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FINANZBERATER EDITION Präsentiert von AUSGABE 3 | 2018 FINANZVERTRIEB 2030 AMAZON UND CO. GREIFEN AN

FINANZVERTRIEB 2030 AMAZON UND CO. GREIFEN ANNeues Geschäftsfeld für Finanzberater. 22 - 23 Interview mit Thomas Oliver Müller Der Chef der Deutschen Finance Group über weltweite

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Page 1: FINANZVERTRIEB 2030 AMAZON UND CO. GREIFEN ANNeues Geschäftsfeld für Finanzberater. 22 - 23 Interview mit Thomas Oliver Müller Der Chef der Deutschen Finance Group über weltweite

FINANZBERATEREDITION

Präsentiert von

AUSGABE 3 | 2018

FINANZVERTRIEB 2030 AMAZON UND CO. GREIFEN AN

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EDITORIAL | 3

Liebe Leserinnen und Leser,

Amazon hat unser Einkaufsverhalten verändert. Viele gehen nicht mehr in das Geschäft um die Ecke, sondern bestellen Bücher und Kleidung be-quem per Mausklick. Nun hat der größte Onlinehändler der Welt auch den Finanzmarkt im Visier. Und selbst die bisherigen Platzhirsche müssen sich warm anziehen: Der In-ternetgigant hat direkten Zugang zu Millionen Kunden und kennt deren Gewohnheiten. Da ist es fast schon zwangsläufig, dass Amazon auch Fonds oder Versicherungen verkauft.

Zwei Fragen stehen im Fokus: Wie wird der Markteintritt von Amazon konkret aussehen? Und wie können Finanzdienstleister und Finanzbera-ter auf den Angriff reagieren? Ant-worten liefert unsere Titelgeschichte.

Die Digitalisierung ist für Finanzbe-rater nicht nur Bedrohung, sondern auch Chance. So erwarten die meis-ten Vermittler laut einer Umfrage von WhoFinance, dass Direktbanken und Direktversicherungen besonders stark von der Digitalisierung profitie-ren. Aber 53 Prozent der Befragten

glauben auch, dass Finanz- und Versi-cherungsmakler zu den Gewinnern zählen werden. Dagegen rechnen Fi-nanzberater damit, dass vor allem kleine Beratungshäuser verlieren werden. Doch das muss nicht so kommen. Bei komplexen Finanzfra-gen suchen die Menschen auch in Zu-kunft die persönliche Beratung. Spe-zialisierung ist gefragt.

Zehn Jahre liegt sie nun zurück – die Finanzkrise von 2008. Eine stark gestiegene Verschuldung und Speku-lationen mit Subprime-Krediten wa-ren der Ausgangspunkt. Aktienmärk-te brachen um mehr als 40 Prozent ein. Wie 100 Jahre Börsengeschichte im Rückblick zeigen, brauchen sich Fondssparer vor solchen Krisen nicht zu fürchten. Sie profitieren von Ein-brüchen, wenn sie regelmäßig einen gleich hohen Betrag investieren. In schlechten Zeiten kaufen sie automa-tisch mehr Fondsanteile und verhal-ten sich antizyklisch. Eine Strategie, die sich immer wieder bewährt hat.

Auch jetzt befürchten viele Anleger eine Börsenkrise. Finanzberater müs-

sen sich derzeit den besorgten Fra-gen ihrer Kunden stellen. Im Mittel-punkt steht die Türkei. Sie ist aber nur einer von vielen Krisenherden, wie Thomas Mayer, Gründer des Flossbach von Storch Research Insti-tute und ehemaliger Chef-Volkswirt der Deutschen Bank, im Interview er-läutert. Der Euro sei nach wie vor an-fällig für Krisen. So könnte auch Ita-lien Auslöser für einen weltweiten Börsencrash sein. Das Problem laut Mayer: Der Euro ist bislang nur eine Bargeldunion. Konten bei einer deut-schen und italienischen Bank gelten bei institutionellen Anlegern als un-terschiedlich sicher.

Wir wünschen Ihnen eine ange-nehme Lektüre und freuen uns über Ihre Kommentare. Bitte schreiben Sie uns, wenn Sie Anregungen haben an [email protected] Herzliche Grüße Die Redaktion der Finanzberater Edition

Editorial

Makler und Berater im Online-Zeitalter

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MEIN TOP-THEMA

6 - 7 Finanzvertrieb 2030 Amazon und andere Internetgi ganten stehen vor dem Markteintritt im Finanzsektor.

8 Interview mit Christopher Schmitz von EY Über die Zukunft des Finanzvertriebs.

10 Forum Wie Finanzdienstleister jetzt den Vertrieb für die Digitalisierung rüsten.

MEINE WELT

12 - 13 Zehn Jahre Finanzkrise Warum Fondssparer Kurseinbrüche nicht fürchten müssen. 100 Jahre Börsengeschichte in der Analyse. 14 - 15 Interview mit Thomas Mayer Der Gründer des Flossbach von Storch Research Institute sieht große Risiken an den Märkten.

16 - 17 Altersvorsorge Mehr Spielraum bei Betriebsrenten.

18 Regulierung Wie Berater den Durchblick behalten.

20 Crowdinvestments Neues Geschäftsfeld für Finanzberater.

22 - 23 Interview mit Thomas Oliver Müller Der Chef der Deutschen Finance Group über welt weite Investments.

24 - 25 Wichtige Urteile Gerichtsentscheidungen und ihre Konsequenzen für Finanzberater.

MEIN BÜRO

40 - 41 Wie Berater selbst zur Marke werden Vor allem der Faktor Mensch macht den Unterschied im Wettbewerb.

42 Post Mit dem elektronischen Briefkasten immer erreichbar.

43 Leasing Umweltfreundlich und kostengünstig mit dem Rad zur Arbeit und zum Termin.

44 Gesundheit Wie Finanzberater auch im Büro in Bewegung bleiben.

46 Bürostühle Man ist, wie man sitzt: Berater haben Qual der Wahl.

48 Finanz-Hotspots (2): City of London Ein Besuch dort, wo das historische und ökonomische Herz der britischen Hauptstadt schlägt.

50 Interessante Studien Publikationen für den Berateralltag.

MEINE PRODUKTE

26 - 27 Anlagestrategien Was Bond-Investoren nach Ablauf des Anleihe- Aufkaufprogramms der EZB erwartet.

28 Schwellenländer Viele Märkte sind unter Druck. Fünf Punkte für Anleger.

30 Interview mit Kevin Endler Der Chef des quantitativen Fondsmanagements bei Acatis über Chancen der künstlichen Intelligenz.

31 Sachversicherungen Bis zum 30. September ist der Wechsel in diesem Jahr bei vielen Verträgen noch möglich.

32 - 33 Strategie Wie Faktor Investing funktioniert.

34 All-Risk-Policen Was die neuen Angebote leisten können.

36 Zertifikate-Kolumne Mythos Gold.

38 Neue Produkte Innovative Fonds und Versicherungsprodukte.

MEIN NETZWERK

52 Wer kommt, wer geht?

MEINE VISION

54 - 55 Oldtimer Keine anderen Sammlerobjekte sind in den vergangenen Jahren im Wert so stark gestiegen.

4 | INHALT

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MEIN TOP-THEMA | 7

Dirk Wohleb Düsseldorf

Der Angriff hat begonnen. Mit Google und Apple Pay bieten zwei Giganten aus der Internetwelt ihre mobilen Be-zahldienste nun auch in Deutschland an. Wegen der starken Affinität der

Deutschen zum Bargeld haben sie sich lange zu-rückgehalten. „Der Zahlungsverkehr ist das ein-fachste Einfallstor. Wir werden in Zukunft aber auch Angriffe auf komplexere Produkte erleben“, ist Boris Strucken überzeugt, Leiter Innovationen für Banken bei FIS, einem Software- und Dienstleis-tungsunternehmen der Finanzbranche. Amazon ist selbst für Platzhirsche der deutschen Finanzindus-trie wie die Deutsche Bank oder die Allianz eine Bedrohung, zählt das Unternehmen doch Millio-nen von Kunden.

Amazon weitet bereits in Großbritannien sein Geschäft auf Versicherungen aus. Das Unterneh-men verhandelt mit mehreren Versicherern und plant, Kfz-Policen über seine Plattform zu verkau-fen. Vor wenigen Monaten suchte der Konzern in London zudem nach Versicherungsexperten für Europa. Die Fachleute sollten nach Möglichkeit auch über Sprachkenntnisse in Deutsch, Franzö-sisch oder Spanisch verfügen. Dass sich diese Pläne mittelfristig auf Großbritannien beschränken, ist daher nicht anzunehmen.

„Disruptiv verändern, wie Policen ge- und ver-kauft werden“, heißt es in der Stellenausschrei-bung. Die Anzeige liest sich wie eine Kampfansage an Finanzdienstleister. Amazon hat die Digitalisie-rung wie kein zweites Unternehmen im Versand-handel genutzt und ist dort weltweit zur unumstrit-tenen Nummer eins aufgestiegen. Nun steht der Fi-nanzsektor auf der Agenda.

Das Potenzial ist enorm: In Deutschland bestellen mehr als 44 Millionen Menschen regelmäßig bei Amazon. Der Versandhändler kennt ihr Einkaufs-verhalten, ihre finanziellen Verhältnisse und schickt ihnen schon jetzt maßgeschneiderte Pro-duktangebote. Eine gute Basis, um künftig auch Versicherungen oder Anlageprodukte zu vertrei-ben. Auf Anfrage der Finanzberater Edition lehnt Amazon jeden Kommentar zu den Plänen ab.

Filialnetz schrumpft weiterDie Konkurrenz aus dem Internet verändert das Geschäftsmodell von Finanzdienstleistern. Wie das geht, zeigt das Retailbanking: „Der Trend geht von der Filiale ins Onlinegeschäft“, sagt Marco Lazarz, Managing Partner bei der Beratungsgesellschaft Capco. Einfache Finanzprodukte würden stärker über digitale Kanäle gekauft. Vergleichsportale für Einlagen und Kredite schaffen Transparenz, sodass eine Differenzierung über den Preis stattfindet.

Dank der leicht zu standardisierenden Produkte im Retailbanking schreitet hier die Digitalisierung am schnellsten voran. Die Folge: „Im Retailgeschäft wird der Trend zur Reduzierung der Filialen anhal-ten“, sagt Lazarz. In Sektoren mit geringem Bera-tungsbedarf könnten sich Internetriesen rasch po-sitionieren. Die Betreuung von Kunden mit kom-plexen Wünschen lässt sich nicht standardisieren.

Doch auch bei aufwendigen Produktvermittlun-gen zeichnet sich ein Wandel ab: „Anstelle eines breiten Filialnetzes werden spezialisierte Fachbera-tungszentren treten“, sagt Dieter Jurgeit, Präsident des Verbandes der PSD Banken. Starre Filialöff-nungszeiten weichen einer Rund-um-die-Uhr-Bera-tung mittels Video-Chat. Banken auf dem Land

würden aufgrund geringer Konkurrenz weiter er-folgreich arbeiten können. Finanzinstitute in Groß-städten müssten sich dagegen durch Mehrwerte wie Qualität oder Zusatzdienste profilieren.

Laut Studien der Beratungsgesellschaft Accen– ture würden nur 41 Prozent der Kunden aus-schließlich digitale Services nutzen. In der Konse-quenz setzen viele Banken auf ein hybrides Bera-tungsmodell, das digitale und persönliche Bera-tung kombiniert und dem Kunden die Wahl zwischen einer persönlichen Kontaktaufnahme, di-gitalen Services oder einer Kombination bietet.

Und wird der Mensch als Berater in Zukunft noch gebraucht? „Ein klares Ja. Bei langfristigen Entscheidungen ist noch immer der persönliche Berater gefragt“, sagt Lazarz. Aber der Berater muss nicht mehr zwangsläufig in einer Filiale sit-zen. Er kann via Chat, Video oder Telefon flexibel mit seinen Kunden kommunizieren. „Während der Filialberater am Tag eher auf drei oder vier Termi-ne kommt, die zu Abschlüssen führen, kommt der Agent im Kundencenter schnell auf ein Vielfaches davon“, erklärt Lazarz.

Marke als ErfolgsfaktorFinanzberater können die Digitalisierung direkt für sich nutzen: Sie bietet nicht nur neue Formen der Kommunikation. Mit einem gelungenen Web-Auf-tritt, der aktiven Kommunikation über einen Blog und sozialen Netzwerken heben sie sich von Kon-kurrenten ab. Dabei können sie mit ihrer Persön-lichkeit punkten und Vertrauen aufbauen. Wie das funktioniert, zeigt das Personal Branding (siehe Beitrag „Positiv auffallen“, S. 40). Eine Marke auf-zubauen ist viel wichtiger als das Produkt selbst.

Mit der Digitalisierung verändern sich die Be-dürfnisse der Menschen. Aus der Smartphone-Welt sind sie es gewohnt, über eine App Fahrpläne zu nutzen und Zugtickets zu buchen. Das erwarten sie auch bei ihren Finanzen. Sie wünschen eine App, mit der sie ihre finanziellen Angelegenheiten steu-ern können, Versicherungen und Fonds kaufen oder fürs Alter vorsorgen können. Die Trennung von Bank und Versicherungen ist aus Sicht von Kunden nicht nachvollziehbar. Dank der EU-Richt-linie PSD 2 haben auch Unternehmen außerhalb der Bankbranche Zugang zu den Daten aus dem Bankingbereich. Das verschärft den Wettbewerb.

Es gilt also, radikal umzudenken. Und zwar weg von Produkten hin zu Kundenwünschen: „Das ist das, was Google und Amazon hervorragend kön-nen. Es ist ein wesentlicher Pfeiler ihres Erfolgs“, sagt Matthias Wellin, Director Financial Services bei Fjord, einer unabhängigen Innovationsbera-tung. Weite Kreise der Finanzindustrie unterschät-zen diesen Wandel. „Sie sehen Fintechs als die größte Gefahr und verkennen dabei die Gefahr von Amazon“, betont Strucken. Die Banken stehen un-ter Druck. Sie müssten mit innovativen Dienstleis-tungen punkten: „Dabei besteht bei Amazon kein Zwang zur Eile, denn das Unternehmen sitzt an der Quelle, sprich dem Kunden“, betont Wellin.

Die etablierten Platzhirsche sollten sich nicht da-rauf verlassen, dass sich Amazon durch regulatori-schen Auflagen von einem Markteintritt abhalten lässt. „Perspektivisch glaube ich an einen Marktein-tritt, da die Potenziale schlicht gigantisch sind und die Vorteile des Datenmonopols überwiegen wer-den“, sagt Jurgeit. Er hält es für denkbar, dass Goo-gle und Amazon erfahrene Vorstände anwerben, um die regulatorischen Anforderungen zu erfüllen. Über Kooperationen würde Amazon immer stärker in den Finanzvertrieb vordringen.

Was heißt das für Banken? Sie könnten dem Trend folgen und selbst Open-Banking-Plattformen errichten. „Ich vermute aber, dass viele Banken ak-zeptieren werden, dass der Wettbewerb gegen die Internetgiganten nur schwer zu gewinnen sein wird“, sagt Betina Wunderlich, Expertin für Robo-Advisors bei der Beratungsgesellschaft Accenture. Sie hält es für denkbar, dass Amazon und Co den Kundenkontakt auch im Finanzgeschäft beherr-schen werden und sich Banken und Versicherun-gen auf die Produkte konzentrieren.

Für Vermittler gilt: Dank Internetrecherche und Vergleichsportalen gehen Kunden besser infor-miert in das Beratungsgespräch. Deswegen muss sich der Finanzberater der Zukunft als Spezialist positionieren und sich auch in Fragen des Steuer- oder des Rentenrechts auskennen, prognostiziert Banker Jurgeit: „Wenn sie auf solchen Feldern glän-zen, können sie ihren Kunden neue Perspektiven und einen entscheidenden Mehrwert bieten.“

Finanzvertrieb 2030

GEGENWIND VON AMAZON UND CO. Der Internetgigant Amazon hat den Einzelhandel revolutioniert. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis das Unternehmen auch Versicherungen und Anlageprodukte anbietet. Amazons Stärke ist der direkte Zugang zu vielen Millionen Kunden. Was Finanzberater von Onlinekonzernen lernen können.

Mein Top-Thema Finanzvertrieb 2030 S. 6

Christopher Schmitz im Interview S. 8

Wie sich der Vertrieb verändert S. 10

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8 | MEIN TOP-THEMA

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Das Smartphone be-herrscht den Alltag. Auch in finanziellen Din-gen wird es immer wich-tiger. Mobil zu bezahlen

ist nur ein erster Schritt. In Zukunft werden Menschen ihre finanziellen Angelegenheiten über Apps steuern, betont Schmitz.

Herr Schmitz, können Sie sich vor-stellen, dass Amazon schon bald Ver-sicherungen oder Fondssparpläne anbietet?Ja, durchaus. Finanz- und Versiche-rungsdienstleistungen werden immer mehr über Plattformen abgewickelt. Amazon hätte ja bereits eine starke Plattform und könnte sein Angebot ergänzen.

Rechnen Sie mit Angeboten, die in erster Linie das eigene Geschäftsmo-dell unterstützen?Für Marktplätze wie Amazon könn-ten Dienstleistungen, die sich sehr stark am Kerngeschäft orientieren, Sinn ergeben, um den Service zu ver-bessern und die Attraktivität für die Kunden zu steigern mit dem Ziel, den Umsatz zu erhöhen. Zum Beispiel auch durch Produktversicherungen, die gemeinsam mit externen Dienst-leistern offeriert werden.

Wie verändert die Digitalisierung das Kaufverhalten der Menschen: Wie und wo werden Anleger Finanz-produkte kaufen?Dreh- und Angelpunkt ist das Smartphone. Es ist der Zugang zur digitalen Welt. Die App-Ökonomie verknüpft alles: Kunden und Anbie-ter, Anbieter und Nachfrager. Kunden wollen ein breites Angebot aus einer Hand. Ich rechne mit einer ähnlichen Entwicklung, wie wir sie im Musikbe-reich sehen können. Auch im Finanz-bereich wird es viele Apps geben, aber nur wenige werden sich durch-setzen.

Bislang kaufen Anleger Fonds bei ih-rer Hausbank, ihre Haftpflichtversi-cherung bei ihrem Versicherungs-vermittler. Wird sich das ändern?Ja, davon gehe ich aus. Sie wollen Fi-nanzgeschäfte aus einer Hand abwi-ckeln und steuern. Und auch tech-nisch lassen sich die unterschiedli-chen Angebote viel besser verknüp-fen. Noch wichtiger ist das regulatori-sche Umfeld. Die Payment Service Di-rective PSD 2 der EU löst das Monopol der Banken beim Zugriff auf Kontendaten auf. Nun können auch Versicherungen, Start-ups und Unter-nehmen außerhalb des Financial-Ser-vice-Bereiches auf diese Informatio-nen zugreifen. Die Zukunft liegt in Plattformen, auf denen die Kunden alle Produkte und Dienstleistungen

abrufen können. Egal, ob sie von ei-ner Versicherung oder einer Bank be-trieben wird. Auch eine Fusion wäre dazu nicht mehr nötig. Die Zukunft besteht aus Kooperationen.

Sind die Anbieter darauf eingerich-tet? Im Prinzip ist doch die Welt der Versicherungen und der Finanzpro-dukte stark getrennt?Die Trennung von Banken und Versi-cherungen ist historisch bedingt. Das liegt zum einen an der unterschiedli-chen Regulierung, aber auch an den Vertriebskanälen. Versicherungen werden über Banken oder Agenten vertrieben, Fonds über Banken. Durch gemeinsame Plattformen än-dert sich das. Nehmen Sie nur als Beispiel N26. Die Online-Bank aus Berlin bietet für ihre Kunden Plattfor-men für alle Finanzprodukte. Das zeigt, wohin die Reise gehen könnte.

Eine Bank oder Versicherung, die in Zukunft erfolgreich sein möchte, muss also Kooperationen eingehen?Ja, das ist eine Voraussetzung, um überleben zu können. Derzeit wer-den die Weichen für ein neues Öko-system rund um Finanzprodukte ge-stellt. Klar ist, dass nur die wenigsten Anbieter das dazu notwendige Know-how besitzen. Deswegen gehen sie Kooperationen mit innovativen

Newcomern ein. Ein gutes Beispiel ist der Versicherungskonzern Allianz, der sich über die Tochter Allianz X an kreativen Start-ups beteiligt. Da-runter findet sich auch die besagte N26 aus Berlin.

Welche Rolle spielen Daten in Zu-kunft für Versicherungen?Es entstehen ganz neue Chancen, Versicherungsprodukte individuell zu gestalten und die Prämien an tatsäch-liche Risiken anzupassen. So statten manche Versicherer Kfz-Kunden mit Datengeräten aus, um Fahrdaten bes-ser zu erfassen und daraus passende Produkte abzuleiten. Sie können in Zukunft das Risiko adäquat preisen. Die Versicherer können Produkte viel besser auf ihre Kunden zuschneiden. Versicherungsmakler können ihren Kunden damit in Zukunft bessere Produkte anbieten.

Sind die Kunden überhaupt bereit, Daten preiszugeben?In Deutschland sind es die Kunden nicht mehr gewohnt, für Finanz-dienstleistungen zu bezahlen. Das kostenlose Girokonto war eine Selbst-verständlichkeit. Die Banken können das aber nicht länger aufrechterhal-ten. Wichtige Einnahmequellen, zum Beispiel für grenzüberschreitende Überweisungen, sind weggefallen. Neue Geschäftsmodelle auf Basis von Daten werden sich durchsetzen. Der Kunde muss für sich entscheiden, ob er seine Daten zur Nutzung freigibt oder für eine Finanzdienstleistung mehr bezahlt. Der Trade-off lautet al-so: Preisgabe von Daten oder höhere Kosten. Das praktizieren viele Platt-formen heute schon. Informationen beim Onlineeinkauf werden dazu ge-nutzt, um individuelle Kundenange-bote zu erstellen. Doch Kunden wer-den ihre Daten nur freigeben, wenn sie einen Vorteil daraus ziehen. Das muss nicht unbedingt ein materieller Vorteil sein, sondern kann beispiels-weise die Mitgliedschaft in einem Club sein.

Werden Versicherungsmakler in Zu-kunft überflüssig?Das glaube ich nicht. Viele Menschen werden nach wie vor Wert auf die persönliche Beratung legen. Mit der Digitalisierung können Makler jetzt Plattformen zum Beispiel von Wefox nutzen, die ihnen den Zugang zu den besten Produkten ermöglichen, auf denen sie digital Abschlüsse verwal-ten und die Kunden betreuen kön-nen. Dafür müssen sie auch keinem großen Verbund angehören. Dieses Beispiel zeigt, dass die Digitalisierung auch Versicherungsmaklern neue Chancen eröffnet.

Das Interview führte Dirk Wohleb.

Christopher Schmitz

„Wenige Apps werden sich durchsetzen“

Produktübergreifende Plattformen werden künftig das Finanzgeschäft dominieren, sagt der Partner der Beratungsgesellschaft EY.

Christopher Schmitz ist Partner bei der Wirt-schaftsprüfungsgesellschaft EY und verfügt über mehr als 20 Jahre Beratungserfahrung in der Finanzindustrie. Der Experte für Fintechs und Insurtechs arbeitet mit Start-ups und etablierten Unternehmen an der Gestaltung digitaler Netzwerke.

Vita

Ich rechne mit einer ähnlichen Entwicklung, wie wir sie im

Musikbereich

sehen können.

Tablet: Apps sind aus dem Alltag der Menschen nicht mehr wegzudenken.

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Wie wird die Digitalisierung den Vertrieb verändern?

Bernd Dedert Sprecher Vorstand Bausparkasse Mainz

Meines Erachtens werden in 20 Jah-ren Baufinanzierungen zu 90 Pro-zent von Beratern begleitet. Den-noch werden Onlinekanäle immer wichtiger: Zum einen bietet die Bausparkasse Mainz (BKM) den On-lineabschluss von Bausparverträ-gen, Festgeldanlagen und Sparbrie-fen seit Jahren an. Zudem arbeitet BKM mit digitalen Marktplätzen wie Europace zusammen. Ab Herbst 2018 steht für den Vertriebsmitar-beiter der digitale BKM-Darlehens-prozess mit Rechentools, Plausibili-täts- und Vollständigkeitschecks, Pre-Rating, Upload aller Unterlagen und digitaler Unterschrift zur Verfü-gung. Ab 2019 wird dieser Prozess um weitere Banken ergänzt.

Wir machen sicher vieles, aber nicht alles, was möglich wäre. Es muss immer unserem speziellen Geschäftsmodell dienen, nämlich unserer Rolle als Spezialbank für die private Baufinanzierung. Und hier spielen insbesondere die Indi-vidualfinanzierungen eine große Rolle und damit der Mensch. In die-sem Sinne werden wir uns immer dafür einsetzen, dass die Politik das Beraten und Verkaufen über Men-schen im Vertrieb fördert.

Die Digitalisierung hat einen sehr hohen Stellenwert innerhalb der BW-Bank. Sie ist eine unserer zen-tralen strategischen Stoßrichtun-gen. Im Privatkundengeschäft der BW-Bank kommt dem Ausbau der digitalen Produkte und Services ei-ne große Bedeutung zu. Stichworte sind hier zum Beispiel Internetfilia-le, Onlinebrokerage, Bank-Apps oder mobiles Bezahlen.

Dabei verlieren wir das Kunden-bedürfnis nach persönlicher Bera-tung jedoch nicht aus den Augen. Gerade wenn es um Kredite, kom-plexere Anlageentscheidungen oder die Vermögensverwaltung geht, le-gen unsere Kunden Wert auf die Möglichkeit, ihren Berater persön-lich zu erreichen – das kann durch-aus auch als Videoberatung stattfin-den. Unsere Mitarbeiter sind dabei stets unsere Visitenkarte, über de-ren Top-Beratung wir uns auch im Markt differenzieren. Bei der Bera-tung bietet uns Digitalisierung ne-ben den neuen Kommunikations-wegen und modernen Präsentati-onsmedien auch die Chance, unsere Berater bei der korrekten Erfassung der Regulatorik-Anforde-rungen zu unterstützen.

Thomas Rosenfeld Vorstandsmitglied

BW-Bank

MLP hat vor einigen Jahren die Wei-chen für seine Digitalisierungsstra-tegie gestellt. Wir treiben digitale Themen aus der Linie heraus. Für unsere Onlineaktivitäten gilt die Maxime: „Bauen, Testen, Lernen“. 2014 haben wir das Innovationsla-bor „Finanz-WG“ in Heidelberg ge-gründet. Unter dem Namen „MLP financify“ hat MLP den Auftritt für junge Zielgruppen überarbeitet. Im-mer mehr digitale Kommunikati-onsangebote wie Social-Media-Ka-näle und Websites stehen zur Verfü-gung.

Einen Onlineabschluss für einfa-che Produkte wie eine Auslands-krankenversicherung bieten wir seit 2016 an. Zudem ist seit Kurzem ein Chatbot online. Dieser gibt Interes-senten eine Einführung in das The-ma Berufsunfähigkeit und ist für uns ein erstes Vortasten im Bereich „Machine Learning“. Der Chatbot ist bei MLP ein erster Kontaktpunkt zum Interessenten – sobald es kom-plexer wird, übernimmt der Bera-ter. Letztes Jahr startete außerdem das neue Online-Kundenportal. Und natürlich erhalten auch die Be-rater bereits vielfach digitale Unter-stützung.

Thomas Freese Digitalisierungsbeauftragter

MLP

Der Weg zum Berater hat sich verän-dert. Denn meist beginnt die Suche nach dem Wunschprodukt im Inter-net. So kommen Interessenten häufig sehr gut informiert in das Beratungs-gespräch und haben den Markt bereits im Vorfeld mit wenigen Klicks son-diert. Technologie kann aber zwi-schenmenschlichen Kontakt und Ver-trauen nicht ersetzen. Vor allem bei Produkten rund um die eigenen vier Wände ist das Bedürfnis nach Bera-tung groß.

Digitale Angebote und das Gespräch mit dem Berater schließen sich nicht aus. Die Lösung kann in der Vernet-zung dieser Welten liegen. Ein Bei-spiel: Die Postbank bietet Kunden bei einem Immobilienkauf die digitale Möglichkeit, ihr Wunschprojekt mit konkreten Konditionen zu unterlegen und die Finanzierung seitens Post-bank oder BHW Bausparkasse zu prü-fen. Abschließend erhält er ein Käufer-zertifikat, das die Machbarkeit dieser konkreten Finanzierung bestätigt. So vorbereitet fällt der Gang zum Immo-bilienverkäufer oder zu einem Finanz-experten leichter. Ich denke, dass sich die Kombination aus digital und per-sönlich sehr bewährt und sich auch in Zukunft durchsetzen wird.

Renato Favro Sprecher Vorstand

Postbank Finanzberatung AG

Elmar Kausch Geschäftsführer Mobiler Vertrieb Deutsche Bank

Die Digitalisierung unterstützt die Finanzberater im Beratungsalltag. Der Einsatz von iPads und moder-ner Software macht sie mobiler und flexibler. Außerdem bietet die Digi-talisierung den Beratern auch in puncto Eigenmarketing viele Vortei-le. So können sich Berater von Kun-den auf Vergleichsportalen bewer-ten lassen und somit online Emp-fehlungen generieren. Berater können mit Social-Media-Kanälen und einem eigenen Web-Auftritt Kunden gewinnen.

Die zukunftsfähige Ausrichtung der Finanzberater ist uns eine Her-zensangelegenheit. Wir begleiten Finanzberater aktiv bei der Steige-rung ihrer „digitalen Fitness“. Unse-re Digitalisierungsinitiative „MoVe Digital“ hat im Juni 2018 den Deut-schen Preis für Onlinekommunikati-on in der Kategorie „Strategie des Jahres“ gewonnen.

Auch im digitalen Zeitalter wün-schen sich viele Menschen eine per-sönliche und individuelle Beratung. Das gilt vor allem bei weitreichen-den finanziellen Entscheidungen. Allerdings erwarten sie heute ein hohes Maß an Kompetenz und Fle-xibilität.

Karl Matthäus Schmidt Vorstandsvorsitzender Quirin Privatbank

Kunden werden ihre Finanzen selbst in die Hand nehmen können und nicht mehr bereit sein, für den reinen Verkauf von Finanzproduk-ten oder das Anlegen von liquiden Geldern zu zahlen. Digitale Geldan-lagen sind für Berater wie auch für Kunden die Chance für einen Neu-beginn mit neuem Vertrauen der Kunden in die Finanzwelt. Wir ha-ben uns bereits vor fünf Jahren auf den Wandel eingestellt und ergän-zend zum Beratungsgeschäft in den 13 Niederlassungen der Quirin Pri-vatbank den ersten Robo-Advisor an den deutschen Markt gebracht.

Mit der persönlichen Beratung für komplexere Vermögen ab 200 000 Euro in den Niederlassun-gen und der digitalen Geldanlage ab 10 000 Euro mit buchbarem Online-coach fahren wir eine integrierte Strategie, um allen Kundenbedürf-nissen gerecht zu werden. Dabei gelten bei beiden Angeboten diesel-ben Qualitätskriterien: eine profes-sionelle Vermögensanlage frei von Provisionsinteressen. Dass sich un-ser Anspruch an Qualität auszahlt, zeigt der aktuelle Test der Stiftung Warentest, bei der die digitale Geld-anlage Quirion Testsieger ist.

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Forum

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MEINE WELT | 13

Zehn Jahre Finanzkrise

AUCH IM CRASH ERFOLGREICHAm 15. September 2008 löste die Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers eine Weltwirtschaftskrise und einen Börsenabsturz aus. Jetzt scheint erneut eine Rezession möglich. Wieso mögliche Kurseinbrüche Fondssparer kaltlassen können.

Dörte Jochims Köln

Handelskonflikte, Türkeikrise, straffere Geldpolitik – zehn Jahre nach dem Hö-hepunkt der Finanzkrise spekulieren Topökonomen angesichts der zuneh-menden Turbulenzen wieder über ei-

nen möglichen Wirtschaftsabschwung. Vor allem eine drohende Rezession in den USA wird derzeit in vielen Medien thematisiert. Auch Thomas May-er, Chefökonom des Flossbach von Storch Re-search Institutes, ist skeptisch (siehe „Die Türkei könnte das Einfallstor sein“, Seite 14).

Nach fast neun Jahren Kursrally an der US-Börse müssen auch Berater mit kritischen Fragen ihrer Kunden rechnen. Sollten Finanzprofis Anlegern an-gesichts der Höchststände an vielen Aktienmärkten und der steigenden Wahrscheinlichkeit von Kurs-einbrüchen derzeit nicht einfach von Investments an den Aktienbörsen abraten? „Keineswegs“, sagt Bernd Klöckner, Professor für Finanzwirtschaft, Buchautor und Coach. Allerdings schränkt er ein: „Berater sollten mit ihren Kunden eine Strategie wählen, die auch in Abwärtsphasen weiter verfolgt werden soll.“

Der Finanzwissenschaftler ist überzeugt, dass es Anleger, die regelmäßig investieren, nicht küm-mern muss, wenn die Kurse zurückgehen. „Auf An-legerseite geht in Zeiten, wo man nicht investiert ist, wesentlich mehr Geld verloren als in Krisenzei-ten. Denn auf jeden Abschwung folgt ein Auf-schwung.“

Durchschnittlich acht Prozent Rendite pro Jahr in der Finanzkrise

Seine Überzeugung kommt nicht von ungefähr. Er hat eine aufwendige Studie zu den größten Crashs an den Aktienmärkten in den vergangenen hun-dert Jahren erstellt. Das Ergebnis ist eindeutig: Bei fast allen Abwärtsbewegungen hatten Einmalinves-toren, die trotz Krise investiert blieben, in wenigen Jahren ihr Geld wieder. So dauerte es trotz mehr als 40 Prozent minus beim Dow Jones ab Septem-ber 2008 etwa 25 Monate, bis die alten Kursni-veaus wieder erreicht wurden. Vom früheren Hoch, das im Mai 2008 erreicht wurde, mussten Investoren 52 Monate investiert bleiben, um Ver-luste auszugleichen. Fondssparer erging es noch viel besser: Wer beim damaligen Börsenhöchst-stand die erste Rate für einen Sparplan auf den Ak-tienindex Dow Jones Industrials überwiesen hätte und bis zum Wiedererreichen der alten Niveaus am Ball blieb, erzielte in dieser Zeit sogar eine durch-schnittliche Jahresrendite von etwa acht Prozent plus per annum.

Kein Einzelfall: Für jede Börsenkrise der vergan-genen 100 Jahre errechnete Klöckner, wie lange die wichtigsten Märkte in Abwärtsphasen brauchten, um frühere Höchststände wieder zu erreichen. Denn genauso lange brauchten Einmalinvestoren, um Verluste wieder wettzumachen. Er zeigt auch auf, wie es Sparplananlegern ergangen wäre, die zum schlechtesten Zeitpunkt, also einen Tag vor dem Crash, die erste Rate für einen Sparplan auf ein Indexinvestment überwiesen hätten und so lan-ge weiterhin regelmäßig einen gleich hohen Betrag in den Markt investiert hätten, bis das alte Kurs -niveau wieder erreicht wurde.

Also wie erging es Sparplananlegern vor 100 Jah-ren? Damals war der US-Aktienindex Dow Jones In-dustrials gerade 20 Jahre alt, und mit Sparplänen auf den Index zu spekulieren war in der Praxis noch gar nicht möglich. Die Berechnungen sind da-her theoretischer Natur und berücksichtigen keine Kosten. Der Erste Weltkrieg endete am 11. Novem-ber 1918 mit einem Sieg der Triple Entente. Der Dow Jones Industrials hatte erst beim Kriegseintritt der USA im Jahr 1916 mit einer Baisse reagiert und begrüßte den Sieg der Amerikaner zunächst mit

steigenden Kursen. Doch Ende 1919 ging es schon wieder abwärts. Die Nachkriegsdepression mit feh-lendem Wirtschaftswachstum und hoher Arbeitslo-sigkeit kostete Anleger bis Juni 1921 etwa 40 Pro-zent.

Anleger, die damals zu Höchstkursen von etwa 114 Punkten in den Dow Jones eingestiegen waren, brauchten 56 Monate, um ihre Verluste wieder wettzumachen. Sparplananleger, die hingegen über diesen Zeitraum monatlich immer wieder denselben Betrag investiert hätten, wären auf 18 Prozent plus per annum gekommen.

Sieben Prozent Sparplanrendite in der Weltwirtschaftskrise von 1929

Noch schlimmer traf der Kurseinbruch ab dem 24. Oktober 1929 Aktieninvestoren. Nach den goldenen Zwanzigern, als immer mehr Durchschnittsameri-kaner begannen, an der Wall Street zu investieren, war der Dow Jones Industrials von 100 auf fast 400 Punkte gestiegen. Doch dann verlor der Index in-nerhalb von sechs Tagen 30 Prozent an Wert. Erst im Juni 1932 kam der Abwärtstrend bei 41 Punkten zum Stehen! Alte Höchststände wurden erst 1954 wieder erreicht – 298 Monate oder 24 Jahre später. Dies war die längste Baisse der Börsengeschichte. Sparplananleger, die über diese Zeitspanne monat-lich einen gleich hohen Betrag investierten, hätten in dieser Zeit eine Durchschnittsrendite von im-merhin sieben Prozent plus per annum erzielt, zeigt die Analyse von Klöckner.

Am deutschen Aktienmarkt begann eine lange Abwärtsbewegung 1961. Der Dax verlor insgesamt in diesem Jahr acht Prozent und im darauffolgen-den Jahr noch einmal 21 Prozent an Wert. Nach zwischenzeitlichen Aufwärtsbewegungen dauerte es nach einem erneuten Kursverlust insgesamt 85 Monate oder mehr als sieben Jahre, bis alte Kurs-stände wieder erreicht wurden. Auch hier hätten Anleger, die monatlich mit einem Sparplan auf den deutschen Aktienindex Dax gesetzt hätten, durch-schnittlich acht Prozent plus per annum erzielt.

30 Prozent per annum nach dem Crash von 1987So mancher Investor kann sich noch an den 19. Ok-tober 1987 erinnern. Damals verlor die Wall Street an einem einzigen Tag 500 Milliarden US-Dollar an Börsenwert. Zuvor hatte der US-Leitindex neue Höchststände verzeichnet. Die Stimmung war op-timistisch gewesen. Ein Mix aus sinkendem Dollar, steigendem Ölpreis und höheren US-Zinsen hatte jedoch eine Börsenkrise ausgelöst. Für Sparplanan-

leger war sie unterm Strich eine Chance. Während Einmalinvestoren 26 Monate warten mussten, bis alte Kursniveaus wieder erreicht waren, rentierte ein monatlicher Sparplan auf den US-Aktienindex in diesem Zeitraum bei 23 Prozent per annum. Noch besser fuhren Dax-Sparer: Der Dax sank im Zuge der US-Aktienkrise ebenfalls von 1 500 auf 1 000 Punkte und erreichte seinen Höchststand erst wieder am 31. Juli 1989. Mit Dax-Sparplänen hätten Investoren in dieser Zeit 30 Prozent per an-num verdient.

Auch der Ölpreis hat immer wieder die Börsen bewegt. Besonders ausgeprägt war dieser Effekt im September 1973 mit dem Ölpreisschock. Zur Erin-nerung: Damals hob die Opec den Preis von zwei auf zehn US-Dollar pro Barrel Rohöl der Sorte Brent an. Die Gewinne vieler Unternehmen bra-chen ein. Der Dax fiel bis Oktober 1974 von 573 auf 373 Punkte und macht diese Verluste erst 1976 wie-der wett. Sparplananleger kamen in insgesamt 34 Monaten auf 17 Prozent plus per annum.

Hoch des Nikkei von 38 000 Punkten wurde nie mehr erreicht

Ein ähnliches Muster machen die Experten bei al-len Krisen an allen Aktienmärkten der vergange-nen 100 Jahre aus. Die Verluste waren in wenigen Jahren stets wieder ausgeglichen. Die Sparplanren-diten bewegen sich in dieser Frist zwischen sieben und 30 Prozent per annum. Einzige Ausnahme war der Einbruch des japanischen Aktienindexes Nik-kei, der sich vor der Asienkrise Ende der 80er-Jah-re verdreifacht hatte. Doch seit 1989 wurde ein Stand von mehr als 38 000 Punkten nie mehr er-reicht – auch wenn sich immer wieder gut an die-sem Markt verdienen ließ.

Professor Klöckner hält nach eingehender Analy-se die Angst von Anlegern, bei einer Krise viele Jah-re oder Jahrzehnte warten zu müssen, bis sich ihr Depot erholt hat, zwar für „nachvollziehbar“. Doch bei näherem Hinsehen sei sie „unbegründet“: „Bei Einmalinvestments in ein global diversifiziertes Marktportfolio waren Anleger nach vier bis fünf Jahren Haltedauer in der Krise von 2008 oder so-gar nach zwei bis drei Jahren nach 2001 bereits wieder im Plus. Bei Sparplänen sieht es noch bes-ser aus. Hier konnten bei Laufzeiten von 30 Jahren selbst im Worst-Case-Szenario mindestens sechs Prozent plus per annum erzielt werden.“

Anleger und Berater sollten sich also durch Re-zessionserwartungen nicht nervös machen lassen: Der beste Einstiegszeitpunkt für einen Sparplan auf einen Aktienmarkt ist immer jetzt und gleich.

Meine Welt Zehn Jahre Finanzkrise S. 12

Interview mit Thomas Mayer S. 14

Mehr Spielraum für die Altersvorsorge S. 16

Chaos um Fondsinformationen S. 18

Neue Chancen mit Crowdinvestments S. 20

Interview mit Thomas Oliver Müller S. 22

Wichtige Urteile für Finanzberater S. 24

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MEINE WELT | 1514 | MEINE WELT

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Nach der Finanzkrise 2008 übernahmen die Notenbanken das Regi-ment über die Märkte. Doch die niedrigen Zin-

sen bieten langfristig keine Sicher-heit, meint Thomas Mayer. Der Volks-wirt ist überzeugt: Die Minizinsen machen das Finanzsystem fragiler.

Herr Mayer, am 15. September nä-hert sich der Jahrestag der Pleite des US-Bankhauses Lehman Brothers zum zehnten Mal. Wann kommt der nächste große Börsencrash?Das weiß niemand.

Können Sie sich überhaupt vorstel-len, dass es wieder zu einer Krise kommt? Im nächsten Jahr laufen Wirtschaftsboom und Aktienrally in den USA seit zehn Jahren. Selbstverständlich kann ich mir das vorstellen. Wir bewegen uns in der Spätphase eines Aufschwungs, der schon jetzt der zweitlängste seit dem Krieg ist. Zudem ist er völlig atypisch: Denn für die Dauer dieser Wachs-tumsphase ist die Schuldenlast außer-gewöhnlich hoch. Gleichzeitig sind die Zinsen niedrig. Diese Konstellati-on ist eigentlich für Frühphasen ei-nes Aufschwungs typisch. Statt aber die Schulden in guten Zeiten abzu-bauen, ist die Verschuldung seit 2008 immer weiter gestiegen.

Viele Industrieländer fahren seit der Finanzkrise gigantische Programme, um die Wirtschaft zu stimulieren. Dabei gilt die Finanzkrise auch als Kreditkrise. Wurde sie vor allem mit noch mehr Schulden bekämpft?Genauso ist es. In den entwickelten Ländern war vor allem der Staat der Schuldner, in den Schwellenländern die Privatwirtschaft. Unterm Strich haben sich die Bilanzsummen der Zentralbanken vervielfacht, und zwar aggregiert für die USA, die Eurozone, Japan und China von etwa fünf Billio-nen US-Dollar im Jahr 2008 auf zu-letzt rund 20 Billionen US-Dollar.

Schuld an dieser enormen Belastung sind also die Zentralbanken, die die Zinsen niedrig halten?Nur mit Niedrigzinsen sind die Schulden tragbar. Die Notenbanken haben noch nie in der Geschichte der Menschheit eine so wichtige Rol-le gespielt wie derzeit. Doch der Zins – der wichtigste Marktregulator einer Volkswirtschaft – entsteht nicht mehr am Markt. Er steht kom-plett unter der Fuchtel einer Pla-nungsbehörde.

dem Dollar halbiert. Da nun die Zin-sen auf US-Dollar-Schulden steigen, erlebt die Türkei eine Zahlungsbilanz-krise.

Die Türkei ist ökonomisch wenig be-deutend, ein Einzelfall. Jedes Land ist ein Einzelfall, aber wenn sich die Einzelfälle häufen, ent-steht ein Problem. Die hausgemach-ten Schwierigkeiten eskalieren in vie-len Ländern aktuell. Dazu gehören Venezuela, Argentinien, Pakistan, Südafrika oder Brasilien, um nur eini-ge Beispiele zu nennen.

Wie gefährlich ist die Lage?Sie haben vorhin nach der Wahr-scheinlichkeit einer Rezession ge-fragt. Bei der Suche nach möglichen Ursachen sehe ich keinen unmittelba-ren Auslöser. Aber Erschütterungen in Schwellenländern wie der Türkei könnten dieses Mal die Hintertüre sein, durch die die nächste große Kri-se kommt.

Kann China die Weltwirtschaft im Ernstfall retten?China ist die einzige Volkswirtschaft, die den USA Paroli bieten kann. Die Devisenreserven erscheinen enorm. Doch auch hier sind die heimischen Kredite an den nichtfinanziellen Sek-tor seit 2009 von 140 auf mehr als 250 Prozent des Bruttoinlandproduk-tes gestiegen. Dort ist die Frage, wie die Verschuldung im Inland abgebaut werden kann, ohne das Wachstum abzuwürgen.

Wie reagieren die Chinesen?Die kurzfristigen Zinsen wurden von 2010 bis 2011 angehoben, um die Neuverschuldung zu bremsen. Doch als sich das Wachstum abschwächte, wurden sie 2014 und 2015 wieder ge-senkt. Daraufhin wertete die chinesi-sche Währung Renminbi zum US-Dol-lar deutlich ab. Neben dem Handels-konflikt schwelt also auch ein Wech-selkurskonflikt mit den USA.

Wie gefährlich sind die Handels-sanktionen der USA?Bisher streuen sie vor allem Sand ins Getriebe der Weltwirtschaft. Die Zahnräder laufen langsamer und knirschen. Irgendwann bricht dann aber vielleicht eines und die Proble-me der Schwellenländer weiten sich zur Krise aus. Das Einfallstor einer Krise der Schwellenländer in den Be-reich der Industrieländer ist die Eu-ro-Peripherie. Einige dieser Länder haben ähnliche Probleme und sind insbesondere in einer Währung hoch

verschuldet, die sie nicht selbst dru-cken können.

Aber um Griechenland, das 2009 die Euro-Krise auslöste, ist es still gewor-den?Griechenland liegt derzeit quasi im Gipsverband. Italien ist das Einfalls-tor, über das die Krise nach Europa schwappen könnte. Sehen Sie sich nur die Salden im Interbankzahlungs-system Target2 an. Während die Ver-bindlichkeiten der Bank von Italien gegenüber dem System der Europäi-schen Zentralbanken auf über 480 Milliarden Euro gestiegen sind, hat die Bundesbank Forderungen von 913 Milliarden Euro. Italienisches Geld kommt also nach Deutschland, weil es dort sicherer scheint.

Welche Folgen hat das?Viele Anleger verkaufen italienische Anleihen lieber in Frankfurt als in Mailand an die EZB, weil sie dort deutsches statt italienisches Giralgeld erhalten. Wandern die Anleihen dann zur Bank von Italien, bekommt die Bundesbank als Gegenbuchung in Target2 eine Forderung an das Euro-system. Das Risiko eines Zahlungs-ausfalls bei einem möglichen Austritt Italiens aus dem Euro trägt dann nicht mehr der Anleger, sondern die Bundesbank …

… und damit der Steuerzahler. Wie attraktiv sind italienische Bonds?Die Spreads zu deutschen Bundesan-leihen sind zuletzt gestiegen. Jetzt lie-gen die Renditen für zehnjährige ita-lienische und US-Anleihen etwa auf demselben Niveau. US-Papiere sind aber angesichts der besseren Bonität viel attraktiver. Nur institutionelle An-

leger, die etwa kein Währungsrisiko eingehen dürfen und den Euro für ir-reversibel halten, kaufen italienische Papiere.

Wenn man weiß, dass der Euro eine Schwachstelle ist, was müsste man tun, damit unsere Währung stabiler wird? Hier müssten wir vollkommen um-denken, wozu aber der politische Wille fehlt. Bisher ist die Währungs-union nur eine Bargeldunion. Die Eu-robanknoten sind in Italien und in Deutschland gleich sicher. Das gilt je-doch nicht für ein Bankkonto. Dessen Sicherheit hängt von der Qualität der Bank und der Zahlungsfähigkeit des Staates ab, der im Notfall das Bank-konto absichert. Um alle Bankkonten gleichzustellen, soll nun eine europäi-sche Einlagenversicherung eingeführt werden. Aber das wollen die finanz-starken Staaten nicht, weil sie be-fürchten, dass sie dann für die finanz-schwachen einstehen müssen.

Wie könnte man das verbessern?Eigentlich wäre das Problem einfach zu lösen. Man könnte Sichteinlagen dem Bargeld gleichstellen, wenn die-se zu 100 Prozent mit Reserveeinla-gen bei der Zentralbank gedeckt sind. Aber das will die Politik nicht, weil die Fähigkeit der Banken, für die Staaten durch den Kauf ihrer Anlei-hen neues Geld zu schaffen, dadurch eingeschränkt würde. Die Politik ist der Schuldendroge verfallen, weil sie glaubt, sich nur mit schuldenfinan-zierter Volksbeglückung Wählerstim-men holen zu können.

Sie halten den Euro also für geschei-tert?

Ja – und es ist wirklich bedauerlich, dass man darüber keine öffentliche Diskussion führen darf. Das Thema wird tabuisiert. Wenn man über den Fall sprechen will, dass der Euro scheitert, wird man als Feind Euro-pas verunglimpft. Es ist, als gelte ein Verbot für die Bewohner von Hoch-häusern, im Brandfall nach Notaus-gängen zu fragen.

Mit Blick auf die aktuelle Situation führen Ökonomen die 20er-Jahre ins Feld. Sehen Sie Parallelen?Geschichte wiederholt sich nicht. Aber, wie Mark Twain sagte, manch-mal reimt sie sich. In den Roaring Twenties florierte die Wirtschaft. Dennoch blieben die Zinsen niedrig – wie derzeit auch. Wie heute Immobi-lien wurden damals Aktien „auf Mar-ge“, also mit Kredit, gekauft. In den USA wurden mit Krediten hoch gehe-belte Investment-Trusts aufgelegt, de-ren Anteile Anleger kaufen konnten —

auch auf Pump. Als die Fed schließ-lich die Zinsen anhob, kam es 1929 zum Crash am US-Aktienmarkt. Um heimische Finanzlöcher zu stopfen, kappten US-Investoren ihre Kapital-exporte nach Europa. Das brachte die Banken dort in Schwierigkeiten, und als dann 1931 die Bank Austria pleiteging, war die Weltwirtschafts-krise da.

Die Auswirkungen zeigten sich sehr schnell auch in der Politik.Wie heute brachte das Populisten an die Macht, in den USA 1933 Franklin D. Roosevelt, ein Linkspopulist, der mit Radio-Chats ein neues Medium zur Kommunikation einsetzte. Heute ist ein Rechtspopulist in den USA am Ruder, der ebenfalls neue Kommuni-kationstechniken nutzt. Es gibt also Ähnlichkeiten, sowohl im Finanzbe-reich als auch auf der politischen Bühne.

Apropos Trump: Sind die Zölle, die er verhängt, nicht auch für die USA kontraproduktiv? Kurzfristig kann Trump damit sogar die US-Produktion ankurbeln, weil Nachfrage auf heimisches Angebot umgeleitet wird. Doch seine Politik verstärkt damit auch die Überhit-zungsrisiken. Die Steuerreform hat die Nachfrage schon angeschoben und die Zölle treiben die Preise wei-ter. Daher wird die US-Notenbank die Zinsen weiter anheben und erst dann, wenn das Wachstum schwä-cher wird, damit aufhören. Im Ver-lauf von 2019 dürfte sich die US-Wirt-schaft abkühlen und die Zinserhö-hungen auslaufen.

Schwächeres Wachstum in den USA und eine Krise in den Schwellenlän-dern, die womöglich nach Europa schwappt. Schöne Aussichten sind das nicht!Die Situation an den Märkten ist tat-sächlich sehr fragil. Aber das bedeu-tet nicht, dass alles morgen zusam-menbricht. Sehen Sie, ich war gerade in meinem Ferienhaus, wo eine alte Gartenmauer steht. An einer Stelle hat sich eine Beule gebildet, die ich einem Fachmann zeigte. Er sagte, die Ausbuchtung sei bedenklich und wahrscheinlich wird die Mauer an dieser Stelle brechen. Doch ob das demnächst oder in ein paar Jahren passieren wird, das könne niemand sagen. Besser könnte ich meine Sicht auf unser Finanzsystem auch nicht formulieren.

Das Interview führte Dirk Wohleb.

Thomas Mayer

„Die Türkei könnte das Einfallstor sein“ Nach neun Jahren Börsenrally sieht der Gründer des Flossbach von Storch Research Institute große Risiken

an den Märkten. Der Euro ist bislang nur eine Bargeldunion. Um ihn stabiler zu machen, müsste die Politik umdenken. Doch dazu fehle der Wille.

In den USA gab es bereits mehrere Zinsschritte nach oben. Ökonomen schlagen Alarm: Sie rechnen mit ei-ner Rezession in den USA. Ein Indi-kator dafür sei der sehr geringe Ab-stand zwischen kurz- und langfristigen Staatsanleiherenditen. Folgt der flachen Zinskurve ein Wirt-schaftseinbruch?1991 habe ich in meinem ersten Kom-mentar für Goldman Sachs die US-Zinsstrukturkurve analysiert. Das Er-gebnis war, dass sie sich als Konjunk-turindikator nur mäßig eignet. Das sehe ich immer noch so. Denn die Kurve ist aktuell manipuliert. Dass die Zinsen am langen Ende nicht stei-gen, liegt schlicht daran, dass Anleger aus dem Ausland lang laufende US-Papiere verstärkt nachfragen, weil Renditen von knapp drei Prozent at-traktiv erscheinen. Zumindest im Ver-gleich zu deutschen zehnjährigen Staatsanleihen, die gerade mal 0,4 Prozent abwerfen.

Die attraktiveren Zinsen in den USA scheinen für einige Schwellenländer schlimme Folgen zu haben.Jetzt zeigen sich die hausgemachten Probleme vieler Schwellenländer, die sich seit der Finanzkrise hoch ver-schuldet haben. Die Türkei ist dafür ein krasses Beispiel. Um die Jahrtau-sendwende war die Leistungsbilanz noch im grünen Bereich, doch dann finanzierte die Regierung Erdogan ei-nen Aufschwung mit Auslandsschul-den, die zu einem erheblichen Teil in US-Dollar denominiert sind. Die Infla-tion ist auf 16 Prozent und die Rendi-ten für zehnjährige Staatsanleihen sind seit Anfang März von 11,5 auf zu-letzt 20 Prozent angestiegen.

Und Erdogan …… will den Leitzins der Zentralbank dennoch niedrig halten. Die Wirt-schaft ist schwer angeschlagen und der Wechselkurs der türkischen Lira hat sich seit Ende 2017 gegenüber

Thomas Mayer ist Gründungsdirektor des Flossbach von Storch Research Institute mit Sitz in Köln. Von Januar 2010 bis Juni 2012 war er Chefvolkswirt der Deutsche- Bank-Gruppe und Leiter von Deutsche Bank Research. Zuvor war er für Goldman Sachs und Salomon Brothers tätig. Er bekleidete verschiedene Funktionen beim Internationalen Währungsfonds.

Vita

Die Notenbanken haben noch nie in der Geschichte eine so wichtige Rolle gespielt wie derzeit. Doch der wichtigste Preis

einer Volkswirtschaft

steht damit unter

der Fuchtel einer

Planungsbehörde.

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16 | MEINE WELT MEINE WELT | 17

Heinz-Josef Simons Düsseldorf

Ein Tabu ist gefallen. Mit dem Betriebs-rentenstärkungs-gesetz fällt die Garantie für

Mindestleistungen für Betriebsrenten, die Ar-beitgeber abschließen. Das kommt einem Ta-bubruch gleich. Bis-lang waren Garan-tien oberstes Prin-zip für die Förde-rung der Altersvor-sorge durch den Staat. Das Ziel: Si-cherheit, um Risi-ken zu reduzieren.

„Das Gesetz war auch dringend nö-tig“, sagt Ferdinand Alexander Leisten, Leiter der Fondsge-sellschaft Fidelity In-ternational in Deutsch-land. Denn Garantien gehen zu Lasten der Rendite. Wenn die Anbie-ter den Erhalt der Kapitals oder eine Mindestverzin-sung garantieren müssen, engt das ihren Spielraum für die Anlagepolitik ein. Das gilt ganz be-sonders in einem Umfeld mit niedri-gen Zinsen, die auf absehbare Zeit niedrig bleiben werden. Aufgrund der niedrigen Kupons müssten An-bieter dann einen sehr großen Teil des Kapitals in vermeintlich sichere Staatsanleihen investieren, um die Garantien zu erwirtschaften. Sie könnten nur in einem sehr geringen Umfang in Anlageklassen mit höhe-ren Renditechancen investieren und haben Probleme, die Inflationsrate auszugleichen. Das ändert sich mit dem Wegfall der Garantien: „Das Ka-pital kann nun viel rentabler arbei-ten und stärker als bisher in lukrati-ve Unternehmensbeteiligungen flie-ßen“, ist Leisten überzeugt.

Lang-fristig bie-ten Aktien die höchsten Renditen. Wer mehrere Jahrzehnte für die Altersvorsorge regelmäßig spart, kann auch Crashs gut aushal-ten. Und kam in der Vergangenheit gut durch Krisen (siehe Beitrag „Auch im Crash erfolgreich“, Seite 12).

Mit dem Wegfall der Garantie steigt auch für Unternehmen die At-traktivität der betrieblichen Alters-

vorsor-ge. Der

Vorteil: Sie müssen ihren Mitar-

beitern in einem Umfeld mit anhaltend niedrigen Zinsen kei-

ne Leistungszusagen mehr abgeben. Durch die höhere Flexibilität in der Anlagepolitik sind aber attraktivere Produkte möglich. Damit können sie um Mitarbeiter werben und sie auch binden. Zudem findet die nun be-schlossene reine Beitragszusage im Rahmen von Tarifverträgen zwi-

schen den Sozialpartnern statt. Damit stehen die Chancen

gut, dass die betriebliche Al-tersvorsorge auf eine grö-

ßere Akzeptanz stößt und weiter verbreitet wird. „Das Betriebsrenten-stärkungsgesetz hat die zweite Säule der Altersvorsorge stär-ker ins öffentliche Bewusstsein ge-rückt“, sagt Micha-el H. Heinz, Präsi-dent des Bundes-verbandes Deutscher Versi-cherungskaufleute (BVK).

Auch Finanzbera-ter bewerten die Änderungen positiv: Befragt danach, ob

die Attraktivität der betrieblichen Alters-

vorsorge durch das neue Gesetz steigt, ge-

ben sie auf einer Skala von eins für niedrig bis

zehn für hoch im Schnitt ei-nen Wert von 5,9 an. Dafür

hat das Finanzportal Who- Finance 200 Finanzberater be-

fragt. Und noch etwas ist klar: Das Gesetz lockert nicht nur die Anlage-richtlinien, sondern fördert auch Ar-beitnehmer stärker. So dürfen sie ei-nen höheren steuerfreien Betrag in die Betriebsrente investieren. Und auch die Förderung von Geringver-dienern baut der Staat aus (siehe „Die neuen Regelungen auf einen Blick“). Denn damit wird die betrieb-liche Altersvorsorge auch für Gering-verdiener attraktiver. Viele Finanz-berater glauben daher auch, neue Kundengruppen ansprechen zu kön-nen (siehe Grafik).

Doch unter Experten ist noch strit-tig, wie sich das im Betriebsrenten-stärkungsgesetz vereinbarte Sozial-

partnermodell auf die Beratungspra-xis in den Unternehmen auswirken wird. Denn es obliegt Arbeitneh-mern und Arbeitgebern im Rahmen des Sozialpartnermodells neue Kon-zepte zu entwickeln und attraktive Formen der betrieblichen Altersvor-sorge zu gestalten. Allerdings fürch-ten die von WhoFinance befragten Finanzberater keinen negativen Ein-fluss durch eine stärkere Beteiligung der Tarifparteien. Befragt nach den Folgen des Sozialpartner-Modells für ihr Geschäft rechnen sie mit keinen allzu großen negativen Konsequen-zen.

„Die Praxis wird zeigen müssen, ob es die Sozialpartner schaffen, sach- und zukunftsgerechte Lösun-gen anzubieten“, gibt sich BVK-Präsi-dent Heinz recht diplomatisch. Dras-tischer formuliert dagegen Norbert Müller, Geschäftsführer des Bera-tungsunternehmens Premium BAV in Schwetzingen, seine Kritik: „Un-klar ist, wer in den Betrieben die Be-ratung durchführen soll oder darf. Ein Gewerkschafter, der mal eben ein paar Wochen Fortbildung für be-triebliche Altersvorsorge belegt hat? Eine Farce im Vergleich zu den ho-hen Standards bei Finanzberatern.“

Eines scheint klar: Der steigende Spielraum für die Anlagepolitik wird mit großer Wahrscheinlichkeit zu mehr Wettbewerb und neuen Ange-boten führen. „Das ist im Interesse aller Beteiligten“, gibt Leisten von Fi-delity zu bedenken. Denn in Zukunft könnten Asset-Manager, Pensions-fonds und Versicherer auch gemein-sam an neuen Produkten arbeiten und die Angebotspalette ausbauen. Sie könnten kooperieren und ihr Know-how aus unterschiedlichen Fachrichtungen bündeln. Bislang mussten die Anbieter für die betrieb-liche Altersvorsorge meist Deckungs-stöcke bilden. Das ist nun nicht mehr notwendig. Deswegen kann jetzt auch die Fondsindustrie ihre

Kompetenz in Sachen Asset-Manage-ment in neue Altersvorsorgeproduk-te einbringen.

Abkehr von Garantie bedeutet Kulturwandel „Nun wird es darauf ankommen, die Chancen des Sozialpartnermodells zu nutzen und kommunikativ zu be-gleiten“, ist Leisten überzeugt. Die Abkehr von Garantien hält er für ei-nen Kulturwandel, der bei vielen Be-teiligten noch Unbehagen auslöse. „Dabei überwiegen die Chancen und das gilt es aufzuzeigen.“ Auch die Ge-werkschaft IG Bergbau, Chemie und Energie hält Überzeugungsarbeit für

nötig, um Gewerkschaften und Ar-beitnehmer davon zu überzeugen, dass der Verzicht auf eine Garantie nicht der Verlust von Sicherheit be-deutet, sondern die Qualität der Vor-sorgeprodukte steigern kann.

Grundsätzlich wurde das Sozial-partnermodell für die Durchfüh-rungswege Direktversicherung, Pen-sionskasse sowie Pensionsfonds ge-schaffen. Sie deckt damit drei von fünf Durchführungswegen ab. We-gen ihrer Besonderheit bezeichnet sie BVK-Präsident Heinz sogar als „sechsten Durchführungsweg“.

Seit Januar ist das Gesetz in Kraft und nun sind erste Produkte erhält-

lich. Gemeinsame Sache machen die R+V Versicherung und Union Invest-ment, die Fondsgesellschaft der Fonds- und Raiffeisenbanken. Sie ha-ben auf Basis des Sozialpartnermo-dells eine kapitalmarktorientierte Betriebsrente über den Durchfüh-rungsweg Pensionsfonds etabliert.

Die beiden Partner arbeiten dabei streng arbeitsteilig: Die Versicherung ist für Vertrieb und Beratung zustän-dig, die Fondsgesellschaft verant-wortet die Anlagepolitik. Auf Basis der Wünsche der Sozialpartner er-stellen die beiden Unternehmen ein für die jeweilige Branche individuel-les Konzept. Die Fondsgesellschaft wählt die passenden Anlageklassen aus und legt eine passende Strategie fest. Darüber hinaus können die So-zialpartner Leistungen aus der Versi-cherungswelt wie zum Beispiel Zah-lungen bei Berufsunfähigkeit oder die Absicherung von Hinterbliebe-nen mit der Betriebsrente vereinba-ren.

Digitalisierung vereinfacht Abläufe und ProzesseDie Versicherungen Barmenia, Debe-ka, Gothaer, HUK-Coburg und die Stuttgarter kooperieren unter der Bezeichnung „Das Rentenwerk“. Ge-plant ist eine fondsgebundene Di-rektversicherung, die sich zudem auch digital verwalten und flexibel anpassen lässt. Denn die Digitalisie-rung bietet Unternehmen die große Chance, ihre Angebote für die Be-triebsrente einfach zu verwalten. Und Arbeitnehmer können sich über Plattformen jederzeit informieren.

Auch die Versicherungen Talanx und Zurich machen gemeinsame Sa-che unter dem Titel „Die deutsche Betriebsrente“. Vergleichbar mit dem genossenschaftlichen Angebot ist ein kapitalmarktorientierter Pen-sionsfonds geplant. Die Revolution kommt in kleinen Schritten. Aber sie kommt.

Betriebsrentenstärkungsgesetz

Mehr Spielraum für die Altersvorsorge Die Kapitalgarantie für Leistungen fällt. Damit können die

Anbieter flexibler investieren. Außerdem fördert der Staat die betriebliche Altersvorsorge stärker. Vermittler sehen Chancen,

wie eine Umfrage der Finanzberater Edition zeigt.

Mit dem Betriebsrentenstärkungs- gesetz hat sich die Förderung seit 1. Januar 2018 geändert: • Mitarbeiter dürfen acht Prozent des sozialversicherungspflichtigen Ein-kommens in ihre Betriebsrente inves-tieren. Bislang waren es vier Prozent. Bei einer aktuellen Beitragsbemes-sungsgrenze von 78 000 Euro dürfen sie pro Kalenderjahr 6 240 Euro steu-erfrei sparen. • Sozialabgabenfrei ist aber nur die Hälfte des steuerfreien Maximalbe-trags, also 3 120 Euro. • Arbeitgeber müssen 15 Prozent des Umwandlungsbetrages für die Betriebsrente aus der Firmenkasse beisteuern. Die Hälfte des Jahres-beitrags für die Altersvorsorge ist

für Mitarbeiter und Unternehmen sozialabgabenfrei. • Firmen, die Geringverdienern einen Zuschuss zu den Beiträgen bezahlen, erhalten einen Teil vom Staat zurück. Das Betriebsrentenstärkungsgesetz fördert Beschäftigte, die höchstens 2 200 Euro brutto im Monat verdie-nen. Zahlt das Unternehmen im Rah-men einer Vorsorge zwischen 240 und 480 Euro Jahresbetrag, gibt es 30 Prozent mit der Verrechnung der Lohnsteuer zurück. Das scheint auf den ersten Blick angemessen, ist aber inzwischen umstritten. „Es gibt erste Stimmen, die diese spezielle Förde-rung als Verstoß gegen das allgemei-ne Gleichbehandlungsgebot kritisie-ren“, sagt Norbert Müller, Geschäfts-führer des Beratungsunternehmens Premium BAV in Schwetzingen.

Die neuen Regelungen auf einen Blick

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18 | MEINE WELT

Dirk Wohleb Düsseldorf

Das Jahr 2018 hat es in sich für Berater: Nicht nur die EU-Richtlinie Mi-FID II trat in Kraft, son-dern auch die Versiche-

rungsrichtlinie IDD. Damit verbun-den sind Änderungen beim Ausweis der Kosten von Finanzprodukten. „Die Einführung von MiFID II war mit großen Problemen für uns Anla-geberater verbunden“, sagt Jörg Her-zog, Finanz- und Anlageberater in Berlin. Denn viele Zielmarktdefinitio-nen für Investmentfonds, die laut MiFID II vorgesehen sind, lagen zu Jahresanfang noch nicht vor. Einige Fonds hatten sogar negative Kosten, weil Angaben in den Systemen falsch hinterlegt waren. „Sie können einem Kunden negative Kosten aber nicht erklären“, erklärt Herzog. Denn diese ergeben überhaupt keinen Sinn.

Unterschiedliche Kosten beim gleichen Fonds Doch an den Ausweis negativer Transaktionskosten müssten sich Herzog und seine Kollegen gewöh-nen, wenn es nach den aktuellen Plä-nen der EU-Kommission geht. Denn 2020 sollen die Basisinformations-

blätter für verpackte Anlageprodukte für Kleinanleger und Versicherungs-anlageprodukte (PRIIPs) in der EU zur Anwendung kommen.

Die Idee ist auf den ersten Blick sinnvoll: Anleger sollen für alle Anla-geprodukte die gleichen Informatio-nen erhalten und sie damit auch bes-ser vergleichen können. Diese Basis-informationsblätter sollen dann nicht nur für alle Arten von Fonds gelten, sondern auch für Versicherungen, strukturierte Produkte, abgeleitete Finanzprodukte wie Optionsscheine, die in Versicherungen, Wertpapieren oder Bankprodukten verpackt sind.

Die PRIIPs würden die etablierten wesentlichen Anlegerinformationen, das sogenannte OGAW-KIID, erset-zen. Dieses stellt übersichtlich und transparent Informationen zu den Kosten, Wertentwicklung und Risi-ken dar. Zwar werden nach MiFID II und auch nach PRIIPs die Kosten in Euro und Cent offengelegt, doch das Problem besteht darin, dass die Be-standteile der Kosten unterschiedlich berechnet werden.

Der größte Unterschied besteht da-rin, dass nach PRIIPs sämtliche Kos-ten auf die empfohlene Haltedauer

eines Produkts als jährliche Durch-schnittskosten darzustellen sind. Die Folge: „Die Kostenangaben nach MiFID II und PRIIPs unterscheiden sich stark. Anleger werden dadurch nicht informiert, sondern verwirrt“, sagt Thomas Richter, Hauptgeschäfts-führer des deutschen Fondsverbands BVI.

Derzeit gelten die PRIIPs-Regeln nur für Fondspolicen. Ab 2020 sollen sie bei allen Käufen von Fondsantei-len zum Einsatz kommen. Unter-schiedliche Angaben drohen vor al-len Dingen beim Ausweis der Trans-aktionskosten. Unter PRIIPs gilt die sogenannte Arrival-Price-Methode, die neben Posten wie Brokergebüh-ren auch die Preisunterschiede zwi-schen dem Kurs des Wertpapieres bei Ausführung der Order und dem Kurs bei der Ordererteilung einbe-zieht.

Genau diese Differenz soll aber nach MiFID II nicht als Kosten ausge-wiesen werden. Laut einer Analyse des BVI würden derzeit bei Anwen-dung der Arrival-Price-Methode rund zehn Prozent der Fonds negative Transaktionskosten aufweisen. Sie führt vor allem in Märkten, die sich

durch ein geringes Handelsvolumen auszeichnen, zu falschen Ergebnis-sen, die zum Teil als negative Trans-aktionskosten sichtbar werden. „Es macht keinen Sinn, die erprobten In-formationen des OGAW-KIID durch Mangelhaftes zu ersetzen“, kritisiert Richter.

Der Verband bemängelt auch die Vorgaben für die Prognose der Wert-entwicklung in den Informationsblät-tern. So sollen die Emittenten drei Szenarien zur zukünftigen Wertent-wicklung auf Basis der Daten der Ver-gangenheit aufzeigen. Bei einem län-geren Aufschwung und einem an-schließenden Einbruch, der noch nicht erfasst wurde, würden die Sze-narien für die Prognose zu positiv ausfallen.

„Prognosen zu den Kapitalmärkten auf Basis von Vergangenheitsdaten abzugeben, ist wie Lesen im Kaffee-satz. Zur Orientierung des Anlegers ist es besser, zumindest zusätzlich wie bisher die vergangene Wertent-wicklung gegenüber dem Vergleichs-index anzugeben“, so Richter. „Die entspricht wenigstens den Tatsa-chen.“

In der Praxis nur schwer vermittelbarIn der Beraterpraxis wären die Ände-rungen nur schwer vermittelbar: „Für Kunden ist es absolut unver-ständlich, wenn sie zu einem Fonds komplett unterschiedliche Angaben bekommen“, sagt Herzog. Er be-fürchtet zudem, dass negative Trans-aktionskosten zu einer kompletten Verunsicherung bei seien Kunden führen würden und sich die Men-schen mit Investments zurückhalten.

Was sich Herzog wünscht: „Trans-parenz, die diesen Namen verdient. Das heißt Vereinfachung und keine unterschiedlichen Angaben für die gleichen Anlageprodukte.“ Der Fondsverband plädiert nun dafür, die Angaben zu Transaktionskosten und Performance zu überarbeiten und den Start von PRIIPs für Fonds um zwei Jahre zu verschieben. Finanzbe-ratern könnte das nur recht sein.

Regulierung

Den Durchblick behaltenAnleger bekommen unterschiedliche und widersprüchliche Informationen zu den Kosten von Fonds. Finanz- und Anlegerberater können das ihren Kunden nur schwer vermitteln. In Zukunft droht das Chaos noch größer zu werden.

Für Kunden ist es unverständlich, wenn sie zu einem

Fonds komplett

unterschiedliche

Angaben

bekommen.Jörg HerzogFinanz- und Anlageberater Berlin

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20 | MEINE WELT

Heinz-Josef Simons Düsseldorf

Sie heißen Moneywell, Zinsland, Exporo oder – eher poetisch – auch Berg-fürst. Beim Surfen im In-ternet treffen Kleinsparer

und private Investoren mittlerweile auf weit mehr als 100 Crowdinves-ting- respektive Crowdfunding-Platt-formen. Zumindest beim Start waren die Geschäftsmodelle der Schwarmfi-nanzierer weitgehend identisch. Die Plattformen versprechen eine Win-win-Situation für alle Beteiligten: möglichst hohe Erträge für Investo-ren und Kapital für Immobilien-Pro-jektentwickler, Start-ups und neuer-dings auch Mittelständler, die eine bankenunabhängige Finanzierung su-chen.

„Es reicht längst nicht mehr, sich auf die Macht des Internets und die Durchschlagskraft regelmäßiger So-cial-Media-Kampagnen zu verlassen“, erklärt Esko Fritz, Geschäftsführer von Moneywell. Die Nürnberger Crowdinvesting-Plattform startete im Herbst vergangenen Jahres und ver-treibt ihre Investmentangebote von Beginn an über zwei Kanäle: online insbesondere durch Facebook-Kam-pagnen und Google Adwords sowie offline durch die Zusammenarbeit mit Finanzdienstleistern und Finanz-beratern.

Doch welche Voraussetzungen müssen Plattformen mitbringen? „Er-forderlich sind eine Gewerbeerlaub-nis sowie eine Vermögensschaden-haftpflichtversicherung“, erklärt der Hamburger Rechtsanwalt Lutz Tiede-mann. Grundsätzlich benötigen Platt-formen eine Erlaubnis nach Paragraf 34f, Teil 3 der Gewerbeordnung.

Die bei Crowdinvesting-Plattfor-men angebotenen Nachrangdarlehen dürfen von Finanzdienstleistern ver-mittelt werden, die beispielsweise über eine Gewerbeerlaubnis nach Pa-ragraf 34f, Teil 3 und 34h verfügen. Mit aktuell rund 12 000 nutzt nur ei-ne Minderheit der momentan weit mehr als 200 000 Finanzvertriebler in Deutschland diese Möglichkeit. Richtig interessant für Crowdinves-ting-Plattformen, weil mit rund 120 000 quantitativ deutlich in der Überzahl, sind Versicherungsvermitt-ler, die allein über eine Gewerbeer-laubnis nach Paragraf 34d der Gewer-beordnung verfügen. Denn „für sie ist das Geschäft als Empfehlungsgeber ideal geeignet“, betont Fritz. Zumin-dest theoretisch gilt: Jeder, ob Kfz-Monteur, Bäckereifachverkäuferin oder eben Versicherungsvermittler, darf Empfehlungsgeber sein und des-halb auch dafür erfolgsabhängig ho-noriert werden.

Doch beraten und vermitteln dür-fen sie nicht, falls die Voraussetzun-gen laut Gewerbeordnung fehlen. Sinnvoll und erst recht nicht image-bildend sind solche Empfehlungen von Laien zweifellos nicht, weil sie an den oft kritisierten Strukturvertrieb erinnern.

Unter den Finanzberatern indes sind die Berater nach Paragraf 34d als

Crowdinvestments

Im Schwarm finanzierenImmer mehr Unternehmen nehmen Geld mithilfe von Onlineplattformen auf. Auch für Finanzberater bietet dieses Segment Chancen. Sie können sich damit ein neues Geschäftsfeld erschließen.

Geschäftspartner mit sachdienlichen Hinweisen besonders prädestiniert, weil sie in der Regel über Bestands-kunden verfügen, die Crowdinvesting als naheliegenden, zumal deutlich besser verzinsten Ersatz für her-kömmliche Sparangebote von Banken und Sparkassen mögen. Bieten die Geldinstitute selbst bei mehrjährigen Sparanlagen nur wenige Zehntelpro-zent Rendite, so versuchen die Crowd-Plattformen mit Investments ab drei Prozent Rendite und nur kurzen Lauf-zeiten von rund drei Jahren zu punk-ten. Finanzberater verlassen sich bei ihren Empfehlungen in der Regel auf die Prüfung und Genehmigung der sogenannten Produktinformations-blätter (PIB) durch die Bafin, auf die Ratings privater Analysedienstleister wie Dextro oder Kapitalmarkt Intern sowie auf die Angebotsprüfung der je-weiligen Plattform. Gleichwohl blei-ben Ausfallrisiken trotz Bafin-Mitwir-kung und oft guter Ratings.

Für den Vertrieb ist die Empfeh-lung ein interessantes neues Ge-schäftsfeld. Denn resultiert aus der Anbahnung ein Abschluss, den der

Kunde dann online direkt über die Crowd-Plattform erledigt, gibt es ab-hängig vom Investitionsbetrag „at-traktive Provisionen“, sagt Fritz. Oh-ne Stornogefahr, umständlichen Pa-pierkrieg und ohne lange Wartezeiten.

Längst bieten Crowd-Plattformen den Profis eine ausgefeilte Vertriebs-unterstützung. Das reicht von Motiva-tionsbriefen für Bestandskunden über spezielle Newsletter bis hin zu eigenen Landing-Pages für den Tipp-geber. Was bei der noch jungen Nürn-berger Plattform Moneywell wohl gut funktioniert hat.

So konnte das Unternehmen sein Angebot „Logistikzins“ innerhalb we-niger Wochen platzieren. Das Ham-burger Investmenthaus Solvium Capi-tal hatte sich 200 000 Euro für zwölf Monate und mit einem Zins von 3,21 Prozent geliehen, um mit dem Geld Logistikequipment wie Contai-ner und Wechselkoffer zu erwerben, erklärt Moneywell-Geschäftsführer Fritz: „Mehr als 70 Prozent des Volu-mens wurden über unsere Tippgeber eingeworben.“

Das gesamte in Crowdfunding investierte Kapital hat mittlerweile die Schwelle von 500 Millionen Euro überschritten, meldete kürzlich das Branchen-Informationsportal Crowdfunding.de.

Crowdfunding begann 2011 mit Start-up- Investments und hat sich seither weiterent- wickelt. So ist auf der einen Seite die Vielfalt des Produktangebots gestiegen. Auch die Vertriebswege haben sich erweitert.

Starkes Wachstum

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22 | MEINE WELT

Herr Müller, jeder redet über den boomenden deutschen Immobilien-markt. Sie aber empfehlen Ihren Kunden vor allem Immobilien- und Infrastrukturinvestments speziell in den Emerging Markets. Warum?Wir empfehlen unseren Anlegern nicht, vor allem in den Emerging Markets zu investieren, sondern sich grundsätzlich den globalen Märkten zu öffnen. Das Gesamtportfolio, in das unsere Anleger derzeit investiert sind, umfasst inzwischen 39 Länder mit rund 3 220 Einzelinvestments im Bereich Immobilien und Infrastruk-tur. Die regionale Allokation der In-vestitionen ist dabei relativ ausgewo-gen und verteilt sich zu 42 Prozent auf Industrieländer und zu 58 Pro-zent auf Schwellenländer. Durch eine globale Investitionsstrategie können Investoren an positiven wirtschaftli-chen Entwicklungen und Trends an-derer Länder partizipieren, wie zum Beispiel dem Aufstieg der Mittel-schicht und dem Trend zur Urbani-sierung in vielen Emerging Markets. Die jeweiligen nationalen Immobi-lienmärkte besitzen nicht nur ihre ei-genen Besonderheiten, sondern be-finden sich oft auch an verschiede-nen Punkten des Immobilienzyklus. Je nach Rendite-Risiko-Profil eines In-vestors sind folglich andere Märkte geeignet beziehungsweise interes-sant.

Welche Länder stehen ganz oben auf Ihrer Investmentliste?Grundsätzlich stehen alle Länder auf unserer Investment-Shortlist. Sicher-lich gibt es immer eine temporäre Aufmerksamkeit für ein spezielles Land, was aber weniger mit dem Land an sich zu tun hat, sondern eher mit einem Assetmanager vor Ort, der uns gerade eine interessante Investitionsmöglichkeit anbietet. Letztendlich geht es immer um das eine: in einem wettbewerbsarmen Umfeld zu kaufen und in einem wett-bewerbsreichen Umfeld zu verkau-fen. Und das unabhängig vom Land.

In Deutschland geht das nicht?Der Weg, Rendite über Core-Immobi-

lien im Heimatmarkt in Deutschland zu erwirtschaften, stellt sich für viele Investoren als sehr schwierig dar — der Markt hierzulande ist schlichtweg leergekauft. Mittlerweile kauft man nur noch Substanzerhalt, aber keine Rendite mehr. Bei einer klassischen Immobilien-Core-Strategie wird zu-dem die Rendite oft über einen ho-hen Fremdkapitaleinsatz gehebelt, was problematisch ist. Das Ergebnis einer solchen Investition wird neben den Kosten im Wesentlichen von drei Faktoren bestimmt: Mieter, Markt und Standort. Auf die haben sie aber leider nur wenig Einfluss.

Was machen Sie denn anders?Wir arbeiten gezielt mit globalen in-stitutionellen Managern, die darauf spezialisiert sind, Cashflows bei Im-mobilieninvestments zu erhöhen. Dies ist der einzige Faktor, den man wirklich beeinflussen kann. Dabei gibt es viele Hebel, die Ertragskraft einer Immobilie zu steigern: Auf der Vermietungsseite sind dies etwa die

Reduzierung von Leerstandsquoten, Mieterhöhungen oder Veränderun-gen der Mietstruktur. Häufig sind es aber auch Aus- und Umbauten, Repo-sitionierungen und andere Aufwer-tungen des Gebäudes, die zu einer Erhöhung des Cashflows führen. Die Kombination einer globalen Investiti-onsstrategie mit einer wertsteigern-den Investmentstrategie legt ein Fun-dament für nachhaltige Rendite.

Alternative Investments wie Immo-bilien- und Infrastrukturbeteiligun-gen sind per se recht riskant ...Was verstehen Sie unter recht ris-kant? Jede Art von Investition bein-haltet ein Risiko-Rendite-Potenzial. Die entscheidende Frage in diesem Zusammenhang ist: Welchen Rendi-teanspruch hat ein Investor, und über welche Risikobereitschaft ver-fügt er? Immobilien sind historisch gesehen attraktive Kapitalanlagen, die dem langfristigen, konservativen Vermögensaufbau dienen. Nur weni-ge andere Anlageformen bieten eine

ähnliche Sicherheit und einen ver-gleichbaren Vermögens- und Inflati-onsschutz.

Gilt das auch für Infrastrukturpro-jekte in fremden Märkten? Infrastruktur ist das Rückgrat moder-ner Volkswirtschaften und somit eine interessante Assetklasse. Infrastruk-turprojekte haben in der Regel ein stabiles Ertragspotenzial und eine starke Wettbewerbsstellung. Hinter-grund hierfür ist, dass Infrastruktur-anlagen eine große Kundenbasis ha-ben, da sie zum Teil täglich genutzt werden und nicht ersetzbar sind. Sie haben wegen langer Planfeststel-lungsverfahren oder langer Konzessi-onslaufzeiten oft monopolartigen Charakter, wodurch eine laufende und kalkulierbare Nachfrage besteht. Traditionell werden Infrastruktur-maßnahmen wie der Bau und der Be-trieb von Straßennetzen, Bahnlinien, Einrichtungen zur Energieversor-gung und -verteilung sowie zur Was-serversorgung, Abwasserunterneh-men, Flughäfen, Kommunikations-netzen, Krankenhäusern oder Schu-len mit öffentlichen Mitteln finanziert oder staatlich subventioniert.

Der Investitionsbedarf ist groß. Kön-nen das die Staaten selbst stemmen?Steigende Finanzierungsengpässe öf-fentlicher Kassen zwingen die Regie-rungen vieler Länder, Infrastruktur-einrichtungen zu privatisieren oder deren Finanzierung und deren Be-trieb dem privaten Sektor zu überlas-sen. Laut verschiedenen Schätzun-gen wird der weltweit kumulierte In-frastrukturbedarf bis 2030 auf 50 bis 65 Billionen US-Dollar ansteigen. Un-ser Portfoliomanagement besteht da-rin, in unterschiedliche Währungen, Investmentstrategien, Länder, Asset-Klassen, Konzepte und Nutzungsar-ten zu investieren, um Wertzuwächse zu generieren und nicht nur einfach auf die Konjunktur zu setzen. Diese Portfoliostrategie funktioniert in der Regel bei jeder Marktentwicklung. Wichtig dabei ist ein mittel- bis lang-fristiger Investitionszeitraum.

Sind alternative Investments mehr als das Depotsahnehäubchen für Gutverdiener?In Anbetracht des anhaltenden Nied-rigzinsumfelds und der Tatsache, dass traditionelle Anlageklassen, wie zum Beispiel Staatsanleihen, derzeit kaum attraktive oder negative Rendi-ten bieten, suchen gerade institutio-nelle Investoren marktneutrale Lö-sungen. Dabei stehen alternative An-lagestrategien immer stärker im Fo-kus. Schließlich versprechen diese stabile Renditen, geringe Volatilität und eine niedrige Korrelation zu tra-ditionellen Assetklassen. Doch alter-native Investments gehören auch bei Privatanlegern in ein ausgewogenes Portfolio. Darunter versteht man In-vestments in privat organisierte Märkte als Abgrenzung zu öffentli-chen Märkten. Wir gehen einen Schritt weiter und definieren institu-tionelle Private-Market-Investments zudem als fokussierte Strategien un-ternehmerischer Marktteilnehmer.

Was heißt das genau?Unternehmerisch geprägte institutio-nelle Marktteilnehmer zeichnen sich durch einen stärkeren persönlichen Einsatz und die Bereitschaft zur per-

sönlichen Risikoübernahme aus. Eine Gemeinschaft aktiver institutioneller In-vestoren ist in der Lage, aus eigenen Netzwerken Investmentmöglichkeiten zu generieren.

Welche Fondsprojekte haben Sie in der Pipeline? Ein jüngstes Mandatsprojekt für institu-

tionelle Investoren ist das Olympia Lon-don Exhibition Centre. Der Kaufpreis be-trägt 330 Millionen Euro. Der Erwerb er-folgte in einem Konsortium mit Investo-ren wie der Bayerischen Versorgungs-kammer und der Versicherungskammer Bayern. Des Weiteren platzieren wir un-seren DFI European Value Add Fund, die Mindestbeteiligung bei diesem Fonds be-

trägt eine Million Euro. Privatanlegern bieten wir derzeit zwei Fondsstrategien an: einen international investierenden Immobilienfonds mit einer Laufzeit von sechs Jahren und einen Infrastruktur-fonds mit zehn Jahren Laufzeit.

Die Fragen stel lte Heinz-Josef Simons.

Thomas Oliver Müller

„Anleger sollten sich für globale Märkte öffnen“ In deutschen Anlageportfolios dominieren nach wie vor Aktien und Immobilien aus dem eigenen Land. Der Vorstandschef und Gründer der Investmentgesellschaft Deutsche Finance Group empfiehlt I nvestoren den Blick über den Tellerrand. Besonders interessant seien Investments in Infrastruktur und Immobilien. Es gilt dabei, Risiken im Blick zu behalten.

Thomas Oliver Müller ist Gründer und Vorstandsvorsitzender der Deutschen Finance Group, einer 2005 gegründeten bankenunabhängigen und inhabergeführten Investmentgesellschaft mit Sitz in München. Das Unternehmen verspricht privaten und institutionellen Investoren exklusiven Zugang zu internationalen Investmentmärkten.

Vita

MEINE WELT| 23

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24 | MEINE WELT MEINE WELT| 25

von „Rechtsfehlern beeinflusst“ worden.

Der BGH verwies auf seine ständi-ge Rechtsprechung, nach der eine Verletzung der Aufklärungs- sowie der Beratungspflicht von dem nach-gewiesen werden müsse, der diese behauptet. Der Kläger muss also be-weisen, dass der Beklagte den Emis-sionsprospekt nicht rechtzeitig übergeben hatte. Dies aber war vom OLG Celle offenbar nicht berück-sichtigt worden.Tipp: Falls ein Investment schief-geht, suchen Investoren oft die Ver-antwortung bei ihrem Berater. Um spätere Haftungsansprüche des Kunden auszuhebeln, ist eine lü-ckenlose Dokumentation der Bera-tung entscheidend. Dazu zählt auch die am besten durch Unterschrift des Kunden nachgewiesene Überga-be des Emissionsprospekts.

und deshalb sei auch keine Aufklä-rung über die Gesamtprovision von 20 Prozent inklusive Agio erfolgt. Nach eigenen Angaben hätte der Kläger in Kenntnis einer hohen Pro-vision die Beteiligung nicht gezeich-net.

In den beiden ersten Instanzen, dem Landgericht Hannover und dem Oberlandesgericht (OLG) Celle, hatte der beklagte Berater das Nachsehen. Im Revisionsverfahren hob der BGH das Urteil des OLG Celle auf und verwies die Klage zur erneuten Entscheidung dorthin zu-rück. Zwar bestätigte der BGH die OLG-Auffassung, wonach der Ausga-beaufschlag bei der Berechnung der Gesamtprovision berücksichtigt werden müsse. Doch die Auffassung der Celler OLG-Richter, es habe kei-ne rechtzeitige Prospektübergabe an den Kläger stattgefunden, sei

Immobilien: Verjährung startet nicht beim Kauf

Das Urteil: Wann beginnt die Ver-jährungsfrist im Hinblick auf Schadens-ersatzansprüche beim Erwerb eines vermieteten Investmentobjekts? Offen-bar nicht an jenem Tag, an dem der no-tarielle Kaufvertrag unterschrieben wird. So hat der Bundesgerichtshof (BGH) in einem Fall unter dem Akten-zeichen V ZR 134/15 entschieden.

Der Fall: Ein Ehepaar hatte im Jahr 2008 für knapp 118 000 Euro eine Ei-gentumswohnung erworben. Parallel dazu vermittelte der beklagte Finanzbe-rater ein Annuitätendarlehen in glei-cher Höhe. Aus Mieteinnahmen und Steuerersparnissen sollte sich das Im-mobilieninvestment, so der Berater, selbst tragen. Dies war allerdings nicht der Fall. Die Käufer mussten jeden Mo-nat einen erheblichen Betrag zuschie-ßen. Sie verklagten daraufhin den Fi-nanzdienstleister auf fehlerhafte Bera-tung beim Immobilienerwerb. Die Eheleute veräußerten schließlich die Wohnung für 52 000 Euro, die Diffe-renz zum Kaufpreis forderten sie als Schadensersatz vom Berater.

In der Vorinstanz, dem Hanseati-schen Oberlandesgericht Hamburg, wurde die Klage mit Hinweis auf Ablauf der Verjährungsfrist abgewiesen. Der BGH kassierte die Entscheidung und verwies den Fall zurück an das OLG. Begründung: Die Verjährung startete im vorliegenden Fall erst, sobald sich der Immobilienkäufer und Investor ein realistisches Bild über die Höhe seiner eigenen Zuzahlungen machen konnte. Dies war und ist aber erst auf Grundla-ge der von der Wohnungseigentümer-gemeinschaft oder deren Verwalter er-stellten Jahresabrechnung möglich.

T i p p : Berater sollten mit offenen Karten spielen und qualitativ minder-wertige Immobilien wie im vorliegen-den Fall nicht schönreden. Sonst sind Schadensersatzansprüche gegen den Berater absehbar, vor allem wenn er auf den Ablauf der Verjährung spekuliert.

Schiffsbeteiligung: Aufklärung über Anlageprodukt lückenlos dokumentieren

Das Urteil: In seiner Entschei-dung unter dem Aktenzeichen III ZR 565/16 hat der Bundesge-richtshof (BGH) einmal mehr be-tont, dass ein Anlageberater seinen Kunden unaufgefordert über die Höhe der Vertriebsprovisionen im Zusammenhang mit einem vermit-telten Anlageprodukt aufklären muss. Voraussetzung ist, dass die Provision 15 Prozent des Anlagebe-trags überschreitet. Der BGH beton-te in seinem Urteil ausdrücklich, dass zur Gesamtprovision auch ein Agio gehöre.

Der Fal l : Im vorliegenden Fall ging es um eine Schiffsbeteiligung in Höhe von 20 000 Euro plus fünf Prozent Ausgabeaufschlag. Der Kläger pochte auf Schadensersatz wegen fehlerhafter Anlageberatung. Begründung: Der Emissionspro-spekt sei nicht übergeben worden,

Unfallver- sicherung: Makler muss bei Schaden helfen

Das Urteil: Versicherungsmakler stehen gleich doppelt in der Pflicht: bei der Beratung zwecks Vertrags-abschluss und auch im Rahmen ei-nes Versicherungsfalls. Nach einer Entscheidung des Bundesgerichts-hofs (BGH) unter dem Aktenzeichen I ZR 143/16 sollten Makler besonde-res Augenmerk auf die Schadens- regulierung richten, weil hier gege-benenfalls Schadensersatzansprü-che des Versicherungsnehmers we-gen einer möglichen Pflichtverlet-zung wegen Inaktivität drohen.

Der Fall: Die Klägerin war als ge-prüfte Versicherungsfachfrau zwi-schen 2008 und 2010 für das be-klagte Unternehmen tätig. Für sich selbst vermittelte sie in dieser Zeit eine private Unfallversicherung, bei der ihr Ehemann als versicherte Person eingeschlossen war. Im April des Jahres 2012 erlitt der Gatte ei-nen schweren Verkehrsunfall, der dem Versicherer umgehend gemel-det wurde. Die Versicherung wies wenig später darauf hin, dass Leis-tungsansprüche nur bestünden, falls die Invalidität spätestens zwölf Monate nach dem Unfall eintrete und innerhalb von 18 Monaten nach dem Unfall ärztlich festgestellt wer-de.

Diese 18-Monats-Frist verstrich, sodass der Versicherer die vertragli-chen Leistungen verweigerte. Für die Fristversäumnisse machte die Klägerin ihren früheren Arbeitgeber verantwortlich und verlangte von ihm Schadensersatz für entgangene Versicherungsleistungen, Anwalts-kosten und Zinsen in Höhe von ins-gesamt rund 40 000 Euro.

Das Oberlandesgericht (OLG) Ol-denburg als Vorinstanz und Beru-fungsgericht hatte die Klage abge-wiesen, allerdings Revision zugelas-sen. Der BGH hob das OLG-Urteil auf und verwies den Fall zur erneu-ten Verhandlung und Entscheidung dorthin zurück. Offenbar bestanden für den BGH berechtigte Zweifel da-ran, dass eine Pflichtverletzung des Maklerunternehmens bei der Scha-denregulierung nicht vorgelegen habe.

Tipp: Versicherungsmakler sind Sachwalter ihrer Kunden. Sie soll-ten ihre Aufgaben und Pflichten zur Hilfe und Beratung bei der Scha-denregulierung nicht auf die leichte Schulter nehmen. Sonst drohen un-ter Umständen Schadensersatzan-sprüche.

Tanker: Provisionen bei Beteiligungen sorgen immer wieder für Konflikte vor Gerichten.

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Lebensversicherung: Verjährung beginnt bei AbschlussDas Urteil: Im Hinblick auf mögli-

che Schadensersatzansprüche beginnt die zehnjährige Verjährungsfrist be-reits beim Abschluss einer Kapitalle-bensversicherung und nicht erst bei der Auszahlung. Diese Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) unter dem Aktenzeichen XI ZR 430/16 koste-te die Klägerin mehrere Zehntausend Euro.

Der Fall: Eine Augenärztin hatte En-de des Jahres 2001 zur Praxisfinanzie-rung einen sogenannten Universaldar-

lehensvertrag mit einer Bank über 205 000 Euro mit einer Laufzeit von zwölf Jahren abgeschlossen. Wie üb-lich bei diesen Geschäften wurde der tilgungsfreie Kredit mit einer Kapitalle-bensversicherung gekoppelt. Das Kal-kül: Die bei Vertragsabschluss avisierte Ablaufleistung der Police sollte das Darlehen am Ende komplett tilgen.

Bei Ablauf der Kapitalversicherung fehlten jedoch knapp 40 000 Euro, um das Darlehen vollständig zu tilgen. Die-sen Betrag zahlte die Augenärztin aus

eigener Tasche und verklagte ihre Bank wegen fehlerhafter Aufklärung über die wirtschaftlichen Nachteile der Kombi-nation aus Kredit und Kapitalpolice. Das Schleswig-Holsteinische Oberlan-desgericht (OLG) wies in zweiter In-stanz die Klage ab (Aktenzeichen 5 U 38/15), ließ aber die Revision vor dem BGH zu. Auch das höchste deut-sche Zivilgericht sah eine Pflichtverlet-zung der Beklagten, die offenbar nicht über die Risiken der Kombination aus Kredit und Police informiert hatte. Die

Klägerin zog dennoch den Kürzeren, weil die Verjährungsfrist, um den Scha-densersatzanspruch durchzusetzen, Ende 2012 ablief, also rund zehn Jahre nach Vertragsabschluss. Eingereicht hatte die Augenärztin ihre Klage aber erst im August des Jahres 2013.

Ti p p : Berater, die mit einem ver-gleichbaren Problem konfrontiert sind, sollten auf keinen Fall Forderun-gen anerkennen. Vorher ist die Prü-fung der Verjährung und die Beratung durch einen Juristen geboten.

Mietshaus: Berater sollten Mängel nicht verschweigen.

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Wichtige Urteile

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Zinswende

DAS ENDE DES BILLIGEN GELDESDie US-Notenbank normalisiert langsam ihre Zinspolitik. Auch in Europa geht die Zeit der extrem expansiven Geldpolitik dem Ende entgegen. Was Bond-Investoren erwartet und wie sie ihr Anleiheportfolio jetzt optimal aufstellen.

Gerd Hübner München

Wer nackt schwimmt, erkennt man erst, wenn die Flut geht.“ Diese Weisheit der Investorenle-gende Warren Buffett be-schreibt die aktuelle Situation

nahezu perfekt. Denn die Liquidität, die die Finanz-märkte in den vergangenen Jahren überflutet hat, geht langsam zurück. So hat die Federal Reserve Bank (Fed) in Washington den Weg zur Normalisie-rung ihrer Geldpolitik längst beschritten. Sie hat die Leitzinsen auf eine Bandbreite von zuletzt 1,75 bis zwei Prozent angehoben und ist auch dabei, ihre aufgeblähte Bilanz abzubauen. Die Europäische Zentralbank (EZB), die ihr Anleihekaufprogramm erst im März 2015 startete, ist rund drei Jahre hinter den USA zurück. Doch nun will auch sie ihre Anlei-hekäufe bis Ende diesen Jahres auslaufen lassen. Erste Zinserhöhungen kündigt Mario Draghi „frü-hestens für das Ende des Sommers 2019“ an.

Grundsätzlich gehen die meisten Experten zwar davon aus, dass Panik derzeit fehl am Platz ist. Den-noch sollten Bond-Investoren ihr Portfolio über-denken. Inwieweit können Anleihen Risiken im Portfolio bei einer Zinswende weiter abfedern? Und wann gilt es, negative Renditen bei laufenden Pa-pieren einzukalkulieren?

2,4 Billionen Euro pumpte die EZB bisher in die Anleihemärkte Seit 2015 fährt die EZB ein umfangreiches Anleihe-kaufprogramm. Bis Jahresende will EZB-Chef Drag-hi die Neuinvestitionen auf 15 Milliarden Euro mo-natlich drosseln und im nächsten Jahr ganz einstel-len. „Wir rechnen wegen der geringen Wachstumsdynamik und des kaum vorhandenen Inflationsdrucks eher mit einer Seitwärtsbewegung bei den Kapitalmarktrenditen in der Eurozone“, er-klärt Frank Witt, Leiter Pimco Deutschland. Auch Ali Masarwah, Analyst bei dem Fondsanalysehaus Morningstar, sieht das so: „Zum einen haben wir ei-ne säkulare Nachfrage nach Anleihen, zum Beispiel von Pensionseinrichtungen, zum anderen ist zu be-denken, dass die EZB auslaufende Anleihen weiter durch neue Titel ersetzen wird.“

Dennoch drohen Turbulenzen. „Anleger müssen beachten, dass mit den Notenbanken wichtige Nachfrager der vergangenen Jahre am Anleihe-

markt wegfallen“, meint Christian Jasperneite, Chefvolkswirt von M.M. Warburg. Weniger Nachfra-ge bedeutet grundsätzlich steigende Renditen und sinkende Kurse.

Wie stark solche Kursverluste ausfallen können, zeigt das Beispiel einer fiktiven zehnjährigen Bun-desanleihe mit einem Kupon von 0,338 Prozent. Ein Renditeanstieg auf ein Prozent würde zu einem Kursverlust von rund 6,3 Prozent führen. Springt die Rendite gar auf zwei Prozent, dann ergibt sich sogar ein theoretischer Verlust von fast 15 Prozent. Für eine sichere Anlage ist das viel.

Ein Prozent Zinsanstieg bringt etwa fünf Prozent Kurverlust„Als Faustregel“, erläutert Jasperneite, „können Sie davon ausgehen, dass eine Anleihe mit einer Dura-tion von fünf Jahren bei einem Zinsanstieg um 100 Basispunkte über fünf Prozent an Wert verliert.“ Je nach Anleiheart und Emittent kann es dabei aber zu starken Unterschieden kommen. Staatsanleihen aus den Peripheriestaaten zum Beispiel sollten An-leger gut im Auge behalten. „Sie haben besonders stark von den Anleihekäufen der EZB und dem sta-bilen Wirtschaftswachstum der vergangenen Jahre profitiert“, erklärt Witt. „Ohne die Unterstützung der EZB könnten deren Risikoaufschläge gegenüber Bundesanleihen steigen.“

Da die EZB auch Unternehmensanleihen aus der Eurozone erworben hat, hat sie auch in diesem Segment die Renditen stark verzerrt. Zwar dürften die Kursverluste hier tendenziell geringer ausfallen, da Notenbanken die Zinsen nur dann erhöhen, wenn die Wirtschaft gut läuft und die Inflation steigt, was ein gutes Umfeld für Corporate Bonds bedeutet. „Allerdings“, warnt Jasperneite, „sind Unternehmensanleihen derzeit so bewertet, als ob es keine Ausfälle geben könnte. Wenn die EZB hier nun die Käufe einstellt, sollten Anleger vor allem bei Titeln geringerer Bonität mit stärkeren Korrek-turen rechnen.“

Zu stärkeren Bewegungen am Rentenmarkt dürf-te es nach Ansicht der meisten Experten aber nur in zwei Fällen kommen. Das eine Szenario wäre ein starker Inflationsanstieg. „Das ist ein Auslöser, der nicht ganz auszuschließen ist“, meint Jasperneite. Er nennt dabei allerdings das Beispiel USA: So gilt

der US-Arbeitsmarkt mit einer Arbeitslosenquote von zuletzt unter vier Prozent als fast vollständig ausgelastet, während die Wirtschaft auf Hochtou-ren läuft. Dies könnte zu Lohnsteigerungen und steigenden Inflationserwartungen führen. Dadurch könnte sich die Fed gezwungen sehen, die Zinsen schneller zu erhöhen als vom Markt erwartet.

Heikel wäre auch eine Rezession. „Sie müssen bedenken, dass der gegenwärtige Aufschwung sei-nen Zenit inzwischen überschritten haben dürfte“, meint Witt. „Kommt es zu einem Abschwung, und das halten wir in den kommenden zwei bis drei Jahren für nicht unwahrscheinlich, dann würde dies insbesondere schwächere Schuldner etwa aus dem Bereich Hochzinsanleihen in Schwierigkeiten bringen und deren Anleihen belasten.“

Zwar ist auf kürzere Sicht weder ein starker An-stieg der Teuerung noch ein Abrutschen in die Re-zession wahrscheinlich. Dennoch kann es für Anle-ger Sinn machen, ihr Portfolio anzupassen. Ganz auf Anleihen zu verzichten, sei keine Alternative, so Masarwah. „Dank ihres Diversifikationseffekts ha-ben Anleihen in den vergangenen Jahren in Risk-off-Phasen bei Aktien als Werkzeug stets gut funk-tioniert“, erläutert der Morningstar-Experte.

Drei Möglichkeiten, um Risiken im Anleiheportfolio abzufedernWie können Anleger ihr Anleiheportfolio sicher auf-stellen? Es kann sich lohnen, die Duration im Port-folio zu senken, da die Kurse von Anleihen mit kür-zeren Laufzeiten weniger stark auf einen Rendite-anstieg reagieren, als lang laufende Titel. Ein Beispiel: Ein Anleihenportfolio hat eine durch-schnittliche Duration von 7,5 Jahren. „Durch die Beimischung von Exchange Traded Funds (ETF), die auf Anleihen mit einer Laufzeit von einem bis drei Jahre setzen, lässt sich die durchschnittliche Laufzeit auf 4,65 Jahre verkürzen. Dadurch würde der Kursrückgang des Portfolios bei einem Zinsan-stieg um einen Prozentpunkt fast drei Prozentpunk-te niedriger ausfallen“, rechnet Masarwah vor.

Eine andere Strategie, um darauf zu reagieren, skizziert Jasperneite: „Wer immun gegen steigende Zinsen sein möchte, kann auf Floating Rate Notes setzen, bei denen der Zinssatz über die variable Komponente in der Regel alle drei Monate ange-passt wird.“ Auch diese Strategie lässt sich mit pas-siven Instrumenten umsetzen. Zum Beispiel mit dem Amundi ETF Floating Rate Euro Corp (FR0012005734) oder dem Lyxor Barclays Float Rate ETF (FR0012386696). „Bedenken müssen Anleger allerdings, dass sie mit passiven Produkten in einem Crash-Szenario am Bondmarkt im Nach-teil sind“, sagt Masarwah.

Eine Alternative können deshalb aktiv gemanagte Anleihefonds sein. Hier ist die Suche nach einem für das neue Umfeld geeigneten Rentenfonds der-zeit schwierig, weil die Zinsen nach jahrzehntelan-gem Rückgang nun wieder steigen. „Einen Fonds zu finden, der seine Widerstandsfähigkeit gegen-über Zinsanstiegen nachhaltig gezeigt hat, ist kaum möglich“, sagt Jasperneite. „Grundsätzlich im Vor-teil dürften aber jene Fonds sein, die eine hohe Fle-xibilität aufweisen und global anlegen.“

„Wir empfehlen im Anleihebereich eher auf wäh-rungsgesicherte Tranchen zu setzen“, sagt Masar-wah. Einige Rentenfonds, die diese Bedingungen erfüllen, sind zum Beispiel der Pimco GIS Income (IE00B8N0MW85), der Jupiter Dynamic Bond (LU0853555380) oder der BlackRock World Bond Fund (LU0330917880).

Aber auch für Mischfonds kann das neue Para-digma am Rentenmarkt eine Herausforderung sein. Gerade bei defensiven Mischfonds mit durch-schnittlich 70 Prozent Anleihen im Portfolio gilt es, darauf zu achten, dass der Fondsmanager die Dura-tion der Anleihen im Portfolio aktiv steuert.

Interessant ist es, unterschiedliche Mischfonds-varianten zu mischen. Etwa flexible Mischfonds wie den Starcapital Huber Strategy (LU0350239504)oder der FvS Multiple Opportunities (LU0323578657), ausgewogene Körbe wie der DJE Zins & Dividende (LU0553164731) und eher defensiv ausgerichtete Fonds wie der Kapital Plus P (DE000A14N9U7).

„Welcher Weg letztlich der richtige ist, hängt we-sentlich von der individuellen Risikoaversion, den individuellen Anlagezielen und den Erwartungen eines Investors ab“, sagt Masarwah. Erst wer sich darüber im Klaren ist, kann festlegen, wie radikal er sein Portfolio verändern möchte oder ob er wo-möglich gar nicht reagiert und die mutmaßlich wei-ter steigende Volatilität an den Anleihemärkten ein-fach aushält.

MEINE PRODUKTE | 27

Meine Produkte Anlagestrategie an Zinswende anpassen S. 26

Enormer Druck auf Schwellenländer S. 28

Künstliche Intelligenz wird Standard S. 30

Sachversicherungen bis 30. September kündigen S. 31

Mit Faktor Investing auf Strategien setzen S. 32

All-Risk-Policen bieten umfassenden Schutz S. 34

Zertifikate-Kolumne: Mythos Gold S. 36

Neue Produkte S. 38

Page 15: FINANZVERTRIEB 2030 AMAZON UND CO. GREIFEN ANNeues Geschäftsfeld für Finanzberater. 22 - 23 Interview mit Thomas Oliver Müller Der Chef der Deutschen Finance Group über weltweite

28 | MEINE PRODUKTE

Dirk Wohleb Düsseldorf

Lange waren Schwellenlän-deraktien äußerst lukrativ. So rangieren die Renditen von Aktienfonds für den in-dischen und vietnamesi-

schen Markt im Fünf-Jahres-Vergleich mit jeweils mehr als 14 Prozent per annum unter den Top Ten aller Anla-gekategorien, die die Fondsrating-agentur Morningstar beobachtet. Doch seit Jahresbeginn verloren tür-kische Aktienfonds im Schnitt 45 Pro-zent, chinesische A-Share-Aktien-fonds gaben um zwölf Prozent nach und der weltweite Aktienindex MSCI Emerging Markets büßte rund vier Prozent ein. Auch Spitzenfonds mussten im laufenden Jahr oft Verlus-te einstecken, zeigt die Tabelle „Spit-zenfonds für Schwellenländerak-tien“.

Was begründet diese unerwartet hohen Verluste? Sollten sich Anleger von diesen Märkten zurückziehen oder macht es Sinn, investiert zu blei-ben? Fünf Punkte zu den Chancen und Risiken dieser Börsen.

1. Schwache WährungenSeit Jahresbeginn verbuchte die türki-sche Lira mehr als 40 Prozent Minus gegenüber dem US-Dollar. Der argen-tinische Peso büßte mehr als 30 Pro-zent ein, auch der brasilianische Real zählt zu den Verlierern. Als Gründe nennt Michael Altinzoglou, Fondsma-nager bei Flossbach von Storch, ei-nerseits eine verfehlte Politik der Länder. Etwa bei der Türkei, die auf dem Weg in eine Autokratie sei, in Brasilien, wo die Staatskasse geplün-dert worden sei, und in Argentinien mit seinem enormen Leistungsbi-lanzdefizit. „Und jetzt steigen auch noch die Zinsen in den USA und der US-Dollar ist stark wie lange nicht“, so Altinzoglou. Das macht die Situati-on für manche Schwellenländer, die vor allem im Ausland hoch verschul-det sind, zusätzlich schwierig.

Fazit: Aufgrund der Risiken inves-tieren Anleger nur einen geringen Teil ihres Vermögens in die Emerging Markets. Vorsichtige meiden ange-schlagene Märkte.

2. US-HandelskonflikteIran, China und jetzt auch noch Russ-land: US-Präsident Trump droht Re-gierungen rund um den Globus mit Strafzöllen. „Die jüngsten US-Han-delsaktionen sind weniger ernst, als die Trump-Rhetorik vermuten ließe. Sie werden nur eine geringe Auswir-kung auf das Wachstum in den USA und anderswo haben“, glaubt Katie Koch, Global Head im weltweiten Kunden-Portfolio-Management bei Goldman Sachs.

Und Prognosen, beispielsweise von der OECD, bescheinigen derzeit vie-len Volkswirtschaften der Schwellen-

länder bessere Wachstumschancen als den Industriestaaten. So erwarten die OECD-Experten für 2018 und 2019 im Euro-Raum ein Wachstum von 2,1 Prozent, während das Brutto-inlandsprodukt beispielsweise in Chi-na 2018 etwa um 6,9 Prozent und 2019 um 6,4 Prozentpunkte zulegen soll. In Indien dürfte es in den nächs-ten Jahren sogar um mehr als sieben Prozent nach oben gehen.

„Indien ist derzeit im Grunde dort, wo China im Jahr 2000 war“, sagt Koch: „Wir glauben, dass diese Volks-wirtschaft in den nächsten zehn Jah-ren das höchste Wachstum von allen Emerging Markets aufweisen wird.“

Fazit: Wachstumsstarke Schwel-lenländer wie Indien und China blei-ben für langfristig Orientierte attrak-tiv, auch wenn vielen Staaten US-Strafzölle drohen.

3. Günstige Bewertungen Aktien in den Emerging Markets sind derzeit oft günstiger zu haben als in den entwickelten Volkswirtschaften: „Gemessen an den Bewertungen der zugrunde liegenden Buchwerte, Cashflows, Gewinne und Dividenden ist die Anlageklasse Aktien Emerging Markets derzeit um 22 Prozent preis-werter als der Weltaktienindex der Industrieländerbörsen“, schreibt Mi-chael Keppler, Manager der Global Advantage Fonds, in seiner jüngsten Analyse. Die attraktivsten Märkte sei-en um 38 Prozent preiswerter als die Industrieländerbörsen. Als beson-ders attraktiv bewertet der Fondsma-nager Ende Juli China mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von

14,8. Indien hält er hingegen mit ei-nem KGV von 22,8 für teuer.

Fazit: Günstige Bewertungen ma-chen den Einstieg in wachstumsstar-ke Emerging Markets attraktiv. Alter-nativ können Vorsichtige Aktien von europäischen Unternehmen wählen, die einen Gutteil ihres Umsatzes in den Emerging Markets erzielen. Sie profitieren von der steigenden Nach-frage der weiter wachsenden Mittel-schicht.

4. Qualitätsaktien punkten„In einigen Emerging Markets sind mittlerweile sehr erfolgreiche Unter-nehmen mit veritablen Geschäftsmo-dellen und visionären Management-Teams entstanden“, sagt Gary Green-berg, Manager des Fünf-Sterne-Fonds Hermes Global Emerging Markets, der in den vergangenen drei Jahren für Euro-Anleger mit durchschnitt-lich 12,3 Prozent Rendite per annum ein Spitzenergebnis erzielt hat. Er be-vorzugt Unternehmen, die sich durch robuste Bilanzen, eine hohe Eigenkapitalrentabilität, Wettbe-werbsvorteile und günstige Bewer-tungen auszeichnen. Aber auch öko-logische und soziale Faktoren spielen bei der Bewertung eine Rolle. Top im Langfristvergleich sind auch das Port-folio von Goldman Sachs und von Nordea. Bei Nordea wechselte im März das Fondsmanagement.

F a z i t : Statt einen ETF auf den MSCI Emerging Market zu kaufen, kann ein Investment in einen aktiv gemanagten Fonds in stressigen Zei-ten Vorteile bringen. Der Fondsma-nager kann auf Abwärtsbewegungen schnell reagieren.

5. BRIC-Fonds enttäuschenBrasilien, Russland, Indien und Chi-na – aus diesen vier Märkten formte der Goldman-Sachs-Analyst Jim O‘Neill einst das legendäre Kürzel BRIC. De facto halten bei einem Ver-gleich der Ratingagentur Morningstar zwar mehr als 90 Schwellenländerak-tienfonds auf Euro-Basis Spitzenra-tings von vier oder fünf Sternen. Doch nur zwei BRIC-Fonds spielen in dieser Liga mit: der Goldman Sachs BRIC Equity (LU0463417914), der es im Drei-Jahres-Vergleich auf 12,6 Pro-zent Zuwachs per annum brachte, und der HSBC GIF BRIC Equity (LU0342152195) mit 16,1 Prozent Jah-resplus. Während dabei das Gold-man-Sachs-Portfolio 86 Prozent des Kapitals in Asien investiert hat – und damit offenbar Brasilien und Russ-land vernachlässigt, verteilt der HSBC-Fonds das Kapital gleichmäßig auf alle vier Märkte auf.

Fazit: Breit investierende Emer-ging-Markets-Fonds bieten eine deut-lich größere Risikostreuung. BRIC- Fonds sind dagegen beschränkter.

Schwellenländer

Märkte unter DruckEmerging Markets bieten Wachstumschancen und eine gewisse Diversifikation gegenüber Anlagen auf dem amerikanischen oder europäischen Aktienmarkt. Doch Börsen wie Argentinien, die Türkei oder Brasilien erleiden hohe Kursverluste. Fünf Punkte, die Finanzberater mit Blick auf die Schwellenländer jetzt wissen sollten.

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Herr Endler, mithilfe der künstli-chen Intelligenz sollen Maschinen Muster erkennen oder aus Erfahrun-gen lernen. Wie weit sind wir heute?Überall, wo viele und qualitativ hoch-wertige Daten verfügbar sind, sich die Muster in den Daten über die Zeit nicht verändern und Lernbeispiele milliardenfach wiederholt werden können, kann künstliche Intelligenz den Menschen bereits überflügeln. Das beste Beispiel dafür ist das asiati-sche Spiel Go. In diesem Spiel hat ein Programm neulich den Weltmeister deutlich geschlagen. Dieses Pro-gramm ist aber eindimensional, da es nur diese eine Aufgabe lösen kann. Mit Veränderungen, zum Beispiel ei-ner Variation der Spielregeln, könnte es nur schwer umgehen.

Lassen sich die Erkenntnisse im As-set-Management anwenden und wie kommt dort künstliche Intelligenz zum Einsatz?Ja, das ist möglich. Dafür sind drei Faktoren verantwortlich: die Verfüg-barkeit von millionenfachen Massen-daten, die rasant gestiegenen Rech-nerleistungen und die Software. Künstliche Intelligenz kann einge-setzt werden zum Beispiel für die Un-ternehmensbewertung, die Vorhersa-ge künftiger Gewinneraktien, für die Portfoliooptimierung, das Erkennen kritischer Textpassagen in Geschäfts-berichten oder um ähnliche Firmen zu identifizieren.

Welche Daten sind für Sie im Fonds-management relevant?Für uns sind zurzeit besonders unter-nehmensbezogene Daten wichtig. Je mehr Daten wir nutzen können, des-to besser kann das Programm nach Mustern suchen und lernen. In erster Linie nutzen wir momentan klassi-sche Zahlen aus den Geschäftsberich-ten wie beispielsweise Umsatz, Ge-winn und Steuern. Hinzu kommen Zahlen, die nicht im Geschäftsbericht auftauchen. Das können der ge-schätzte Wert von Patenten einer Fir-ma oder Analystenmeinungen sein. Das nächste Ziel ist, auch Texte aus Berichten, Mitteilungen und Trans-skripten auszuwerten.

Brauchen Sie überhaupt noch einen Fondsmanager, wenn Maschinen lernfähiger sind als Menschen?Auf jeden Fall. Der Mensch erstellt die Architektur des Systems, legt die Variablen, Zielfunktionen, Fehler-funktionen, Lernparameter sowie die Submodelle fest. Er gibt den Weg vor. Der Fondsmanager ist, so kann man das sagen, der Lehrer für das System. Die Datenqualität zu sichern hat bei dieser Form des Fondsmanagements die höchste Priorität. Das kann zur-zeit nur ein Mensch leisten.

Besteht nicht die Gefahr, dass bei ei-nem stärkeren Einsatz von künstli-cher Intelligenz Computer alle das gleiche lernen, ähnlich handeln und damit einen Herdentrieb auslösen?Nein, das denke ich nicht. Die Pro-gramme und Ansätze sind zu vielfäl-tig, als das alle nach genau dem glei-chen Muster handeln. Sie können der Maschine zum Beispiel beibringen, ein Value-, Growth- oder Momentum-Investor zu sein. Sie können die Ma-schine auf kurzfristiges oder langfris-tiges Investieren trainieren. Manche werden auf Fundamentaldaten ler-nen, andere nur auf Preisdaten, und wiederum andere auf Satellitenda-ten. Wie bei den menschlichen Stra-tegien wird es auch bei den Strate-gien zur künstlichen Intelligenz viele verschiedene Ansätze geben.

Wir stehen gerade im zehnten Jahr einer ungewöhnlich langen Aktien-rally. Kann die künstliche Intelligenz ihr Ende vorhersagen?Vielleicht in der Zukunft. Entschei-dend ist, dass die Maschine mit Da-ten trainiert wurde, die relevant für den nächsten Crash sind. Sie muss ei-ne Chance haben, ein statistisch sig-nifikantes Muster zu lernen und zu erkennen. Nehmen wir unseren Fonds als Beispiel. Wir nutzen haupt-sächlich Fundamentaldaten. Wenn Trump etwas twittert, was einen Crash auslösen würde, wäre dies in den Daten nicht erkennbar. Zurzeit bin ich daher noch skeptisch, dass künstliche Intelligenz das Ende einer Rally erkennen würde. Die wenigen großen Krisen in der bisherigen Ak-tienhistorie hatten unterschiedliche Gründe und keine gemeinsamen

Muster. Diese wenigen Datenpunkte sind mathematisch nicht belastbar.

Welche Rolle wird künstliche Intelli-genz in Zukunft bei der Anlagebera-tung übernehmen. Wird hier der Mensch überflüssig oder ist er als emotionaler Faktor nicht unver-zichtbar?Sie wird einen großen Teil der Anla-geberatung übernehmen, gerade bei standardisierten Produkten und Lö-sungen. Viele Menschen haben schon heute keinen persönlichen Bankbera-ter mehr.

Haben Sie eine Vision, welche Rolle künstliche Intelligenz in der Finanz-welt von morgen spielen wird?Die künstliche Intelligenz wird ver-mutlich zu einem grundlegenden Wandel führen und in einigen Jahren Standard in der Branche sein. Ähn-lich wie beim autonomen Fahren wird der Mensch auch beim richtigen Investieren eher hinderlich sein. Er geht ein zu großes Risiko ein, wenn er sich selbst ans Steuer setzt. Unsere bisherige Erfahrung ist, dass die Ex-pertise im Finanzsektor sich mit der Programmier-Expertise verbinden muss. Nur gemeinsam funktioniert es. Mittelfristig wird dadurch das Mit-telmaß im Asset-Management ver-schwinden, weil die Maschinen bes-ser lernen als die Menschen.

Was folgt daraus?Es wird zwei Extreme geben, die künstliche Intelligenz und die wirk-lich guten Asset-Manager. Denkbar sind eventuell noch Mensch-Maschi-ne-Kombinationen, von denen beide Seiten profitieren können. Die Aus-prägung der Künstlichen Intelligenz wird vielfältig sein. Welche Daten flie-ßen ein? Hat das Modell einen langen oder kurzen Anlagehorizont? Was ist das Ziel der Anlagestrategie? Kurzfris-tig wird es daher nicht zu einer Über-hitzung in den einzelnen Anlagestra-tegien kommen. Die guten Asset-Ma-nager bleiben bestehen, weil die Märkte ineffizient sind und sie ihre Erfahrung einsetzen können. Aber es werden nicht sehr viele sein. Die Fragen stellte Dirk Wohleb.

„Künstliche Intelligenz wird Standard“Computer können aus menschlichem Handeln lernen und große Datenmengen auswerten. Welche Chancen sich für das Fondsmanagement ergeben und warum Menschen auch in Zukunft unverzichtbar sind, erläutert der Leiter des quantitativen Portfoliomanagements bei Acatis.

Kevin Endler

Kevin Endler leitet das quantitative Portfoliomanagement bei der Fonds- gesellschaft Acatis. Er ist Geschäftsführer der Quantenstein GmbH, einer integrierten Software-Plattform für automatisiertes Langfristinvestment. Den Schwerpunkt bilden dabei Deep-Learning-Ansätze.

Vita

Dörte Jochims Köln

Viele Versicherte haben den 30. November im Blick, den letzten mögli-chen Tag für einen Wechsel der Kfz-Versi-

cherung. In einer Umfrage, die Statis-ta im vergangenen Herbst veröffent-licht hat, gaben 33 Prozent der be-fragten Autobesitzer an, ihre Kfz-Ver-sicherung bereits mehrmals gewech-selt zu haben, 27 Prozent haben min-destens einmal ihre Police gekündigt. Die Wechselbereitschaft bei anderen Sachversicherungen ist deutlich we-niger ausgeprägt.

Daher achten nur wenige Versiche-rungskunden auf den 30. September. Dabei endet an diesem Tag für Mil-lionen von Verträgen die Kündi-gungsfrist. Wer den Termin verpasst, ist in vielen Fällen ein weiteres Jahr an zu teure oder minderwertige Ver-träge gebunden. Vermittler, die bei ihren Kunden punkten wollen, wei-sen sie auf dieses Datum hin und führen einen jährlichen Check-up ih-rer Versicherungsverträge durch.

Zumal das Sachversicherungsge-schäft bei vielen Vermittlern an Be-deutung gewinnt, wie die Studie „Privates Schaden-/Unfallgeschäft 2018“ der BBG Betriebsberatungs GmbH zeigt, an der sich 425 Makler und Mehrfachagenten beteiligt ha-ben. Eine „sehr große und große Re-levanz“ für Sachversicherungen se-hen 75 Prozent der freien Vermittler. Vor fünf Jahren waren es nur 62 Pro-zent.

„Wir werden 2018 und in den Fol-gejahren die Sachversicherung zu-kunftssicher machen“, kündigte Alli-anz-Vorstand Oliver Bäte auf der Hauptversammlung an. Das lohnt sich auch für Vermittler: Denn die Versicherungsportfolios sind hierzu-lande historisch gewachsen. Viele Versicherte lassen sich gerne auf ein Gespräch ein, wenn gewisse Policen überflüssig sind oder sie durch einen Wechsel Geld sparen können. Das können Brillen- oder Handyversiche-rungen oder auch doppelte Aus-landsreisekrankenversicherungen sein.

Natürlich gilt es auch zu überprü-fen, ob die Verträge noch der Le-benssituation entsprechen. Zieht also ein Paar zusammen, reicht für beide oft eine gemeinsame Haftpflicht- und Hausratversicherung. Und frischge-backene Rentner können sich ihre Berufsunfähigkeitspolice sparen, ma-chen sich aber womöglich erstmals Gedanken über eine Pflegeversiche-rung. Zudem verfügen laut GDV nur 41 Prozent der Hausbesitzer über Ele-mentarschutz, also die Abdeckung von Risiken durch Naturgewalten.

Doch vor allem gilt es, die Qualität der Policen zu checken. Oft sind viele alte Verträge im Portfolio. Bei der Frage, inwieweit bei einer Hausrat-versicherung Handlungsbedarf be-

Sachversicherungen

Heiße Phase für den WechselEnde September läuft die Frist für die Kündigung vieler Verträge ab. Wie Berater die Policen vergleichen können.

steht, helfen die herkömmlichen On-line-Vergleichsportale, bei den Kun-den selbst Policen checken können, meist nicht weiter. Verbraucher-schützer monieren, dass manche Da-tenbanken Anbieter scheinbar will-kürlich nach vorne reihen. Die Ver-

tragschecks von den Versicherungs- ratingagenturen Morgen & Morgen oder von Franke & Bornberg, die die meisten Makler und Mehrfachagen-ten verwenden, sind dagegen neu-tral. Die Rechner gehen weit über Ta-rifvergleiche herkömmlicher Online-

portalen hinaus, die in der Regel nur neue Angebote umfassen. Während die Rechner für Privatkunden etwas 9 000 Tarife checken, analysieren die Profi-Rechner 70 000 Angebote. Makler können hier für ihre Kunden die besten Produkte auswählen.

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Heino Reents Lüneburg

Es klingt bekannt: Aktien systematisch nach Finanz-kennzahlen sortieren und dann konsequent Titel kaufen, die in diesem Ran-

king oben stehen, und Aktien, die schlecht bewertet sind, meiden. So ähnlich funktioniert faktorbasiertes Investieren oder „Faktor Investing“. Und das Interesse nimmt spürbar zu. Weltweit hat sich der Faktor-ETF-Markt in den vergangenen sieben Jah-ren verfünffacht, von 150 auf rund 750 Milliarden US-Dollar. Was genau verbirgt sich dahinter? Und inwieweit machen diese Strategien Sinn?

„Beim Faktor Investing geht es da-rum, viele Unternehmens-Charakte-ristika zu analysieren, um dann an-hand dieser zu prognostizieren, wie sich eine Aktie im nächsten Monat, Halbjahr oder Jahr entwickelt“, erläu-tert Alexander Hillert, Professor für Sustainable Asset Management an der Frankfurter Goethe-Universität. „Ziel ist es also, die Aktien herauszu-finden, bei denen man die höchste prognostizierte Rendite erwartet, und Aktien zu meiden oder sogar leer zu verkaufen, für die man einen eher pessimistischen Ausblick hat.“

Zu den bekanntesten Faktoren zählen die schon in den 70er-Jahren von Eugene Fama und Kenneth French benannten Renditefaktoren Size und Value. Beim Investieren die Unternehmensgröße (Size) zu beach-ten, macht Sinn, weil Renditen von Small Caps jene von Large Caps ten-denziell übertreffen. Auch auf Value oder günstig bewertete Aktien zu set-zen, sichert bessere Chancen als teu-re Aktien zu bevorzugen. Zudem wird Quality genannt, also die Bevor-zugung profitabler Unternehmen, die vor allem in schlechten Zeiten ihre Stärke unter Beweis stellen. Im Laufe der Jahre kamen noch Low-Vola, also Firmen mit geringen Schwankungen und Momentum, hinzu.

Langfristig bessere risiko-adjustierte Rendite Neu ist das nicht. In der Wissenschaft sind all diese Faktoren bereits ausgie-big untersucht worden.„Es hat sich gezeigt, dass Faktoren langfristig eine bessere risikoadjustierte Rendite im Vergleich zum Gesamtmarkt bieten können“, bestätigt Monika Dutt, Ana-lystin bei Morningstar Europa.

Allen Faktoren ist gemein, dass sie gewisse Nachteile zu vermeiden hel-fen, die mit den gängigen, auf der

Marktkapitalisierung basierenden In-dizes verbunden sind. Nach Faktoren zusammengesetzte Indizes machen daher den klassischen Marktbarome-tern zunehmend Konkurrenz. „Fak-toren sind Hilfsmittel, um das Rendi-te-Risiko-Profil einer Vermögensanla-ge zu optimieren“, definiert Markus Kaiser, Fondsmanager beim Vermö-gensverwalter StarCapital. Auch er hat beobachtet, dass das Thema deutlich an Dynamik gewonnen hat, obwohl die meisten Faktoren schon seit Jahren und sogar Jahrzehnten be-kannt sind.

Über ETFs sind Faktoren erstmals investierbarNeu sei jetzt jedoch, dass alle mögli-chen Faktoren über ETFs investier-bar und rund um die Uhr handelbar sind. „Und zwar transparent und nachvollziehbar durch ein klar defi-niertes Regelwerk“, so Kaiser.

So ist denn auch die Zahl der ETFs, die in Faktoren investieren, sprung-haft angestiegen. Für diese Produkte hat sich mittlerweile der Oberbegriff „Smart Beta“ etabliert. Manchmal ist auch von Strategic-Beta- oder Faktor-ETFs die Rede. Gemeint sind jeweils Indexfonds, die keine klassischen, nach Marktkapitalisierung gewichte-ten Indizes nachbauen, sondern nach alternativen Kriterien gewichte-te Marktbarometer.

„Es gibt immer mehr geeignete Smart-Beta-ETFs. Der Werkzeugkas-ten wird immer größer“, sagt Kaiser. Allerdings gibt es in der Finanzbran-che große Unterschiede in der Beur-teilung, welche Faktoren für ein In-vestment infrage kommen. „Die Defi-nition ist da nicht ganz eindeutig“, sagt Kaiser. „Meiner Ansicht nach kann alles dazu zählen, was eine kla-re, nachvollziehbare Strategie hat.“ Für seinen STARS Multi-Faktor Fonds nutzt er die folgenden acht Faktoren: Value und Growth, Dividenden und Buyback, also Aktienrückkäufe, Mo-mentum, Size, Quality sowie Low Vo-latility.

Welcher Faktor-ETF bringt wann Mehrwert? Blind sollten Berater und Anleger den Faktoren nicht vertrauen: „Aus ökonomischer Sicht ist zu differenzie-ren, wofür ein Faktor steht“, sagt Professor Hillert. Andernfalls holt sich der Investor möglicherweise ein Risiko ins Portfolio, statt eine Über-rendite zu erzielen.

„Wir beobachten von der akademi-schen Sicht aus eine zunehmende Schwemme von Renditefaktoren“, warnt der Experte. Man müsse des-halb immer kritisch hinterfragen, wie plausibel der Faktor wirklich sei. „Und nur ökonomisch plausible Fak-toren sollte man in seinem Portfolio berücksichtigen“, empfiehlt Hillert.Achten muss man auch auf die ver-schiedenen Zyklen. „Alle Faktoren haben ihre Stärken, aber nicht zu je-der Zeit“, erläutert Fondsmanager Kaiser. Denn vor allem kurzfristig können Trendwechsel je nach Marktphase die Ergebnisse kräftig verhageln. „Das ist kein Selbstläufer. Deshalb macht es Sinn, die unterschiedlichen

Faktoren aktiv zu managen.“ So ent-wickeln sich einzelne Faktoren zeit-weise besser, andere dagegen schlechter als der Markt.

Dividendenstrategien etwa boten in der Vergangenheit über Jahre eine gewisse Outperformance gegenüber dem breiten Markt. Doch als die ehe-mals typischen Dividendenzahler aus den Branchen Versorger, Finanzen oder Immobilien schwächelten, wur-den ETFs mit Dividendenstrategien besonders hart getroffen. Ein ande-res Beispiel ist Value. Studien zeigen zwar, dass das systematische Inves-tieren in unterbewertete Titel lang-fristig eine Outperformance gegen-über dem breiten Markt bringt. Aller-dings mussten Value-Investoren zuletzt viel Geduld mitbringen. Seit dem Beginn des Börsenaufschwungs konnte sich keine signifikante Value-Prämie mehr überdurchschnittlich entwickeln. Anlagestrategien, die auf Qualitäts- und Low-Volatility-Aktien setzten, hatten dagegen die Nase vorn.

Ein weiteres Problem: Faktor-ETFs sind oft mit Klumpen- beziehungs-weise Konzentrationsrisiken behaf-tet. So werden beispielsweise beim Value-Faktor deutlich mehr Aktien auf Finanzwerte identifiziert, als es bei den Vergleichsindizes der Fall ist. Um dieses Risiko zu minimieren,

Anlagestrategie

Nicht neu – und doch revolutionärAlter Wein in neuen Schläuchen oder eine innovative Strategie? Faktor Investing liegt voll im Trend und manche glauben, es dürfte das klassische Asset-Management völlig umkrempeln.

Faktor Investing könnte das Asset-

Management

dauerhaft

verändern.Stephen QuanceInvesco

macht es deshalb für Berater und An-leger Sinn, verschiedene Faktoren zu kombinieren, um so das Investment zu diversifizieren.

Eine gute Lösung sind deshalb Multi-Faktor-Produkte. In diesen Fonds werden gleich mehrere Fakto-ren kombiniert. Die Idee, die dahin-tersteckt: Kein Investmentansatz schneidet in allen Marktphasen bes-ser ab als der Vergleichsindex. Erst durch die Kombination erhalten In-vestoren eine möglichst stetige Wert-entwicklung. Und auch Market Ti-ming sowie regelmäßiges Umschich-ten entfallen. Und die Kombination von Faktoren mit geringen Korrela-tionen zueinander, wie beispielswei-se Größe und Qualität, kann zu ei-nem stabileren Risiko- und Ertrags-profil führen, als das bei den einzelnen Faktoren für sich genom-men der Fall ist.

„Allerdings sind die Strategien von Multi-Faktor-ETFs mitunter höchst unterschiedlich, auch wenn sie iden-tische Märkte und sogar identische Indizes zur Grundlage haben“, erläu-tert Morningstar-Analystin Dutt. Zwar wählen die Gesellschaften mitunter Aktien aus dem identischen Univer-sum aus. Doch ihre Portfolios sind verschieden, weil sie unterschiedli-chen Konstruktionsprinzipien an-wenden. Beispielsweise mischen eini-ge Anbieter Einzelfaktorindizes, wäh-rend andere einzelne Titel mit dem höchsten Exposure zu den Zielfakto-ren auswählen. Genaues Hinschauen ist also sehr wichtig.

Faktor-Strategien als dritte Säule des InvestierensNach Ansicht von Stephen Quance, Anlageexperte bei Invesco, etablieren sich Faktorstrategien zunehmend als dritte Säule des Investierens neben traditionellen Alphastrategien und marktkapitalisierungsgewichteten In-dexportfolios. Allerdings würden un-einheitlich und mitunter falsch ange-wendete Begrifflichkeiten für Verwir-rung bei den Anlegern sorgen. Außerdem sei die Auswahl für Inves-toren größer denn je, was zusätzlich abschrecke. Für den Faktor Inves-ting-Experten Quance wird das zu-nehmend zum Problem: „Im Kern ist Faktor Investing eine bahnbrechende Weiterentwicklung fundamentaler Investmentkonzepte wie Marktpreis-bildung, Risiko und Rendite. Und sie könnte das Asset-Management dauer-haft verändern.“

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34 | MEINE PRODUKTE

Dörte Jochims Köln

Es ist traurig“, sagt ein Be-troffener der jüngsten Brände, die von einem Bahndamm in Siegburg auf Einfamilienhäuser

übergegriffen haben, im WDR-Jour-nal „Aktuelle Stunde“. Er habe für sein Haus über Jahre hohe Versiche-rungsbeiträge bezahlt, aber alles, was in seinem Garten stand, sei jetzt gar nicht versichert. Profis wissen zwar, dass die meisten Wohngebäudeversi-cherungen diesen Schutz nicht auto-matisch bieten, doch Versicherte sind in solchen Situationen enttäuscht.

„Kunden erwarten Produkte und Dienstleistungen, die perfekt an ihre individuellen Bedürfnisse angepasst sind,“ heißt es in der Studie Asseku-ranz 4.0 von Adcubum, einem IT-Dienstleister für Versicherungen. Der Schutz solle genau die persönlichen Lebensrisiken abdecken, sich mög-lichst automatisch anpassen und bes-tenfalls Risiken aus verschiedenen Bereichen absichern.

Letzteres bieten All-Risk-Policen, die aber aufgrund der komplizierten Kalkulation und regulatorischer Hür-den noch als Zukunftsmusik gelten — bis auf den Bereich Wohngebäude und Hausratversicherungen. „All-Risk-Tarife sind vereinzelt schon jetzt auf dem Markt. Sie schließen unter anderem Leistungen von Hausratver-sicherungen ein. Hier sehen wir ei-nen Trend, der sich fortsetzen wird“, sagt Peter Schneider, Geschäftsführer von Morgen & Morgen.

Zudem schließen immer mehr Pro-duktgeber unbenannte Gefahren in ihre Bedingungen ein, wie es im Ver-sicherungsjargon heißt. Das bedeu-tet: Setzt sich eine gewöhnliche Wohngebäudeversicherung aus den drei ausdrücklich in den Versiche-rungsbedingungen genannten Be-standteilen Feuerversicherung, Lei-tungswasserversicherung und der Absicherung gegen Sturm- und Ha-gelschaden zusammen, kommen die neuen Policen grundsätzlich für jegli-che Art von Schäden auf.

Daher sind oft Schäden versichert, bei der eine herkömmliche Wohnge-bäudeversicherung abwinkt. So zahlt eine solche Police beispielsweise nicht nur, wenn durch einen Sturm das Dach beschädigt wird oder wenn durch einen Rohrbruch das Gebäude unter Wasser steht, sondern sie bietet oft mehr. Während es etwa bei einem Rohrbruch bei herkömmlichen Poli-cen Ausschlussgründe geben kann, wenn beschädigte Rohre außerhalb des Gebäudes liegen, müssen sich Versicherte bei einem Einschluss von unbenannten Schäden keine Gedan-ken machen. Auch wenn ein Baum ohne Sturmeinwirkung, also bei ei-ner Windstärke von weniger als acht Beaufort, auf das Gebäude kippt, fehlt der Ausschlussgrund. Das gilt auch, wenn durch den Überschall-knall eines Tieffliegers Dachpfannen vom Gebäudedach wehen oder es

nach Bauarbeiten in der Nähe zu Ris-sen in den Wänden kommt.

Dennoch sind selbst All-Risk-Poli-cen keine Rundumsorglos-Pakete. „Es gibt auch hier Ausschlussgrün-de“, warnt Rechtsanwalt Johannes Fiala, der allein den Namen der Pro-dukte schwierig findet: „Wenn ein Versicherer sein Produkt als All-Risk-Versicherung bezeichnet, dann gleicht dies bisweilen dem Werbever-sprechen von Garantie-Zertifikaten.“ Im Schadensfall lese dann der Anwalt des Versicherungsnehmers erstmals das Kleingedruckte. Schwer entziffer-bar steht hier in den Versicherungs-bedingungen, dass Allmählichkeits-schäden und solche durch Kontami-nation ausgeschlossen sind. Damit sind also Schäden ausgeschlossen, die auf länger dauernde Einwirkung von Niederschlägen, Temperaturen, Gasen, Dämpfen oder Feuchtigkeit beruhen. Auf solche Ausschlüsse müssten Vermittler unbedingt hin-weisen, so der Anwalt.

Elementarschutz wichtigVersicherte benötigen bei All-Risk-Po-licen ebenso wie bei einer herkömm-lichen Wohngebäudeversicherung in der Regel zusätzlich eine Police, die Elementarschutz bietet, also Risiken abdeckt, die durch Naturgewalten entstehen. Nur 41 Prozent der Privat-häuser sind hierzulande entspre-chend versichert, monierte unlängst der Versicherungsverband GDV.

Dennoch sind die neuen Policen attraktiv. So hat die Versicherungsra-tingagentur Morgen & Morgen Ende Mai 183 Tarife für Wohngebäudeversi-cherungen getestet. All-Risk-Varian-ten wurden dabei genauso bewertet wie herkömmliche Tarife. In diesem Rating schnitten 44 Policen mit Spit-zennoten ab. Insgesamt neun Tarife schließen unbenannte Gefahren ein. Sie wurden alle mit fünf oder vier Sternen bewertet und stehen in der Tabelle. Bei weiteren 22 Tarifen kön-nen Versicherte zusätzlich unbe-nannte Gefahren gegen Aufpreis hin-zubuchen. Die beiden Angebote von der Konzept und Marketing Gruppe (K&M) sowie der Bayerischen sind zudem All-Risk-Tarife, die teilweise Leistungen einer Hausratversiche-rung einschließen.

Die Stichprobe zeigt, dass die neu-en Tarife in puncto Qualität weit oben im Markt mitspielen. Sie eignen sich aber nicht unbedingt für jeder-mann. Denn sie spielen preislich ebenfalls im oberen Bereich mit. Dennoch lohnt es sich, die Angebote im Blick zu haben. Immerhin zählen Wohngebäudeversicherungen mit durchschnittlich 398 Euro Jahresbei-trag zu den teuersten Sachversiche-rungen, denen Versicherte aber im Schnitt 16 Jahre lang die Treue hal-ten. Viele Eigenheimbesitzer bauen laut Morgen & Morgen Saunen oder Solaranlagen - und sollten ihren Ver-sicherungsschutz aufstocken.

All-Risk-Policen

Kein Rundumsorglos-PaketIm Segment Wohngebäudeversicherungen schließen immer mehr Angebote auch Risiken ein, die nicht in den Versicherungsbedingungen genannt sind. Sie treffen damit den Nerv vieler Kunden. Welche Policen die Ratingagentur Morgen & Morgen überzeugen und was Vermittler beachten sollten.

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Jürgen Röder Düsseldorf

Seit einigen Jahren scheint es wie verhext: Russland marschiert im März 2014 auf die Krim ein und der Goldpreis fällt. Im Juni

2016 stimmen die Briten für einen Austritt aus der Währungsunion. Und der Goldpreis bewegt sich nur kurz nach oben, um ab Anfang Juli des Jahres rasant zu fallen. Auch der ak-tuelle Handelskonflikt zwischen den USA und China sowie die Krise in der Türkei lässt den Preis des gelben Edelmetalls wieder nicht steigen – trotz aller Unsicherheiten.

Seit Jahresanfang ist der Goldkurs gefallen. Im Jahresvergleich liegt das Minus bei sieben Prozent, im Fünf- Jahres-Mittel sind es elf Prozent. Der deutsche Aktienleitindex Dax hat sich hingegen seit September 2011 mehr als verdoppelt.

Der Mythos von der Krisenwährung Dabei steht Gold für Stabilität, gilt manchen sogar als das bessere Geld. Und bei einem Crash an den Aktien-märkten soll Gold ein sicherer Hafen sein. Nur ein Mythos?

Ein Blick auf die Wertentwicklung des Edelmetalls im Vergleich zu Ak-tien weltweit (MSCI World) nach den geopolitischen Krisen der vergange-nen Jahrzehnte zeigt ein gemischtes Bild (siehe Grafik). Gold kann in sol-chen Phasen steigen, muss aber nicht. Es scheint also ein Trugschluss zu sein, dass Gold bei einem Crash immer nach oben läuft.

Fakt ist aber auch: Als 2008 die Weltfinanzkrise mit der Pleite der In-vestmentbank Lehman Brothers ih-ren ersten Höhepunkt erreichte, stieg

die Nachfrage nach Gold sprunghaft. Viele Investoren misstrauten als Fol-ge der Bankenkrise dem Papiergeld-system an sich. Sie besannen sich auf Gold. Der Preis für eine Feinunze stieg im Jahr 2011 auf einen neuen Re-kordwert von 1 921 US-Dollar. Drei Jahre zuvor lag er zwischenzeitlich bei nur 680 US-Dollar. Seither ging es mit dem Goldkurs stetig abwärts – trotz vieler Unsicherheiten.

Gold als Versicherung gegen FinanzkrisenSollen Anleger also auf Gold verzich-ten? Nein. Grundsätzlich ist Gold im Portfolio eine Form der Versiche-rung, So hilft auch die Hausratversi-cherung, wenn beispielsweise bei ei-nem Brand die Wohnungseinrich-tung beschädigt wird. Analog bietet die persönliche Goldreserve einen Notgroschen für größere Brände im Finanzsystem.

Der sichere Hafen für Anleger ist also nicht Gold, sondern letztlich ein diversifiziertes Portfolio über alle An-lageklassen hinweg, zudem auch Gold gehört. Deshalb braucht man als Anleger keine Krisenwährung, sondern ein krisenfestes Depot, was vor allem durch breite und intelligen-te Streuung erreicht werden kann.

Wie viel Gold in ein solches Portfo-lio gehört, ist umstritten. Manch ein Anlageberater bezeichnet die Frage nach der genauen Prozentzahl als ei-ne Glaubenssache. Skeptiker raten von größeren Goldmengen ab, doch die meisten empfehlen, einen Anteil von bis zu 20 Prozent des Privatver-mögens in Gold anzulegen.

Wenn Privatanleger über eine In-vestition in Gold nachdenken, mei-

nen sie in erster Linie den Kauf von Barren und Münzen. Das ist aber nicht die einzige Anlagemöglichkeit, sie ist relativ teuer. Je nach Barren-größe liegt die Spanne zwischen An-kauf- und Verkaufspreis bei zwei bis zehn Prozent der Anlagesumme. Hin-zu kommen Kosten für die Lagerung.

Eine preiswertere Investitionsalter-native bieten sogenannte Gold-Ex-change Traded Commodities, kurz ETCs. Auch wenn der Name an ETFs

— also börsengehandelte Indexfonds — erinnert, handelt es sich bei diesen goldpreisorientierten Wertpapieren nicht um Fonds, sondern um Inha-ber-Schuldverschreibungen und da-mit quasi um Zertifikate. Ein Risiko für die Anleger ist, dass der Anbieter der Wertpapiere ausfallen kann. Die-ses Risiko fällt aber praktisch weg: Viele Gold-ETCs sind mit echtem Gold im Tresor gedeckt.

Alle großen Fondshäuser und Ban-ken wie Blackrock oder Deutsche Bank, aber auch die Börsen in Frank-furt (Xetra-Gold) und Stuttgart (Eu-wax-Gold) haben mit physischem Gold besicherte Wertpapiere im Port-folio. Das größte verwaltete Vermö-gen bietet Xetra-Gold: Insgesamt ste-hen Anleihen mit einem Wert von rund 6,3 Milliarden Euro aus. Im Ge-genzug lagern in den Tresoren der Börsentochter Clearstream etwa 180 Tonnen Gold. Dafür müssen die De-potbanken zahlen. Diese Gebühren werden an Kunden weitergereicht. Gold-ETCs kosten bis zu 0,3 Prozent Jahresgebühr.

Anleger können sich ihr Gold aus diesen Tresoren sogar nach Hause liefern lassen, was allerdings extra kostet. Bei größeren Mengen fallen Beträge von mehreren Tausend Euro an.

Mit entsprechenden ETCs können Anleger auch auf fallende Goldkurse setzen, was in den vergangenen Jah-ren ein einträgliches Geschäft gewe-sen wäre. Die Deutsche Bank bietet sogar einen währungsgesicherten ETC an, der bei fallenden Goldkursen steigt. Die Commerzbank hat gleich gehebelte Produkte im Angebot. Doch alle diese ETCs erfüllen nicht den richtigen Zweck: eine Versiche-rung zu sein bei Problemen des Fi-nanzsystems — als Teil eines diversifi-zierten Portfolios.

Zertifikate-Kolumne

Die großen Gold-MythenDas Edelmetall gilt unter Investoren als sicherer Hafen, als Krisenwährung oder als Vermögensschutz. Doch seiner Funktion als Krisenmetall wurde es in den vergangenen Jahren nicht gerecht. Warum Gold dennoch in jedes Portfolio gehört.

Goldfolie: Das Edelmetall

zeigt Schwächen in Krisenzeiten.

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38 | MEINE PRODUKTE

Neue Produkte

Nebenwertefonds

Die große Auswahl

Die Spezialisten für quantitati-ves Asset-Management der Vermögensverwaltung Lin-

gohr & Partner haben einen neuen Fonds aufgelegt. Der Lingohr Global Small Cap Euro (Isin LU1479103472 ist sowohl für institutionelle Kunden als auch Privatanleger erhältlich. Der neue Fonds darf weltweit investieren, Schwellenländer eingeschlossen. Das Anlageuniversum umfasst Unterneh-men mit einer Marktkapitalisierung von weniger als fünf Milliarden Euro. Unterm Strich fallen etwa 7 000 Ein-zeltitel in diese Anlageklasse.

Für die Auswahl nutzt der Vermö-gensverwalter den selbst entwickel-ten Investmentprozess Chicco, der auch bei den anderen Fonds des Hauses zum Einsatz kommt: Das computergestützte Screening wählt Einzeltitel anhand relevanter, fun-damentaler Daten aus. Der Fokus liegt auf unterbewerten Unterneh-men. Die Vorschläge des Computers werden vom Fondsmanager auf Plausibilität geprüft. Am Ende steht eine Kaufliste mit rund 300 Aktien.

Das System gewichtet alle Einzel-titel gleich, um eine breite Diversifi-

zierung zu erreichen. Derzeit ist das Kapital zu 33 Prozent in Japan, zu 15 Prozent in Großbritannien und zu elf Prozent im Euroraum investiert. Zu den größten zehn Positionen zählen das deutsche Modehaus Tom Tailor, das britische Bahn- und Bus-unternehmen Stagecoach und das ebenfalls britische Bauunterneh-men Galliford Try.

„Die enorme Größe des globalen Small-Cap-Universums und die ge-ringere Analystenabdeckung bieten eine höchst spannende Ausgangsba-sis für Stockpicker“, sagt Goran Va-siljevic, Chefanlagestratege von Lin-gohr. Gleichzeitig führe die hohe Nachfrage nach passiven Anlagepro-dukten wie ETFs dazu, dass kleine Aktien nicht beachtet werden. At-traktive Titel würden daher oft übersehen.

Fazit: Der Fonds liegt mit einer Jahresgebühr von 1,5 Prozent eher im unteren Preissegment der aktiv gemanagten Nebenwertefonds. Der Value-Ansatz des Hauses ist erprobt und dürfte den Aktienfonds eher für die defensivere Ecke des Anlage-segments qualifizieren.

Lebensversicherungspolice

Digital auf Kundenfang

Es gibt eine Website, einen Rechner und ein Youtube-Vi-deo, das allerdings bisher nur

selten geklickt wurde. „Fourmore-Produkte“ heißen die neuen digita-len Vorsorgeprodukte der Allianz. Sie sind online abschließbar und richten sich an jüngere Menschen. Bei diesen Lebensversicherungspolicen sind fle-xible Ein- und Auszahlungen mög-lich. Zudem sind zum Renteneintritt 100 Prozent der Beiträge garantiert.

„Wir treffen zwar auf hohe Nach-frage nach unseren Vorsorgelösun-gen, gleichzeitig gibt es gerade jün-gere Menschen, die wir derzeit nicht systematisch erreichen“, sagt Volker Priebe, Produkt-Vorstand der Allianz Leben. Grund genug, die Fourmore-Policen aufzulegen. Denn Marktuntersuchungen der Allianz hätten ergeben, dass Jüngeren bei der Altersvorsorge vor allem zwei Punkte wichtig sind: digitale Ab-wicklung und flexible Handhabung.

Daher können Kunden so oft und so viel sie möchten einzahlen. Auch längere Pausen sind möglich. Das Geld können sie bereits in der An-zahlphase aus dem Vertrag entneh-men und später wieder einzahlen. Der Versicherer garantiert, dass alle Einzahlungen zum Rentenbeginn

mit 67 Jahren verfügbar sind. In der Zwischenzeit kann das Vermögen aber schwanken, da der Versicherer nicht nur in Anleihen, sondern auch in Aktien, Unternehmensanlei-hen und Immobilien investiert.

Wer starten will, zahlt einmalig 25 Euro ein und kann dann selbst be-stimmen, ob er völlig frei oder re-gelmäßig in die Versicherung inves-tieren will. Von jeder Einzahlung werden jedoch vier Prozent als Ge-bühr fällig. Von 25 Euro landen also nur 24 direkt im Versicherungstopf. Hinzu kommen jährlich 0,8 Prozent auf den Wert der Zukunftsvorsorge und 0,18 Prozent an Verwaltungs-kosten. Bislang können Kunden Fourmore rein digital vor allem on-line steuern.

Fazit: Das digitale Altersvorsor-geprodukt der Allianz erreicht die Generation Smartphone noch nicht ganz. Die Kosten sind für ein rein digitales Produkt vergleichsweise hoch. Kunden müssen zudem die Verwaltung ihres Vertrages zu-nächst einmal selbst in die Hand nehmen. Dabei zeigt die Erfahrung, dass die meisten Menschen Finanz-produkte zwar online vergleichen, aber letztlich eher bei Vermittlern abschließen.

Mode von Tom Tailor: Die Produkte sind weltweit gefragt.

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Fondspolice

Rabatt für Honorarberater

Die Insurtech-Firma myPen- sion bietet einen exklusiven Tarif für Honorarberater mit

20 Prozent Rabatt an. Damit reagiert myPension auf die bislang schwache Nachfrage fondsgebundener Renten-versicherungen von Honorarbera-tern. „Für Honorarberater ist jetzt ein sehr starker Baustein in der Be-ratung dazugekommen“, meint Ro-gier Minderhout, Gründer und Ge-schäftsführer des Frankfurter Unter-nehmens.

myPension bietet nach eigenen Worten „eine vollständig digitali-sierte Rentenversicherung zu sehr niedrigen Kosten“. Bei einer Anlage über die vergangenen zehn Jahre lag die durchschnittliche jährliche Rendite des myPension-ETF-Port-folios bei acht Prozent oder höher. „Wir sind Spitzenreiter bei fonds-gebundenen Rentenversicherun-gen“, sagt Minderhout. myPension investiert in ein Portfolio aus bör-sengehandelten Indexfonds (ETFs) der Fondsgesellschaft Vanguard. Sie decken die weltweiten Aktien-märkte einschließlich Schwellen-länder ab.

Die jährlichen Managementge-bühren liegen zwischen 0,10 und 0,25 Prozent. Zu Beginn der Lauf-

zeit wird das Kapital vollständig in Aktien investiert. Zehn Jahre vor dem Ruhestand wird das Portfolio umgeschichtet, bis der Kunde zum Ruhestand ein Verhältnis von Ak-tien zu Anleihen von 30 zu 70 er-reicht hat. Anpassungen, Zu- und Auszahlungen sind möglich.

F a z i t : Ein interessantes und kostengünstiges Angebot für die Al-tersvorsorge, die die Chancen der Aktienmärkte für die Altersvorsor-ge voll ausnutzen kann.

Börse Frankfurt: Indexfonds sind günstig und inves-tieren breit.B

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7 000UNTERNEHMENumfasst das Anlage- spektrum von weltweit

investierenden Nebenwertefonds.

Quelle: Lingohr & Partner

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MEIN BÜRO| 41

Marketing

POSITIV AUFFALLENDer Markt für Finanzdienstleistungen wird immer transparenter, die Verbraucher wählerischer. Mit Top-Produkten allein kann sich kein Vermögens- oder Versicherungsberater mehr von seinen Wettbewerbern abheben. Nur der Faktor Mensch macht noch den Unterschied. Doch wie wird ein Berater selbst zur Marke?

Heinz-Josef Simons Düsseldorf

Von Victoria Beckham ist der Spruch überliefert: „Ich will so berühmt wer-den wie Persil.“ Heute lässt sich mit Fug und Recht behaupten: Das Ex-Spi-ce-Girl, die Modedesignerin und Fuß-

ballergattin ist äußerst prominent und erfolgreich. Beim Weg nach oben hin zur Stilikone, Berühmt-heit und Synonym für Erfolg hat die Britin auf jene Dinge gesetzt, denen auch die Werbestrategen beim rheinischen Waschmittelproduzenten Henkel vertrauen: ein erstklassiges Produkt und eine in sich stimmige, klare Markengeschichte.

Selbst zur Marke zu werden, das wird auch für Finanz- oder Versicherungsvermittler hierzulande immer bedeutsamer. Längst vorbei sind die Zeiten, als die Finanzprofis nur darauf warten mussten, dass sich die Tür zu ihrem Büro öffnet und ein neu-er Kunde seine Unterschrift unter einen Lebensver-sicherungsvertrag oder eine Immobilienfinanzie-rung setzt. Heute konkurrieren freie oder angestell-te Vermittler nicht nur untereinander. Sie sehen sich zugleich einer immer größeren Transparenz ausgesetzt: In Webportalen werden nicht nur ein-zelne Finanzprodukte auf Herz und Nieren ge-checkt und mit Gütesiegeln – oder auch nicht – ver-sehen. Selbst die Erfahrungen der Kunden mit ein-zelnen Beratern und deren Beratungsqualität sind in Zeiten der Digitalisierung ein zunehmend öffent-liches Gut.

Noch entscheidender: Die Qualität und Kompe-tenz der Beratung und des Beraters an sich werden zum wichtigsten Kriterium einer guten und nach-haltigen Anlageberatung. Produkte sind letztlich austauschbar, erstklassige Berater indes gibt es nicht in beliebig steigerbarer Zahl. Auch die Versu-che, die Finanzberatung über DIN-Vorgaben zu normieren, sorgen nur für einen Basisstandard bei der Anlageberatung. Der wirklich gute Berater hat noch wesentlich mehr zu bieten — und macht sich dadurch unverzichtbar für seine Kunden. Auch im Finanzberatungsgeschäft gilt die alte Faustformel: Nur 20 Prozent des Erfolgs beruhen auf Fachwis-sen, die restlichen 80 Prozent bestimmt der Mensch durch seine soziale Kompetenz.

Doch wie schaffe ich es, als Berater in meiner Branche selbst zur Marke zu werden? Benjamin Schulz, Geschäftsführer der Firma Werdewelt aus dem hessischen Mittenaar-Bicken und Experte für „Personal Branding“, rät: „Als Berater muss ich ka-pieren, dass in erster Linie nicht mein Angebot ge-kauft wird, sondern ich als Person. Das heißt, Men-schen kaufen Menschen. Genau das machen die meisten falsch, weil sie ihre Dienstleistung ver-markten und nicht ihre Person. Ein Berater muss sich authentisch verkaufen. Das ist der allererste Touchpoint, um zur Marke zu werden. Alles ande-re ist sekundär und kommt später im direkten Ge-spräch.“

Der erste Eindruck ist nach den Worten von Ben-jamin Schulz das wichtigste und stärkste Marken-zeichen. Gerade die Kleidung, in und mit der ein Berater seinen Kundinnen und Kunden am Schreibtisch gegenübersitzt, spielt demnach eine immense Rolle. Weniger ist dabei oft mehr. Der teure Anzug, die edle Krawatte oder die hochwer-tige Armbanduhr richten in der Wahrnehmung der Kunden mehr Schaden an, als das sie etwa Seriosi-tät ausstrahlen würden. Schulz: „Der Berater muss sich fragen: Was macht mich aus, und was hat ei-nen Wiedererkennungswert? Und das muss zu 100 Prozent zu ihm passen. Er muss das leben. Sich nur vornehmen, gelbe Sportschuhe anzuziehen, bringt nichts.“

Wesentlich wichtiger als die äußeren Werte, die vor allem beim Erstkontakt zum Kunden eine Rolle spielen, ist Empathie für den Kunden. Das ist in der Finanzberatung nicht anders als in anderen Be-reichen des Lebens. Gerade im hochsensiblen Be-reich der Finanzbranche gelingt Personal Branding nach Meinung von Experte Schulz „nur über Ver-trauensaufbau“. Aus jahrelanger Beratungstätigkeit in der Branche weiß er, dass Kunden bereit sind, „viele Kilometer zu fahren, um sich mit einem Fi-nanzberater ihres Vertrauens“ zu treffen. Schulz vergleicht das gern mit dem Weg zum Lieblingsfri-seur. Den nehme man selbst bei längerer Fahrtstre-cke gern in Kauf, wenn man weiß, dass die Fär-bung oder der Schnitt dort besonders gut gelingen. „Der Vertrauensaufbau – von Mensch zu Mensch – ist das A und O der Finanzbranche. Eine Chance hat nur der Finanzberater, dem es gelingt, seinen Kunden in dessen Welt abzuholen und ihm empa-thisch zu begegnen“, sagt Schulz.

Damit Menschen ihre Eigenmarke festigen kön-nen, muss in den Köpfen anderer, also hier der Kunden, ein Image entstehen, dass sie mit ihm ver-binden. Nicht nur mit der Person an sich, sondern auch mit Eigenschaften, die diesen Menschen be-sonders attraktiv machen. Dieses Image sorgt für eine bestimmte Erkennbarkeit und schafft eine kla-re Abgrenzung, die für die Positionierung beson-ders wichtig ist. Assoziieren andere Menschen die-se Persönlichkeit dann mit dem gewünschten Image, ist das Ziel des Selbstmarketings erreicht.

Berater muss überzeugen„Es ist den Menschen von jeher eigen, jemandem eher zu vertrauen, den sie kennen und zu dem sie einen persönlichen Zugang haben. Persönliche Ge-spräche, Eigenschaften wie Aufrichtigkeit und Mut, Talente und Neigungen — all dies macht eine Iden-tifikation mit ihm möglich. Das entstandene Ge-meinschaftsgefühl durch geteilte Werte oder Erleb-nisse schafft Verbundenheit, entfacht Begeisterung und erhöht den Wiedererkennungswert“, be-schreibt es die Frankfurter Management-Beraterin Barbara Liebermeister.

Selbst im Zeitalter des Internets werden zumin-dest lang laufende Versicherungs- oder Vorsorge-konzepte noch von Mensch zu Mensch abgeschlos-sen. Umso erstaunlicher ist es da, dass im Marke-ting über Jahrzehnte das Produkt im Mittelpunkt stehen musste. Anders in der vergleichsweise jun-gen Disziplin Personal Branding: Hier ist der Bera-ter der Star. Basierend auf der Erkenntnis, dass Entscheidungen auch in Geldfragen intuitiv, aus Sympathie oder aus dem Bauch heraus getroffen werden. Das gute Produkt ist nur die hinreichende, der überzeugende und glaubwürdige Berater indes erst die notwendige Bedingung für den Vertriebser-folg, um die Sprache der Mathematik zu zitieren.

Das wissen auch die Experten beim Branchenrie-sen Ergo in Düsseldorf. „Die Digitalisierung wird in all ihren Facetten zwar immer wichtiger. Dennoch werden viele Kunden ihre Versicherung nach wie vor bei ihrem Berater abschießen — gerade kom-plexere Produkte, wie einer Altersvorsorge“, sagt Unternehmenssprecherin Amelie Merle Merten.

„Eine Versicherung kann man nicht anfassen, sie offenbart ihren Wert meist erst im Schadenfall. Wer eine Versicherung abschließt, verspürt selten Emotionen – darum ist der persönliche Kontakt zum Vermittler so wichtig“, ergänzt Merten. Die Vermittler sind für die Düsseldorfer Assekuranz da-mit „die Gesichter“ vor Ort und erste Ansprech-partner für die Kunden. Die Düsseldorfer Zentrale unterstützt die Vermittler von Lebens- oder priva-ten Krankenversicherungen mit einer Vielzahl an personalisierbaren Werbemaßnahmen bei ihrem persönlichen Marketing. Auch digital: So können Ergo-Vermittler beispielsweise zentral produzierte Videos personalisieren und damit zu verschiede-nen Anlässen, Produkten oder Aktionen mit ihren Kunden oder Interessenten in Kontakt treten: per E-Mail, WhatsApp oder über ihre Facebook-Fan- page.

Über die Vermittler-Homepages können Kunden auch Tickets für die Spiele des DFB-Pokals gewin-nen. Seit zwei Jahren ist der Düsseldorfer Versiche-rungskonzern offizieller Partner des DFB-Pokals. Zudem hilft die Assekuranzzentrale den Vermitt-lern dabei, regional noch stärker zur Marke zu wer-den. Dazu gehören beispielsweise Sponsoring-Maß-nahmenpakete, mit denen die Vermittler dann in ihrer Stadt oder Gemeinde dem örtlichen Fußball-verein oder einem Musikfestival als Sponsor unter die Arme greifen können.

Von solcher PR-Hilfe aus der Zentrale können selbstständige Vermittler oder Maklerbüros nur träumen. Doch auch wenn ihre Marketingmittel budgetär begrenzter sind, bedeutet das im Um-kehrschluss nicht, dass sie alle Bemühungen fürs Personal Branding im Wettstreit mit den Großen aufgeben sollten. „Ich bin fest davon überzeugt, dass ich mit Personal Branding gegen die Riesen anstinken kann“, meint Schulz. Der Profi in Sachen Personal Branding gibt sich überzeugt: „Sicherlich haben diese mit ihren Strukturen und Prozessen und natürlich durch ihre Größe einen ganz ande-ren Background, doch ist das Finanzgeschäft pri-mär ein Personen- und Vertrauensgeschäft. Das In-stitut selbst ist letztlich egal. Wichtig sind die Men-schen dahinter.“

Mein BüroWie Finanzberater eine Marke aufbauen S. 40

Mit dem elektronischen Briefkasten immer erreichbar S. 42

Das Leasing-Rad für die Arbeit S. 43

Auch am Schreibtisch in Bewegung bleiben S. 44

Der Bürostuhl für jeden Geschmack S. 46

Finanz-Hotspots (2): City of London S. 48

Interessante Studien S. 50

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42 | MEIN BÜRO

Heinz-Josef Simons Düsseldorf

Hinter jedem Kilometer Blechschlange, den die Statistiker des ADAC in ihren Büchern akribisch festhalten, stecken viele,

viele Nerven. Rund 723 000 „Stauer-eignisse“ meldete der ADAC allein für das vergangene Jahr, 2016 waren es 694 000 gewesen. Umgerechnet be-deutete das Einemillionvierhundert-achtundvierzigtausend Kilometer Stillstand. Das entspricht nahezu der vierfachen Entfernung der Erde zum Mond. 457 000 Stunden standen alle Autofahrer zusammengerechnet 2017 irgendwo in Deutschland im Stau. Das macht unter dem Strich 52 sinn-los vergeudete Jahre. Die meisten Staus pro Autobahnkilometer ver-zeichneten die Großstädte Hamburg und Berlin, gefolgt von den Flächen-staaten Nordrhein-Westfalen und Ba-den-Württemberg.

Unter den Stauopfern waren und sind mit Sicherheit auch viele Finanz- und Versicherungsberater. Für sie ist es besonders ärgerlich und bisweilen sogar geschäftsgefährdend, wenn sie staubedingt später an den Arbeits-platz gelangen oder einen Termin nicht wahrnehmen können und Kun-den verärgern. Zur echten, auch ge-sundheitsfördernden Alternative ent-wickelt sich das Dienstrad.

Nach Angaben des Bundesverban-des mittelständische Wirtschaft wa-ren im vergangenen Jahr bereits rund

200 000 Dienstfahrräder auf den deutschen Radwegen und Straßen unterwegs – Tendenz: stark steigend.

Für Arbeitgeber bietet das Radlea-sing die Chance, den Mitarbeitern fi-nanziell wie gesundheitlich etwas Gu-tes zu tun. Für den Dienstherrn ist das Jobrad dabei wesentlich kosten-günstiger als etwa die Anschaffung ei-nes Dienstwagens. Und für die Ar-beitnehmer besteht der Charme des Jobrads darin, dass sie sofort auf ein hochwertiges Fahrrad, Pedelec oder E-Bike aufsteigen können, ohne dafür beim Händler auf einen Schlag meh-rere Hunderte oder meist gar Tau-sende an Euro auf den Tisch legen zu müssen. Stattdessen stottern sie die Leasingraten monatlich über ihr Ge-halt ab: Für die private Nutzung des Dienstrads müssen die Nutzer wie bei einem Dienstwagen ein Prozent des Listenpreises als geldwerten Vorteil versteuern — für ein 4 000 Euro teu-res Edelrad wären das also 40 Euro im Monat. Anders als beim Firmen-Pkw muss der Arbeitnehmer den Weg zur Arbeit jedoch nicht versteu-ern.

Vorteile gegenüber Kauf Der Arbeitgeber behält die Leasingra-te einfach aus dem Bruttogehalt ein. „In Summe ergeben sich so Einspa-rungen gegenüber dem Direktkauf in Höhe von mehr als 25 Prozent — und deutlich höher noch, wenn der Ar-beitgeber zu den vielen Firmen zählt, die einen Zuschuss für das Dienstrad gewähren“, wirbt die Freiburger Lea-seRad GmbH für das Steuersparmo-dell auf zwei Rädern. Die Vorteile im Vergleich zum Direktkauf nehmen vor allem mit der Höhe des Kaufprei-ses zu: Leasing wird besonders span-nend bei teuren Rädern.

Meist sind Vollkasko- und Dieb-stahlversicherung sowie eine Service- und Pannenhilfe bei den Leasingver-trägen inklusive und zwingend vorge-schrieben. Mancher Arbeitgeber übernimmt für seine Mitarbeiter so-gar die entsprechenden Prämien. Nach Ablauf von drei Jahren kann der Beschäftigte das Rad entweder kaufen oder ein neues leasen. Viele Radler entscheiden sich für den Kauf zu geringen Restwertbeträgen. Doch Vorsicht: Wenn der Leasingvertrag ei-ne zu günstige Kaufoption enthält, muss der Arbeitnehmer bei beson-ders kritischen Prüfern im Finanzamt unter Umständen Steuern und Sozial-versicherungsbeiträge nachzahlen. Viele Anbieter von Jobrädern werben allerdings genau mit dem Fakt, dass Beschäftigte nach drei Jahren die Rä-der zu auffallend niedrigen Restwer-ten von etwa zehn oder 17 Prozent übernehmen dürfen.

Bei einer geschickten Konstruktion profitieren nicht nur die Mitarbeiter, sondern auch die Firmen selbst von der Dienstfahrradflotte: Die Anschaf-fungskosten sowie die laufenden Kos-ten können die Firmen als Betriebs-ausgaben absetzen. Zudem kosten Fahrradstellplätze nur einen Bruch-teil von Autoparkplätzen.

Übrigens können nicht nur fest an-gestellte Arbeitnehmer, sondern auch Selbstständige und Freiberufler Diensträder leasen und diese auch privat nutzen. Bei LeaseRad ist das beispielsweise für alle hochwertigen Fahrräder und E-Bikes ab einem Bruttoauftragswert von 1 499 Euro möglich.

Leasing

Auf zwei Rädern zur ArbeitFahrräder und E-Bikes haben Konjunktur – nicht nur für die gemütliche Wochenend- oder Urlaubstour. Auch immer mehr Finanzberater fahren auch mit eigener Muskelkraft täglich am Stau vorbei zur Arbeit oder zu ihren Kunden. Wer es clever anstellt, spart dabei auch noch.

Jürgen Hoffmann Hamburg

Jeder Finanzberater – egal ob selbstständig oder ange-stellt – kennt das Problem: Wenn man ein paar Tage unterwegs ist, stapelt sich

im Büro die Post. Die Schreiben wachsen zu einem Berg, der erst bei der Rückkehr an den Schreibtisch be-arbeitet wird. Oft ist es dann zu spät. Doch wer einen wichtigen Termin verpasst, einen Kunden warten lässt oder einen Auftrag nicht rechtzeitig ausführt, droht Kunden zu verlieren. Michael Vogel will das ändern: Der ehemalige Unternehmensberater hat das Start-up Evy Solutions gegründet, eine Dienstleistungsfirma, die ver-spricht, Post-Berge gar nicht erst ent-stehen zu lassen. Michael Vogel ist nicht der einzige Dienstleister, der diese Marktlücke füllen will.

Per Post immer erreichbarCaya, Condecco, Digitalkasten, Dropscan, myDropmail, SubmitBox – fast zwei Dutzend Anbieter tummeln sich auf dem Markt der elektroni-schen Briefkästen. Ihre Zielgruppen: Selbstständige, Freiberufler und viel-reisende Angestellte. Ihre Arbeitswei-se: Sie beauftragen die Deutsche Post, Sendungen, die für einen Kun-den bestimmt sind, während seiner Abwesenheit an ihre Adresse zu lie-fern, scannen die Schriftstücke und senden sie anschließend als PDF-Da-tei via E-Mail-Account oder App. So kann der Kunde innerhalb weniger Stunden auf die Post reagieren. „Ein Finanzberater, der viel unterwegs ist, muss sich nicht mehr am Wochenen-de durch seine Post arbeiten, damit er keine Fristen versäumt. Stattdes-sen kann er von unterwegs aus über sein Smartphone selbst reagieren, wenn er es für notwendig hält – im Zug, Flugzeug oder abends im Ho-tel“, sagt Michael Vogel. Das Wochen-ende bleibt zur Entspannung. Alle Originale werden verwahrt und nach der Rückkehr ausgeliefert.

Diese Dienstleistung erfreut sich zunehmender Beliebtheit. Auch die Deutsche Post fährt mit auf dem Zug. Ihre digitale Ergänzung zum Briefkas-ten an der Haustür heißt E-Postscan und kostet 24,99 Euro pro Monat für Privatkunden, für Business-Kunden ist sie ab 30 Euro erhältlich (siehe Ta-belle). Zum Vergleich: Die im vergan-genen Jahr gegründete Firma Digital-kasten erhebt im Business-Tarif eine monatliche Gebühr von 49 Euro. Da-rin enthalten ist die Digitalisierung von 70 Briefen, wer die Originale län-ger als 30 Tage archivieren möchte, muss 50 Cent pro Brief und Monat extra berappen. Will der Kunde die Originale haben, zahlt er für jede Sammelsendung, die bis zu 15 Doku-mente enthält, 2,50 Euro plus Ver-sandkosten.

Evy Solutions will mit künstlicher Intelligenz einen Schritt weiter ge-hen: „Durchs Scannen wird der Do-kumentenberg lediglich digitalisiert, der Nutzer aber muss weiterhin jedes Dokument öffnen, auf Relevanz prü-fen und bearbeiten“, erklärt Vogel. Diese Arbeiten übernimmt der im ei-genen Haus entwickelte Algorithmus des Kölner Dienstleisters. Neben der täglichen Post, die spätestens 24 Stunden nach Eingang aufbereitet in der App zur Verfügung steht, fließen auch E-Mails inklusive PDF-Anhängen

und Fotos von Belegen in den mobi-len Assistenten ein. Mithilfe der künstlichen Intelligenz werden sämt-liche Dokumente unabhängig von der Quelle ausgewertet und ver-schlagwortet. Sie gibt dem Nutzer Handlungsempfehlungen: Das Pro-gramm erkennt Termine und Fristen, übernimmt sie in den persönlichen Kalender, über wichtige Ereignisse und Vorgänge wird der Kunde per Push-Funktion oder SMS auf dem Laufenden gehalten. Die digitalisier-ten Dokumente werden verschlüs-selt. Weil sie direkt in der App gespei-chert sind, stehen sie anders als bei den reinen Scan-Diensten auch offli-ne zur Verfügung.

Weitere Dienstleistungen Demnächst soll es in der App auch ei-ne Bezahlfunktion geben. Damit nicht genug. „Software beispielswei-se für die Buchhaltung oder das Kun-denmanagement muss laufend mit neuen Daten gefüttert werden. Noch werden diese meistens manuell aus Printdokumenten oder PDFs übertra-gen, weil die automatische Erfassung in der Praxis fehleranfällig ist“, be-tont Vogel. Seit Juli bietet Evy ein Pro-gramm, das dieses Problem löst: Der Kunde kann seine Briefpost vom Dienstleister scannen lassen und Do-kumente wie Rechnungen oder Ver-träge in die Cloud geben, damit sie Evy dort analysiert. Die Daten wer-den nach Bedarf des Kunden in For-maten wie Excel, XML oder JSON zur Verfügung gestellt oder in einer Da-tenbank zur weiteren Auswertung ge-speichert.

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Unterwegs erreichbarViel zu reisen gehört zum Berufsalltag von Finanzberatern. Spezialisierte Dienstleister sorgen dafür, dass sie unterwegs Briefe online erhalten und damit keine Frist versäumen.

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Radfahrer: Auf dem Weg zur Arbeit den Stau umfahren

und gleichzeitig etwas für die Gesundheit tun.

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Anja Steinbuch Hamburg

Zwei Telefone klingeln gleichzeitig, ein wichtiger Termin ist in einer Stunde und zig Dokumente müs-sen noch dringend in die

Post, Gespräche mit Kunden stehen an – und der Rücken schmerzt. Das ist Alltag für viele Finanzberater. Wer trotz Stress souverän bleiben will, braucht gute Nerven und eine belast-bare Konstitution. Schon deshalb, weil Menschen im Büro etwa 80 Pro-zent ihrer Arbeitszeit sitzend verbrin-gen, haben Forscher der Deutschen Sporthochschule in Köln herausge-funden. Die Gefahr von Stoffwechsel-erkrankungen wie Diabetes nimmt zu. Menschen, die mehr als sechs Stunden sitzen, hätten eine um 20 Prozent geringere Lebenserwartung, warnen Wissenschaftler des Penning-ton Biomedical Research Center in Louisiana, USA. Mit Bewegung kön-nen Bürohengste vorsorgen.

Finanzberater kommen problem-los auf sechs Stunden und mehr, die sie täglich auf einem Stuhl oder Ses-sel verbringen: Der Tag beginnt sit-zend beim Frühstück, dann auf dem Weg zum Termin im Auto, Bus oder in der Bahn. Im Büro oder Homeof-fice verbringen Berater sogar acht Stunden und mehr, meist sitzend. Ei-ne Umfrage des Forsa Instituts ergab: Fast zwei Drittel der Deutschen bewe-gen sich weniger als eine Stunde am Tag. Deshalb sollte jeder, raten Ar-beitswissenschaftler, alle 20 Minuten das Sitzen unterbrechen. „Gehen ver-braucht zwei bis drei Mal mehr Ener-gie als Sitzen, Treppensteigen noch mehr“, erklärt Professor Gerhard Hu-ber, Vorstandsmitglied im Verband Gesundheitssport und Sporttherapie. Er rät auch vom Fahrstuhl ab. Wer Treppen steigt, lebt länger. Auch wäh-rend der Arbeit ließen sich starre Sitz-zeiten smart reduzieren, indem man spielerisch ein paar Ausgleichsübun-gen einbaut. Zum Beispiel die Beine ausschütteln, in den Zehenstand ge-hen und wippen oder die Fußgelenke kreisen lassen.

Sitzverhalten im TestEine der häufigsten Folgen des Sit-zens: Rückenschmerzen. Ein Mittel dagegen kennt der Experte für be-triebliches Gesundheitsmanagement Johannes Heering. Mit seinem Start-up Fitbase entwickelt der Hamburger Software und andere Tools für gesun-des Arbeiten im Büro. Er hat interna-

tionale Studien und Umfragen ausge-wertet und festgestellt, dass 40 Pro-zent der Berufstätigen in Europa heutzutage fast ausschließlich im Sit-zen arbeiten. „Das wäre kein Pro-blem, wenn nicht 80 Prozent der Be-fragten über Verspannungen und Schmerzen klagen würden“, gibt Hee-ring zu bedenken. Grundsätzlich hel-fen ergonomisch angepasste Stühle, Tische und Bildschirme. Aber wie ein Mitarbeiter täglich von morgens bis abends tatsächlich sitzt, bleibt oft im Verborgenen. „Das individuelle Sitz-verhalten ist der Schlüssel für die Rü-ckengesundheit.“

Zu diesem Zweck hat Heering in ei-ner Kooperation mit europäischen Forschungseinrichtungen ein Spezial-messgerät kreiert: Es heißt Ergoscan und sieht aus wie ein kleines Reisebü-geleisen. Für fünf Tage wird es über dem Desktop-Bildschirm angebracht. Ein 3D-Tiefensensor misst dann drei-mal pro Sekunde verschiedene Kör-perpunkte des Probanden. Anschlie-ßend werden die Ergebnisse mithilfe maschinellen Lernens analysiert. So entsteht ein individuelles Sitzprofil. „Dafür kommt keine Kamera zum Einsatz“, erklärt Heering. „Es werden ausschließlich Koordinaten im Raum über den 3D-Sensor erfasst.“ Das ist wichtig für den Datenschutz, um das Tool im Betrieb einzusetzen.

Individuelle Tipps Jeder Teilnehmer erhält anschließend einen individuellen Handlungsreport mit Hinweisen, Übungen und Tipps zur Optimierung seiner Haltung am Arbeitsplatz. Parallel gibt es in einem interaktiven Onlinekurs individuelle Tipps für eine gesunde Haltung am Schreibtisch. Vorteil für Arbeitgeber: Die Mitarbeiter brauchen für die Mes-sungen ihre Arbeit nicht unterbre-chen. Der Einsatz und die Analyse des Ergoscans werden durch Kran-kenkassen im Rahmen von Präventi-onsmaßnahmen im Betrieb finanziell unterstützt.

Bewegung ist das A und O für die Gesundheit. Das gilt zum Beispiel für die Gelenke. Schon ab dem 35. Le-bensjahr sei eine Verringerung der Knorpelmasse zu beobachten, betont Professor Christoph Bamberger, Lei-ter des Medizinischen Präventions-centrums in Hamburg. Nur durch Be-wegung wird die Gelenkflüssigkeit, die den Knorpel ernährt, in das Knor-pelgewebe gepresst. Dabei können

auch Nahrungsergänzungsmittel hel-fen und unterstützten, die früher auch oft belächelt wurden.

Bamberger, der auch als Anti-Aging-Papst gilt, empfiehlt Nahrungs-ergänzungsmittel mit Hyaluronsäure. Diese Substanz ist ein wichtiger Be-standteil der Gelenkflüssigkeit und des Knorpels. „Studien zeigen, dass Hyaluronsäure einen protektiven Ef-fekt hat“, erklärt der Experte von der Alster. Oft wird Hyaluron gespritzt.

Präparate zur Vorbeugung Zur Vorbeugung gibt es aber auch Präparate zum Einnehmen. Ein Bei-spiel ist das Mittel Arthrofill. Dieser Gelenknährstoffkomplex führt dem Körper 180 Milligramm Hyaluronsäu-re täglich zu. Die empfohlene Tages-dosis liegt bei 100 bis 200 Milli-gramm. Das Mittel hat das junge Un-ternehmen Proceanis auf den Markt gebracht. Der Clou: Die Zusammen-setzung der Moleküle wird auch im Magen nicht zerstört und hilft dem Körper, genug Wasser aufzunehmen, um keine Arthrose zu entwickeln. Das gleiche Prinzip funktioniert auch für die Haut. Proceanis hat gegen Fal-ten einen sogenannten Hyaluronfiller entwickelt, der sich straffend auf Haut und Bindehautgewebe auswirkt.

Bewegung sollte sich nicht nur auf die Freizeit beschränken, sondern auch in Arbeitspausen stattfinden. Der große Vorteil von Sport in den ei-genen vier Wänden oder im Büro: Je-der kann dann ins Schwitzen geraten, wenn es ihm passt – auch wenn zwi-schen zwei Telefonaten nur zehn Mi-

nuten Zeit für einen Sprint mit dem Rudergerät ist.

„Heimtraining bedeutet mehr Fle-xibilität und mehr Zeit für Sport“, er-klärt Simon Eberhardt-Alten vom Heimfitness-Spezialisten Sport-Tiedje in Schleswig. Er empfiehlt für den Einstieg ein Rudergerät oder einen Crosstrainer: „Wichtig ist es, beim Fit-nesstraining auf den eigenen Körper zu hören. Manchmal ist Ausdauertrai-ning besser, manchmal sollten eher die Muskeln intensiv aufgebaut wer-den. Das ist sehr individuell.“

Der Sportwissenschaftler hat ein paar einfache Tipps, um sich im Ar-

beitsalltag regelmäßig und mehr zu bewegen. Stichwort: bewegtes Büro. „Sie müssen sich zwingen, pro Stun-de mindestens einmal aufzustehen“, so Eberhardt-Alten. Hilfreich sind ei-ne Smartwatch oder ein Aktivitäts-Tracker. Diese elektronischen Helfer schlagen Alarm, wenn man sich eine Stunde lang nicht bewegt hat. Viele Telefonate können im Stehen oder sogar auch im Gehen geführt werden. Das entspannt den Rücken, erklärt der Experte: „Auch ein Computer-Tisch, der sich zu einem Stehpult hochfahren lässt, verbessert die kör-perliche Gesundheit enorm.“

Gesundheit

Die Muckibude im eigenen BüroViel zu sitzen schadet der Gesundheit. Doch auch am Schreibtisch lässt sich die Pause nutzen, um fit zu bleiben. Wer alle 20 Minuten das Sitzen unterbricht und sich bewegt, kann Krankheiten vorbeugen und Stress besser bewältigen.

Wenig Bewegung

80PROZENT

ihrer Arbeitszeit verbrin-gen Büromenschen im Sitzen. Damit steigt die Gefahr von Erkrankungen.

Quelle: Deutsche

Sporthochschule Köln

Crosstrainer für zu Hause: Mit ei-ner Bewegung, die an Ski-Langlauf erinnert, zielt ein Crosstrainer auf nahezu alle wichtigen Muskel-gruppen: Arme, Schultern, Rücken, Bauch, Oberschenkel und auch den Po. Anders als beim Joggen ist beim Crosstrainer die Belastung der Gelenke sehr gering, und nebenbei verbrennt man auf dem Crosstrainer – je nach Intensität – bis zu 700 Kalorien pro Stunde. Auf den ersten Blick wirkt die Bewegung auf dem Crosstrainer sehr einfach und immer gleich. Das ist aber ein Trugschluss. Mit ein paar Tipps gelingt ganz einfach ein abwechslungsreiches und intensives Crosstrainer-Workout. Das Ziel: Die Muskeln zu stärken und die Ausdauer kontinuierlich auszubauen. Wichtig bei diesem Training ist es, den Rücken gerade zu halten und die Brust herauszu-strecken.

Rudern im Wohnzimmer: Seit Frank Underwood in der TV-Serie

„House of Cards“ auf einem Heim-Rudergerät trainierte, erlebt dieser Sport auf dem Trockenen ein Revival. Vielleicht liegt es aber auch an dem wachsenden Bewusstsein, dass dieser Sport das ideale Ganzkörpertraining ist. Auf einem Rudergerät werden über 80 Prozent der Muskulatur bewegt sowie Kraft und Ausdauer trainiert. Die fließende Bewegung ist außerdem sehr gelenkschonend – es ist praktisch das Gegenteil vom passiven Sitzen am Schreibtisch oder im Auto. Wer mit korrekter Technik trainiert, verbessert mit jedem Ruderzug seine Körper- haltung. Dafür muss der Freizeit-sportler aufrecht sitzen, die Brust rausstrecken und die Schulter- blätter nach hinten und unten zie-hen. Noch ein Vorteil: Die korrekte Technik für das Indoor-Rudern lässt sich schnell lernen. Sobald klar ist, in welcher Reihenfolge die Körperteile beim Ruderzug einge-setzt werden, ist es nur noch eine Frage des Timings.

Fit durch den Arbeitsalltag

Mit dem Crosstrainer und dem Rudergerät können Büro-hengste auch im eigenen Büro trainieren. Worauf sie

achten müssen, erklärt Simon Eberhardt-Alten, Experte für Homefitness.

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46 | MEIN BÜRO

Bürostühle

Man ist, wie man sitzt

Jeder zweite Deutsche verbringt Stunde um Stunde am Schreibtisch. Da kommt dem

Bürostuhl nicht nur gesundheitlich-ergonomisch eine wichtige Rolle zu. Auch für das Image ist die Wahl des richtigen Sitzplatzes zentral. Wir stellen cheffähige Stühle für jeden Geldbeutel vor.

Von Heinz-Josef Simons

Stylisch, bequem und ausge-zeichnet: Der Connex 2 ver-knüpft modernes Design und Komfort. Die Sitzfläche bewegt sich automatisch mit, wenn sich der Sitzende nach vorne beugt. Damit bleibt er ständig in Bewe-gung und der Stuhl lädt zu ei-nem dynamischen Arbeitsalltag ein. Der Bürodrehstuhl wurde beim German Design Award 2018 in der Kategorie Office Furniture als Gewinner ausgezeichnet. Ein Stuhl für Büromenschen, die nicht nur gut sitzen wollen, son-dern die auch auf Design Wert legen.

Modell: Connex2 Hersteller: Klöber Preis: rund 706 Euro

Der Award-Gewinner

Schwarzes Leder, hohe Lehne, weiches Polster: Der klassische Drehstuhl ist ein Allrounder im Büro. Unauffällig in Design und Farbe, besticht der kleine Schwar-ze durch Eleganz und Komfort. Doch er kann weitaus mehr, als man ihm zutraut. So hat sich Wilk-hahn sein dreidimensionales, syn-chron geschütztes Bewegungssit-zen patentieren lassen. Es soll zu Vor-, Rück- und Seitwärtsbewe-gungen sowie zur Beckenrotation animieren. Dank dieser Motorik stärkt der On Drehstuhl die Wir-belsäule.

Modell: On Drehstuhl Hersteller: Wilkhahn Preis: ab 1 400 Euro

Der Klassiker

Wenn bereits der Start in den Tag mit Freude über den Bürostuhl

anfängt, hat man alles richtig ge-macht. Vitra hat beim Lobby

Chair ES 104 nicht nur an beque-mes Sitzen und edles Design ge-dacht, sondern auch an die be-

sondere Farbe. Die dicken Polster im knalligen Rot sind eine Augen-weide. Ein Chefsessel, der nicht nur durch Qualität überzeugen

soll, sondern auch damit, sich ab-heben zu können.

Modell: Lobby Chair ES 104

Hersteller: Vitra Preis: rund 5 500 Euro

Der Farbenfrohe

Mal zu warm, mal zu kalt: An der Temperaturrege-lung im Büro scheiden sich die Geister. Nun gibt es eine Lösung für jedes Wetter: den Klimastuhl. Hersteller Klöber hat ihm eine Klimafunktion in der Rückenlehne und im Sitz angepasst. Je nach Bedarf und Jahreszeit kühlt oder wärmt der smarte Stuhl damit.

Modell: Klimastuhl Hersteller: Klöber Preis: rund 750 Euro

Der Innovative

Nachhaltigkeit ist nicht nur bei Geldanlagen das Gebot der Stunde. Mensch und Umwelt zugleich dient auch der Ercolino Ready von Nest Nature: Nicht nur optisch gibt der Einbeiner viel her – auch seine umwelt-freundlichen Materialien zeich-nen ihn aus. Alle Bestandteile des Stuhls lassen sich wieder-verwerten.

Modell: Ercolino Ready Hersteller: Nest Nature Preis: rund 220 Euro

Der Nachhaltige

Wechselweise im Sitzen oder Stehen zu arbeiten, liegt voll im Trend. Mit

dem höhenverstellbaren Drehstuhl 03 High hat Vitra einen Stuhl entwi-ckelt, der sich flexibel an jede Schreibtischhöhe

anpassen lässt. Er soll die Bewegung am Arbeits-platz sowie die Flexibili-tät des Nutzers bei der

Arbeit fördern.

Modell: 03 High Hersteller: Vitra

Preis: ab rund 750 Euro

Der DynamischeK

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48 | MEIN BÜRO

Nicole Wildberger Blankenheim

Am 10. November 2018 ist es wieder so weit. Dann macht der neue Lord Mayor of London seinen Antrittsbesuch

bei der Königin in Westminister – na-türlich in der traditionellen goldenen Kutsche. Und die ganze Innenstadt feiert diesen Tag als die Lord Mayor’s Show mit einer drei Meilen langen Parade.

Bei dem fröhlichen Umzug ma-chen jedes Jahr mehr als 7 000 Teil-nehmer mit. Da ziehen mittelalterlich gekleidete Gruppen von Fahnenträ-gern oder Bogenmachern durch die Straßen, gefolgt von berittenen Scotts Guards oder karibischen Sambatän-zern oder Menschen in Fantasykostü-men von Außerirdischen. Voll funkti-onstüchtige Feuerwehrfahrzeuge samt Feuerwehrmännern, ein aus-rangierter Krankenwagen sowie alle Arten von Kutschen reihen sich bei dem Umzug ein, der von Gruppen von Krankenschwestern, Feuerwehr-leuten und Schülern begleitet wird, die ihre Vielfalt zelebrieren und das neue England zeigen wollen. Diversi-ty war denn auch das Thema der 690. Lord Mayor’s Show im Jahr 2017 zum Amtsantritt von James Bowman, dem aktuellen Lord Mayor.

Zentrum ist autonomDer Lord Mayor ist der Bürgermeis-ter der City of London, des legendä-ren Finanzdistrikts im Herzen der Stadt. Wer sich für Börse und Wirt-schaft interessiert, sollte sich das bunte Treiben unbedingt einmal an-sehen, denn es zeigt ein so ganz an-deres Bild des sonst so hektischen Fi-nanzplatzes.

In der City schlägt das Herz von London – sowohl historisch als auch wirtschaftlich. Die City of London ist die Keimzelle der Stadt, die Touristen aus aller Welt heute als „London“ be-zeichnen, wenn sie eigentlich die Stadt London als Ganzes meinen. Die korrekte Bezeichnung lautet: Greater London. Um die Begriffsverwirrung komplett zu machen: Die City of Lon-

don ist zugleich ein Distrikt in Lon-don, also eine eigene Verwaltungs-einheit innerhalb der Stadt London.

Diese rechtliche Autonomie besitzt nur die ziemlich genau eine Quadrat-meile große Innenstadt, die sich vom Ufer der Themse in Richtung Norden erstreckt – und das bereits seit der Regentschaft von Elisabeth I. Regiert wird sie von der City of London Cor-poration, der eigenen Verwaltungs-behörde der City. Ihr Chef wiederum ist eben der Lord Mayor of London.

Wie eigenständig die City of Lon-don Corporation samt ihrem Lord Mayor of London regieren kann, zeigt sich schon daran, dass sie eine von Greater London unabhängige Po-lizeibehörde namens City of London Po lice hat.

Die City of London unterliegt zu-dem nicht der Steuer des Vereinigten Königreichs. Damit gilt sie für viele Marktbeobachter als die größte Steu-eroase der Welt. Der Lord Mayor ist die oberste Instanz dieser Verwal-tungseinheit.

Diese steuerrechtliche Sonderstel-lung ist der Grund für den außerge-wöhnlichen Erfolg des Finanzplatzes London. Seit der Entscheidung der Briten, die Europäische Union zu ver-

lassen, sehen viele Finanzexperten diesen Erfolg aber in Gefahr. Das zeigt sich insbesondere an dem aktu-ellen Notfallplan der London Stock Exchange (LSE) für den Fall eines un-geordneten Ausstiegs Großbritan-niens aus der EU. Die Londoner Bör-se hat Anfang August angekündigt, dass sie neue Tochtergesellschaften in der EU gründen will. Was die LSE unter ihrem neuen Chef David Schwimmer genau geplant hat, lässt sie noch nicht verlauten. Klar scheint aber, dass bereits mehrere große Kre-ditinstitute zumindest Teile ihrer Londoner Bankfilialen an andere eu-ropäische Standorte verlegen, um keine Marktanteile zu verlieren.

In ihrer langen Geschichte hat die Börse schon einige Umzüge hinter sich gebracht. Schließlich wurde sie schon 1698 gegründet, weil die Ak-tienhändler sich ungebührlich ver-hielten und daher aus der ursprüngli-chen Royal Exchange ausgeschlossen wurden.

Dieses Gründungshaus, in dem die erste Londoner Börse bereits 1565 ge-gründet wurde, können Besucher üb-rigens noch heute besichtigen — aller-dings nur, wenn sie in Einkaufslaune sind. Denn heute beherbergen die al-ten Mauern ein superelegantes Shop-pingcenter direkt gegenüber der Bank of England, der Notenbank der Briten in der Threadneedle Street. Diese beherbergt ein Museum, in dem die unterschiedlichen Pfundno-ten und Münzen wie Shilling und Pence zu sehen sind.

Wer sich – zumindest von außen – noch ein Bild machen möchte von ei-nem traditionellen Präsenzhandel mit aktiven Händlern auf dem Par-kett, der sollte den zehnminütigen Fußmarsch von der britischen Noten-bank zur London Metal Exchange wagen, dem Handelsplatz für Nicht-Eisen-Metalle, also Rohstoffe wie Alu-minium, Kupfer, Zink oder Nickel. Die Händler agieren in einem soge-nannten Ring, in dem durch Ausru-fen der Kurse gehandelt wird. Die Be-suchertribünen früherer Zeiten wur-den aber leider abgeschafft.

Finanz-Hotspots (2): City of London

Die Stadt in der StadtDas Empire ist längst Geschichte, die Mitgliedschaft in der Europäischen Union dürfte auch bald Vergangen- heit sein. Doch London und die City sind nach wie vor der wichtigste Finanzplatz Europas – und daher für Börsenliebhaber eine Reise wert.

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City of London: Das Zentrum der britischen Hauptstadt gilt als größte Steueroase der Welt.

The Gherkin: Ein 180 Meter hoher Wolkenkratzer in der City of Lon-don, als Büroturm für den Schweizer Rückversicherer Swiss Re erbaut. Das Gebäude wurde zwischen 2001 und 2004 von den Stararchitekten Norman Foster und Ken Shuttle-worth geplant und realisiert.

Lloyds of London: Das Gebäude des Versicherers Lloyds of London in One Lime Street ist ein Hingucker – ein Hochhaus, dessen Versor-gungsleitungen in der Gebäudefas-sade liegen. Erbaut von 1978 bis 1986 nach Plänen von Richard Rogers und Renzo Piano, ist das Gebäude ein echter Filmstar. Es war bereits in mehr als 20 Filmen zu sehen.

St. Paul’s Cathedral: Eine der größ-ten Kirchen der Welt und Sitz des

Bischofs der Diözese London der Church of England. Erbaut im Jahr 1666 als klassische Barockkirche, nachdem ein Brand den Vorgänger-bau vollständig zerstört hatte.

Old Bailey: Gerichtsgebäude in London, das alle zentralen Strafge-richtsverfahren in Großbritannien verhandelt.

London Stock Exchange (LSE): Die britische Börse befindet sich am Paternoster Square.

Royal Exchange: In diesem Gebäude war ursprünglich einmal die Londoner Börse ansässig. Das imposante Gebäude befindet sich auf einem dreieckigen Gelände, umrandet von Cornhill Street und Threadneedle Street, in unmittelba-rer Nähe zur Bank of England.

Höhepunkte für London-Besucher

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50 | MEIN BÜRO

Interessante Studien

Zinstief

Sparer verlieren Milliarden

Die anhaltend niedrigen Zinsen kosten die Bundesbürger nach Berechnungen der

DZ Bank allein dieses Jahr 44 Milliar-den und nächstes Jahr 46 Milliarden Euro. Der Grund: Durch die Rück-kehr der Inflation sinkt der Wert ih-res Geldvermögens, weil Deutsch-lands Sparer weiter mehrheitlich auf schlecht bis gar nicht verzinste Geld-anlagen wie Sparbuch, Termingeld oder Rentenpapiere setzen. Bei an-haltend niedrigen Nominalzinsen und einer Inflationsrate von voraus-sichtlich 1,8 Prozent dürfte der Real-zins auch im laufenden Jahr und 2019 mit jeweils rund minus einem Pro-zent negativ bleiben, sagen die Re- searchexperten aus Frankfurt voraus.

Zwar hatte die Europäische Zen-tralbank zuletzt das Ende ihres An-leihekaufprogramms für Ende De-zember angekündigt. „Die Leitzin-sen sollen aber zumindest bis über den Sommer 2019 unverändert blei-ben. Vor diesem Hintergrund kann allenfalls mit einem langsamen Zinsanstieg bei Neuanlagen in Ren-tenpapieren und Einlagen gerech-net werden. Die Niedrigzinsphase dürfte uns noch eine längere Zeit begleiten“, heißt es in der Studie der DZ Bank.

Allzu viele Anleger glauben noch an den historischen Zinseszinsef-fekt von festverzinslichen Wertpa-pieren. Dagegen setzen nur wenige auf die renditestärkere Direktanlage in Aktien oder Investmentfonds. Ein Großteil der Spargelder wird weiterhin in Form von Sichteinla-gen dauerhaft geparkt. Der Anteil der Sichteinlagen am gesamten Geldvermögen der privaten Haus-halte in Deutschland erreicht nach Berechnungen der Bank inzwischen fast 22 Prozent.

Private Altersvorsorge

Rente besser als Einmalzahlung

Auf die ewige Frage „einmali-ge Kapitalauszahlung oder dauerhafte Rente“ haben die

Experten des Ulmer Instituts für Fi-nanz- und Aktuarwissenschaften jüngst eine klare Antwort gefunden. „Private Altersvorsorge wird in Zu-kunft von vielen nicht mehr für die Finanzierung von Extras, sondern zur Sicherung des gewünschten Le-bensstandards im Alter benötigt“, sagte Studienautor Jochen Ruß bei der Vorstellung der Studie im Auf-trag des Gesamtverbands der Deut-schen Versicherungswirtschaft (GDV). „Da man einerseits den ge-wünschten Lebensstandard bis zum Tod erhalten will und andererseits nicht vorhersagen kann, wie alt man wird, besteht ohne eine lebenslange Rente ein Risiko, länger zu leben, als das Geld reicht“, so Ruß.

Im Gegensatz zu einer einmali-gen Kapitalzahlung sichere die le-benslange Rente die finanziellen Anforderungen der meisten Men-schen bis zum Lebensende besser

ab, so das Fazit der Studie. Bei den Versicherten hat sich diese Er-kenntnis indes noch nicht durchge-setzt. Zwei Drittel der Deutschen entscheiden sich laut einer aktuel-len Forsa-Umfrage im Auftrag des GDV bei Fälligkeit ihrer privaten Rentenversicherung für eine ein-malige Kapitalzahlung.

Das mag – so ein weiteres zentra-les Ergebnis der Ulmer Studie – auch daran liegen, dass bei vielen die Folgen der stetig steigenden Le-benserwartung noch nicht in den Köpfen angekommen sind. „Viele denken bei der Lebenserwartung an ihre eigenen Eltern oder Großel-tern und ziehen daraus Rückschlüs-se für ihren eigenen Lebenshori-zont“, sagt GDV-Altersvorsorgeex-perte Peter Schwark. Dabei steige die Lebenserwartung von Generati-on zu Generation stark an. Ein 1990 geborener Mann dürfte im Durch-schnitt neun Jahre älter werden als ein 1960 geborener. Frauen können mit sieben Jahren mehr rechnen.

Immobilien

Märkte sind weltweit überhitzt

Zehn Jahre nach Ausbruch der globalen Finanz- und Wirt-schaftskrise, die auf dem US-

amerikanischen Immobilienmarkt begann, sind die Immobilienpreise weltweit wieder deutlich gestiegen. Bei ihren Recherchen für insgesamt 20 Länder fanden die Wissenschaft-ler des Deutschen Instituts für Wirt-schaftsforschung (DIW Berlin) an-hand des Verhältnisses von Kaufprei-sen zu Mieten vielerorts Hinweise auf ein spekulatives Anlageverhalten von Investoren.

Bedrohliche Ausmaße hat der Preisanstieg und damit die Gefahr von Spekulationsblasen nach ihren Worten bereits in Großbritannien, Portugal und in Schweden ange-nommen. „Die Gefahr, dass wieder Immobilienpreisblasen entstehen, die in eine neue weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise münden kön-nen, ist real“, sagt Studienautor Claus Michelsen.

Auch auf dem deutschen Immo-bilienmarkt sehen die DIW-For-scher zunehmend ungesunde Ent-wicklungen. So seien seit 2010 die Kaufpreise für Wohnimmobilien in den sieben größten deutschen Städ-ten um 20 Prozent stärker gestie-gen als die Mieten.

„In den großen Städten wie Ber-lin, München oder Hamburg sehen wir durchaus Entwicklungen, die auf eine Preisblase schließen las-sen“, sagt Konstantin Kholodilin, Koautor der Studie. „Das heißt je-doch nicht zwangsläufig, dass die Entwicklung bundesweit bedenk-lich wäre.“

Es gibt zudem auch eine Reihe von Gründen, die eine allgemeine Spekulationsblase am deutschen Markt unwahrscheinlicher mach-ten, so die DIW-Wissenschaftler. „Insbesondere die vergleichsweise geringe private Verschuldung hier-zulande und die solide Finanzie-rung von Immobilienkäufen spre-chen unter dem Strich gegen eine spekulativ getriebene Fehlentwick-lung im gesamten Land“, meint Mi-chelsen.

Einbußen

44MILLIARDENEuro verlieren die Spar-guthaben der Deutschen 2018 real an Wert. Grund sind negative Realzinsen.

Quelle: DZ Bank

Rentner: Für einen schönen Lebensabend gilt es, zu sparen und

langfristig vorzusorgen.

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Verlag Handelsblatt GmbH

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Chefredakteur (Verantwortlicher im Sinne des § 55 Abs. 2 RStV): Sven Afhüppe

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Impressum

52 | MEIN NETZWERK

Wer kommt, wer geht

Die Nachricht erwischte Anle-ger kalt: Der Schweizer Fondsemittent GAM hatte am

31. Juli Tim Haywood beurlaubt, der Absolute-Return-Fonds des Hauses im Wert von 9,5 Milliarden Euro ver-antwortete. Betroffene Portfolios wurden vom Handel ausgesetzt. Kurz darauf wurde ihre Liquidation be-kanntgegeben. Das wirft Fragen auf.

Was steckt hinter der Suspendie-rung? Haywood musste gehen, weil er gegen Dokumentationspflichten verstoßen hat. Außerdem soll er Vereinbarungen alleine anstatt zu zweit unterschrieben haben und dienstliche Mails von seinem priva-ten Account verschickt haben.

Warum hat der Fondsanbieter die Produkte so schnell geschlossen? Fondsanteile werden grundsätzlich börsentäglich gehandelt. Das ist ein wichtiger Vorteil von Fonds. Doch Anbieter sind auch verpflichtet, stets im Sinne der Anleger zu han-deln. Und bei Problemen mit der Corporate Governance müssen vie-le institutionelle Anleger aufgrund von internen Richtlinien bei betrof-fenen Produkten aussteigen. Bei den GAM-Fonds hätten die hohen Abflüsse zu einer Unwucht im Port-folio geführt, hieß es seitens des Emittenten. Man wolle sicherstel-

len, dass alle Anleger gleich behan-delt würden. Doch die Liquidierung eines Fonds ist ein harter Schritt, der üblicherweise nur als letztes Mittel verwendet wird.

Womit können Anleger rechnen? Derzeit können sie nur abwarten. Die Maßnahmen seien zum Schutz derjenigen Anleger erfolgt, die ihre Investments fortführen möchten, versichert GAM. Die Liquidation ge-be den Anlegern die Möglichkeit, die Erlöse schneller zu erhalten und stelle eine Gleichbehandlung sicher.

Das Problem: Tim Haywood hatte große Freiheiten und der Fonds lie-ferte zuletzt mäßige Ergebnisse. Hat Haywood womöglich auch riskante Assets beigemischt, um die Perfor-mance zu pushen? „Für mich war auffällig, wie viele Swaps und Deri-vate im Portfolio sind,“ sagte un-längst ein Branchenkenner nach Durchsicht des Jahresberichts ge-genüber der Financial Times.

Tim Haywood

Es bleiben Fragen

GAM

François Meunier

Spezialist für disruptive Technologie

Daten speichern in der Cloud, 3D-Druck, Nanotechnologie – viele Innovationen unserer

Zeit sind bahnbrechend. Für Investo-ren lohnt es, solche disruptiven Ideen rechtzeitig auszumachen. Auch der Vermögensverwalter und Fondsanbie-ter Lombard Odier Investment Mana-gers hat sich dafür jetzt einen Exper-ten geholt. François Meunier wird zum Aktienportfoliomanager am Standort London ernannt. Er soll weltweit Investitionsmöglichkeiten identifizieren, die auf disruptiven Technologien und Innovationen ba-sieren — und das übergreifend für alle Sektoren und die gesamte Wertschöp-fungskette.

Meunier kommt von Morgan Stan-ley, wo er ab 2010 Head of Technolo-gy Equity Research war. In dieser Funktion war er außerdem als stra-tegischer Berater für das Büro des britischen Premierministers sowie des französischen Wirtschaftsminis-teriums tätig. Vor seiner Tätigkeit bei Morgan Stanley war Meunier mehr als sechs Jahre lang Head of Techno-logy Equity Research bei J.P. Morgan Cazenove.

Lombard Odier IM

Heiko Stüber

Neuer CFO bei Ergo

Alles begann damit, dass Munich Re im Juli bekannt-gab, dass sich Jörg Schneider

zum Jahresende nach mehr als 18 Jahren als Finanzchef des Unterneh-mens zurückziehen wird. Er ist aktu-ell der dienstälteste CFO im deut-schen Aktienindex Dax. Als Nachfol-ger für den 60-Jährigen bestimmte der Versicherungskonzern Christoph Jurecka (43), bisher Finanzvorstand bei der Munich-Re-Tochter Ergo. Er übernimmt den Posten am 1. Januar 2019.

Als letztes Puzzleteil bei dieser Personalrochade hat die Ergo-Gruppe nun Heiko Stüber (49) zum 1. Januar 2019 als neuen Finanzchef in ihren Vorstand berufen. Dort wird er die Bereiche Rechnungsle-gung, Steuern, Planung und Con-trolling, Risikomanagement, Cor-porate Finance und aktuarielle Re-servierung verantworten. Auch Stüber kommt aus dem eigenen Haus. Er ist seit 2011 bei der Ergo, derzeit als Leiter des Bereichs Group Accounting and Controlling. Bevor er zur Ergo kam, war er bei der Axa und beim Wirtschaftsprü-fungs- und Beratungsunternehmen KPMG tätig.

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MEINE VISION| 55

Gerd Hübner München

Die Rennserie Gran Tourismo war in den 60er-Jahren eines der populärsten Au-torennen der Welt. Dort zu gewinnen galt als Aufstieg in den automobilen Olymp – für Hersteller und Fahrer glei-

chermaßen. Natürlich wollte auch Enzo Ferrari, Gründer des gleichnamigen Automobilherstellers, teilnehmen. 36 Exemplare des Ferrari 250 GTO bau-te er deshalb für diese Rennserie. Mit Erfolg. Seine Fahrzeuge holten zwischen 1962 und 1964 dreimal hintereinander den Gesamtsieg.

Doch was sollte dann mit den Autos geschehen? „Die Fahrzeuge, die ursprünglich umgerechnet rund 70 000 Mark gekostet hatten, waren für den normalen Straßengebrauch nicht geeignet“, erzählt Simon Kidston, Inhaber des Classic-Car-Händlers Kidston SA. „Sie waren unzuverlässig, zu laut, im Sommer war es im Auto zu heiß, und wenn es reg-nete, stand das Wasser im Innenraum.“ Dennoch ging die Geschichte des Ferrari 250 GTO weiter.

„In den 80er-Jahren waren plötzlich Fahrzeuge angesagt, die keinen perfekten Komfort liefern“, sagt der leidenschaftliche Classic-Car-Sammler. „Laute Motorengeräusche galten als schick, Autos, die für einen dramatischen Auftritt sorgten, waren in.“ Und so wurde der Ferrari 250 GTO zu einem der begehrtesten Fahrzeuge der Welt.

Seither bricht er einen Preisrekord nach dem an-deren. In diesem Jahr soll ein amerikanischer Ge-schäftsmann rund 60 Millionen Euro für einen Fer-rari 250 GTO hingeblättert haben. Damit ist der knapp 300 PS starke Rennwagen nicht nur das teu-erste Auto der Welt, sondern bezogen auf den ur-sprünglichen Kaufpreis auch ein äußerst gutes In-vestment. Schließlich ist sein Wert damit um mehr als den Faktor 1 700 gestiegen.

Und es gibt zahlreiche weitere spektakuläre Bei-spiele für Wertsteigerungen von Oldtimern. Wie den Mercedes Benz 300 SL, der vor allem für seine nach oben zu öffnenden Flügeltüren bekannt ist und des-halb Gullwing genannt wird. Er kostete in den 1950er-Jahren umgerechnet etwa 14 000 Euro. Im Jahr 2012 jedoch wurde er für 4,26 Millionen US-Dol-lar versteigert. Hohe Summen erzielten laut dem Auktionshaus Barnebys aber auch der Aston Martin DBR 1 mit 22,6 Millionen US-Dollar oder der Alfa Ro-meo Lungo Spider, der für 18,9 Millionen US-Dollar den Besitzer wechselte.

Dass Sammlerobjekte wie Oldtimer, Uhren, Wein, Münzen oder Kunst in den vergangenen Jahren im-mer beliebter wurden, ist kein Zufall. Schließlich suchten Anleger angesichts der extrem niedrigen Zinsen nach alternativen Sachanlagen, die ihnen zu-gleich einen Schutz gegen Inflation bieten sollten. Unter diesen Sammlerobjekten ragt laut dem Coutts Passion Index jedoch eine Assetklasse heraus: näm-lich Classic Cars. Während der Teilindex für Wein seit 2005 etwa 153 Prozent an Wert gewonnen hat oder Münzen 224 Prozent zulegten, liegen Oldtimer mit einem Plus von 332 Prozent klar an der Spitze. „Dabei dürfen Anleger nicht vergessen, dass sich der Oldtimer-Markt in den vergangenen Jahren nicht nur rasant nach oben, sondern auch noch unkorre-liert zu den Wertpapiermärkten entwickelt hat“,

sagt Holger Lüttke von der Gies & Heimburger GmbH.

Doch sollten Investoren tatsächlich auf dem aktu-ellen Niveau noch einsteigen? „Wer mit dem Gedan-ken spielt, sich einen Oldtimer zuzulegen, sollte erst mal eine möglichst hohe Affinität zu dem Thema mitbringen“, rät Jens Berner, Oldtimer-Experte der Südwestbank. Ganz ohne Liebe zu einem solchen Fahrzeug geht es schon allein deshalb nicht, weil es bewegt werden muss. „Nur regelmäßiges Fahren er-hält die Funktionstüchtigkeit“, erklärt Lüttke, der selbst Oldtimer sammelt. Wer ein solches Fahrzeug kauft, sollte deshalb Freude an dem einzigartigen Gefühl haben, mit einem Classic Car an einem schö-nen Tag gemütlich durch die Landschaft zu cruisen oder sich mit anderen Sammlern auszutauschen.

Zudem braucht es ein gewisses technisches Ver-ständnis. „Man sollte unbedingt in der Lage sein, zu-mindest kleinere Reparaturen an dem Fahrzeug selbst vorzunehmen“, sagt Markus Merder von der Finum.Private Finance AG. Außerdem sollte ein Old-timer, bezogen auf das Gesamtportfolio, nur eine Beimischung darstellen. „Mehr als fünf bis zehn Pro-zent sollte es nicht ausmachen“, rät Berner. Das be-deutet auch, dass das Gesamtvermögen des Inves-tierenden ausreichend groß sein muss. „Schließlich lohnt sich aus Renditegesichtspunkten der Kauf ei-nes Classic Cars in der Regel erst ab einem Kaufpreis von rund 100 000 Euro“, so der Experte weiter.

Originalzustand erhöht den Wert Wer das alles mitbringt, der muss allerdings beim Kauf genau hinschauen oder sich am besten, wenn er selbst keine ausreichende Expertise hat, an einen Gutachter wenden. Denn es braucht tiefe Kenntnis-se, um nicht übers Ohr gehauen zu werden. „Ein sehr wichtigstes Kriterium ist nämlich, dass ein Fahrzeug so nah wie möglich an dem Zustand sein sollte, in dem es einst die Fabrik verlassen hat“, sagt Kidston. Je besser ein Wagen im Originalzustand er-halten sei, desto größer die Chance auf Wertsteige-rungen. Das festzustellen ist aber nicht einfach.

„Dazu gilt, dass Objekte in der Regel umso be-gehrter sind, je älter und seltener sie sind“, macht Merder klar. Bei Fahrzeugen aus der Massenproduk-tion gibt es eigentlich kaum eine Chance auf einen Wertanstieg. Dazu kommen Marke, Hersteller und Ästhetik. Zwar ist der Geschmack subjektiv und än-dert sich auch immer wieder, dennoch gelten bei-spielsweise Sportwagen mit italienischem Design aus den 1930er- und 1950er-Jahren als zeitlos schön, ebenso Klassiker wie der Mercedes 300 SL.

Interessant ist schließlich noch die Geschichte ei-nes Fahrzeugs und der Besitzer. Erinnern Sie sich an den Film „The Thomas Crown Affaire“? Dort fuhr Steve McQueen einen Ferrari 275 Spider, von dem nur zehn Stück produziert wurden. Laut dem Auk-tionshaus Barnebys erzielte er 2013 bei einer Verstei-gerung 27,5 Millionen US-Dollar. Ein anderes Bei-spiel ist der Ferrari 250 GT SWB California Spider von 1961, der einst dem französischen Schauspieler Alain Delon gehörte und für den ein Käufer im Jahr

2015 bereit war, 18,5 Millionen US-Dollar auf den Tisch zu legen.

Autos aus Filmen, die besonders spektakuläre Rennen wie die 24 Stunden von Le Mans gewonnen haben oder im Besitz berühmter Persönlichkeiten waren, haben also ebenfalls besonders gute Chan-cen auf hohe Wertsteigerungen. Dabei stechen Fer-raris, vor allem solche, die bis 1973 gebaut wurden, klar hervor. Das verdeutlicht ein Blick auf die Teil-komponenten des von Kidston SA berechneten K500 Index, der auf der Auswertung Tausender Auktionen beruht. Dort sind die Teilindizes auf Fer-raris, auf die Autos von Porsche und auf europäi-sche Nachkriegsfahrzeuge seit 1994 stärker gestiegen als der Durchschnitt. Schlechter schnitten dagegen US-Autos sowie Fahrzeuge ab, die vor dem zweiten Krieg gebaut wurden. Classic Cars von Ferrari und Porsche haben in den vergangenen Jahrzehnten die beste Wertentwicklung verzeichnet.

Natürlich hat aber nicht jeder Anleger und Classic-Car-Liebhaber die Möglichkeit, bei einem Ferrari aus den 60er-Jahren mitzubieten. Deshalb kann auch ein Blick auf den Oldtimer-Index der Südwestbank lohnen, der auf der Preisentwicklung und den Zu-lassungszahlen des Kraftfahrt-Bundesamts von 20 Modellen süddeutscher Hersteller basiert. Auch der entwickelte sich recht gut, wie Jens Berner verdeut-licht: „Zwischen 2005 und Ende 2017 hat er rund 302 Prozent zugelegt und damit sogar den Dax in diesem Zeitraum hinter sich gelassen.“

Das ist zwar nicht so spektakulär wie die Wertstei-gerung des Ferrari 250 GTO, aber für einen Fan von Oldtimern auch nicht uninteressant. Schließlich muss ein Käufer für die dort aufgeführten Fahrzeuge nicht gleich ein paar Millionen Euro hinlegen. Zu den Indexmitgliedern zählten im Jahr 2017 beispiels-weise der Porsche 911, der Mercedes 190 SL, die Iset-ta von BMW und zahlreiche weitere Fahrzeuge die-ser Hersteller.

Berücksichtigen muss ein Sammler allerdings in jedem Fall die Nebenkosten. „Natürlich gilt es, die Versicherung, Steuern, Instandhaltung und den Stellplatz einzukalkulieren“, sagt Merder. Gerade was die Unterbringung eines solchen Fahrzeugs be-trifft, gilt es, genau zu überlegen. „Es gibt ausgeklü-gelte Systeme, die es Oldtimer-Enthusiasten ermög-lichen, das Fahrzeug gut geschützt vor zu hoher Luftfeuchtigkeit, die der Nährboden für Rost ist, un-terzustellen“, sagt Lüttke.

Zwar gibt es noch die Alternative, sich über Platt-formen oder Fonds an Classic Cars zu beteiligen. Doch gilt es zu beachten, dass die Wertentwicklung von Oldtimern keine Einbahnstraße ist. Auch dort können die Preise jederzeit einbrechen. Wer eine Beteiligung hat, der hat nur die Verluste. Classic-Car-Enthusiasten, die ein solches Fahrzeug aber selbst besitzen und nutzen, haben dann zumindest noch das Auto. „Einen Oldtimer zu kaufen ist deshalb schon viel spannender“, meint Lüttke. „Und wenn am Ende bei einem Verkauf nach Abzug aller Kosten ein Gewinn herausspringt, dann ist das eigentlich nur ein netter Nebeneffekt.“

Oldtimer

INVESTMENT MIT SPASSFAKTORKeine Sammlerobjekte sind in den vergangenen Jahren so stark im Preis gestiegen wie Oldtimer, auch Classic Cars genannt. Ohne Leidenschaft, Begeisterung und auch Know-how sollte aber niemand investieren.

Meine Vision

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