hätte

sich nach „bestem Wissen und Gewissen“ bemühen müssen,

seine Gäste zu kontrollieren oder sie auf diese Besonderheit

hinzuweisen. Als er zum zweiten Mal erwischt wurde, w

 war die Markise eingerollt, zog Herr Bui erneut vor Geric

 gewann. Doch der erfolgreiche Versuch zu beweisen, da

Gesundheitsamt und Justiz einen Gummiparagrafen zu s

Lasten auslegten, kostete ihn 3.000 Dollar an Anwaltskos

Die Gesetzeslage ist heute mehr als klar: New York C

die Hauptstadt der mediokren Bürokraten, des Inspekto

 großzügigem Zeitbudget, des analfixierten Cops mit der

in der Verordnungssammlung, der Petze, die gewillt ist, jharmlosen Mitbürger zu verraten — und eines Bürgerme

der in diesem Spiel die armseligste und nervigste Figur a

die eines Mikro-Größenwahnsinnigen.

Der Reiz, Gesetze zu brechen, ist nicht immer anar

scher Natur. Zunächst empfindet der Mensch ein

natürlichen Widerstand gegen Zwang (oder er so

empfinden). Wir mögen es nicht, geschubst und gestoßen

 werden, selbst wenn es in eine Richtung ist, in die wir mö

cherweise selbst gehen wollen. Zweitens hat der Mensch

natürliches Gespür für das Absurde (oder sollte es haben

Hinter meinem Apartmentgebäude in Washington steht

amtliches Schild mit der Aufschrift: „Drogenfreie Zone“. V

lich hat dieser geradezu lächerliche Hinweis etwas damit

dass in der Nähe eine Schule ist. Vor ein paar Jahren rief s

einer unserer Vororte auf Basis einer kommunalen Veror

zur „Atomwaff enfreien Zone“ aus. Nun will ich das Betäub

mittelgesetz nicht brechen, doch wenn ich es wollte, wür

mich oder jeden anderen Mitbürger nicht mehr als einen

und eine etwa zehnminütige Wartezeit kosten. Ich träum

 Weile vor mich hin, ob ich nicht die Atomwaff enfreiheits-

ordnung allein wegen ihrer Absurdität brechen sollte. Da

 beschloss ich, dass dies zu viel der Mühe gewesen wäre.

Es gibt also einerseits Gesetze, die vertretbar sind, ab

nicht durchsetzbar. Andererseits gibt es Gesetze, die maunmöglich brechen kann. Doch im New York von Bürge

ter Bloomberg gibt es Gesetze, deren Befolgung unmögl

die niemand respektieren kann und die mit tyrannische

Macht exekutiert werden. Dabei gilt: Das Wesen tyrannis

Macht ist nicht das eiserne Gesetz. Es ist das unberechen

Gesetz. Tyrannei kann kleinlich sein. Und „kleinlich“ ist m

als nur Bloombergs zweiter Vorname.

I c h r o l l t e i m L e e r l a u f d e n H a n g h i n u n t e r , w o b e i

f r i s c h e H e r b s t b r i s e m e i n e H o s e n b e i n e w e i t n a c h o b e n s c h

w ä h r e n d i c h m e i n e F ü ß e i n d i e L u f t h i

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